Die Arbeiterklasse: Eine Klasse von Immigranten

Printer-friendly version
 

Das Kapital kann nur überleben, indem es die Arbeiter spaltet. Für die Arbeiter ist eine der verheerendsten Spaltungen die in Na­tionen. Anstatt uns dem Kapital vereint ent­gegenzustellen, sollen wir uns mit einer Na­tion identifizieren, uns alle als "Deutsche", als "Belgier", "Franzosen" usw. auffassen. Wir sollen vergessen, daß die Ar­beiter kein Vaterland haben. Wir sollen ver­gessen, daß es dem Kapital zunächst mal selber egal ist, woher man kommt, oder wel­che Hautfarbe man hat, solange es aus uns Mehrwert, Profit rausziehen kann. Ja der Kapitalismus hat sich nur entwickeln kön­nen, weil er sich von Anfang an freien Zu­griff auf die Ar­beitskräfte verschafft hat.

DER KAPITALISMUS HAT SICH DANK DER MIGRATION VON AR­BEITSKRÄFTEN ENTWIC­KELT

Seit dem Entstehen des Kapitalismus ist die Klasse, die all die Waren, die ganzen Reichtümer dieser Gesellschaft produ­ziert, eine Arbeiterklasse gewesen, die von An­fang an international zusammengesetzt war. Ohne das Hin- und Herverschieben von Arbeitskräften hätte die herrschende Klasse, die Bourgeoisie, ihr Produktions­system, nicht entwickeln können.

So fand vom 15. Jahrhundert an, insbeson­dere in GB die "primitive Akkumulation" statt, wo die Bauern ausgebeutet, von ih­ren Besitztümern verdrängt und in die er­sten Betriebe gesteckt wurden. Oft waren sie mit Gewalt von ihren Besitztümern vertrieben und aufgrund des Hungers in die Städte getrieben worden. Überall stellten diese rui­nierten Bauern und Handwerker die ersten Migrationsarbeits­kräfte dar. Das gleiche Bild spielte sich dann in all den Ländern ab, in denen es zu einer "industriellen Revolu­tion" kam.

Und diese riesige Landflucht, die mit die­ser wilden, ungestümen Entwicklung des Ka­pitals einherging, hatte Rüc­kendeckung erhalten durch eine Reihe von blutigen Unterdrückungsmaßnahmen sei­tens des Kapitals, die an Brutalität nicht zu über­treffen waren. Es gibt eine Vielzahl von Beschreibungen dieser Phase, u.a. bei Marx in "Das Kapital" Band I und bei En­gels "Die Lage der arbeitenden Klasse in England".

So konnte z.B. in Großbritannien die herr­schende Klasse ihre Vormachtstellung ge­genüber den anderen Konkurrenten ge­rade aufgrund des Zustroms billiger Arbeits­kräfte vom Lande, mit einem ho­hen Anteil aus Irland ausbauen. Diese "Reservearmee", die größtenteils aus den irischen Einwan­derern zusammengesetzt war, ermöglichte es dem englischen Kapital, die Konkurrenz unter den Ar­beitern zu verschärfen, um größere Lohnforderungen abzublocken und allzu große Konzessionen bei den ohnehin schon schlimmen Lebensbedingungen zu vermeiden.

So war die Migration seit dem Beginn des Kapitalismus ein Teil der Lebens- und Exi­stenzbedingungen der Arbeiterklasse selber. Die Arbeiterklasse ist von ihrem Wesen her eine Klasse von Migranten, von Opfern der blutigen Zerstörung der feudalen Produkti­onsverhältnisse.

Diese Migration sollte sich Mitte des letzten Jahrhunderts über die nationalen Grenzen hinaus ausdehnen, als der Kapi­talismus an­fing, auf das Problem der Überproduktion in den großen Industrie­ballungsgebieten Westeuropas zu stoßen.

