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Diese Broschüre beinhaltet drei Dokumente, welche die IKS zu verschiedenen Zeitpunkten während ihrer Geschichte erarbeitet hat und deren Gemeinsamkeit darin besteht, die programmatischen Positionen und die allgemeinen Perspektiven unserer Organisation zusammenzufassen. Damit die Bedeutung dieser Dokumente verständlich wird, ist es sinnvoll, die Geschichte der IKS in groben Zügen wiederzugeben.
Die IKS wurde im Januar 1975 von verschiedenen politischen Gruppen gegründet, die in der Folge des historischen Wiedererwachens der Arbeiterklasse Ende der 1960er Jahre aufgetaucht waren, welches namentlich durch den Generalstreik vom Mai 1968 in Frankreich, den “Cordobazo” von 1969 in Argentinien, den “heißen Herbst Italiens” im gleichen Jahr, die Arbeiterstreiks im Baltikum und Polen während dem Winter 1970-71 geprägt war. Dieses weltweite Erwachen des Proletariats setzte der vier Jahrzehnte währenden Konterrevolution ein Ende und kündigte eine Phase des Klassenkampfes an, welcher mit der sich verschärfenden kapitalistischen Krise, die schon dieses Erwachen hervorgerufen hatte, immer hartnäckiger wurde.
Dass neue Gruppen erschienen, die mehr oder weniger informell oder organisiert waren, aber versuchten, sich die Klassenpositionen des Proletariats anzueignen, stellte ein untrügliches Zeichen für das Ende der Phase der Konterrevolution und für den Beginn einer Zeit der Klassenkonfrontationen dar. Damit diese Gruppen ihrer Verantwortung gewachsen waren, war es aber erforderlich, dass sie sowohl die neue geschichtliche Phase begriffen, deren Produkt sie waren, als auch die Notwendigkeit, sich politisch den früheren kommunistischen Fraktionen anzuschließen, die sich von der Kommunistischen Internationalen während deren Degenerierung in den 1920er Jahren getrennt hatten. Die Gruppen, die schließlich die IKS gründeten, gelangten zu dieser Erkenntnis. Sie stützten sich hauptsächlich auf die Erfahrung und die Positionen der Kommunistischen Linken Frankreichs (die zwischen 1945 und 1952 die Revue Internationalisme herausgab), welche 1964 Grundlage für die Gründung des Gruppe Internacionalismo in Venezuela waren.
Im Juni 1968, im Gefolge des Generalstreiks, wurde in Frankreich die Gruppe Révolution Internationale mit denselben Positionen wie Internacionalismo gegründet; nach einer Reihe von Diskussionen über die programmatischen Positionen erfolgte 1972 eine Umgruppierung mit zwei anderen Gruppen, die ebenfalls aus 68 hervorgegangen waren; zusammen ergab dies die zukünftige Sektion der IKS in Frankreich. Die Diskussionen weiteten sich auf verschiedene Gruppen aus, die in anderen Ländern aufgetaucht waren, so namentlich auf “World Revolution” in Großbritannien, “Internationalism” in den USA, “Rivoluzione Internazionale” in Italien, “Acción Proletaria” in Spanien. Schließlich entschieden diese sechs Gruppen, die alle sehr ähnliche Plattformen hatten, an einer Konferenz im Januar 1975, eine einheitliche Organisation zu gründen, die Internationale Kommunistische Strömung.
Eine der Aufgaben, die sich diese neue internationale Organisation gegeben hatte, war die Ausarbeitung einer politischen Plattform, welche die Klassenpositionen zusammenfasste und den Grad an Klarheit ausdrückte, den ihre Mitglieder nach sieben Jahren Diskussion, Nachdenken und Intervention in der Klasse erreicht hatten. Diese Plattform wurde im Januar 1976 am Ersten Kongress der IKS angenommen und hat seither die Grundlage für die neuen Beitritte zur Organisation dargestellt. Diese Dokument veröffentlichen wir in dieser Broschüre (wobei die Berichtigungen berücksichtigt sind, die am 3., 7. und 14. Kongress der IKS in den Jahren 1979, 1987 und 2001 verabschiedet worden sind). Es ist ein Dokument mit einem programmatischen Charakter, das mit Ausnahme seiner Einleitung, die sich auf Ereignisse der Zeit bezieht, in der sie verfasst wurde, und gewisser Formulierungen, die heute in der Vergangenheitsform geschrieben werden müssten (aus diesem Grund haben wir es auch für nützlich erachtet, einige Fußnoten anzubringen), für die ganze gegenwärtige historische Phase der Arbeiterbewegung gültig bleibt; diese Epoche wurde eröffnet durch den Eintritt des Kapitalismus in seine niedergehende Phase, durch die erste siegreiche proletarische Revolution in der Geschichte im Oktober 1917 und durch deren Degenerierung in der Folge ihrer internationalen Isolierung. Aus diesem Grund erachtete es der erste Kongress der IKS als nützlich, gleichzeitig ein anderes Dokument zu verabschieden, das Manifest der IKS, das wir als weiteren Text hier veröffentlichen und das auf den neuen historischen Kurs eingeht, der mit dem Erwachen des Weltproletariats Ende der 60er Jahre eingeschlagen wurde.
Dieses Dokument, das schon mehr als 20 Jahre alt ist, bezieht sich auf Ereignisse, welche die neuen Generationen nicht mehr sehr gut kennen werden. Aus diesem Grund halten wir es für sinnvoll, wenn wir es (noch mehr als die Plattform) mit gewissen Fußnoten ergänzen. Dies gilt umso mehr, als es Ende der 1980er Jahre zu einem einschneidendem Ereignis kam, dem Zusammenbruch der so genannten “sozialistischen” Regime in Europa und des gesamten Blocks, der von Russland angeführt worden war.
Genau dieses bedeutende historische Ereignis bildete für die IKS den Anlass, um am 9. Kongress ein weiteres Dokument zu verabschieden, nämlich das Manifest mit dem Titel “Kommunistische Revolution oder Zerstörung der Menschheit”, das wir nach den beiden anderen veröffentlichen.
Das Manifest des 9. Kongresses wurde also im Sommer 1991 angenommen. Es entwickelt die Analyse der IKS über die neue Weltlage nach dem Zusammenbruch eines ganzen Teils des kapitalistischen Systems: desjenigen des Ostblocks und der stalinistischen Regime. Dieses Ereignis, auf das zwei Jahre später der Ausbruch des Golfskrieges und die Auflösung des westlichen Blockes folgten, eröffnete eine neue Phase in der Geschichte des Kapitalismus: das Versinken der bürgerlichen Produktionsweise in seiner letzten Phase der Dekadenz, in derjenigen des Zerfalls. In diesem Sinn vervollständigt und aktualisiert dieses Dokument die beiden vorangehenden.
Um der Verantwortung angesichts der Ernsthaftigkeit der gegenwärtigen geschichtlichen Lage gewachsen zu sein, müssen die revolutionären Organisationen die Fakten aufmerksam zur Kenntnis nehmen. Sie müssen fähig sein, ihre Analysen der geschichtlichen Entwicklung anzupassen. Der Marxismus ist weder ein Dogma, noch eine erstarrte Theorie mit unveränderlichen Positionen, sondern umgekehrt eine lebendige Theorie. Damit die Theorie und die Methode des Marxismus eine wirksame Waffe im Kampf des Proletariats für seine Befreiung sein können, müssen sie ständig mit der geschichtlichen Wirklichkeit konfrontiert werden. Die vorliegende Broschüre der IKS hat das Ziel, dieser Notwendigkeit gerecht zu werden und natürlich gleichzeitig die kommunistischen Positionen festzuhalten, die unumkehrbar durch die Erfahrung der Arbeiterbewegung geklärt worden sind.
April 2004
Plattform der IKS – verabschiedet auf dem 1. Kongress 1975
EINLEITUNG
Nach der längsten und tiefsten Konterrevolution seiner Geschichte kehrt das Proletariat langsam zum Weg des Klassenkampfes zurück. Diese Kämpfe, die als Folge einer sich seit Mitte der 1960er Jahre verschärfenden Krise des Systems entstanden sind und die durch das Auftauchen von neuen Arbeitergenerationen begünstigt wurden, welche weitaus weniger als ihre Vorfahren unter dem Gewicht der vergangenen Niederlagen der Arbeiterklasse zu leiden haben, gehören zu den größten Kämpfen, die die Arbeiterklasse je geführt hat. Seit ihrem Ausbruch 1968 in Frankreich sind die Arbeiterkämpfe von Italien bis Argentinien, von England bis Polen, von Schweden bis Ägypten, von China bis Portugal, von den USA bis Indien, von Japan bis Spanien zu einem Schreckgespenst für die Kapitalistenklasse geworden.
Das Wiederauftreten des Proletariats auf der Bühne der Geschichte hat endgültig all jene Ideologien widerlegt, welche von der Konterrevolution erzeugt bzw. ermöglicht wurden und die das revolutionäre Wesen des Proletariats leugneten. Das derzeitige Wiedererstarken des Klassenkampfes zeigt ganz konkret, dass das Proletariat die einzige revolutionäre Klasse unserer Zeit ist.
Eine revolutionäre Klasse ist eine Klasse, deren Herrschaft über die Gesellschaft mit der Entfaltung und Ausdehnung neuer Produktionsverhältnisse übereinstimmt, welche durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte möglich und durch den Niedergang der alten, überholten Produktionsverhältnisse notwendig geworden sind. Wie frühere Produktionsweisen entspricht der Kapitalismus einer bestimmten Stufe in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Der Kapitalismus war einst eine fortschrittliche Form der gesellschaftlichen Entwicklung gewesen, doch indem er sich auf die ganze Welt ausgedehnt hat, hat er gleichzeitig die Bedingungen für sein eigenes Verschwinden geschaffen. Aufgrund ihrer spezifischen Stellung im Produktionsprozess, aufgrund ihrer Eigenschaft als kollektiv produzierende Klasse, die den Großteil des gesellschaftlichen Reichtums herstellt und aufgrund der Tatsache, dass sie die Produktionsmittel, welche sie in Bewegung setzt, nicht besitzt und daher kein Interesse an der Aufrechterhaltung des Kapitalismus hat, ist die Arbeiterklasse die einzige Klasse in der Gesellschaft, welche sowohl objektiv als auch subjektiv eine neue, postkapitalistische Produktionsweise errichten kann: den Kommunismus. Das gegenwärtige Wiedererstarken des proletarischen Kampfes beweist erneut, dass die Perspektive des Kommunismus nicht nur eine historische Notwendigkeit, sondern eine reale Möglichkeit geworden ist.
Das Proletariat muss jedoch noch große Anstrengungen unternehmen, um die Mittel für die Zerstörung des Kapitalismus erfolgreich zu schmieden. Als Ergebnis dieser Bemühungen und als aktive Faktoren in diesem Prozess tragen die revolutionären Strömungen und Elemente, welche seit dem Wiedererstarken der Klasse entstanden sind, eine enorme Verantwortung für die Entwicklung und für den Ausgang dieses Kampfes. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen sie sich auf der Grundlage von Klassenpositionen organisieren, die durch die entsprechenden Erfahrungen des Proletariats endgültig festgelegt worden sind. Diese müssen alle Aktivitäten und jegliche Intervention innerhalb der Klasse bestimmen.
Durch seine eigene praktische und theoretische Erfahrung wird sich das Proletariat der Mittel und Ziele seines historischen Kampfes für die Zerstörung des Kapitalismus und für den Aufbau des Kommunismus bewusst. Seit dem Beginn des Kapitalismus sind die gesamten Aktivitäten des Proletariats ein fortwährender Versuch, sich seiner Interessen als Klasse bewusst zu werden, sich von den Ideen der herrschenden Klasse zu lösen und somit den Schleier der bürgerlichen Ideologie zu heben. Diese Bemühungen sind durch eine Kontinuität geprägt; eine Kontinuität, welche man in der gesamten Arbeiterbewegung antrifft, angefangen bei den ersten Geheimgesellschaften bis hin zu den linken Fraktionen, welche aus der Dritten Internationale hervorgegangen sind. Trotz all der Verirrungen und anderer Merkmale des Drucks der bürgerlichen Ideologie, welche durchaus in ihren Positionen und Aktivitäten festgestellt werden können, sind die verschiedenen Organisationen der Klasse unersetzliche Glieder in der Kette der historischen Kontinuität des proletarischen Kampfes.
