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Am 17. Oktober stimmte das türkische Parlament mit überwältigender Mehrheit für das Recht der türkischen Armee, die kurdischen Guerillas der PKK bis zu ihren Basen im Nordirak zu verfolgen. Vier Tage später wurden 13 türkische Soldaten in einem PKK-Hinterhalt getötet, was die Flammen einer Kriegskampagne, die bereits begonnen hatte, weiter anfachte. Überall in der Türkei wurden nationalistische Demonstrationen - einige von ihnen sehr groß - organisiert, die von der Armee, der Polizei, der Mehrheit der politischen Parteien und der Gewerkschaften, den Medien und dem Bildungssystem uneingeschränkt unterstützt wurden. Jeder Bürger ist gezwungen, eine türkische Fahne aus seinem Fenster zu hängen oder sie zu Fußballspielen mitzutragen. Geschäfte und Amtsgebäude wetteifern darum, wer die größte Fahne raushängt.
Für die herrschende Klasse der Türkei ist dies Teil des "Krieges gegen den Terrorismus", der natürlich den US-Stempel trägt. Doch die amerikanische Bourgeoisie, die mit Sicherheit die Türkei als Schlüsselalliierten in ihrer militärischen Strategie im Mittleren Osten betrachtet, ist im Großen und Ganzen nicht glücklich über diese Entwicklungen. Kurz vor der Erklärung des türkischen Parlaments stellte die demokratische Mehrheit des US-Kongresses die Frage nach der Leiche im Keller der Türkei - dem Massaker an den Armeniern 1915. Die Republikaner mit Bush an ihrer Spitze warnten davor, die Türken durch die Beschreibung dieses Gemetzels als eine Form des "Genozids" zu verärgern. Doch im Anschluss an der Abstimmung im türkischen Parlament am 17. Oktober warnte selbst Bush davor, dass eine Eskalation durch die türkische Präsenz im Nordirak (Bush selbst ließ die Bemerkung fallen, dass die türkische Armee bereits einige Truppen dort stehen hat) die fragile Stabilität in der autonomen kurdischen Region unterminieren könnte - in der einzigen "friedlichen Oase" Iraks, nachdem die US-Invasion und der Sturz Saddams das Land in totales Chaos gestürzt hatten. Die Türken beschuldigen die herrschenden kurdischen Parteien, die PKK zu unterstützen und zu ermutigen, und obgleich Barsani, Talabani und Konsorten (Iraks wichtigste kurdische Politiker) die PKK gezwungen haben, ihre Angriffe einzustellen, bleibt die Lage äußerst angespannt. Barsani erklärte beispielsweise, dass sie (die Regierung des kurdischen Nordiraks mit ihren intakten Kräften der Peshmerga) sich auf jeden Fall selbst verteidigen werde, auch wenn sie nicht in irgendeinen Konflikt hineingezogen werden will.
Dieser schwelende Konflikt an der türkisch-irakischen Grenze ist ein weiteres Kapitel in der Horrorgeschichte, die mittlerweile einen offenen Krieg im Irak, im Libanon, in Afghanistan und und in Israel/Palästina sowie die Gefahr weiterer Konflikte beinhaltet, die sich auf den Iran und auf Pakistan ausweiten könnten. Angesichts dieses Abgleitens in die Barbarei und das Chaos haben die Genossen der internationalistischen Kommunistischen Linken in der Türkei mit der Herausgabe einer internationalistischen Stellungnahme geantwortet, die wir im Folgenden abdrucken. Sie haben sie zusammen mit ihrem jüngsten Bulletin "Nächtliche Bemerkungen" als Flugblatt verteilt, das sich auch auf die militanten Streiks bei der türkischen Telekom bezog und auf solcherlei Kämpfe als einzige Alternative zu Militarismus und Krieg hinwies. Die Genossen der EKS intervenieren in einem Klima der staatlich unterstützten Kriegshysterie, und das in einem Land, wo (wie jeder weiß, der Orhan Pamuks Buch "Schnee" gelesen hat) der politische Mord eine lange Tradition hat. Sie verdienen die Solidarität und die Unterstützung der Revolutionäre überall auf der Welt. Amos (31. Oktober 07)
Flugblatt der EKS
Einmal mehr erhalten wir bestürzende Nachrichten über weitere Opfer der Arbeiterkinder für den brutalen Krieg im Südosten. Die Bourgeoisie und ihre Medien sind dabei, wie stets nach mehr Blut und Chaos zu dürsten. Als Folge davon suchen nun die Menschen nach "Terroristen" auf den Straßen. Doch wie konnte dies geschehen?