Die zyklischen Produktionskrisen, die das kapitalistische Europa Mitte des letzten Jahrhunderts erfaßten, zwangen Millionen von Proletarier dazu, Schutz zu suchen vor der Arbeitslosigkeit und dem Hunger, in­dem sie in die "neue Welt" auswanderten. Zwischen 1848 und 1914 verließen mehr als 50 Mio. europäische Arbeiter den alten Kontinent, um ihre Arbeitskräfte in den neu "entdeckten" Gebieten zu verkaufen, insbe­sondere in Amerika.

Ebenso wie es England im 16.Jahrhundert möglich gewesen war, sein kapitalistisches System dank der Migration von Arbeits­kräften zu entwickeln, bildete sich die Wirt­schaft der USA dank des großen Zu­stroms von Mio. von Arbeitskräften her­aus, die aus Europa gekommen waren (insbesondere Irland, GB, Deutschland und andere Län­der).

Bis 1890 gewann das amerikanische Ka­pital dank einer ungeheuren Ausbeutung, die von "Taylorschen" Produktionstechni­ken unter­stützt wurden, auf dem Welt­markt an Be­deutung. Nach 1890 kam es aber auch zu ei­ner Verknappung der Fel­der und Ar­beitsplätze. Die neu angekom­menen Ein­wanderer hauptsächlich aus den Mittel­meergebieten und die slawi­schen Ursprungs blieben in den Ghettos der Großstädte hän­gen und mußten sich mit viel niedrigeren Einkommen abfinden (Siehe die Romanbe­schreibungen dieser Bedingungen durch J. London, U. Sin­clair). Die Tore Amerikas fingen auch an, sich zu schließen. Als das amerikanische Kapital keine neuen Einwan­derungsarbeitskräfte mehr brauchte, er­richtete die herrschende Klasse Einwande­rungsschranken, die eine strikte Auswahl der Einwanderer vornahmen. Von 1898 an wurden die Grenzen nur noch sehr selektiv geöffnet, den asiati­schen Einwanderern wurde die Einreise ungeheuer erschwert. Man nahm nicht mehr einfach neue Ar­beitskräfte ohne Auswahl auf, sondern be­harrte auf gut ausgebildeten, die nicht krank oder auf­müpfig waren.

Gerade weil sich damals der Kapitalismus noch in seiner Ausdehnungs- und Erobe­rungsphase befand - jeder erinnert sich an die Wildwest-Filme, als die Eisenbahnen in Richtung Westküste gebaut wurden, und die Ausdehnungsmöglichkeiten unbe­grenzt er­schienen - konnte der Kapitalis­mus die Ar­beitslosigkeit in den alten In­dustriezentren wie GB, Deutschland auf­saugen, denn die Arbeitslosen konnten damals lange pro­blemlos in die USA oder in andere Gebiete ausreisen und dort Ar­beit finden.

Das Gleiche traf damals auf die Migration innerhalb Europas zu. In den großen Mi­nen im Norden Frankreichs oder im Ruhrgebiet kamen die Bergleute aus allen möglichen Gegenden Europas: aus Polen, Deutschland selber, Italien usw.

Wenn also heute die Herrschenden uns dazu auffordern, wir sollten uns mit unse­rer je­weiligen Nation identifizieren, diese vertei­digen, dann ist dies eine große Falle. Denn die ganze Entwicklung des Kapita­lismus sel­ber ist von Anfang an die einer internatio­nalen Ausdehnung, und einer internationa­len Zusammensetzung und Mobilität, freien Verfügbarkeit der Ar­beitskräfte im Inter­esse des Kapitals ge­wesen. Es hat Arbeits­kräfte aus allen möglichen Teilen der Erde in die Zwangsjacke der Lohnarbeit gesteckt und somit für alle Arbeiter - weltweit - die gleichen Interessen geschaffen.

Die Klasse, die für die Kapitalisten den Mehrwert schafft, ist also seit ihrem Beste­hen eine zutiefst internationale Klasse. Des­halb hoben Marx und Engels schon im Kommunistischen Manifest, das 1848 ge­schrieben wurde, hervor: Die Ar­beiter sind an keine Nation gebunden, sie haben kein Vaterland.