Die Tatsache, dass sie an Niederlagen oder innerem Verfall zugrunde gingen, schmälert nicht ihren grundsätzlichen Beitrag zu diesem Kampf. So drückt der Wiederaufbau der Organisation der Revolutionäre heute dieses allgemeine Erstarken des Proletariats nach einem halben Jahrhundert der Konterrevolution und des Bruchs in der Arbeiterbewegung aus. Die Organisation der Revolutionäre muss die historische Kontinuität mit der Arbeiterbewegung erneuern, damit die gegenwärtigen und zukünftigen Kämpfe der Klasse sich mit den Lehren der vergangenen Kämpfe wappnen können und damit all die Teilniederlagen, welche ihren Weg säumen, nicht vergeblich gewesen sein sollen, sondern genauso viele Versprechen für den endgültigen Sieg darstellen.
Die INTERNATIONALE KOMMUNISTISCHE STRÖMUNG (IKS) beruft sich auf die nacheinander vom Bund der Kommunisten und von der I., II. III. Internationalen sowie den Linksfraktionen, welche aus der letzteren hervorgegangen sind, erzielten Errungenschaften, insbesondere die der deutschen, holländischen und italienischen Linken. Diese grundlegenden Errungenschaften ermöglichen es, die Gesamtheit der Klassengrenzen in eine zusammenhängende und allgemeine Betrachtungsweise einzugliedern, wie sie hier in dieser Plattform formuliert ist.
1. DIE THEORIE DER KOMMUNISTISCHEN REVOLUTION
Der Marxismus ist die grundlegende theoretische Errungenschaft des proletarischen Kampfes. Auf seiner Grundlage gehen alle Errungenschaften des proletarischen Kampfes in ein kohärentes Ganzes ein.
Indem er den Verlauf der Geschichte durch die Entwicklung des Klassenkampfes erklärt, d.h. den Kampf zur Verteidigung der ökonomischen Interessen innerhalb eines durch die Entwicklung der Produktivkräfte bestimmten Rahmens, und indem er das Proletariat als den Träger der Revolution anerkennt, der den Kapitalismus abschaffen wird, wird der Marxismus zur einzigen Weltauffassung, die wirklich den Standpunkt der Arbeiterklasse ausdrückt. Weit davon entfernt, eine abstrakte, theoretische Betrachtung über die Welt zu sein, ist der Marxismus somit in erster Linie eine Waffe für den Kampf der Arbeiterklasse. Und da die Arbeiterklasse die erste und einzige Klasse ist, deren Befreiung notwendigerweise die Emanzipation der ganzen Menschheit beinhaltet und deren Herrschaft über die Gesellschaft keine neue Ausbeutungsform, sondern die Abschaffung jeglicher Ausbeutung bedeutet, ist der Marxismus allein dazu in der Lage, die soziale Wirklichkeit auf objektive und wissenschaftliche Weise, ohne Vorurteile und ohne Verschleierungen jeglicher Art zu begreifen.
Obgleich der Marxismus kein in sich abgeschlossenes System oder ein Dogma ist, sondern im Gegenteil eine sich ständig erweiternde, bereichernde Theorie, die in direkter und lebendiger Verbindung mit dem Klassenkampf steht, und obgleich der Marxismus von den vorhergehenden theoretischen Errungenschaften der Arbeiterklasse gelernt hat, bietet der Marxismus seit seiner Entstehung den einzigen Rahmen, innerhalb dessen sich die revolutionäre Theorie entwickeln kann.
2. DIE BEDINGUNGEN DER PROLETARISCHEN REVOLUTION
Eine soziale Revolution ist der Akt, durch den die Klasse, die der Träger der neuen Produktionsverhältnisse ist, ihre politische Herrschaft über die Gesellschaft errichtet. Die proletarische Revolution weicht nicht von dieser Definition ab, aber ihre Bedingungen und ihr Inhalt unterscheiden sich grundlegend von den Revolutionen der Vergangenheit.
Da sich diese Revolutionen an der Schwelle zwischen zwei vom Mangel gekennzeichneten Produktionsweisen befanden, hatten sie zur Aufgabe, die Herrschaft einer ausbeutenden Klasse durch die Herrschaft einer anderen ausbeutenden Klasse zu ersetzen. Diese Tatsache spiegelte sich wider in der Ersetzung einer Eigentumsform durch eine andere Eigentumsform, in einer Art von Privilegien durch eine andere Art von Privilegien.
Die proletarische Revolution dagegen verfolgt das Ziel, die Produktionsverhältnisse, die auf Mangel beruhen, durch Produktionsverhältnisse zu ersetzen, welche auf Überfluss basieren. Deshalb bedeutet die proletarische Revolution das Ende aller Eigentumsformen, aller Privilegien und aller Ausbeutung.
Diese Unterschiede verleihen der proletarischen Revolution die folgenden Eigenschaften, welche die Arbeiterklasse begreifen und beherrschen muss, um sie erfolgreich durchzuführen:
a) Die proletarische Revolution ist die erste Form von Revolution, die weltweit stattfindet. Sie kann ihre Ziele nur erreichen, indem sie sich auf alle Länder ausdehnt, da sie bei der Abschaffung des Privateigentums alle lokalen, regionalen und nationalen Barrieren, die mit dem Privateigentum zusammenhängen, abschaffen muss. Die Ausdehnung der Herrschaft des Kapitalismus auf Weltebene hat es ermöglicht, dass diese Notwendigkeit auch zu einer Möglichkeit geworden ist.
b) Zum ersten Mal in der Geschichte ist die revolutionäre Klasse von morgen gleichzeitig auch die ausgebeutete Klasse des alten Systems. Daher kann sie sich auf keinerlei ökonomische Macht bei der Eroberung der politischen Macht stützen. Im Gegensatz zur bisherigen Geschichte geht der Übergangsperiode, in der die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zugunsten der kommunistischen zerstört wird, notwendigerweise die Übernahme der politischen Macht durch das Proletariat voraus.
c) Die Tatsache, dass zum ersten Mal eine Gesellschaftsklasse gleichzeitig ausgebeutet und revolutionär ist, bedeutet des weiteren, dass ihr Kampf als ausgebeutete Klasse zu keinem Zeitpunkt ihrem Kampf als revolutionärer Klasse entgegengestellt oder von ihm getrennt werden kann. Im Gegenteil. Wie der Marxismus seit jeher gegen die Proudhonschen und kleinbürgerlichen Thesen bekräftigt hat, wird die Entwicklung des revolutionären Kampfes durch die Vertiefung und Generalisierung des Kampfes des Proletariats als ausgebeutete Klasse bestimmt.
3. DIE DEKADENZ DES KAPITALISMUS
Damit die proletarische Revolution von der Stufe des simplen Wunschdenkens oder der prinzipiellen Möglichkeit und historischen Perspektive zur Stufe der konkreten Möglichkeit übergeht, muss sie zu einer objektiven Notwendigkeit für die Entwicklung der Menschheit geworden sein. Diese historische Lage ist mit dem I. Weltkrieg eingetreten: Der I. Weltkrieg kennzeichnet das Ende der aufsteigenden Phase der kapitalistischen Produktionsweise, die im 16. Jahrhundert begonnen und ihren Höhepunkt gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreicht hatte. Die seitdem angebrochene Phase ist die Epoche der Dekadenz des Kapitalismus.
Wie in allen früheren Gesellschaften drückte die erste Phase des Kapitalismus die historische Notwendigkeit seiner spezifischen Produktionsverhältnisse aus, d.h. ihre unabdingbare Rolle in der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Die zweite Phase dagegen drückt die Verwandlung dieser Produktionsverhältnisse in immer höhere Barrieren gegen die Weiterentwicklung derselben Produktivkräfte aus.
Die Dekadenz des Kapitalismus ist das Ergebnis der Zuspitzung der inneren Widersprüche dieser Produktionsform, die folgendermaßen definiert werden können: Obgleich in den meisten vorkapitalistischen Gesellschaften durchaus Waren existiert haben, ist die kapitalistische Wirtschaft die erste, die ausschließlich auf der Warenproduktion fußt. Somit wird die Existenz ständig expandierender Märkte zu einer der Hauptbedingungen für die Entwicklung des Kapitalismus. Insbesondere ist die Realisierung des Mehrwerts, der durch die Ausbeutung der Arbeiterklasse produziert wird, unerlässlich für die Akkumulation des Kapitals, der Haupttriebkraft des Kapitals. Im Gegenteil zu dem, was die Verehrer des Kapitals suggerieren, schafft die kapitalistische Produktion jedoch nicht automatisch und wunschgemäß die für ihr Wachstum notwendigen Märkte. Der Kapitalismus entwickelte sich zunächst in einer nichtkapitalistischen Welt, worin er die für seine Entfaltung notwendigen Märkte fand. Nachdem er aber seine Produktionsverhältnisse auf die ganze Erde ausgedehnt und in einem einzigen Weltmarkt vereinigt hatte, erreichte der Kapitalismus Anfang des 20. Jahrhunderts die Schwelle zur Sättigung derselben Märkte, die im 19. Jahrhundert noch seine ungeheure Ausdehnung ermöglicht hatten. Darüber hinaus wurde durch die wachsende Schwierigkeit des Kapitals, Märkte zu finden, wo sein Mehrwert realisiert werden kann, der Druck auf die Profitrate verstärkt und ihr tendenzieller Fall bewirkt. Dieser Druck wird durch den ständigen Anstieg des konstanten, “toten” Kapitals (Produktionsmittel) zu Lasten des variablen, lebendigen Kapitals, die menschliche Arbeitskraft, ausgedrückt. Anfangs nur als Tendenz wirkend, wird der Fall der Profitrate schließlich immer spürbarer und zu einer zusätzlichen Bremse für den Akkumulationsprozess des Kapitals, also für die Funktionsweise des gesamten Systems.
Indem er den Warentausch vereint und auf der ganzen Welt ausgedehnt hat, der Menschheit so zu einem großen Schritt nach vorn verhelfend, hat der Kapitalismus gleichzeitig auch die Ablösung jener Produktionsverhältnisse, die auf Warentausch beruhen, auf die Tagesordnung der Geschichte gesetzt. Doch so lange das Proletariat noch nicht seine Mission erfüllt hat, sie zu zerstören, halten sich diese Produktionsverhältnisse am Leben und stürzen die Menschheit in immer abscheulichere Widersprüche.
Die Überproduktionskrise, ein charakteristischer Ausdruck der Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise und zur Zeit der Ausdehnung der Märkte, als das System noch “gesund” war, eine wichtige Antriebskraft, ist mittlerweile zu einer permanenten Krise geworden. Die mangelnde Auslastung der Produktionskapazitäten ist heute zu einer ständigen Begleiterscheinung der kapitalistischen Produktionsweise geworden. Das Kapital erweist sich als unfähig, seine Herrschaft auszudehnen und kann nicht einmal mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten. Das einzige, was das Kapital heute auf der Welt ausdehnen kann, ist die absolute Armut der Menschen, so wie sie in den rückständigen Ländern bereits herrscht.
Unter diesen Umständen kann die Konkurrenz unter den Kapitalisten nur noch erbarmungsloser werden. Seit 1914 hat der Imperialismus, der zum Überlebensmittel für jede Nation – gleichgültig, ob klein oder groß - geworden ist, die Menschheit in einen höllischen Zyklus von Krise, Krieg und Wiederaufbau gestürzt. Dieser Zyklus zeichnet sich durch eine enorme Waffenproduktion aus, die in zunehmendem Maße zum einzigen Bereich wird, wo der Kapitalismus wissenschaftliche Methoden gebraucht und die Produktivkräfte zur Anwendung bringt. In der Ära der kapitalistischen Dekadenz überlebt die Menschheit nur auf der Grundlage ständiger Zerstörung und Selbstverstümmelung.
