Plattform der IKS

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Diese Broschüre beinhaltet drei Dokumente, welche die IKS zu verschiedenen Zeitpunkten während ihrer Geschichte erarbeitet hat und deren Gemeinsamkeit darin besteht, die programmatischen Positionen und die allgemeinen Perspektiven unserer Organisation zusammenzufassen. Damit die Bedeutung dieser Dokumente verständlich wird, ist es sinnvoll, die Geschichte der IKS in groben Zügen wiederzugeben.

Die IKS wurde im Januar 1975 von verschiedenen politischen Gruppen gegründet, die in der Folge des historischen Wiedererwachens der Arbeiterklasse Ende der 1960er Jahre aufgetaucht waren, welches namentlich durch den Generalstreik vom Mai 1968 in Frankreich, den “Cordobazo” von 1969 in Argentinien, den “heißen Herbst Italiens” im gleichen Jahr, die Arbeiterstreiks im Baltikum und Polen während dem Winter 1970-71 geprägt war. Dieses weltweite Erwachen des Proletariats setzte der vier Jahrzehnte währenden Konterrevolution ein Ende und kündigte eine Phase des Klassenkampfes an, welcher mit der sich verschärfenden kapitalistischen Krise, die schon dieses Erwachen hervorgerufen hatte, immer hartnäckiger wurde.

Dass neue Gruppen erschienen, die mehr oder weniger informell oder organisiert waren, aber versuchten, sich die Klassenpositionen des Proletariats anzueignen, stellte ein untrügliches Zeichen für das Ende der Phase der Konterrevolution und für den Beginn einer Zeit der Klassenkonfrontationen dar. Damit diese Gruppen ihrer Verantwortung gewachsen waren, war es aber erforderlich, dass sie sowohl die neue geschichtliche Phase begriffen, deren Produkt sie waren, als auch die Notwendigkeit, sich politisch den früheren kommunistischen Fraktionen anzuschließen, die sich von der Kommunistischen Internationalen während deren Degenerierung in den 1920er Jahren getrennt hatten. Die Gruppen, die schließlich die IKS gründeten, gelangten zu dieser Erkenntnis. Sie stützten sich hauptsächlich auf die Erfahrung und die Positionen der Kommunistischen Linken Frankreichs (die zwischen 1945 und 1952 die Revue Internationalisme herausgab), welche 1964 Grundlage für die Gründung des Gruppe Internacionalismo in Venezuela waren.

Im Juni 1968, im Gefolge des Generalstreiks, wurde in Frankreich die Gruppe Révolution Internationale mit denselben Positionen wie Internacionalismo gegründet; nach einer Reihe von Diskussionen über die programmatischen Positionen erfolgte 1972 eine Umgruppierung mit zwei anderen Gruppen, die ebenfalls aus 68 hervorgegangen waren; zusammen ergab dies die zukünftige Sektion der IKS in Frankreich. Die Diskussionen weiteten sich auf verschiedene Gruppen aus, die in anderen Ländern aufgetaucht waren, so namentlich auf “World Revolution” in Großbritannien, “Internationalism” in den USA, “Rivoluzione Internazionale” in Italien, “Acción Proletaria” in Spanien. Schließlich entschieden diese sechs Gruppen, die alle sehr ähnliche Plattformen hatten, an einer Konferenz im Januar 1975, eine einheitliche Organisation zu gründen, die Internationale Kommunistische Strömung.

Eine der Aufgaben, die sich diese neue internationale Organisation gegeben hatte, war die Ausarbeitung einer politischen Plattform, welche die Klassenpositionen zusammenfasste und den Grad an Klarheit ausdrückte, den ihre Mitglieder nach sieben Jahren Diskussion, Nachdenken und Intervention in der Klasse erreicht hatten. Diese Plattform wurde im Januar 1976 am Ersten Kongress der IKS angenommen und hat seither die Grundlage für die neuen Beitritte zur Organisation dargestellt. Diese Dokument veröffentlichen wir in dieser Broschüre (wobei die Berichtigungen berücksichtigt sind, die am 3., 7. und 14. Kongress der IKS in den Jahren 1979, 1987 und 2001 verabschiedet worden sind). Es ist ein Dokument mit einem programmatischen Charakter, das mit Ausnahme seiner Einleitung, die sich auf Ereignisse der Zeit bezieht, in der sie verfasst wurde, und gewisser Formulierungen, die heute in der Vergangenheitsform geschrieben werden müssten (aus diesem Grund haben wir es auch für nützlich erachtet, einige Fußnoten anzubringen), für die ganze gegenwärtige historische Phase der Arbeiterbewegung gültig bleibt; diese Epoche wurde eröffnet durch den Eintritt des Kapitalismus in seine niedergehende Phase, durch die erste siegreiche proletarische Revolution in der Geschichte im Oktober 1917 und durch deren Degenerierung in der Folge ihrer internationalen Isolierung. Aus diesem Grund erachtete es der erste Kongress der IKS als nützlich, gleichzeitig ein anderes Dokument zu verabschieden, das Manifest der IKS, das wir als weiteren Text hier veröffentlichen und das auf den neuen historischen Kurs eingeht, der mit dem Erwachen des Weltproletariats Ende der 60er Jahre eingeschlagen wurde.

Dieses Dokument, das schon mehr als 20 Jahre alt ist, bezieht sich auf Ereignisse, welche die neuen Generationen nicht mehr sehr gut kennen werden. Aus diesem Grund halten wir es für sinnvoll, wenn wir es (noch mehr als die Plattform) mit gewissen Fußnoten ergänzen. Dies gilt umso mehr, als es Ende der 1980er Jahre zu einem einschneidendem Ereignis kam, dem Zusammenbruch der so genannten “sozialistischen” Regime in Europa und des gesamten Blocks, der von Russland angeführt worden war.

Genau dieses bedeutende historische Ereignis bildete für die IKS den Anlass, um am 9. Kongress ein weiteres Dokument zu verabschieden, nämlich das Manifest mit dem Titel “Kommunistische Revolution oder Zerstörung der Menschheit”, das wir nach den beiden anderen veröffentlichen.

Das Manifest des 9. Kongresses wurde also im Sommer 1991 angenommen. Es entwickelt die Analyse der IKS über die neue Weltlage nach dem Zusammenbruch eines ganzen Teils des kapitalistischen Systems: desjenigen des Ostblocks und der stalinistischen Regime. Dieses Ereignis, auf das zwei Jahre später der Ausbruch des Golfskrieges und die Auflösung des westlichen Blockes folgten, eröffnete eine neue Phase in der Geschichte des Kapitalismus: das Versinken der bürgerlichen Produktionsweise in seiner letzten Phase der Dekadenz, in derjenigen des Zerfalls. In diesem Sinn vervollständigt und aktualisiert dieses Dokument die beiden vorangehenden.

Um der Verantwortung angesichts der Ernsthaftigkeit der gegenwärtigen geschichtlichen Lage gewachsen zu sein, müssen die revolutionären Organisationen die Fakten aufmerksam zur Kenntnis nehmen. Sie müssen fähig sein, ihre Analysen der geschichtlichen Entwicklung anzupassen. Der Marxismus ist weder ein Dogma, noch eine erstarrte Theorie mit unveränderlichen Positionen, sondern umgekehrt eine lebendige Theorie. Damit die Theorie und die Methode des Marxismus eine wirksame Waffe im Kampf des Proletariats für seine Befreiung sein können, müssen sie ständig mit der geschichtlichen Wirklichkeit konfrontiert werden. Die vorliegende Broschüre der IKS hat das Ziel, dieser Notwendigkeit gerecht zu werden und natürlich gleichzeitig die kommunistischen Positionen festzuhalten, die unumkehrbar durch die Erfahrung der Arbeiterbewegung geklärt worden sind.

April 2004

Plattform der IKS – verabschiedet auf dem 1. Kongress 1975 

EINLEITUNG

Nach der längsten und tiefsten Konterrevolution seiner Geschichte kehrt das Proletariat langsam zum Weg des Klassenkampfes zurück. Diese Kämpfe, die als Folge einer sich seit Mitte der 1960er Jahre verschärfenden Krise des Systems entstanden sind und die durch das Auftauchen von neuen Arbeitergenerationen begünstigt wurden, welche weitaus weniger als ihre Vorfahren unter dem Gewicht der vergangenen Niederlagen der Arbeiterklasse zu leiden haben, gehören zu den größten Kämpfen, die die Arbeiterklasse je geführt hat. Seit ihrem Ausbruch 1968 in Frankreich sind die Arbeiterkämpfe von Italien bis Argentinien, von England bis Polen, von Schweden bis Ägypten, von China bis Portugal, von den USA bis Indien, von Japan bis Spanien zu einem Schreckgespenst für die Kapitalistenklasse geworden.

Das Wiederauftreten des Proletariats auf der Bühne der Ge­schichte hat endgültig all jene Ideologien wider­legt, wel­che von der Konterrevolution erzeugt bzw. ermöglicht wurden und die das revolutionäre Wesen des Proletariats leug­neten. Das derzeitige Wiedererstarken des Klassenkamp­fes zeigt ganz konkret, dass das Proletariat die einzige  revoluti­onäre Klasse unserer Zeit ist.

Eine revolutionäre Klasse ist eine Klasse, deren Herr­schaft über die Gesellschaft mit der Ent­faltung und Ausdeh­nung neuer Produktionsverhältnis­se übereinstimmt, welche durch den Entwicklungsstand der Produk­tivkräfte möglich und durch den Niedergang der alten, überholten Produk­tionsverhältnisse notwendig geworden sind. Wie frühere Produktionsweisen entspricht der Kapitalismus einer be­stimmten Stufe in der Entwicklung der menschlichen Ge­sell­schaft. Der Kapitalis­mus war einst eine fortschrittliche Form der gesellschaftli­chen Entwicklung gewesen, doch indem er sich auf die ganze Welt ausgedehnt hat, hat er gleichzeitig die Bedingungen für sein eigenes Ver­schwinden ge­schaffen. Aufgrund ihrer spezifi­schen Stel­lung im Produktions­prozess, aufgrund ihrer Ei­gen­schaft als kollektiv produzie­rende Klasse, die den Großteil des gesellschaftlichen Reichtums herstellt und aufgrund der Tatsache, dass sie die Produktionsmittel, welche sie in Bewe­gung setzt, nicht be­sitzt und daher kein Interesse an der Auf­rechter­haltung des Kapitalismus hat, ist die Arbeiterklasse die einzige Klasse in der Gesellschaft, welche sowohl objektiv als auch subjek­tiv eine neue, postkapitalistische Produktions­weise errichten kann: den Kom­munis­mus. Das gegen­wärtige Wiedererstarken des prole­tarischen Kampfes beweist erneut, dass die Perspektive des Kommunismus nicht nur eine historische Notwendigkeit, sondern eine reale Möglichkeit ge­worden ist.

Das Proletariat muss jedoch noch große Anstrengungen un­ter­nehmen, um die Mittel für die Zerstörung des Kapi­talis­mus er­folgreich zu schmieden. Als Ergebnis dieser Bemühun­gen und als aktive Faktoren in diesem Prozess tragen die revo­lutionä­ren Strömungen und Ele­mente, welche seit dem Wiedererstarken der Klasse ent­standen sind, eine enorme Ver­antwortung für die Entwick­lung und für den Aus­gang dieses Kamp­fes. Um dieser Auf­gabe gerecht zu werden, müssen sie sich auf der Grundlage von Klassenpositionen organi­sieren, die durch die entsprechenden Erfahrungen des Proletariats endgültig festgelegt worden sind. Diese müs­sen alle Akti­vitäten und jegliche Intervention innerhalb der Klasse bestimmen.

Durch seine eigene praktische und theoretische Erfahrung wird sich das Proletariat der Mittel und Ziele seines histori­schen Kampfes für die Zerstörung des Kapitalismus und für den Auf­bau des Kommunismus bewusst. Seit dem Be­ginn des Kapita­lismus sind die gesamten Aktivitäten des Pro­letariats ein fortwähren­der Versuch, sich seiner Interes­sen als Klasse bewusst zu wer­den, sich von den Ideen der herrschen­den Klasse zu lösen und somit den Schleier der bürgerlichen Ideologie zu heben. Diese Bemühungen sind durch eine Kontinuität geprägt; eine Kontinuität, welche man in der gesamten Arbeiterbewegung antrifft, ange­fangen bei den ersten Geheimgesellschaf­ten bis hin zu den linken Fraktionen, welche aus der Drit­ten Internationa­le hervorgegangen sind. Trotz all der Verirrun­gen und anderer Merkmale des Drucks der bürgerlichen Ideologie, welche durchaus in ihren Positionen und Aktivitäten festgestellt werden können, sind die verschie­denen Organisationen der Klasse uner­setz­liche Glieder in der Kette der historischen Kontinuität des proletari­schen Kampfes.