Aber auch für das Kapital selber ist es das wichtigste Bedürfnis, daß seine Waren in je­der Hinsicht mobil sind. Es muß überall verkaufen, überall erwerben können. Und dies gilt insbesondere für sein Bedürfnis der Arbeitskraft, die ja im Kapitalismus nur eine Ware wie jede andere ist. "Das Kapital kann ohne die Produktionsmittel und die Arbeits­kräfte des gesamten Erdballs nicht aus­kommen, zur ungehinderten Ent­faltung sei­ner Akkumulationsbewegung braucht es die Naturschätze und die Ar­beitskräfte aller Erdstriche" (Rosa Luxem­burg, "Die Akku­mulation des Kapitals").

Als sich aber das kapitalistische System Anfang dieses Jahrhunderts über den gan­zen Erdball ausgedehnt hatte, das System an seine Grenzen gestoßen, der Welt­markt ge­sättigt war, der Kapitalismus in seine Nie­dergangsphase (Dekadenz) ein­trat, bedeu­tete dies, daß seitdem dieses System nur noch durch den Zyklus von Krise - Krieg - Wiederaufbau - Krise ... überlebt hat.

Für die Arbeiterklasse hatte dies schwer­wiegende Konsequenzen, weil der Bedarf des Kapitals an der Ware Arbeitskraft sich grundlegend geändert hat.

- Während das System im vorigen Jahrhun­dert gigantische Massen von Ar­beitskräften aus der Bauernschaft und dem Handwer­kertum kommend in die Produktion inte­grierte, oder sie in "die neue Welt" emigrie­ren konnten, um dort Arbeit und Brot zu finden, ist es nun nicht mehr dazu in der Lage. Die weltweite Überproduktion hat den Bedarf des Ka­pitals an Arbeitskräften schrumpfen las­sen. Nur in Wiederaufbau­zeiten nach dem Krieg saugt es noch große Massen auf - wohlgemerkt nachdem zuvor gewaltige Menschenmassen umgebracht und ver­heerende Zerstörungen angerichtet wur­den. Ist der Wiederaufbau zu Ende, taucht das Gespenst der Massenarbeitslosigkeit wieder auf, dann ist Schluß mit den "offenen Grenzen". Überall versucht man die Gren­zen dicht zu machen - natürlich nicht für die spekulierenden Dollars oder die Drogengel­der, die überall zirkulieren, sondern für die Ware Arbeitskraft.

- Der Anteil der Arbeiter an der Gesamtbe­völkerung, der im vorigen Jahr­hundert noch gestiegen war, ist seitdem rückläufig. Nicht nur nimmt die Weltbe­völkerung rapide zu. Das System ist vor allem immer weniger dazu in der Lage, neue, zusätzliche Ar­beitsplätze in produk­tiven Bereichen zu schaffen. Immer weni­ger Arbeiter liefern heute die Produkte für immer mehr Men­schen.

Hinzu kommen weitere Faktoren:

- der wirtschaftliche Konkurrenzkampf zwingt zu immer größeren Rationalisierun­gen (Arbeitskräftefreisetzungen) und vor al­lem in Rezessionen zu Entlassungen, wo­durch die Zahl der Arbeitslosen gewaltig ansteigt (allein in den Industriestaaten der OECD über 25 Mio.). Aber wenn es nur bei den Arbeitslosen infolge der Krise bliebe. Nein, hinzukommt, daß durch die unzähli­gen Kriege (der Krieg ist zur Überlebens­form des Kapitalismus gewor­den) Hunderte von Millionen von Men­schen zu Flüchtlin­gen werden, deren Zahl durch die Hungers­nöte, Epidemien, Öko­katastrophen nur noch vergrößert wird.

Immer mehr Menschen werden durch den Mechanismus der Zerstörung (Kapitalvernichtung in Krisen, Betriebsstil­legungen usw.) aus der Pro­duktion heraus­geschmissen und vegetie­ren außerhalb der Produktion. Und je nach Teil der Erde wer­den sie verjagt durch Kriege und vagabun­dieren als Bettler und Bauchladenverkäufer.

