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Mitte Mai nahmen Zehntausende bei der Deutschen Telekom einen Arbeitskampf auf. Sie wehren sich gegen das Vorhaben der Konzernleitung, 50.000 Beschäftigte im Rahmen einer „Ausgliederung“ vier Stunden die Woche länger arbeiten zu lassen für zwölf Prozent weniger Lohn.
Vorkämpfer allgemeiner Arbeiterinteressen
Der Streik bei der Telekom ist von großer Bedeutung, nicht allein für die unmittelbar Betroffenen, sondern für alle Lohnabhängigen. Zum ersten Mal in der jüngsten Geschichte Deutschlands kämpfen viele Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam gegen den radikalen Lohnraub und die dramatische Intensivierung der Ausbeutung, welche heute immer mehr das Los aller Lohnabhängigen wird. Noch nie haben in den letzten Jahren in der Bundesrepublik so viele Beschäftigte auf die offenen Erpressungen der Kapitalseite statt mit Nachgeben mit offener Kampfansage geantwortet. Dabei fühlen sich die Streikenden offenbar selbst als Vorreiter eines notwendigen, allgemeineren Kampfes. So sieht man auf den Straßendemonstrationen und Kundgebungen neben den von der Gewerkschaft Ver.di angefertigten Transparenten - welche brav und bieder „gutes Geld für gute Arbeit“ fordern, oder geschäftstüchtig die Kunden der Telekom Liebe und Treue schwören lassen! - immer mehr selbst gebastelte Plakate, worauf schlicht geschrieben steht: heute wir, morgen ihr!
So ist es auch. Zwar blieb der Streik bisher auf die Deutsche Telekom beschränkt. Selbst innerhalb des Konzerns wurden bis jetzt nur die unmittelbar von den Ausgliederungen ins Visier Genommenen am Streik beteiligt. Außerdem bleibt die Streikleitung zunächst unangefochten in den Händen der Gewerkschaft Ver.di, welche von Anfang an bemüht war, einen Streik abzuwenden und das Vorhaben des Konzerns „verantwortungsvoll“ zu begleiten. Aber dieser Verlauf des Streiks entspricht weder den wirklichen Interessen der Arbeiterklasse, noch der langsam keimenden Erkenntnis, dass der Streik bei der Telekom uns alle was angeht, die durch Verkauf ihrer Arbeitskraft zu überleben versuchen müssen.
Die Bedeutung des jetzigen Kampfes
Auch wenn es noch keine Versuche der Streikenden bei der Telekom gegeben haben mag, ihren Kampf auf andere Sektoren auszudehnen und auch keine direkten Solidaritätsaktionen anderer Arbeiter mit den Opfer der Sanierung des einstigen Staatskonzerns, so ist sicher, dass die Augen vieler von brutalen Angriffen selbst betroffener Lohnabhängiger auf diesem Arbeitskampf ruhen.
Und das ist der Grund, weshalb der Arbeitskampf bei der Telekom den Herrschenden ein Dorn im Auge ist, und diesen Damen- und Herrschaften einige Kopfzerbrechen noch bereiten wird. Denn diese Auseinandersetzung, solange sie andauert, erinnert die Bevölkerung an die bitteren Realitäten für die Arbeiterklasse, welche hinter dem „Aufschwung“ und dem viel gepriesenen „Beschäftigungsboom“ stecken: immer länger für immer weniger Geld arbeiten bei einer stetig wachsenden Unsicherheit der Beschäftigung und der Lebenslage. Sollten die Kapitalisten aber unter dem Druck des Streiks auch nur teilweise nachgeben – indem sie etwa die Lohnkürzungen geringer ausfallen lassen als geplant, riskieren sie damit, auch anderen Betroffenen Mut zu machen, sich ebenfalls zu Wehr zu setzen. Die Vorkämpfer bei der Telekom könnten umso leichter Nachahmer finden, da ihr Streik zu umfangreich ist und sich in einem zu zentralen Bereich der Wirtschaft abspielt, als dass deren Ergebnisse in der Öffentlichkeit verschwiegen werden könnten.
Ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung
Bereits die Tatsache, dass es der Arbeiterklasse im Fall der Telekom gelungen ist, die Angriffe des Kapitals nicht kampflos hinzunehmen, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der Kampf lohnt sich. Dass das Kapital nur eine sich wehrende Arbeiterklasse fürchtet, dass dieser Streik den Herrschenden überhaupt nicht in den Kram passt, beweist schon die Beflissenheit, mit der die gewerkschaftlichen Sozialpartner von vorn herein auf eine gütliche Einigung ohne Arbeitskampf setzten. Auf Ausgliederung, Lohnraub und die Arbeitszeitverlängerung reagierte Ver.di mit der Forderung nach Ausgleich, etwa durch eine mehrjährige Arbeitsplatzgarantie. Dass solche Garantien nicht mal das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen, haben die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit bei Siemens, Daimler oder Volkswagen hinlänglich bewiesen. Vor allem lief die Verhandlungsstrategie der Gewerkschaft darauf hinaus, die Ausgliederung von vorn herein zu akzeptieren. Das Gerede von einem „gerechten Ausgleich“ dafür war nichts als Augenwischerei, um die Beschäftigten zu verwirren und gefügig zu machen.
Aber die Beschäftigten ließen sich nicht täuschen. Bei den Warnstreiks und Protestaktionen, welche die Sondierungen und Verhandlungen der Gewerkschaft begleiteten, sprachen sich die Betroffenen selbst massiv gegen die Hinnahme des „Sanierungsprogramms“ der Telekom aus. Ver.di sah sich gezwungen, die Verhandlungen abzubrechen, die Urabstimmung einzuleiten, und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Über 96% der Abstimmenden sprachen sich für einen Streik aus: Ein in dieser Deutlichkeit einmaliges Ergebnis, wenn man bedenkt, in welcher Zwangslage die Betroffenen stecken bzw. welches Erpressungspotenzial heute den Kapitalisten zur Verfügung steht.
Es waren die Betroffenen selbst, welche diesen Streik erzwungen haben, allen Drohungen der Konzernleitung, allen „Vernunftappelle“ der Politiker, allen Schikanen der Gewerkschaften zum Trotz. Dies ist der erste Sieg der Arbeiterinnen und Arbeiter.
Ein Signal für die Arbeiterklasse
Der Streik bei der Telekom ist die Fortsetzung des Kampfes, welcher beispielsweise in Deutschland 2004 in einigen der größten Werke der Automobilindustrie oder 2006 in Frankreich von Millionen von Studenten und Schülern geführt wurde. Zwar unterscheidet sich der Arbeitskampf bei der Telekom in mancher Hinsicht von den eben erwähnten Arbeitskämpfen. So brachen die Streiks bei Daimler in Stuttgart und Bremen, bei Opel in Bochum, wie auch die Proteste in Frankreich spontan aus, während der Telekom-Streik sich im gewerkschaftlichen Rahmen abspielt. Außerdem richteten sich die Kämpfe von 2004 oder 2006 mehr oder weniger direkt gegen Arbeitslosigkeit oder dessen Folgen, gegen Personalabbau, Werksschließung, oder wie in Frankreich gegen die Abschaffung des Kündigungsschutzes für junge Menschen. Jedoch sind diese Unterschiede unwesentlich. In allen Fällen ging die Initiative von den Betroffenen selbst aus; musste der Kampf gegen den Widerstand der Gewerkschaften ausgefochten werden. Außerdem richtet sich auch der Telekom-Streik nicht zuletzt gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit. Denn Letzteres bedeutet nicht nur Beschäftigungslosigkeit und sozialer Absturz der Erwerbslosen, sondern Erpressbarkeit aller Beschäftigten. Es ist in erster Linie die Möglichkeit, fast jeden Lohnabhängigen durch einen anderen, auf Beschäftigung dringend Angewiesenen ersetzen zu können, welche Lohnkürzungen oder die Ausdehnung der Arbeitszeit in dem heute zu beobachtenden Umfang durchsetzbar machen.
Indem sie die Konkurrenz unter den Arbeitsuchenden ungeheuer erhöht, und damit die ökonomische Macht des Kapitals gegenüber der Lohnarbeit noch vergrößert, zeigt die Arbeitslosigkeit andererseits die Notwendigkeit des Arbeiterkampfes auf. Zwar stimmt es, dass es für die Kernbereiche der Beschäftigten in den Industriestaaten Westeuropas heute noch nicht um das nackte Überleben geht. Aber um die Existenzen, welche die Beschäftigten bei der Telekom in den letzten Jahren versucht haben aufzubauen, darum geht es heute schon. So werden Tausende, die Bankkredite aufgenommen haben, um Wohnungen oder Einfamilienhäuser abzubezahlen, zahlungsunfähig werden, wenn die Lohnkürzungen bei der Telekom Realität werden. Nicht erst wenn man entlassen wird und in den Würgegriff von Hartz IV und Minijobs gerät, droht heute der Absturz in die Armut. Dieses Schicksal droht heute 50.000 Menschen, welche in der „Zukunftsbranche“ Telekommunikation vom größten Konzern der Branche in ganz Europa beschäftigt werden.