Die materielle Armut, welche die unterentwickelten Länder trifft, findet in den fortgeschrittenen Ländern ihr Gegenpart in einer bisher nie erreichten Entmenschlichung der Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass der Kapitalismus unfähig ist, der Menschheit irgendwelche anderen Perspektiven anzubieten als die der Eskalation der mörderischen Kriege und einer noch systematischeren, rationalisierteren und wissenschaftlicheren Ausbeutung. Wie in allen früheren dekadenten Gesellschaften führt dies auch in der kapitalistischen Dekadenz zu einem wachsenden Verfall der gesellschaftlichen Institutionen, der herrschenden Ideologie, der moralischen Werte, der schönen Künste und aller anderen kulturellen Erscheinungen des Kapitalismus. Die Entwicklung von Ideologien wie die des Faschismus oder die des Stalinismus drücken den Triumph aus, den die Barbarei feiert, wenn eine revolutionäre Alternative fehlt.
4. DER STAATSKAPITALISMUS
In der dekadenten Periode einer Gesellschaft muss der Staat angesichts der Verschärfung der Widersprüche des Systems die Verantwortung für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für die Aufrechterhaltung der bestehenden Produktionsverhältnisse übernehmen. Somit neigt der Staat dazu, sich permanent zu verstärken, bis er die gesamte Gesellschaft in seine Strukturen einverleibt hat. Die Aufblähung der imperialen Verwaltung bzw. der absoluten Monarchie waren Merkmale dieses Phänomens in der Dekadenz der römischen Sklavengesellschaft und des Feudalismus.
Auch in der Dekadenz des Kapitalismus ist die allgemeine Tendenz zum Staatskapitalismus zu einem der vorherrschenden Kennzeichen des gesellschaftlichen Lebens geworden. Da in dieser Epoche kein nationales Kapital in der Lage ist, sich uneingeschränkt zu entwickeln, und jedes von ihnen mit einer unbarmherzigen imperialistischen Konkurrenz konfrontiert ist, wird jedes Nationalkapital gezwungen, sich so effektiv wie möglich zu organisieren, um sich nach außen, gegen seine Rivalen, ökonomisch und militärisch bestmöglich zu wappnen und um im Innern der wachsenden Zuspitzung der gesellschaftlichen Widersprüche Herr zu werden. Die einzige Kraft in der Gesellschaft, die diese Aufgaben durchführen kann, ist der Staat.
Nur der Staat kann:
- die Volkswirtschaft global und zentral kontrollieren und die innere Konkurrenz reduzieren, welche die Wirtschaft schwächt. Dabei lautet seine oberste Maxime, die Konkurrenzfähigkeit der nationalen Wirtschaft zu stärken, um der Konkurrenz auf dem Weltmarkt vereint zu begegnen;
- die militärischen Vorkehrungen treffen (Aufbau von militärischen Streitkräften), welche für die Verteidigung der Interessen des nationalen Kapitals in Anbetracht der Verschärfung der internationalen Gegensätze notwendig sind;
- schließlich dank eines ständig verstärkten Unterdrückungsapparates und seiner Bürokratie den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft stärken, welcher durch den sich beschleunigenden Verfall ihrer ökonomischen Grundlagen bedroht ist. Nur der Staat kann mittels seiner allgegenwärtigen Gewalt die Aufrechterhaltung einer Gesellschaftsstruktur erzwingen, welche immer weniger dazu in der Lage ist, die Verhältnisse zwischen den Menschen spontan zu regulieren. Und diese Gesellschaftsstruktur wird um so mehr in Frage gestellt, je mehr sie zu einer Absurdität für das Überleben der Gesellschaft selbst wird.
Im ökonomischen Bereich drückt sich diese Tendenz zum Staatskapitalismus, obgleich sie nie vollständig verwirklicht wird, durch die Tatsache aus, dass der Staat alle Schlüsselstellungen des Produktionsapparates übernimmt. Das bedeutet nicht, dass das Wertgesetz, die Konkurrenz oder die Anarchie der Produktion verschwinden, welche die fundamentalen Eigenschaften der kapitalistischen Wirtschaft sind. Diese bleiben auf internationaler Ebene gültig, wo die Gesetze des Marktes weiterhin herrschen und somit die Produktionsbedingungen innerhalb einer jeden nationalen Wirtschaft bestimmt werden, gleichgültig, wie hoch der Grad der Verstaatlichung auch sein mag. Die “Vergewaltigung” des Wertgesetzes und der Gesetze der Konkurrenz geschieht nur deshalb, weil sie in diesem Rahmen wirksamer funktionieren können. Wenn die Anarchie in der Produktion angesichts der staatlichen Planung auf nationaler Ebene zurückzugehen scheint, so tritt sie um so stärker auf Weltebene auf, insbesondere während der heftigen Krisen des Systems, welche auch der Staatskapitalismus nicht vermeiden kann. Weit davon entfernt, eine “Rationalisierung” des Kapitalismus zu sein, ist der Staatskapitalismus nichts anderes als ein Ausdruck des Verfalls desselben.
Diese wachsende Unterwerfung des Kapitals unter den Staat vollzieht sich entweder schrittweise durch die Verschmelzung von “privatem” Kapital und Staatskapital, wie dies in den am weitesten entwickelten Ländern der Fall ist, oder durch sprunghafte und lückenlose Verstaatlichungen dort, wo das private Kapital am schwächsten ist.
Die Tendenz zum Staatskapitalismus tritt in allen Ländern der Welt auf. Sie beschleunigt sich und bricht dort am heftigsten aus, wo die Auswirkungen der Dekadenz am gewalttätigsten aufbrechen: historisch gesehen während der offenen Krisen oder in Kriegszeiten, geographisch gesehen in den wirtschaftlich schwächsten Ländern. Doch der Staatskapitalismus ist kein Phänomen, das nur für die schwächsten Länder typisch wäre. Im Gegenteil: obgleich der Grad der formalen Verstaatlichungen in den unterentwickelten Ländern oft am höchsten ist, erweist sich die wirkliche Kontrolle des Wirtschaftslebens durch den Staat in den höchstentwickelten Ländern im allgemeinen als weitaus wirksamer. Der Grund hierfür liegt im hohen Konzentrationsgrad des Kapitals dieser Länder.
Im politischen und sozialen Bereich drückt sich die Tendenz zum Staatskapitalismus durch die Tatsache aus, dass sowohl in den extremsten totalitären Formen wie dem Faschismus oder dem Stalinismus als auch in der Form, die sich unter der demokratischen Maske versteckt, der Staatsapparat und vor allem die Exekutivgewalt eine immer mächtigere Kontrolle ausüben, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringen. Auf einer ungleich höheren Ebene als in der Dekadenz des Römischen Reiches oder des Feudalismus ist der Staat des dekadenten Kapitalismus zu einer Furcht erregenden, kalten und anonymen Maschinerie geworden, die die eigentliche Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft ruiniert hat.
5. DIE SO GENANNTEN “SOZIALISTISCHEN” LÄNDER
Durch die Konzentration des Kapitals in den Händen des Staats hat der Staatskapitalismus die Illusion geschaffen, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft und die Bourgeoisie ausgeschaltet worden sei. Die stalinistische Theorie der Möglichkeit des “Sozialismus in einem Land” sowie die Lüge von den “sozialistischen” oder “kommunistischen” Ländern oder von Ländern “auf dem Weg zum Sozialismus” haben alle ihre Wurzeln in dieser Verschleierung.
Die von der Tendenz zum Staatskapitalismus hervorgerufenen Veränderungen finden nicht auf der Ebene der Produktionsverhältnisse statt, sondern nur im Bereich der juristischen Eigentumsformen. Sie lösen damit nicht den wahren Charakter des Privateigentums an den Produktionsmitteln auf, sondern nur den juristischen Aspekt des individuellen Eigentums. Die Arbeiter verfügen über keine wirkliche Kontrolle des Gebrauchs der Produktionsmittel, sie bleiben vollständig von ihnen getrennt. Die Produktionsmittel werden nur für die Bürokratie “vergesellschaftet”, welche diese in Besitz hält und gemeinsam verwaltet.
Die Staatsbürokratie, die die spezifische ökonomische Funktion der Aneignung von Mehrarbeit des Proletariats und der Akkumulation des nationalen Kapitals ausübt, bildet eine eigene Klasse. Doch handelt es sich nicht prinzipiell um eine neue Klasse. Aufgrund ihrer Funktion ist sie nichts anderes als die alte Bourgeoisie in Gestalt des Staats.
Was die Staatsbürokratie mit ihren Privilegien von der “klassischen” Bourgeoisie unterscheidet, ist nicht die Größe der Privilegien, sondern die Art und Weise, wie sie diese empfängt: Statt ihre Einkommen in Form von Dividenden aufgrund des individuellen Besitzes an Kapitalanteilen zu beziehen, erhält sie diese aufgrund der Funktion ihrer Mitglieder in Form von “Unterhaltskosten”, Prämien und festen Entlohnungen, die als “Gehälter” erscheinen, welche um ein Vielfaches höher sind als der Lohn eines Arbeiters.
Die Zentralisierung und Planung der kapitalistischen Produktion durch den Staat und seine Bürokratie sind nicht ein Schritt zur Abschaffung des Eigentums, sondern nur ein Mittel zur Intensivierung der Ausbeutung, um diese wirksamer zu gestalten.
Auf wirtschaftlicher Ebene hat Russland nie, auch nicht während der kurzen Zeitspanne, als das dortige Proletariat die politische Macht in den Händen hielt, den Kapitalismus vollständig abschaffen können. Der Staatskapitalismus trat dort so schnell in einer hochentwickelten Form auf, weil das wirtschaftliche Chaos - zunächst durch die Niederlage im I. Weltkrieg, dann durch den Bürgerkrieg bedingt - das Überleben Russlands als nationales Kapital innerhalb eines dekadenten Weltsystems ungeheuer erschwerte.
Der Sieg der Konterrevolution in Russland wurde im Namen der Reorganisierung der Volkswirtschaft in der höchstentwickelten Form des Staatskapitalismus durchgeführt, was dann wiederum zynisch als “Fortsetzung der Oktoberrevolution” und als “Aufbau des Sozialismus" dargestellt wurde. Dieses Beispiel wurde später auch anderswo aufgegriffen: China, Osteuropa, Kuba, Nordkorea, Vietnam usw. Es gibt überhaupt nichts Proletarisches und noch weniger Kommunistisches an all diesen Ländern, wo unter dem Gewicht dessen, was eine der größten Lügen der Geschichte bleiben wird, die Diktatur des Kapitals in einer ihrer dekadentesten Form herrscht. Jegliche selbst “kritische” oder nur bedingte Verteidigung dieser Länder ist eine absolut konterrevolutionäre Handlung.[1]
6. DER KAMPF DES PROLETARIATS IM DEKADENTEN KAPITALISMUS
Von Anfang an hat der Kampf der Arbeiterklasse für die Verteidigung ihrer Interessen die Perspektive der Zerstörung des Kapitalismus und des Aufbaus des Kommunismus in sich getragen. Doch das Proletariat strebt das Endziel seines Kampfes nicht aus reinem Idealismus an, gleichsam einer göttlichen Eingebung folgend. Es wird im Gegenteil dazu gezwungen, das kommunistische Projekt in Angriff zu nehmen, weil die materiellen Bedingungen, unter denen sich sein unmittelbarer Kampf entwickelt, es dazu nötigen. Jede andere Kampfform kann nur zu einer Katastrophe führen.
Solange es der Bourgeoisie dank der gewaltigen, weltweiten Ausdehnung des kapitalistischen Systems während seiner aufsteigenden Phase möglich war, den Arbeitern wirkliche Reformen zu gewähren, waren die objektiven Vorbedingungen, die für die Verwirklichung des revolutionären Programms notwendig sind, noch nicht vorhanden.
Trotz der revolutionären kommunistischen Bestrebungen, die schon in der bürgerlichen Revolution durch die radikalsten Tendenzen des Proletariats zum Ausdruck gebracht wurden, war der Kampf der Arbeiter während jener historischen Periode auf den Kampf um Reformen beschränkt.
