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Es sind wahrlich harte Zeiten für die Weltwirtschaft seit der anhaltenden Immobilienkrise, die während des letzten Jahres in den USA ausbrach. Die Situation war seit dem Beginn der offenen Krise des Kapitalismus Ende der 1960er Jahre noch nie so heikel wie heute, auch wenn die herrschende Klasse all ihre Mittel einsetzt, um die Auswirkungen einzudämmen:
- Die Immobilienkrise in den USA hat sich in eine weltweite Finanzkrise ausgeweitet, begeleitet durch den schallenden Lärm über die Zahlungsunfähigkeit der amerikanischen und europäischen Banken.[i] Diejenigen Bankinstitute, welche nicht scheiterten, schafften es nur mit Hilfe von Rettungsszenarien durch den Staat. Und es gibt grosse Ängste, dass viele Banken, die aus verschiedenen Gründen kurz vor dem Abgrund standen, in einer potentiellen Krisensituation stecken, was wiederum die Gefahr eines noch größeren Finanzkrachs birgt.
- Die Zeichen stehen deutlich auf einer Verlangsamung der ökonomischen Aktivitäten, wenn man die Rezession, in einigen Ländern, darunter den USA, betrachtet. Die herrschende Klasse hat die verschiedenen Rezessionen mit denen sie seit den 1970er Jahren konfrontiert war, mit einer verstärkten Verschuldung überwunden. Der Aufwand war jedes Mal größer, der Effekt jedes Mal geringer. Wird sie ein erneutes Mal die kommende Rezession austricksen können, wenn dazu lediglich das Mittel einer enormen Erhöhung der weltweiten Verschuldung existiert und damit das Risiko eines Zusammenbruchs des internationalen Kreditsystems?
- Das Sinken der Börsenkurse mit gelegentlich brutalen Einbrüchen erschüttert das Vertrauen in die Grundlage der Börsenspekulation, deren Erfolge es zeitweise erlaubt haben, die Probleme der realen Ökonomie zu verschleiern. Diese Erfolge haben stark zur Erhöhung der Profitrate vieler Unternehmen seit Mitte der 1980er Jahre beigetragen und sie bilden die Basis eines verankerten Mythos, der aber heute in Frage gestellt wird, dass unabhänging von allen unvorhergesehenen Risiken die Börsenkurse nichts anderes als steigen würden.
- Die Militärausgaben, das sieht man deutlich in den USA, bilden eine immer unüberwindbarere Bürde für die Wirtschaft. Sie können nicht einfach willentlich zurückgeschraubt werden. Sie sind die Konsequenz des immer größeren Gewichtes, welches der Militarismus in der Gesellschaft einnimmt. Denn durch die immer unlösbarer werdenden ökonomischen Probleme ist jede Nation gezwungen, die Flucht nach vorne in den Krieg zu ergreifen.
- Die erneute Inflation ist für die Bourgeoisie in zweifacher Weise ein Schreckgespenst. Einerseits ist sie eine Bremse für den Warenhandel, weil sie immer schwerer vorhersehbare Schwankungen des Warenhandels mit sich bringt. Auf der anderen Seite, weil sie noch mehr als die Antwort der Arbeiterklasse auf die Angriffe durch Arbeitslosigkeit, den Verteidigungskampf der Arbeiterklasse um eine Erhöhung der Löhne gegen die Erhöhung der Preise und damit eine Generalisierung der Arbeiterkämpfe über die Sektoren hinweg hervorruft. Die Instrumente, über welche die Bourgeoise heute noch verfügt, um der Inflation entgegenzuwirken, die harte Sparpolitik und die Ausgabenreduktion des Staates, werden konsequent eingesetzt, doch sie verschärfen lediglich den Kurs in Richtung Rezession.