Die absolute Verelendung der Arbeiterklasse
In dieser Hinsicht trägt der Konflikt bei der Telekom dazu bei, auf eine Entwicklung aufmerksam zu machen, welche die gesamte Arbeiterklasse immer mehr berührt. Es handelt sich um ein Phänomen, welches Karl Marx in seinem bekannten Werk "Das Kapital" untersuchte und das Gesetz der absoluten Verelendung des Proletariats nannte. Es handelt sich darum, dass die Klasse der Lohnarbeit nicht nur im Vergleich zur Kapitalseite verhältnismäßig immer ärmer und wirtschaftlich betrachtet stets ohnmächtiger wird, sondern dass sich deren Lage auch absolut verschlechtert. Diese absolute Verelendung erfolgt vornehmlich durch Reallohnsenkungen und die Verlängerung der Arbeitszeit. Seitdem behaupten die Verteidiger des kapitalistischen Systems, dass diese Tendenz zur absoluten Verelendung nur für den Frühkapitalismus gilt, und in allen entwickelten kapitalistischen Staaten längst und zwar endgültig überwunden worden ist. Marx hingegen stellte die These auf, dass diese absolute Verelendung zwar eine Tendenz ist - und als solche auch Gegentendenzen kennt, welche sie abmildern oder zeitweise sogar außer Kraft setzen können - dass diese Tendenz sich aber mit umso größerer Notwendigkeit durchsetzen muss, je mehr das Kapital den gesamten Erdball durchdringt und beherrscht. Die schrecklichen Folgen dieser „absoluten Verelendung“ haben sich bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in England bemerkbar gemacht. Sie wurden nicht nur von Sozialisten wie Friedrich Engels (siehe sein Buch: „Die Lage der Arbeiterklasse in England“) beschrieben, sondern auch von großen Romanschriftstellern wie Charles Dickens. Diese ersten schrecklichen Erfahrungen mit dem Frühkapitalismus sind in das kollektive Gedächtnis des Proletariats eingebrannt. Sie sind Teil unseres geschichtlich gewachsenen Bewusstseins geworden.
Die Brisanz der Kämpfe bei Telekom jetzt liegt nicht zuletzt darin, dass sie dazu beitragen können, deutlich zu machen, dass die Tendenz zur absoluten Verelendung sich weltweit durchzusetzen beginnt - selbst in den alten Industriestaaten, von wo aus das Profitsystem seinen Siegeszug begann. Ganz allmählich beginnt es zu dämmern, dass den Lohnsklaven keine andere Wahl mehr bleibt als gemeinsam um die eigene Existenz zu kämpfen.
Wäre dieses Bewusstsein bereits weiter verbreitet, so bräuchten jetzt unsere Klassenschwestern und Brüder bei der Telekom nicht allein gegen die geballte Macht des Kapitals anzukämpfen. Sollten die Kapitalisten erfolgreich sein bei der Durchsetzung von Lohnraub und längeren Ausbeutungszeiten, so wird dies in erster Linie der Isolation der Streikenden zu verdanken sein. Bereits heute gibt es genügend Mitbetroffene, die für einen gemeinsamen Kampf zu gewinnen wären. Man denke bloß an die Beschäftigten von Arcor, eine Konkurrenzfirma von Telekom, welche zur selben Zeit Warnstreiks durchführen mussten. Man denke an die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bei der Post, von denen 30.000 Mitte Mai auf dem Potsdamer Platz in Berlin gegen drohende Verschlechterungen protestierten. Man denke an die von Entlassungen bedrohten Mitarbeiter von Siemens-Nokia, welche zur selben Zeit in München (aber auch in Finnland) dagegen demonstrierten. Dass aus dieser Gleichzeitigkeit noch nicht eine aktive Solidarität wird, ist in erster Linie der alten Mentalität des gewerkschaftlichen Kampfes zu verdanken, wo jede Berufsgruppe und jeder Teilbereich für sich kämpft. Diese Kampfesmethode war in der Jugendzeit des Kapitalismus aussichtsreich, als die Arbeiter noch Einzelkapitalisten gegenüberstanden. Heute aber, wo auf Weltebene die arbeitende Klasse dem Joch des Kapitals unterworfen und einer weltweiten Verelendung ausgesetzt wird, bietet nur der gemeinsame und solidarische Kampf aller Lohnsklaven eine Perspektive und einen Ausweg. Unsere mutigen Vorkämpfer bei der Telekom haben mehr als recht, uns das Signal zum Kampf zu geben: Heute wir, morgen ihr! 23.05.07