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Wir wollen nachfolgend die Ursachen für dieses Verkehrschaos im Kapitalismus aufzeigen, und warum eine Lösung innerhalb dieses Systems nicht denkbar ist.
DIE TECHNISCHE REVOLUTIONIERUNG DER TRANSPORTMITTEL IM KAPITALISMUS
Zunächst ein Rückblick auf das Verkehrsaufkommen in der Geschichte. Denn die Transportbedürfnisse in der Gesellschaft haben sich in der Geschichte gewaltig verändert. Während der Antike und im Römischen Reich gab es größere Transportbewegungen meist nur in Eroberungsfeldzügen, ansonsten war der Waren- und Personenverkehr nur sehr beschränkt; die Produktion erfolgte lange Zeit nur für lokale Käufer, Sklaven stellten Sachen für ihre jeweiligen Herren und für keinen Markt her.
Die Transportmittel und die Technik blieben jahrhundertelang im Wesentlichen unverändert. Selbst im Mittelalter kam es bis zum 15./16. Jahrhundert zu keinen größeren Warenbewegungen über örtliche Märkte hinaus. Die Bauernwirtschaft und damit Subsistenzwirtschaft, Abgaben an Lehnsherren und Adlige - all das verlangte noch keine umfassenden qualitativ neuen Verkehrsmittel. Die Märkte befanden sich jeweils in unmittelbarer Nähe der Produktionsstätten - eine Umwälzung der alten, mehr als Tausend Jahre lang bewährten Transportmittel war noch nicht erforderlich.
Erst mit dem aufkommenden Handel im Kapitalismus und der sich dahinter versteckenden Notwendigkeit für das Kapital, ständig seine Produktion auszudehnen und neue Absatzmärkte zu suchen, war eine neue Triebfeder für die Entwicklung des Transportes entstanden. Die Kapitalakkumulation, der wirtschaftliche Expansionsdrang sorgten für eine Revolutionierung im Transportwesen. Die aufkommende Dampfschifffahrt, die Entwicklung und weltweite Ausdehnung der Eisenbahnen, neue Schiffahrtskanäle und Straßensysteme, all das waren technische Wunderwerke, die der Kapitalismus neben vielen anderen technischen Erneuerungen innerhalb kürzester Zeit in der industriellen Revolution aus dem Boden sprießen ließ. In diesem Prozeß errichtete er im letzten Jahrhundert einen Weltmarkt; neue Kontinente wurden der Kapitalsherrschaft unterworfen. All diese neuen kapitalistischen Eroberungen, die in Westeuropa damit einhergehende Industrialisierung erforderte eine Umwälzung der Verkehrsverhältnisse. Insofern hat der Kapitalismus durch seinen ihm innewohnenden Drang zur ständigen Eroberung neuer Märkte eine wahre technische Revolution, einen gewaltigen Fortschritt für die Menschheit gebracht. Das Kapital erforderte und ermöglichte eine neue Mobilität der Waren (ob Arbeitskraft oder als Güter).
Aber da der Kapitalismus auch eine auf Ausbeutung basierte Gesellschaft ist, in der wirtschaftliche Anarchie, Krise, Zerstörung und Chaos verankert sind, brachte der Kapitalismus damit auch ein neues Maß, eine neue Dimension an Anarchie und Chaos im Transportwesen mit sich.
Wenn nun die Grünen und andere Parteien "alternative Verkehrssysteme" anpreisen, dann mag sich zwar hier und da eine nützliche Verbesserung daraus ergeben, aber an den wahren Ursachen dieses Chaos wird nicht gerüttelt. Denn diese Anarchie im Verkehr hat ihre Wurzeln in den Grundwidersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise selber. Aus Platzgründen können wir hier nicht näher auf die ökonomischen Grundwidersprüche dieses Systems insgesamt eingehen. Wir wollen uns nur auf die für das "Verkehrswesen" direkt relevanten beschränken.