Kurzum, die wirtschaftliche Entwicklung ist seitdem derart blockiert, daß eine Integra­tion dieser riesigen Bevölkerungs­massen in eine Industrie heute nicht mehr möglich ist. Flüchtlingswellen von Dut­zenden von Mio. von Menschen sind zu einer Alltagserschei­nung im dekadenten Kapitalismus gewor­den. Die Tatsache, daß es heute überall diese Riesenstädte wie Mexiko, Sao Paulo, Kairo usw. gibt, in denen die Menschen in den unmöglichsten Bedingungen hausen, ohne Aussicht auf das Hervorsprießen einer neuen Indu­strialisierung mit entsprechen­dem Ar­beitskräftebedarf, zeigt, daß diese Gesell­schaft total in der Sackgasse steckt.

DIE LÖSUNGEN DES KAPITALISMUS

In der Tat vermag der Kapitalismus die Ar­mee der Arbeitslosen und Flüchtlingsheer­scharen überhaupt nicht in die Produktion aufzusaugen. Nur verhei­zen kann er sie in Kriegen und Massakern, gigantische Zer­störungen anrichten, um später große Men­schenmassen im Wie­deraufbau zu benöti­gen... so geschehen nach der Krise von 1929 und dem 2. Welt­krieg. Aber heute gibt es keine Aus­sichten, all diese hungernden, ar­beits- und wohnungslosen, deshalb oft flüchtenden Menschenmassen in die Pro­duktion zu integrieren. Bürgerliche Politiker rufen dazu auf, man müsse die Verhältnisse vor Ort verbessern, damit diese Menschen nicht mehr zu flüchten bräuchten. Stimmt! Nur, warum geschieht dies nicht? Ob das wohl all die Waffenhändler gehört haben, die als Profiteure an dieser Kriegswirt­schaft für das Verjagen von so vielen Menschen verantwortlich sind? Und wie verhält es sich mit der Konkurrenz? Die Konkurrenzver­hältnisse sind doch heute so, daß keiner der großen Industriegigan­ten, die sich wegen der gesättigten Märkte heute schon an die Kehle kriegen, das Entstehen von neuen, zusätzlichen Pro­duktionseinheiten, die auf die Märkte der Industrieländer dringen würden, akzeptie­ren könnte. Nein, die wirt­schaftliche Ent­wicklung dieser Länder ist im Kapitalis­mus vollständig in Fesseln gelegt, die in diesen kapitalistischen Verhält­nissen nicht abgelegt werden können. Des­halb werden die Menschen von dort immer weiter flüchten.

Und die andere Lösung, die von einigen die­ser scheinheiligen Humanisten vorgeschla­gen wird? Grenzen auf für alle? Nun, das jeweilige nationale Kapital wird sich mit al­ler Kraft dagegen stemmen, denn der unge­hemmte Zustrom der Opfer der kapitalisti­schen Verhältnisse würde die hiesigen Stra­ßen bald so aussehen las­sen wie die von Calcutta und Marrakesch: Bettler, campie­rende Flüchtlinge auf Frankfurts Zeil in nie gekanntem Ausmaß. Unkontrollierbare Zu­stände!

Und Grenzen dicht? Solange die Men­schen wegen der unerträglichen Verhält­nisse in die Flucht getrieben werden, wird auch keine noch so hohe und stark befe­stigte Grenze die Flüchtlinge davon ab­halten, zu versuchen, ihrer Misere zu ent­kommen. Auch wenn eine "moderne" Grenzbefesti­gung wie an der US-texani­schen Grenze, die GSG 9, oder ein Gra­ben mit Krokodilen er­richtet, und alle möglichen Monster an den Grenzen sta­tioniert würden - die Flucht der Elendigen ließe sich nicht aufhalten, weil dieses Sy­stem immer mehr Elend hervor­bringt.

Es gibt eben keine Lösung für die Misere, die Kriegsopfer, die Arbeitslosigkeit inner­halb dieses Systems - da sie allemal die reinrassigen Produkte dieses Systems selber sind. Deshalb muß man die Ursa­chen dieser Geschwüre selber ausmerzen. Und das heißt: das Befreien der Mensch­heit aus den Fesseln der kapitalistischen Verhältnisse überhaupt.