Die Tatsache, dass sie an Niederla­gen oder innerem Verfall zugrunde gingen, schmälert nicht ihren grundsätzlichen Beitrag zu diesem Kampf. So drückt der Wiederaufbau der Organisation der Revoluti­onäre heute dieses allgemeine Erstarken des Proletariats nach einem halben Jahrhundert der Konterrevolution und des Bruchs in der Arbeiterbewegung aus. Die Organisation der Revo­lutionäre muss die historische Kontinuität mit der Arbei­terbewegung erneu­ern, damit die gegenwärti­gen und zukünftigen Kämpfe der Klasse sich mit den Lehren der vergangenen Kämpfe wappnen können und damit all die Teilniederlagen, welche ihren Weg säumen, nicht vergeblich gewesen sein sollen, sondern genauso viele Ver­sprechen für den endgültigen Sieg darstellen.

Die INTERNATIONALE KOMMUNISTISCHE STRÖMUNG (IKS) beruft sich auf die nacheinander vom Bund der Kommu­nis­ten und von der I., II. III. Internationalen sowie den Linksfraktio­nen, welche aus der letzteren hervorgegangen sind, erzielten Errun­gen­schaften, insbesondere die der deutschen, hol­ländi­schen und italienischen Linken. Diese grundlegenden Er­rungenschaften ermöglichen es, die Gesamtheit der Klas­sengrenzen in eine zu­sammenhängende und allgemeine Betrachtungsweise ein­zuglie­dern, wie sie hier in dieser Platt­form formuliert ist.

1. DIE THEORIE DER KOMMUNISTISCHEN REVOLUTION

Der Marxismus ist die grundlegende theoretische Errun­gen­schaft des proletarischen Kampfes. Auf seiner Grund­lage gehen alle Errungenschaften des proleta­rischen Kampfes in ein kohä­rentes Ganzes ein.

Indem er den Verlauf der Geschichte durch die Entwick­lung des Klassenkampfes erklärt, d.h. den Kampf zur Verteidigung der ökonomischen Interessen innerhalb eines durch die Ent­wicklung der Produk­tivkräfte bestimmten Rahmens, und indem er das Pro­letariat als den Träger der Revolution anerkennt, der den Kapitalismus abschaf­fen wird, wird der Marxismus zur einzigen Weltauf­fassung, die wirklich den Stand­punkt der Arbeiterklasse ausdrückt. Weit davon ent­fernt, eine abstrakte, theoretische Betrachtung über die Welt zu sein, ist der Marxismus somit in erster Linie eine Waffe für den Kampf der Arbeiterklasse. Und da die Ar­beiterklasse die erste und einzige Klasse ist, deren Befrei­ung notwendigerweise die Emanzipation der ganzen Mensch­heit beinhaltet und deren Herr­schaft über die Gesellschaft keine neue Ausbeutungsform, son­dern die Abschaffung jeglicher Ausbeutung bedeutet, ist der Marxismus allein dazu in der Lage, die soziale Wirklichkeit auf objektive und wissenschaftliche Weise, ohne Vorurteile und ohne Ver­schleierungen jeglicher Art zu begreifen.

Obgleich der Marxismus kein in sich abgeschlossenes System oder ein Dogma ist, sondern im Gegenteil eine sich ständig er­weiternde, bereichernde Theorie, die in direkter und leben­diger Verbin­dung mit dem Klassenkampf steht, und obgleich der Marxismus von den vorhergehenden theoretischen Er­rungenschaften der Arbei­terklasse gelernt hat, bietet der Mar­xismus seit seiner Entste­hung den einzigen Rahmen, innerhalb dessen sich die revolutionäre Theorie entwickeln kann.

2. DIE BEDINGUNGEN DER PROLETARISCHEN REVOLUTION

Eine soziale Revolution ist der Akt, durch den die Klasse, die der Träger der neuen Produktionsverhält­nisse ist, ihre politische Herrschaft über die Gesell­schaft errichtet. Die proletarische Revolution weicht nicht von dieser Definition ab, aber ihre Be­dingungen und ihr Inhalt unterscheiden sich grundlegend von den Revolutionen der Vergangenheit.

Da sich diese Revolutionen an der Schwelle zwischen  zwei vom Mangel gekennzeichneten Produktionsweisen befan­den, hatten sie zur Aufgabe, die Herrschaft einer ausbeu­tenden Klasse durch die Herrschaft einer anderen ausbeuten­den Klasse zu ersetzen. Diese Tatsache spie­gelte sich wider in der Erset­zung einer Ei­gentumsform durch eine andere Eigentumsform, in einer Art von Privi­legien durch eine andere Art von Privilegien.

Die proletarische Revolution dagegen verfolgt das Ziel, die Produktionsverhältnisse, die auf Mangel beruhen, durch Produktionsverhältnisse zu ersetzen, welche  auf Überfluss basieren. Deshalb bedeutet die proletarische Revolution das Ende aller Eigentumsformen, aller Privi­legien und aller Aus­beutung.

Diese Unterschiede verleihen der proletarischen Revolu­tion die folgenden Eigenschaften, welche die Arbeiter­klasse begreifen und beherrschen muss, um sie erfolg­reich durch­zuführen:

a)      Die proletarische Revolution ist die erste Form von Re­volu­tion, die weltweit stattfindet. Sie kann ihre Ziele nur erreichen, indem sie sich auf alle Länder ausdehnt, da sie bei der Abschaffung des Privateigentums alle lokalen, regionalen und nationalen Barrieren, die mit dem Privateigen­tum zusammenhängen, abschaffen muss. Die Ausdehnung der Herr­schaft des Kapitalismus auf Weltebene hat es ermöglicht, dass diese Notwendigkeit auch zu einer Möglichkeit geworden ist.

b)  Zum ersten Mal in der Geschichte ist die revolutionäre Klasse von morgen gleichzeitig auch die ausgebeutete Klasse des alten Systems. Daher kann sie sich auf keinerlei ökonomische Macht bei der Erobe­rung der politischen Macht stützen. Im Gegensatz zur bisherigen Geschichte geht der Über­gangsperiode, in der die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zugunsten der kommunistischen zerstört wird, notwendigerweise die Übernahme der poli­tischen Macht durch das Prole­tariat voraus.

c)      Die Tatsache, dass zum ersten Mal eine Gesellschaftsklasse gleichzeitig ausgebeutet und revolutionär ist, bedeutet des weiteren, dass ihr Kampf als ausgebeutete Klasse zu keinem Zeitpunkt ihrem Kampf als revolutionärer Klasse entgegengestellt oder von ihm getrennt werden kann. Im Gegenteil. Wie der Marxismus seit jeher gegen die Proudhonschen und kleinbürgerlichen Thesen bekräftigt hat, wird die Entwicklung des revolutionären Kampfes durch die Vertiefung und Generali­sie­rung des Kampfes des Proletari­ats als ausgebeutete Klasse be­stimmt.

3. DIE DEKADENZ DES KAPITALISMUS

Damit die proletarische Revolution von der Stufe des simplen Wunschdenkens oder der prinzipiellen Möglichkeit und histori­schen Per­spektive zur Stufe der konkreten Mög­lichkeit übergeht, muss sie zu einer objektiven Notwen­digkeit für die Entwicklung der Menschheit geworden sein. Diese histori­sche Lage ist mit dem I. Welt­krieg eingetreten: Der I. Weltkrieg kennzeichnet das Ende der aufsteigenden Phase der kapitalistischen Produkti­onsweise, die im 16. Jahrhundert begonnen und ihren Hö­hepunkt gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreicht hatte. Die seit­dem ange­brochene Phase ist die Epoche der Dekadenz des Kapita­lismus.

Wie in allen früheren Gesellschaften drückte die erste Phase des Kapitalismus die historische Notwendigkeit seiner spezifischen Produktionsverhältnisse aus, d.h. ihre unabdingbare Rolle in der Entwicklung der ge­sellschaftlichen Produktivkräfte. Die zweite Phase dagegen drückt die Verwandlung dieser Produktionsverhältnisse in immer höhere Barrieren gegen die Weiterentwicklung derselben Produktivkräfte aus.

Die Dekadenz des Kapitalismus ist das Ergebnis der Zuspitzung  der inneren Widersprüche dieser Produkti­onsform, die folgendermaßen definiert werden können: Obgleich in den meisten  vorkapitalistischen Gesell­schaften durchaus Waren existiert haben, ist die kapitalistische Wirt­schaft die erste, die ausschließlich auf der Warenproduk­tion fußt. Somit wird die Existenz ständig expandierender Märkte zu einer der Hauptbedin­gun­gen für die Entwicklung des Kapitalismus. Insbesondere ist die Realisierung des Mehrwerts, der durch die Ausbeu­tung der Arbeiterklasse produziert wird, unerlässlich für die Akkumula­tion des Kapitals, der Haupttriebkraft des Kapitals. Im Gegenteil zu dem, was die Verehrer des Kapitals suggerieren, schafft die kapita­listische Produktion jedoch nicht automa­tisch und wunschgemäß die für ihr Wachstum notwendigen Märkte. Der Kapitalis­mus entwickelte sich zunächst in einer nichtkapitalistischen Welt, worin er die für seine Entfaltung notwendigen Märkte fand. Nachdem er aber seine Produktionsverhältnisse auf die ganze Erde ausgedehnt und in einem einzigen Weltmarkt vereinig­t hatte, erreichte der Kapitalismus Anfang des 20. Jahrhunderts die Schwelle zur Sätti­gung derselben Märkte, die im 19. Jahrhundert noch seine ungeheure Ausdehnung er­möglicht hatten. Darüber hinaus wurde durch die wachsende Schwie­rigkeit des Kapitals, Märkte zu finden, wo sein Mehrwert reali­siert werden kann, der Druck auf die Profitrate ver­stärkt und ihr tendenzieller Fall bewirkt. Dieser Druck wird durch den ständigen Anstieg des konstanten, “toten” Kapitals (Produktionsmittel) zu Lasten des variablen, lebendigen Kapitals, die menschliche Arbeitskraft, ausgedrückt. Anfangs nur als Tendenz wirkend, wird der Fall der Pro­fitrate schließlich immer spürbarer und zu einer zusätz­lichen Bremse für den Akkumulationsprozess des Kapitals, also für die Funkti­onsweise des gesamten Systems.

Indem er den Warentausch vereint und auf der ganzen Welt ausgedehnt hat, der Menschheit so zu einem gro­ßen Schritt nach vorn verhelfend, hat der Kapitalis­mus gleichzeitig auch die Ablösung jener Produktionsverhält­nisse, die auf Warentausch beruhen, auf die Tagesord­nung der Geschichte gesetzt. Doch so lange das Pro­letariat noch nicht seine Mission erfüllt hat, sie zu zerstö­ren, halten sich diese Produkti­onsverhältnisse am Leben und stürzen die Mensch­heit in immer abscheulichere Widersprü­che.

Die Überproduktionskrise, ein charakteristischer Ausdruck der Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise und zur Zeit der Ausdehnung der Märkte, als das System noch “gesund” war, eine wichtige Antriebskraft, ist mittlerweile zu einer per­manenten Krise geworden. Die mangelnde Auslastung der Produktionskapazitäten ist heute zu einer ständigen Begleiterscheinung der kapitalistischen Produktionsweise geworden. Das Kapital erweist sich als unfähig, seine Herr­schaft auszudehnen und kann nicht einmal mit dem Bevölkerungswachs­tum Schritt halten. Das einzige, was das Kapital heute auf der Welt ausdehnen kann, ist die ab­solute Armut der Menschen, so wie sie in den rückständigen Ländern bereits herrscht.

Unter diesen Umständen kann die Konkurrenz unter den Kapitalisten nur noch erbarmungsloser werden. Seit 1914 hat der Imperialismus, der zum Überlebensmittel für jede Nation – gleichgültig, ob klein oder groß - geworden ist, die Menschheit in einen höllischen Zyklus von Krise, Krieg und Wiederaufbau gestürzt. Dieser Zyklus zeichnet sich durch eine enorme Waffen­produktion aus, die in zuneh­mendem Maße zum einzi­gen Be­reich wird, wo der Ka­pita­lismus wissenschaftliche Methoden gebraucht und die Pro­duktivkräfte zur Anwendung bringt. In der Ära der kapitalistischen Dekadenz überlebt die Mensch­heit nur auf der Grundlage ständiger Zerstörung und Selbst­verstüm­melung.

