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Bis heute ist die
Italienische Linke (sinistra italiana) selbst in dem Land,
wo sie entstanden war, und dort, wo sie sich weiter entwickelt hatte,
unbekannt, wenn nicht gar verkannt geblieben.
Sie war in Italien in
den Jahren vor dem I. Weltkrieg um Amadeo Bordiga, ihrem bekanntesten Führer,
entstanden und stand von 1921 bis 1925 an der Spitze der Italienischen
Kommunistischen Partei (PCI). Damals spielte die Strömung um Gramsci nur eine
untergeordnete, zweitrangige Rolle. Als rechtem Flügel gestaltete es sich ihm
trotz der Unterstützung durch die Komintern als schwierig, die linke Führung,
die von der Mehrheit der PCI-Mitglieder unterstützt wurde, beiseite zu drängen.
Doch nach dem Kongress von Lyon 1926 wurde die alte „bordigistische“ Mehrheit
langsam aus der Partei gedrängt. Kurz darauf wurde ihr prominentestes Mitglied,
Bordiga, ins Gefängnis geworfen. Nach seiner Haftentlassung zog er sich aus
allen militanten Aktivitäten zurück und widmete sich seinem Beruf als Ingenieur
und Architekt. Erst 1944 brach er sein Schweigen wieder.
So setzten die
italienischen Linkskommunisten ihre Aktivitäten ohne Bordiga und außerhalb
Italiens fort, wo die „faschistischen“ Gesetze jede organisierte politische
Aktivität unmöglich gemacht hatten. 1927 wurden sie linke Fraktion der PCI,
1935 schließlich Fraktion der Kommunistischen Linken. In der ganzen Zeit ihrer
Existenz, von ihrer Gründung in Pantin 1927 bis zu ihrer Auflösung 1945, machte
sie sich das Erbe der Partei, als Bordiga noch die Führung innegehabt hatte, zu
eigen und entwickelte es weiter.
Nachdem sie 1926 ins Exil verschlagen worden waren,
verloren die italienischen Linkskommunisten allmählich die ursprünglich
„italienischen“ Züge ihrer Herkunft und Entwicklung. Sie bildeten eine Gruppe
von italienischen Emigranten, die sich vorwiegend in Frankreich und Belgien
aufhielten, und beriefen sich auf die ursprünglichen Traditionen der PCI. Zur
Auswanderung gezwungen und sich eng an die Traditionen der Kommunistischen
Internationalen anlehnend, verteidigten sie nicht irgendwelche Nationen oder
Landesgrenzen, sondern waren als „italienische“ Fraktion wahrhafte
Internationalisten. Diese Fraktion existierte nicht nur in Frankreich und
Belgien, sondern später auch in den USA. Einige Jahre lang gab es sogar Genossen
in Russland und Kontakte in Mexiko. Ihr gelang es nicht nur, die bei
politischen Emigranten häufig anzutreffende Erscheinung der inneren Emigration
zu überwinden. Sie suchte stets auch die Auseinandersetzung mit den Ideen all
jener Gruppen, die aus der Komintern ausgetreten oder ausgeschlossen worden
waren, von den Trotzkisten bis zu den Linkskommunisten, die mit Trotzki
gebrochen hatten. Ungeachtet einer Reihe von Spaltungen innerhalb dieser
Gruppen und ihrer Abwege war dieses Beharren auf eine Auseinandersetzung
fruchtbar. 1937 entstand eine belgische Fraktion, die aus der Ligue des
communistes internationalistes (LCI – Bund der Internationalen Kommunisten) um
Hennaut hervorgegangen war, 1944 schließlich eine französische Fraktion. Dies
beweist unstrittig die Ausdehnung ihres Einflusses, der jedoch eher politisch
als zahlenmäßig erfasst werden kann. Die Italienische Kommunistische Linke war
keine spezifisch italienische Linke mehr, sondern wurde 1938 zur
internationalen Kommunistischen Linken; es wurde ein Internationales Büro der
Fraktionen eingerichtet.
