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„Die Sicherheit Deutschlands wird am Hindukusch verteidigt“, tönte der rot-grüne Verteidigungsminister Peter Struck martialisch noch vor einigen Jahren. Es gelte der terroristischen Gefahr, die Deutschland drohe, schon an ihrer Quelle Herr zu werden. Seither flimmerten immer wieder Fernsehbilder über die afghanischen Ausbildungslager der Taliban und al-Qaidas in die deutschen Wohnstuben. Sie sollten uns suggerieren, dass der Terrorismus seine Heimstatt in den Bergen und Einöden Afghanistans habe und dass er an Ort und Stelle bekämpft werden müsse, ehe er uns in den Metropolen der Industrieländer einholt. Selten hatte eine Lüge solch kurze Beine: Seit mehreren Jahren befinden sich Tausende von deutschen Wehrpflichtigen in Kabul und in den Provinzen Afghanistan, kämpfen hochgerüstete Armeen aus den USA, Kanada, den Niederlanden und Großbritannien in einem asymmetrischen Krieg gegen die „Gotteskrieger“, und doch ist die terroristische Gefahr virulenter denn je, ist sie mittlerweile mit furchtbaren Konsequenzen für die Arbeiterklasse auch nach Europa zurückkehrt, wie die Anschläge in Madrid und London, aber auch der fehlgeschlagene Kofferbombenanschlag auf die deutsche Bahn letzten Jahres oder die jüngsten Festnahmen im islamistischen Milieu deutlich machen.
Der deutsche Imperialismus: Mitgefangen - mitgehangen
Erinnern wir uns: Als sich die Bush-Administration nach den Anschlägen auf die Twin Towers in New York anschickte, den „Krieg gegen den Terrorismus“ auf den Irak Saddam Husseins auszudehnen, war es die rot-grüne Bundesregierung, mit Außenminister Fischer und Bundeskanzler Schröder an der Spitze, die sich mit dem Argument dagegen auflehnte, ein solcher Krieg werde den Terrorismus nicht eindämmen, sondern im Gegenteil noch weiter stärken.
Doch was für den US-Krieg gegen den Irak gültig war, sollte für den Krieg gegen das Taliban-Regime in Afghanistan paradoxerweise nicht zutreffen. Noch heute klingen uns die Ohren angesichts der Krokodilstränen, die die deutsche Bourgeoisie seinerzeit über das Steinzeit-Regime der Taliban in Kabul vergoss. Nicht nur sollte der islamistische Terror ein für allemal ausgemerzt werden; der deutsche Imperialismus schwang sich gar zum Verteidiger der Menschenrechte des afghanischen Volkes im Allgemeinen und der geschundenen afghanischen Frauen im Besonderen auf. Und auch die heutige Große Koalition in Berlin unter der Führung von Merkel und Steinmeier wird nicht müde, den angeblich humanitären Charakter der Bundeswehr-Mission in Afghanistan zu betonen. Auch sie will uns weismachen, dass „unsere Jungs“ in Kabul und Kandahar im Gegensatz zu den US-Rambos nur das Beste für das afghanische Volk im Sinn haben. Stolz werden die infrastrukturellen Maßnahmen, der Aufbau einer afghanischen Polizei, die Einweihung von Schulen für die entrechteten Frauen Afghanistans usw. verwiesen – so als sei die Bundeswehr nichts anderes als der verlängerte Arm des Technischen Hilfswerkes bzw. eine Mutter Theresa in Olivgrün.
Nun, die Tage sind mittlerweile gezählt, in denen der deutsche Imperialismus sich rühmen konnte, willkommen in Afghanistan zu sein. Vorbei die Zeiten, in denen die Bundeswehr-Soldaten die deutsche Flagge auf ihren Uniformen als Lebensversicherung gegen Anschläge durch Selbstmordattentäter tragen konnten. Immer häufiger werden die jungen Wehrpflichtigen der deutschen ISAF-Kräfte, aber auch deutsche Zivilisten Ziel tödlicher Anschläge durch die wiedergenesenen Taliban. Es ist unübersehbar, dass Deutschland in den Augen wachsender Kreise in Afghanistan mittlerweile als Kriegspartei angesehen wird. Abgesehen von der Tatsache, dass schon seit Jahren die verrohten Spießgesellen der KSK-Spezialkräfte Schulter an Schulter mit US-amerikanischen Einheiten ihr Unwesen in den Provinzen Afghanistan treiben, dienen auch die Aufklärungsflüge deutscher Tornados bestimmt nicht dazu, Rosinen vom Himmel regnen zu lassen, sondern setzen nur die Zielmarken für die verheerenden Angriffe der US-Bomber – Angriffe, die von unseren Heuchlern in Berlin anschließend als barbarisch gegeißelt werden, ganz nach dem Motto: Krieg dem Terrorismus, aber bitte ohne Kollateralschäden.