Die materielle Armut, welche die unterentwickelten Län­der trifft, findet in den fortgeschrittenen Ländern ihr Gegenpart in einer bisher nie erreichten Entmenschlichung der Bezie­hungen zwi­schen den Mitgliedern der Gesell­schaft. Dies ist auf die Tatsache zurückzu­führen, dass der Kapitalismus unfähig ist, der Mensch­heit irgendwel­che anderen Perspek­tiven anzubieten als die der Eskalation der mörderischen Kriege und einer noch syste­matischeren, rationalisierteren und wissenschaftlicheren Ausbeutung. Wie in allen früheren dekadenten Gesellschaften führt dies auch in der kapitalistischen Dekadenz zu einem wach­senden Verfall der gesellschaftlichen Institutionen, der herrschenden Ideologie, der mo­ralischen Werte, der schönen Künste und aller anderen kultu­rellen Erscheinungen des Kapitalismus. Die Entwicklung von Ideologien wie die des Faschismus oder die des Stalinismus drücken den Triumph aus, den die Barbarei feiert, wenn eine revolutionäre Alter­native fehlt.

4. DER STAATSKAPITALISMUS

In der dekadenten Periode einer Gesellschaft muss der Staat angesichts der Verschärfung der Widersprüche des Sys­tems die Verantwortung für den Zusam­menhalt der Gesellschaft und für die Aufrechter­haltung der be­stehenden Produktionsverhältnisse übernehmen. Somit neigt der Staat dazu, sich permanent zu verstärken, bis er die gesamte Gesellschaft in seine Strukturen einver­leibt hat. Die Aufblähung der imperialen Verwaltung bzw. der absoluten Mo­narchie waren Merkmale dieses Phänomens in der Deka­denz der römischen Sklaven­gesellschaft und des Feu­dalis­mus.

Auch in der Dekadenz des Kapitalismus ist die allgemeine Ten­denz zum Staatskapitalismus zu einem der vorherrschenden Kennzeichen des gesellschaftlichen Lebens geworden. Da in dieser Epoche kein nationales Kapital in der Lage ist, sich uneingeschränkt zu entwickeln, und jedes von ihnen mit einer unbarmherzi­gen imperialistischen Konkurrenz konfrontiert ist, wird jedes Nationalkapi­tal gezwungen, sich so effektiv wie möglich zu organi­sieren, um sich nach außen, gegen seine Rivalen, ökonomisch und militärisch bestmöglich zu wappnen und um im Innern der wachsenden Zuspitzung der gesellschaftli­chen Widersprüche Herr zu werden. Die einzige Kraft in der Gesell­schaft, die diese Aufgaben durchführen kann, ist der Staat.

Nur der Staat kann:

-   die Volkswirtschaft global und zentral kon­trol­lieren und die innere Konkurrenz reduzie­ren, welche die Wirt­schaft schwächt. Dabei lautet seine oberste Maxime, die Konkur­renzfä­higkeit der nationalen Wirtschaft zu stärken, um der Konkurrenz auf dem Weltmarkt vereint zu begegnen;

-          die militärischen Vorkehrungen treffen (Aufbau von militärischen Streitkräften), welche für die Verteidigung der Interessen des nationalen Ka­pitals in Anbetracht der Verschärfung der internationalen Ge­gensätze notwendig sind;

-     schließlich dank eines ständig verstärkten Unterdrückungsapparates und seiner Büro­kratie den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft stärken, welcher durch den sich beschleunigenden Ver­fall ihrer ökonomischen Grund­lagen bedroht ist. Nur der Staat kann mit­tels seiner allgegenwär­tigen Gewalt die Aufrechterhaltung einer Gesellschaftsstruktur er­zwingen, welche immer weniger dazu in der Lage ist, die Verhält­nisse zwischen den Menschen spontan zu regulieren. Und diese Ge­sellschaftsstruktur wird um so mehr in Frage gestellt, je mehr sie zu einer Absurdität für das Über­leben der Gesellschaft selbst wird.

Im ökonomischen Bereich drückt sich diese Tendenz zum Staatskapitalismus, obgleich sie nie vollständig ver­wirklicht wird, durch die Tatsache aus, dass der Staat  alle Schlüssel­stel­lungen des Produktionsapparates übernimmt. Das be­deutet nicht, dass das Wertgesetz, die Konkurrenz oder die Anarchie der Produktion verschwin­den, welche die fundamentalen Eigen­schaften der kapitalistischen Wirtschaft sind. Diese bleiben auf internationaler Ebene gültig, wo die Gesetze des Marktes weiterhin herrschen und somit die Produktionsbedingun­gen innerhalb einer jeden nationa­len Wirtschaft bestimmt werden, gleichgültig, wie hoch der Grad der Ver­staatlichung auch sein mag. Die “Vergewaltigung” des Wertgesetzes und der Gesetze der Konkurrenz geschieht nur deshalb, weil sie in diesem Rahmen wirksamer funktionieren können. Wenn die Anarchie in der Produktion angesichts der staatlichen Planung auf nationaler Ebene zurück­zuge­hen scheint, so tritt sie um so stärker auf Weltebene auf, insbesondere während der heftigen Kri­sen des Systems, welche auch der Staatskapitalismus nicht vermeiden kann. Weit da­von ent­fernt, eine “Rationali­sierung” des Kapitalismus zu sein, ist der Staatskapi­talismus nichts anderes als ein Aus­druck des Verfalls desselben.

Diese wachsende Unterwerfung des Kapitals unter den Staat vollzieht sich entweder schrittweise durch die Verschmel­zung von “privatem” Kapital und Staatskapi­tal, wie dies in den am weitesten entwickelten Ländern der Fall ist, oder durch sprung­hafte und lückenlose Verstaatlichungen dort, wo das private Kapital am schwächsten ist.

Die Tendenz zum Staatskapitalismus tritt in allen Län­dern der Welt auf. Sie beschleunigt sich und bricht dort am heftigsten aus, wo die Auswirkungen der Dekadenz am gewalt­tätigsten aufbrechen: historisch gesehen während der offenen Krisen oder in Kriegszeiten, geographisch gesehen in den wirtschaftlich schwächsten Ländern. Doch der Staatskapita­lismus ist kein Phänomen, das nur für die schwächsten Länder typisch wäre. Im Gegenteil: obgleich der Grad der formalen Verstaatli­chungen in den unterentwickelten Ländern oft am  höchsten ist, erweist sich die wirkliche Kontrolle des Wirtschaftsle­bens durch den Staat in den höchstentwi­ckelten Ländern im allgemeinen als weitaus wirksa­mer. Der Grund hierfür liegt im hohen Konzentrati­onsgrad des Kapitals dieser Länder.

Im politischen und sozialen Bereich drückt sich die Tendenz zum Staatskapitalismus durch die Tatsache aus, dass sowohl in den extremsten totalitären Formen wie dem Faschismus oder dem Stalinismus als auch in der Form, die sich unter der demokrati­schen Maske versteckt, der Staatsapparat und vor allem die Exekutiv­gewalt eine immer mächtigere Kontrolle ausüben, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringen. Auf einer ungleich höhe­ren Ebene als in der Deka­denz des Römischen Reiches oder des Feudalismus ist der Staat des dekadenten Kapitalismus zu einer Furcht erregenden, kalten und anonymen Maschinerie geworden, die die eigentliche Grund­lage der bürgerlichen Gesellschaft ruiniert hat.

5. DIE SO GENANNTEN “SOZIALISTISCHEN” LÄNDER

Durch die Konzentration des Kapitals in den Händen des Staats hat der Staatskapitalismus die Illusion geschaf­fen, dass das Pri­vateigentum an Produktionsmitteln abge­schafft und die Bour­geoisie ausgeschaltet worden sei. Die stalinisti­sche Theorie der Möglichkeit des “Sozia­lismus in einem Land” sowie die Lüge von den “soziali­stischen” oder “kommunistischen” Län­dern oder von Län­dern “auf dem Weg zum Sozialismus” haben alle ihre Wur­zeln in dieser Ver­schleierung.

Die von der Tendenz zum Staatskapitalismus hervorgeru­fenen Veränderungen finden nicht auf der Ebene der Pro­duktionsver­hältnisse statt, sondern nur im Bereich der juris­tischen Eigen­tumsformen. Sie lösen damit nicht den wahren Charakter des Privateigentums an den Pro­duktionsmitteln auf, sondern nur den juristischen Aspekt des individuellen Eigentums. Die Arbeiter ver­fügen über keine wirkliche Kontrolle des Gebrauchs der Pro­duktionsmittel, sie bleiben vollständig von ihnen getrennt. Die Produktionsmittel wer­den nur für die Bürokratie “vergesell­schaftet”, welche diese in Besitz hält und gemeinsam verwaltet.

Die Staatsbürokratie, die die spezifische ökonomische Funktion der Aneignung von Mehrarbeit des Proletariats und der Akku­mulation des nationalen Kapitals ausübt, bildet eine eigene Klasse. Doch handelt es sich nicht prinzipiell um eine neue Klasse. Aufgrund ihrer Funk­tion ist sie nichts an­deres als die alte Bourgeoisie in Gestalt des Staats.

Was die Staatsbürokratie mit ihren Privilegien von der “klassischen” Bourgeoisie unter­scheidet, ist nicht die Größe der Privilegien, sondern die Art und Weise, wie sie diese empfängt: Statt ihre Einkommen in Form von Dividen­den aufgrund des indivi­duellen Besitzes an Kapitalanteilen zu beziehen, erhält sie diese aufgrund der Funktion ihrer Mit­glieder in Form von “Unterhalts­kosten”, Prämien und festen Entlohnungen, die als “Gehäl­ter” erscheinen, welche um ein Vielfaches höher sind als der Lohn eines Arbeiters.

Die Zentralisierung und Planung der kapitalistischen Pro­duktion durch den Staat und seine Bürokratie sind nicht ein Schritt zur Abschaf­fung des Eigentums, sondern nur ein Mittel zur Intensivierung der Ausbeutung, um diese wirksamer zu gestalten.

Auf wirtschaftlicher Ebene hat Russland nie, auch nicht wäh­rend der kurzen Zeitspanne, als das dortige Proletariat die politi­sche Macht in den Händen hielt, den Kapitalismus vollständig ab­schaffen können. Der Staatskapitalismus trat dort so schnell in einer hochentwickelten Form auf, weil das wirtschaftli­che Chaos - zunächst durch die Niederlage im  I. Weltkrieg, dann durch den Bürgerkrieg bedingt - das Überleben Russlands als natio­nales Kapital innerhalb eines dekadenten Weltsystems ungeheuer erschwerte.

Der Sieg der Konterrevolution in Russland wurde im Namen der Reorganisierung der Volkswirtschaft in der höchstentwi­ckelten Form des Staatskapitalismus durchgeführt, was dann wiederum zynisch als “Fortsetzung der Oktoberrevolution” und als “Auf­bau des Sozialismus" dargestellt wurde. Dieses Beispiel wurde später auch anderswo aufgegriffen: China, Osteuropa, Kuba, Nordkorea, Vietnam usw. Es gibt überhaupt nichts Proletari­sches und noch weni­ger Kommunistisches an all diesen Ländern, wo unter dem Ge­wicht dessen, was eine der größten Lügen der Geschichte blei­ben wird, die Diktatur des Kapitals in einer ihrer dekadentesten Form herrscht. Jegliche selbst “kritische” oder nur bedingte Verteidigung dieser Länder ist eine absolut konter­revolutionäre Handlung.[1]

6. DER KAMPF DES PROLETARIATS IM DEKADENTEN KAPITALISMUS

Von Anfang an hat der Kampf der Arbeiterklasse für die Ver­teidigung ihrer Interessen die Perspektive der Zer­störung des Kapitalismus und des Aufbaus des Kommunismus in sich getra­gen. Doch das Proletariat strebt das Endziel seines Kamp­fes nicht aus reinem Idealismus an, gleichsam einer göttlichen Einge­bung folgend. Es wird im Gegen­teil dazu gezwungen, das kommu­nistische Projekt in Angriff zu nehmen, weil die materiellen Bedingun­gen, unter denen sich sein unmittelbarer Kampf entwickelt, es dazu nötigen. Jede andere Kampfform kann nur zu einer Katastrophe führen.

Solange es der Bourgeoisie dank der gewaltigen, weltweiten Ausdehnung des kapitalistischen Systems während seiner auf­stei­genden Phase möglich war, den Arbei­tern wirkli­che Reformen zu gewähren, waren die objektiven Vorbedingungen, die für die Verwirk­lichung des revolutionären Programms notwendig sind, noch nicht vorhanden.

Trotz der revolutionären kommunistischen Bestrebungen, die schon in der bürgerlichen Revolution durch die radi­kalsten Tendenzen des Proletariats zum Ausdruck gebracht wurden, war der Kampf der Arbeiter während jener histori­schen Periode auf den Kampf um Reformen beschränkt.

