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Seit dem Sommer 2022 ist die Intervention von Revolutionären innerhalb des Kampfs der Arbeiterklasse eine konkretere Perspektive geworden, weil das Proletariat nach drei bis vier Jahrzehnten eines tiefen Rückgangs der Kampfbereitschaft und des Bewusstseins in der Klasse endlich wieder sein Haupt erhoben hat. Diesem Wiederaufleben der Kämpfe, das mit dem "Summer of Discontent" in Großbritannien begann, folgten Streiks, Demonstrationen und Arbeiterproteste in verschiedenen anderen Ländern, so auch in den USA.[1]
Il Partito Comunista – eine Organisation der Kommunistischen Linken wie wir – hat über ihre Beteiligung an Arbeiterkämpfen des vergangenen Jahres in den USA berichtet, darunter ein Streik von 600 städtischen Angestellten in der Wasseraufbereitungsanlage in Portland Oregon, der am 3. Februar 2023 begann. Dieser Streik wurde mit Solidaritätsbekundungen von anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes begrüßt, von denen sich einige auch den Streikposten anschlossen. Während dieses Streiks veröffentlichte Il Partito einen Artikel und verteilte drei Flugblätter, in denen er den Kapitalismus als diktatorisches Ausbeutungssystem anprangerte und die Lehre zog, dass: "Nur wenn die Arbeiterklasse ihre Waffen über Sektoren und Grenzen hinweg vereint, kann sie wirklich für die Beendigung ihrer Ausbeutungssituation im Kapitalismus kämpfen".[2]
Unter den gegenwärtigen Bedingungen eines internationalen und historisch bedeutsamen Wiederauflebens der Kämpfe nach Jahrzehnten der Orientierungslosigkeit und Zersplitterung ist es an sich schon ein Sieg, den Kampf aufzunehmen. Deshalb ist es sicherlich wichtig zu erkennen, dass, so wie es Il Partito getan hat, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Portland, als Reaktion auf die Einschüchterung, Kriminalisierung und Bedrohung durch die Bourgeoisie in der Lage waren, ihre Einheit und Solidarität zu entwickeln.[3]
Aber Revolutionäre dürfen nicht hier stehen bleiben. In ihren Interventionen mit der Presse, mit Flugblättern oder auf andere Weise müssen sie konkrete Perspektiven aufzeigen, z. B. den Aufruf an die Arbeiterklasse, den Kampf über ihren eigenen Sektor hinaus auszuweiten, indem sie Delegationen in andere Betriebe und Unternehmen schicken. Wie wir in einem unserer jüngsten Artikel hervorheben, müssen die Beschäftigten bereits heute "gemeinsam kämpfen, einheitlich handeln und vermeiden, sich in lokalen Kämpfen innerhalb des eigenen Unternehmens oder Sektors zu verzetteln".[4]
Aber um dies zu tun, um den Kampf zu stärken, müssen Revolutionäre den Beschäftigten vor allem klar sagen, wer auf der Seite der Arbeiterklasse steht und wer gegen sie ist. Und genau in dieser Frage verbreitet Il Partito einen mystifizierenden Nebel.
Opportunismus in der Gewerkschaftsfrage ...
Für die Kommunistische Linke sind die Gewerkschaften als solche, und damit nicht nur die Gewerkschaftsführung, sondern auch die Basisstrukturen der Gewerkschaften, zu einer Waffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse geworden. Die Gewerkschaften, die per Definition auf der Ideologie aufbauen, den Kampf innerhalb der Grenzen der wirtschaftlichen Gesetze des Kapitalismus zu führen, sind im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Kriege und Revolutionen, anachronistisch geworden, wie die Revolutionäre im Ersten Weltkrieg und der revolutionären Welle ab 1917 deutlich gezeigt haben. Die neuen Bedingungen erfordern, dass die Kämpfe über die Besonderheiten des Arbeitsplatzes, der Region und der Nation hinausgehen und einen massiven und politischen Charakter annehmen. Die Gewerkschaften sind für die Kämpfe der Arbeiterklasse nicht mehr von Nutzen, sie wurden von der herrschenden Klasse und ihrem Staat übernommen und werden dazu benutzt, die Tendenz zur Ausweitung und Selbstorganisation der Kämpfe zu verhindern. Unter solchen Bedingungen ist die Verteidigung der gewerkschaftlichen Kampfmethode als angeblich authentisches Mittel zur Förderung der Kampfkraft der Arbeiterklasse nichts anderes als ein Zugeständnis an die bürgerliche Ideologie, eine Form des Opportunismus.