DIE WURZELN DES CHAOS UND DER ANARCHIE
Wenn ein Unternehmer eine Firma aufmacht, fragt er nicht nach dem Nutzen und den Konsequenzen für die Gesellschaft. Bei der "Standortwahl" sind für ihn einzig und allein billige Produktionsbedingungen und günstige Wege zum Markt ausschlaggebend. Die Bedürfnisse der Menschen, der Natur, all das wird nicht berücksichtigt - nur finanzielle Aspekte spielen bei der Standortwahl und den damit verbundenen Warenbewegungen eine Rolle.
Das Beispiel der Milch, die morgens aus den bayerischen Alpen mit dem LKW nach Italien transportiert wird, um dort nach der Verarbeitung zu Joghurt wieder zurück über die Alpen auf den deutschen Markt befördert wird, ist mit am bekanntesten.
Anhand dieses Beispiels läßt sich aufzeigen, daß es im Kapitalismus viele völlig überflüssige Transportbewegungen gibt, die gesellschaftlich und technisch absolut sinnlos und verschwenderisch sind, weil das Wesen des Produktes dieses Hin- und Herverschieben nicht erfordert - sondern nur billiger Arbeitskräfteeinsatz diese chaotischen Güterbewegungen erklären kann. Unterschiedliche Löhne, die bestmögliche Ausnützung von Preisen (Gütern oder Arbeitskraft) erklärt so einen Teil des Transportaufkommens.
Diese Anarchie und Willkür der Standortwahl bzw. seine Festlegung nach rein kapitalistischen Kriterien, der Anteil der technisch überflüssigen und daher rein profitbedingten Transporte kann nicht innerhalb des Kapitalismus überwunden werden!
Neben diesem Aspekt des völlig überflüssigen Verkehrsanteils ergab sich so aber auch im Laufe der Zeit die Entwicklung, daß sich Produktionsstandort, Wohnort der Beschäftigten und Absatzmarkt immer weiter voneinander entfernten. Während z.B. früher der Bauer in der Subsistenzwirtschaft auf seiner Scholle arbeitete und lebte, und selbst im Frühkapitalismus noch die ersten Industriearbeiter in unmittelbarer Fabriknähe lebten (Stichwort Black Country in England und Ruhrgebiet in Deutschland), reisen heute die Beschäftigten oft stundenlang zur Arbeit. Viele Innenstädte sind nachts ganz entvölkert, Pendler kommen tagsüber und verdoppeln oft die Zahl der Menschen in der Stadt. Dahinter steckt die ganze Entwicklung des Widerspruchs zwischen Stadt und Land, auf den wir hier auch aus Platzgründen nicht näher eingehen können, der aber auch ein typisches Kind des Kapitalismus ist. Auch diese Entwicklung kann nicht innerhalb des Kapitalismus gebremst oder umgelenkt werden. Erst in einer anderen Gesellschaft ist eine andere Organisierung möglich.
DIE UNTERNEHMER: RAUBTIERE AN DER GESELLSCHAFT
Die unüberwindbaren Interessensgegensätze zwischen den Interessen eines einzelnen Unternehmers und der Gesellschaft schlagen sich im Transportbereich auch weiter folgendermaßen nieder:
Während die Gesellschaft im Interesse eines rationellen Einsatzes der Produktionsmittel, des Schutzes der Natur, des möglichst geringen Materialaufwandes usw. danach strebt, den Transportaufwand bei Produktion und Verkauf möglichst gering zu halten, kämpft jeder Transportunternehmer für einen möglichst hohen Transportanteil. So reibt sich jede Fluggesellschaft die Hände über die Kiwis und Äpfel, die sie von Neuseeland und Chile nach Europa fliegen können. Oder jeder Spediteur jubelt, wenn er Autoteile quer durch Europa herumtransportieren kann.