Zu lernen sich zu organisieren, um politische und öko­nomi­sche Reformen mittels des Parlamentarismus und der Ge­werkschaf­ten abzugewinnen, wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der Hauptbetätigungsfelder der pro­letarischen Aktivitäten. So fand man in den Arbeiter­organisati­onen reformistische Elemente (jene, die den Arbeiter­kampf nur als einen Kampf um Reformen be­trachteten) Seite an Seite mit Revolutionären (für die der Kampf um Reformen nur eine Stufe in jenem Prozess war, der zu den revolutionären Kämpfen führt). Auch konnte das Pro­letariat damals noch bestimmte Fraktionen der Bourgeoisie gegen andere, reaktionärere Fraktionen unterstützen, um gesellschaftliche Ver­ände­rungen zu seinem Gun­sten zu erzwingen. Dies ent­sprach dem damaligen Aufschwung in der Entwick­lung der Produktivkräfte.

All diese Bedingungen änderten sich grundlegend im de­kaden­ten Kapitalismus. Die Welt war zu klein geworden, um allem beste­henden nationalen Kapital Platz zu bie­ten. In jeder Nation ist das Kapital nun zu Produktivitätssteigerungen bis an die äußerste Grenze der Ausbeutung der Arbeiter gezwungen.

Die Organisierung der Ausbeutung des Proletariats bleibt nicht länger eine Angelegenheit zwischen Firmenchefs und  Arbei­tern; sie wird zur Hauptangelegenheit des Staates und seiner unzähligen Me­chanismen, die dazu dienen, die Arbeiter­klasse unter Kon­trolle zu halten, von jeder revolutionären Gefahr abzulenken und es einer systemati­schen und heimtückischen Unter­drückung zu unterwerfen.

Die Inflation, die seit dem I. Weltkrieg eine ständige Begleiterscheinung der kapitalistischen Ökonomie ist, frisst jede Lohnerhöhung auf. Die Arbeitszeit stag­niert, und wenn sie sinkt, dann nur, um die längeren Fahrzeiten zur  Arbeit aus­zugleichen oder um die vollkommene Zerstörung des Nerven­sys­tems der Arbeiter zu vermeiden, die immer schnelleren Lebens- und Arbeitsrhythmen unterworfen sind.

Der Kampf um Reformen ist zu einer hoffnungslosen Utopie geworden. In der heutigen Zeit gibt es für das Proletariat nur einen Kampf auf Leben und Tod. Es hat nunmehr keine andere Alternative, als entweder zu akzeptieren, in Millio­nen von Individuen aufgespalten, niedergeschlagen und für den Kapitalismus mobilisiert zu werden, oder sich dem Kampf zu stellen und dem Staat selbst  entgegenzutreten, indem es seine Kämpfe so weit wie möglich ausdehnt. Dabei muss sich das Proletariat vor der Gefahr hüten, sich auf eine rein ökonomi­sche, lokalistische oder be­rufsmäßige, auf die Fabrik be­schränkte Basis festlegen zu las­sen. Vielmehr muss es zu jener Organisations­form zurückfinden, die auch die Brutstätte der zukünftigen Machtorgane sein wird: die Arbei­terräte. Unter diesen neuen historischen Bedingungen sind viele alte Waf­fen des Proletariats unbrauchbar geworden. Jene politischen Strömungen, die ihren Gebrauch noch be­fürworten, tun dies nur, um die Arbeiterklasse fester an die Ausbeu­tung zu binden, um die Kampfbereitschaft der Ar­beiter­klasse effektiver zu zer­mürben.

Die von der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert praktizierte Unterscheidung zwischen dem Minimal- und Maximal­programm hat ihren Sinn verloren. Das Minimal­programm ist nicht mehr möglich. Das Proletariat kann seine Kämpfe nur vorantreiben, indem es sie auf die Perspektive des Maximal­programms festlegt: die kommunistische Revolution.

7. DIE GEWERKSCHAFTEN: FRÜHER  ORGANE DES PROLETARIATS, HEUTE INSTRUMENTE DES KAPITALS

Im 19. Jahrhundert, dem Zeitraum der größten Blüte des Kapi­talismus, baute die Arbeiterklasse - oft nur mittels erbit­terter und blutiger Kämpfe - ihre permanenten Be­rufsorgani­sationen auf, deren Rolle darin bestand, ihre ökonomischen Interessen zu verteidigen. Die Gewerkschaften spielten eine Hauptrolle im Kampf um Reformen und um grundlegende Verbesse­rungen der Lebensbedingungen der Arbei­ter; Verbesserungen, die damals vom System noch zugestanden werden konnten. Die Gewerkschaften spielten auch eine zentrale Rolle beim Zusammenschluss der Klas­se; sie bildeten einen Ort, wo diese ihre Solidarität und ihr Bewusstsein schulen konnte. Aus diesen Gründen konnten die Revolutionäre noch innerhalb der Ge­werkschaf­ten intervenieren; sie wollten aus ihnen “Schulen des Kommunis­mus” machen. Obgleich die Existenz dieser Or­gane untrennbar mit der Lohnarbeit verbunden und die Gewerkschaften damals schon stark bürokratisiert waren, waren sie dennoch reelle Organe der Klasse, stand doch die Abschaffung der Lohnarbeit noch nicht auf der Tages­ordnung der Geschichte.

Mit dem Eintritt in seine dekadente Phase war der Kapitalismus unfähig geworden, der Arbeiterklasse weitere Reformen und Verbesserungen ihres Lebensstandards zuzugestehen. Nach­dem die Gewerkschaften nun nicht mehr in der Lage waren, ihre ur­sprüngliche Rolle - die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse - zu erfüllen, und angesichts einer historischen Lage, in der nur die Abschaffung der Lohnarbeit und damit das Verschwinden der Gewerkschaften auf der Tages­ordnung steht, sind die Gewerk­schaften, um ihr eigenes Überleben zu legitimieren, faktisch zu Agenten des Kapita­ls, zu Ver­tretern des bürgerlichen Staats inner­halb der Arbeiterklasse ge­worden. Diese Entwicklung wurde begünstigt durch die Bürokratisierung der Gewerkschaften bereits vor der Dekadenzphase und durch die unerbittliche Tendenz des Staats im Zeitalter der Dekadenz, alle Strukturen des Gesellschaftslebens zu absorbieren.

Die arbeiterfeindliche Rolle der Gewerk­schaften zeigte sich erstmals deutlich im I. Weltkrieg, als sie neben den sozialdemokratischen Parteien bei der Mobilisie­rung der Arbeiter für das impe­rialistische Gemetzel mit­wirkten. In der revolu­tionären Welle nach dem Krieg taten die Gewerkschaf­ten alles in ihrer Macht Stehende, um die Versuche des Proletariats, den Kapitalis­mus zu zerstören, zum Schei­tern zu bringen.

Seitdem sind sie nicht von der Arbeiterklasse am Leben erhalten worden, sondern vom kapitalistischen Staat, für den sie sehr wichtige Dienste erfüllen:

-        ihre aktive Mitarbeit bei den Bemühungen des kapitalisti­schen Staats, die Wirtschaft zu rationalisieren, den Verkauf der Ar­beitskraft zu regeln und die Ausbeu­tung zu verschärfen;

-   die Sabotage des Klassenkampfes, sei es, indem sie Streiks und Revolten in die Sackgasse der Kategorisierung (d.h. Beschränkung auf die Fabrik, Region, Stadt, auf das Land usw.) führen oder indem sie der autonomen Bewegung der Klasse mit offener Un­terdrückung entgegentreten.

Da die Gewerkschaften ihren proletarischen Charakter verloren haben, können sie weder von der Arbeiterklasse zurückerobert werden noch ein Betätigungsfeld für die revolutionären Minderheiten darstellen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert sinkt das Interesse der Arbeiter an den Aktivitäten dieser Or­gane, die zu einem festen Bestandteil des bürgerli­chen Staats geworden sind. Die Kämpfe der Arbeiter gegen die ständige Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen streben danach, die Form von wilden Streiks außerhalb und gegen die Gewerkschaften anzunehmen. Von den Vollversammlungen der Streikenden geführt und in den Fällen, wo sie sich ausdehnen, von Delegiertenkomitees koordiniert - deren De­legierte von den Vollversammlungen gewählt und jederzeit abgewählt werden können -, erreichen diese Kämpfe sofort eine politische Dimension, da sie zur Konfrontation mit dem Staat in Gestalt seines  Stellvertreters in den Betrieben, den Gewerkschaften, gezwungen werden. Nur die Ausdehnung und Radikalisierung dieser Kämpfe ermöglicht es der Klasse, von der Verteidigung zum offenen Frontalangriff gegen den kapitalistischen Staat über­zugehen. Die Zerstörung des bürgerlichen Staats beinhaltet also notwendiger­weise die Zerstörung der Gewerkschaften.

Der arbeiterfeindliche Charakter der alten Gewerk­schaften ist nicht einfach darauf zurückzuführen, dass sie auf eine be­stimmte Art organisiert sind (nach  Berufsgruppen oder in In­dustriebran­chen) oder dass sie “schlechte Führer” hätten. Er ist vielmehr auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Ar­beiterklasse in der ge­genwärtigen Periode keine ständigen 0rgane für eine wirksame Verteidigung ihrer ökonomischen Interessen aufrechter­halten kann. Daher trifft der bürgerliche Charakter dieser Organe ebenso auf die “neuen” gewerk­schaftlichen Organisationen zu, die sich ähnliche Aufgaben setzen, unabhängig davon, wie sie organisiert sind und was ihre ursprünglichen Absichten waren. Er trifft gleichermaßen auf die “revolutionären Gewerkschaften” und­ Betriebs­räte wie auch auf Organe wie die Arbeiterkomitees,  Arbeiterkommis­sionen usw. zu, die nach einem Kampf fortbestehen, selbst wenn sie sich feindlich gegenüber den etablierten Gewerkschaften verhalten und sich ehrlich um die Verteidigung der unmittelbaren Arbeiterinteressen bemüht geben. Diese Organisationen können nicht vermei­den, in den Apparat des bürgerlichen Staats integriert zu werden, selbst wenn sie inoffizielle oder illegale Organe sind.

Alle politischen Strategien, die darauf abzielen, gewerk­schaftli­che Organisationen auszunutzen, wiederaufzu­bauen oder zurückzuerobern, dienen nur den Interessen des Kapitalismus, da sie versuchen, bürgerlichen Instituti­onen, aus denen die Arbeiter z.T. schon geflohen sind, neues Leben einzuhau­chen. Politische Strömungen, die nach mehr als einem halben Jahrhundert Erfahrung mit dem arbeiterfeindlichen Klassen­charakter dieser Organisationen immer noch diese Strategien verfolgen, gehören somit dem Lager der Konterrevolution an.

8. DIE Wahlen und die Mystifizierung des Parlaments

In der aufsteigenden Phase des Kapitalismus war das Parla­ment jene Form, die am besten für die Organisierung des politi­schen Le­bens der Bourgeoisie geeignet war. Da es eine spe­zifisch bürger­liche Institu­tion ist, war es nie ein be­vorzugtes Gebiet für die Aktivitäten der Arbeiterklasse. Die Teilnahme des Pro­letariats am parla­mentarischen Leben und an den Wahlkam­pagnen barg eine Vielzahl von Gefahren, auf die die Revolutionäre im letzten Jahr­hun­dert die Klasse stets aufmerksam gemacht haben. Zu einer Zeit jedoch, als die Revolution noch nicht auf der Tages­ordnung der Geschichte stand und das Proletariat dem System noch Re­formen abringen konnte, ermöglichte das Mitwirken am parlamentarischen Leben dem Proletariat, das Parlament als Druckmittel zugunsten von Reformen zu benut­zen. Die Wahlkampagnen konnten auch als Mittel zur Propaganda und Agitation für das proletarische Programm genutzt wer­den. Darüber hinaus war es möglich, das Parlament in eine Tri­büne für die Anprangerung des heuchlerischen Charakters der bürgerlichen Politik zu verwandeln. Deshalb war der Kampf für das allgemeine Wahlrecht während des 19. Jahrhun­derts in vielen Ländern eine der wichtigsten Forderun­gen, für die sich das Pro­letariat organisierte.

Als das kapitalistische System in seine Phase der Deka­denz ein­trat, hörte das Parlament auf, ein Instrument zur Erlangung von Refor­men zu sein. Wie die Kommunistische Interna­tionale auf ihrem II. Kon­gress formulierte: "Der Schwerpunkt des politischen Lebens hat sich vollkommen aus dem Parlament verschoben, und zwar endgültig."

Die einzige Rolle, die das Parlament von da an spielen konnte, das einzige, was es am Leben hält, ist seine Rolle als ein Mittel der Mystifizierung: Somit war es für das Proletariat nicht mehr möglich, das Parla­ment auf irgendeine Art zu nutzen. Die Arbeiter­klasse kann keine unmög­lich gewor­denen Reformen mittels eines Organs erringen, das jegliche poli­tische Funktion verloren hat.

