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1) Ende der 1960er Jahre, mit der Erschöpfung des wirtschaftlichen Aufschwungs der Nachkriegszeit, war die Arbeiterklasse angesichts der sich verschlechternden Lebensbedingungen wieder auf der gesellschaftlichen Bühne aufgetaucht. Die international explodierenden Arbeiterkämpfe beendeten die längste Zeit der Konterrevolution in der Geschichte, öffneten einen neuen historischen Kurs in Richtung Klassenkonfrontationen und hinderten die herrschende Klasse daran, ihre eigene Antwort auf die akute Krise des Kapitalismus zu geben: einen dritten Weltkrieg. Dieser neue historische Kurs war durch das Aufkommen massiver Kämpfe gekennzeichnet, insbesondere in den zentralen Ländern Westeuropas mit der Bewegung vom Mai 1968 in Frankreich, gefolgt vom „Heißen Herbst“ in Italien 1969 und vielen anderen Kämpfen wie in Argentinien im Frühjahr 1969 und in Polen im Winter 1970-71. In diesen massiven Bewegungen erhoben große Teile der neuen Generation, die keinen Krieg erlebt hatten, erneut die Perspektive des Kommunismus zur realen Möglichkeit.
Im Zusammenhang mit dieser allgemeinen Bewegung der Arbeiterklasse in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren müssen wir auch die internationale Wiederbelebung der organisierten Kommunistischen Linken in einem sehr kleinen, aber nicht minder bedeutenden Ausmaß hervorheben, der Tradition, die der Flagge der proletarischen Weltrevolution in der langen Nacht der Konterrevolution treu geblieben war. In diesem Prozess stellte die Gründung der IKS einen wichtigen Impuls für die Kommunistische Linke als Ganzes dar.
Angesichts einer Dynamik, die zu einer Politisierung der Arbeiterkämpfe führte, entwickelte die Bourgeoisie (die von der Bewegung vom Mai 1968 überrascht worden war) sofort eine groß angelegte und langfristige Gegenoffensive, um zu verhindern, dass die Arbeiterklasse ihre eigene Antwort auf die historische Krise der kapitalistischen Wirtschaft gibt: die proletarische Revolution.
2) Aufgrund des Bruchs in der politischen Kontinuität mit der Arbeiterbewegung der Vergangenheit manifestierte sich die Tendenz zur Politisierung der 1960er Jahre in der Entstehung dessen, was Lenin einen „politischen Sumpf“ nannte: ein Milieu von verwirrten Gruppen und Elementen und gleichzeitig eine Übergangszone, die zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat liegt. Im Moment seiner größten Ausdehnung umfasste dieser Bereich der Politisierung vor allem junge und unerfahrene Menschen, viele von ihnen Student*innen. Bereits in der ersten Hälfte der 1970er Jahre war das Ergebnis einer Kristallisierung innerhalb dieser Zone, dass:
- es der Linken des Kapitals gelang, einen großen Teil dieser jungen Elemente, die am Prozess der Politisierung beteiligt waren, für sich zu gewinnen;
- Frustration und Enttäuschung viele von ihnen, die stark von der Ungeduld und dem „Radikalismus“ des Kleinbürgertums geprägt waren, zu Teilkämpfen führten oder in gewaltsame, von kleinen Minderheiten getragene Aktionen des Terrorismus (Baader-Meinhof-Gruppe in Deutschland, Rote Brigaden in Italien, dann Action Directe in Frankreich);
- die Schichten des Sumpfes, die nach proletarischen Positionen strebten, dazu tendierten, sich in Richtung autonomer und/oder operaistischer (arbeitertümelnder) Politik oder der Verteidigung des Mythos der „Selbstverwaltung“ zu bewegen.
Darüber hinaus haben die „kritische“ Anlehnung der wichtigsten linken Gruppen (Trotzkisten und Maoisten) an die Konterrevolution und ihre organisatorische Praxis und Intervention als kryptostalinistische Sekten, aber auch der sinnlose Aktivismus des autonomen Milieus und der Gewaltkult der terroristischen Mikrogruppen einen großen Teil dieser neuen Generation auf dem Weg zu einer Politisierung zerstört. Dieses destruktive Unterfangen trug dazu bei, die wirkliche revolutionäre Bewegung des Proletariats zu entstellen und zu diskreditieren. Parallel zu dieser äußerst negativen Rolle, die der pseudoradikale Teil des Sumpfes und die Gruppen der extremen Linken spielten, entwickelte die Bourgeoisie eine breit angelegte und langfristige politische Gegenoffensive gegen die historische Wiederbelebung des Klassenkampfes. Diese politische Gegenoffensive der Bourgeoisie bestand zunächst Anfang der 1970 er Jahre darin, die „Alternative“ zu schaffen, die Linke in den wichtigsten westlichen Ländern an die Regierung zu bringen. Das Ziel, die Arbeiterklasse wieder in die Wahlurne zu treiben, indem man die Illusion sät, dass das Programm der linken Parteien es ermöglichen würde, die Lebensbedingungen der ausgebeuteten Massen zu verbessern. Diese erste Welle von Kämpfen, die sich seit Ende der 1960 er Jahre entwickelt hatte, erschöpfte sich daher in diesen „Jahren der Illusionen“.
3) Aber mit der Verschärfung der Wirtschaftskrise in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war eine neue Welle von Arbeiterkämpfen entstanden, an denen auch das Proletariat in einigen osteuropäischen Ländern (insbesondere in Polen im Sommer 1980) beteiligt war.
