Hände weg von Rosa Luxemburg

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Noch nie seit dem 2. Weltkrieg haben die linkskapitalistischen Vertreter gerade der deutschen Bourgeoisie sich so intensiv wie heute mit Rosa Luxemburg befaßt. Auf „Luxemburg-Tagen“ wie im Januar 1994 in Stuttgart oder im Januar 97 an der Berliner Humboldt-Universität berufen sich kleinbürgerliche Feministen, Antifas, Trikont-Aktivisten, Sprecher der Grünen und andere Feinde des Proletariats auf die große Vorkämpferin der Arbeiterklasse. Auf den jährlich im Januar stattfindenden Demonstrationen zum Jahrestag der Ermordung von  Liebknecht und Luxemburg mobilisiert die PDS, die Partei von Ulbricht, Honecker und Gysi, regelmäßig 100.000 Teilnehmer, um Rosa für eine Art „demokratischen“ und „humanistischen“ Stalinismus zu mißbrauchen. Diese Beanspruchung von Luxemburg durch die Bourgeoisie soll vor allem eins bewirken: die nach Klarheit suchenden  revolutionären  Elemente davon abzuschrecken, sich mit dem marxistischen Erbe Rosa Luxemburgs auseinanderzusetzen.

 

Diese plötzliche Beschäftigung der herrschende Klasse mit berühmten Revolutionären ist nicht zufällig. Nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen Stalinismus stellen sich kleine, politisierte Minderheiten der Arbeiterklasse  (aus der Überzeugung heraus, nicht der Kommunismus, sondern sein stalinistischer Erzfeind ist dort gescheitert) Fragen über das wirkliche historische und theoretische Erbe der  Arbeiterklasse.  Aus der Sicht  der Bourgeoisie droht die Gefahr, daß solche Suchende vermehrt die jahrzehntelang von der stalinistischen Konterrevolution begrabene Tradition der Kommunistischen Linke wiederentdecken, welche gerade im Kampf  gegen den Stalinismus gestählt wurde. Es gibt nun keinen „Klassiker“ des  Marxismus, dessen  Erbe derart unübersehbar zu den Traditionen der Kommunistischen Linke hinführt wie Rosa Luxemburg. Im Gegensatz zu den eigentlichen, heute kaum noch bekannten „Theoretikern“ des Linkskommunismus wie Pannekoek, Gorter oder Bordiga ist Luxemburg zudem so bekannt, daß ihr Beitrag zum Marxismus nicht einfach durch  Schweigen übergangen werden kann. Zudem hat sie schon so früh und eindringlich vor den Gefahren einer Degeneration der russischen Revolution gewarnt und deutlich das Ausbleiben der Weltrevolution als Hauptquelle dieser Degeneration genannt, daß es selbst den verdrehtesten Lügnern der Bourgeoisie schwerfällt, sie als Vorläuferin des Stalinismus hinzustellen. Kurzum: im jetzigen Zeitalter des Heranreifens revolutionärer Minderheiten der Arbeiterklasse bedeutet eine etwaige proletarische Auseinandersetzung mit dem Werk Luxemburgs etwas höchst gefährliches, das die Bourgeoisie zu verhindern trachtet. Um dies zu verhindern, gehört aber nicht  nur die falsche Beanspruchung dazu (die Zeitschrift ‘Vogue’, ein bekanntes bürgerliches Brechmittel, nannte Luxemburg die „Leidensmutter der Linken“), sondern auch die Peitsche der stalinoiden Gegenpropaganda. Dies besorgt im Stil der Moskauer Schauprozesse das kleinbürgerliche Blatt Bahamas. So erfahren wir in Bahamas Nr.22 1997 (1), daß

 

- die deutsche Vorkriegsarbeiterbewegung bis 1914 „Rosa Luxemburg eingeschlossen“ nichts als eine „lassalleanischen Bewegung“ war,

 

- Luxemburg in der proletarischen Revolution „weder das Lohnarbeitsverhältnis noch den Staat abschaffen“ wollte, und daß sie „bis zu  ihrem Tod“  eine „bürgerliche Revolution mit proletarischen Mittel“ anstrebte,

 

- „Luxemburg zur Kritik der Herrschaftsform Demokratie so unfähig wie die Leninisten“ war usw.

