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Der Aufstieg der Rechten in Europa: Ist der Faschismus heute eine Gefahr?
Zwei Ereignisse illustrieren in Europa den Aufstieg der extremen Rechten, die oft auch rechtspopulistisch genannt wird: – In Frankreich erzielte Le Pen in den Präsidentschaftswahlen überraschenderweise 17% der Stimmen. – In den Niederlanden stieg die "Liste Pim Fortuyn" (dessen Führer kurz vor den Wahlen ermordet und dessen Begräbnis zu einer nationalistischen Hysterie aufgebauscht wurde) spektakulär aus dem Nichts zu einer politischen Kraft mit 26 von 150 Sitzen im niederländischen Parlament.
Dies sind keineswegs isolierte Ereignisse, sondern Teil einer Tendenz, die sich in den letzten Jahren in anderen Ländern Europas herausgebildet hat
– In Italien profitiert die gegenwärtige Regierung Berlusconi von einer Allianz mit den zwei Rechtsaußen-Formationen, die bereits 1996/97 seine Parlamentskollegen waren: Umberto Bossis Lombardische Liga und die Nationale Allianz (ex-MSI) von Gianfranco Fini.1 – In Österreich teilt Jörg Haiders FPÖ seit Oktober 1999 die Macht mit der Volkspartei. – In Dänemark vertritt die offen fremdenfeindliche Dänische Volkspartei 12% der Wählerschaft, und dank ihrer Unterstützung bleiben die Liberalkonservativen an der Macht. Das neue Gesetz dieser Regierung gegen die Einwanderung wurde am EU-Gipfel in Sevilla als Modell für Europa vorgestellt. - In der Schweiz erzielte die SVP mit einer einzig auf die Immigration reduzierten Wahlkampagne im Oktober 1999 22,5% der Stimmen für die Legislative. - Die Fortschrittliche Partei hat in Norwegen mit mehr als 15% der Stimmen für die Legislative seit 1997 einen wichtigen Einfluss.
Was bedeuten diese Phänomene?
Entwickelt sich in Europa eine neue "braune Gefahr"? Existiert tatsächlich eine faschistische Gefahr? Tatsächlich zielen die Kampagnen der Bourgeoisie darauf ab, der Bevölkerung und insbesondere der Arbeiterklasse dies glauben zu machen, um die "Bürger" gegen die "faschistische Gefahr" für die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie und ihre Parteien zu mobilisieren. Dies geschah in Frankreich hauptsächlich in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen.
Jedoch unterscheidet sich die heutige Situation grundlegend vom aufsteigenden Faschismus in den 30er Jahren. Ein solcher Vergleich wäre total falsch, denn die historische Situation ist eine andere.
Der Aufstieg der extremen Rechten bedeutet keineswegs die Gefahr einer faschistischen Machtübernahme
In den 20er und 30er Jahren wurde die Machtübergabe an faschistische Regimes von breiten Teilen der herrschenden Klasse, vor allem von den großen industriellen Gruppierungen unterstützt. In Deutschland kontrollierten Krupp, Siemens, Thyssen, Messerschmitt, die IG Farben usw., die in Kartellen organisiert waren, Schlüsselbereiche der von den Nazis entwickelten Kriegswirtschaft: den Kohlebergbau, den Maschinenbau, die Stahlproduktion. Auch in Italien wurden die Faschisten von den großen Firmen der Kriegswirtschaft (Fiat, Ansaldo, Edison) unterstützt. Die deutsche und die italienische Bourgeoisie legte großen Wert auf die Entwicklung der Kriegswirtschaften in ihren Ländern, weil sie die Verlierer des Ersten Weltkrieges gewesen waren und sie sich auf einen neuen Weltkrieg zur Neuaufteilung des imperialistischen Kuchens vorbereiten mussten. Die faschistischen Regimes stellten also eine direkte Antwort auf die Notwendigkeiten des nationalen Kapitals dar, insbesondere auch auf die Notwendigkeit, die Arbeiterklasse brutal zu disziplinieren.
Heute stellt sich die Situation ganz anders dar: Die "Wirtschaftsprogramme" der Rechten existieren entweder gar nicht oder sind für die Bourgeoisie schlicht von keinem Interesse. Die Rechtsextremen in der Regierung würden die Fähigkeit des nationalen Kapitals, sich auf dem Weltmarkt zu behaupten, drastisch untergraben. So können sie also auf keine Unterstützung irgendeines verantwortlich handelnden Teils der Bourgeoisie zählen.
Tatsächlich verfolgten die rechten Parteien wie der MSI in Italien oder Haider in Österreich, kaum waren sie an der Regierung beteiligt, eine "vernünftige und gemäßigte" Politik, um einen gewissen Einfluss zu wahren.
Diese Parteien stehen anders als die Faschisten in den 30er Jahren nicht für eine imperialistische Politik zur Vorbereitung eines neuen Weltkriegs. Sie können keine glaubwürdige alternative imperialistische Politik vorweisen.
Vor allem aber fehlt heute im Gegensatz zu den 30er Jahren eine wichtige Vorbedingung für den Aufstieg des Faschismus: die physische und ideologische Zerschlagung der Arbeiterklasse. Der Faschismus und der Stalinismus waren Ausdrücke der Konterrevolution. Sie konnten nur die Macht ergreifen, weil die demokratischen Teile der herrschenden Klasse die Arbeiter bereits geschlagen hatten.