Was also hat die deutsche Bundeswehr in Afghanistan verloren? Es ist nicht, wie wir meinen, die Sicherheit der Bevölkerung Deutschlands, die Struck und Konsorten im Sinn stand, als sie sich auf das afghanische Abenteuer einließen. Es ist vielmehr die geostrategische Bedeutung dieses unwirtlichen Landes, die den deutschen Imperialismus zu diesem unkalkulierbaren Risiko bewog – eine Bedeutung, die dieses Land schon seit dem 19. Jahrhundert zum Spielball interimperialistischer Rivalitäten gemacht hat und die sich aus der Scharnierfunktion dieser Region zwischen Nahost und Europa ergibt.
Darüber hinaus trieb auch die schlichte Erkenntnis die deutsche Bourgeoisie zu diesem militärischen Engagement an, dass eine Fortsetzung der vornehmen Zurückhaltung, die sie noch gegenüber dem Irak an den Tag gelegt hatte, fatale Auswirkung auf ihre Glaubwürdigkeit als imperialistische Großmacht gehabt hätte. Mit ihrer Beteiligung an der ISAF und der „Operation Enduring Freedom“ (OEF) wollte sie sich gewissermaßen von ihrer Beteiligung an der Invasion des Irak „freikaufen“. Andernfalls wäre der deutsche Imperialismus dazu verurteilt gewesen, am Katzentisch des Imperialismus Platz zu nehmen. Er hätte vorerst seinen Anspruch verwirkt, als Großmacht an den weltweiten Brennpunkten präsent zu sein.
So ist es zu erklären, dass er sich nolens volens als Juniorpartner unter die Schirmherrschaft der US-Supermacht begeben hat. Denn in Afghanistan läuft nichts ohne die überwältigende Militärmacht der USA. Die Bundeswehr ist vor Ort auf Gedeih und Verderb von der US-Armee abhängig. Ohne deren Logistik und Transportkapazitäten wäre sie nicht einmal in der Lage, ihre Soldaten im Notfall außer Landes zu schaffen.
Und dieser Notfall könnte schneller akut werden, als ihr lieb ist. Denn die Lage in der Region gerät trotz bzw. gerade wegen des militärischen Engagements der Großmächte zunehmend außer Kontrolle. Ja, es wird immer offensichtlicher, dass die „Operation Enduring Freedom“ die Region am Ende instabiler hinterlässt, als diese selbst unter der Taliban-Herrschaft vor 2001 gewesen war. Besonders brisant ist dabei die Entwicklung in Pakistan, dem Nachbarn Afghanistan. Die Herrschaft des US-Schützlings Musharraf gestaltet sich zunehmend zu einem Tanz auf dem Vulkan. Angesichts der Tatsache, dass Pakistan Atommacht ist, könnte sein Sturz nicht nur vor Ort, sondern auch weltweit katastrophale Auswirkungen haben.
Auch innerhalb von Afghanistan selbst hat die „Zurückhaltung“ Berlins gegenüber allen Ersuchen der NATO und der USA, sich stärker militärisch im Süden des Landes zu engagieren, nichts zu tun mit der Sorge um das Leben der Bundeswehrsoldaten oder mit einer angeblich friedlichen deutschen Alternative zum amerikanischen Ramboimperialismus. Auch innerhalb der NATO und der OEF schwindet die Bereitschaft, sich einer amerikanischen Gesamtstrategie unterzuordnen. Selbst jene imperialistischen Staaten, die sich am meisten an der Seite der USA am Hindukusch engagiert haben, wie Großbritannien, Kanada und die Niederlande, denken jetzt laut darüber nach, Truppen aus Afghanistan abzuziehen.