Die heutige Situation ist nicht einfach eine Wiederholung all der Auswirkungen der Krise seit Ende der 1960er Jahre. Sie ist eine Konzentration der Krise in einer viel geballteren und explosiveren Form und führt zu einer ökonomischen Katastrophe neuer Schärfe, die das System in Frage stellt. In den vergangenen Jahrzehnten war es oft die Aufgabe der mächtigsten Wirtschaftsmacht der Welt, die Lokomotive zu spielen und Rezessionen zu vermeiden oder zu überwinden. Heute aber ist der Effekt, den die USA auf die gesamte Welt hat, ein umgekehrter: hin zur Rezession und auf den Abgrund zu.
Die Verschärfung der Wirtschaftskrise in den USA
George Bush ist gewiss der größte Optimist in den USA und vielleicht ist er mit diesem Optimismus alleine, wenn man die wirtschaftliche Situation des Landes betrachtet. Am 28. Februar, in Gewissheit des Risikos einer Verlangsamung der Wirtschaft, erklärte der Präsident: „Ich denke nicht, dass wir einer Rezession entgegen gehen (...). Ich glaube, dass die Grundlagen unserer Wirtschaft in guter Gesundheit sind (...), dass das Wachstum anhält und auch noch in einer robusteren Art anhalten wird als heute. Wir haben immer noch einen starken Dollar auf unserer Seite."[ii] Zwei Wochen später, am 14. März in einer Sitzung von Ökonomen in New York, wiederholte der Präsident seinen optimistischen Standpunkt und sprach sein Vertrauen in die „schlagfertige" Kapazität der US-Wirtschaft aus. Dies am selben Tag, als die US-Staatsbank und die JP Morgan Bank sich zusammenrauften, um einen Rettungsplan für die Bear Stearns Bank, eine große Börsenanlage-Bank an der Wall Street, auf die Beine zu stellen, die durch einen massiven Anlagenrückzug von Seiten ihrer Klienten betroffen war. Ein Szenario, das an die große Depression von 1929 erinnert. Am selben Tag spielte sich zudem folgendes ab: Der Preis für ein Fass Öl erreichte eine Rekordhöhe von 111 Dollar, und dies trotz höherem Angebot als herrschender Nachfrage; die Regierung kündigte eine Intensivierung der Immobilienpfändungen um 60% für den Februar an; der Stand des Dollars gegenüber dem Euro erreichte ein Rekordtief. Auch die realitätsferne Negierung der Wirklichkeit des Herrn Bush lässt nicht übersehen, wie die angebliche Prosperität durch den Immobilienboom und die Immobilienblase der letzten Jahre den Weg in eine ökonomische Katastrophe eröffnet hat. Im wirtschaftlich mächtigsten Land der Welt, sowie auf internationaler Ebene, ist die Wirtschaftskrise wieder in den Brennpunkt gerückt.
Die Immobilienkrise: Symptom eines Systems in permanenter Krise
Seit Beginn des Jahres 2007, als die ersten Anzeichen für ein Ende des Immobilienbooms manifest werden, diskutiert die Clique der bürgerlichen Ökonomen über die Möglichkeit einer Rezession in den USA. Seit Anfang 2008 tauchen immer mehr „pessimistische" Wirtschaftsprognosen auf, die schon von einer Rezession seit Dezember 2007 ausgehen, gegenüber den „Optimisten", welche auf ein Wunder warten. Zwischen den beiden Lagern befinden sich jene, die sich nicht auf die Äste hinauslassen und behaupten, dass sich „die Wirtschaft sowohl in die eine als auch in die andere Richtung entwickeln" könne. Doch die Situation hat sich in den vergangenen Monaten dermaßen schnell zugespitzt (außer vielleicht für Herrn Bush), dass es kaum mehr Platz gibt für Optimismus oder „Zentrismus". Heute sind sie sich einig darüber, dass die schönen Zeiten vorüber sind. Mit anderen Worten: Die US-Ökonomie befindet sich heute in einer Rezession, oder zumindest an deren Beginn.