Angesichts dieser Wiederaufnahme des Klassenkampfes nach einer kurzen Zeit des Rückflusses musste die Bourgeoisie ihre Strategie ändern, die darauf abzielte, jede Politisierung des Proletariats durch ihre wirtschaftlichen Kämpfe zu verhindern. Im Sinne einer vernünftigen Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen bürgerlichen Fraktionen wurde es den rechten Regierungsparteien überlassen, wirtschaftliche Angriffe gegen die Lebensbedingungen des Proletariats zu führen, während die linken Oppositionsparteien (unterstützt von den Gewerkschaften und Linken) die Verantwortung dafür trugen, die Kämpfe der Arbeiter*innen von innen zu sabotieren und sie auf das Terrain der parlamentarischen Mystifikationen zu lenken.
Der Massenstreik in Polen im August 1980 zeigte, dass das Proletariat trotz des bleiernen Gewichts der stalinistischen Regime in der Lage war, seinen Kopf zu heben und spontan seine Kampfmethoden wiederzuerlangen, einschließlich souveräner Vollversammlungen, der Wahl von diesen Versammlungen gegenüber rechenschaftspflichtigen Streikkomitees, der notwendigen geografischen Ausdehnung der Kämpfe und ihrer Vereinigung über korporatistische Spaltungen hinaus.
Dieser gigantische Kampf der Arbeiterklasse in Polen hat gezeigt, dass das Proletariat sich gerade im Kampf der Massen gegen wirtschaftliche Angriffe seiner eigenen Stärke bewusst werden, seine Klassenidentität gegen das Kapital bekräftigen und sein Selbstvertrauen entwickeln kann.
Aber die Niederlage der polnischen Arbeiter*innen mit der Gründung der „freien“ Gewerkschaft Solidarnosc (die von den Gewerkschaften der westlichen Länder unterstützt wurde) zeigte auch das sehr starke Gewicht demokratischer Illusionen in einem Land, in dem das Proletariat keine Erfahrung mit der bürgerlichen Demokratie hatte. Die Niederlage und Unterdrückung polnischer Arbeiter*innen eröffnete Anfang der 1980er Jahre eine neue Zeit des Rückzugs für den internationalen Klassenkampf.
4) Trotz seiner Tiefe war dieser Rückzug jedoch nur von kurzer Dauer. In der ersten Hälfte der 80er Jahre kam es angesichts der sich verschärfenden Wirtschaftskrise, der Explosion der Arbeitslosigkeit und der neuen Angriffe auf die Lebensbedingungen des Proletariats in den zentralen Ländern zu einer dritten Welle von Kämpfen. Trotz der Niederlage des langen Bergarbeiterstreiks in Großbritannien 1985 war diese Kampfwelle durch die Erosion der Linken in der Opposition gekennzeichnet, eine zunehmende Diskreditierung der Gewerkschaften (so geschehen in mehreren Ländern, darunter auch in Skandinavien, mit sporadischen spontanen Streiks, die außerhalb und gegen wiederholte Gewerkschaftsmanöver ausbrachen). Diese dritte Welle von Arbeiterkämpfen ging einher mit einer Zunahme der Stimmenthaltung bei den Wahlen.
Um nicht überrascht zu sein wie im Mai 68 und die ganze Dynamik der Konfrontation mit dem Gewerkschaftswesen an sich zu brechen, entwickelte die Bourgeoisie eine dritte Strategie: die Stärkung ihres Apparats zur Kontrolle der Arbeiterklasse durch den Einsatz von Basisgewerkschaften, angeführt von den Gruppen der extremen Linken des Kapitals. Angesichts des Anstiegs der Kampfbereitschaft, insbesondere im öffentlichen Sektor, stärkte die Bourgeoisie ihre gewerkschaftlichen und gewerkschaftsähnlichen Kräfte. Ziel dieser Politik war es, eine Ausweitung der Kämpfe über Unternehmen oder Sektoren hinaus zu verhindern, die Klassenidentität des Proletariats zu sabotieren, indem man zwischen „Kopf- und Handarbeiter*innen“ spaltete, und jede Tendenz zur Selbstorganisation des Proletariats zu stoppen.
5) Es war die britische Bourgeoisie (die intelligenteste der Welt), mit der Politik der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher, die den Ton für die Strategie der herrschenden Klasse in anderen zentralen Ländern angab, um die Dynamik des Klassenkampfes zu brechen.
Dank der sabotierenden Rolle der Bergarbeitergewerkschaft hatte die herrschende Klasse die Arbeiter*innen in einem langen, anstrengenden Teilstreik gefangen genommen, der völlig getrennt von anderen Produktionsbereichen war. Die vernichtende Niederlage des Bergarbeiterstreiks hat der gesamten Arbeiterklasse in diesem Land einen schweren Schlag versetzt. Dieser Erfolg der herrschenden Klasse in Großbritannien diente als Vorbild für die Bourgeoisie in anderen Ländern, insbesondere in Frankreich, dem Land in Europa, in dem das Proletariat traditionell sehr kämpferisch war. Die französische Bourgeoisie, inspiriert vom Beispiel der Eisernen Lady, die die Dynamik des Klassenkampfes blockierte, machte sich daran, die Arbeiter*innen im Korporatismus einzusperren, indem sie die Tendenz des „Jeder-gegen-jeden“ (eines der ersten Phänomene der Auflösung des Kapitalismus) voll ausnutzte.
Da die traditionell kämpferischsten und erfahrensten Sektoren des französischen Proletariats seit Mai 68 mehrfach mit Gewerkschaftssabotage konfrontiert waren (in den Bereichen Bergbau, Stahl, Verkehr, Automobilindustrie ...), konnte die Bourgeoisie eine solche Strategie nur nutzen, indem sie „Koordinationen“ einrichtete, welche die diskreditierten großen Gewerkschaftsbünden bei ihrer Sabotagearbeit ablösten.
In Italien, wo das Proletariat sehr wichtige und massenhafte Kämpfe geführt hatte (der Heiße Herbst 1969), benutzte die Bourgeoisie auch die gleiche Politik der korporatistischen Eindämmung, indem sie die Koordinationen der Bildungsarbeiter von 1987 wiederbelebte.