Die Arbeiterklasse als Klotz am Bein des deutschen Imperialismus
Doch die deutsche Bourgeoisie hat ein noch viel schwerwiegenderes Problem bei der Durchsetzung ihrer imperialistischen Ambitionen. All ihrer Propaganda zum Trotz ist es ihr nämlich bis dato nicht gelungen, ihre eigene Bevölkerung, sprich: die Arbeiterklasse Deutschlands, für ihre militärischen Abenteuer zu erwärmen. Alle bisherigen Meinungsumfragen sprechen eine deutliche Sprache. Und mit jedem weiteren Zinksarg, mit jedem weiteren toten Bundeswehr-Soldaten wächst die Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr in der einheimischen Bevölkerung. Damit nicht genug. Die Großmachtallüren des deutschen Imperialismus stehen in einem eklatanten Widerspruch zu seinen militärischen Kapazitäten. Im Vergleich zu seinen Rivalen wie Großbritannien, Russland, Frankreich etc. (von den USA ganz zu schweigen) stoßen die Aufrüstungspläne der deutschen Militärs auf noch engere Grenzen, was dem Umstand geschuldet ist, dass milliardenschwere Rüstungsprogramme wohl kaum auf Akzeptanz unter den Arbeitern und Arbeiterinnen stoßen würden, die sich seit einiger Zeit schwersten Angriffen auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt sehen. Die herrschende Klasse aller Länder sieht sich mit dieser Problem konfrontiert. Die Besonderheit Deutschlands besteht jedoch darin, dass es aufgrund der erlittenen Niederlage im Zweiten Weltkrieg und der anschließenden, bis 1989 dauernden staatlichen Teilung einen enormen militärischen Nachholbedarf hat. Ein Bedarf, den es nicht ausreichend befriedigen kann, ohne die Arbeiterklasse noch viel massiver und frontaler anzugreifen, als dies ohnehin der Fall ist. Bisher hat die deutsche Bourgeoisie kein Mittel gefunden, die notwendigen gigantischen militärischen Mehrausgaben gegenüber der eigenen Bevölkerung rechtfertigen zu können. Daher die von Innenminister Schäuble und Verteidigungsminister Jung derzeit geschürte Panik wegen der terroristischen Gefahr. Daher auch der prominente Platz, der den Brandstiftern eines Kulturkampfes des „freien Westens“ gegen den „Islam“ auch von linker Seite in den Medien eingeräumt wird (siehe Ralph Giordano).
Vor diesem Hintergrund ist auch die Hinhaltetaktik der deutschen Bourgeoisie hinsichtlich eines größeren militärischen Engagements in den umkämpften Provinzen Afghanistans zu sehen. Dabei entbehrt die harsche Kritik, die von ihren „Waffenbrüdern“ geübt wird und die in dem Vorwurf gipfelt, dass das deutsche ISAF-Kommando „Feigheit“ vor dem Gegner zeige, nicht einer gewissen Plausibilität, allerdings in einem völlig anderen Sinn, als gemeinhin in der Öffentlichkeit kolportiert. Denn der Feind, vor dem die deutsche Bourgeoisie „feige“ zurückschreckt, ist nicht der gemeine Taliban, sondern die Arbeiterklasse im eigenen Land, deren nach Afghanistan abkommandierte Söhne noch längst nicht bereit sind, ihr Leben für die „Sicherheit“ Deutschlands am Hindukusch zu opfern. So gesehen, macht es durchaus Sinn, dass die SPD in jüngster Zeit wieder die Anregungen der sog. Weizsäcker-Kommission aufgriff, die vor einigen Jahren den Vorschlag unterbreitet hatte, die Wehrpflicht zugunsten einer Berufsarmee aufzugeben. Der Vorteil einer solchen Berufsarmee liegt auf der Hand. Mit einer Armee von berufsmäßigen Kriegern ließen sich naturgemäß viel leichter Feldzüge führen als mit einer Armee von Wehrpflichtigen, die sich hauptsächlich aus Angehörigen der Arbeiterklasse rekrutiert. Doch wurde damals dieser Vorschlag aus dem einfachen Grund abgelehnt, dass im Falle eines drohenden kriegerischen Konfliktes zwischen den Großmächten selbst eine Rückkehr zum alten Prinzip der Massenarmee sich als äußerst heikel gestalten würde. Daher sieht die jüngste SPD-Initiative denn auch eine Berufsarmee light vor, die sich ein Hintertürchen zum bis heute gültigen Prinzip der „Bürgerarmee“ offen halten möchte.
Nicht allein die Christdemokraten oder die FDP, auch und gerade die linken Parteien - wie die SPD, die eine kompaktere und modernere Bundeswehr das Wort redet, die Grünen, die die humanitären Züge des deutschen Imperialismus nicht aus den Augen verlieren wollen, oder die Linkspartei, die Kriege „nur“ befürwortet, wenn sie von der UN „legitimiert“ werden – alle tragen das Ihre dazu bei, um einer immer mehr verarmenden Arbeiterklasse die menschlichen und materiellen Kosten des Krieges aufzuschwatzen.