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Nun hat ihn auch die Schweiz: den grössten Streik seit Jahrzehnten! Von allen bürgerlichen Medien wurde der Bauarbeiterstreik vom 4. November 2002 als Riesenerfolg gefeiert - und zwar schon eine Woche bevor er tatsächlich stattfand. Rund 15'000 Arbeiter streikten am angekündigten Tag und demonstrierten in verschiedenen Städten gleichzeitig. Die Branchengewerkschaft GBI hatte bereits im Frühjahr eine Demo in Bern organisiert (vgl. Weltrevolution Nr. 112) und mobilisierte dann im Herbst erneut für eine Demo in Zürich und verschiedene gestaffelte und regional verteilte Aktionstage mit Blockaden und Streiks, die v.a. die sogenannten Hardliner unter den Bauunternehmern treffen sollten. Ziel der Kampagne ist die Durchsetzung des Rentenalters 60 im Baugewerbe.
Was steckt hinter dem Streik?
Im Juni 2002 schrieben wir in der Weltrevolution (Nr. 112): "Wir müssen darauf gefasst sein, dass nicht nur die Angriffe der Bourgeoisie auf die Arbeits- und Lebensbedingungen weiterhin zunehmen, sondern auch die gewerkschaftlichen Aktionen, mit denen versucht wird, das Terrain zu besetzen und die Arbeiter daran zu hindern, selbst in den Kampf zu treten, diesen zu organisieren und auszuweiten." - Dies hat sich nun sehr rasch bewahrheitet. Mit der wohlwollenden Unterstützung der Medien von links bis rechts mobilisierten die Gewerkschaften GBI und Syna für diesen Tag und für die eine Forderung: Rentenalter 60 für das Baugewerbe. Wohl darauf bedacht, dass nicht etwa eine branchenübergreifende Forderung gestellt oder eine Ausweitung des Streiks auf andere Bereiche und Regionen propagiert würde.
Obwohl es jeden Tag neue Angriffe auf alle Teile der Arbeiterklasse gibt - bei der Post, bei den Lehrern, bei den Banken und Versicherungen, bei der Milchverarbeitung (SDF) und der Maschinenindustrie (ABB, NAW) - setzen die Gewerkschaften alles daran, dass die Arbeiter der verschiedenen Regionen, Branchen und Betriebe ja nicht zusammen kommen und gemeinsam Kampfmassnahmen ergreifen. Im September 2002 erklärt sich der Milchverarbeiter Swiss Dairy Food (SDF) für zahlungsunfähig und reicht ein Gesuch um Nachlassstundung ein. 1600 Arbeiter sind von der Entlassung bedroht. Die Gewerkschaften organisieren zwei einstündige Warnstreiks in zwei verschiedenen Betrieben - für einen Sozialplan. Am 18. Oktober demonstrieren in Arbon 800 Arbeiter gegen die Schliessung der Fahrzeugbaufirma und DaimlerChrysler-Tochter NAW und den drohenden Verlust von 250 Arbeitsplätzen. Gleichzeitig wird bei der Post ein Abbau von 8500 Stellen angekündigt. Die Gewerkschaft droht zuerst mit Streik und einigt sich dann mit der Post darauf, dass das Sparprojekt "personal- und regionalpolitisch überprüft" werden soll. Die Gewerkschaft empfiehlt "ihren Mitgliedern" einstweilen, keine Kampfmassnahmen zu ergreifen (aus dem Pressedienst des Gewerkschaftsbundes). Am 1. November demonstrieren im Kanton Bern 20'000 Angestellte des öffentlichen Dienstes gegen einen Sparplan der Regierung und Stellenabbau - alles schön portioniert in gut verdauliche Häppchen.
Der GBI-Streik vom 4. November wurde v.a. deshalb zum beinahe "Jahrhundertstreik” hochstilisiert, weil die Gewerkschaften von A bis Z alles fest im Griff hatten. Sie bestimmten das ganze Tagesprogramm, entschieden darüber, wo gestreikt wurde und wo nicht (im Wallis z.B. wurde nicht gestreikt, da die Bauunternehmer dort zugesagt hätten, eine gesamtschweizerische Vereinbarung zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaften zu akzeptieren), sie verteilten die Trillerpfeifen und das Streikgeld (für die Gewerkschaftsmitglieder und diejenigen, die sich bei dieser Gelegenheit als solche einschreiben liessen), und sie fuhren einige Hundert Bauarbeiter in Bussen zum Nadelöhr Bareggtunnel, wo sie dann während anderthalb Stunden den Verkehr zu blockieren hatten.
Es ist keine Frage, dass die Arbeiter auch in der Schweiz unruhiger werden. Die Unzufriederheit wächst angesichts der Lohnsenkungen und Entlassungen in allen Bereichen. Aber diese Unruhe drückt sich heute noch nicht in einer offenen Wut oder gar in einer Bereitschaft aus, massenhaft den Kampf gegen die Angriffe auf- und in die eigenen Hände zu nehmen. Hier treten nun die Gewerkschaften auf den Plan, die ein doppeltes Ziel verfolgen:
- Kurzfristig geht es ihnen darum, die Arbeiter daran zu hindern, selbständig den Kampf zu beginnen. Sie sollen nach dem Willen der Bourgeoisie (und die Gewerkschaften gehören dazu) möglichst getrennt voneinander, in kleinen Tranchen und zeitlich gestaffelt etwas Luft ablassen, damit die Angriffe nicht etwa durch eine massiven und geeinten Widerstand be- oder gar verhindert werden.