In Frankreich explodierte die Kampfbereitschaft trotz der Niederlage des Eisenbahnarbeiterstreiks 1986 (die der sabotierenden Arbeit der „Koordinationen“ bei der SNCF zu verdanken war) zwei Jahre später, 1988, wieder in einem anderen Teil des öffentlichen Sektors, in den Krankenhäusern. Angesichts einer tiefen und allgemeinen Unzufriedenheit gegenüber den Gewerkschaften und der potenziellen Gefahr, dass sich dieser massenhafte Kampf auf den gesamten öffentlichen Sektor ausbreitete, bekräftigte die herrschende Klasse erneut ihre Strategie der sektoriellen Einsperrung und Spaltung der Arbeiterklasse. Die französische Bourgeoisie konnte einen noch unerfahrenen und politisch „rückständiger“ gebliebenen Krankenhaussektor, die Krankenschwestern und -pfleger, nutzen, um jedes Streben nach Vereinigung in den Krankenhäusern zu kontrollieren und jede Möglichkeit einer Ausbreitung der Bewegung auf andere Teile des öffentlichen Sektors zu sabotieren.
Um die Bewegung im Krankenhaussektor zu brechen, bestand das Manöver der Bourgeoisie darin, den Krankenschwestern und -pflegern allein eine Art Bestechung anzubieten (eine Lohnerhöhung von 350 französischer Franken pro Monat, die eine Milliarde Franken verflüssigte, die bereits zu diesem Zweck in Reserve gehalten worden waren), während andere Kategorien in den Krankenhäusern, die sich für die Bewegung mobilisiert hatten, nichts erhielten! Diese Niederlage der Arbeiterklasse angesichts der historischen Tendenz des „Jeder-gegen-jeden“ konnte dem Proletariat nur dank der Drecksarbeit der selbsternannten „Krankenpflege-Koordination“ zugefügt werden, die mit Hilfe der CFDT sofort in Angriff genommen worden war. Diesem halbgewerkschaftlichen Organ gelang es, den Zorn des Pflegepersonals auf den sandigen Grund der Verteidigung eines bestimmten „Status“ zu führen, des „Bac plus 3“, der Grundlage für die Berechnung ihrer Löhne sein sollte, während ihre Bewegung mit dem Kampf gegen den Personalmangel und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen begonnen hatte, von denen alle in den Krankenhäusern, „Kopf- und Handarbeiter*innen“ betroffen waren (siehe unsere Broschüre Bilan des luttes des infirmières: les coordinations, la nouvelle arme de la bourgeoisie). In den anderen Ländern Europas, auch in Deutschland (insbesondere in der Automobilindustrie), bestand dieses Manöver der Bourgeoisie darin, einer Gruppe von Arbeiter*innen desselben Unternehmens Lohnerhöhungen zu gewähren, um die Arbeiter*innen zu spalten, die Konkurrenz zwischen ihnen zu verschärfen, die Klassensolidarität zu schwächen und sie gegeneinander auszuspielen.
Aber noch schlimmer ist, dass die Bourgeoisie und ihre dressierten Gewerkschaften mit dieser Strategie, die Arbeiter*innen zu spalten und das „Jeder-gegen-jeden“ zu fördern, in der Lage waren, die Niederlagen des Proletariats als Siege darzustellen.
Die Revolutionäre dürfen den Machiavellismus der Bourgeoisie bei der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen nicht unterschätzen. Dieser Machiavellismus kann nur mit der Verschärfung der Angriffe auf die ausgebeutete Klasse fortgesetzt werden. Die Stagnation des Klassenkampfes, dann sein Rückzug Ende der 80er Jahre, resultierte aus der Fähigkeit der herrschenden Klasse, bestimmte Erscheinungsformen des Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere die Tendenz des „Jeder-gegen-jeden“, gegen die Arbeiterklasse zu wenden.
6) Seit dem Abebben der ersten Welle von Kämpfen waren es im Wesentlichen demokratische Illusionen (die durch die Gegenoffensive der Bourgeoisie und die gewerkschaftliche Sabotage angetrieben wurden), die das Haupthindernis für die Politisierung der Kämpfe der Arbeiterklasse darstellten.
Wie im Artikel in der Internationalen Revue Nr. 23 Der Kampf des Proletariats im aufsteigenden und im dekadenten Kapitalismus hervorgehoben, ist die Arbeiterklasse mit mehreren Faktoren konfrontiert, die die Politisierung ihrer Kämpfe erschweren:
- Die eigentliche Wesen des Proletariats sowohl als ausgebeutete Klasse, die von allem Eigentum enteignet wurde, wie auch als revolutionäre Klasse hat immer dazu geführt, dass das Klassenbewusstsein nicht von Sieg zu Sieg vorwärtsdrängen, sondern sich nur durch eine Reihe von Niederlagen ungleichmäßig zum Sieg entwickeln kann, wie Rosa Luxemburg argumentierte.
In der Zeit der Dekadenz:
- kann die Arbeiterklasse zur Verteidigung ihrer Interessen keine ständigen Massenorganisationen, politischen Parteien und Gewerkschaften, die ihr gehören würden, mehr unterhalten;
- gibt es kein politisches „Minimal“-Programm mehr wie in der vorherigen Epoche, sondern nur noch ein „Maximal“-Programm. Die bürgerliche Demokratie und ihr nationaler Rahmen sind keine Bühne mehr für das politische Handeln des Proletariats;
- hat der bürgerliche Staat gelernt, die ehemaligen politischen Parteien der Arbeiter*innen, die das Proletariat verraten hatten, intelligent gegen die Politisierung der Klasse einzusetzen.