Die Italienische Linke
war und blieb in ihren politischen Positionen und Aktivitäten durch und durch
internationalistisch. Internationalismus hieß für diese kleine
Arbeiterorganisation, keinen Verrat am Weltproletariat zu begehen. Zu einer
Zeit, die sich für die vom Proletariat immer isolierteren Gruppen als besonders
schlimm erwies, war sie eine der wenigen Organisationen, die beschlossen
hatten, gegen den Strom zu schwimmen. Sie weigerte sich, die Demokratie gegen
den Faschismus zu unterstützen; sie lehnte die Verteidigung der UdSSR genauso
ab wie die nationalen Befreiungskämpfe. In einer vom Krieg überschatteten Zeit
trat sie, wie Lenin 1914, unermüdlich für den „revolutionären Defätismus“
gegenüber allen militärischen Lagern ein; und ebenso unermüdlich vertrat sie
die Notwendigkeit einer proletarischen Weltrevolution als einzige Lösung für
die von Krisen, Kriegen und massivem Terror erschütterten Welt.
Ungeachtet der Ablehnung, ja, gar Feindschaft, auf die sie
unter den Arbeitern stieß, von denen eine große Mehrheit den Aktivitäten der
Volksfront und des Antifaschismus folgte, trat sie für ihre Auffassung ein, die
da lautete: „Keinen Verrat begehen!“. In ihrer ohnehin schon großen Isolation
traf sie die schwere Entscheidung, sich mit ihrer vorbehaltlosen Verteidigung
von internationalistischen Positionen gegen den Krieg noch weiter zu isolieren.
Während des Spanienkriegs war sie in Frankreich die einzige Gruppe, die der
republikanischen Regierung die Unterstützung, gleich unter welchen Umständen,
versagte und zur Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg
aufrief. Dabei wurde sie lediglich von einer kleinen Minderheit in der LCI
Belgiens und einer kleinen mexikanischen Gruppe unterstützt, ansonsten stand
sie gegenüber der Union Communiste in Frankreich, der LCI in Belgien, der
Revolutionary Workers League (RWL) in den USA völlig allein da. Als Preis für
diese kompromisslose Verteidigung ihrer Positionen musste sie selbst eine
Spaltung hinnehmen, in deren Folge eine wichtige Minderheit austrat. Obwohl
zahlenmäßig geschwächt, ging die Linksfraktion politisch gestärkt aus dieser
Phase hervor. Als der Krieg ausbrach, war sie neben den holländischen
Internationalisten, den deutschen RKD und den französischen Communistes
Révolutionaires die einzige Gruppe, die den imperialistischen Krieg, die
Résistance und Partisanenkriege ablehnte. Stattdessen setzte sie all dem die
Notwendigkeit einer proletarischen Revolution entgegen, die Blöcke und militärische
Fronten aller Art negiert. Den Massakern an den Arbeitern im Krieg setzte sie
die Fraternisierung über alle Grenzen hinweg entgegen.
Beim Versuch der
Charakterisierung ihrer Positionen haben einige Historiker bzw. politische
Gegner ihr das doppelte Etikett „linksradikal“ und „bordigistisch“ anzuheften
versucht. Tatsächlich war die italienische Kommunistische Linke weder
linksradikal noch bordigistisch. Sie hat sich stets gegen diese Bezeichnung
gewehrt. Sie trachtete nie nach einer eigenen, „originellen“ Position. Obgleich
sie, zusammen mit der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschland (KAPD), von
Lenin in dessen Schrift „Der linke
Radikalismus – eine Kinderkrankheit im Kommunismus“ angegriffen wurde, war
sie vor allem der Ausdruck der Linken in der Komintern. Sie strebte danach, die
revolutionären Traditionen der ersten beiden Kongresse fortzusetzen. Sie war
eine der ersten linkskommunistischen Strömungen, die in der Komintern
entstanden waren, und sie war eine der letzten, die aus ihr ausschieden, und
das nicht freiwillig, sondern weil sie ausgeschlossen wurde. Obwohl sie ständig
von Trotzki als „Linksradikale“ angegriffen wurde, arbeitete und diskutierte
sie jahrelang mit der trotzkistischen Strömung, bis sie dann auch aus ihr
ausgeschlossen wurde. Als konsequent marxistische Strömung vor dem I. Weltkrieg
entstanden, blieb sie der ursprünglichen Stringenz der Komintern noch treu, als
diese sich schon in Richtung der „Taktik“ der Volksfront und der
Arbeiterregierungen bewegte.