- Längerfristig aber verfolgen die Gewerkschaften das Ziel, sich als die einzigen und wahren Verteidiger der Arbeiter darzustellen, d.h. eben das Terrain für die zukünftigen Kämpfe rechtzeitig zu besetzen.
Obwohl auch bei den Bauarbeitern die Unzufriedenheit wächst und hier und dort auch spontan Streiks v.a. wegen Lohnkürzungen und schlechten Arbeitsbedigungen ausbrechen (z.B. am 26. September auf der NEAT-Tunnelbaustelle in Amsteg), besteht heute nicht eine reale Kampfbereitschaft, eine Entschlossenheit, gemeinsam in den Kampf gegen die allgemeine Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen zu treten. So ist denn auch die erhobene Forderung nach der Senkung des Rentenalters in der Baubranche keine wirkliche Konzession, die von den Bauunternehmern verlangt wird. Eigentlich haben der Bauunternehmerverband und die Gewerkschaften GBI und Syna schon alles abgemacht: Die Bauarbeiter sollen mit 60 in die Pension gehen können. Finanziert werden ihre Renten vordergründig zu 4% durch die Unternehmer, zu 1% durch die Arbeiter. Effektiv beinhaltet aber der Deal, dass die Löhne in den Jahren 2003 und 2004 eingefroren werden (so Beat Kappeler, der frühere Boss des Gewerkscahftsbundes in der NZZ am Sonntag vom 10.11.02), was wiederum mindestens 3% Reallohn ausmacht. Diese Differenz wird nie mehr reingeholt, d.h. jedes Jahr bezahlen die Arbeiter zusätzlich mindestens 3% ihres Lohnes für die Rentenalterssenkung, also unter dem Strich mehr als die Unternehmer. Und als sich schliesslich nach durchgeführtem Streik am 12. November der Baumeisterverband und die Gewerkschaften erneut an den Tisch setzen und sich schon bald gegenseitig die Hände über die geglückte Einigung drücken, schaut für die Arbeiter noch einmal eine Verschlechterung heraus: Die Arbeitgeberbeiträge sollen bis 2011 nicht erhöht werden; wenn das Geld nach 2005 für die Pensionen nicht mehr reicht, müssen sie entweder gekürzt oder die Arbeitnehmerbeiträge erhöht werden. Aber die Gewerkschaften frohlocken: "Kampf hat sich gelohnt" (GBI) - "An diesem historischen Tag gibt es nur Sieger" (Syna).
Ein abgekartetes Spiel der Bourgeoisie
Die ganze Show um den Bauarbeiterstreik vom 4. November kann nicht verschleiern, dass nicht nur die linken Teile der Bourgeoisie, d.h. die Gewerkschaften, eine Strategie auf dem Buckel der Arbeiter und gegen sie durchzogen, sondern dass es sich um eine gut inszenierte Farce zwischen dem Bauunternehmerverband und den Gewerkschaften unter Mitwirkung der Medien und der Landesregierung handelte. Der so genannte Anlass des Streiks war nämlich eine "Provokation" der Bauunternehmer, die nach dem abgeschlossenen Deal erklärten, sie müssten sich die Finanzierung der Pensionen noch einmal überlegen. Darauf riefen GBI und Syna zum Streik auf, den Radio, TV und Presse aller Couleur sowohl im Vorfeld als auch während der Durchführung massiv begleiteten. Auch der so genannnte Revolutionäre Aufbau beteiligte sich an dieser Mobilisierung mit dem Aufruf: "Ein Sieg ist bedroht (...) nun weigern sich die Baumeister, das Abkommen auch umzusetzen (...) nur Streik kann jetzt den Baumeistern klar machen, dass sich Angriffe auf die Arbeiter nicht lohnen." Schliesslich erklärte der Wirtschaftsminister Couchepin ganz neutral, er werde sich in den Konflikt nicht einmischen, aber nötigenfalls und auf Anfrage schon für eine Vermittlung zur Verfügung stehen. Eine solche war dann erwartungsgemäss gar nicht nötig. So putzen sich alle heraus: der Baumeisterverband als der böse Kapitalist, die Gewerkschaft und andere linke Teile der Bourgeoisie als die Vertreter der Arbeiterinteressen und schliesslich die Regierung - als neutrale Schlichterin im Hintergrund.
Mit dieser Schlachtordnung sollen das Proletariat in die Irre geführt und die Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen durchgesetzt werden. So rüstet sich die Bourgeoisie für die Zukunft, die der Arbeiterklasse noch heftigere Angriffe bescheren wird. Diesen wird sie nur trotzen können, wenn sie sich geeint und selbstorganisiert zur Wehr setzt - gegen alle Feinde und die falschen Freunde!
Arnold, 14.11.02