 

Es handelt sich hierbei nicht nur um die Hirngespinste aufgeblähter, verrückt gewordener Kleinbürger, welche sich hiermit der mächtigen Großbourgeoisie empfehlen möchten. Das Ganze hat Methode. So erfahren wir bereits in Bahamas Nr. 13, 1994, daß das gesamte Werk Rosa Luxemburgs nichts taugt und niemandem anempfohlen werden kann wegen ihres angeblich...“ökonomistischen Determinismus“! (3) An diesem Determinismus wiederum, erfahren wir, sei vor allem ‘ihre Dekadenztheorie schuld’.

 

Man sieht, worum es geht: die proletarische Wiederaneignung des unerläßlichen luxemburgschen Beitrags zu torpedieren.

 

Hände weg von Rosa Luxemburg“ lautete der Titel eines bekannten Artikels, worin Leo Trotzki auf die Verleumdung der Mitbegründerin der KPD durch die stalinistische Konterrevolution antwortete. Heute wie damals gehört es zu den wichtigsten Zielen der herrschenden Klasse im Kampf gegen den Marxismus, den gigantischen Beitrag Rosa Luxemburgs zum historischen Erbe des Proletariats zu diskreditieren und zu entstellen.  Heute wie damals gehört es zu den Aufgaben der wirklichen Marxisten, diese Angriffe zurückzuschlagen.

 

Das  Erbe Rosa Luxemburgs

 

Rosa Luxemburg war, wie Franz Mehring zu recht bemerkte, der größte Theoretiker des Marxismus seit Karl Marx. Sie bildete die Speerspitze eines zwei Jahrzehnte dauernden Kampfes um die Verteidigung des Programms und der Organisation der Arbeiterklasse gegen Opportunismus und Verrat. Sie war, neben Karl Liebknecht und dem Spartakusbund, der politische Bezugspunkt des Kampfes gegen den imperialistischen Weltkrieg von 1914-18 in Deutschland und darüber hinaus. Schließlich hatte sie bereits begonnen, gegenüber der am Kriegsende ausbrechenden deutschen Revolution eine ähnliche Rolle auszufüllen wie die Lenins und Trotzkis in Rußland - bis sie 1919 von der sozialdemokratischen Konterrevolution ermordet wurde.

 

Vor allem wurde Rosa Luxemburg nach ihrem Tod zur bedeutendsten theoretischen Wegbereiterin und Inspiratorin der Kommunistischen Linken: der klarsten und entschiedensten Opposition gegen die opportunistische Entartung der  Komintern und gegen die stalinistische Konterrevolution. Nicht nur die deutsch-holländische Linke (die Tradition der aus der KPD und der Kommunistischen Internationalen zu Unrecht als „Kinderkrankheit des Kommunismus“ ausgeschlossenen KAPD) wurde maßgeblich durch ihre programmatischen Beiträge geprägt. Auch die Auslandsfraktion der italienischen Linken (welche die politische Arbeit der Begründer der Kommunistischen Partei Italiens um Bordiga seit Ende der 20er Jahre im Exil um die Zeitschrift Bilan fortsetzte) verdankte Luxemburg entscheidende Einsichten. (3)

 

Von Rosa Luxemburg übernahm die Kommunistische Linke das Verständnis, daß in der imperialistischen Epoche des niedergehenden Kapitalismus

 

- die Organisationsform des kämpfenden Proletariats nicht mehr permanente, bereits vor dem Kampf existierende Gewerkschaften sind, sondern im Kampf selbst entstehende, die ganze Klasse erfassende Massenorganisationen

 

- die  Rolle der Arbeiterpartei nicht mehr in der Organisierung und Erziehung des Proletariats, sondern in der politischen Führung der Klasse besteht (die beiden Hauptlehren ihrer Massenstreikbroschüre)

 

- jegliche nationale Bewegung zwangsläufig zum Bestandteil des reaktionären, inter-imperialistischen Räuberkampfes der Bourgeoisie wird, und somit von der Arbeiterklasse bekämpft werden muß (Juniusbroschüre).