D. Khan (9.11.91)


WR 36





Die Fähigkeit der herrschenden Klasse, die Wirklich­keit zu entstellen, scheint unerschöpflich zu sein. Kaum daß sie gezwungen sind, mit der Aufschwungspropa­ganda lei­ser zu treten und das Vorhandensein von Mas­senarmut und Wohnungsnot zuzugeben, da stürzen sie sich auf einen anderen, ebenso unübersehbaren Ausdruck des ka­pitalistischen Elends - die Aussiedler- und Asylanten­frage -, um den deutschen Arbeitern doch noch zu bewei­sen, wie gut sie es eigentlich haben. 'Der Spiegel' etwa prägte das Schlagwort "Traumland Bundes­republik". Die ganze verelendete Welt möchte bei uns wohnen, um an "unserem Wohlstand" beteiligt zu sein, heißt es. Also doch noch eine Bonner Schlaraffenrepu­blik?

Das grausame Schicksal der hier ankommenden Asylsu­chenden, ebenso wie die Tatsache, daß es für einige hunderttausende Aussiedler keinen Platz im 'Wirtschafts­wunderland' mehr gibt, beweisen ganz im Gegenteil, wie tief gerade die führenden Industrie­staaten in der Krise stecken.

AUSSIEDLER : KEIN PLATZ MEHR IM GOLDENEN WESTEN

Der herrschenden Klasse des "Traumlandes BRD" entgeht heute keine Gelegenheit, um den Aussiedlern klarzuma­chen, daß sie im Westen nicht mehr erwünscht sind. Die Ausreise aus dem Osten bzw. die Einreise im Westen soll erschwert werden. Die hier angebotenen sozialen Leistungen und Starthilfen sollen gekürzt werden. In den Massenmedien werden sie für die Massenarbeitslo­sigkeit und die Wohnmisere mit verantwortlich gemacht.

Wahrhaftig eine politische Kehrtwendung um 180ø. Seit dem 2. Weltkrieg gehörte die unbegrenzte Aufnahme von Deutschstämmigen aus dem Osten ununterbrochen zur Po­litik der Bundesrepublik. Bis vor kurzem bezahlte Bonn beispielsweise 10.000 DM pro Kopf an die rumänische Regierung, um einen Deutschstämmigen loszukaufen. Seit Jahrzehnten fordern die Westmächte pausenlos "freie Ausreisemöglichkeit für jeden Bürger" gegenüber dem Osten.

Heute dagegen werden Absprachen mit dem östlichen Staatskapitalismus getroffen, damit die Ausreisewilli­gen es schwerer haben, das Land zu verlassen. Der Grund für diese neue Haltung liegt darin, daß auf dem Hintergrund der internationalen Wirtschaftskrise auch das tief in der Krise steckende westdeutsche Kapital mittlerweile absolut unfähig ist, ein paar Millionen Menschen aus dem Osten aufzunehmen. Die 300.000, die z. Zt. jährlich rüberkommen, werden in Baracken, Zelte und Obdachlosenheime, in Container und Rheinschiffe gesteckt. 90.000 Aussiedler sind arbeitslos; Zehntau­sende mehr erwartet das gleiche Schicksal nach Ab­schluß ihres einjährigen Sprachkurses. Der Anteil der Aus- und Umsiedler unter den Obdachlosen der Groß­städte ist weit überproportional hoch.

Nach dem Krieg, als die BRD noch kein "Traumland" war, sondern ein Trümmerhaufen, kamen 16 Mio. Menschen aus dem Osten herüber. Trotzdem herrschte bald Arbeits­kräftemangel. Zig Millionen Ausbeutungsobjekte mußten aus dem Mittelmeerraum herangeholt werden. Nach dem Zustrom der "Flüchtlinge" aus dem Osten setzte der Zu­strom von Millionen von "Gastarbeitern" aus Italien, Spanien, der Türkei, Jugoslawien usw. ein. Als 1961 die Berliner Mauer errichtet wurde, protestierten die bundesdeutschen Arbeitgeberverbände lautstark da­gegen, daß ihnen damit eine wichtige Quelle billiger Arbeits­kräfte verloren ging. Die Krise hatte noch nicht ihren Einzug gehalten, der Wiederaufbau nach dem Krieg lief noch auf Hochtouren.