Darüber hinaus hat in der aktuellen Epoche:
- der bürgerliche Staat gelernt, das Tempo der Wirtschaftskrise zu verlangsamen, und seine Angriffe in Abstimmung mit den Gewerkschaften zu planen, indem er alle möglichen Mittel einsetzte, um eine einheitliche Reaktion der Arbeiterklasse und eine Wiederaneignung der schließlich politischen Ziele seines Kampfes gegen den Kapitalismus zu verhindern;
- und haben alle Kräfte des Kapitalismus daran gearbeitet, die Politisierung der Arbeiterklasse zu blockieren, indem sie sie daran gehindert haben, die Verbindung zwischen ihren wirtschaftlichen Kämpfen gegen die Ausbeutung und der Weigerung der Arbeiter*innen in den zentralen Ländern herzustellen, sich für die Kriegspolitik der Bourgeoisie mobilisieren zu lassen. Ein besonders wichtiges Manöver in den frühen 1980er Jahren war die pazifistische Kampagne gegen Reagans „Star Wars“-Programm. Als sich die dritte Welle von Kämpfen in den späten 1980er Jahren zu erschöpfen begann, erfuhr die Dynamik des Klassenkampfes durch den spektakulären Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime im Jahr 1989 einen brutalen Schlag und veränderte damit das Kräfteverhältnis zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie zugunsten der letzteren erheblich. Dieses Ereignis kündigte lautstark den Eintritt des Kapitalismus in die letzte Phase seiner Dekadenz an: die des Zerfalls. Als der Stalinismus zusammenbrach, tat er der Bourgeoisie einen letzten Gefallen. Er erlaubte es der herrschenden Klasse, der Dynamik des Klassenkampfes ein Ende zu setzen, die sich mit Fortschritten und Rückschlägen in zwei Jahrzehnten entwickelt hatte.
Da nicht der Kampf des Proletariats, sondern die Verrottung der kapitalistischen Gesellschaft auf innen heraus dem Stalinismus ein Ende setzte, konnte die Bourgeoisie dieses Ereignis ausnutzen, um eine gigantische ideologische Kampagne zu entfesseln, die darauf abzielte, die größte Lüge der Geschichte fortzusetzen: die Identifikation des Kommunismus mit dem Stalinismus. Damit hat die herrschende Klasse dem Bewusstsein des Proletariats einen äußerst heftigen Schlag versetzt. Die ohrenbetäubenden Kampagnen der Bourgeoisie über den so genannten „Bankrott des Kommunismus“ haben zu einem Rückschritt des Proletariats auf seinem Weg zu seiner historischen Perspektive des Sturzes des Kapitalismus geführt. Sie waren ein großer Schlag gegen seine Klassenidentität.
Dieses tiefe Zurückweichen des Bewusstseins und des Klassenkampfes hat sich in einem Rückgang des Kampfgeistes der Arbeiter*innen in allen Ländern, einer Stärkung der demokratischen Illusionen, einer sehr starken Wiederbelebung der gewerkschaftlichen Kontrolle und einer sehr großen Schwierigkeit für das Proletariat ausgedrückt, auf den Weg massiver Kämpfe zurückzukehren, trotz der Verschärfung der Wirtschaftskrise, des Anstiegs der Arbeitslosigkeit, der Prekarität und der allgemeinen Verschlechterung seiner Lebensbedingungen in allen Sektoren und allen Ländern.
Darüber hinaus musste sich das Proletariat mit dem Eintritt des Kapitalismus in die Endphase seiner Dekadenz nun der widerlichen Atmosphäre der Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft stellen, die seine Fähigkeit beeinträchtigt, den Weg zurück zu seiner revolutionären Perspektive zu finden. Auf der ideologischen Ebene „Die verschiedenen Elemente, die die Stärke des Proletariats ausmachen, stoßen direkt mit den verschiedenen Facetten dieses ideologischen Zerfalls zusammen:
- Das kollektive Handeln und die Solidarität stoßen mit der Atomisierung, dem "Jeder für sich", dem "Frechheit zahlt sich aus" zusammen.
- Das Bedürfnis nach Organisierung steht dem gesellschaftlichen Zerfall entgegen, der Zerstörung von Beziehungen, die erst ein gesellschaftliches Leben ermöglichen.
- Die Zuversicht in die Zukunft und in die eigenen Kräfte wird ständig untergraben durch die allgemeine Hoffnungslosigkeit, die in der Gesellschaft durch den Nihilismus, durch die Ideologie des "No future" immer mehr überhand nimmt.
- Das Bewußtsein, die Klarheit, die Kohärenz und Einheit im Denken, der Sinn für Theorie müssen sich mühsam ein Weg bahnen inmitten der Flucht in Trugbilder, der Drogen, Sekten, des Mystizismus, der Verweigerung des Nachdenkens und der Zerstörung des Denkens, die unsere Epoche charakterisieren.“ (Thesen über den Zerfall, Internationale Revue Nr. 13)
Mit dem Rückzug von seiner revolutionären Perspektive und der Klassenidentität hat auch das Proletariat das Vertrauen in sich selbst und in seine Fähigkeit, den Kapitalismus bei der Verteidigung seiner Lebensbedingungen effektiv zu bekämpfen, weitgehend verloren.
7) Einer der objektiven Faktoren, die den Verlust der Klassenidentität des Proletariats verschärften, war die Politik der Verlagerung und Umstrukturierung des Produktionsapparats in den wichtigsten Ländern Westeuropas und der Vereinigten Staaten. Viele große Konzentrationen von Arbeiter*innen wurden mit der Schließung von Minen, Stahlwerken, Automobilwerken usw. aufgelöst, Sektoren, in denen die Arbeiterklasse traditionell massive und sehr kämpferische Kämpfe geführt hatte. Diese industrielle Verwüstung wurde von der Stärkung der ideologischen Kampagnen über das Ende des Klassenkampfes und damit jeder revolutionären Perspektive begleitet. Diese bürgerlichen Kampagnen konnten sich dank der stalinistischen oder sozialdemokratischen Parteien entwickeln, die die Arbeiterklasse seit Jahrzehnten nur mit den Arbeitern im „Blaumann“ identifizieren und so die Tatsache verschleiern, dass Lohnarbeit und die Ausbeutung der Arbeitskraft die Arbeiterklasse definieren. Darüber hinaus ist das „Kopfarbeit“-Proletariat mit der Entwicklung neuer Technologien viel stärker auf kleine Produktionseinheiten verteilt, was das Entstehen massiver Kämpfe erschwert.