 

Insbesondere bereitete Rosa Luxemburg - historisch, politisch wie ökonomisch- die Grundlagen für die Anwendung der marxistische Dekadenztheorie auf den Kapitalismus durch die Kommunistische Linke vor (vor allem in ihrem Buch ‘Die Akkumulation des Kapitals) und lieferte somit die theoretische Begründung der neuen Positionen, welche nach 1914 zuerst die Kommunistische Internationale und dann die Kommunistische Linke für die angebrochene Epoche von „Kriegen und Revolutionen“ formulierten. Was Lenin in der Frage der Notwendigkeit der Zertrümmerung  des bürgerlichen Staates leistete (die Wiederherstellung, Verteidigung und Vertiefung der ursprünglichen marxistischen Position), leistete vor allem Luxemburg und die auf ihr aufbauende Kommunistische Linke in der Frage der Dekadenz des Kapitalismus.

 

Gegen die Entdeckung dieser Errungenschaften macht Bahamas, macht die Bourgeoisie nun Front.

 

Die stalinistischen Methoden von Bahamas

 

Es gab 1917-18 keinen leidenschaftlicheren Verteidiger der Russischen Revolution als Rosa Luxemburg. Wie kein zweiter setzte sie sich für die kühne Politik der Bolschewiki ein, durch Taten die Flammen der Weltrevolution zu entfachen. Der letzte große Kampf ihres Lebens war ganz der Rettung der russischen Revolution durch ihre Ausdehnung auf Deutschland gewidmet. Während die sozialdemokratischen Verräter den Bolschewiki und dem russischen  und deutschen Proletariat angesichts der Feindschaft der Weltbourgeoisie dazu rieten, die  Waffen zu strecken, betonte Luxemburg  die Pflicht zur revolutionären Klassengewalt, um die  Barbarei des Kapitalismus zu beenden.

 

Zugleich übte sie in zwei wesentlichen Punkten eine solidarische Kritik gegenüber der Form der Ausübung der proletarischen Diktatur in Rußland. Zum einem unterschied sie scharfsinnig zwischen der unabdingbaren Klassengewalt der proletarischen Massen und einem von ihr wie vom ursprünglichen Spartakusbund verworfenen, staatlich institutionalisierten „Roten Terror“. Zum anderen verteidigte sie die Unterdrückung konterrevolutionärer Organisationen, vertrat aber vehement die revolutionäre Demokratie innerhalb der Arbeiterklasse im allgemeinen, sowie den „Pluralismus“ proletarischer Parteien insbesondere. Politische Richtschnur dieser Auffassung war: jede Gewaltanwendung in den Reihen der Arbeiterklasse selbst (und sei es im Namen der „Rettung der Revolution“) führe unweigerlich zu einer fatalen Schwächung des Trägers der Revolution selbst.(4)

 

Diese Ansichten Rosa Luxemburgs, später von führenden Vertretern des Linkskommunismus sowie anderen Oppositionsgruppen gegen den Stalinismus (auch in Rußland selbst) übernommen, gehören heute wesentlich zur Schatzkammer der marxistischen Theorie über die Ausübung der revolutionären proletarischen Diktatur. Und sie beweisen:  da, wo die russischen Revolutionäre tatsächlich Fehler begangen haben (das unvermeidliche Lehrgeld der ersten landesweiten proletarischen Machtergreifung überhaupt), waren es die Marxisten selbst, welche diese Fehler erkannten und korrigierten.

 

Kein Wunder also, wenn Bahamas gerade diese Beiträge Rosa Luxemburgs ins Visier nimmt. Hier sieht man, wozu das ganze aufgeblasene Geschwafel über den angeblichen „ökonomischen Determinismus“ Luxemburgs dient. Denn Bahamas, auf die Tradition der sog. „Frankfurter Schule“ (Adorno, Marcuse usw.) zurückgreifend, will vor allem eins beweisen: die Arbeiterklasse ist keine   revolutionäre Klasse. Folgerichtig bewertet Bahamas „den Glauben an das sozialistische Wesen der proletarischen Masse“ als Beweis für den „auf dem Ökonomismus basierenden Humanismus der Luxemburg“. Im Klartext: Luxemburg glaubte nur deshalb, die proletarische Diktatur muß von dem von Bahamas verachteten Proletarier selbst ausgeübt werden, weil sie die Revolution als etwas automatisch Vorbestimmtes, von allein Sich-Vollziehendes ansah - wo sowieso nichts schief gehen kann. Der sog.  „ökonomistische Determinismus“, wogegen Bahamas wettert, ist tatsächlich nichts anderes als die eiserne marxistische „Determinierung“ der revolutionären Rolle des Proletariats als „Totengräber“ dieser Gesellschaft aus seiner Stellung in der kapitalistischen Produktion heraus. Zuviel für die zarten Verdauungsorgane unserer sensiblen kleinbürgerlichen Intellektuellen, welche die Rolle der Menschheitsbefreier eher für sich selbst in Aussicht stellen wollen. Sie schäumen geradezu vor beleidigter Wut angesichts dieses verhaßten marxistischen „Determinismus“. Als brave universitäre „Marxologen“ versuchen sie Rosa Luxemburg etwas anzulasten, was bereits schwarz auf  weiß im Kommunistischen Manifest steht. Als ob der berühmte Ausspruch „die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein“ nicht von Marx selbst stammen würde!