Heute ist dies nicht der Fall. Seit 1968 ist die Arbeiterklasse weder physisch noch ideologisch geschlagen, trotz aller erlittenen Schwierigkeiten und Rückschläge, hauptsächlich auch dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem darauf folgenden ideologischen Angriff.
Aus all diesen Gründen existiert außer in den Kampagnen der herrschenden Klasse die Gefahr von faschistischen Regimes nicht.
Der gegenwärtige Aufstieg der "populistischen" Parteien findet in einem vollständig anderen Kontext statt und bedeutet somit auch etwas ganz anderes als in den 30er Jahren.
Die rechten Ideologien als Ausdruck des Zerfalls des Kapitalismus
Das Auftauchen der populistischen Parteien heute ist ein Ausdruck des verrottenden Kapitalismus, des schwächeren gesellschaftlichen Gewebes und der alle Klassen betreffenden Verschlechterung der gesellschaftlichen Beziehungen. Das Auftauchen der rechtsextremen Parteien geht einher mit dem Auftauchen und der Verschärfung von alten Ideologien: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, die Betonung des Nationalen durch die rückständigsten und marginalisierten Sektoren, hauptsächlich die kleinbürgerlichen Ladenbesitzer und die Bauern. Angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten des krisengeschüttelten Kapitalismus wie der Arbeitslosigkeit, der Einwanderung, der Unsicherheit, des Terrorismus usw. reagieren diese Schichten mit Frustration, Groll, Angst vor der Zukunft, Angst vor "Fremden" oder vor Nachbarn mit anderer Hautfarbe, Angst und Hass gegenüber der Andersartigkeit, Fixierung auf Sicherheit, Überlebensdrang, Selbstbezogenheit (was der Herrschaft des "Jeder-für-sich" im kapitalistischen Konkurrenzkampf entspricht), Atomisierung. Dies alles entspricht der Schwächung des gesellschaftlichen Gewebes. Es ist der ideologische Ausdruck einer verzweifelten und zukunftslosen Revolte, die das No-future der kapitalistischen Gesellschaft widerspiegelt und zur Explosion des Nihilismus führt.
Mehrere Faktoren trugen in den letzten Jahren dazu bei, diese durch den Zerfall des Kapitalismus provozierten Themen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken.
Der Kollaps des Ostblocks und der Krieg in Jugoslawien wirkten hier als Katalysatoren. Armut und kriegerische Barbarei bewirkten einen eigentlichen Exodus aus Osteuropa und dem Mittelmeerraum.
Der 11. September verstärkte das Klima der Angst, die Unsicherheitsgefühle, die Tendenz zur Vermischung von Islam und Terrorismus und somit auch zur Fremdenfeindlichkeit. In gleicher Weise hat der Nahost-Konflikt den Antisemitismus verstärkt. Zu diesen Ausdrücken des Zerfalls gehört auch die Entwicklung des religiösen Fanatismus.
Der Zerfall betrifft zuerst und in allererster Linie die Bourgeoisie. Er ist wie ein Stachel, denn er führt nur zu Problemen und erschwert die Kontrolle, wie das Ergebnis von Le Pen gezeigt hat. Zwar hat die Bourgeoisie gerade in Frankreich das Auftauchen von populistischen Formationen im Parlament vorangetrieben, jedoch entgleiten diese zunehmend ihrer Kontrolle.
Die Zunahme von populistischen Themen stimmt mit den hauptsächlichen Charakteristiken der gegenwärtigen Periode überein. In Spanien gibt es beispielsweise heute keine größere rechtsextreme Partei. Jedoch existiert eine starke Fremdenfeindlichkeit, die sich hauptsächlich gegen die Saison-Immigranten in Andalusien richtet, die auch Übergriffen unterworfen sind.
Für die Arbeiterklasse wirkt diese reaktionäre Ideologie wie alle anderen Produkte des Zerfalls wie ein Gift, das das Bewusstseins des Individuums angreift; es ist also auch ein größeres Hindernis für die Entwicklung des Klassenbewusstseins. Der Einfluss und das Ausmaß dieser Ideologie müssen aber in einem allgemeineren Kontext des Verhältnisses zwischen den Klassen eingeschätzt werden. Es braucht eine langfristige Analyse. Die Ideologie des Zerfalls zieht insbesondere die marginalisierten Teile des Proletariats, das Lumpenproletariat, in Mitleidenschaft; die Arbeiterklasse als Ganzes besitzt aber das stärkste Mittel dagegen: die Entwicklung des Klassenkampfs auf einem diesen reaktionären Themen total entgegengesetzten Terrain. Das Proletariat kennt kein Vaterland, es ist eine Klasse von Immigranten, die von einem gemeinsamen Interesse vereint wird, wie auch immer die Herkunft oder die Hautfarbe sei. Die internationale Solidarität der Arbeiter ist die Grundlage des Kampfes.
Die aktuellen antifaschistischen Kampagnen der Bourgeoisie zielen nicht auf eine Mobilisierung der Arbeiter für den Krieg, sondern sollen die Arbeiter in eine Falle locken und sie entwaffnen. Die Arbeiter dürfen sich nicht von diesen demokratischen und antifaschistischen Kampagnen vereinnahmen lassen, sie dürfen sich nicht von ihrem Klassenterrain vertreiben und für die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie mobilisieren lassen.
Wim, Juli 2002
1 Die Auflösung dieser Koalition im September 02 stellt die vorliegende Analyse nicht in Frage, sondern bestätigt vielmehr, dass die Rechtspopulisten für die “verantwortlicheren” Teile der Bourgeoisie unzuverlässige Partner sind.<