Zu lernen sich zu organisieren, um politische und ökonomische Reformen mittels des Parlamentarismus und der Gewerkschaften abzugewinnen, wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der Hauptbetätigungsfelder der proletarischen Aktivitäten. So fand man in den Arbeiterorganisationen reformistische Elemente (jene, die den Arbeiterkampf nur als einen Kampf um Reformen betrachteten) Seite an Seite mit Revolutionären (für die der Kampf um Reformen nur eine Stufe in jenem Prozess war, der zu den revolutionären Kämpfen führt). Auch konnte das Proletariat damals noch bestimmte Fraktionen der Bourgeoisie gegen andere, reaktionärere Fraktionen unterstützen, um gesellschaftliche Veränderungen zu seinem Gunsten zu erzwingen. Dies entsprach dem damaligen Aufschwung in der Entwicklung der Produktivkräfte.
All diese Bedingungen änderten sich grundlegend im dekadenten Kapitalismus. Die Welt war zu klein geworden, um allem bestehenden nationalen Kapital Platz zu bieten. In jeder Nation ist das Kapital nun zu Produktivitätssteigerungen bis an die äußerste Grenze der Ausbeutung der Arbeiter gezwungen.
Die Organisierung der Ausbeutung des Proletariats bleibt nicht länger eine Angelegenheit zwischen Firmenchefs und Arbeitern; sie wird zur Hauptangelegenheit des Staates und seiner unzähligen Mechanismen, die dazu dienen, die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten, von jeder revolutionären Gefahr abzulenken und es einer systematischen und heimtückischen Unterdrückung zu unterwerfen.
Die Inflation, die seit dem I. Weltkrieg eine ständige Begleiterscheinung der kapitalistischen Ökonomie ist, frisst jede Lohnerhöhung auf. Die Arbeitszeit stagniert, und wenn sie sinkt, dann nur, um die längeren Fahrzeiten zur Arbeit auszugleichen oder um die vollkommene Zerstörung des Nervensystems der Arbeiter zu vermeiden, die immer schnelleren Lebens- und Arbeitsrhythmen unterworfen sind.
Der Kampf um Reformen ist zu einer hoffnungslosen Utopie geworden. In der heutigen Zeit gibt es für das Proletariat nur einen Kampf auf Leben und Tod. Es hat nunmehr keine andere Alternative, als entweder zu akzeptieren, in Millionen von Individuen aufgespalten, niedergeschlagen und für den Kapitalismus mobilisiert zu werden, oder sich dem Kampf zu stellen und dem Staat selbst entgegenzutreten, indem es seine Kämpfe so weit wie möglich ausdehnt. Dabei muss sich das Proletariat vor der Gefahr hüten, sich auf eine rein ökonomische, lokalistische oder berufsmäßige, auf die Fabrik beschränkte Basis festlegen zu lassen. Vielmehr muss es zu jener Organisationsform zurückfinden, die auch die Brutstätte der zukünftigen Machtorgane sein wird: die Arbeiterräte. Unter diesen neuen historischen Bedingungen sind viele alte Waffen des Proletariats unbrauchbar geworden. Jene politischen Strömungen, die ihren Gebrauch noch befürworten, tun dies nur, um die Arbeiterklasse fester an die Ausbeutung zu binden, um die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse effektiver zu zermürben.
Die von der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert praktizierte Unterscheidung zwischen dem Minimal- und Maximalprogramm hat ihren Sinn verloren. Das Minimalprogramm ist nicht mehr möglich. Das Proletariat kann seine Kämpfe nur vorantreiben, indem es sie auf die Perspektive des Maximalprogramms festlegt: die kommunistische Revolution.
7. DIE GEWERKSCHAFTEN: FRÜHER ORGANE DES PROLETARIATS, HEUTE INSTRUMENTE DES KAPITALS
Im 19. Jahrhundert, dem Zeitraum der größten Blüte des Kapitalismus, baute die Arbeiterklasse - oft nur mittels erbitterter und blutiger Kämpfe - ihre permanenten Berufsorganisationen auf, deren Rolle darin bestand, ihre ökonomischen Interessen zu verteidigen. Die Gewerkschaften spielten eine Hauptrolle im Kampf um Reformen und um grundlegende Verbesserungen der Lebensbedingungen der Arbeiter; Verbesserungen, die damals vom System noch zugestanden werden konnten. Die Gewerkschaften spielten auch eine zentrale Rolle beim Zusammenschluss der Klasse; sie bildeten einen Ort, wo diese ihre Solidarität und ihr Bewusstsein schulen konnte. Aus diesen Gründen konnten die Revolutionäre noch innerhalb der Gewerkschaften intervenieren; sie wollten aus ihnen “Schulen des Kommunismus” machen. Obgleich die Existenz dieser Organe untrennbar mit der Lohnarbeit verbunden und die Gewerkschaften damals schon stark bürokratisiert waren, waren sie dennoch reelle Organe der Klasse, stand doch die Abschaffung der Lohnarbeit noch nicht auf der Tagesordnung der Geschichte.
Mit dem Eintritt in seine dekadente Phase war der Kapitalismus unfähig geworden, der Arbeiterklasse weitere Reformen und Verbesserungen ihres Lebensstandards zuzugestehen. Nachdem die Gewerkschaften nun nicht mehr in der Lage waren, ihre ursprüngliche Rolle - die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse - zu erfüllen, und angesichts einer historischen Lage, in der nur die Abschaffung der Lohnarbeit und damit das Verschwinden der Gewerkschaften auf der Tagesordnung steht, sind die Gewerkschaften, um ihr eigenes Überleben zu legitimieren, faktisch zu Agenten des Kapitals, zu Vertretern des bürgerlichen Staats innerhalb der Arbeiterklasse geworden. Diese Entwicklung wurde begünstigt durch die Bürokratisierung der Gewerkschaften bereits vor der Dekadenzphase und durch die unerbittliche Tendenz des Staats im Zeitalter der Dekadenz, alle Strukturen des Gesellschaftslebens zu absorbieren.
Die arbeiterfeindliche Rolle der Gewerkschaften zeigte sich erstmals deutlich im I. Weltkrieg, als sie neben den sozialdemokratischen Parteien bei der Mobilisierung der Arbeiter für das imperialistische Gemetzel mitwirkten. In der revolutionären Welle nach dem Krieg taten die Gewerkschaften alles in ihrer Macht Stehende, um die Versuche des Proletariats, den Kapitalismus zu zerstören, zum Scheitern zu bringen.
Seitdem sind sie nicht von der Arbeiterklasse am Leben erhalten worden, sondern vom kapitalistischen Staat, für den sie sehr wichtige Dienste erfüllen:
- ihre aktive Mitarbeit bei den Bemühungen des kapitalistischen Staats, die Wirtschaft zu rationalisieren, den Verkauf der Arbeitskraft zu regeln und die Ausbeutung zu verschärfen;
- die Sabotage des Klassenkampfes, sei es, indem sie Streiks und Revolten in die Sackgasse der Kategorisierung (d.h. Beschränkung auf die Fabrik, Region, Stadt, auf das Land usw.) führen oder indem sie der autonomen Bewegung der Klasse mit offener Unterdrückung entgegentreten.
Da die Gewerkschaften ihren proletarischen Charakter verloren haben, können sie weder von der Arbeiterklasse zurückerobert werden noch ein Betätigungsfeld für die revolutionären Minderheiten darstellen. Seit mehr als einem halben Jahrhundert sinkt das Interesse der Arbeiter an den Aktivitäten dieser Organe, die zu einem festen Bestandteil des bürgerlichen Staats geworden sind. Die Kämpfe der Arbeiter gegen die ständige Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen streben danach, die Form von wilden Streiks außerhalb und gegen die Gewerkschaften anzunehmen. Von den Vollversammlungen der Streikenden geführt und in den Fällen, wo sie sich ausdehnen, von Delegiertenkomitees koordiniert - deren Delegierte von den Vollversammlungen gewählt und jederzeit abgewählt werden können -, erreichen diese Kämpfe sofort eine politische Dimension, da sie zur Konfrontation mit dem Staat in Gestalt seines Stellvertreters in den Betrieben, den Gewerkschaften, gezwungen werden. Nur die Ausdehnung und Radikalisierung dieser Kämpfe ermöglicht es der Klasse, von der Verteidigung zum offenen Frontalangriff gegen den kapitalistischen Staat überzugehen. Die Zerstörung des bürgerlichen Staats beinhaltet also notwendigerweise die Zerstörung der Gewerkschaften.
Der arbeiterfeindliche Charakter der alten Gewerkschaften ist nicht einfach darauf zurückzuführen, dass sie auf eine bestimmte Art organisiert sind (nach Berufsgruppen oder in Industriebranchen) oder dass sie “schlechte Führer” hätten. Er ist vielmehr auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Arbeiterklasse in der gegenwärtigen Periode keine ständigen 0rgane für eine wirksame Verteidigung ihrer ökonomischen Interessen aufrechterhalten kann. Daher trifft der bürgerliche Charakter dieser Organe ebenso auf die “neuen” gewerkschaftlichen Organisationen zu, die sich ähnliche Aufgaben setzen, unabhängig davon, wie sie organisiert sind und was ihre ursprünglichen Absichten waren. Er trifft gleichermaßen auf die “revolutionären Gewerkschaften” und Betriebsräte wie auch auf Organe wie die Arbeiterkomitees, Arbeiterkommissionen usw. zu, die nach einem Kampf fortbestehen, selbst wenn sie sich feindlich gegenüber den etablierten Gewerkschaften verhalten und sich ehrlich um die Verteidigung der unmittelbaren Arbeiterinteressen bemüht geben. Diese Organisationen können nicht vermeiden, in den Apparat des bürgerlichen Staats integriert zu werden, selbst wenn sie inoffizielle oder illegale Organe sind.
Alle politischen Strategien, die darauf abzielen, gewerkschaftliche Organisationen auszunutzen, wiederaufzubauen oder zurückzuerobern, dienen nur den Interessen des Kapitalismus, da sie versuchen, bürgerlichen Institutionen, aus denen die Arbeiter z.T. schon geflohen sind, neues Leben einzuhauchen. Politische Strömungen, die nach mehr als einem halben Jahrhundert Erfahrung mit dem arbeiterfeindlichen Klassencharakter dieser Organisationen immer noch diese Strategien verfolgen, gehören somit dem Lager der Konterrevolution an.
8. DIE Wahlen und die Mystifizierung des Parlaments
In der aufsteigenden Phase des Kapitalismus war das Parlament jene Form, die am besten für die Organisierung des politischen Lebens der Bourgeoisie geeignet war. Da es eine spezifisch bürgerliche Institution ist, war es nie ein bevorzugtes Gebiet für die Aktivitäten der Arbeiterklasse. Die Teilnahme des Proletariats am parlamentarischen Leben und an den Wahlkampagnen barg eine Vielzahl von Gefahren, auf die die Revolutionäre im letzten Jahrhundert die Klasse stets aufmerksam gemacht haben. Zu einer Zeit jedoch, als die Revolution noch nicht auf der Tagesordnung der Geschichte stand und das Proletariat dem System noch Reformen abringen konnte, ermöglichte das Mitwirken am parlamentarischen Leben dem Proletariat, das Parlament als Druckmittel zugunsten von Reformen zu benutzen. Die Wahlkampagnen konnten auch als Mittel zur Propaganda und Agitation für das proletarische Programm genutzt werden. Darüber hinaus war es möglich, das Parlament in eine Tribüne für die Anprangerung des heuchlerischen Charakters der bürgerlichen Politik zu verwandeln. Deshalb war der Kampf für das allgemeine Wahlrecht während des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern eine der wichtigsten Forderungen, für die sich das Proletariat organisierte.
Als das kapitalistische System in seine Phase der Dekadenz eintrat, hörte das Parlament auf, ein Instrument zur Erlangung von Reformen zu sein. Wie die Kommunistische Internationale auf ihrem II. Kongress formulierte: "Der Schwerpunkt des politischen Lebens hat sich vollkommen aus dem Parlament verschoben, und zwar endgültig."
Die einzige Rolle, die das Parlament von da an spielen konnte, das einzige, was es am Leben hält, ist seine Rolle als ein Mittel der Mystifizierung: Somit war es für das Proletariat nicht mehr möglich, das Parlament auf irgendeine Art zu nutzen. Die Arbeiterklasse kann keine unmöglich gewordenen Reformen mittels eines Organs erringen, das jegliche politische Funktion verloren hat.