Die Italienische Kommunistische
Linke blieb als Strömung am Leben, weil ihre politische Erfahrung sie dazu
veranlasste, die Schemata der Vergangenheit zu überprüfen und diejenigen in
Frage zu stellen, die ihr überholt erschienen, und nicht, weil sie den
"Extremismus“ suchte. Sie war der Auffassung, dass die russische Erfahrung
nicht zu einem unantastbaren Heiligtum erhoben, sondern einer harten und
schonungslosen Kritik unterworfen werden musste. Für sie war der Marxismus
weder eine Bibel, noch bestand er aus einer Reihe von Rezepten. Er sollte durch
die Erfahrungen der Arbeiterklasse bereichert werden. Sie lehnte es ab, Lenin
und Bordiga als quasi-religiöse Dogmenverkünder darzustellen. Davon ausgehend,
dass die Russische Revolution und die ihr folgende Zeit einer genauen Bilanz (Bilan) unterzogen werden mussten, scheute sie nicht davor zurück,
einige Positionen Lenins und Bordigas zu kritisieren, obwohl sie sich ansonsten
auf diese beiden berief. Ob in der Gewerkschaftsfrage, der Frage der nationalen
Befreiungskämpfe oder in der Frage über die Übergangsperiode, wann immer es ihr
als notwendig erschien, schreckte sie nicht vor der Formulierung neuer
Positionen zurück. Daher kann sie nicht mit dem Etikett „leninistisch“ oder
„bordigistisch“ versehen werden. Es war sicherlich diese kritische Bilanz der
Vergangenheit, die es ihr ermöglichte, den II. Weltkrieg zu überleben und bis
heute als historische Strömung fortzubestehen.
Dass die Italienische
Linke, die zu Unrecht als „bordigistisch“ bezeichnet wird, solange in der
Emigration überlebt hat, kann nicht durch die Anwesenheit von Persönlichkeiten
wie Ottorino Perrone (Vercesi) erklärt werden, der einer ihrer Hauptführer war.
Er mag noch so brillant gewesen sein, aber letztendlich war Perrone nur die
Verkörperung der theoretischen und politischen Aktivitäten aller Militanten. Sein politisches Zaudern, ja, seine überraschende
Beteiligung an der „antifaschistischen Koalition“ in Brüssel 1944/45 zeigen,
dass die politische Kontinuität der Italienischen Linken mehr von der
Organisation in ihrer Gesamtheit abhing als von einzelnen Individuen. Einer
Formulierung der Italienischen Fraktion zufolge – eine Formulierung, die ihr
sehr wichtig war -, brachte sich jeder einzelne Genosse so in der Organisation
zum Ausdruck, wie umgekehrt die Organisation in jedem einzelnen Genossen zum
Ausdruck kam. Und wenn sie dennoch Führer der Arbeiterbewegung, wie Lenin,
pries, dann nur, um die Verkörperung des organischen Lebens der Partei in
Gestalt dieser „Führer“ zu demonstrieren. Insgesamt aber versuchte sie soweit
wie möglich, die bekanntesten und respektiertesten Gesichter anonym zu halten.
Somit folgte sie einem Anliegen Bordigas, der in den 20er Jahren stets dafür
eingetreten war, dass das Leben der Partei nicht durch das „Führer, wir folgen
dir“-Prinzip geprägt wird, sondern durch ihr politisches Programm.
Überraschenderweise
gehen die gegenwärtigen Gruppen, die sich auf die Tradition der Italienischen
Linken berufen, oft mit Schweigen über ihre eigene Geschichte hinweg, obwohl
einige ihrer Mitglieder aus der Italienischen Fraktion stammen. Wenn sie denn
über Bilan reden, dann stellen sie
diese Zeitschrift als ein kleines Blatt italienischer Emigranten dar, aber
hüllen sich über die von Bilan
vertretenen Positionen in Schweigen. Dies trifft beispielsweise auf die Parti
Communiste Internationale (PCI/IKP) zu, die die Zeitschrift Programme Comuniste (Kommunistisches
Programm) veröffentlicht. Obgleich sie sich auf eine „vollständige Kontinuität mit der Italienischen Linken seit 1921 beruft
und auf eine Invarianz ihrer Positionen, einer absoluten Treue gegenüber allen
Positionen Bordigas und Lenins in den 20er Jahren“, scheint sie das Leben
der Italienischen Fraktion zwischen 1926 und 1945 zu ignorieren.
In der Geschichte der
Italienischen Linken ereignete sich zwischen 1943 und 1945 ein bedeutender
Bruch, als die Partito Comunista Internazionalista Italiens gegründet wurde.