Dass die Bourgeoisie die Schwierigkeiten des US-amerikanischen Kapitalismus anerkennt, ändert aber kaum etwas an ihrem Verständnis über die wirkliche Lage des gesamten Systems. Die gebräuchliche Beschreibung einer Rezession von Seiten der herrschenden Klasse ist folgende: ein negatives Wirtschaftswachstum während zwei aufeinander folgenden Quartalen. Das National Bureau of Economic Research verwendet eine andere Definition, welche einen Hauch brauchbarer ist. Es definiert die Rezession als einen bedeutsamen und anhaltenden Niedergang aller wirtschaftlichen Aktivitäten, sichtbar an den Einkünften, dem Beschäftigungsgrad, dem Warenverkauf und der industriellen Produktion. Auf der Basis dieser Definition kann die herrschende Klasse eine Rezession nur erkennen, wenn sie schon eine gewisse Zeit andauert, und oft erst dann, wenn das Schlimmste schon vorbei ist. Nach gewissen Aussagen müsse man dann noch einige Monate warten, bis man, diesen Kriterien folgend, wisse, ob bereits eine Rezession herrsche oder ob sie erst beginne.
All die Prognosen, welche die Wirtschaftsseiten der Zeitungen füllen, sind sehr trügerisch. Sie tragen nur dazu bei, den katastrophalen Zustand des amerikanischen Kapitalismus zu verschleiern, der sich in den kommenden Monaten nur verschlechtern kann und dann wohl als das offizielle Datum des Eintritts der Wirtschaft in die Rezession dargestellt werden wird.
Es ist wichtig zu sehen, dass die gegenwärtige Krise keinesfalls eine ansonsten „gute Gesundheit" der US-amerikanischen Wirtschaft widerspiegelt, die gerade eine schlechte Phase in einem ansonst normalen Zyklus von Expansion und Rezession durchmacht. Was wir heute erleben, sind Erschütterungen eines Systems, das sich in einer permanenten Krise befindet und das ab und zu durch trügerische Heilmittel kurze Momente der Erholung erlebt, die dann den nächsten Absturz noch schlimmer machen.
Das ist die Geschichte des amerikanischen Kapitalismus - und des Kapitalismus insgesamt - seit dem Ende der 1960er Jahre und der Rückkehr der offenen Wirtschaftskrise. Während vier Jahrzehnten, durch Phasen des Aufschwungs und der offiziell anerkannten Rezession hat die gesamte Wirtschaft den Schein, dass sie funktioniere, nur dank staatskapitalistischer Maßnahmen auf den Ebenen der Geld- und der Steuerpolitik aufrecht erhalten können, die die Regierungen gezwungen sind zu ergreifen, um die Auswirkungen der Krise zu bekämpfen. Aber die Lage ist nicht statisch geblieben. Während all diesen Jahren der Krise und der Staatsinterventionen zu deren Management hat die Wirtschaft so viele Widersprüche angehäuft, dass heute eine reale Gefahr einer wirtschaftlichen Katastrophe besteht, wie sie in der Geschichte des Kapitalismus noch nie zu sehen war.
Nach dem Zerplatzen der Internet- und Technologieblase 2000-2001 hat sich die Bourgeoisie in eine neue Blase geflüchtet, diejenige des Immobilienmarktes. Obwohl die Spitzenbereiche des industriellen Sektors, wie die Autoindustrie oder die Flugzeugherstellung, weiterhin Pleiten erlebten, schaffte der Immobilienboom der letzten fünf Jahre die Illusion einer expandierenden Ökonomie. Doch dieser Boom hat sich nun in einen Krach verwandelt, der das ganze Gebäude des kapitalistischen Systems erschüttert und der in der Zukunft Auswirkungen haben wird, die noch niemand voraussehen kann.