In einer solchen Situation des Rückzugs des Klassenbewusstseins des Proletariats und der Abkehr von jeder revolutionären Perspektive dominieren die Tendenz des Jeder-für-sich und die Konkurrenz im Kampf darum, inmitten des wachsenden wirtschaftlichen Abschwungs zu überleben.
Die Zunahme von Arbeitslosigkeit und Unsicherheit hat auch das Phänomen der „Uberisierung“ der Arbeit hervorgebracht. Indem die Uberisierung eine Internetplattform zur Arbeitssuche nutzt, verschleiert sie den Verkauf der Arbeitskraft an einen Chef hinter der Form von „selbständig Erwerbenden“ und verstärkt gleichzeitig die Verarmung und Unsicherheit dieser „Unternehmer“. Die „Uberisierung“ der individuellen Arbeit ist ein Schlüsselfaktor für die Atomisierung und die Schwierigkeiten, in den Streik zu treten, denn die Selbstausbeutung dieser Arbeiter*innen fesselt ihre Fähigkeit, kollektiv zu kämpfen und untereinander Solidarität gegen die kapitalistische Ausbeutung zu entwickeln.
8) Mit dem Bankrott der Bank Lehman Brothers und der Finanzkrise von 2008 konnte die Bourgeoisie einen weiteren Keil in das Bewusstsein des Proletariats treiben, indem sie eine neue ideologische Kampagne auf globaler Ebene entwickelte, die darauf abzielte, die (von den linken Parteien vorgetragene) Idee zu vermitteln, dass es die „betrügerischen Bankiers“ seien, die für diese Krise verantwortlich sind, während sie gleichzeitig den Anschein erweckte, dass der Kapitalismus durch Börsianer und die Macht des Geldes personifiziert werde.
Die herrschende Klasse war somit in der Lage, die Wurzeln des Versagens ihres Systems zu verbergen. Einerseits versuchte sie, die Arbeiterklasse zur Verteidigung des „schützenden“ Staates aufzufordern, da die Bankenrettungsmaßnahmen angeblich zum Schutz der Kleinsparer gedacht waren. Andererseits wurde diese Bankenrettungspolitik auch, insbesondere von der Linken, genutzt, um mit dem Finger auf Regierungen zu zeigen, die versuchten, die Bankiers und die Finanzwelt zu schützen.
Aber abgesehen von diesen Verschleierungen bestand die Wirkung dieser Kampagne auf die Arbeiterklasse darin, ihre Machtlosigkeit gegenüber einem unpersönlichen Wirtschaftssystem zu verstärken, dessen allgemeine Gesetze wie Naturgesetze erscheinen, die nicht kontrolliert oder verändert werden können.
9) Die Entfesselung imperialistischer Konflikte im Nahen Osten sowie das absolute Elend der verarmten Massen der Länder des afrikanischen Kontinents haben zu einem zunehmenden Flüchtlingsstrom in die Länder Westeuropas geführt. Auf der anderen Seite des Atlantiks wurde das Versinken des Kapitalismus im Zerfall durch den Exodus von Wellen von Migranten aus lateinamerikanischen Ländern in die Vereinigten Staaten veranschaulicht.
Angesichts dieser Zeichen des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft ist eine neue Gefahr für das Proletariat entstanden: die populistische Ideologie, die auf einer „identitären“ Entsolidarisierungspolitik gründet und angesichts der sich verschärfenden Krise, der „Verknappung der Ressourcen“, dafür eintritt, dass die „einheimischen“ Bevölkerungsgruppen das Schlimmste nur auf Kosten anderer nicht ausbeutender Teile der Bevölkerung vermeiden könnten. Diese Politik drückt sich aus im Protektionismus, in der Stigmatisierung von Einwanderern als „Profiteure des Sozialstaates“ und in der Schließung der Grenzen gegen Migrantenwellen.
Die zunehmend offene Ablehnung traditioneller bürgerlicher Parteien und „Eliten“ hat nicht zu einer Politisierung des Proletariats auf seinem Klassenterrain geführt, sondern zu einer Tendenz, auf dem parlamentarischen Terrain der bürgerlichen Demokratie „neue“ Leute zu suchen. Diese „neuen Leute“ sind größtenteils populistische Demagogen und Abenteurer (wie Donald Trump). Der Aufstieg rechtsextremer Parteien in mehreren europäischen Ländern ebenso wie der Aufstieg von Trump in den Vereinigten Staaten, der mit vielen Stimmen von Arbeiter*innen im „Rostgürtel“ gewählt wurde, zeigen, dass gewisse Teile des Proletariats (die von der Arbeitslosigkeit besonders betroffenen sind) durch Populismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus und all die reaktionären und wissenschaftsfeindlichen Ideologien, die der Kapitalismus in seiner Fäulnis ausdünstet, vergiftet werden können.
Die Tendenz des Jeder-für-sich und die Auflösung Gesellschaft haben sich auch in der Gefahr manifestiert, dass bestimmte Bereiche des Proletariats sich unter nationalen oder regionalen Flaggen rekrutieren lassen (wie dies während der Krise um die Unabhängigkeit in Katalonien im Jahr 2018 der Fall war).
