Resolution zur internationalen Lage (2019): imperialistische Spannungen, Leben der Bourgeoisie, Wirtschaftskrise

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1) Vor dreißig Jahren betonte die IKS die Tatsache, dass das kapitalistische System in die letzte Phase seiner Dekadenzzeit, die seines Zerfalls eingetreten war. Diese Analyse basierte auf einer Reihe von empirischen Fakten, bot aber gleichzeitig einen Rahmen für das Verständnis dieser Fakten: „Doch die Geschichte bleibt in solch einer Situation, in der die beiden fundamentalen - und antagonistischen - Klassen der Gesellschaft aufeinanderprallen, ohne ihre eigene Antwort durchsetzen zu können, nicht stehen. Noch weniger als in den anderen vorhergehenden Produktionsweisen ist im Kapitalismus eine Stagnation, ein ‘Einfrieren’ des gesellschaftlichen Lebens möglich. Während die Widersprüche des krisengeschüttelten Kapitalismus sich noch weiter zuspitzen, führen die Unfähigkeit der Bourgeoisie, der gesamten Gesellschaft  irgendeine Perspektive anzubieten, und die Unfähigkeit des Proletariats, die seinige offen zu behaupten, zum Phänomen des allgemeinen Zerfalls, zur Fäulnis der Gesellschaft bei lebendigem Leib.“ (Der Zerfall: die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus, Mai 1990, auch Thesen über den Zerfall genannt, Punkt 4, Internationale Revue Nr. 13)

Unsere Analyse hat die beiden Bedeutungen des Begriffs „Zerfall“ sorgfältig geklärt; einerseits gilt er für ein Phänomen, das die Gesellschaft betrifft, insbesondere in der Zeit der Dekadenz des Kapitalismus, und andererseits bezeichnet er eine bestimmte historische Phase dieser Phase, ihre Endphase: „.... so ist es auch unverzichtbar, den grundlegenden Unterschied zwischen den Zerfallselementen, die den Kapitalismus seit Anfang des Jahrhunderts erfaßt haben, und dem allgemeinen Zerfall herauszustellen, in den dieses System gegenwärtig versinkt und der sich noch verschlimmern wird. Neben dem streng quantitativen Aspekt erreicht das Phänomen des gesellschaftlichen Zerfalls heute solch ein Ausmaß und solch eine Tiefe, daß eine neue und einzigartige Qualität erlangt wird, die den Eintritt des Kapitalismus in eine besondere Phase, in die ultimative Phase seiner Geschichte manifestiert, eine Phase, in welcher der Zerfall ein, wenn nicht gar der entscheidende Entwicklungsfaktor der Gesellschaft sein wird.“ (a.a.O., Punkt 2)

Vor allem dieser letzte Punkt, die Tatsache, dass der Zerfall tendenziell zum entscheidenden Faktor für die Entwicklung der Gesellschaft und damit aller Komponenten der Weltsituation wird – eine Idee, die von den anderen Gruppen der Kommunistischen Linken keineswegs geteilt wird –, bildet  den Schwerpunkt dieser Resolution.

2) Die Thesen über den Zerfall vom Mai 1990 heben eine ganze Reihe von Merkmalen in der Entwicklung der Gesellschaft hervor, die sich aus dem Eintritt des Kapitalismus in diese letzte Phase seiner Existenz ergeben. Der vom 22. Kongress angenommene Bericht stellte fest, dass sich all diese Merkmale verschlechtern, wie z.B.:

  • die Ausbreitung von Hungersnöten in den Ländern der ‚Dritten Welt‘ (...);
  • die Verwandlung der ‚Dritten Welt‘ in einen riesigen Slum, in dem Hunderte von Millionen Menschen wie Ratten in der Kanalisation überleben;
  • die Entwicklung des gleichen Phänomens im Herzen der Großstädte in den ‚fortgeschrittenen‘ Ländern (...);
  • die jüngste Zunahme von ‚zufälligen‘ Katastrophen (...), die immer verheerenderen Auswirkungen von ‚Naturkatastrophen‘ auf menschlicher, sozialer und wirtschaftlicher Ebene (...);
  • die Zerstörung der Umwelt, die verheerende Ausmaße erreicht“ (Thesen über den Zerfall, Punkt 7).

Der gleiche Bericht des 22. Kongresses des IKS betonte auch die Bestätigung und Verschärfung der politischen und ideologischen Erscheinungsformen des Zerfalls, die wir 1990 festgestellt hatten:

„- die unglaubliche Korruption, die im politischen Apparat wächst und gedeiht, (...);

  • die Entwicklung des Terrorismus, der Geiselnahmen als Mittel der kriegerischen Auseinandersetzung  zwischen Staaten unter Verletzung von ‘Gesetzen’, die der Kapitalismus einst verabschiedet hatte, um die Konflikte zwischen Fraktionen der herrschenden Klasse zu ‘reglementieren’;
  • der ununterbrochene Anstieg der Kriminalität, der Unsicherheit, der Gewalt in den Städten (...);
  • die Ausbreitung des Nihilismus, der Selbstmorde unter Jugendlichen, der Hoffnungslosigkeit (wie er durch das ‘No Future’ der Riots in den westlichen Großstädten zum Ausdruck kommt), des Hasses und der Fremdenfeindlichkeit (...);
  • die Flutwelle der Drogen, die heute zu einem Massenphänomen werden und stark zur Korruption im Staat und den Finanzorganismen beitragen (...);
  • die Fülle an Sekten, das Wiederaufleben religiöser Geisteshaltungen auch in fortgeschrittenen Ländern, die Ablehnung eines vernunftgesteuerten, zusammenhängenden, konstruktiven Denkens (...);
  • das Überhandnehmen von Gewalt- und Horrorszenen, von Blut und Massakern in eben dieser Medien (...);
  • die Belanglosigkeit, die Käuflichkeit all der ‘künstlerischen’ Produktionen, der Literatur, der Musik, der Malerei, der Architektur (...);
  • das ‘Jeder-für-sich’, die Atomisierung des Einzelnen, die Zerstörung der Familienbeziehungen, die Ausgrenzung der alten Menschen, die Zerstörung der Gefühle (...)“ (Thesen zum Zerfall, Punkt 8).

Der Bericht des 22. Kongresses konzentrierte sich insbesondere auf die Entwicklung eines Phänomens, das bereits 1990 festgestellt wurde (und das eine wichtige Rolle im Bewusstsein der IKS über den Eintritt des dekadenten Kapitalismus in die Zerfallsphase gespielt hatte): die Benutzung des Terrorismus in imperialistischen Konflikten. Der Bericht stellte fest, dass: „Die quantitative und qualitative Zunahme des Stellenwerts des Terrorismus hat mit dem Angriff auf die Zwillingstürme (...) einen entscheidenden Schritt getan (...). Dies wurde anschließend mit den Anschlägen in Madrid 2004 und London 2005 (....), der Gründung von Daesh 2013-14 (...), den Angriffen in Frankreich 2015-16, Belgien und Deutschland 2016 bestätigt“. Der Bericht stellte auch fest, dass im Zusammenhang mit diesen Angriffen und als charakteristischer Ausdruck des Zerfalls der Gesellschaft die Ausbreitung des radikalen Islamismus, der ursprünglich von der Schiiten inspiriert war (mit der Errichtung des Mullah-Regimes im Iran im Jahr 1979), aber im Wesentlichen das Ergebnis war der sunnitischen Bewegung ab 1996 mit der Ausbreitung  und Festsetzung der Taliban in Kabul und, noch mehr, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Irak durch amerikanische Truppen.