Jetzt, wo die grundlegende Aufgabe des Proletariats darin be­steht, alle Institutionen des bürgerlichen Staats und somit auch das Parlament zu zerstören, wo die Arbeiterklasse auf den Trümmern des allgemeinen Wahl­rechts und der anderen Über­reste der bürgerlichen Gesell­schaft ihre eigene Diktatur er­rich­ten muss, kann die Teil­nahme am Parlament und an Wahl­kam­pagnen - un­geachtet der Absichten, die von ihren Befür­wortern ver­folgt werden - nur dazu führen, einem im Sterben liegenden Körper einen Anschein von Leben einzuhauchen.

Die Beteiligung an Wahlen und am Parlament bringt heute keinen der Vorteile, die sie im 19. Jahrhundert bot. Dagegen bringt sie eine Reihe von Gefahren und Nachteilen mit sich, insbesondere die Gefahr, die Illusionen über die Möglichkeit eines friedlichen oder schrittweisen Übergangs zum Sozialismus durch die Eroberung einer parlamentarischen Mehrheit in Gestalt der so genannten Arbeiterparteien am Leben zu halten.

Die Strategie der “Zerstörung des Parlaments von Innen”, an der die “revolutionären Abgeordneten” teilnehmen sol­len, hat nie ein anderes Resultat gezeitigt als die Kor­rumpierung der politischen Organisa­tionen, die solche Ver­suche unternahmen, sowie ihre Absorbierung durch den Kapita­lismus.

Schließlich stärkt der Gebrauch der Wahlen und des Par­laments als Propaganda- und Agitationsmittel die Neigung, die politi­schen Mechanismen der bürgerlichen Gesell­schaft aufrechtzu­erhalten und die Passivität der Arbei­ter zu för­dern, handelt es sich beim Parlament doch hauptsäch­lich um eine Angelegenheit von Spe­zialisten, die die Machenschaften der politischen Par­teien auf Kosten der selbständi­gen Aktivität der Massen fördert. Sol­che Nachteile waren hinnehmbar, als die Revolution noch keine unmittelbare Möglichkeit war. Heute jedoch sind sie zu entschei­denden Hindernissen geworden, da die ein­zige Aufgabe, die mittlerweile auf der Tagesordnung der Geschichte steht, der Umsturz der alten Gesellschaftsordnung und die Schaffung einer kommunisti­schen Gesellschaft ist. Diese Auf­gabe erfordert die aktive und bewusste Teilnahme der ganzen Klasse.

Während anfangs die Taktiken des “revolutionären Par­la­mentarismus” hauptsächlich ein Ausdruck des Ge­wichtes und des Einflusses der (noch jungen) Vergangenheit auf die Arbeiterklasse und ihre Organisationen waren, so zei­gen heute die furchtbaren Ergeb­nisse solcher Taktiken, dass sie nur noch eine konterrevo­lutionäre Rolle in  der Klasse spielen können. Daher sind jene Strö­mungen, die heute den “revo­lutionären Parlamentarismus” befürwor­ten, eben­so wie jene, die den Parlamentarismus als ein Instru­ment der sozialisti­schen Umwälzung der Gesellschaft propagieren, unwiderruf­lich Teil des bürgerlichen Lagers.

9. VOLKSFRONTPOLITIK: EINE STRATEGIE ZUR IRREFÜHRUNG DES  PROLETARIATS

Im dekadenten Kapitalismus, in dem der einzige historische Fortschritt die proletarische Re­volu­tion ist, kann es zwi­schen der revo­lutionären Klasse und Fraktionen der herr­schenden Klasse - einerlei, wie progressiv, demokra­tisch oder populär sie auch zu sein vorgeben - kein ge­meinsames Anliegen geben, auch nicht vorübergehend. Im Ge­gensatz zur auf­steigenden Phase des Kapitalismus macht es die Dekadenz des Systems allen Fraktio­nen der Bourgeoisie unmöglich, eine progressive Rolle zu spie­len. Insbesondere hat die bür­gerliche Demokratie, wel­che im 19. Jahrhundert eine fort­schrittliche politische Form im Vergleich zu den Überresten des Feudalismus war, in der Ära der Dekadenz jegliche wirkliche politi­sche Substanz verloren. Sie be­steht nur als Kulisse, die zur Kaschierung des staatlichen Totalitarismus dient. Die Fraktionen der Bour­geoisie, die die bür­gerliche Demokratie befürworten, sind ebenso reakti­onär wie alle anderen Frakti­onen der Bourgeoisie.

Seit dem I. Weltkrieg hat sich die “Demokratie” als ein heimtückisches Gift für das Proletariat erwiesen. Im Na­men der Demokratie wurden in mehreren europäischen Län­dern nach dem I. Weltkrieg revolutionäre Erhebun­gen niedergemet­zelt. Im Namen der Demokratie und des “Antifaschismus” wurden zig Millionen von Proletariern für den zweiten imperia­listischen Weltkrieg mobilisiert. Und ebenfalls im Namen der Demokratie versucht das Ka­pital heute, die Kämpfe des Proleta­riats in Bündnisse “gegen den Fa­schismus, gegen die Reaktio­näre, gegen die Unterdrückung, gegen den Totalitarismus” usw. umzuwan­deln.

Der Faschismus, ein spezifisches Produkt der Konter­revolu­tion, als das Proletariat am Boden war, steht heute überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Die ganze Pro­paganda über die “faschistische Bedrohung” ist eine enorme Mystifizierung. Darüber hinaus besaß (und besitzt) der Faschismus kein Monopol auf die Unterdrückung. Wenn die “demo­kratischen” oder linksbürgerlichen Strömungen den Fa­schismus mit der Unterdrü­ckung gleich­setzen, dann wollen sie damit die Tatsache ver­schleiern, dass sie selbst entschlos­sen von der Unterdrü­ckung Gebrauch machen, dass sie es selbst waren, die die Hauptarbeit bei der Niederschlagung der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse geleistet haben.

Ebenso wie die Volksfront und die antifaschistische Front hat sich die Taktik der Einheitsfront als ein wichtiges Mittel zur Schwä­chung und Ablenkung des proletari­schen Kampfes erwie­sen. Diese Taktiken, Bündnisse von revolutio­nären Orga­nisatio­nen mit den so genannten Arbeiterparteien zu befürworten, um diese später angeblich bloßzustellen, können in Wirklichkeit nur zur Auf­rechter­haltung der Illusionen über das “proletarische” Wesen dieser in Wirklichkeit bürgerlichen Parteien führen und somit den Bruch der Arbeiter mit denselben hinauszögern.

Die Autonomie des Proletariats gegenüber allen anderen Klassen der Gesellschaft ist die erste Vorbedingung für die Entwicklung des Klassenkampfes bis zur Revolution. Alle Bündnisse mit ande­ren Klassen oder Schichten und insbesondere Bündnisse mit Fraktionen der Bourgeoisie können nur zur Entwaffnung des Proletariats gegenüber seinen Feinden führen, da diese Bünd­nisse die Arbeiterklasse zur Aufgabe der einzigen Grundlage verleiten, auf der sie ihre Kräfte stärken kann: auf der Grundlage ihres Kampfes als Klasse. Jede politische Strö­mung, welche versucht, die Ar­beiterklasse von dieser Grundlage abzubringen, gehört dem Lager der Bourgeoisie an.

10. DER KONTERREVOLUTIONÄRE MYTHOS DER “NATIONALEN BEFREIUNG”

Die nationale Befreiung und die Bildung von neuen Natio­nen waren nie spezifische Anliegen des Proletariats. Als die Revo­lutionäre im 19. Jahrhundert bestimmte natio­nale Bewe­gungen unterstützten, war ihnen klar, dass es sich dabei um nichts anderes als um bürgerliche Bewegungen han­delte. Ebenso wenig unterstützten sie diese im Namen des “Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung”. Sie unter­stützten solche Bewegungen, da die Nation während der aufsteigenden Phase des Kapitalismus den ange­messensten Rah­men für die Entwicklung des Kapitalismus bildete und weil der Aufbau neuer National­staaten durch die Zerstörung der störenden Überreste der vor­kapita­listischen Gesellschaftsverhältnisse ein Schritt vor­wärts war bei der Entwicklung der Produktiv­kräfte auf Welt­ebene und somit im Reifungsprozess der materiellen Bedin­gungen für den Sozialismus.

Mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine dekadente Phase wird der Rahmen der Nation sowie der kapitalistischen Pro­duktionsver­hältnisse insgesamt zu eng für die Weiterentwicklung der Produk­tivkräfte. In der heutigen Situation, wo selbst die ältesten und mächtigsten Industrieländer sich nicht mehr ent­wic­keln können, führt die formale Bildung von neuen Ländern zu keinem wirklichen Fort­schritt. In einer zwi­schen den imperia­listischen Blöcken aufgeteilten Welt kann kein “nationaler Be­freiungskampf” mehr fortschrittlich sein, sondern faktisch nur ein Element im ständigen Konflikt zwischen den rivalisie­renden impe­rialistischen Blöcken bilden, wobei die Arbeiter und Bau­ern, gleichgültig, ob sie dazu gezwungen werden oder frei­willig daran teilnehmen, nur als Kanonenfutter dienen[2].

Solche Kämpfe schwächen den Imperialismus keineswegs, da sie ihn nicht an seinen Wurzeln, den kapi­talisti­schen Produktionsverhältnissen, angreifen. Wenn sie den einen imperi­alisti­schen Block schwächen, so verstärken sie damit nur den anderen. Die aus solchen Konflikten entstandenen neuen Nationen müssen selbst imperiali­stisch werden, da in der Epoche der Dekadenz kein Land - ob groß oder klein - umhin kann, eine imperialistische Politik zu betreiben.

Heutzutage kann ein “erfolgreicher” Kampf für die nationale Befreiung nur den Wechsel von einem imperialistischen Machthaber zum anderen bedeuten; für die Arbeiter insbeson­dere in den neuen “sozialistischen” Ländern bedeutet er eine Intensivie­rung, Systematisierung und Militarisierung  der Aus­beutung durch das nunmehr verstaatlichte Kapital. Die Barbarei des Systems manifestierend, verwandelt das Staatskapital die “befreite” Nation in ein riesiges Konzentrationslager. Im Gegensatz zu den Be­haup­tungen mancher Gruppen stellen diese Kämpfe für das Proleta­riat der so genannten Dritten Welt kein Sprungbrett für den Klas­senkampf dar. Indem sie die Arbeiter im Namen der patrioti­schen Mystifikationen für das nationale Kapital mobili­sieren, sind diese Kämpfe stets ein Ablenkungsmanöver vom proletari­schen Klassen­kampf, der in solchen Ländern oft sehr heftig ist. Die Ge­schichte in den letzten 50 Jahren hat überdeut­lich gezeigt, dass entgegen den Behauptungen der Kommunistischen Interna­tionale die nationalen Befreiungskämpfe weder als Initialzündung für den Kampf der Arbeiter in den Industrieländern noch als Anstoß zum Klassenkampf in den unterentwickelten Ländern wirken. Weder die einen noch die anderen haben etwas von solchen Kämpfen zu erwarten, und weder hier noch da haben die Arbeiter ein La­ger zu wäh­len. Gegen die moderne Version der “nationalen Verteidigung”,  als welche die nationale Unabhängigkeit dargestellt wird, kann der Schlachtruf der Revolutionäre nur lauten, wie er schon von den Revolutionä­ren während des I. Weltkriegs formuliert wurde: “Revoluti­onärer Defätismus, Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bür­gerkrieg!”. Alle Positionen zugunsten einer bedingungslosen oder “kritischen” Unterstüt­zung dieser Kämpfe  sind nicht weniger krimi­nell als die Haltung der Sozialchauvinisten wäh­rend des Ersten Weltkriegs. Daher sind sie mit einer kommu­nisti­schen Tätigkeit vollkommen unvereinbar.

11. SELBSTVERWALTUNG: SELBSTAUSBEUTUNG DER ARBEITER

Wenn der Nationalstaat selbst schon ein zu enger Rahmen für die Produktivkräfte geworden ist, so trifft dies um so mehr für die einzelnen Unternehmen zu, die noch nie wirklich selb­stän­dig gegenüber den allgemeinen Gesetzen des Kapitalis­mus waren. Im dekaden­ten Kapitalismus verschärft sich die Abhängigkeit der Unternehmen von diesen Gesetzen und vom Staat. Deshalb ist die “Arbeiterselbstverwaltung” (die Verwal­tung von Unterneh­men durch die Arbeiter inmitten der kapitalistischen Gesellschaft) eine kleinbürgerliche Uto­pie aus dem 19. Ja­hrhundert. Damals wurde sie von den proud­honistischen Tendenzen propagiert. Heute ist sie nichts anderes als eine bürgerliche Mystifikation[3]. Sie ist eine ökonomische Waffe des Kapi­tals, die den Zweck verfolgt, die Arbeiter zur Übernahme der Verantwortung für bankrotte Betriebe zu bewegen und sie zu veranlassen, sich selbst auszubeuten.