10) Aufgrund der gegenwärtigen großen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse bei der Entwicklung ihrer Kämpfe, aufgrund ihrer Unfähigkeit, im Moment ihre Klassenidentität wiederzuerlangen und eine Perspektive für die gesamte Gesellschaft zu eröffnen, neigt das soziale Terrain dazu, von klassenübergreifenden Kämpfen besetzt zu sein, denen insbesondere das Kleinbürgertum den Stempel aufdrückt. Diese soziale Schicht, ohne historische Zukunft, kann nur ein Vehikel für Illusionen in die Möglichkeit der Reform des Kapitalismus sein, indem sie behauptet, dass der Kapitalismus ein „menschlicheres Gesicht“ haben sowie demokratischer, gerechter, sauberer, besorgter um die Armen und die Erhaltung des Planeten sein könne.
Diese klassenübergreifenden Bewegungen sind das Ergebnis einer Perspektivlosigkeit, die die Gesellschaft als ganze betrifft, einschließlich eines wichtigen Teils der herrschenden Klasse selbst.
Der Volksaufstand der „Gelbwesten“ in Frankreich gegen die „hohen Lebenshaltungskosten“ sowie die internationale Bewegung der „Jugend für das Klima“ sind Beispiele für die Gefahr des Interklassismus (der klassenübergreifenden Ideologie) für das Proletariat. Die Bürgerrevolte der „Gelbwesten“ (die von Anfang an von allen Parteien der Rechten und der extremen Rechten unterstützt und ermutigt wurde) zeigte die Fähigkeit der Bourgeoisie, klassenübergreifende soziale Bewegungen gegen das Bewusstsein des Proletariats einzusetzen.
Durch die Freigabe eines Pakets von 10 Milliarden Euro zur Bewältigung des Chaos im Zusammenhang mit den Demonstrationen der Gelbwesten konnten die französische Bourgeoisie und ihre Medien heimtückisch die Idee vermitteln, dass nur interkulturelle Bürgerbewegungen und kleinbürgerliche Kampfmethoden die Regierung zurückdrängen können.
Angesichts der Beschleunigung der wirtschaftlichen Angriffe auf die ausgebeutete Klasse und der Gefahr des Wiederauflebens von Arbeiterkämpfen versucht die Bourgeoisie nun, Klassenfeinde zu beseitigen. Indem sie versucht, das Proletariat in der „Gesellschaft der Bürger“ zu ertränken und seine Positionen zu verwässern, will die herrschende Klasse verhindern, dass es seine Klassenidentität wiedererlangt. Die internationale Medienberichterstattung über die Gelbwesten-Bewegung zeigt, dass die Vermittlung dieser Botschaften ein Anliegen der Bourgeoisie aller Länder ist.
Die Bewegung der Jugend für das Klima, die zwar eine weltweite Sorge über die Gefahr der Vernichtung der Menschheit zum Ausdruck bringt, wurde vollkommen auf das Gebiet der Teilbereichskämpfe abgelenkt, die von der Bourgeoisie leicht zu beantworten und stark kleinbürgerlich geprägt sind.
- „Nur das Proletariat trägt eine Perspektive für die Menschheit in sich, und deshalb gibt es in seinen Reihen den größten Widerstand gegen diesen Zerfall. Doch das Proletariat ist nicht immun gegen den Zerfall, insbesondere weil die Kleinbourgeoisie, mit der es sich auseinanderzusetzen hat, der Hauptträger dieses Zerfalls ist. (...) In dieser Periode muß es sein Ziel sein, den schädlichen Auswirkungen des Zerfalls in seinen eigenen Reihen zu trotzen, indem es nur auf seine eigenen Kräfte zählt, auf seine Fähigkeit baut, sich kollektiv und solidarisch für die Verteidigung seiner Interessen als ausgebeutete Klasse einzusetzen (...)“ (Thesen über den Zerfall).
Der Kampf um die Klassenautonomie des Proletariats ist in dieser Situation, die durch die Verschärfung des Zerfalls des Kapitalismus diktiert wird, von entscheidender Bedeutung:
- gegen klassenübergreifende Kämpfe;
- gegen Teilbereichskämpfe aller Arten von sozialen Kategorien, die eine falsche Illusion einer „Schutzgemeinschaft“ vermitteln;
- gegen die Mobilisierungen auf dem faulen Terrain von Nationalismus, Pazifismus, „ökologischer“ Reform usw.
Im Kräftegleichverhältnis zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat ist immer die herrschende Klasse in der Offensive, außer in einer revolutionären Situation. Trotz ihrer Schwierigkeiten in den eigenen Reihen und der zunehmenden Tendenz, die Kontrolle über ihren politischen Apparat zu verlieren, ist es der Bourgeoisie gelungen, die Ausdrücke der Auflösung ihres Systems abzulenken – und zwar gegen das Bewusstsein und die Klassenidentität des Proletariats. Die Arbeiterklasse hat daher den tiefen Rückschlag, den sie seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der stalinistischen Regime erlitten hat, noch nicht überwunden. Dies umso weniger, als demokratische und antikommunistische Kampagnen, die langfristig aufrechterhalten werden, regelmäßig aktualisiert worden sind (z.B. anlässlich des hundertsten Jahrestages der Oktoberrevolution 1917).
11) Dennoch hat die Bourgeoisie es trotz dreißig Jahren Rückzug des Klassenkampfes bisher versäumt, der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage zuzufügen, wie sie es in den 1920er und 1930er Jahren tat. Trotz der Ernsthaftigkeit der anstehenden Fragen in der aktuellen historischen Epoche ist die Situation nicht identisch mit der der konterrevolutionären Periode. Das Proletariat der zentralen Länder hat keine physische Niederlage erlitten (wie dies bei der blutigen Niederschlagung der Revolution in Deutschland während der ersten revolutionären Welle von 1917-23 der Fall war). Es wurde nicht massiv unter nationalen Fahnen rekrutiert. Die überwiegende Mehrheit der Proletarier ist nicht bereit, ihr Leben auf dem Altar der Verteidigung des nationalen Kapitals zu opfern. In den großen Industrieländern, in den Vereinigten Staaten wie auch in Europa, schlossen sich die proletarischen Massen nicht den imperialistischen (und so genannten „humanitären“) Kreuzzügen ihrer „nationalen“ Bourgeoisie an.