3) Zusätzlich zur Bestätigung der bereits in den Thesen von 1990 festgestellten Tendenzen stellte der vom 22. Kongress angenommene Bericht fest, dass zwei neue Phänomene aufgetreten waren, die sich aus dem anhaltenden Zerfall ergeben hatten und eine wichtige Rolle im politischen Leben vieler Länder spielen sollten:

  • eine dramatische Zunahme der Migrationsströme ab 2012, die bis 2015 andauerte und hauptsächlich aus dem kriegszerstörten Nahen Osten stammte, insbesondere nach dem „Arabischen Frühling“ von 2011;
  • der anhaltende Anstieg des Populismus in den meisten europäischen Ländern und auch in der führenden Macht der Welt mit der Wahl von Donald Trump im November 2016.

Massive Bevölkerungswanderungen sind kein für die Phase des Zerfalls spezifisches Phänomen. Sie erhalten nun jedoch eine Dimension, die sie zu einem singulären Element dieses Zerfalls machen, sowohl in Bezug auf ihre aktuellen Ursachen (insbesondere das Chaos des Krieges, das in den Herkunftsländern herrscht) als auch auf ihre politischen Folgen in den Zielländern. Insbesondere die massive Ankunft von Flüchtlingen in Europa war eine wichtige Grundlage für die populistische Welle, die sich in Europa entfaltete, obwohl diese Welle schon lange vorher zu steigen begann (vor allem in einem Land wie Frankreich mit dem Aufstieg des Front National).

4) Tatsächlich haben populistische Parteien in Europa in den letzten zwanzig Jahren mittlerweile dreimal mehr Stimmen erhalten (ihr Anteil stieg von 7% auf 25%), wobei die Zahl nach der Finanzkrise 2008 und der Flüchtlingskrise 2015 stark gestiegen ist. In etwa zehn Ländern nehmen diese Parteien an der Regierung oder einer Mehrheit im Parlament teil: Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Bulgarien, Österreich, Dänemark, Norwegen, Schweiz und Italien. Auch dort, wo populistische Gruppen nicht an der Regierung beteiligt sind, haben sie einen erheblichen Einfluss auf das politische Leben der Bourgeoisie. Wir zitieren drei Beispiele:

  • In Deutschland war es der wachsende Stimmenanteil der AfD, der Angela Merkel erheblich schwächte und sie zwang, die Führung ihrer Partei aufzugeben;
  • In Frankreich hat es der „Mann des Schicksals“, Macron, Apostel einer „Neuen Welt“, obwohl er bei den Wahlen 2017 einen großen Sieg über Marine Le Pen erringen konnte, keineswegs geschafft, den Einfluss ihrer Partei zurückzubinden, die seiner eigenen Partei gemäß den Umfragen immer hart auf den Fersen folgt, der République en Marche, die behauptet, „sowohl rechts als auch links“ zu sein, mit politischem Personal von beiden Seiten (zum Beispiel einem Premierminister von rechts und einem Innenminister der Sozialistischen Partei);
  • in Großbritannien sehen wir bei der vormals traditionell geschicktesten Bourgeoisie der Welt seit mehr als einem Jahr das Spektakel tiefer Ratlosigkeit, das sich aus ihrer Unfähigkeit ergibt, den von den populistischen Strömungen auferlegten „Brexit“ zu bewältigen.

Ob die populistischen Strömungen in der Regierung sind oder einfach nur das klassische politische Spiel stören, sie entsprechen weder einer rationalen Option für die Verwaltung des nationalen Kapitals noch einer bewussten Karte der maßgebenden Teile der bürgerlichen Klasse, die, insbesondere durch ihre Medien, diese Strömungen ständig anprangern. Was der Aufstieg des Populismus tatsächlich ausdrückt, ist die Verschlimmerung eines Phänomens, das bereits in den Thesen von 1990 angekündigt wurde: „Unter den Hauptkennzeichen des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft muß man die zunehmenden Schwierigkeiten der Bourgeoisie hervorheben, die Entwicklung der Lage auf politischer Ebene zu kontrollieren.“ (Punkt 9) Ein Phänomen, das im Bericht des 22. Kongresses deutlich erwähnt wird: „Was in der gegenwärtigen Situation betont werden muss, ist die volle Bestätigung dieses Aspekts, den wir vor 25 Jahren identifiziert haben: der Trend zu einem wachsenden Kontrollverlust der herrschenden Klasse über ihren politischen Apparat.“

Der Aufstieg des Populismus ist unter den gegenwärtigen Umständen Ausdruck des zunehmenden Kontrollverlustes der Bourgeoisie über das Funktionieren der Gesellschaft, der sich im Wesentlichen daraus ergibt, was im Kern ihres Zerfalls liegt, der Unfähigkeit der beiden grundlegenden Klassen der Gesellschaft, eine Antwort auf die unlösbare Krise zu geben, in die die kapitalistische Wirtschaft versinkt. Mit anderen Worten, der Zerfall ist im Wesentlichen das Ergebnis der Ohnmacht der herrschenden Klasse, einer Ohnmacht, die in ihrer Unfähigkeit verwurzelt ist, diese Krise in der kapitalistischen Produktionsweise zu überwinden, und die zunehmend dazu neigt, ihren politischen Apparat zu beeinflussen.

Zu den aktuellen Ursachen der populistischen Welle gehören die Hauptmanifestationen des sozialen Zerfalls: der Anstieg von Verzweiflung, Nihilismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, verbunden mit einer wachsenden Ablehnung der „Eliten“ (die „Reichen“, Politiker, Technokraten) und in einer Situation, in der die Arbeiterklasse nicht in der Lage ist, selbst auf embryonale Weise eine Alternative anzubieten. Es ist natürlich möglich, dass der Populismus in Zukunft seinen Einfluss verliert, entweder weil er selbst seine eigene Machtlosigkeit und Korruption bewiest oder weil ein Wiedererstarken der Arbeiterkämpfe ihm den Boden unter den Füßen wegzieht. Andererseits kann sie in keiner Weise die historische Tendenz der Gesellschaft, im Zerfall zu versinken, oder die verschiedenen Erscheinungsformen davon in Frage stellen, einschließlich des zunehmenden Kontrollverlustes der Bourgeoisie über ihr politisches Spiel. Und das hat nicht nur Auswirkungen auf die Innenpolitik jedes Staates, sondern auch auf alle Beziehungen zwischen Staaten und die imperialistischen Konfigurationen.

Der historische Kurs – ein Paradigmenwechsel

5) 1989-90 analysierten wir angesichts des Auseinanderbrechens des Ostblocks dieses in der Geschichte beispiellose Phänomen des Zusammenbruchs eines ganzen imperialistischen Blocks ohne einen generalisierten Konflikt als erste große Verdeutlichung der Phase des Zerfalls. Gleichzeitig untersuchten wir die neue Weltkonstellation, die sich aus diesem historischen Ereignis ergab:

„Das Verschwinden des russischen imperialistischen Gendarmen und damit auch der Gendarmenrolle des amerikanischen Imperialismus gegenüber seinen wichtigsten ‚Partnern‘ von einst öffnet Tür und Tor für eine ganzen Reihe von lokalen Rivalitäten. Diese Rivalitäten und Zusammenstöße können gegenwärtig nicht in einen Weltkrieg ausarten (selbst wenn das Proletariat nicht in der Lage wäre, sich dagegen zur Wehr zu setzen). (...) Bislang hat im Zeitalter der Dekadenz solch eine Situation der ‚Verzettelung‘ der imperialistischen Antagonismen in Abwesenheit von Blöcken (oder von Schlüsselregionen), die die Welt unter sich aufgeteilt haben, nie lange angedauert. Das Verschwinden der imperialistischen Konstellation, die aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen war, trug die Tendenz zur Bildung zweier neuer Blöcke in sich. Heute steht dies jedoch noch nicht auf der Tagesordnung“, denn „die Tendenz zur Aufteilung der Welt zwischen zwei neuen Blöcken (wird) durch das sich immer mehr zuspitzende und ausdehnende Phänomen des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft konterkariert oder gar irreparabel geschädigt, wie wir bereits hervorgehoben haben. (...)