So ist natürlich der Transportsektor ein riesiger Markt. Während die öffentlichen Verkehrsmittel zwar auch gewaltige Investitionsmittel anziehen, ist es jedoch typisch, daß für das Kapital das Auto das Mittel ist, das für viele Wirtschaftsbranchen am meisten "einfährt". Ein Anschaffungswert für jeden Kunden von ca. 30.000 DM, mit daran hängender Mineralölindustrie, Straßenbau, Versicherungsparasiten, Reparaturwerkstätten usw. - so ist der Autokunde eine riesige Quelle, die jeder einzelne Unternehmer anzapfen möchte. Anstatt daß jeder Einzelne entsprechend öffentliche Verkehrsmittel benutzt, ist es eine typische Ausgeburt kapitalistischer Verhältnisse, daß jeder einzelne Verkehrsteilnehmer im Interesse der Industrie eher ein "Autokunde" ist. Pervers mögen die einen sagen, die Kapitalsvertreter antworten: "so ist das mal im Kapitalismus". Wie gesagt - wie viel gesellschaftliche Ressourcenverschwendung, wie viel Umweltzerstörung, Lärm, Abgase, Verkehrstote usw. damit produziert werden - all das spielt keine Rolle - Hauptsache Umsatz wird gemacht...
DER WAHNSINN DER KONKURRENZ
Da alles durch den Markt und die Konkurrenz bestimmt wird, stehen damit auch die verschiedenen Verkehrsträger in einem absurden Wettkampf gegeneinander. Anstatt die artspezifischen Vorteile der jeweiligen Vekehrsträger sinnvoll abgestimmt aufeinander einzusetzen, bekämpfen sie sich ruinös. PKW, LKW und Busse gegen Bahn, Bahnen untereinander, Bahn gegen Schiff usw...
Daß dabei jeweils Lobbies gebildet werden, um die Interessen besser durchzusetzen, liegt ebenso in der Natur der kapitalistischen Gesetze wie der Krieg selbst. Und wenn die Autoindustrie als Gewinner die Eisenbahnen als Verlierer ins Abseits drängt, so zählt dies zum normalen gesellschaftlichen Irrsinn in dieser Gesellschaft.
Diese Ausgangsbedingungen der kapitalistischen Produktion, die Anarchie bei der Wahl des Produktionsstandortes, die Konkurrenz der Verkehrsträger untereinander, die Profitinteressen der Transportunternehmen und deren Bestreben nach hohen Transportanteilen, die Auseinanderentwicklung zwischen Stadt und Land - all das hat im Transportwesen einen Wahnsinn, ein grenzenloses Chaos entstehen lassen. Auch hier obsiegt das typische kapitalistische Motto. Jeder muß für sich sehen, wie er irgendwie irgendwo hinkommt. Anstatt sich mit rationell und gesellschaftlich nützlich geplanten, aufeinander abgestimmten Transportmitteln fortzubewegen, die allen Menschen leicht zugänglich zur Verfügung stehen, ist jeder im Kapitalismus auf "sich allein gestellt".
Fehlende Planung des gesamten Transportwesens, fehlende Zentralisierung, Wirtschaftskrieg zwischen den Verkehrssystemen - all das hat aber in diesem Jahrhundert neue Dimensionen erreicht.
DER ZUSAMMENPRALL ZWISCHEN DEM TECHNISCH MÖGLICHEN UND DER GESELLSCHAFTLICHEN WIRKLICHKEIT
Denn nachdem der Kapitalismus zunächst mit dem ausklingenden letzten Jahrhundert einen Weltmarkt hergestellt hatte, ist er seitdem auf die Grenzen seines Systems gestoßen - und überlebt seitdem nur noch durch Zerstörung.
Die damals wirtschaftlich zurückgebliebenen Länder, die sog. Kolonien, waren seinerzeit schon zu wirtschaftlichen Krüppeln geschlagen waren, denn sie sollten daran gehindert werden, eine umfassende Industrialisierung im Umfang der sog. Industrieländer zu durchlaufen, um so neue Konkurrenten fernzuhalten. Dies schlug sich so nieder, daß es die absurdesten Kontraste zwischen den seitdem wirtschaftlich unterentwickelt gebliebenen Ländern und den sog. Industrieländern gibt.