 

Diese ohnmächtige Wut linksintellektueller Zwischenschichten führt Bahamas zu Ver­leumdungen Rosa Luxemburgs in bester stali­nistischer Manier. Nicht zufällig: es handelt sich bei solchen Gruppen ohnehin zumeist um vom Zusammenbruch des Ostens enttäuschte ehemalige Stalinisten. Nun stimmen sie mit echter Inbrunst in die laufende Kampagne über den „Zusammenbruch der  Arbeiterbewegung“ und  den „Bankrott der alten Klassenkampf­theorie“ ein. Dabei läßt sich Bahamas zu Verleumdungen hinreißen, welche Stalin selbst in den Schatten stellen: ‘Rosa Luxemburg als Aushängeschild der BRD und der PDS!’

 

- „...die Demokratietheorie der Luxemburg ist, entkleidet man sie des Ökonomismus, der  ideale Anknüpfungspunkt für ehemals Linke, die die bestehende Bundesrepublik, dieses kapitalistische, parlamentarisch verfaßte System, für den optimalen Ausgangspunkt für einen „demokratischen Sozialismus“- in dem die Formen demokratischer Herrschaft verfeinert und einer breiteren TrägerInnenschaft zugänglich gemacht werden - halten.“

 

- In demselben „Dilemma“ (Rosa Luxemburgs gegenüber der Demokratie) „befindet sich z.B. die PDS, die Partei des demokratischen Sozialismus“ (ibid).

 

Was Luxemburg über die bürgerliche Demokratie und die „Demokratie als solche“ wirklich dachte, kann jeder selber nachlesen - hier nur eine Kostprobe: ‘Was bisher als Gleichberechtigung und Demokratie galt: Parlament, Nationalversammlung, gleicher Stimmzettel, war Lug und Trug! Die ganze Macht in der Hand der arbeitenden Masse als revolutionäre Waffe zur Zerschmetterung des Kapitalismus - das allein ist wahre Gleichberechtigung, das allein wahre Demokratie!’ (17.12.1918, Werke Band 4, S.461). 

 

Eine letzte Anmerkung dazu: Bahamas Kampagne gegen Luxemburgs „Demokratieverständnis“ dient der Verleumdung nicht nur der von ihr gezogenen Lehren aus der Russischen Revolution, sondern ebenso der Bekämpfung ihres theoretischen Hauptwerks „Die Akkumulation des Kapitals“. Letzteres wird als eigentliche Quelle ihres angeblichen Determinismus ausgemacht. Bahamas schreibt,  für Luxemburg entstehe die „revolutionäre Periode“ erst, wenn insbesondere „die Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts und damit die Kapitalakkumulation nicht mehr möglich sind,“ so daß der Sieg des Sozialismus dann von vornherein feststünde.  Jeder, der Luxemburg gelesen hat, weiß, daß für sie dieser theoretische Endpunkt der Kapitalakkumulation historisch nie eintritt und gar nicht eintreten kann, da lange zuvor der Klassenkampf „mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft“ endet „oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, um mit dem Kommunistischen Manifest zu sprechen. Die Periode des revolutionären Massenstreiks, in der der Sturz der Bourgeoisie möglich wird, kündigt sich für Luxemburg bereits 1905 in Rußland an und tritt mit dem 1. Weltkrieg endgültig in Kraft.

 

Hinter der „Determinismuskritik“: ein anarchistischer Angriff auf den Marxismus

 

Was steckt tatsächlich hinter dem großspurigen Bluff von Bahamas, Rosa Luxemburg des „ökonomistischen Determinismus“ zu bezichtigen?