Vor einem solchen Hintergrund, dem Kontrollverlust der Weltbourgeoisie über die Lage, läßt sich nicht beurteilen, ob die dominanten Teile unter ihr heute in der Lage sind, die notwendige Organisierung und Disziplinierung für die Neubildung von militärischen Blöcken umzusetzen.“ (Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks – Destabilisierung und Chaos, Internationale Revue Nr. 12)

So stellte 1989 einen grundsätzlichen Wechsel in der allgemeinen Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft dar:

  • Vor diesem Zeitpunkt war das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen das bestimmende Element dieser Dynamik: Von diesem Kräfteverhältnis hing das Ergebnis der Verschärfung der Widersprüche des Kapitalismus ab: entweder die Entfesselung des Weltkriegs oder die Entwicklung von Klassenkämpfen mit dem Sturz des Kapitalismus als Perspektive.
  • Nach diesem Datum wird diese Dynamik nicht mehr durch das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen bestimmt. Unabhängig vom Kräfteverhältnis steht der Weltkrieg nicht mehr auf der Tagesordnung, und trotzdem wird der Kapitalismus weiter im Zerfall versinken.

6) In dem Paradigma, das den größten Teil des 20. Jahrhunderts beherrschte, definierte der Begriff des „Historischen Kurses“ das Ergebnis einer historischen Entwicklung: entweder Weltkrieg oder Klassenkämpfe, und sobald das Proletariat eine entscheidende Niederlage erlitten hatte (wie am Vorabend von 1914 oder nach der revolutionären Welle von 1917-23), wurde der Weltkrieg unvermeidlich. Im Paradigma, das die gegenwärtige Situation definiert (solange sich nicht zwei neue imperialistische Blöcke herausbilden, was möglicherweise nie mehr geschehen wird), ist es möglich, dass das Proletariat eine so tiefe Niederlage erleidet, die endgültig ein Wiedererstarken verhindert, aber es ist durchaus auch möglich, dass das Proletariat eine tiefe Niederlage erleidet, ohne dass dies eine entscheidende Konsequenz für die allgemeine Entwicklung der Gesellschaft hat. Deshalb ist der Begriff des „Historischen Kurses“ nicht mehr geeignet, die Situation der gegenwärtigen Welt und das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat zu definieren.

In gewisser Weise ähnelt die aktuelle historische Lage der des 19. Jahrhunderts. Denn zu jener Zeit:

- bedeutete eine Zunahme der Arbeiterkämpfe nicht die Aussicht auf eine Revolution – in einer Epoche, in der die proletarische Revolution noch nicht auf der Tagesordnung stand; ebenso wenig konnte sie verhindern, dass ein großer Krieg ausbrach (z.B. der Krieg zwischen Frankreich und Preußen 1870, als die Macht des Proletariats mit der Entwicklung der IAA anstieg);

  • führte eine große Niederlage des Proletariats (wie die Niederschlagung der Pariser Kommune) nicht zu einem neuen Krieg.

Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass der Begriff des „Historischen Kurses“, wie er von der Italienischen Fraktion in den 1930er Jahren und von der IKS zwischen 1968 und 1989 verwendet wurde, durchaus gültig war und den grundlegenden Rahmen für das Verständnis der Weltlage bildete. Die Tatsache, dass unsere Organisation seit 1989 die neuen, noch nie aufgetretenen Tatsachen dieser Situation berücksichtigen musste, kann keineswegs als Infragestellung unseres Analyserahmen bis zum damaligen Zeitpunkt interpretiert werden.

Die imperialistischen Spannungen

7) Bereits 1990, zur gleichen Zeit, als wir das Verschwinden der imperialistischen Blöcke sahen, die den „Kalten Krieg“ beherrscht hatten, betonten wir, dass sich die militärischen Auseinandersetzungen fortsetzen und sogar verschärfen würden:

„Im Zeitalter der Dekadenz des Kapitalismus sind ALLE Staaten imperialistisch und treffen ihre Vorkehrungen, um sich dieser Realität anzupassen: Kriegswirtschaft, Aufrüstung usw. Daher werden die zunehmenden Erschütterungen der Weltwirtschaft die Zwietracht zwischen den verschiedenen Staaten schüren, einschließlich und zunehmend auf der militärischen Ebene. (...) Diese Rivalitäten und Zusammenstöße können gegenwärtig nicht in einen Weltkrieg ausarten (...). Hingegen werden diese Konflikte aufgrund des Wegfalls der vom Block auferzwungenen Disziplin viel häufiger und gewalttätiger werden, insbesondere natürlich in den Regionen, wo das Proletariat am schwächsten ist.“ (Internationale Revue Nr. 12, Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks – Destabilisierung und Chaos).

Keineswegs „impliziert das gegenwärtige Verschwinden der Blöcke eine Verringerung oder gar Infragestellung des beherrschenden Einflusses des Imperialismus auf die Gesellschaft. Der fundamentale Unterschied liegt in der Tatsache, daß, wenn das Ende des Stalinismus der Eliminierung einer besonders absurden Form des Staatskapitalismus gleich kam, das Ende der Blöcke die Tür zu einer noch barbarischeren, absurderen, chaotischeren Form des Imperialismus öffnet.“ (Internationale Revue Nr. 13, Militarismus und Zerfall)

Seitdem hat die globale Situation diese Tendenz zu einem sich verschlimmernden Chaos, wie wir vor einem Jahr beobachtet haben, nur noch bestätigt:

„Die Entwicklung des Zerfalls hat zu einer blutigen und chaotischen Entfesselung von Imperialismus und Militarismus geführt. Die Explosion der Tendenz eines jeden für sich selbst hat zum Aufstieg der imperialistischen Ambitionen der Mächte der zweiten und dritten Ebene sowie zur zunehmenden  Schwächung der dominanten Stellung der USA in der Welt geführt. Die gegenwärtige Situation ist gekennzeichnet durch imperialistische Spannungen und ein immer weniger kontrollierbares Chaos, vor allem aber durch seinen höchst irrationalen und unberechenbaren Charakter, der mit den Auswirkungen des populistischen Drucks verbunden ist, insbesondere mit der Tatsache, dass die stärkste Macht der Welt heute von einem populistischen Präsidenten geführt wird, der mit von seinem Temperament geprägten unberechenbaren Reaktionen regiert.“ (Internationale Revue Nr. 55, Bericht über die imperialistischen Spannungen, Juni 2018).

8) Im Nahen Osten, wo die Schwächung der amerikanischen Führung am deutlichsten zu erkennen ist und wo die amerikanische Unfähigkeit, sich militärisch direkt in Syrien zu engagieren, das Feld für andere Imperialismen offen gelassen hat, bündeln sich diese historischen Tendenzen:

Russland hat sich dank seiner militärischen Stärke im syrischen Konfliktfeld ausbreiten können und sich als eine wichtige Kraft zur Erhaltung seines Marinestützpunktes in Tartus etabliert.

Der Iran ist durch seinen militärischen Sieg zur Rettung seines Verbündeten, des Assad-Regimes, und durch den Bau eines irakisch-syrischen Landkorridors, der den Iran direkt mit dem Mittelmeer und der libanesischen Hisbollah verbindet, der Hauptnutznießer und hat sein Ziel erreicht, in dieser Region die Führung zu übernehmen, insbesondere durch den Einsatz von Truppen außerhalb seines Territoriums.