Nach den jüngsten Daten sind sämtliche Transaktionen im privaten Immobilienbereich ins Trudeln geraten. Die Erstellung von Neubauten ist schon um rund 40% zusammengebrochen im Vergleich zum Kulminationspunkt im Jahr 2006, und die Verkäufe sind noch schneller abgesackt, was einen Preiseinbruch nach sich gezogen hat. Der Preis der Häuser ist im ganzen Land um 13% gesunken seit dem Höhepunkt 2006, und es wird erwartet, dass er um weitere 15 bis 20% fallen wird, bis er die Talsohle erreicht hat. Der Immobilienboom hinterlässt eine gewaltige Anzahl von leerstehenden Wohnungen, die nicht verkauft worden sind - ungefähr 2,1 Millionen, also etwa 2,6% der Gesamtzahl im ganzen Land. Im letzten Jahr waren die Zwangsversteigerungen im Großen und Ganzen auf die Subprime-Hypothekarkredite beschränkt, die Leuten gewährt worden waren, denen im Grunde genommen die Mittel fehlten, um sie zurück zu bezahlen. Etwa ein Viertel dieser Darlehen befanden sich im letzten November im Zahlungsstopp. Die Zahlungsunfähigkeit beginnt jetzt aber zunehmend auch diejenigen zu ergreifen, deren finanzielle Lage noch relativ gut ist. Im November befinden sich 6,6% der Schuldner im Zahlungsverzug, wenn nicht sogar im Verfahren der Zwangsversteigerung. Ein schlechtes Vorzeichen ist, dass der Höhepunkt der Immobilienzwangsversteigerungen stattfindet, noch bevor die Zinssätze auf den Hypothekarkrediten erhöht werden. Mit dem Zusammenbruch der Immobilienpreise, der mit der Krise einhergeht, erlaubt der Wert der Häuser vieler Leute nicht mehr die Rückzahlung ihrer Hypothekarschulden, so dasss ihnen der Verkauf des Hauses nicht nur keinen Gewinn einbrächte, sondern ihnen sogar noch eine Schuld aufbürdete. Das führt zu einer Situation, in welcher es finanziell gesehen klüger ist, seine Verpflichtungen loszuwerden, indem man Privatkonkurs erklärt.
Das Platzen der Immobilienblase zieht den Finanzsektor in Mitleidenschaft. Bis jetzt hat die Immobilienkrise bei den größten Finanzinstituten Verluste von mehr als 170 Milliarden Dollar verursacht. Milliarden von Dollar an Börsenwerten sind vernichtet, die Wall Street erschüttert worden. Unter den Großen, die 2007 mindestens ein Drittel ihres Wertes verloren haben, kann man Fannie Mae, Freddie Mac, Bear Stearns, Moody's und Citigroup nennen.[iii] MBIA, eine Gesellschaft, die sich auf die Garantie der finanziellen Gesundheit anderer Gesellschaften spezialisiert hat, hat fast drei Viertel ihres Wertes verloren! Verschiedene Firmen, die im Bereich der Hypothekarkredite tätig und an der Börse besonders hoch kotiert gewesen sind, sind bankrott gegangen.
Und dies ist erst der Anfang. Mit der zu erwartenden Zunahme der Zwangsversteigerungen in den nächsten Monaten werden die Banken weitere Verluste einstecken müssen, und die plötzliche Knappheit an Krediten (der credit crunch) wird sich weiter zuspitzen, was auch die anderen Bereiche der Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen wird.
Von der Immobilienkrise zur Kreditkrise
Außerdem stellt die Finanzkrise, die mit den Hypothekarkrediten zusammenhängt, nur die Spitze des Eisbergs dar. Die unvorsichtigen Kreditpraktiken, die den Immobilienmarkt beherrscht haben, gelten auch in den Bereichen der Kreditkarten und des Autokredits, in denen sich die Probleme ebenfalls ausbreiten. Und genau diese Bereiche stellen den Kern der gegenwärtigen „Gesundheit" des Kapitalismus dar. Sein kleines, ja nicht zu verratendes Geheimnis ist die Perversion des Kreditmechanismus mit dem Zweck, dem Mangel an zahlungsfähigen Märkten zu begegnen, auf denen er seine Waren verkaufen muss. Der Kredit ist wesentlich das Mittel geworden, die Wirtschaft künstlich aufrechtzuerhalten und zu verhindern, dass das System unter dem Gewicht seiner historischen Krise zusammenbricht. Ein Mittel, das bereits seine Grenzen und Risiken offenbart hat: Schon in den 80er Jahren folgte die Finanzkrise der Pleite der Staaten in Lateinamerika, die mit gewaltigen Darlehen eingedeckt worden waren, die sie nie und nimmer zurückzahlen konnten; der Zusammenbruch der asiatischen Tiger und Drachen in den Jahren 1997 und 1998 stellte eine Wiederholung der Geschichte dar. In der Tat war die Immobilienblase selbst eine Reaktion auf das Platzen der Internetblase und ein Versuch, diesen Schlamassel zu überwinden.