 

Mit Determinismus ist hier Fatalismus gemeint: der quasi-religiöse, anti-marxistische Glaube, daß der Verlauf der Geschichte vorbestimmt, in ihrem Ausgang von vornherein feststeht, bar jeder Beeinflussung durch die menschlichen Subjekte der Geschichte. Der Begriff „ökonomistische Determinismus“ meint hier, dieser  unabwendbare  Gang nicht vom „Willen Gottes“- die Geschichtsauffassung der Zeugen Jehovas etwa-, sondern von den objektiven Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft abzuleiten. Dies wäre eine pseudo- marxistische Form des Fatalismus. Laut Bahamas vertrat nicht nur Luxemburg, sondern die  gesamte Arbeiterbewegung vor dem 1. Weltkrieg -in Anlehnung an Lassalle und im Gegensatz zu Marx-  einen solchen wirtschaftlichen Fatalismus.

 

Was ist dann die Aufgabe der Sozialdemokratie?“ fragt Bahamas. „Diese wird bei Rosa Luxemburg zu dem, was Max Weber der SPD in der Kritik des Ökonomismus vorgeworfen hatte: zu einem Verein zur Herbeiführung einer ohnehin stattfindenden Sonnenfinsternis.“ Soll heißen, Luxemburg kämpfte nicht wirklich für den Sozialismus, weil sie geglaubt haben soll, dieser würde sich von allein durchsetzen. 

 

Um diesen Vorwurf zu erhärten, zitiert Bahamas (unvorsichtigerweise) aus Luxemburgs „Juniusbroschüre“.

 

„Der wissenschaftliche Sozialismus hat uns gelehrt, die objektiven Gesetze der geschichtlichen Entwicklung zu begreifen. Die Menschen machen  ihre Geschichte nicht aus freien Stücken. Aber sie machen sie selbst. Das Proletariat ist in seiner Aktion von dem jeweiligen Reifegrad der gesellschaftlichen Entwicklung abhängig, aber die gesellschaftliche Entwicklung geht nicht jenseits des Proletariats vor sich, es ist im gleichen Maße ihre Triebfeder und Ursache, wie es ihr Produkt und ihre Folge ist. Seine Aktion selbst ist mitbestimmender Teil der Geschichte. Und wenn wir die geschichtliche Entwicklung sowenig überspringen können wie der Mensch seinen Schatten, so können wir sie doch beschleunigen oder verlangsamen.“

 

Mögen unsere Leser spätestens an dieser Stelle in schallendes Gelächter ausbrechen. Die armen Bahamisten merken nicht mal, wie dieses Zitat, anstatt ihre sogenannte These zu erhärten,  das  genaue Gegenteil beweist. Und überhaupt: die Juniusbroschüre ist eine der glänzendsten jemals geschriebenen Verteidigungen des Marxismus gegen jeglichen Determinismus. Dort zerstört Rosa die Legende von der automatisch sich einstellenden Revolution und formuliert die schreckliche Alternative des 20. Jahrhunderts: Sozialismus oder Barbarei. Dort zeigt sie die Existenz zweier feindlicher, einander ausschließenden „Determinismen“: den des Proletariats und der Bourgeoisie. Insbesondere hängt  für Luxemburg der Sieg der Revolution vor allem vom  Bewußtseinsstand des Proletariats selbst - also vom berühmten „subjektiven“ Faktor der Geschichte - ab. Rosa Luxemburg lebte  und starb in der Gewißheit, daß der Sozialismus nur als bewußter Akt des Proletariats, als erstes völlig bewußtes, ausschlaggebendes Eingreifen der revolutionären Massen selbst im Verlauf der Weltgeschichte möglich sein wird.