Die Türkei, besessen von der Angst vor der Einrichtung autonomer kurdischer Zonen, die sie destabilisieren, operiert militärisch in Syrien.

Die militärischen „Siege“ im Irak und in Syrien gegen den Islamischen Staat und der Machterhalt Assads bieten keine Aussicht auf Stabilisierung. Im Irak hat die militärische Niederlage des Islamischen Staates die Ressentiments der ehemaligen sunnitischen Fraktion um Saddam Hussein, der sie hervorgebracht hat, nicht beseitigt: Die erstmalige Machtausübung durch die Schiiten treibt sie nur noch weiter an. In Syrien bedeutet der militärische Sieg des Regimes nicht die Stabilisierung oder Befriedung des gemeinsamen syrischen Raums, der der Intervention verschiedener Imperialismen mit konkurrierenden Interessen ausgesetzt ist.

Russland und der Iran sind tief gespalten über die Zukunft des syrischen Staates und die Anwesenheit ihrer Truppen auf seinem Territorium; weder Israel, das der Stärkung der Hisbollah im Libanon und in Syrien feindlich gegenübersteht, noch Saudi-Arabien, das sich gegen den Aufstieg des Irans mit anderen zusammenschließt, können diesen iranischen Fortschritt tolerieren; während die Türkei die übermäßigen regionalen Ambitionen ihrer beiden Rivalen nicht akzeptieren kann.

Auch die Vereinigten Staaten und der Westen können ihre Ambitionen in diesem strategischen Bereich der Welt nicht aufgeben.

Die zentrifugale Aktion der verschiedenen kleinen und großen Mächte, deren divergierende imperialistische Appetite ständig aufeinander prallen, fördert nur das Fortbestehen der gegenwärtigen Konflikte, wie im Jemen, sowie die Aussicht auf zukünftige Konflikte und die Ausbreitung von Chaos.

9) Während Russland nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1989 dazu verdammt schien, nur eine untergeordnete Machtrolle zu spielen, feiert es ein starkes Comeback auf der imperialistischen Ebene. Als Macht im Niedergang und ohne die wirtschaftliche Fähigkeit, den militärischen Wettbewerb mit anderen Großmächten langfristig aufrechtzuerhalten, hat es durch die Wiederherstellung seiner militärischen Fähigkeiten seit 2008 seine sehr hohe militärische Aggressivität und seine Macht bewiesen, international als Störfaktor aufzutreten:

  • So hat Russland mit der Annexion der Krim im Jahr 2014 die Containment-Politik der USA (mit der Integration seiner ehemaligen Verbündeten des Warschauer Pakts in die NATO) auf dem europäischen Kontinent untergraben, wobei die separatistische Amputation des Donbass jede Möglichkeit zunichte machte, die Ukraine in einen zentralen Teil des antirussischen Dispositivs zu verwandeln.
  • Es hat die Schwierigkeiten Amerikas beim Vorstoß in Richtung Mittelmeer genutzt: Durch seine militärische Intervention in Syrien konnte Russland seine militärische Präsenz der Marine in diesem Land und im östlichen Mittelmeerraum verstärken. Russland ist es vorerst auch gelungen, sich der Türkei, einem NATO-Mitglied, anzunähern, das sich aus dem amerikanischen Machtbereich entfernt.

Die derzeitige Annäherung Russlands an China auf der Grundlage der Ablehnung amerikanischer Allianzen im asiatischen Raum hat nur schwache Aussichten auf eine langfristige Allianz angesichts der unterschiedlichen Interessen der beiden Staaten. Die Instabilität der Beziehungen zwischen den Mächten verleiht dem russischen eurasischen Staat und dem Kontinent jedoch eine neue strategische Bedeutung im Hinblick auf die Rolle bei der Eindämmung Chinas.

10) Die aktuelle Situation ist vor allem durch den schnellen Machtzuwachs Chinas geprägt. Dieses hat die Aussicht (durch massive Investitionen in neue technologische Bereiche, in künstliche Intelligenz usw.), sich bis 2030-50 als führende Wirtschaftsmacht zu etablieren und bis 2050 eine „Weltklasse-Armee zu schaffen, die in der Lage ist, in jedem modernen Krieg den Sieg zu erringen“. Die sichtbarste Ausdrucksform ihrer Ambitionen ist die seit 2013 eingeleitete Errichtung der „Neuen Seidenstraßen“ (Schaffung von Verkehrskorridoren auf See und an Land, Zugang zum europäischen Markt und Schutz ihrer Handelsrouten), die als Mittel zur Stärkung ihrer wirtschaftlichen Präsenz, aber auch als Instrument zur Entwicklung ihrer imperialistischen Macht in der Welt und auf lange Sicht konzipiert sind und die die amerikanische Vorherrschaft unmittelbar bedrohen.

Dieser Aufstieg Chinas führt zu einer allgemeinen Destabilisierung der Beziehungen zwischen den Mächten, die bereits in eine ernsthafte strategische Phase eingetreten sind, in der die dominante Macht, die Vereinigten Staaten, versucht, die chinesischen Macht, die sie bedroht, einzudämmen und deren Aufstieg zu brechen. Die von Obama begonnene amerikanische Reaktion – von Trump wieder aufgegriffen und mit anderen Mitteln verstärkt – stellt einen Wendepunkt in der amerikanischen Politik dar. Die Verteidigung ihrer Interessen als Nationalstaat folgt nun der Politik des „Jeder-für-sich“, die die imperialistischen Beziehungen dominiert: Die Vereinigten Staaten entwickeln sich vom Weltpolizisten zum Hauptfaktor einer Politik des  „Jeder-für-sich“, d.h. einer Politik des Chaos und stellen die seit 1945 unter ihrer Schirmherrschaft entstandene Weltordnung in Frage.

Dieser „strategische Kampf für die neue Weltordnung zwischen den Vereinigten Staaten und China“, der in allen Bereichen gleichzeitig geführt wird, erhöht die Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit weiter, die bereits in der besonders komplexen, instabilen und sich wandelnden Situation des Zerfalls verankert sind: Dieser große Konflikt zwingt alle Staaten, ihre sich entwickelnden imperialistischen Optionen zu überdenken.

11) Die Phasen des Aufstiegs Chinas sind untrennbar mit der Geschichte der imperialistischen Blöcke und ihrem Verschwinden 1989 verbunden: Die Position der Kommunistischen Linken über die „Unmöglichkeit der Entstehung neuer Industrienationen“ in der Zeit der Dekadenz und die Verurteilung von Staaten, „die ihren industriellen Rückstand vor dem Ersten Weltkrieg nicht wettmachen konnten“, dazu, „in totaler Unterentwicklung zu stagnieren oder in eine chronische Abhängigkeit gegenüber den hochindustrialisierten Ländern zu geraten“, galt im Zeitraum von 1914 bis 1989. Es war die Zwangsjacke der Organisation der Welt in zwei gegnerische imperialistische Blöcke (andauernd zwischen 1945 und 1989) zur Vorbereitung auf den Weltkrieg, die jede größere Umwälzung der Hierarchie zwischen den Mächten verhinderte. Chinas Aufstieg begann mit der amerikanischen Hilfe, die seine imperialistische Annäherung an die Vereinigten Staaten im Jahr 1972 belohnte. Er setzte sich nach dem Verschwinden der Blöcke im Jahr 1989 entschlossen fort. China scheint der Hauptnutznießer der „Globalisierung“ zu sein, nachdem es 2001 der WTO beigetreten und zur Werkstatt der Welt geworden war; dorthin wurden immer mehr Produktionsstandorte aus dem Westen verlagert und seitens des Westens immer mehr investiert, so dass es schließlich zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt wurde. Es bedurfte der beispiellosen Umstände der historischen Epoche des Zerfalls, um China den Aufstieg zu ermöglichen; ohne diese Umstände des Zerfalls wäre es nicht dazu gekommen.