Jetzt, wo die grundlegende Aufgabe des Proletariats darin besteht, alle Institutionen des bürgerlichen Staats und somit auch das Parlament zu zerstören, wo die Arbeiterklasse auf den Trümmern des allgemeinen Wahlrechts und der anderen Überreste der bürgerlichen Gesellschaft ihre eigene Diktatur errichten muss, kann die Teilnahme am Parlament und an Wahlkampagnen - ungeachtet der Absichten, die von ihren Befürwortern verfolgt werden - nur dazu führen, einem im Sterben liegenden Körper einen Anschein von Leben einzuhauchen.
Die Beteiligung an Wahlen und am Parlament bringt heute keinen der Vorteile, die sie im 19. Jahrhundert bot. Dagegen bringt sie eine Reihe von Gefahren und Nachteilen mit sich, insbesondere die Gefahr, die Illusionen über die Möglichkeit eines friedlichen oder schrittweisen Übergangs zum Sozialismus durch die Eroberung einer parlamentarischen Mehrheit in Gestalt der so genannten Arbeiterparteien am Leben zu halten.
Die Strategie der “Zerstörung des Parlaments von Innen”, an der die “revolutionären Abgeordneten” teilnehmen sollen, hat nie ein anderes Resultat gezeitigt als die Korrumpierung der politischen Organisationen, die solche Versuche unternahmen, sowie ihre Absorbierung durch den Kapitalismus.
Schließlich stärkt der Gebrauch der Wahlen und des Parlaments als Propaganda- und Agitationsmittel die Neigung, die politischen Mechanismen der bürgerlichen Gesellschaft aufrechtzuerhalten und die Passivität der Arbeiter zu fördern, handelt es sich beim Parlament doch hauptsächlich um eine Angelegenheit von Spezialisten, die die Machenschaften der politischen Parteien auf Kosten der selbständigen Aktivität der Massen fördert. Solche Nachteile waren hinnehmbar, als die Revolution noch keine unmittelbare Möglichkeit war. Heute jedoch sind sie zu entscheidenden Hindernissen geworden, da die einzige Aufgabe, die mittlerweile auf der Tagesordnung der Geschichte steht, der Umsturz der alten Gesellschaftsordnung und die Schaffung einer kommunistischen Gesellschaft ist. Diese Aufgabe erfordert die aktive und bewusste Teilnahme der ganzen Klasse.
Während anfangs die Taktiken des “revolutionären Parlamentarismus” hauptsächlich ein Ausdruck des Gewichtes und des Einflusses der (noch jungen) Vergangenheit auf die Arbeiterklasse und ihre Organisationen waren, so zeigen heute die furchtbaren Ergebnisse solcher Taktiken, dass sie nur noch eine konterrevolutionäre Rolle in der Klasse spielen können. Daher sind jene Strömungen, die heute den “revolutionären Parlamentarismus” befürworten, ebenso wie jene, die den Parlamentarismus als ein Instrument der sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft propagieren, unwiderruflich Teil des bürgerlichen Lagers.
9. VOLKSFRONTPOLITIK: EINE STRATEGIE ZUR IRREFÜHRUNG DES PROLETARIATS
Im dekadenten Kapitalismus, in dem der einzige historische Fortschritt die proletarische Revolution ist, kann es zwischen der revolutionären Klasse und Fraktionen der herrschenden Klasse - einerlei, wie progressiv, demokratisch oder populär sie auch zu sein vorgeben - kein gemeinsames Anliegen geben, auch nicht vorübergehend. Im Gegensatz zur aufsteigenden Phase des Kapitalismus macht es die Dekadenz des Systems allen Fraktionen der Bourgeoisie unmöglich, eine progressive Rolle zu spielen. Insbesondere hat die bürgerliche Demokratie, welche im 19. Jahrhundert eine fortschrittliche politische Form im Vergleich zu den Überresten des Feudalismus war, in der Ära der Dekadenz jegliche wirkliche politische Substanz verloren. Sie besteht nur als Kulisse, die zur Kaschierung des staatlichen Totalitarismus dient. Die Fraktionen der Bourgeoisie, die die bürgerliche Demokratie befürworten, sind ebenso reaktionär wie alle anderen Fraktionen der Bourgeoisie.
Seit dem I. Weltkrieg hat sich die “Demokratie” als ein heimtückisches Gift für das Proletariat erwiesen. Im Namen der Demokratie wurden in mehreren europäischen Ländern nach dem I. Weltkrieg revolutionäre Erhebungen niedergemetzelt. Im Namen der Demokratie und des “Antifaschismus” wurden zig Millionen von Proletariern für den zweiten imperialistischen Weltkrieg mobilisiert. Und ebenfalls im Namen der Demokratie versucht das Kapital heute, die Kämpfe des Proletariats in Bündnisse “gegen den Faschismus, gegen die Reaktionäre, gegen die Unterdrückung, gegen den Totalitarismus” usw. umzuwandeln.
Der Faschismus, ein spezifisches Produkt der Konterrevolution, als das Proletariat am Boden war, steht heute überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Die ganze Propaganda über die “faschistische Bedrohung” ist eine enorme Mystifizierung. Darüber hinaus besaß (und besitzt) der Faschismus kein Monopol auf die Unterdrückung. Wenn die “demokratischen” oder linksbürgerlichen Strömungen den Faschismus mit der Unterdrückung gleichsetzen, dann wollen sie damit die Tatsache verschleiern, dass sie selbst entschlossen von der Unterdrückung Gebrauch machen, dass sie es selbst waren, die die Hauptarbeit bei der Niederschlagung der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse geleistet haben.
Ebenso wie die Volksfront und die antifaschistische Front hat sich die Taktik der Einheitsfront als ein wichtiges Mittel zur Schwächung und Ablenkung des proletarischen Kampfes erwiesen. Diese Taktiken, Bündnisse von revolutionären Organisationen mit den so genannten Arbeiterparteien zu befürworten, um diese später angeblich bloßzustellen, können in Wirklichkeit nur zur Aufrechterhaltung der Illusionen über das “proletarische” Wesen dieser in Wirklichkeit bürgerlichen Parteien führen und somit den Bruch der Arbeiter mit denselben hinauszögern.
Die Autonomie des Proletariats gegenüber allen anderen Klassen der Gesellschaft ist die erste Vorbedingung für die Entwicklung des Klassenkampfes bis zur Revolution. Alle Bündnisse mit anderen Klassen oder Schichten und insbesondere Bündnisse mit Fraktionen der Bourgeoisie können nur zur Entwaffnung des Proletariats gegenüber seinen Feinden führen, da diese Bündnisse die Arbeiterklasse zur Aufgabe der einzigen Grundlage verleiten, auf der sie ihre Kräfte stärken kann: auf der Grundlage ihres Kampfes als Klasse. Jede politische Strömung, welche versucht, die Arbeiterklasse von dieser Grundlage abzubringen, gehört dem Lager der Bourgeoisie an.
10. DER KONTERREVOLUTIONÄRE MYTHOS DER “NATIONALEN BEFREIUNG”
Die nationale Befreiung und die Bildung von neuen Nationen waren nie spezifische Anliegen des Proletariats. Als die Revolutionäre im 19. Jahrhundert bestimmte nationale Bewegungen unterstützten, war ihnen klar, dass es sich dabei um nichts anderes als um bürgerliche Bewegungen handelte. Ebenso wenig unterstützten sie diese im Namen des “Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung”. Sie unterstützten solche Bewegungen, da die Nation während der aufsteigenden Phase des Kapitalismus den angemessensten Rahmen für die Entwicklung des Kapitalismus bildete und weil der Aufbau neuer Nationalstaaten durch die Zerstörung der störenden Überreste der vorkapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse ein Schritt vorwärts war bei der Entwicklung der Produktivkräfte auf Weltebene und somit im Reifungsprozess der materiellen Bedingungen für den Sozialismus.
Mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine dekadente Phase wird der Rahmen der Nation sowie der kapitalistischen Produktionsverhältnisse insgesamt zu eng für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte. In der heutigen Situation, wo selbst die ältesten und mächtigsten Industrieländer sich nicht mehr entwickeln können, führt die formale Bildung von neuen Ländern zu keinem wirklichen Fortschritt. In einer zwischen den imperialistischen Blöcken aufgeteilten Welt kann kein “nationaler Befreiungskampf” mehr fortschrittlich sein, sondern faktisch nur ein Element im ständigen Konflikt zwischen den rivalisierenden imperialistischen Blöcken bilden, wobei die Arbeiter und Bauern, gleichgültig, ob sie dazu gezwungen werden oder freiwillig daran teilnehmen, nur als Kanonenfutter dienen[2].
Solche Kämpfe schwächen den Imperialismus keineswegs, da sie ihn nicht an seinen Wurzeln, den kapitalistischen Produktionsverhältnissen, angreifen. Wenn sie den einen imperialistischen Block schwächen, so verstärken sie damit nur den anderen. Die aus solchen Konflikten entstandenen neuen Nationen müssen selbst imperialistisch werden, da in der Epoche der Dekadenz kein Land - ob groß oder klein - umhin kann, eine imperialistische Politik zu betreiben.
Heutzutage kann ein “erfolgreicher” Kampf für die nationale Befreiung nur den Wechsel von einem imperialistischen Machthaber zum anderen bedeuten; für die Arbeiter insbesondere in den neuen “sozialistischen” Ländern bedeutet er eine Intensivierung, Systematisierung und Militarisierung der Ausbeutung durch das nunmehr verstaatlichte Kapital. Die Barbarei des Systems manifestierend, verwandelt das Staatskapital die “befreite” Nation in ein riesiges Konzentrationslager. Im Gegensatz zu den Behauptungen mancher Gruppen stellen diese Kämpfe für das Proletariat der so genannten Dritten Welt kein Sprungbrett für den Klassenkampf dar. Indem sie die Arbeiter im Namen der patriotischen Mystifikationen für das nationale Kapital mobilisieren, sind diese Kämpfe stets ein Ablenkungsmanöver vom proletarischen Klassenkampf, der in solchen Ländern oft sehr heftig ist. Die Geschichte in den letzten 50 Jahren hat überdeutlich gezeigt, dass entgegen den Behauptungen der Kommunistischen Internationale die nationalen Befreiungskämpfe weder als Initialzündung für den Kampf der Arbeiter in den Industrieländern noch als Anstoß zum Klassenkampf in den unterentwickelten Ländern wirken. Weder die einen noch die anderen haben etwas von solchen Kämpfen zu erwarten, und weder hier noch da haben die Arbeiter ein Lager zu wählen. Gegen die moderne Version der “nationalen Verteidigung”, als welche die nationale Unabhängigkeit dargestellt wird, kann der Schlachtruf der Revolutionäre nur lauten, wie er schon von den Revolutionären während des I. Weltkriegs formuliert wurde: “Revolutionärer Defätismus, Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg!”. Alle Positionen zugunsten einer bedingungslosen oder “kritischen” Unterstützung dieser Kämpfe sind nicht weniger kriminell als die Haltung der Sozialchauvinisten während des Ersten Weltkriegs. Daher sind sie mit einer kommunistischen Tätigkeit vollkommen unvereinbar.
11. SELBSTVERWALTUNG: SELBSTAUSBEUTUNG DER ARBEITER
Wenn der Nationalstaat selbst schon ein zu enger Rahmen für die Produktivkräfte geworden ist, so trifft dies um so mehr für die einzelnen Unternehmen zu, die noch nie wirklich selbständig gegenüber den allgemeinen Gesetzen des Kapitalismus waren. Im dekadenten Kapitalismus verschärft sich die Abhängigkeit der Unternehmen von diesen Gesetzen und vom Staat. Deshalb ist die “Arbeiterselbstverwaltung” (die Verwaltung von Unternehmen durch die Arbeiter inmitten der kapitalistischen Gesellschaft) eine kleinbürgerliche Utopie aus dem 19. Jahrhundert. Damals wurde sie von den proudhonistischen Tendenzen propagiert. Heute ist sie nichts anderes als eine bürgerliche Mystifikation[3]. Sie ist eine ökonomische Waffe des Kapitals, die den Zweck verfolgt, die Arbeiter zur Übernahme der Verantwortung für bankrotte Betriebe zu bewegen und sie zu veranlassen, sich selbst auszubeuten.