Der proletarische Klassenkampf besteht aus Fortschritten und Rückschlägen, bei denen die Arbeiterklasse danach strebt, ihre Niederlagen zu überwinden, aus ihnen zu lernen und wieder in den Kampf zurückzukehren. Wie Marx es im 18. Brumaire festhielt: „Bürgerliche Revolutionen, wie die des achtzehnten Jahrhunderts, stürmen rascher von Erfolg zu Erfolg, (…) Proletarische Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen: Hic Rhodus, hic salta!“
Diese „Verhältnisse“, die eine „Situation schaffen, die jede Umkehr unmöglich macht“, werden in erster Linie von der Erschöpfung der Linderungsmittel bestimmt, die es der Bourgeoisie bisher ermöglicht haben, den Zusammenbruch der Weltwirtschaft zu verlangsamen. Damit die Voraussetzungen für die Entstehung einer Periode des revolutionären Kampfes geschaffen werden können, ist es notwendig, dass „die Ausbeuter nicht mehr in der alten Weise leben und regieren können. Erst dann, wenn die ‚Unterschichten‘ das Alte nicht mehr wollen und die ‚Oberschichten‘ in der alten Weise nicht mehr können, erst dann kann die Revolution siegen.“ (Lenin, Kinderkrankheit…)
Die unaufhaltsame Verschärfung von Armut, Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, die Angriffe auf die Würde der Ausgebeuteten in den kommenden Jahren bilden die materielle Grundlage, die die neuen Generationen von Proletariern dazu bringen kann, den Weg zurück auf den Weg der Kämpfe zu finden, die von früheren Generationen zur Verteidigung all ihrer Lebensbedingungen geführt wurden. Trotz aller Gefahren, die das Proletariat bedrohen, hat die Zeit der Auflösung des Kapitalismus die objektiven „Verhältnisse“, die seit Beginn der Arbeiterbewegung den Anstoß für die revolutionären Kämpfe des Proletariats bildeten, nicht beseitigt.
12) Die sich verschärfende Wirtschaftskrise hat bereits eine neue Generation auf der gesellschaftlichen Bühne auftreten lassen, auch wenn dieser Auftritt noch sehr begrenzt und embryonal ist: 2006 die Studentenbewegung in Frankreich gegen den CPE, fünf Jahre später folgte die Bewegung der „Indignados“ in Spanien. Diese beiden massenhaften Bewegungen der proletarischen Jugend haben spontan die Kampfmethoden der Arbeiterklasse wiederentdeckt, einschließlich der Debattenkultur in für alle offenen Massenversammlungen.
Diese Bewegungen waren auch durch Solidarität zwischen den Generationen gekennzeichnet (während sich die Studentenbewegung der späten 1960er Jahre, die sehr stark durch das Gewicht des Kleinbürgertums geprägt war, oft im Gegensatz zu den für den Krieg mobilisierten Generationen gesehen hatte).
Während sich in der Bewegung gegen den CPE die überwiegende Mehrheit der Student*innen, die gegen die Aussicht auf Arbeitslosigkeit und Unsicherheit kämpften, als Teil der Arbeiterklasse verstanden, hatten die Indignados in Spanien (obwohl sich ihre Bewegung international über soziale Netzwerke verbreitet hatte) kein klares Bewusstsein über die Zugehörigkeit zur ausgebeuteten Klasse.
Während die massenhafte Bewegung gegen den CPE eine proletarische Reaktion auf einen wirtschaftlichen Angriff war (welche die Bourgeoisie zum Rückzug des CPE zwang), war die Indignados-Bewegung im Wesentlichen von einer globalen Reflexion über den Bankrott des Kapitalismus und die Notwendigkeit einer anderen Gesellschaft geprägt.
Innerhalb dieser neuen Generation ist die Klassenidentität des Proletariats aufgrund der mangelnden Erfahrung dieser jungen Generation, ihrer Anfälligkeit für die Mystifikationen der „Antiglobalisierungs“-Ideologie und ihrer Schwierigkeit, die Geschichte und Erfahrung der Arbeiterbewegung zurückzugewinnen, noch nicht wiederhergestellt worden.
Dennoch hatten diese Bewegungen begonnen, die Grundlage für eine langsame Reifung des Bewusstseins innerhalb der Arbeiterklasse (und insbesondere der jungen hochqualifizierten Generationen) über die Herausforderungen der aktuellen historischen Situation zu legen.
13 Ein wesentliches Merkmal der Entwicklung des proletarischen Klassenbewusstseins war immer seine Fähigkeit zur unterirdischen Reifung, d.h. die Fähigkeit, sich auch außerhalb von Perioden des offenen Kampfes und sogar in Zeiten großer Niederlagen zu entwickeln. Das Klassenbewusstsein kann sich in kleinen Minderheiten vertiefen, ohne dass es sich im gesamten Proletariat weit ausbreitet. Die Entwicklung des Klassenbewusstseins sollte daher nicht nur an seiner unmittelbaren Ausbreitung in der Klasse zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessen werden, sondern auch an seiner historischen Kontinuität. Wie wir im Artikel der International Review Nr. 42, Interne Debatte: Zentristisches Abgleiten in Richtung Rätismus, geschrieben haben: „Es ist nötig zu unterscheiden zwischen dem, was Teil einer Kontinuität in der historischen Bewegung des Proletariats ist – die fortschreitende Ausarbeitung seiner politischen Positionen und seines Programms –, und dem, was mit den von den Umständen abhängigen Faktoren zusammenhängt – dem Grad der Aufnahme dieser Positionen und ihrer Wirkung in der ganzen Klasse."