 

Vertritt Luxemburg in dieser Frage Marx, vertritt Bahamas den alten anarchistischen Aberglauben, daß die Revolution jederzeit durch bloße Willensbekundung möglich ist. Während für den Marxismus die Revolution nicht der Schöpfer der neuen Gesellschaft ist, sondern deren Geburtshelfer, dessen Eingreifen für eine erfolgreiche Niederkunft unabdingbar ist, hält es Bahamas mit Bakunin oder mit den frühen Christen vor 2000 Jahren:

 

Kein technizentristisch oder ökonomistisch bestimmter Stand irgendeines Produktionszweiges oder der Produktion als solcher ist maßgeblich für eine revolutionäre Situation verantwortlich, sondern nur die Kämpfe selbst.  Diese können überall ausbrechen und in einer Art Dominoeffekt aus allen Bereichen der Gesellschaft kommen und alle ergreifen.“ (S.43). Somit entpuppt sich der Angriff unserer Anarcho-Stalinisten -“theoretisch“ gesprochen- als beherzte Verteidigung der absoluten Freiheit des kleinbürgerlichen Individuums gegen den Zwang aller als „Determinismus“ empfundenen Gesetze - einschließlich die Gesetze der Geschichte selbst! Unsere eingebildeten „Philosophen“ erahnen nicht, was vor dem Marxismus bereits der Philosoph Hegel sehr gut wußte: daß Freiheit und Notwendigkeit sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig bedingen. M.a.W. das Proletariat muß die Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Entwicklung begreifen und sich daran halten, um die Welt erfolgreich  verändern zu können. Dafür haben wir den Marxismus.

 

Bahamas: Ein Feind  der  Arbeiterbewegung

 

Genau diese großartige, für die Befreiung des Proletariats unerläßliche Kontinuität der marxistischen Theorie will Bahamas treffen. Die Verteidigung  und Entwicklung marxistischer Theorie ist das Anliegen nicht von kleinbürgerlichen Intellektuellen, wie Bahamas glauben läßt, sondern der organisierten Arbeiterbewegung, wie Rosa Luxemburg exemplarisch zeigt. Damit diese Theorie zukünftig die proletarischen Massen ergreifen wird, muß sie sich heute auf  den  festen Boden der vergangenen Beiträge der organisierten Arbeiterbewegung gründen. Die Werke Rosa Luxemburgs bilden einen wesentlichen Bestandteil dieser Grundlage.

 

Bahamas hingegen verrichtet nur die Arbeit der Bourgeoisie, indem sie im Rahmen der herrschenden Kampagne über den „Tod des Sozialismus“ zum Bruch mit der vergangenen Arbeiterbewegung, zum Bruch mit Rosa Luxemburg aufruft.

 

„Die Person Rosa Luxemburg von  der Arbeiterbewegung zu lösen, ist falsch. Die  historische Berechtigung dieser Bewegung hat mit dem Nationalsozialismus, spätestens aber 1989 aufgehört. Der Zusammenbruch des realen Sozialismus symbolisierte das Ende ihrer historischen Wahrheit und Wirksamkeit. (...) wir sollten ein für alle Mal einen Bruch mit dieser Tradition vollziehen..“ (Bahamas Nr.22 S.30).

 

Bahamas verrät am Ende seine wahre Absicht: die Zerstörung des historischen Erfahrungsschatz des  Proletariats.     Ha.

 

  • (1) „Rosa Luxemburg und die Demokratie- über einen linken Mythos“.

     

  • (2) „Madame Geschichte und die Kämpfe: Zur Kritik der Rosa-Luxemburg-Nostalgie“.

     

  • (3) Der Einfluß der Werke Luxemburgs auf Bilan wurde vor allem durch die belgische Fraktion der „italienischen“ Linken vermittelt, welche auch die Positionen der Linkskommunisten in den Niederlanden gut kannten. Nicht zuletzt dank des Werkes Rosa Luxemburgs wurde somit ein kurzer, aber geschichtlich enorm wichtiger Prozeß der gegenseitigen Befruchtung zwischen den italienischen und den deutsch-holländischen Linken ermöglicht. Unsere eigene Organisation, die IKS, beruft sich gerade auf die Synthese zwischen den verschiedenen Hauptströmungen der Kommunistischen Linken. Zur Geschichte der italienischen und der deutsch-holländischen Linken siehe unsere dazu auf Deutsch erschienenen Broschüren bzw. unsere Bücher auf Französisch  und z.T. auf Englisch (über unsere Adressen erhältlich).

     

  • (4) Diese Ansichten Rosa Luxemburgs, als Antwort auf die Probleme der russischen und der deutschen Revolution formuliert, werden u..a. in ihrer Gefängnisschrift über die Russische Revolution sowie in „Was will der Spartakus-Bund“ entwickelt.