Ferner ist die “Arbeiterselbstverwaltung” eine politische Waffe der Konterrevolution, die dazu dient:
- die Arbeiterklasse zu spalten, indem diese von Fabrik zu Fabrik, von Stadtviertel zu Stadtviertel voneinander getrennt und von Branche zu Branche voneinander isoliert wird;
- die Arbeiterklasse an die Probleme der kapitalistischen Wirtschaft zu fesseln, obwohl die Arbeiter gerade die Aufgabe haben, den Kapitalismus zu zerstören;
- das Proletariat von der grundlegenden Aufgabe, deren Lösung erst die Befreiung der Menschheit ermöglicht, abzulenken: der Zerstörung des politischen Apparates des Kapitals und der Errichtung seiner eigenen Klassendiktatur auf Weltebene.
Das ist in der Tat die einzige Ebene, auf der das Proletariat die Verwaltung der Produktion übernehmen kann. Doch dies wird nicht im Rahmen der kapitalistischen Gesetze geschehen, sondern durch die Zerstörung derselben.
Alle politischen Strömungen, welche die “Arbeiterselbstverwaltung” als Bereicherung des Erfahrungsschatzes der Arbeiter oder als Entwicklung neuer Beziehungen zwischen den Arbeitern verteidigen, beteiligen sich somit objektiv an der Verteidigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse.
12.“PARTIELLE KÄMPFE”: EINE REAKTIONÄRE SACKGASSE
Die Dekadenz des Kapitalismus hat den Verfall aller moralischer Werte dieser Gesellschaft verstärkt und zu einem Verfall der menschlichen Beziehungen geführt.
Es trifft zwar zu, dass die proletarische Revolution neue Verhältnisse in allen Lebensbereichen schaffen wird, doch ist es falsch zu glauben, dass man schon heute dazu beitragen kann, indem man spezifische, isolierte Kämpfe in Teilbereichen organisiert, wie z.B. in der Frage des Rassismus, der Stellung der Frau, der Umweltverschmutzung, der Sexualität und anderer Aspekte des Alltagslebens.
Der Kampf gegen die ökonomischen Grundlagen des Systems beinhaltet den Kampf gegen den Überbau der kapitalistischen Gesellschaft, aber umgekehrt trifft dies nicht zu. Aufgrund ihres Inhalts neigen die Teilkämpfe - welche die lebensnotwendige Autonomie der Arbeiterklasse keinesfalls verstärken - dazu, die Arbeiterklasse in spezifischen Kategorien (Rasse, Geschlecht, Jugend usw.) aufzulösen. Diese Kategorien können als solche den Lauf der Geschichte in keiner Weise ändern. Deshalb haben die bürgerlichen Regierungen und Parteien schnell gelernt, die Teilkämpfe wirksam für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen, um die bestehende Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten.
13. DAS KONTERREVOLUTIONÄRE WESEN DER “ARBEITERPARTEIEN”
All jene Parteien oder Organisationen, die heute bestimmte Staaten oder Fraktionen der Bourgeoisie gegen andere verteidigen, auch wenn nur “bedingt” oder “kritisch" - sei es im Namen des “Sozialismus”, der “Demokratie”, des “Antifaschismus”, der “nationalen Unabhängigkeit”, der ‚Einheitsfront‘ oder des “geringeren Übels” -, die ihre Politik auf dem bürgerlichen Wahlzirkus aufbauen, die an den arbeiterfeindlichen Aktivitäten der Gewerkschaften mitwirken oder an den Mystifizierungen der Selbstverwaltung, sind Organe des politischen Apparates des Kapitals. Dies trifft insbesondere auf die “sozialistischen” und “kommunistischen” Parteien zu.
Diese Parteien, die einst die Avantgarde des Weltproletariats verkörperten, haben seither einen Prozess der Degeneration durchlaufen, der sie in das bürgerliche Lager geführt hat. Nachdem die Internationalen, denen diese Parteien angehört hatten (die sozialistischen Parteien der II. Internationale, die Kommunistischen Parteien der III. Internationale), als solche gestorben waren (ungeachtet des formalen Fortbestehens ihrer Strukturen), haben diese Parteien nur noch weiter bestanden, um schrittweise, jede für sich, zu (oft bedeutenden) Teilen des Räderwerks des bürgerlichen Staatsapparats in ihren Ländern zu werden.
Dies war der Fall bei der II. Internationale, als die großen ihrer Parteien, befallen vom Geschwür des Opportunismus und Zentrismus, mit dem Ausbruch des I. Weltkriegs (der den Tod der II. Internationale manifestierte) mehrheitlich dazu verleitet wurden, die Politik der “nationalen Verteidigung” zu praktizieren. Dies geschah unter der Führung der sozialchauvinistischen Rechten, die sich zu diesem Zeitpunkt ins Lager der Bourgeoisie gesellte. Schließlich sind diese Parteien offen der revolutionären Welle von Kämpfen entgegengetreten und haben, wie in Deutschland 1919, die Rolle des Henkers der Arbeiterklasse übernommen. Die endgültige Eingliederung aller dieser Parteien in den bürgerlichen Staat vollzog sich nach Ausbruch des I. Weltkriegs. Dieser Integrationsprozess war Anfang der 20er Jahre endgültig abgeschlossen, nachdem die letzten proletarischen Strömungen aus ihren Reihen ausgeschlossen worden waren - oder sie selbst verlassen hatten, um der Komintern beizutreten.
Nach einem ähnlichen Prozess der opportunistischen Degeneration sind auch die kommunistischen Parteien in das kapitalistische Lager übergewechselt. Dieser Prozess, der bereits Anfang der 1920er Jahre begonnen hatte, setzte sich nach dem Tod der Kommunistischen Internationale (der 1928 durch die Übernahme der “Theorie des Sozialismus in einem Land” gekennzeichnet war) weiter fort, um trotz erbitterter Kämpfe der linken Fraktionen und nach ihrem Ausschluss schließlich mit der vollständigen Integration dieser Parteien in den kapitalistischen Staat Anfang der 1930er Jahre zu enden, als diese sich den Rüstungswettläufen ihrer jeweiligen Bourgeoisie anschlossen und in die Volksfronten eintraten. Auch ihre aktive Beteiligung am “antifaschistischen Widerstand” während des II. Weltkriegs und am “nationalen Wiederaufbau” nach dem Krieg hat sie als treue Diener des nationalen Kapitals und als eine reine Verkörperung der Konterrevolution gezeigt.
All die sog. “revolutionären” Strömungen - der Maoismus, der nur eine Variante jener Parteien ist, die sich endgültig der Bourgeoisie angeschlossen haben; der Trotzkismus, der, nachdem er anfangs eine proletarische Reaktion gegen den Verrat der Kommunistischen Parteien gewesen war, einem ähnlichen Degenerationsprozess anheimfiel, oder der traditionelle Anarchismus, der heute die gleiche politische Vorgehensweise vertritt und bestimmte Positionen mit den KPs und den sozialistischen Parteien teilt (wie z.B. antifaschistische Bündnisse) - gehören dem gleichen Lager an: dem des Kapitals. Ihr geringerer Einfluss oder ihre radikalere Sprache ändern nichts an den bürgerlichen Grundlagen ihres Programms und ihrem Wesen, sondern macht sie zu nützlichen Zutreibern, Anhängseln und Stellvertretern der etablierten Parteien.
14. DIE ERSTE GROSSE REVOLUTIONÄRE WELLE VON KÄMPFEN DES WELTPROLETARIATS
Der I. Weltkrieg hat nicht nur gezeigt, dass der Kapitalismus in seine dekadente Phase eingetreten ist, sondern auch, dass die objektiven Bedingungen für die proletarische Revolution reif geworden sind. Die revolutionäre Welle, die als Antwort auf den Krieg und seine Folgen entstand und sich hauptsächlich in Russland und in Europa ausdehnte, erfasste auch Amerika und China. Sie stellte somit den ersten Versuch des Weltproletariats dar, seine historische Aufgabe, die Zerstörung des Kapitalismus, zu erfüllen. Auf dem Höhepunkt seiner Kämpfe, die von 1917 bis 1923 andauerten, übernahm das Proletariat die Macht in Russland, erhob sich in Massenaufständen in Deutschland und erschütterte Italien, Ungarn und Österreich zutiefst. Obgleich weniger kraftvoll, trat das Proletariat auch in anderen Ländern, wie z. B. in Spanien, Großbritannien, Nord- und Südamerika, mit großer Entschlossenheit auf und lieferte sich erbitterte Auseinandersetzung mit den Herrschenden. Schlusspunkt der revolutionären Bewegung auf internationaler Ebene war die blutige Niederschlagung des Arbeiteraufstands in Schanghai und Kanton (China) 1927. Deshalb kann die Oktoberrevolution in Russland 1917 nur als wichtigster Ausdruck dieser mächtigen Klassenbewegung verstanden werden, und nicht als “bürgerliche”, “staatskapitalistische Doppelrevolution” oder als “permanente Revolution”, die das Proletariat in Russland dazu gezwungen hätte, stellvertretend für die unfähige Bourgeoisie “bürgerlich-demokratische” Aufgaben zu erfüllen.
Auch die Gründung der III. Internationale (der Kommunistischen Internationale) im Jahre 1919 war ein fundamentaler Akt dieser revolutionären Welle. Sie vollzog den organisatorischen und politischen Bruch mit den Parteien der II. Internationale, deren Beteiligung am imperialistischen Krieg ihren Übergang ins Lager der Bourgeoisie bedeutet hatte. Die bolschewistische Partei war ein fester Bestandteil der revolutionären Linken. Diese hatte sich durch präzise, klare und zutreffende politische Positionen von der II. Internationale abgesetzt, wie ihre Parolen “Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg”, “Zerstörung des bürgerlichen Staates” und “Alle Macht den Räten” sowie ihr entscheidender Anteil am Aufbau der Dritten Internationale verdeutlichen. Sie leistete damit einen fundamentalen Beitrag zum revolutionären Prozess und verkörperte damals die eigentliche Avantgarde des Proletariats.
Obgleich die Degeneration sowohl der Russischen Revolution als auch der III. Internationale hauptsächlich die Folge der Niederschlagung der revolutionären Aufstände anderswo und des allgemeinen Abflauens der revolutionären Welle war, muss man dennoch auch die Rolle der Bolschewiki im Verlauf der Degeneration und der internationalen Niederlagen des Proletariats berücksichtigen, weil sie aufgrund der Schwäche der anderen Parteien die Hauptstütze der Kommunistischen Internationale waren. Angesichts der Niederschlagung des Aufstands von Kronstadt, der Praktizierung der Politik der “Eroberung” der Gewerkschaften (trotz des Widerstands der Linken in der Dritten Internationale), des “revolutionären Parlamentarismus” und der “Einheitsfront” dürfen der Einfluss und die Verantwortung der Bolschewiki bei der Liquidierung der revolutionären Welle nicht geringer eingeschätzt werden als ihr positiver Beitrag bei der Ausbreitung dieser Welle.
In Russland selbst kam die Konterrevolution nicht nur von außen, sondern auch von innen. Sie wurde insbesondere von jenem Staat getragen, dessen Strukturen von den Bolschewiki, nunmehr zur staatstragenden Partei geworden, aufgebaut worden waren. Was im Oktober 1917 nur schwere Fehler waren, die sich mit der Unreife des Proletariats in Russland im Besonderen und des Weltproletariats im Allgemeinen bei Anbruch des neuen Zeitalters erklären lassen, wurde nun zu einem Schutzwall und zur ideologischen Rechtfertigung der Konterrevolution und sollte zu einem wichtigen Faktor bei ihrem Triumph werden. Das Abklingen der revolutionären Welle nach dem I. Weltkrieg, die Degeneration der Russischen Revolution, der Verfall der III. Internationale und der bolschewistischen Partei sowie schließlich die konterrevolutionäre Wandlung der Bolschewiki können jedoch nur wirklich verstanden werden, wenn man die revolutionäre Welle und die Dritte Internationale (ihre russische Sektion eingeschlossen) als Ausdruck der proletarischen Bewegung anerkennt. Jede andere Auffassung kann nur Verwirrung stiften und würde die Strömungen, die diesen Verwirrungen erlegen sind, davon abhalten, ihrer revolutionären Aufgabe wirklich nachzukommen.