Die Existenz und entschlossene Aufrechterhaltung der Organisationen der Kommunistischen Linken unter den schwierigen Bedingungen des Zerfalls des Kapitalismus drückt diese unterirdische Fähigkeit des Klassenbewusstseins aus, seine historische Bewegung auch in einer Zeit der tiefen Orientierungslosigkeit des Proletariats wie heute zu entwickeln.
Diese unterirdische Reifung des Klassenbewusstseins des Proletariats drückt sich heute auch im Auftauchen kleiner Minderheiten und junger Leute aus, die auf der Suche nach einer Klassenperspektive und den Positionen der Kommunistischen Linken sind.
Die Organisationen der Kommunistischen Linken dürfen diese kleinen Minderheiten nicht ignorieren, auch wenn sie unbedeutend erscheinen. Der Kristallisierungsprozess ist in der Zeit des kapitalistischen Zerfalls viel langsamer und ungleichmäßiger als Ende der 1960 er und Anfang der 1970er Jahre.
Trotz der schädlichen Auswirkungen des Zerfalls und der Gefahren für das Proletariat „bleiben die historischen Möglichkeiten völlig offen. Trotz des Schlags, der der Bewußtwerdung des Proletariats durch den Zusammenbruch des Ostblocks verabreicht wurde, hat das Proletariat auf seinem Klassenterrain keine große Niederlage erlitten. (...) Aber darüber hinaus, und das ist das Element, das in letzter Instanz die Entwicklung der Weltlage bestimmt, bildet derselbe Faktor, der sich am Anfang der Entwicklung des Zerfalls befindet, den wesentlichen Ansporn für den Kampf und die Bewußtwerdung der Klasse, die eigentliche Bedingung für ihre Fähigkeit, dem ideologischen Gift der gesellschaftlichen Fäulnis zu widerstehen. Denn auch wenn das Proletariat kein Terrain findet, um die Teilkämpfe gegen die Auswirkungen des Zerfalls zu vereinen, bildet sein Kampf gegen die direkten Auswirkungen der Krise die Grundlage für die Weiterentwicklung seiner Klassenstärke und Einheit.“ (Thesen über den Zerfall).
14) In den wirtschaftlichen und defensiven Kämpfen des Proletariats siegen „von Zeit zu Zeit (...) die Arbeiter, aber nur vorübergehend. Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter. Sie wird befördert durch die wachsenden Kommunikationsmittel, die von der großen Industrie erzeugt werden und die Arbeiter der verschiedenen Lokalitäten miteinander in Verbindung setzen. Es bedarf aber bloß der Verbindung, um die vielen Lokalkämpfe von überall gleichem Charakter zu einem nationalen, zu einem Klassenkampf zu zentralisieren. Jeder Klassenkampf ist aber ein politischer Kampf. Und die Vereinigung, zu der die Bürger des Mittelalters mit ihren Vizinalwegen Jahrhunderte bedurften, bringen die modernen Proletarier mit den Eisenbahnen in wenigen Jahren zustande. Diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst. Aber sie ersteht immer wieder, stärker, fester, mächtiger.“ (Kommunistisches Manifest)
Die „wachsenden Kommunikationsmittel“, die es den Arbeiter*innen ermöglicht, sich „miteinander in Verbindung zu setzen“, um die „Lokalkämpfe zu zentralisieren“, sind nicht mehr die Eisenbahnen, wie zu Marx' Zeiten, sondern die neuen digitalen Telekommunikationstechnologien.
Wenn nämlich die Auswirkungen der „Globalisierung“, der Standortverlagerungen, des Verschwindens ganzer Industriesektoren, der Aufsplitterung der Produktion in eine Vielzahl kleiner Produktionseinheiten, der Vervielfachung kleiner Dienstleistungsarbeitsplätze, der Prekarisierung und der Uberisierung der Arbeit zu den Schlägen auf die Klassenidentität des Proletariats der alten Industriemetropolen beigetragen haben, so enthalten doch die neuen wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Bedingungen, unter denen sich das Proletariat heute befindet, Elemente, die die Wiedereroberung dieser Klassenidentität in einem viel größeren Umfang als in der Vergangenheit begünstigen. Die „Globalisierung“ und insbesondere die Entwicklung des Internets, die Errichtung einer Art „globalen Netzwerks“ von Wissen, Fähigkeiten, Zusammenarbeit bei der Arbeit zur gleichen Zeit wie des Massenverkehrs, schaffen die objektiven Grundlagen für die Entwicklung einer Klassenidentität auf globaler Ebene, insbesondere für die neuen proletarischen Generationen.
15) Einer der Hauptgründe, warum das Proletariat nicht in der Lage war, seine Kämpfe und sein Bewusstsein so weit zu entwickeln, wie es der Ernst der geschichtlichen Lage erfordert, ist der Bruch der politischen Kontinuität mit der Arbeiterbewegung der Vergangenheit (und insbesondere mit der ersten revolutionären Welle von 1917-23). Dieser Bruch wurde durch die Schwäche der revolutionären Organisationen der linkskommunistischen Strömung veranschaulicht, die den Stalinismus in den 1920er und 1930er Jahren bekämpft hatten.
Das bedeutet, dass eine enorme Verantwortung auf der Kommunistischen Linken als Brücke zwischen der ehemaligen verschwundenen Partei (der Dritten Internationale) und der zukünftigen Partei des Proletariats liegt. Ohne Gründung dieser zukünftigen Weltpartei wird eine proletarische Revolution unmöglich sein, und die Menschheit wird am Ende von der Barbarei des Krieges und/oder der langsamen Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft verschluckt werden.
Die Kommunisten haben „theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus“ (Kommunistisches Manifest).
Mai 2019