Die derzeitige Finanzkrise hat ganz andere Ausmaße, die sich aus der schleichenden Spekulation ergeben, welche die Immobilienblase begleitet hat. Es handelt sich dabei nicht um eine nebensächliche Spekulation eines Investors, der ein Haus kauft, um es bei steigenden Preisen gleich wieder mit Gewinn weiter zu verkaufen. Das ist eine Lappalie. Was ins Gewicht fällt, ist vielmehr die Spekulation im großen Stil, die alle Finanzinstitute durch Verbriefung[iv] und Verkauf von Hypothekarforderungen an den Börsen betreiben. Die Mechanismen dieser Abläufe werden nicht genau durchschaut, sie ähneln in vielerlei Hinsicht dem Ponzi-Trick.[v] Was diese gewaltige Spekulation aufzeigt, ist das Ausmaß, in dem die Wirtschaft eine „Kasino-Wirtschaft" geworden ist, in der das Kapital nicht mehr in der realen Produktion investiert, sondern für Wetten eingesetzt wird.
Die derzeitige Krise enthüllt den Betrug des Liberalismus und die Wirklichkeit des Staatskapitalismus
Die amerikanische Bourgeoisie stellt sich gerne als ideologischen Weltmeister des Liberalismus dar. Diese Haltung ist ihrerseits höchst ideologisch. Die Wirtschaft ist durch und durch geprägt von der staatlichen Intervention. Darum geht es in der gegenwärtigen „Debatte" der Bourgeoisie über die Art und Weise, wie die in Bedrängnis geratene Wirtschaft zu verwalten sei. Grundsätzlich wird nichts Neues vorgeschlagen. Dieselben alten währungs- und steuerpolitischen Maßnahmen werden angewandt in der Hoffnung, die Wirtschaft damit zu stimulieren.
Was gegenwärtig gemacht wird, um die Krise abzufedern, läuft auf die altbekannte Methode hinaus - die alten Programme des schnellen Geldes und einfachen Kredits werden lanciert, um der Wirtschaft wieder etwas Boden unter den Füssen zu verschaffen. Die amerikanische Antwort auf den credit crunch (Kreditklemme) lautet: noch mehr Kredit! Die amerikanische Notenbank hat nun seit September 2007 fünfmal den Zinssatz gesenkt und scheint bereit, dies ein weiteres Mal an der für März vorgesehenen Sitzung zu tun. Da die Notenbank weiß, dass dieses Heilmittel nichts ausrichtet, hat sie ihre Intervention auf den Kapitalmärkten erhöht und den an flüssigen Mitteln notleidenden Finanzinstituten billiges Geld angeboten - 200 Milliarden Dollar zusätzlich zu den im letzten Dezember schon angebotenen Milliarden.
Das Weiße Haus und der Kongress haben ihrerseits auch schnell Ankurbelungsmaßnahmen (unter der Bezeichnung „economic stimulus package") vorgeschlagen, die im Wesentlichen auf Steuerreduktionen für Familien und -nachlasse für Unternehmen hinauslaufen und ein Gesetz beinhalten, das die Epidemie der ausbleibenden Schuldentilgung bei Hypotheken eindämmen und den ausgebluteten Immobilienmarkt wiederbeleben soll. Doch angesichts des Ausmaßes der Immobilien- und Finanzkrise wird die Lösung einer massiven staatlichen Sanierung des ganzen Immobiliendebakels immer ernsthafter in Betracht gezogen. Die ungeheuren Kosten einer solchen Maßnahme würden die Summen, die der Staat 1990 zur Rettung der Saving and Loans Industry (Sparkassensystem) zur Verfügung stellte - 124,6 Milliarden Dollar -, als lächerlich erscheinen lassen.