Nun, der bürgerliche Staat befindet sich in einem Zustand der Krise, die lange Zeit nicht sichtbar war. Die ökonomische Ursache, die ihr zugrunde liegt, ist in der Tatsache begründet, dass die ArbeiterInnen in der Türkei nicht so viel Blut haben, wie die Bourgeoisie schlucken möchte, und, als ob dies nicht genug wäre, auch noch - wie bei der Turkish Airline gestern und noch stärker in den Streiks bei Türk Telekom und bei Novamed heute - Widerstand leisten. Die wachsenden internationalen Schulden, das immer fiktivere Kapitalvermögen und die Anfälligkeiten des "Geldmarktes" - all diese Konsequenzen werden auf den Rücken der ArbeiterInnen abgewälzt. Die Bourgeoisie pumpt den Rassismus auf, um diese Situation fortzusetzen, in der kurdische ArbeiterInnen zu einem noch billigeren Preis ausgebeutet und türkische ArbeiterInnen dem Elend auf den Straßen überlassen werden. Die politische Konsequenz aus dieser Lage ist der Schlachtruf, den wir derzeit vernehmen und der keineswegs eine Lösung darstellt. Die ideologischen Mauern des bürgerlichen Staates bröckeln mit jedem Tag immer mehr. Je fragwürdiger die Umstände sind, in denen die ArbeiterInnen leben, desto mehr wird das Kapital die Gesellschaft in die Degeneration, den Niedergang und Zerfall stoßen und um so mehr wird es seine gesellschaftliche Legitimation verlieren, die ihm zuvorderst seine Bedeutung verleiht. Die Antwort der bürgerlichen Politiker auf die jüngsten Massaker lautet wie folgt:
Für den nationalistischen Flügel der Bourgeoisie ist es wie immer eine "Verschwörung" der Vereinigten Staaten. Ihnen zufolge "wird der Terror ausradiert", sofern die türkische Armee in den Irak einmarschiert. In Wahrheit ist es gerade drei Jahre her, als die Vereinigten Staaten selbst wollten, dass die jungen Männer der türkischen Arbeiterklasse in den Kampf gegen die ArbeiterInnen im Irak ziehen. Doch die türkische Bourgeoisie war nicht imstande, dem Folge zu leisten, da sie unfähig und zu schwach war, die Arbeiter zu überzeugen, in den Krieg zu ziehen. Wahr ist, dass die türkische Bourgeoisie stets mit den Vereinigten Staaten verbündet war und die bewaffneten Kräfte der Türkei Gewehr bei Fuß standen, um, falls notwendig, ArbeiterInnen im Libanon und in Afghanistan zu töten. Daher gibt es entgegen der Lügen des nationalistischen Flügels der Bourgeoisie, die er den ArbeiterInnen aufzutischen versucht, keine divergierenden Interessen zwischen ihr und dem amerikanischen Imperialismus; ganz im Gegenteil, es gibt gemeinsame Interessen, und die bewaffneten Kräfte der Türkei sind bewaffnete Vollstrecker dieser Allianz. Darüber hinaus wird jegliches Massaker im Nordirak nicht nur den Tod von mehr Soldaten verursachen und noch mehr "Zivilisten" in Konzentrationslager pferchen sowie auf den Schlachtfeldern massakrieren, sondern dies wird auch mit noch mehr Bombenanschlägen in den wichtigsten Städten beantwortet werden.
Der islamische und liberale Flügel der Bourgeoisie wird, zuverlässig wie immer, den Krieg befürworten. Selbstverständlich ist die Tatsache, dass er Zweifel darüber hegt, wie die "Operation" vonstatten gehen soll, lediglich ein Ausdruck seines Versuches, von den Vereinigten Staaten eine Erlaubnis zu erhalten. Für diesen Zweck hat er keine andere Wahl, als "geduldig" auf einen Kompromiss mit Barsani und Talabani zu warten.
Was den linken Flügel der Bourgeoisie anbetrifft, so tut er nichts anderes, als sich auf seinem hohen Ross zu winden. Natürlich sei er nicht an Hunger, Elend, Armut und am Tod von ArbeiterInnen interessiert. Er verbiegt seine Rhetorik immer mehr in Richtung seiner Meister, um seine Stellung zu bewahren. Kurz: er demonstriert einmal mehr die Bedeutungslosigkeit des Parlaments.
Infolgedessen werden auch die ArbeiterInnen der Türkei in die Sackgasse von mehr Kriegen, Zerstörung, Terror und Chaos gezogen, die von einer Bourgeoisie über den Mittleren Osten verhängt wird, die sich weder um ihr Leben noch um ihren Tod kümmert. Dies, weil der Kapitalismus die Exekution seiner unlösbaren Krise nur hinausschieben kann, indem er die Menschheit in immer größere Zerstörung zerrt.
Die Antwort des Proletariats wirft ein Licht auf den Ausweg, wie wir im Telekom-Streik sahen. Ein einziger Streik, der nur einige Tage dauerte, reichte aus, um die Bourgeoisie ins Stolpern zu bringen. Nur wenn die ArbeiterInnen sich mit ihrer Klasse solidarisieren, um solche Kämpfe auszuweiten, und nur wenn die ArbeiterInnen auf internationaler Ebene Nein zum Krieg sagen, kann das kapitalistische Massaker gestoppt werden. Der Weg, Krieg und Massker aufzuhalten, ist nicht, sie auszuweiten und zu vertiefen, sondern eine Klassensolidarität über die Grenzen hinweg zu errichten, die keine militärische Front dabei ausspart. Die Feinde sind nicht die Klassenbrüder und -schwestern in anderen Ländern, sondern die Kapitalisten hierzulande, die es sich in ihren warmen Häusern bequem machen!