Chinas Macht trägt alle Stigmata der Endphase des Kapitalismus: Sie basiert auf der extremen Ausbeutung der proletarischen Arbeitskräfte, auf der ungezügelten Entwicklung der Kriegswirtschaft durch das nationale Programm der „militärisch-zivilen Fusion“ und wird von der katastrophalen Zerstörung der Umwelt begleitet, während der „nationale Zusammenhalt“ auf der polizeilichen Kontrolle der Massen beruht, die der politischen Bildung der Einheitspartei und in Xinjiang und Tibet brutaler physischer Unterdrückung unterworfen sind. Tatsächlich ist China nur eine riesige Metastase des generalisierten militärischen Krebsgeschwürs des gesamten kapitalistischen Systems: Seine Rüstungsproduktion entwickelt sich in rasendem Tempo, sein Verteidigungshaushalt hat sich in 20 Jahren versechsfacht und liegt seit 2010 an zweiter Stelle der Welt.

12) Die Errichtung der „Neuen Seidenstraße“ und Chinas allmählicher, anhaltender und langfristiger Fortschritt (Abschluss von Wirtschaftsabkommen oder zwischenstaatlichen Partnerschaften in der ganzen Welt (mit Italien; mit dem Zugang zum Hafen von Athen im Mittelmeerraum) bis nach Lateinamerika; mit der Errichtung einer Militärbasis in Dschibuti – dem Tor zu seinem wachsenden Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent) betrifft alle Staaten und stört das ganze „bestehende Gleichgewicht“.

In Asien hat China bereits das Gleichgewicht der imperialistischen Kräfte zum Nachteil der Vereinigten Staaten verändert. Es ist jedoch nicht möglich, dass es die durch den Niedergang der amerikanischen Führung hinterlassene „Lücke“ automatisch füllt, weil das Jeder-für-sich im imperialistischen Bereich dominiert und das Misstrauen, das seine Macht hervorruft. Bedeutende imperialistische Spannungen haben sich insbesondere in folgenden Konflikten aufgebaut:

  • Indien, das die Schaffung der Seidenstraße in seiner unmittelbaren Umgebung (Pakistan, Burma, Sri Lanka) als Strategie der Einkreisung und als Angriff auf seine Souveränität anprangert, unternimmt ein großes Programm zur Modernisierung seiner Armee und hat seinen Haushalt seit 2008 fast verdoppelt;
  • und Japan, das den gleichen Wunsch hat, China zu blockieren. Tokio hat damit begonnen, seinen Status nach dem Zweiten Weltkrieg in Frage zu stellen, der seine rechtliche und materielle Fähigkeit zur Anwendung militärischer Gewalt einschränkt, und es unterstützt direkt andere Staaten in der Region, diplomatisch, aber auch militärisch, um China gemeinsam zu konfrontieren.

Die Feindseligkeit dieser beiden Staaten gegenüber China treibt ihre Konvergenz und ihre Annäherung an die Vereinigten Staaten voran. Letztere haben eine Vier-Parteien-Allianz Japan-Vereinigte Staaten-Australien-Indien ins Leben gerufen, die einen Rahmen für die diplomatische, aber auch militärische Annäherung zwischen den verschiedenen Staaten gegen den Aufstieg Chinas bietet.

In dieser Phase des „Aufholens“ gegenüber der US-Macht durch China versucht dieses, seine hegemonialen Ambitionen zu verbergen, um eine direkte Konfrontation mit seinem Rivalen zu vermeiden, die seinen langfristigen Plänen schadet, während die Vereinigten Staaten jetzt die Initiative ergreifen, die chinesischen Bemühungen zu blockieren, und den größten Teil ihrer imperialistischen Aufmerksamkeit auf den indisch-pazifischen Raum richten.

13) Trotz Trumps Populismus, trotz Meinungsverschiedenheiten innerhalb der amerikanischen Bourgeoisie über die Verteidigung ihrer Führung und trotz Spaltungen, insbesondere in Bezug auf Russland, verfolgt die Trump-Administration eine imperialistische Politik in Kontinuität und Übereinstimmung mit den grundlegenden imperialistischen Interessen des amerikanischen Staates. Die Mehrheit der Sektoren der amerikanischen Bourgeoisie ist sich einig, dass es wichtig ist, den Rang der USA als unbestritten führende Weltmacht zu verteidigen.

Angesichts der chinesischen Herausforderung durchlaufen die Vereinigten Staaten eine große Transformation ihrer imperialistischen Weltstrategie. Diese Verschiebung basiert auf der Beobachtung, dass der Rahmen der „Globalisierung“ die Position der Vereinigten Staaten nicht gesichert, sondern eher geschwächt hat. Die Formalisierung des Prinzips der Verteidigung nur ihrer Interessen als Nationalstaat und die Auferlegung profitabler Machtverhältnisse als Hauptgrundlage für die Beziehungen zu anderen Staaten durch die Trump-Administration bestätigt das Scheitern der Politik der letzten 25 Jahre des Kampfes gegen die Tendenz des „Jeder-für-sich“ als Weltpolizist zur Verteidigung der ab 1945 geltenden Weltordnung und zieht die Konsequenzen daraus.

Diese Trendwende der Vereinigten Staaten spiegelt sich wider in:

- dem Rückzug aus (oder Infragestellung von) internationalen Abkommen und Institutionen, die zu Hindernissen für ihre Vorherrschaft geworden sind oder den gegenwärtigen Bedürfnissen des amerikanischen Imperialismus widersprechen: Rückzug aus dem Pariser Abkommen über den Klimawandel, Reduzierung der Beiträge an die UNO und Rückzug aus der UNESCO, dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, dem Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration;

  • der Bereitschaft zur Anpassung der NATO, des von den Blöcken geerbten militärischen Bündnisses, das in der gegenwärtigen Konfiguration der imperialistischen Spannungen viel von seiner Relevanz verloren hat, indem sie den Verbündeten eine größere finanzielle Verantwortung für ihren Schutz auferlegt und den automatischen Charakter der Entsendung des amerikanischen Schutzschirms revidiert haben;
  • der Tendenz, den Multilateralismus zugunsten bilateraler Abkommen (basierend auf seiner militärischen und wirtschaftlichen Stärke) aufzugeben und die Hebel der wirtschaftlichen Erpressung, des Terrors und der Androhung von roher militärischer Gewalt (wie von Atomschlägen gegen Korea) zu nutzen, um sich durchzusetzen;
  • dem Handelskrieg mit China, vor allem mit dem Ziel, China jede Möglichkeit zu verwehren, wirtschaftliche Bedeutung zu erlangen und strategische Sektoren zu entwickeln, die es ihm ermöglichen würden, die Hegemonie der USA direkt in Frage zu stellen;
  • der Infragestellung multilateraler Rüstungskontrollvereinbarungen (NIF-Vertrag und START), um ihre technologische Führungsrolle zu behaupten und den Rüstungswettlauf wieder in Gang zu bringen, um die amerikanischen Konkurrenten zu erschöpfen (gemäß der bewährten Strategie, die zum Zusammenbruch der UdSSR führte). Die Vereinigten Staaten haben 2018 einen der höchsten Militärhaushalte ihrer Geschichte angenommen; sie erneuern ihre nuklearen Fähigkeiten und erwägen die Schaffung einer sechsten Komponente der US-Armee, um den Weltraum zu beherrschen, um den Bedrohungen Chinas im Satellitenbereich zu begegnen.