Wie groß die Anstrengungen des Staates, die Krise zu verwalten, schließlich sein werden, bleibt abzuwarten. Offensichtlich ist, dass der Spielraum der Bourgeoisie für ihre wirtschaftspolitischen Maßnahmen je länger je enger wird. Nach Jahrzehnten des Krisenmanagements führt die amerikanische Bourgeoisie eine sehr kranke Wirtschaft. Der gewaltige staatliche und private Schuldenberg, das Bundeshaushaltsdefizit, die Zerbrechlichkeit des Finanzsystems und das enorme Außenhandelsdefizit - all das treibt die Schwierigkeiten der Bourgeoisie, dem Zusammenbruch des Systems zu begegnen, auf die Spitze. In der Tat haben die herkömmlichen Mittel der Regierung, um der Wirtschaft ein wenig neues Leben einzuhauchen, bis jetzt nichts gefruchtet. Im Gegenteil scheinen sie die Krankheit zu verschlimmern, die sie angeblich heilen sollen. Trotz den Anstrengungen der Notenbank, die Kreditvergabe zu entkrampfen, den Finanzsektor zu stabilisieren und den Immobilienmarkt wieder zu beleben, sind Kredite schwierig zu erhalten und teuer. Die Wall Street befindet sich pausenlos auf einer Achterbahn mit gewaltigen Ausschlägen und einer vorherrschenden Tendenz nach unten.
Außerdem trägt die Notenbank-Politik des billigen Geldes zum Wertverlust des Dollars bei, der alle Wochen neue Negativrekorde gegenüber dem Euro und anderen Währungen aufstellt und die Preise der Waren wie des Erdöls steigen lässt. Die Erhöhung der Preise für Energie, Nahrungsmittel und andere Waren, während sich gleichzeitig die Wirtschaft verlangsamt, treibt die Angst bei den „Experten" vor einer „Stagflationsphase" der amerikanischen Wirtschaft an. Die derzeitige Inflation schränkt bereits den Konsum der Bevölkerung ein, die versucht, mit Einkommen zu leben, die nicht steigen und die Arbeiterklasse und andere Sektoren der Bevölkerung zwingen, den Gurt enger zu schnallen.
Die Angriffe gegen die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten
Die Nachricht des amerikanischen Arbeitsdepartements vom 7. März, dass 63.000 Arbeitsplätze im Land im Laufe des Monats Februar verloren gingen, alarmierte den Bourgeois. Natürlich nicht deshalb, weil er sich über das Schicksal der entlassenen Arbeiter Sorgen macht, sondern weil dieser starke Abbau die schlimmsten Albträume der Wirtschaftsexperten von der Vertiefung der Krise bestätigt. Es war der zweite Beschäftigungsrückgang in Folge und der dritte im Privatsektor. Wie eine Art schlechter Witz auf Kosten der Arbeitslosen mutet an, dass die Quote der Gesamtarbeitslosigkeit von 4,9 auf 4,8% zurückging. Wie war dies möglich? Es geschah aufgrund eines statistischen Tricks, den die Bourgeoisie benützte, um die Zahl der Arbeitslosen zu tief zu veranschlagen. Für die amerikanische Regierung bist du nur dann ein Arbeitsloser, wenn du keine Arbeit hast und während dem vergangenen Monat aktiv einen Arbeitsplatz gesucht hast und bereit bist, im Zeitpunkt der Umfrage zu arbeiten. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen unterschätzen denn auch erheblich die Beschäftigungskrise. Sie ignorieren die Millionen amerikanischer Arbeiter, die „entmutigt" sind, nachdem sie ihre Arbeit verloren und die Hoffnung aufgegeben haben, eine neue zu finden; die folglich in den letzten 30 Tagen vor der Umfrage keine neue Stelle gesucht haben; oder die zwar arbeiten wollen, aber zu entmutigt sind, es zu versuchen, da die Anstellung zu erdrückend ist; oder die schlicht nicht für die Hälfte des früheren Lohnes arbeiten wollen; oder (auch dies Millionen) die ganztags arbeiten wollen, aber nur Teilzeitarbeitsstellen finden. Wenn man all diese Arbeiter in die Arbeitslosenstatistiken aufnehmen würde, wäre die Quote deutlich höher. Um die Arbeitslosenziffern noch weiter nach unten zu frisieren, wird seit dem geschickten Trick der Statistiker Ronald Reagans das Militärpersonal in den Vereinigten Staaten zur Arbeitskraft des Landes gerechnet (zuvor ist die Arbeitslosigkeit nur ins Verhältnis zur zivilen Arbeitskraft gestellt worden). Diese Manipulation lässt die Zahl der „Beschäftigten" um etwa zwei Millionen ansteigen.