Heute dagegen ist auch das mächtigste nationale Kapi­tal Westeuropas nicht mal mehr in der Lage, die "Ost­arbeiter" profitabel auszubeuten. Sie kommen in eine Wirtschaft hinein, die jetzt schon nicht in der Lage ist, vielen Millionen Arbeitern eine Stelle zu geben. Wenn der hohe Aussiedlerzustrom ein Gradmesser der Wirtschaftsmisere im Osten ist, ist die Misere, in welche die Aussiedler hier weiter reinfallen, ein Zei­chen der Tiefe der Krise im Westen. Die Illusionen über den Goldenen Westen zerbröckeln. Das "Traumland" BRD wird zum Alptraum.

Bei einer Arbeitslosigkeit, die selbst nach den offi­ziellen Zahlen seit 8 Jahren die 2 Mio. Grenze nicht mehr unterschritten hat, braucht das westdeutsche Ka­pital die Ostarbeiter nicht mal mehr, um das allge­meine Lohnniveau nach unten zu drücken. Die Aussiedler ("unsere lieben Landsleute" - Kohl) stellen für das Kapital vielmehr eine riesige finanzielle Belastung dar - für den Staatshaushalt und für die Nürnberger Kassen. Und, indem sie das Heer der Arbeitslosen, die Armut der Arbeiter, der Wohnungssuchenden vergrößern, gefährden sie den jedem Kapitalisten teuren "sozialen Frieden". Auch wenn sie heute die Möglichkeit, Aus­siedler und einheimische Arbeiter gegeneinander auszu­spielen, um die Arbeiterklasse zu dividieren, voll ausschlachten: was die Herrschenden vor allem befürch­ten, ist eine durch die Aussiedler bedingte wei­tere Vergrößerung des Arbeitslosenheeres, und daß dies zu einer Verschärfung der Klassengegensätze führen könnte.

Die Hetze über die Privilegien der Aussiedler, die Maßnahmen, um ihren "Zustrom" zu drosseln, werden da­mit gerechtfertigt, daß man "das arme Drittel der Wohnstandsgesellschaft" (Lafontaine) vor zu viel Kon­kurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt schützen will. Sie wollen als unsere "Beschützer" anerkannt werden, obwohl gerade sie unsere sämtlichen Soziallei­stungen, für Hunderttausende selbst den Arbeitsplatz gekürzt, bzw. weggenommen haben. Sämtliche Parteien, die für die Multimillionäre dieser Gesellschaft spre­chen, wollen für Gerechtigkeit sorgen, indem sie die angeblichen Privilegien der Aussiedler wegnehmen.


Nein, nicht die Aussiedler, sondern das Kapital ge­nießt sämtliche Privilegien dieser Gesellschaft. Nicht die Aussiedler, das Kapital ist der wirkliche Feind der Arbeiterklasse.

ASYLANTEN: ALPTRAUMLAND BRD

Da die Aussiedler immerhin Deutsche sein sollen, müs­sen die Asylanten als Hauptsündenbock der derzeitigen bürgerlichen Überfremdungspanik herhalten. Hiernach besteht fast die gesamte Welt ausschließlich aus Men­schen, die in die BRD übersiedeln wollen. Kommt auch nur ein Bruchteil davon hierhin, wird München so über­völkert sein wie Kalkutta, und der deutsche Lebens­standard auf das Niveau von Bangladesh herabgedrückt.