Das Vandalen-Verhalten eines Trump, das amerikanische internationale Verpflichtungen über Nacht unter Missachtung etablierter Regeln kündigen kann, stellt einen neuen und starken Faktor der Unsicherheit dar und gibt weitere Impulse zum „Jeder-für-sich“. Es ist ein weiteres Kennzeichen der neuen Phase, in der der Kapitalismus weiter in die Barbarei und den Abgrund des ungezügelten Militarismus versinkt.

14) Der Wandel in der amerikanischen Strategie ist auf einigen den wichtigsten imperialistischen Schauplätzen spürbar:

  • Im Nahen Osten besteht das erklärte Ziel der Vereinigten Staaten gegenüber dem Iran (und der Sanktionen gegen ihn) darin, das Regime zu destabilisieren und zu stürzen, indem sie seine internen Spaltungen ausnutzen. Während die Vereinigten Staaten versuchen, ihren begonnenen militärischen Rückzug aus dem Sumpf von Afghanistan und Syrien fortzusetzen, verlassen sie sich nun einseitig auf ihre Verbündeten in Israel und insbesondere Saudi-Arabien (die bei weitem größte regionale Militärmacht) als Rückgrat ihrer Politik zur Eindämmung des Iran. In diesem Zusammenhang geben sie jedem dieser beiden Staaten und ihren jeweiligen Führern die Garantie einer unerschütterlichen Unterstützung an allen Fronten, um ihr Bündnis zu straffen (Bereitstellung modernster militärischer Ausrüstung, Unterstützung von Trump im Skandal um die Ermordung des saudischen Oppositionellen Khashoggi, Anerkennung von Ost-Jerusalem als Hauptstadt Israels und der israelischen Souveränität auf den syrischen Golanhöhen). Die Priorität der Eindämmung des Iran geht einher mit der Aussicht, die Osloer Abkommen mit ihrer „Zwei-Staaten-Lösung“ (Israel und Palästina) für die Palästina-Frage aufzugeben. Die Einstellung der US-Hilfe für die Palästinenser und die PLO und der Gegenvorschlag eines ‚großen Deals‘ (die Aufgabe jedes Anspruchs auf die Schaffung eines palästinensischen Staates als Gegenleistung für eine ‚riesige‘ US-Wirtschaftshilfe) zielen darauf ab, den palästinensischen Streitpunkt zu lösen, der von allen regionalen Imperialisten gegen die Vereinigten Staaten instrumentalisiert wurde, um die tatsächliche Annäherung zwischen ihren arabischen und israelischen Verbündeten zu erleichtern.
  • In Lateinamerika führen die Vereinigten Staaten eine Gegenoffensive durch, um eine bessere imperialistische Kontrolle in ihrem traditionellen Einflussbereich zu gewährleisten. Der Aufstieg von Bolsonaro zur Regierungsmacht in Brasilien ist als solcher nicht das Ergebnis eines einfachen Populismusschubs, sondern das Ergebnis einer gewaltigen Operation des amerikanischen Drucks auf die brasilianische Bourgeoisie, eine Strategie, die vom amerikanischen Staat mit dem Ziel verfolgt wird, Brasilien wieder unter seine imperialistischen Fittiche zu bringen. Als Auftakt zu einem umfassenden Plan zum Sturz der antiamerikanischen Regime der „Troika der Tyrannei“ (Kuba, Venezuela und Nicaragua) haben wir den bisher erfolglosen Versuch gesehen, den chavistischen Clan des Maduro-Regimes in Venezuela zu beseitigen.

Washington fügt jedoch China eindeutig einen Rückschlag zu, das Venezuela zu seinem politischen Verbündeten zur Ausweitung seines Einflusses auserwählt und sich als machtlos gegenüber den USA erwiesen hat, sich ihrem Druck zu widersetzen. Es ist nicht unmöglich, dass diese amerikanische Offensive der imperialistischen Rückeroberung ihres lateinamerikanischen Hinterhofes eine systematischere Offensive gegen China auf anderen Kontinenten einleiten könnte. Vorläufig ebnet sie den Weg zum Einbruch Venezuelas in das Chaos eines festgefahrenen Zusammenstoßes zwischen bürgerlichen Fraktionen sowie zu einer zunehmenden Destabilisierung der gesamten südamerikanischen Zone.

15) Die gegenwärtige allgemeine Verstärkung der imperialistischen Spannungen spiegelt sich in der Wiederbelebung des Wettrüstens und des Kampfes um die militärische technologische Vorherrschaft nicht nur dort wider, wo die Spannungen am deutlichsten sind (in Asien und im Nahen Osten), sondern für alle Staaten, alle führenden Großmächte. Alles deutet darauf hin, dass eine neue Phase der interimperialistischen Auseinandersetzungen und der tieferen Versenkung des Systems in die Kriegsbarbarei bevorsteht.

In diesem Kontext wird die EU (Europäische Union) in Bezug auf die internationale imperialistische Situation weiterhin der Tendenz zur Fragmentierung begegnen, wie sie im Bericht über die imperialistischen Spannungen vom Juni 2018 (International Review Nr. 161, engl./frz./span. Ausgabe; auf Deutsch auf der Webseite unter Bericht über die imperialistischen Spannungen) analysiert ist.

Die Wirtschaftskrise

16) Auf wirtschaftlicher Ebene ist die Situation des Kapitalismus seit Anfang 2018 durch eine starke Verlangsamung des weltweiten Wachstums gekennzeichnet (von 4% im Jahr 2017 auf 3,3% im Jahr 2019), aufgrund derer die Bourgeoisie eine weitere Verschlechterung in den Jahren 2019-20 erwartet. Diese Verlangsamung erwies sich 2018 als stärker wie erwartet, und der IWF musste seine Prognosen für die nächsten zwei Jahre zurückschrauben, und sie betrifft praktisch alle Teile des Kapitalismus gleichzeitig: China, die Vereinigten Staaten und die Eurozone. Im Jahr 2019 haben sich 70% der Weltwirtschaft verlangsamt, insbesondere in den „fortgeschrittenen“ Ländern (Deutschland, Vereinigtes Königreich). Einige der Schwellenländer befinden sich bereits in der Rezession (Brasilien, Argentinien, Türkei), während China, das sich seit 2017 verlangsamt und 2019 voraussichtlich noch um 6,2% wachsen wird, die niedrigsten Wachstumsraten seit 30 Jahren verzeichnet.

Der Wert der meisten Währungen in den Schwellenländern hat sich teilweise deutlich abgeschwächt, wie in Argentinien und der Türkei.

Ende 2018 verzeichnete der Welthandel ein Nullwachstum, während die Wall Street 2018 die größten „Korrekturen“ an den Aktienmärkten der letzten 10 Jahre erlebte. Die meisten Indikatoren blinken und legen die Aussicht auf einen neuen Tiefpunkt in der kapitalistischen Wirtschaft frei.

17) Die Kapitalistenklasse hat keine Zukunft anzubieten, ihr System wurde von der Geschichte verurteilt. Seit der Krise von 1929, der ersten großen Krise im Zeitalter der Dekadenz des Kapitalismus, hat die Bourgeoisie nicht aufgehört, die Intervention des Staates zur Ausübung der allgemeinen Kontrolle über die Wirtschaft zu vergrößern. Zunehmend mit einer Verengung der außerkapitalistischen Märkte konfrontiert, die mehr und mehr von einer allgemeinen Überproduktion bedroht sind, hat sich „der Kapitalismus (...) durch die bewusste Intervention der Bourgeoisie am Leben (erhalten), die es sich nicht länger leisten kann, der unsichtbaren Hand des Marktes zu trauen. Doch die Lösungen werden auch zu Problemen:

  • Die zunehmende Verschuldung produziert einen Berg von Problemen für die Zukunft;
  • das Aufblähen des Staates und des Rüstungssektors erzeugt einen enormen inflationären Druck.