Angesichts des Frage der Organisationsformen, die für die Arbeiterklasse zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen notwendig sind, ob es sich nun um "Klassengewerkschaften", "Netzwerke" oder "Koordinationen" handelt, verteidigt Il Partito eine opportunistische Position, die er wie folgt begründet: Er anerkennt zwar, dass "seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die fortschreitende Unterwerfung der Gewerkschaften unter die bürgerliche Ideologie, die Nation und die kapitalistischen Staaten"[5] eine reale Tendenz sei. Aber Il Partito erklärt uns nicht, wie es möglich war, dass Gewerkschaften in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in den bürgerlichen Staat integriert wurden. Für Il Partito scheint dies reiner Zufall zu sein, da er nicht anerkennt, dass sich die objektiven Bedingungen seither grundlegend geändert haben. Im Gegensatz dazu behaupten sie, dass die wirtschaftlichen Angriffe auf die Arbeiter "zur Wiedergeburt neuer Gewerkschaften führen werden, die von der bürgerlichen Konditionierung befreit sind" und "von der kommunistischen Partei geleitet werden". Diese Gewerkschaften werden ihnen zufolge sogar "ein mächtiges und unverzichtbares Instrument für den revolutionären Sturz der bürgerlichen Macht"[6] sein.
Mit anderen Worten: Nach dem Verrat der alten Gewerkschaften werden neue Arbeitergewerkschaften entstehen, und in guter "bordigistischer" Tradition wird davon ausgegangen, dass sie unter der Führung einer echten revolutionären Partei eine revolutionäre Rolle erfüllen werden. Es ist höchste Zeit, Il Partito aus diesem Traum aufzuwecken, denn die Bedingungen des Kampfes der Arbeiterklasse haben sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts völlig verändert. Das bedeutet, dass der Kampf "nicht von langer Hand organisatorisch vorbereitet werden“ kann, denn „[d]er proletarische Kampf sprengt zunehmend den ökonomischen Rahmen und wird zum gesellschaftlichen Kampf. Die Arbeiter stoßen direkt mit den staatlichen Organen zusammen und werden auf diesem Wege politisiert. Desgleichen erfordern diese Kämpfe die massive Beteiligung der gesamten Klasse. (...) In diesem Sinn hängt der Erfolg eines Streiks nicht von finanziellen Mitteln ab, sondern im Wesentlichen von der Fähigkeit der Arbeiter, den Kampf auszudehnen".[7]
Deshalb entsprechen die Gewerkschaften nicht mehr den Erfordernissen des proletarischen Kampfes, und selbst die Führung durch eine revolutionäre Partei würde an dieser Tatsache rein gar nichts ändern. Der Versuch von Il Partito, die Existenz permanent existierender Kampforgane zu verteidigen, sowohl bei offenen Kämpfen als auch in kampflosen Zeiten, wird unweigerlich zum Scheitern führen. Eine Wiedergeburt der Gewerkschaften als wirkliche Organisationen der Arbeiterklasse ist nur in der Vorstellung von Il Partito möglich, in welcher die Rolle der Partei im Kampf nicht nur entscheidend ist, sondern die Partei sogar in der Lage zu sein scheint, fast übernatürliche Kräfte aufzubringen, um die Gewerkschaften an die wirklichen Bedürfnisse des Arbeiterkampfes anzupassen.
... führt die Arbeiterklasse auf eine falsche Fährte
Das erste Flugblatt von Il Partito, das bei einer Demonstration am Samstag, dem 28. Januar 2023 verteilt wurde, trug den Titel "Arbeiter des öffentlichen Dienstes von Portland: Kampf für die Streikfreiheit", eine "Freiheit", welche die Stadtregierung durch die Ausrufung des Ausnahmezustands angegriffen hatte.