Ferner ist die “Arbeiterselbstverwaltung” eine politische Waffe der Konterrevolution, die dazu dient:

- die Arbeiterklasse zu spalten, indem diese von Fabrik zu Fab­rik, von Stadtviertel zu Stadtviertel voneinander getrennt und von Branche zu Branche voneinander isoliert wird;

-        die Arbeiterklasse an die Probleme der kapitalisti­schen Wirt­schaft zu fesseln, obwohl die Arbeiter gerade die Auf­gabe haben, den Kapitalismus zu zerstören;

-   das Proletariat von der grundlegenden Aufgabe, deren Lösung erst die Befreiung der Menschheit ermöglicht, abzulenken: der Zerstörung des politischen Ap­parates des Kapitals und der Errichtung seiner eigenen Klassen­diktatur auf Weltebene.

Das ist in der Tat die einzige Ebene, auf der das Prole­tariat die Verwaltung der Produktion übernehmen kann. Doch dies wird nicht im Rahmen der kapitalistischen Ge­setze gesche­hen, son­dern durch die Zerstörung derselben.

Alle politischen Strömungen, welche die “Arbeiterselbstverwaltung” als Bereicherung des Erfahrungsschatzes der Arbeiter oder als Entwicklung neuer Beziehungen zwischen den Arbeitern verteidigen, beteiligen sich somit objektiv an der Verteidigung der kapitalisti­schen Produktionsverhältnisse.

12.“PARTIELLE KÄMPFE”: EINE REAKTIONÄRE SACKGASSE

Die Dekadenz des Kapitalismus hat den Verfall aller mo­rali­scher Werte dieser Gesellschaft verstärkt und  zu einem Verfall der menschlichen Beziehungen ge­führt.

Es trifft zwar zu, dass die proletarische Revolution neue Ver­hältnisse in allen Lebensbereichen schaf­fen wird, doch ist es falsch zu glauben, dass man schon heute dazu beitra­gen kann, indem man spezifische, isolierte Kämpfe in Teilbereichen organi­siert, wie z.B. in der Frage des Rassismus, der Stel­lung der Frau, der Umweltverschmutzung, der Sexualität und ande­rer Aspekte des Alltagslebens.

Der Kampf gegen die ökonomischen Grundlagen des Sys­tems beinhaltet den Kampf gegen den Überbau der kapitalistischen Gesellschaft, aber umgekehrt trifft dies nicht zu. Aufgrund ihres Inhalts neigen die Teilkämpfe - welche die lebensnotwendige Autonomie der Arbeiterklasse keinesfalls ver­stärken - dazu, die Arbei­terklasse in spezifischen Kategorien (Rasse, Geschlecht, Jugend usw.) aufzulösen. Diese Katego­rien kön­nen als solche den Lauf der Geschichte in keiner Weise ändern. Deshalb haben die bürgerlichen Regierungen und Parteien schnell gelernt, die Teilkämpfe wirksam für ihre eigenen Zwecke zu missbrau­chen, um die bestehende Gesellschaftsord­nung aufrechtzu­erhalten.

13. DAS KONTERREVOLUTIONÄRE WESEN DER “ARBEITERPARTEIEN”

All jene Parteien oder Organisa­tionen, die heute be­stimmte Staaten oder Fraktionen der Bourgeoisie ge­gen andere verteidigen, auch wenn nur “bedingt” oder “kri­tisch" - sei es im Namen des “Sozialismus”, der “Demo­kratie”, des “Antifaschismus”, der “nationalen Unab­hängigkeit”, der ‚Einheitsfront‘ oder des “ge­ringeren Übels” -, die ihre Politik auf dem bürgerlichen Wahlzir­kus aufbauen, die an den arbeiterfeind­lichen Aktivitä­ten der Gewerkschaf­ten mitwirken oder an den Mystifizierungen der Selbstverwaltung, sind Organe des politischen Apparates des Kapitals. Dies trifft ins­besondere auf die “sozialisti­schen” und “kommunisti­schen” Parteien zu.

Diese Parteien, die einst die Avantgarde des Weltproletariats verkörperten, haben seither einen Prozess der Degeneration durchlau­fen, der sie  in das bürgerliche Lager geführt hat. Nachdem die Internationalen, denen diese Parteien angehört hatten (die sozialistischen Parteien der II. Internationale, die Kommunistischen Parteien der III. Internationale), als solche gestorben waren (ungeachtet des formalen Fort­bestehens ihrer Strukturen), haben diese Parteien nur noch weiter bestanden, um schritt­weise, jede für sich, zu (oft be­deutenden) Teilen des Räderwerks des bürger­lichen Staatsapparats in ihren Ländern zu werden.

Dies war der Fall bei der II. Internationale, als die großen ihrer Parteien, befallen vom Geschwür des Opportunismus und Zentrismus, mit dem Ausbruch des I. Weltkriegs (der den Tod der II. Internationale manifestierte) mehrheitlich dazu verleitet wurden, die Po­litik der “nationalen Verteidigung” zu praktizieren. Dies geschah unter der Führung der so­zialchauvinisti­schen Rechten, die sich zu diesem Zeitpunkt ins Lager der Bour­geoisie gesellte. Schließlich sind diese Parteien offen der revolutionären Welle von Kämpfen entgegengetreten und haben, wie in Deutschland 1919, die Rolle des Henkers der Arbeiter­klasse übernommen. Die endgültige Ein­gliederung aller dieser Parteien in den bürgerlichen Staat vollzog sich nach Ausbruch des I. Welt­kriegs. Dieser Integrationsprozess war Anfang der 20er Jahre endgültig abgeschlos­sen, nachdem die letzten proletari­schen Strömungen aus ihren Reihen ausge­schlossen worden waren - oder sie selbst verlassen hatten, um der Komintern beizutreten.

Nach einem ähnlichen Prozess der opportunistischen Degeneration sind auch die kommunistischen Parteien in das kapitali­stische Lager übergewechselt. Dieser Prozess, der bereits Anfang der 1920er Jahre begonnen hatte, setzte sich nach dem Tod der Kommunistischen Internatio­nale (der 1928 durch die Übernahme der “Theorie des Sozialismus in einem Land” gekennzeichnet war) weiter fort, um trotz erbitterter Kämpfe der linken Fraktionen und nach ihrem Aus­schluss schließ­lich mit der vollständigen Integration die­ser Parteien in den kapitalisti­schen Staat Anfang der 1930er Jahre zu enden, als diese sich den Rüstungswettläufen ihrer jewei­ligen Bourgeoisie anschlossen und in die Volksfronten eintraten. Auch ihre aktive Beteiligung am “antifaschistischen Wider­stand” während des II. Weltkriegs und am “natio­nalen Wiederaufbau” nach dem Krieg hat sie als treue Diener des nationalen Kapitals und als eine reine Verkörperung der Konterrevolution gezeigt.

All die sog. “revolutionären” Strö­mungen - der Maoismus, der nur eine Variante jener Parteien ist, die sich endgültig der Bourgeoisie angeschlossen haben; der Trotzkismus, der, nachdem er anfangs eine proletarische Reaktion gegen den Verrat der Kommunisti­schen Parteien gewesen war, einem ähnlichen Degenerationsprozess anheimfiel, oder der traditionelle Anar­chismus, der heute die gleiche po­litische Vorgehensweise vertritt und bestimmte Positionen mit den KPs und den sozialistischen Par­teien teilt (wie z.B. antifaschistische Bündnisse) - gehö­ren dem gleichen Lager an: dem des Kapitals. Ihr ge­ringerer Einfluss oder ihre radikalere Spra­che ändern nichts an den bürgerli­chen Grundlagen ihres Programms und ihrem Wesen, sondern macht sie zu nützli­chen Zutreibern, Anhängseln und Stellvertretern der etablierten Parteien.

14. DIE ERSTE GROSSE REVOLUTIONÄRE WELLE VON KÄMPFEN DES WELTPROLETARIATS

Der I. Weltkrieg hat nicht nur gezeigt, dass der Kapitalismus in seine dekadente Phase eingetreten ist, sondern auch, dass die objektiven Bedingun­gen für die proletarische Revolution reif gewor­den sind. Die revolutio­näre Welle, die als Antwort auf den Krieg und seine Folgen entstand und sich hauptsächlich in Russland und in Europa aus­dehnte, erfasste auch Amerika und China. Sie stellte somit den ersten Versuch des Weltproletari­ats dar, seine histori­sche Aufgabe, die Zerstörung des Kapitalismus, zu erfüllen. Auf dem Höhepunkt seiner Kämpfe, die von 1917 bis 1923 andauerten, über­nahm das Proletariat die Macht in Russland, erhob sich in Massen­aufständen in Deutschland und erschütterte Italien, Un­garn und Österreich zutiefst. Obgleich weniger kraft­voll, trat das Proleta­riat auch in anderen Ländern, wie z. B. in Spanien, Großbritannien, Nord- und Südamerika, mit großer Entschlossen­heit auf und lieferte sich erbitterte Auseinandersetzung mit den Herrschenden. Schlusspunkt der revolutionären Bewegung auf internationaler Ebene war die blutige Niederschlagung des Arbeiteraufstands in Schanghai und Kanton (China) 1927. Des­halb kann die Oktoberrevolution in Russland 1917 nur als wichtigster Ausdruck dieser mäch­tigen Klassenbewegung verstanden werden, und nicht als “bürgerliche”, “staatskapitalistische Dop­pelrevolution” oder als “permanente Revolution”, die das Prole­tariat in Russland dazu gezwungen hätte, stellvertretend für die unfähige Bourgeoisie “bürgerlich-demo­krati­sche” Aufgaben zu erfüllen.

Auch die Gründung der III. Internationale (der Kommunistischen Internationale) im Jahre 1919 war ein fundamentaler Akt dieser revolutionären Welle. Sie vollzog den organisatorischen und politischen Bruch mit den Parteien der II. Internationale, deren Beteiligung am impe­rialistischen Krieg ihren Übergang ins Lager der Bourgeoi­sie bedeutet hatte. Die bol­schewi­stische Partei war ein fester Bestandteil der revolu­tionären Linken. Diese hatte sich durch prä­zise, klare und zutreffende politi­sche Positionen von der II. Inter­nationale ab­gesetzt, wie ihre Parolen “Umwandlung des imperialis­tischen Krieges in einen Bür­gerkrieg”, “Zerstörung des bürgerlichen Staates” und “Alle Macht den Räten” sowie ihr ent­scheidender Anteil am Aufbau der Dritten Internationale verdeutli­chen. Sie leis­tete damit einen fundamentalen Beitrag zum revolutionä­ren Pro­zess und verkörperte damals die eigentliche Avant­garde des Proletariats.

Obgleich die Degeneration sowohl der Russischen Revolution als auch der III. Internationale hauptsächlich die Folge der Niederschlagung der revolutionären Auf­stände anderswo und des allge­meinen Abflauens der revoluti­onären Welle war, muss man dennoch auch die Rolle der Bolschewiki im Verlauf der Degeneration und der internati­onalen Niederlagen des Proletariats berücksichtigen, weil sie aufgrund der Schwäche der anderen Parteien die Hauptstütze der Kommunistischen Internati­onale waren. Angesichts der Nieder­schlagung des Aufstands von Kronstadt, der Praktizierung der Politik der “Eroberung” der Gewerkschaften (trotz des Widerstands der Linken in der Dritten Internatio­nale), des “revolutionären Parlamentarismus” und der “Einheitsfront” dürfen der Einfluss und die Verantwortung der Bolschewiki bei der Liquidierung der revolutionären Welle nicht geringer einge­schätzt werden als ihr positiver Beitrag bei der Ausbreitung dieser Welle.

In Russland selbst kam die Konterrevolution nicht nur von au­ßen, sondern auch von innen. Sie wurde insbesondere von jenem Staat getragen, dessen Strukturen von den Bolschewiki, nunmehr zur staatstragenden Partei ge­worden, auf­gebaut worden waren. Was im Oktober 1917 nur schwere Feh­ler wa­ren, die sich mit der Unreife des Proletariats in Russland im Besonderen und des Weltproletariats im Allgemeinen bei An­bruch des neuen Zeitalters erklären lassen, wurde nun zu einem Schutzwall und zur ideo­logischen Rechtferti­gung der Konterrevolution und sollte zu einem wichti­gen Faktor bei ihrem Triumph wer­den. Das Abklingen der revolutionären Welle nach dem I. Weltkrieg, die Degeneration der Russischen Revolution, der Verfall der III. Internationale und der bolschewistischen Partei sowie schließlich die konterrevolutionäre Wandlung der Bolschewiki kön­nen jedoch nur wirklich ver­standen werden, wenn man die revolutionäre Welle und die Dritte Internationale (ihre russi­sche Sektion eingeschlos­sen) als Ausdruck der proletari­schen Bewe­gung anerkennt. Jede andere Auffassung kann nur Ver­wirrung stiften und würde die Strömungen, die diesen Verwirrungen erlegen sind, davon abhalten, ihrer revoluti­onären Aufgabe wirklich nachzukommen.