Seit den 70er Jahren haben diese Probleme zu verschiedenen Wirtschaftsstrategien geführt, die abwechslungsweise auf den „Keynesianismus“ und den „Neo-Liberalismus“ setzten, doch keine kann die bestehenden Probleme in den Griff bekommen, geschweige denn eine endgültige Lösung herbeiführen. Bemerkenswert ist jedoch die Entschlossenheit der Bourgeoisie, ihre Wirtschaft um jeden Preis am Leben zu erhalten und ihre Fähigkeit, die Tendenz zum Zusammenbruch durch eine gigantische Verschuldung zu bremsen.“ (Resolution zur internationalen Lage, 16. Kongress der IKS, 2005)

Der auf der Ebene jedes nationalen Kapitals errichtete Staatskapitalismus, der aus den Widersprüchen der Dekadenz und der historischen Sackgasse des kapitalistischen Systems hervorgeht, gehorcht jedoch nicht einem strengen wirtschaftlichen Determinismus; im Gegenteil, sein Handeln, das im Wesentlichen politischer Natur ist, integriert und kombiniert gleichzeitig die wirtschaftliche Dimension, die soziale (wie man seinen Klassenfeind entsprechend dem Kräfteverhältnis zwischen den Klassen bekämpft) und die imperialistische Dimension (die Notwendigkeit, einen riesigen Rüstungssektor im Zentrum jeder wirtschaftlichen Aktivität zu halten). So hat der Staatskapitalismus in der Geschichte der Dekadenz verschiedene Phasen und Organisationsmodalitäten erlebt.

18) In den 1980er Jahren wurde unter dem Einfluss der großen Wirtschaftsmächte eine solche neue Phase eingeleitet: die der „Globalisierung“. In einem ersten Schritt erfolgte sie zunächst in Form der Reaganomics, schnell gefolgt von einer zweiten, die die beispiellose historische Situation des Zusammenbruchs des Ostblocks nutzte, um eine umfassende Reorganisation der kapitalistischen Produktion auf globaler Ebene zwischen 1990 und 2008 zu erweitern und zu vertiefen.

Die Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit zwischen den Staaten, insbesondere unter Nutzung der alten Strukturen des Westblocks, und die Aufrechterhaltung einer gewissen Ordnung im Handel waren Mittel zur Bewältigung der sich verschärfenden Krise (die Rezessionen von 1987 und 1991-93), aber auch der ersten Auswirkungen der Zerfalls, die im wirtschaftlichen Bereich damit weitgehend abgeschwächt werden konnten.

Nach dem Beispiel der EU bei der Beseitigung von Zollschranken zwischen den Mitgliedstaaten wurde die Integration vieler Zweige der Weltproduktion durch die Entwicklung echter Produktionsketten auf globaler Ebene verstärkt. Durch die Kombination von Logistik, Informationstechnologie und Telekommunikation, werden Größenvorteile erzielt; durch die verstärkte Nutzung der Arbeitskraft des Proletariats (durch erhöhte Produktivität, internationalen Wettbewerb, Freizügigkeit der Arbeitskräfte, um niedrigere Löhne durchzusetzen), die Unterordnung der Produktion unter die finanzielle Logik der maximalen Rentabilität hat der Welthandel, wenn auch in geringerem Maße, weiter zugenommen, die Weltwirtschaft stimuliert und einen „zweiten Atemstoß“ erzeugt, der die Existenz des kapitalistischen Systems verlängert hat.

19) Der Krach von 2007/09 bedeutete einen weiteren Schritt beim Versinken des kapitalistischen Systems in seine unumkehrbare Krise: Nach vier Jahrzehnten des Rückgriffs auf Kredite und Schulden, um dem wachsenden Hang zur Überproduktion entgegenzuwirken, unterbrochen von immer tieferen Rezessionen und immer begrenzteren Erholungen, war die Rezession 2009 die bedeutendste seit der Weltwirtschaftskrise. Es war das massive Eingreifen der Staaten und ihrer Zentralbanken, welches das Bankensystem vor dem völligen Bankrott bewahrte und eine riesige Staatsverschuldung schuf, indem die Zentralbanken Staatsanleihen zurückkauften, die nicht mehr zurückgezahlt werden konnten.

Das chinesische Kapital, das auch stark von der Krise betroffen ist, hat eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der Weltwirtschaft gespielt, indem es Pläne zur Wiederbelebung der Wirtschaft in den Jahren 2009, 2015 und 2019 auf der Grundlage massiver Staatsverschuldung umgesetzt hat.

Nicht nur die Ursachen der Krise 2007-2011 sind nicht gelöst oder überwunden, sondern auch die Schwere und die Widersprüche der Krise sind auf ein höheres Niveau gerückt: Es sind nun die Staaten selbst, die mit der erdrückenden Last ihrer Schulden konfrontiert sind (den „Staatsschulden“), die ihre Interventionsfähigkeit zur Wiederbelebung ihrer jeweiligen Volkswirtschaften weiter beeinträchtigen. „Schulden wurden eingesetzt, um die ungenügenden Absatzmärkte zu kompensieren, doch dies führt zu keinem Wachstum, wie die ab 2007 einsetzende Finanzkrise verdeutlicht. Wie auch immer, all die Maßnahmen, die zur erneuten Beschränkung der Schulden ergriffen werden, konfrontieren den Kapitalismus mit seiner Überproduktionskrise, und das in einem internationalen Kontext der permanenten Zuspitzung und Begrenzung des Spielraums für finanzielle Manöver.“ (Resolution zur internationalen Lage, 20. Kongress der IKS, 2013).

20) Die aktuelle Entwicklung der Krise durch die zunehmenden Störungen, die sie in der Organisation der Produktion zu einer riesigen multilateralen Konstruktion auf internationaler Ebene erleidet, die durch gemeinsame Regeln vereinheitlicht sein sollten, zeigt die Grenzen der „Globalisierung“. Das ständig wachsende Bedürfnis nach Einheit (was nie etwas anderes bedeutet hat als die Auferlegung des Gesetzes des Stärkeren auf die Schwächsten) einer aufgrund der „transnationalen“ Verflechtung stark nach Ländern segmentierten Produktion (in Einheiten, die grundsätzlich durch Wettbewerb getrennt sind und in denen jedes Produkt an einem Ort entworfen und mit Hilfe von Elementen, die anderswo hergestellt werden, an einem dritten Ort zusammengebaut wird) stößt sich am nationalen Wesen jedes Kapitals, an die Grenzen des Kapitalismus, der unwiderruflich in sich gegenseitig konkurrierende Nationen aufgeteilt ist. Dies ist der maximale Grad der Einheit, den die bürgerliche Welt nicht aufheben kann. Die sich vertiefende Krise (sowie die Forderungen der imperialistischen Rivalität) stellen multilaterale Institutionen und Mechanismen auf eine harte Probe.