Mit der Forderung nach "Streikfreiheit" brachte dieses Flugblatt die Arbeiter sofort auf die falsche Fährte. Im 19. Jahrhundert, als die Gewerkschaften noch einheitliche Organisationen der Arbeiterklasse waren, deren Aufgabe es war, die Arbeits- und Lebensbedingungen im Kapitalismus zu verbessern, war eine solche Forderung zweifellos berechtigt. Heute jedoch, wo die Gewerkschaften Teil des kapitalistischen Staates geworden sind, hat die Arbeiterklasse nichts mehr davon, eine Kampagne zur Verteidigung des Streikrechts zu führen. Denn ein solcher Kampf ist in Wirklichkeit ein Kampf für ein Absegnung des Freipasses der Gewerkschaft, die Kämpfe der Arbeiterklasse zu kontrollieren. Die Arbeiterklasse braucht nicht für die Legalisierung ihrer eigenen Streiks zu kämpfen, denn unter den Bedingungen des totalitären Staatskapitalismus ist ein Streik, der ein reales Kräfteverhältnis gegen die Bourgeoisie schaffen könnte, per Definition illegal. Der Zweck einer Kampagne für die Streikfreiheit besteht hauptsächlich darin, zu gewährleisten, dass die Kämpfe innerhalb der engen rechtlichen Grenzen der bürgerlichen Politik und der gewerkschaftlichen Kontrolle bleiben. Wenn die Bourgeoisie das Streikrecht gewährt, dann nur, um den Kampf der Arbeiter auf einen wirkungslosen Protest zu reduzieren, um Druck auf einen der "Verhandlungspartner" auszuüben.
Nach dem Streik der städtischen ArbeiterInnen in Portland haben die Genossen von Il Partito im Frühjahr 2023 "zusammen mit anderen Gewerkschaftsaktivisten eine Koordinierung gefördert, die sie Class Struggle Action Network (CSAN) genannt haben und die darauf abzielt, die Kämpfe der ArbeiterInnen zu vereinen".[8] Dieses CSAN intervenierte zum Beispiel beim Streik des Krankenpflegepersonals Ende Juni. Aber was ist eigentlich das Wesen des CSAN? Was könnte die Perspektive eines solchen Netzwerks sein, "die Kämpfe der ArbeiterInnen zu vereinen"?
Dieses CSAN ist nicht als Reaktion auf ein bestimmtes Bedürfnis der Streikenden entstanden, den Kampf selbst in die Hand zu nehmen, massive Delegationen zu anderen Betrieben zu schicken, für alle Arbeiter und Arbeiterinnen offene Generalversammlungen zu organisieren oder Lehren zu ziehen, um neue Kämpfe vorzubereiten. Nein, nichts dergleichen. Das Netzwerk wurde völlig außerhalb der konkreten Dynamik des Kampfes von den Genossen von Il Partito ins Leben gerufen, "inspiriert von den gleichen Prinzipien und Methoden, nach denen das Coordinamento Lavoratorie Lavoratrici Autoconvocati [Mitte der 1980er Jahre] in Italien gegründet wurde".[9] Und auf der Website dieses Netzwerks[10] kann man nicht zufällig einen Artikel von Il Partito lesen, in dem klargestellt wird, dass das Ziel darin besteht, "Auf die Wiedergeburt der Gewerkschaft der Arbeiterklasse" hinzuarbeiten.
Wie wir oben dargelegt haben, sind die Gewerkschaften heute Instrumente des bürgerlichen Staates, und eine Wiedergeburt als Organisationen der Arbeiterklasse ist unmöglich. Daher kann die Politik von Il Partito, kämpferische Arbeiter und Arbeiterinnen nur in einen völlig perspektivlosen und entmutigenden Kampf verwickeln. In diesem Zusammenhang wird das CSAN das gleiche Schicksal erleiden wie jedes künstlich geschaffene Organ: entweder ein Anhängsel von Il Partito[11] zu bleiben oder ein radikaler Ausdruck des bürgerlichen Gewerkschaftswesens zu werden. Aber höchstwahrscheinlich wird es verschwinden, nachdem Il Partito versucht hat, es künstlich am Leben zu erhalten. Dann kann sie dieses totgeborene Kind in aller Stille begraben, ohne weitere Lehren aus dieser Erfahrung ziehen zu müssen.