Zwar haben diese Erfahrungen der Klasse keine “materiel­len” Gewinne abgeworfen, doch dafür sind ihre theoretischen Lehren von um so größerer Bedeutung; Lehren, die sich nur durch ein wirkliches Verständnis dieser Erfahrungen herauskristallisieren. Insbesondere hat die Oktoberrevolution von 1917 als einziges Beispiel in der Geschichte, in dem das Proleta­riat die politische Macht übernommen hat (abgesehen von den kurzen und leidvollen Erfahrungen der Pariser Kommune 1871 und der Räterepubli­ken in Bayern und Ungarn 1919), wertvolle Beiträge zum Ver­ständnis zweier Kernprobleme des proletarischen Kampfes geleistet: hinsichtlich des Inhalts der Revolution und des Wesens der Organisation der Revolutionäre.

"[...] Das moderne Proletariat geht anders aus geschichtlichen Proben hervor. Gigantisch wie seine Aufgaben sind auch seine Irrtümer. Kein vorgezeichnetes, ein für allemal gül­tiges Schema, kein unfehlbarer Führer zeigt ihm die Pfade, die es zu wandeln hat. Die geschichtliche Erfahrung ist seine einzige Lehrmeisterin, sein Dornenweg der Selbstbe­freiung ist nicht bloß mit uner­messli­chen Leiden, sondern auch mit unzähligen Irrtümern gepflastert. Das Ziel seiner Reise, seine Befreiung hängt davon ab, ob das Proletariat versteht, aus den eigenen Irrtü­mern zu lernen. Selbst­kritik, rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik ist Lebensluft und Lebenslicht der proletari­schen Bewegung. Der Fall des sozialistischen Proletari­ats im ge­genwärtigen Weltkrieg ist beispiellos, ist ein Unglück für die Menschheit. Verloren wäre der Sozialismus nur dann, wenn das internationale Proletariat die Tiefe des Falls nicht ermessen, aus ihm nicht lernen wollte." (Rosa Luxemburg in "Die Krise der Sozialdemokratie", 1916, Gesammelte Werke, Band 4, Seite 53)

15. DIE DIKTATUR DES PROLETARlATS

Die Übernahme der politischen Macht durch das Proletariat auf Weltebene ist eine Vorbedingung und der erste Schritt zur revolutionären Umwälzung der kapitalistischen Gesell­schaft. Sie bedeutet zunächst die vollständige Zerstö­rung des bürger­lichen Staatsapparates.

Da die Bourgeoisie gerade durch diesen Staat ihre Herr­schaft über die Gesellschaft ausübt sowie ihre Privi­legien und die Aus­beutung der anderen Klassen, insbeson­dere der Arbeiterklasse, aufrechterhält, ist dieses Organ notwendigerweise für diese Funktionen maßgeschneidert. Folglich kann der Staat nicht von der Arbeiterklasse ausgenutzt werden, da die Arbei­terklasse weder das eine noch das andere zu vertei­di­gen hat. Mit anderen Worten: es gibt keinen friedlichen Weg zum Sozi­alismus; das Proletariat kann der Gewalt, die, offen oder versteckt, immer systema­tischer von der ausbeutenden Minderheit - der Bourgeoisie - ausgeübt wird, nur seine ei­gene revolutionäre Klassengewalt entgegensetzen.

Um als Hebel bei der ökonomischen Umwälzung der Gesell­schaft zu funktionieren, muss sich die Diktatur des Proletariats - d.h. die Ausübung der politischen Macht ausschließlich durch die Arbeiter­klasse - der fundamentalen Aufgabe widmen, die ausbeutende Klasse durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu enteignen und schrittweise den vergesellschafteten Bereich auf den gesamten Produktions­apparat auszudehnen. Das Proletariat muss mittels seiner politischen Macht die bürgerliche Nationalöko­nomie angreifen, indem es eine Wirtschaftspolitik durchführt, die zur Abschaffung der Lohnarbeit und der Warenproduktion führt und auf die Be­friedi­gung der Bedürfnisse der Menschheit abzielt.

Während die­ser Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus werden - vom Proletariat abgesehen - ande­re nicht-ausbeu­tende Klassen und Schichten weiterhin bestehen bleiben. Ihre Existenz ist mit dem nicht-vergesellschafteten Bereich der Wirt­schaft eng verknüpft. Als Ausdruck der widerstrebenden ökonomischen Interessen wird der Klassenkampf daher weiterhin innerhalb der Gesellschaft existieren. Die Übergangsge­sell­schaft wird also einen Staat schaffen müssen, dessen wesentliche Rolle darin be­steht zu verhindern, dass die immer noch schwelenden Kon­flikte die Gesellschaft vollständig zerrei­ßen. Letztendlich wird jedoch mit der allmähli­chen Auflösung dieser gesell­schaftlichen Klassen durch die Integration ihrer Mitglieder in die vergesell­schaf­teten Bereiche auch der Staat selbst verschwinden.

Die Diktatur des Proletariats wird die Form von Arbei­terräten und vereinten Vollversammlungen annehmen, die auf der Ebene der ganzen Klasse organisiert und zentra­lisiert wer­den - mit ge­wählten und jederzeit abwählbaren Delegierten – und die eine wirklich kollektive und ungeteilte Ausübung der Macht durch die gesamte Klasse ermöglichen. Diese Räte müssen das Mono­pol über die Kontrolle der Waffen besitzen; das ist die Garantie dafür, dass allein die Arbeiterklasse die politische Macht ausübt.

Nur die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit kann die Macht im Sinne einer kommunistischen Umwandlung der Gesellschaft ausüben. Im Gegensatz zu allen anderen revolutionären Klassen der Ver­gangenheit kann sie ihre Macht nicht an irgendeine Institution oder Minderheit, die Minderheit der Revolutionäre eingeschlos­sen, übergeben. Die Revolutionäre handeln innerhalb der Räte, denn ihre eigene Organisation kann nicht die Einheitsorganisation der Klasse bei der Verwirkli­chung ihrer historischen Aufgaben er­setzen.

Auch hat die Erfahrung der Russischen Revolution die Kompliziertheit der Beziehun­gen zwischen der Klasse und dem Staat in der Übergangsperi­ode deutlich gemacht. In Zukunft kön­nen das Proletariat und die Revolutionäre dieses Problem nicht umgehen, sie müs­sen alles daransetzen, es zu lösen.

Die Diktatur des Proletariats beinhaltet die absolute Verwer­fung der Idee, dass sich die Arbeiterklasse irgend­einer äuße­ren Kraft unterwerfen soll; ebenso schließt die Diktatur des Pro­letariats jegliche Gewalt innerhalb der Klasse aus. Während der Übergangsperiode ist die Arbeiter­klasse die einzige revolu­tionäre Klasse in der Gesellschaft. Ihr Bewusstsein und ihr Zu­sammen­halt sowie ihre autono­men, selbständigen Handlungen sind die wesentlichen Garantien dafür, dass die Diktatur des Pro­letariats zum Kommunismus führt.

16. DIE ORGANISATION DER REVOLUTIONÄRE

a) Organisation und Klassenbewusstsein

Die Klassen, die gegen die bestehende Gesellschaftsord­nung ihrer Zeit kämpften, konnten dies nur wirksam tun, indem sie ihren Kampf organisierten und ihm eine bewusste Form gaben - wie unvollständig und entfremdet auch immer ihre Organisati­ons- und Bewusstseinsformen gewesen waren. Dies traf auch auf  Schichten wie die Skla­ven oder Bauern zu, die keine gesellschaftliche Zukunft in sich trugen. Um so mehr gilt dies für historischen Klassen, die die Träger neuer, durch die Entwicklung der Gesell­schaft bedingter Produktionsverhältnisse sind. Unter diesen Klassen ist das Proletariat die einzige Klasse, die in der alten Gesellschaft keine ökonomische Macht besitzt. Da­her sind seine Organi­sation und sein Bewusstsein um so entscheidendere Faktoren in seinem Kampf.

Die Organisation, die die Arbeiterklasse in ihrem re­volutionären Kampf bildet und die zur Ausübung ihrer politi­schen Macht dient, sind die Arbeiterräte. Dass die ge­samte Klasse Träger der Revolution ist und sich in diesen Organen zusammenfindet, bedeutet jedoch nicht, dass sich ihre Bewusstwerdung gleichmäßig und synchron entwickelt. Das Klassenbewusstsein bil­det sich in den Kämpfen heraus, es bahnt sich einen Weg durch die Nie­derlagen und Siege. Es muss sich gegen die nationalen und all die anderen Spaltungen stemmen, die den “natürlichen” Rahmen der kapitalisti­schen Gesellschaft bilden und innerhalb der Arbeiterklasse aufrechterhalten werden sollen.

b) Die Rolle der Revolutionäre

Die Revolutionäre sind jener Teil der Klasse, der als erster in diesem heterogenen Prozess zu einer “Einsicht in die Bedin­gungen, den Gang und die allgemeinen Resulta­te der proletari­schen Bewegung” (Kommunistisches Mani­fest) gelangt. Da in der kapitalistischen Gesellschaft die “herrschen­den Ideen die Ideen der herrschenden Klasse sind”, bilden die Revolutionäre zwangsläufig eine Minderheit der Klasse.

Aus der Klasse hervorgegangen, können die Revolutionäre als Ausdruck der Bewusstwerdung nur existieren, wenn sie sich organisieren und zu einem aktiven Faktor in diesem Bewusstwerdungsprozess werden. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muss die Or­ganisation der Revolutionäre:

an allen Kämpfen der Klasse teilnehmen, wobei sich die Mit­glieder der Organisation durch ihre entschlossene, kämpferische Haltung auszeichnen;

-       in diesen Kämpfen intervenieren und dabei immer die  allge­meinen Interessen der Klasse und die Endziele der Bewegung hervorheben;

-      sich im Rahmen dieser Interventionen und ihrer Verbesserung ständig den theoretischen Diskussionen und Vertiefungen wid­men. Nur so wird es den Revolutionären möglich sein, ihre allgemeinen Aktivitäten auf die Grundlage der gesamten Erfahrung der Klasse und der daraus hervorgehenden Zukunftsperspektiven zu stellen.

c) Die Beziehungen zwischen der Arbeiterklasse und der Organisation der Revolutionäre

Obgleich die allgemeine Organisation der Klasse und die Orga­nisation der Revolutionäre Teile ein- und derselben Bewegung sind, verkörpern sie doch Unterschiedliches.

Die Räte fassen die ganze Klasse zusammen. Das einzige Zugehörigkeitskriterium: Man muss Arbeiter zu sein. Die Or­ganisa­tion der Revolutionäre fasst dagegen nur die revo­lutionären Elemente der Klasse zusammen. Das Mitgliedschaftskriterium ist hier kein soziologisches, sondern ein politisches: die Überein­stimmung mit dem Programm der Organisation und die Bereitschaft, es zu  verteidigen. Daher können der Avant­garde der Klasse Indi­viduen angehören, die, soziolo­gisch gesehen, nicht zur Ar­beiterklasse gehören, die sich aber durch einen Bruch mit der Klasse, aus der sie stammen, mit den historischen Interessen des Prole­tariats identifizie­rt haben.

Obgleich die Klasse und die Organisation ihrer Avantgarde zwei unterschiedliche Dinge sind, können sie nicht vonein­ander ge­trennt werden. Entgegen den Behauptungen der “leninistischen”, aber auch der ouvrieristischen und rätekommunistischen Strömungen befindet sich die Organisation der Revolutionäre keineswegs außerhalb der Arbeiterklasse und steht ihr schon gar nicht gegenüber.

Diese Strömungen leugnen die Tatsache, dass bei­de Teile - die Klasse und die Revolutionäre - ­nicht zusammenstoßen oder sich gegenüberstehen, son­dern in Wirk­lichkeit einander ergänzen. Zwischen beiden kann es nie ein Kräftemessen geben, weil die Kom­munisten  “keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen”  (Kommunistisches Manifest) haben.