Diese Tatsache wird durch die derzeitige Haltung der beiden Hauptmächte im Wettbewerb um die Weltherrschaft veranschaulicht:

  • China hat seinen wirtschaftlichen Aufstieg sowohl der Nutzung der Hebel des WTO-Multilateralismus als auch der Entwicklung seiner eigenen Politik der Wirtschaftspartnerschaften zu verdanken (z.B. mit dem Projekt der „Neuen Seidenstraße“, das darauf abzielt, der Verlangsamung seines Wachstums entgegenzuwirken) ohne Rücksicht auf ökologische oder „demokratische“ Standards (die typisch sind für die Globalisierungspolitik zur Durchsetzung westlicher Standards und des globalen Wettbewerbs zwischen Begünstigten und Verlierern der Globalisierung). Ideologisch stellt China die westlich-liberale Ordnung, die sich aus seiner Sicht im Niedergang befindet, in Frage und versucht, seit 2012 durch die Schaffung von Institutionen (Shanghai-Organisation, Asiatische Entwicklungsbank...) die Grundlagen für eine alternative, konkurrierende Weltordnung zu schaffen, die die Bourgeoisie als „antifreiheitlich“ bezeichnet.
  • Der amerikanische Staat unter der Trump-Administration (unterstützt von einer Mehrheit der amerikanischen Bourgeoisie) sieht sich als Verlierer der „Globalisierung“ (die er ursprünglich initiiert hatte), da seine Position als Weltmarktführer von seinen Rivalen (hauptsächlich China, aber auch Westmächten wie Deutschland) nach und nach untergraben wurde. Die Politik von „America First“ tendiert dazu, Regulierungsinstitutionen (WTO, G7 und G20) zu umgehen, die je länger je weniger in der Lage sind, die Position Amerikas zu bewahren (was ihre Hauptaufgabe war), und stattdessen bilaterale Abkommen bevorzugen, die ihre Interessen und die für die Geschäftstätigkeit wesentliche Stabilität besser verteidigen.

21) Der Einfluss des Zerfalls ist ein zusätzlicher destabilisierender Faktor. Insbesondere die Entwicklung des Populismus verschärft die sich verschlechternde Wirtschaftslage weiter, indem er einen Faktor der Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit angesichts der Turbulenzen der Krise einführt. Die Machtergreifung populistischer Regierungen mit unrealistischen Programmen für das nationale Kapital, die das Funktionieren der Weltwirtschaft und des Handels schwächen, schafft ein Durcheinander und erhöht die Gefahr einer Schwächung der vom Kapitalismus seit 1945 auferlegten Maßnahmen, die darauf abzielten, einen autarken Rückzug auf den nationalen Rahmen zu vermeiden, der die unkontrollierte Ausbreitung der Wirtschaftskrise fördert. Das Durcheinander des Brexit und der schwierige Austritt aus der EU sind ein weiteres Beispiel: Die Unfähigkeit der britischen Regierungsparteien, über die Bedingungen für die Trennung und die Art der künftigen Beziehungen zur Europäischen Union zu entscheiden, die Unsicherheiten bei der „Wiederherstellung“ der Grenzen, insbesondere zwischen Nordirland und Irland, die ungewisse Zukunft eines proeuropäischen Schottlands, das sich vom Vereinigten Königreich zu trennen droht, beeinträchtigen die englische Wirtschaft (durch die Entwertung des Pfunds) sowie die seiner ehemaligen EU-Partner, die um die langfristige Stabilität gebracht werden, die sie zur Regulierung der Wirtschaft benötigen.

Die Meinungsverschiedenheiten über die Wirtschaftspolitik in Großbritannien, den USA und anderswo zeigen, dass es nicht nur zwischen rivalisierenden Nationen, sondern auch im eigenen Land wachsende Spaltungen gibt – Spaltungen zwischen „Multilateralisten“ und „Unilateralisten“, aber auch innerhalb dieser beiden Ansätze (z.B. zwischen „harten“ und „weichen“ Brexitern im Vereinigten Königreich). Nicht nur gibt es keinen Minimalkonsens mehr über die Wirtschaftspolitik unter den Ländern des ehemaligen Westblocks – diese Frage wird auch innerhalb der nationalen Bourgeoisien selbst immer kontroverser.

22) Die gegenwärtige Anhäufung all dieser Widersprüche im aktuellen Kontext der fortschreitenden Wirtschaftskrise sowie die Fragilität des Währungs- und Finanzsystems und die massive weltweite Verschuldung der Staaten nach 2008 eröffnen eine Zeit schwerer Verwerfungen und stellen das kapitalistische System wieder vor die Aussicht auf einen Abwärtstrend. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Kapitalismus sicherlich nicht alle Mittel endgültig ausgeschöpft hat, die sein Versinken in der Krise verlangsamen und unkontrollierte Situationen, insbesondere in den Kernländern, vermeiden sollen. Die Überschuldung der Staaten, bei denen ein wachsender Teil des Sozialprodukts für den Schuldendienst aufgewendet werden muss, wirkt sich stark auf die nationalen Haushalte aus und verringert ihren Handlungsspielraum angesichts der Krise erheblich. Deshalb ist es gewiss, dass diese Situation:

  • die Politik der Verschuldung als wichtigstes Linderungsmittel gegenüber den Widersprüchen der Überproduktionskrise und als Mittel zum Aufschub der Fristen mit der Aussicht auf immer schwerwiegendere zukünftige Verwerfungen nicht beenden wird;
  • das Wettrüsten, zu dem jeder Staat unwiderruflich verurteilt ist, nicht bremsen wird. Es nimmt mit dem wachsenden Gewicht der Kriegswirtschaft und der Rüstungsproduktion, dem wachsenden Anteil am BIP, der weiterhin auf diese Produktion verwendet wird (und der heute den höchsten Stand seit 1988, zum Zeitpunkt der Konfrontation zwischen imperialistischen Blöcken, erreicht), eine offensichtlich irrationale Form an.

23) Was das Proletariat betrifft, so können diese neuen Verwerfungen nur zu noch schwerwiegenderen Angriffen auf seine Lebens- und Arbeitsbedingungen auf allen Ebenen und insbesondere in der ganzen Welt führen:

  • durch die verstärkte Ausbeutung der Arbeitskraft mittels weiterer Lohnsenkungen und Erhöhung des Rhythmus und der Produktivität in allen Sektoren;
  • durch den weiteren Abbau der Überreste des Sozialstaates (zusätzliche Einschränkungen der verschiedenen Leistungssysteme für Arbeitslose, der Sozialhilfe und der Altersrenten) und ganz allgemein durch den „sanften“ Verzicht auf die Finanzierung aller Formen von Hilfe oder Unterstützung im freiwilligen oder halböffentlichen Sektor;
  • die Verringerung der staatlichen Kosten, die Bildung und Gesundheit bei der Produktion und Erhaltung der Arbeitskraft des Proletariats verursachen (und damit erhebliche Angriffe auf die Proletarier in diesen öffentlichen Bereichen);
  • die Verschärfung und weitere Ausbreitung der Prekarität als Mittel dafür, das Gewicht der Massenarbeitslosigkeit auf alle Teile der Klasse zu verteilen.
  • -Angriffe, die sich hinter Finanzoperationen verbergen, wie z.B. negative Zinssätze, die kleine Sparkonten und Pensionsfonds untergraben. Und obwohl die offiziellen Inflationsraten für Konsumgüter in vielen Ländern niedrig sind, haben Spekulationsblasen zu einer wahren Explosion der Wohnungskosten beigetragen.
  • die Erhöhung der Lebenshaltungskosten, insbesondere der Steuern und der Preise von Gütern des täglichen Bedarfs.

Obwohl die Bourgeoisie in allen Ländern immer mehr gezwungen ist, ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse zu verstärken, ist ihr Handlungsspielraum auf der politischen Ebene keineswegs erschöpft. Wir können sicher sein, dass sie alle Mittel einsetzen wird, um zu verhindern, dass das Proletariat auf seinem eigenen Klassenterrain auf die zunehmende Verschlechterung seiner Lebensbedingungen durch die Verwerfungen in der Weltwirtschaft reagiert.

Mai 2019

Rubric: 

Internationale Revue 56