Dies führte seinerzeit in Frankreich und Belgien zur Auflösung der
Italienischen Fraktion, nachdem sich die meisten ihrer Mitglieder der neuen
Partei anschlossen hatten, obgleich sie nicht einmal ihr Programm kannten. Bei
aller Begeisterung, mit der sie der italienischen PCInt beitraten – einer
Partei, die immerhin mehrere Tausend Mitglieder zählte und an deren Spitze so
prominente Führer wie Bordiga, Damen und später auch Perrone standen –, wurden
viele Divergenzen vorübergehend in den Hintergrund gerückt. Viele Militante
hegten die heimliche Hoffnung, dass die Partei aus der Ära von Livorno und
Bordigas wiederauferstehen würde. Das Gefühl der zahlenmäßigen Stärke der PCInt
führte zu einer sektiererischen Politik, die im Gegensatz zur Praxis der
Fraktion der Kommunistischen Linken in Frankreich und Belgien stand. Die PCInt
lehnte jede Diskussion und Auseinandersetzung mit Gruppen wie der RKD-CR ab,
obwohl auch diese sich geweigert hatten, den Krieg zu unterstützen, und
konsequent internationalistische Positionen vertreten hatten. Die PCInt schloss
faktisch die französische Fraktion aus, die die Tradition von Bilan fortsetzen wollte und deren Verdienst
es war, die schlummernden Kräfte der belgischen und italienischen Fraktionen
während des Krieges wieder geweckt zu haben.
Einige Jahre später
geriet die gerade gegründete PCInt in eine tiefe Krise, die in einer Reihe von
Spaltungen und Austritten kulminierte. Die Mitgliederzahl der Partei schrumpfte
rapide. Sie wurde zu einer kleinen Organisation von Militanten, die sich
weiterhin „Partei“ nannte, obgleich sie weder die Form noch die Mittel dazu
besaß; denn sie existierte in einer Zeit, in der, ähnlich wie in den 30er
Jahren, proletarische Organisationen isoliert blieben. 1952 trennte sich die
Tendenz um Damen, Mitbegründer der PCInt, nach jahrelangen Auseinandersetzungen
mit Bordiga, der nicht einmal Mitglied der Partei war, von der rein „bordigistischen“
Tendenz. Letztere berief sich auf die Thesen von Bordiga und Lenin aus den 20er
Jahren und verwarf all die theoretischen Auseinandersetzungen von Bilan, Octobre und Communisme in
den 30er Jahren.
Heute bekennt sich
unter all den bestehenden Gruppen der Italienischen Linken lediglich Battaglia Comunista, die sich in der Tradition der von Damen 1943
gegründeten PCInt sieht, zu Bilan.
Doch nach der Spaltung von 1952 schlossen sich die meisten der Mitglieder der
ehemaligen Fraktion der Italienischen Linken der Tendenz Damens an.
Ohne direkt aus der
Italienischen Kommunistischen Linken in der Zeit zwischen den beiden
Weltkriegen hervorgegangen zu sein, beruft sich heute dennoch die
Internationale Kommunistische Strömung (IKS) ausdrücklich auf Bilan und auf die französische Fraktion,
die nach 1945 die Zeitschrift Internationalisme
veröffentlichte und die Positionen von Bilan
weiterzuführen gedachte. Vor allem die IKS hat die Texte von Bilan in mehreren Sprachen
wiederveröffentlicht.
Heute eine Geschichte
(oder besser: den Umriss einer Geschichte) der Italienischen Kommunistischen
Linken zwischen den beiden Weltkriegen zu veröffentlichen, mag vielen als
nutzloses Unterfangen erscheinen. Aber die Italienische Linke hatte einen
Einfluss und eine Bedeutung, die weit über ihre zahlenmäßige Stärke
hinausgingen. Heute, wo die herrschende Klasse mehr denn je über den „Tod des
Kommunismus“ redet und uns immer wieder die Lüge, derzufolge Kommunismus gleich
Stalinismus ist, auftischt, ist es um so wichtiger aufzuzeigen, dass es
Kommunisten gab, die diese Lüge von Anbeginn aufgedeckt und die wirklichen
Errungenschaften der Oktoberrevolution sowohl aufrechterhalten als auch
kritisch weiterentwickelt hatten – und das gegen all die Verfälschungen und
Verleumdungen durch die stalinistische Konterrevolution.
Die hier abgedruckten Kapitel sind Teil eines
Buches, das im Dezember 1981 von der IKS veröffentlicht wurde. In dem Buch sind
viele Quellenangaben und Fußnoten aufgeführt, die wir hier der besseren
Lesbarkeit wegen weggelassen haben. Wenn wir dennoch die
Originalfußnotennumerierung in der Broschüre mit aufführen, so deshalb, um ein
Auffinden der Quellen zu erleichtern. Die Nummern beziehen sich auf die
französische Originalausgabe.