Als Teil der Klasse können die Revolutionäre zu kei­nem Zeitpunkt die Klasse substituieren, nicht in den Kämp­fen der Klasse innerhalb des Kapitalismus und noch weniger bei der Überwindung des Kapitalismus oder bei der Machtausübung durch die Arbeiterklasse. Im Gegensatz zu früheren historischen Klassen reicht das Bewusstsein einer Minder­heit, auch wenn sie noch so aufgeklärt ist, nicht aus, um die Aufgaben des Proletariats zu ver­wirklichen. Vielmehr ist die ständige Teilnahme und die schöpferi­sche Aktivität der gesamten Klasse dazu notwendig.

Die Generalisierung des Bewusstseins ist die einzige Garan­tie für den Sieg der proletarischen Revolution. Da dies haupt­säch­lich das Ergebnis der praktischen Erfahrung ist, sind die Eigenak­tivitäten der gesamten Klasse unersetzbar. Insbesondere darf der not­wendige Gebrauch der Gewalt durch die Klasse keine von der allgemeinen Klassenbewegung getrennte Aktivität sein. Da­her ist der Terrorismus, der von Individuen oder isolierten Gruppen aus­geübt wird, den Kampfmethoden der Arbeiterklasse vollkom­men fremd. Bestenfalls ist er Ausdruck kleinbürgerlicher Ver­zweiflung, wenn er nicht einfach ein zynisches Mittel im Kampf zwischen verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie ist.

Die Selbstorganisation der Arbeiterkämpfe und die Aus­übung von Gewalt durch die Klasse bilden keine getrennten Wege zum Kommunismus, wobei der eine gegen den anderen abgewogen wird. Nur zusammen stellen sie den einzigen Weg zum Kommunismus dar.

Die Organisation der Revolutionäre (deren höchst entwickelte Form die Partei ist) ist ein notwendiges Organ, das von der Arbeiterklasse für die Entwicklung des Bewusstseins über ihre historische Zukunft und für die entsprechende politische Orientierung ihres Kampfes geschaffen wird. Deshalb sind die Existenz und die Aktivitäten dieser einen Partei eine unverzichtbare Bedingung für den Endsieg des Proletariats.

d) Die Autonomie der Arbeiterklasse

Im Verständnis ouvrieristischer und anarchistischer Gruppierungen nimmt das Konzept der Arbeiterautonomie und ihre Gegenüberstellung zum Substitionismus einen reak­tionären und kleinbürgerli­chen Sinn an. Die Autonomie läuft bei diesen Gruppen auf nichts anderes hinaus als auf die eigene Unabhängigkeit als kleine Sekte, die sich als die Arbeiterklasse aufspielt, so wie die von ihnen kritisierten substitutionistischen Strömungen. Abgese­hen davon zeichnet sich die ouvrieristische und anarchistische Auf­fas­sung durch zwei grundsätzliche Gesichtspunkte aus:

-    durch die Ablehnung jeglicher politischer Parteien und Or­gani­sationen, wie immer sie auch aussehen mögen, durch die Ar­beiter;

-     durch die Autonomie eines jeden Teils der Arbeiterklasse ­(in Fab­riken, Nachbarschaften, Stadtvierteln, Regionen, Na­tionen usw.) ge­gen­über anderen Teilen der Klasse, d.h. den Föderalismus.

Heute sind solche Ideen im besten Fall eine emotionale Re­aktion gegen die stalinistische Bürokratie und gegen die Ent­wicklung des staatlichen Totalitarismus; im schlimmsten Fall sind sie allerdings der politische Ausdruck der für das Kleinbürgertum typischen Isolation und Spaltung. Doch in beiden Fällen drücken sie das totale Unverständ­nis gegenüber den drei grundlegenden Aspekten des revolutionären Kampfes des Proletariats aus, nämlich:

-         der Bedeutung und Priorität der politischen Auf­gaben der Klasse (Zerstörung des kapitalistischen Staats, Diktatur des Proletariats auf Weltebene);

-          der Bedeutung und Unabdingbarkeit der Organisa­tion der Revolutionäre innerhalb der Klasse;

-          des vereinigten, zentralisierten und weltweiten Cha­rakters des revolutionären Kampfes der Klasse.

Für uns Marxisten bedeutet die Autonomie der Klasse die Unabhängigkeit der Klasse gegenüber allen anderen Klassen in der Gesellschaft. Diese Autonomie stellte eine zwingend notwendige Vorbedingung für die revolutionären Aktivitäten der Klasse dar, weil das Proletariat die einzige revolu­tionäre Klasse ist. Diese Autonomie drückt sich sowohl auf Organisationsebene (in Gestalt der Organisation der Arbeiterräte) als auch auf politischer und programmatischer Ebene aus und steht daher, im Gegensatz zu den Auffassun­gen der ouvrieristischen Grup­pen, in enger Verbindung zur kommu­nistischen Avantgarde des Proletariats.

e) Die Organisation der Revolutionäre in  den verschiedenen Perioden des Klassenkampfes

So wie die allgemeine Organisation der Klasse und die Or­gani­sation der Revolutionäre eine unterschiedliche Funktion haben, so sind auch die Bedingungen, unter denen sie entstehen, von unter­schiedlicher Natur. Die Räte entstehen nur in Zeiten revolutionärer Konfrontationen, wenn die Kämpfe der Klasse zur Macht­übernahme streben. Jedoch hat seit ihrem Bestehen stets das Streben der Arbeiterklasse nach Weiterentwicklung ihres Bewusstseins bestanden und wird auch weiterhin, bis zu ihrer Auflösung in der kommunistischen Gesellschaft, fort­beste­hen. Daher gab es zu jeder Zeit, als Ausdruck dieser ständi­gen Bemühun­gen, kommuni­stische Minderhei­ten. Doch der Rahmen, der Einfluss, die Art der Aktivitäten und die Organisati­onsform dieser Minderheiten sind eng mit den Bedingungen des Klas­senkampfes verknüpft.

In Zeiten intensiver Klassenaktivitäten üben diese Min­der­heiten einen direkten Einfluss auf den prakti­schen Ver­lauf der Ereignisse aus. In diesem Fall ist es gerechtfertigt, die Organisation der Avantgarde als Partei zu bezeichnen. In Zeiten der Niederlage oder des Zu­rückweichens des Klassenkampfes dagegen haben die Revolutionäre­ keinen direkten Einfluss mehr auf den un­mittelbaren Verlauf der Geschichte. In diesem Fall ist es lediglich kleineren Organisationen vorbehalten, weiter zu bestehen. Ihre Rolle besteht nicht mehr darin, die Bewegung unmittelbar zu beeinflussen, sondern darin, der un­mittelbaren Bewe­gung zu widerstehen. Wenn die Klasse entwaffnet ist und auf bürgerlichem Terrain (durch die Zusammenarbeit zwi­schen den Klassen in Gestalt “heiliger Allianzen”, des “Burgfriedens”, der “Ré­sistance”, des “Antifaschismus” usw.) mobilisiert wird, heißt es für die revolutionären Minderheiten, gegen den Strom zu schwim­men. Ihre grundlegende Aufgabe be­steht dann darin, die Lehren aus den gemachten Erfah­rungen zu ziehen und somit den theoretischen und programma­tischen Rahmen für die künf­tige proletarische Partei vorzubereiten, welche sich notwendigerweise bil­den muss, sobald sich der Klassenkampf wieder verstärkt. Die Gruppen und Frakti­onen, welche sich am Tiefpunkt des Klassenkampfes von der degene­rierenden Partei getrennt oder sie überlebt haben, haben zur Aufgabe, die politische und organisatorische Brücke bis zur Wiederherstellung der Partei zu bilden.

f) Die Struktur der Organisation der Revolutionäre

Der notwendigerweise weltweite und zentralisierte Charakter der proletarischen Revolution überträgt sich auch auf die Partei der Arbeiterklasse. Jene Fraktionen und Gruppen, die an dem Aufbau der Partei arbeiten, streben notwendigerweise eine welt­weite Zentralisierung an. Dies zeigt sich in der Existenz von Zentralorganen, denen eine zentrale politische Verantwortung zwischen den Kongressen der Organisation, vor denen sie verantwortlich sind, übertragen wird.

Die Struktur der Organisation der Revolutionäre muss zwei wesentliche Bedürfnisse in Betracht ziehen:

- Sie muss die volle Entwicklung des revolutionären Bewusst­seins innerhalb der Organisation selbst und somit die breiteste und ausführlichste Diskussion aller Fragen und Meinungsverschie­denheiten ermöglichen, welche in einer nicht-monolithischen Organisation auftauchen.

 - Sie muss gleichzeitig ihren Zusammenhalt und ihre einheitliche Handlungsweise sicherstellen. Das bedeutet insbeson­dere, dass alle Teile der Organisation die von der Mehr­heit gefällten Entscheidungen, ausführen müssen.

Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen der Orga­nisation und unter den Militanten selbst tragen notwendigerweise die Narben der kapitalisti­schen Gesellschaft in sich. Deshalb können diese Beziehun­gen keine Inseln der kommunistischen Beziehun­gen inner­halb des Kapitalismus darstellen. Sie dürfen aber auch nicht in offenkundi­gem Widerspruch zum von den Revo­lutionären ver­folgten Ziel stehen und müssen notwendiger­weise auf der Solida­rität und dem gegenseiti­gen Vertrauen beruhen, die ein Kenn­zeichen der Zugehö­rigkeit der Organisation zu jener Klasse sind, die den Kom­munismus verwirklichen soll.

“[...]  das Dilemma, vor dem die Menschheit steht, heißt: ent­weder Untergang in der Anarchie oder die Rettung durch den Sozialismus. Aus den Er­gebnissen des Weltkrieges kön­nen die bürgerlichen Klassen unmöglich auf dem Boden ihrer Klassen­herrschaft und des Kapitalismus irgendeinen Ausweg finden. Und so ist es gekommen, dass wir die Wahr­heit, die gerade Marx und  Engels zum ersten Mal als wis­senschaftliche Basis des So­zialismus [...] ausgesprochen haben:   Der Sozialismus wird  eine geschichtliche Notwen­digkeit werden, in des Wortes genauester Bedeutung heute erleben. Der Sozialismus ist Not­wendigkeit geworden nicht bloß deshalb, weil des Proletariat unter den Lebensbedin­gungen nicht mehr  zu leben gewillt ist, die ihm die kapita­listischen Klassen bereiten, sondern deshalb, weil, wenn das Proleta­riat nicht seine Klassenpflichten erfüllt und den Sozialis­mus verwirklicht, uns allen zusammen der Unter­gang bevor­steht."  (Rosa Luxemburg beim Gründungsparteitag der KPD 1918/19, Ges. Werke, Bd. 4, S. 496).


[1] Der Zusammenbruch des Ostbocks und der stalinistischen Regimes hat den Mythos der “realsozialistischen” Länder, der ein halbes Jahrhundert lang die ideologische Speerspitze der furchtbarsten Konterrevolution der Geschichte bildete, beiseite gefegt. Aber indem die “demokratische” Bourgeoisie eine Kampagne über das angebliche “Scheitern des Kommunismus” vom Stapel gelassen hat, verbreitet sie weiterhin die größte Lüge der Geschichte: die Gleichsetzung des Stalinismus mit dem Kommunismus. Die linken und linksextremistischen Parteien, welche die “sozialistischen” Länder - wenn auch kritisch - unterstützt haben, sind heute gezwungen, sich der neuen Weltlage anzupassen. Um die Arbeiterklasse weiterhin irrezuführen und zu kontrollieren, wollen sie vergessen machen, dass sie selbst den Stalinismus unterstützt haben, oder fälschen, wenn notwendig, ihre eigene Vergangenheit.

[2] Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 1980er Jahre und der ihm folgenden Auflösung des westlichen Blocks sind die Befreiungskämpfe kein Mythos mehr, mittels dessen die linken und linksextremistischen Fraktionen des Kapitals bis dahin versucht hatten, Teile der Arbeiterklasse für das eine oder andere imperialistische Lager zu mobilisieren. Doch während der Mythos der “nationalen Befreiung” in den großen Zentren des Kapitalismus mit dem Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks geplatzt ist, behält er in einigen peripheren Gebieten der Welt weiterhin seine Anziehungskraft bei und erweist sich immer noch als nützlich, um die Arbeiter dieser Länder in Massaker zu treiben (wie z.B. im Kaukasus oder in den von Israel besetzten Gebieten).

[3] Diese Mystifikation, die ihren Höhepunkt mit der Erfahrung der “Selbstverwaltung” und der Niederlage der Arbeiter von LIP 1974-75 in Frankreich erreicht hatte, ist heute verflogen. Aber man kann nicht ausschließen, dass sie bei einem Wiedererstarken des Anarchismus erneut Auftrieb erhält. In den Kämpfen in Spanien 1936 waren die anarchistischen und anarcho-syndikalistischen Strömungen die Verfechter des Mythos der Selbstverwaltung, die damals als eine “revolutionäre” Maßnahme dargestellt wurde