Weil nur Geld, d.h. ein kaufkräftiger Markt auch neue Transportmittel anzieht, die meisten Länder der sog. 3. Welt aber wirtschaftlich zurückgeblieben sind, und eine umfassende Industrialisierung dort ausgeblieben ist, sind große Teil dieser Länder von modernen Transportmitteln überhaupt abgeschnitten, bzw. es überleben die anachronistischsten Transportmittel. Wenn es überhaupt Straßen, Wege und Schienen gibt, dann beherrschen oft noch Fuhrwerke, Esel, Kamel usw. die Straße. Alte, klapprige, gifte Abgase ausspuckende LKWs und Busse, das ist das typische Straßenbild. In den Megastädten wie Mexiko, Kairo, Calcutta usw. wird die Luft bis zum Umfallen verpestet. Aber nicht nur Lärm- und Abgasterror gehören dort zum Alltag. Die Widersprüche sind noch absurder: so sehen die somalischen Flüchtlinge, die von Krieg und Dürre in den Tod gejagt werden, und wo es wegen der Kriegswirtschaft an zivilen Transportmitteln und -wegen fehlt, jeden Tag am Himmel über sich Flugzeuge. Sie fliegen von und nach Europa - mit Touristen nach Kenia in die Safaris und die Billigbordells, und Maschinen mit südafrikanischen Trauben für den europäischen Markt. Kontraste und Absurditäten für das Geschichtsbuch.
All das nur, weil Löhne und Preise weltweit so auseinanderklaffen. Riesige Massen von Industriegütern, Nahrungsmitteln usw. werden beispielsweise aus Fernost nach Europa oder Amerika verschifft. Dabei fahren die Schiffe an Afrika oder Südamerika vorbei - obgleich die Menschen dort diese Güter wirklich bräuchten. Aber weil ihre Kaufkraft nicht ausreicht, läuft der "Verkehr" an ihnen vorbei - stattdessen fließt er in die überfüllten und umkämpften kaufkräftigeren Märkte.
Auf der einen Seite also technische Rückständigkeit in vielen Gegenden; in den Hochburgen der Landflucht, den bekannten Megastädten Abgaskonzentrationen und Verkehrschaos so häufig und weit gediehen, so wild und dicht wie Fliegen auf der Scheiße. Andererseits eine absurde Situation in den Industrieländern, wo es die höchst entwickelte Technik, high-tech überall gibt, wo aber ein Verkehrsinfarkt die Gesellschaft jeden Tag terrorisiert. Gerade in den Industriezentren selber, wo der Kontrast zwischen den technisch vorhandenen Möglichkeiten und der tatsächlichen Organisationsform der Gesellschaft (hier die Organisationsform des Verkehrswesens) am deutlichsten auffällt, ist das Verkehrschaos mittlerweile zum Alltag geworden.
Hier wird auch am deutlichsten, daß zwar die technischen Mittel zu einer wirklich "vernünftigen" Verkehrsgestaltung vorhanden sind, daß aber der Raubtier- und Anarchiecharakter der kapitalistischen Verhältnisse dies unmöglich macht.
So ist eine wirkliche Umorganisierung, eine den Interessen der Menschen dienende Transportgestaltung der Gesellschaft nur möglich, indem diese Gesellschaft umgekrempelt wird.
Deshalb sagen wir: jede auch noch so kleine Reform im Verkehrswesen kriegt das wirkliche Problem - die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise selber - nicht zu packen. Sie kann deshalb nur Flickwerk sein und verbreitet meist die Illusion, es sei "möglich etwas zu verbessern".
Genauso wie die Gesellschaft insgesamt nur noch mehr Wirtschaftskrieg, Explosion von nationalistischen Konflikten usw. anzubieten hat, so kann auch die Anarchie im Verkehrswesen nur noch zunehmen. Erst in einer neuen Gesellschaft, in der nicht für Profit, sondern für die Bedürfnisse der Menschen produziert wird, ist eine vernünftige, den Menschen dienende Organisation des Transportes möglich. Dv, 9/92