Der derzeitige Zustand der amerikanischen Wirtschaft lässt Katastrophales für die Ökonomie auf Weltebene befürchten. Die wichtigste Volkswirtschaft der Welt wird auch ihre Mitstreiter hinunter ziehen. Es gibt keine wirtschaftliche Lokomotive, die den Taucher der USA wettmachen und die Weltwirtschaft auf Kurs halten könnte. Der Rückgang des Kredits wird den Welthandel untergraben, der Zusammenbruch des Dollars wird die Importe der USA einschränken, was wiederum die wirtschaftliche Lage der anderen Länder verschlimmern wird. Die Angriffe auf die Lebensbedingungen des Proletariats werden überall brutaler. Wenn es in diesem düsteren Panorama einen Lichtblick gibt, so ist es die durch diese Lage vorangetriebene Rückkehr des Proletariats auf den Boden des Klassenkampfs gegen den Kapitalismus; die Arbeiterklasse wird gezwungen, sich gegen die verheerenden Auswirkungen der kapitalistischen Krise zu Wehr zu setzen.
Die Perspektive der Beschleunigung und Vertiefung der Krise des Kapitalismus geht einher mit der Aussicht auf eine Entwicklung des Klassenkampfs, der seinerseits über die Schritte, die das Proletariat seit der historischen Wiederaufnahme der Klassenkämpfe Ende der 1960er Jahre getan hat, hinausgehen muss.
ES/JG, 14. März 2008
[i] Siehe dazu unseren Artikel in der Internationalen Revue Nr. 40 „Finanzkrise: Von der Liquiditätskrise zur Liquidierung des Kapitalismus!"
[ii] Ein schlecht platzierter Optimismus scheint das Markenzeichen amerikanischer Präsidenten zu sein. Auch Richard Nixon erklärte 1969, zwei Jahre bevor die Krise die USA zwang die Bindung an den Dollar und das gesamte System von Bretton Woods aufzulösen, folgendes: „Wir haben endlich gelernt eine moderne Wirtschaft zu entwickeln die ein kontinuierliches Wachstum erlaubt". Einer seiner Vorgänger, Calvin Coolidge, hatte vor dem amerikanischen Kongress am 4. Dezember 1928 (also kurz vor der Krise von 1929) erklärt: „Kein je versammelter US-Kongress der den Stand der Nation betrachtetet konnte je eine komfortablere Situation wie die heutige feststellen...(Das Land) kann die Gegenwart mit Befriedigung betrachten und der Zukunft mit Optimismus entgegensehen."
[iii] Dieser Artikel ist unmittelbar vor der Ankündigung geschrieben worden, dass Bear Stearns - die fünftgrößte Handelsbank der USA - an JP Morgan Chase zu 2 Dollar pro Aktie verkauft wird, was bedeutet, dass die Bank 98% ihres einstigen Wertes verloren hat.
[iv] Verbriefung bedeutet die Verwandlung von Forderungen (zukünftigen Zahlungen) oder Eigentumsrechten in handelbare Wertpapiere.
[v] Im englischen Sprachraum wird mit „Ponzi Scheme" (Ponzi-Trick) ein Schneeballsystem bezeichnet. Charles Ponzi war ein Immobilienbetrüger in Kalifornien. Ein Schneeballsystem ist ein Geschäftsmodell, bei dem ständig mehr Leute mitmachen müssen, damit es funktioniert. Gewinne für die Teilnehmer entstehen dadurch, dass neue Teilnehmer einsteigen und Geld investieren.