Schlimmer noch: wir sollen dieser Überfremdungswelle sogar hilflos ausgeliefert sein. Unsere "demokra­tische Verfassung" gewährt angeblich jedermann poli­tisches Asyl, der darum bittet. Das Ende vom Lied: das Traumland BRD ist von Außen durch eine neue Sintflut der Verdammten dieser Erde bedroht. "Unser Wohlstand" ist gefährdet, der wirkliche Feind ist nicht das Kapi­tal, sondern der Asylant und Wirtschaftsflüchtling. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Tatsache ist, daß der Löwenanteil der vielen Millionen Menschen, die vor Hungerstod, Krieg, Folter und Katastrophen auf der Flucht sind, nicht mal über die finanziellen oder Transportmittel verfügen, um nicht ständig zwischen irgendwelchen Kriegsfronten in ihrer sog. Heimat zu geraten.

Glatt gelogen ist die auf Panikmache und Angsteinjage­rei ausgerichtete Behauptung, der moderne, mit Compu­tern und Abhorchsatelliten ausgerüstete Polizeistaat wache und bestimme nicht darüber, wer die kapi­talistischen Grenzen überquert. Das humanitäre Gefasel über Asylrecht dient dazu, die Tatsache zu verschlei­ern, daß die Anzahl der reingelassenen Flüchtlinge in er­ster Linie vom Bedarf der kapitalistischen Wirt­schaft hierzulande an extrem billigen Arbeitskräften bestimmt wird.

Die Anzahl der Aufgenommenen wird genau bestimmt; die Aufnahmebedingungen je nach Bedarf entweder erleich­tert (z.B. die Geduldung von bereits abgelehnten An­tragstellern) oder erschwert (schnelleres Abschieben, erschwerte Visumerteilung in den "Ausreiseländern" usw).

Indem der Staat die Asylsuchenden mit oft langjährigen Arbeitsverboten belegt und fast ohne Geldmittel läßt, zwingt er sie, für 3,- DM die Stunde ohne Kranken- und Sozialversicherung in der illegalen "Wirtschaft" zu arbeiten, die heute bis 10% des BSP der BRD herstellt (Baubranche, Zulieferindustrien, usw.). Durch die Asylanten kann die BRD Wirtschaft in manchen Sektoren mit den Billig-Lohnländern wieder konkurrieren.

Im 2. Weltkrieg wurden Millionen von Ostarbeitern nach Deutschland verschleppt und dort zu Tode gearbeitet. Wer nicht mehr konnte oder wollte, wurde erschossen. Heute aber - im Traumland BRD - droht jedem der sog. geduldeten Asylsuchenden täglich die Todesstrafe, falls er sich gegen das Diktat des Kapitals auflehnt. Da wir aber heute in einer "Demokratie" leben, wird das Todesurteil nicht hier vollstreckt. Die Abgescho­benen werden einfach der sie verfolgenden Heimatregie­rung aus­geliefert. Der Terror gegen die NS-Zwangsar­beiter fand in einer Ausnahmesituation statt - nämlich während des 2. Weltkrieges. Heute dagegen, ist die Barbarei zum Alltag geworden. Das ist das Traumland, das ist der Wohlstand, den wir verteidigen sollen? Diese terrori­sierten Arbeiter, unsere Klassenbrüder und Schwestern sollen unsere Feinde sein?

Nein, das grausame Schicksal der Aussiedler und Asylanten ist heute das Schicksal der gesamten Arbei­terklasse. Mit ihren infamen rassistischen Spaltungs­kampagnen zeigen die Bürgerlichen in Wirklichkeit das barbarische Wesen ihres Systems, das sie eigentlich vertuschen wollen. Wir können nur Feindschaft empfin­den gegenüber dem Kapital.

Arbeiter: Wir lassen uns nicht in "Deutsche", "Gastar­beiter", "Aussiedler", "Umsiedler", "Asylanten" auf­spalten. Wenn wir uns gegeneinander aufhetzen lassen wegen der angeblichen Privilegien anderer Arbeiter, die genauso unter dem Joch des Kapitals leiden wie wir, werden wir gespalten der Barbarei dieses Systems hilflos ausgeliefert sein.

Blücher


In der nächsten WR:

- nicht die Zuwanderer bringen die Krise hervor, son­dern umgekehrt;

- Arbeiteremigration: nicht mehr die Folge kapitali­stischer Expansion, sondern kapitalistischer Barbarei.