Zwar haben diese Erfahrungen der Klasse keine “materiellen” Gewinne abgeworfen, doch dafür sind ihre theoretischen Lehren von um so größerer Bedeutung; Lehren, die sich nur durch ein wirkliches Verständnis dieser Erfahrungen herauskristallisieren. Insbesondere hat die Oktoberrevolution von 1917 als einziges Beispiel in der Geschichte, in dem das Proletariat die politische Macht übernommen hat (abgesehen von den kurzen und leidvollen Erfahrungen der Pariser Kommune 1871 und der Räterepubliken in Bayern und Ungarn 1919), wertvolle Beiträge zum Verständnis zweier Kernprobleme des proletarischen Kampfes geleistet: hinsichtlich des Inhalts der Revolution und des Wesens der Organisation der Revolutionäre.
"[...] Das moderne Proletariat geht anders aus geschichtlichen Proben hervor. Gigantisch wie seine Aufgaben sind auch seine Irrtümer. Kein vorgezeichnetes, ein für allemal gültiges Schema, kein unfehlbarer Führer zeigt ihm die Pfade, die es zu wandeln hat. Die geschichtliche Erfahrung ist seine einzige Lehrmeisterin, sein Dornenweg der Selbstbefreiung ist nicht bloß mit unermesslichen Leiden, sondern auch mit unzähligen Irrtümern gepflastert. Das Ziel seiner Reise, seine Befreiung hängt davon ab, ob das Proletariat versteht, aus den eigenen Irrtümern zu lernen. Selbstkritik, rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik ist Lebensluft und Lebenslicht der proletarischen Bewegung. Der Fall des sozialistischen Proletariats im gegenwärtigen Weltkrieg ist beispiellos, ist ein Unglück für die Menschheit. Verloren wäre der Sozialismus nur dann, wenn das internationale Proletariat die Tiefe des Falls nicht ermessen, aus ihm nicht lernen wollte." (Rosa Luxemburg in "Die Krise der Sozialdemokratie", 1916, Gesammelte Werke, Band 4, Seite 53)
15. DIE DIKTATUR DES PROLETARlATS
Die Übernahme der politischen Macht durch das Proletariat auf Weltebene ist eine Vorbedingung und der erste Schritt zur revolutionären Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft. Sie bedeutet zunächst die vollständige Zerstörung des bürgerlichen Staatsapparates.
Da die Bourgeoisie gerade durch diesen Staat ihre Herrschaft über die Gesellschaft ausübt sowie ihre Privilegien und die Ausbeutung der anderen Klassen, insbesondere der Arbeiterklasse, aufrechterhält, ist dieses Organ notwendigerweise für diese Funktionen maßgeschneidert. Folglich kann der Staat nicht von der Arbeiterklasse ausgenutzt werden, da die Arbeiterklasse weder das eine noch das andere zu verteidigen hat. Mit anderen Worten: es gibt keinen friedlichen Weg zum Sozialismus; das Proletariat kann der Gewalt, die, offen oder versteckt, immer systematischer von der ausbeutenden Minderheit - der Bourgeoisie - ausgeübt wird, nur seine eigene revolutionäre Klassengewalt entgegensetzen.
Um als Hebel bei der ökonomischen Umwälzung der Gesellschaft zu funktionieren, muss sich die Diktatur des Proletariats - d.h. die Ausübung der politischen Macht ausschließlich durch die Arbeiterklasse - der fundamentalen Aufgabe widmen, die ausbeutende Klasse durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu enteignen und schrittweise den vergesellschafteten Bereich auf den gesamten Produktionsapparat auszudehnen. Das Proletariat muss mittels seiner politischen Macht die bürgerliche Nationalökonomie angreifen, indem es eine Wirtschaftspolitik durchführt, die zur Abschaffung der Lohnarbeit und der Warenproduktion führt und auf die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit abzielt.
Während dieser Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus werden - vom Proletariat abgesehen - andere nicht-ausbeutende Klassen und Schichten weiterhin bestehen bleiben. Ihre Existenz ist mit dem nicht-vergesellschafteten Bereich der Wirtschaft eng verknüpft. Als Ausdruck der widerstrebenden ökonomischen Interessen wird der Klassenkampf daher weiterhin innerhalb der Gesellschaft existieren. Die Übergangsgesellschaft wird also einen Staat schaffen müssen, dessen wesentliche Rolle darin besteht zu verhindern, dass die immer noch schwelenden Konflikte die Gesellschaft vollständig zerreißen. Letztendlich wird jedoch mit der allmählichen Auflösung dieser gesellschaftlichen Klassen durch die Integration ihrer Mitglieder in die vergesellschafteten Bereiche auch der Staat selbst verschwinden.
Die Diktatur des Proletariats wird die Form von Arbeiterräten und vereinten Vollversammlungen annehmen, die auf der Ebene der ganzen Klasse organisiert und zentralisiert werden - mit gewählten und jederzeit abwählbaren Delegierten – und die eine wirklich kollektive und ungeteilte Ausübung der Macht durch die gesamte Klasse ermöglichen. Diese Räte müssen das Monopol über die Kontrolle der Waffen besitzen; das ist die Garantie dafür, dass allein die Arbeiterklasse die politische Macht ausübt.
Nur die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit kann die Macht im Sinne einer kommunistischen Umwandlung der Gesellschaft ausüben. Im Gegensatz zu allen anderen revolutionären Klassen der Vergangenheit kann sie ihre Macht nicht an irgendeine Institution oder Minderheit, die Minderheit der Revolutionäre eingeschlossen, übergeben. Die Revolutionäre handeln innerhalb der Räte, denn ihre eigene Organisation kann nicht die Einheitsorganisation der Klasse bei der Verwirklichung ihrer historischen Aufgaben ersetzen.
Auch hat die Erfahrung der Russischen Revolution die Kompliziertheit der Beziehungen zwischen der Klasse und dem Staat in der Übergangsperiode deutlich gemacht. In Zukunft können das Proletariat und die Revolutionäre dieses Problem nicht umgehen, sie müssen alles daransetzen, es zu lösen.
Die Diktatur des Proletariats beinhaltet die absolute Verwerfung der Idee, dass sich die Arbeiterklasse irgendeiner äußeren Kraft unterwerfen soll; ebenso schließt die Diktatur des Proletariats jegliche Gewalt innerhalb der Klasse aus. Während der Übergangsperiode ist die Arbeiterklasse die einzige revolutionäre Klasse in der Gesellschaft. Ihr Bewusstsein und ihr Zusammenhalt sowie ihre autonomen, selbständigen Handlungen sind die wesentlichen Garantien dafür, dass die Diktatur des Proletariats zum Kommunismus führt.
16. DIE ORGANISATION DER REVOLUTIONÄRE
a) Organisation und Klassenbewusstsein
Die Klassen, die gegen die bestehende Gesellschaftsordnung ihrer Zeit kämpften, konnten dies nur wirksam tun, indem sie ihren Kampf organisierten und ihm eine bewusste Form gaben - wie unvollständig und entfremdet auch immer ihre Organisations- und Bewusstseinsformen gewesen waren. Dies traf auch auf Schichten wie die Sklaven oder Bauern zu, die keine gesellschaftliche Zukunft in sich trugen. Um so mehr gilt dies für historischen Klassen, die die Träger neuer, durch die Entwicklung der Gesellschaft bedingter Produktionsverhältnisse sind. Unter diesen Klassen ist das Proletariat die einzige Klasse, die in der alten Gesellschaft keine ökonomische Macht besitzt. Daher sind seine Organisation und sein Bewusstsein um so entscheidendere Faktoren in seinem Kampf.
Die Organisation, die die Arbeiterklasse in ihrem revolutionären Kampf bildet und die zur Ausübung ihrer politischen Macht dient, sind die Arbeiterräte. Dass die gesamte Klasse Träger der Revolution ist und sich in diesen Organen zusammenfindet, bedeutet jedoch nicht, dass sich ihre Bewusstwerdung gleichmäßig und synchron entwickelt. Das Klassenbewusstsein bildet sich in den Kämpfen heraus, es bahnt sich einen Weg durch die Niederlagen und Siege. Es muss sich gegen die nationalen und all die anderen Spaltungen stemmen, die den “natürlichen” Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft bilden und innerhalb der Arbeiterklasse aufrechterhalten werden sollen.
b) Die Rolle der Revolutionäre
Die Revolutionäre sind jener Teil der Klasse, der als erster in diesem heterogenen Prozess zu einer “Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung” (Kommunistisches Manifest) gelangt. Da in der kapitalistischen Gesellschaft die “herrschenden Ideen die Ideen der herrschenden Klasse sind”, bilden die Revolutionäre zwangsläufig eine Minderheit der Klasse.
Aus der Klasse hervorgegangen, können die Revolutionäre als Ausdruck der Bewusstwerdung nur existieren, wenn sie sich organisieren und zu einem aktiven Faktor in diesem Bewusstwerdungsprozess werden. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muss die Organisation der Revolutionäre:
- an allen Kämpfen der Klasse teilnehmen, wobei sich die Mitglieder der Organisation durch ihre entschlossene, kämpferische Haltung auszeichnen;
- in diesen Kämpfen intervenieren und dabei immer die allgemeinen Interessen der Klasse und die Endziele der Bewegung hervorheben;
- sich im Rahmen dieser Interventionen und ihrer Verbesserung ständig den theoretischen Diskussionen und Vertiefungen widmen. Nur so wird es den Revolutionären möglich sein, ihre allgemeinen Aktivitäten auf die Grundlage der gesamten Erfahrung der Klasse und der daraus hervorgehenden Zukunftsperspektiven zu stellen.
c) Die Beziehungen zwischen der Arbeiterklasse und der Organisation der Revolutionäre
Obgleich die allgemeine Organisation der Klasse und die Organisation der Revolutionäre Teile ein- und derselben Bewegung sind, verkörpern sie doch Unterschiedliches.
Die Räte fassen die ganze Klasse zusammen. Das einzige Zugehörigkeitskriterium: Man muss Arbeiter zu sein. Die Organisation der Revolutionäre fasst dagegen nur die revolutionären Elemente der Klasse zusammen. Das Mitgliedschaftskriterium ist hier kein soziologisches, sondern ein politisches: die Übereinstimmung mit dem Programm der Organisation und die Bereitschaft, es zu verteidigen. Daher können der Avantgarde der Klasse Individuen angehören, die, soziologisch gesehen, nicht zur Arbeiterklasse gehören, die sich aber durch einen Bruch mit der Klasse, aus der sie stammen, mit den historischen Interessen des Proletariats identifiziert haben.
Obgleich die Klasse und die Organisation ihrer Avantgarde zwei unterschiedliche Dinge sind, können sie nicht voneinander getrennt werden. Entgegen den Behauptungen der “leninistischen”, aber auch der ouvrieristischen und rätekommunistischen Strömungen befindet sich die Organisation der Revolutionäre keineswegs außerhalb der Arbeiterklasse und steht ihr schon gar nicht gegenüber.
Diese Strömungen leugnen die Tatsache, dass beide Teile - die Klasse und die Revolutionäre - nicht zusammenstoßen oder sich gegenüberstehen, sondern in Wirklichkeit einander ergänzen. Zwischen beiden kann es nie ein Kräftemessen geben, weil die Kommunisten “keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen” (Kommunistisches Manifest) haben.
Als Teil der Klasse können die Revolutionäre zu keinem Zeitpunkt die Klasse substituieren, nicht in den Kämpfen der Klasse innerhalb des Kapitalismus und noch weniger bei der Überwindung des Kapitalismus oder bei der Machtausübung durch die Arbeiterklasse. Im Gegensatz zu früheren historischen Klassen reicht das Bewusstsein einer Minderheit, auch wenn sie noch so aufgeklärt ist, nicht aus, um die Aufgaben des Proletariats zu verwirklichen. Vielmehr ist die ständige Teilnahme und die schöpferische Aktivität der gesamten Klasse dazu notwendig.