Beim Streik der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes "nahmen die Genossen an den Streikposten teil und halfen den ArbeiterInnen, sie zu stärken"[12]. Im Bericht über die Intervention beim Streik des Krankenpflegepersonals ist nur von der Intervention des CSAN die Rede, die "Teilnehmende für die Streikposten-Solidarität" organisierte. Dies erweckt den Eindruck, dass es keine Intervention von Il Partito gab, die sich vom Netzwerk unterscheidet und getrennt ist. Die GenossInnen von Il Partito haben also sowohl im Februar als auch im Juni individuell an den Streikposten teilgenommen. Aber warum? Weil Arbeiter diese Aufgabe nicht übernehmen können? Oder waren die Genossen als Delegierte aus anderen Betrieben beteiligt? Die Antwort auf diese Fragen findet sich in den Artikeln von Il Partito nicht. Hinter der Intervention von Il Partito steht eine große Konfusion über die Rolle der revolutionären Avantgarde der Klasse.
Die Verantwortung der Revolutionäre
In erster Linie besteht die Aufgabe der politischen Organisation der Klasse nicht darin, der Klasse zu helfen, die Streikpostenkette zu stärken, Geld zu sammeln, um einen Streik finanziell zu unterstützen, oder andere praktische Aufgaben für die streikenden Arbeiter und Arbeiterinnen zu erfüllen. Dazu sind sie absolut selbst in der Lage, ohne dass jemand an ihre Stelle tritt. Eine kommunistische Organisation hat eine Aufgabe zu erfüllen, die nicht technischer oder materieller, sondern im Wesentlichen politischer Natur ist. Der Kampf der Arbeiterklasse muss durch die organisierte politische Intervention der revolutionären Organisation gestärkt werden.
Entsprechend dieser Ausrichtung, ein aktiver politischer Faktor in der Entwicklung des Bewusstseins und der autonomen Aktion der Arbeiterklasse zu sein, müssen kommunistische Organisationen eine Analyse der Bedingungen des Klassenkampfes hellsichtig und mit einer klaren Methode vorlegen und gleichzeitig in der Lage sein, die Feinde der Arbeiterklasse – die Gewerkschaften – anzuprangern und zu bekämpfen. Il Partito rechtfertigt in unverantwortlicher Weise die Möglichkeit der Rehabilitierung des Gewerkschaftswesens oder des Kampfes mittels Gewerkschaften, obwohl diese Organe jahrzehntelang die Kämpfe behindert und sabotiert haben, und kann auf diese Weise den Kampf der Arbeiterklasse nur schwächen. Diese Art von Opportunismus stiftet nicht nur Verwirrung, sondern kann die Arbeiterklasse nur in eine Sackgasse führen.
Dennis, 15.11.2023
[1] Siehe unser Flugblatt: Streiks und Demonstrationen in den USA, Spanien, Griechenland, Frankreich... Wie können wir unsere Kämpfe ausweiten und vereinen?, IKSonline Oktober 2023
[3] Portland City Workers’ Strike – the ICP`s intervention, in The Communist Party Nr. 51
[4] Balance sheet of the ICC's intervention in the struggles of workers around the world (Bilanz der Intervention der IKS in den Kämpfen der Arbeiter und Arbeiterinnen auf der ganzen Welt), in World Revolution Nr. 398, Herbst 2023
[5] Questions from the USA on the SI Cobas and the Trade Unions, in The Communist Party, September 2016, Nr. 4
[6] ebenda
[7] Der Kampf des Proletariats im aufsteigenden und im dekadenten Kapitalismus, in Internationale Revue Nr. 8
[9] ebenda
[11] Der erste “Class Unionist” Newsletter der CSAN vom Oktober berichtete bereits: vom “Monatstreffen im September des Organisationskollektivs des CSAN [das] selber nach dem Modell des demokratischen Zentralismus funktionieren soll ”.
[12] Portland City Workers’ Strike – the ICP`s intervention, in The Communist Party Nr. 51