Die Generalisierung des Bewusstseins ist die einzige Garantie für den Sieg der proletarischen Revolution. Da dies hauptsächlich das Ergebnis der praktischen Erfahrung ist, sind die Eigenaktivitäten der gesamten Klasse unersetzbar. Insbesondere darf der notwendige Gebrauch der Gewalt durch die Klasse keine von der allgemeinen Klassenbewegung getrennte Aktivität sein. Daher ist der Terrorismus, der von Individuen oder isolierten Gruppen ausgeübt wird, den Kampfmethoden der Arbeiterklasse vollkommen fremd. Bestenfalls ist er Ausdruck kleinbürgerlicher Verzweiflung, wenn er nicht einfach ein zynisches Mittel im Kampf zwischen verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie ist.
Die Selbstorganisation der Arbeiterkämpfe und die Ausübung von Gewalt durch die Klasse bilden keine getrennten Wege zum Kommunismus, wobei der eine gegen den anderen abgewogen wird. Nur zusammen stellen sie den einzigen Weg zum Kommunismus dar.
Die Organisation der Revolutionäre (deren höchst entwickelte Form die Partei ist) ist ein notwendiges Organ, das von der Arbeiterklasse für die Entwicklung des Bewusstseins über ihre historische Zukunft und für die entsprechende politische Orientierung ihres Kampfes geschaffen wird. Deshalb sind die Existenz und die Aktivitäten dieser einen Partei eine unverzichtbare Bedingung für den Endsieg des Proletariats.
d) Die Autonomie der Arbeiterklasse
Im Verständnis ouvrieristischer und anarchistischer Gruppierungen nimmt das Konzept der Arbeiterautonomie und ihre Gegenüberstellung zum Substitionismus einen reaktionären und kleinbürgerlichen Sinn an. Die Autonomie läuft bei diesen Gruppen auf nichts anderes hinaus als auf die eigene Unabhängigkeit als kleine Sekte, die sich als die Arbeiterklasse aufspielt, so wie die von ihnen kritisierten substitutionistischen Strömungen. Abgesehen davon zeichnet sich die ouvrieristische und anarchistische Auffassung durch zwei grundsätzliche Gesichtspunkte aus:
- durch die Ablehnung jeglicher politischer Parteien und Organisationen, wie immer sie auch aussehen mögen, durch die Arbeiter;
- durch die Autonomie eines jeden Teils der Arbeiterklasse (in Fabriken, Nachbarschaften, Stadtvierteln, Regionen, Nationen usw.) gegenüber anderen Teilen der Klasse, d.h. den Föderalismus.
Heute sind solche Ideen im besten Fall eine emotionale Reaktion gegen die stalinistische Bürokratie und gegen die Entwicklung des staatlichen Totalitarismus; im schlimmsten Fall sind sie allerdings der politische Ausdruck der für das Kleinbürgertum typischen Isolation und Spaltung. Doch in beiden Fällen drücken sie das totale Unverständnis gegenüber den drei grundlegenden Aspekten des revolutionären Kampfes des Proletariats aus, nämlich:
- der Bedeutung und Priorität der politischen Aufgaben der Klasse (Zerstörung des kapitalistischen Staats, Diktatur des Proletariats auf Weltebene);
- der Bedeutung und Unabdingbarkeit der Organisation der Revolutionäre innerhalb der Klasse;
- des vereinigten, zentralisierten und weltweiten Charakters des revolutionären Kampfes der Klasse.
Für uns Marxisten bedeutet die Autonomie der Klasse die Unabhängigkeit der Klasse gegenüber allen anderen Klassen in der Gesellschaft. Diese Autonomie stellte eine zwingend notwendige Vorbedingung für die revolutionären Aktivitäten der Klasse dar, weil das Proletariat die einzige revolutionäre Klasse ist. Diese Autonomie drückt sich sowohl auf Organisationsebene (in Gestalt der Organisation der Arbeiterräte) als auch auf politischer und programmatischer Ebene aus und steht daher, im Gegensatz zu den Auffassungen der ouvrieristischen Gruppen, in enger Verbindung zur kommunistischen Avantgarde des Proletariats.
e) Die Organisation der Revolutionäre in den verschiedenen Perioden des Klassenkampfes
So wie die allgemeine Organisation der Klasse und die Organisation der Revolutionäre eine unterschiedliche Funktion haben, so sind auch die Bedingungen, unter denen sie entstehen, von unterschiedlicher Natur. Die Räte entstehen nur in Zeiten revolutionärer Konfrontationen, wenn die Kämpfe der Klasse zur Machtübernahme streben. Jedoch hat seit ihrem Bestehen stets das Streben der Arbeiterklasse nach Weiterentwicklung ihres Bewusstseins bestanden und wird auch weiterhin, bis zu ihrer Auflösung in der kommunistischen Gesellschaft, fortbestehen. Daher gab es zu jeder Zeit, als Ausdruck dieser ständigen Bemühungen, kommunistische Minderheiten. Doch der Rahmen, der Einfluss, die Art der Aktivitäten und die Organisationsform dieser Minderheiten sind eng mit den Bedingungen des Klassenkampfes verknüpft.
In Zeiten intensiver Klassenaktivitäten üben diese Minderheiten einen direkten Einfluss auf den praktischen Verlauf der Ereignisse aus. In diesem Fall ist es gerechtfertigt, die Organisation der Avantgarde als Partei zu bezeichnen. In Zeiten der Niederlage oder des Zurückweichens des Klassenkampfes dagegen haben die Revolutionäre keinen direkten Einfluss mehr auf den unmittelbaren Verlauf der Geschichte. In diesem Fall ist es lediglich kleineren Organisationen vorbehalten, weiter zu bestehen. Ihre Rolle besteht nicht mehr darin, die Bewegung unmittelbar zu beeinflussen, sondern darin, der unmittelbaren Bewegung zu widerstehen. Wenn die Klasse entwaffnet ist und auf bürgerlichem Terrain (durch die Zusammenarbeit zwischen den Klassen in Gestalt “heiliger Allianzen”, des “Burgfriedens”, der “Résistance”, des “Antifaschismus” usw.) mobilisiert wird, heißt es für die revolutionären Minderheiten, gegen den Strom zu schwimmen. Ihre grundlegende Aufgabe besteht dann darin, die Lehren aus den gemachten Erfahrungen zu ziehen und somit den theoretischen und programmatischen Rahmen für die künftige proletarische Partei vorzubereiten, welche sich notwendigerweise bilden muss, sobald sich der Klassenkampf wieder verstärkt. Die Gruppen und Fraktionen, welche sich am Tiefpunkt des Klassenkampfes von der degenerierenden Partei getrennt oder sie überlebt haben, haben zur Aufgabe, die politische und organisatorische Brücke bis zur Wiederherstellung der Partei zu bilden.
f) Die Struktur der Organisation der Revolutionäre
Der notwendigerweise weltweite und zentralisierte Charakter der proletarischen Revolution überträgt sich auch auf die Partei der Arbeiterklasse. Jene Fraktionen und Gruppen, die an dem Aufbau der Partei arbeiten, streben notwendigerweise eine weltweite Zentralisierung an. Dies zeigt sich in der Existenz von Zentralorganen, denen eine zentrale politische Verantwortung zwischen den Kongressen der Organisation, vor denen sie verantwortlich sind, übertragen wird.
Die Struktur der Organisation der Revolutionäre muss zwei wesentliche Bedürfnisse in Betracht ziehen:
- Sie muss die volle Entwicklung des revolutionären Bewusstseins innerhalb der Organisation selbst und somit die breiteste und ausführlichste Diskussion aller Fragen und Meinungsverschiedenheiten ermöglichen, welche in einer nicht-monolithischen Organisation auftauchen.
- Sie muss gleichzeitig ihren Zusammenhalt und ihre einheitliche Handlungsweise sicherstellen. Das bedeutet insbesondere, dass alle Teile der Organisation die von der Mehrheit gefällten Entscheidungen, ausführen müssen.
Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen der Organisation und unter den Militanten selbst tragen notwendigerweise die Narben der kapitalistischen Gesellschaft in sich. Deshalb können diese Beziehungen keine Inseln der kommunistischen Beziehungen innerhalb des Kapitalismus darstellen. Sie dürfen aber auch nicht in offenkundigem Widerspruch zum von den Revolutionären verfolgten Ziel stehen und müssen notwendigerweise auf der Solidarität und dem gegenseitigen Vertrauen beruhen, die ein Kennzeichen der Zugehörigkeit der Organisation zu jener Klasse sind, die den Kommunismus verwirklichen soll.
“[...] das Dilemma, vor dem die Menschheit steht, heißt: entweder Untergang in der Anarchie oder die Rettung durch den Sozialismus. Aus den Ergebnissen des Weltkrieges können die bürgerlichen Klassen unmöglich auf dem Boden ihrer Klassenherrschaft und des Kapitalismus irgendeinen Ausweg finden. Und so ist es gekommen, dass wir die Wahrheit, die gerade Marx und Engels zum ersten Mal als wissenschaftliche Basis des Sozialismus [...] ausgesprochen haben: Der Sozialismus wird eine geschichtliche Notwendigkeit werden, in des Wortes genauester Bedeutung heute erleben. Der Sozialismus ist Notwendigkeit geworden nicht bloß deshalb, weil des Proletariat unter den Lebensbedingungen nicht mehr zu leben gewillt ist, die ihm die kapitalistischen Klassen bereiten, sondern deshalb, weil, wenn das Proletariat nicht seine Klassenpflichten erfüllt und den Sozialismus verwirklicht, uns allen zusammen der Untergang bevorsteht." (Rosa Luxemburg beim Gründungsparteitag der KPD 1918/19, Ges. Werke, Bd. 4, S. 496).
[1] Der Zusammenbruch des Ostbocks und der stalinistischen Regimes hat den Mythos der “realsozialistischen” Länder, der ein halbes Jahrhundert lang die ideologische Speerspitze der furchtbarsten Konterrevolution der Geschichte bildete, beiseite gefegt. Aber indem die “demokratische” Bourgeoisie eine Kampagne über das angebliche “Scheitern des Kommunismus” vom Stapel gelassen hat, verbreitet sie weiterhin die größte Lüge der Geschichte: die Gleichsetzung des Stalinismus mit dem Kommunismus. Die linken und linksextremistischen Parteien, welche die “sozialistischen” Länder - wenn auch kritisch - unterstützt haben, sind heute gezwungen, sich der neuen Weltlage anzupassen. Um die Arbeiterklasse weiterhin irrezuführen und zu kontrollieren, wollen sie vergessen machen, dass sie selbst den Stalinismus unterstützt haben, oder fälschen, wenn notwendig, ihre eigene Vergangenheit.
[2] Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 1980er Jahre und der ihm folgenden Auflösung des westlichen Blocks sind die Befreiungskämpfe kein Mythos mehr, mittels dessen die linken und linksextremistischen Fraktionen des Kapitals bis dahin versucht hatten, Teile der Arbeiterklasse für das eine oder andere imperialistische Lager zu mobilisieren. Doch während der Mythos der “nationalen Befreiung” in den großen Zentren des Kapitalismus mit dem Zusammenbruch des russischen imperialistischen Blocks geplatzt ist, behält er in einigen peripheren Gebieten der Welt weiterhin seine Anziehungskraft bei und erweist sich immer noch als nützlich, um die Arbeiter dieser Länder in Massaker zu treiben (wie z.B. im Kaukasus oder in den von Israel besetzten Gebieten).
[3] Diese Mystifikation, die ihren Höhepunkt mit der Erfahrung der “Selbstverwaltung” und der Niederlage der Arbeiter von LIP 1974-75 in Frankreich erreicht hatte, ist heute verflogen. Aber man kann nicht ausschließen, dass sie bei einem Wiedererstarken des Anarchismus erneut Auftrieb erhält. In den Kämpfen in Spanien 1936 waren die anarchistischen und anarcho-syndikalistischen Strömungen die Verfechter des Mythos der Selbstverwaltung, die damals als eine “revolutionäre” Maßnahme dargestellt wurde