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In Weltrevolution Nr. 128 veröffentlichten wir einen ersten Auszug aus einem Leserbrief aus Baden-Württemberg, welcher sich mit den Schwierigkeiten von Genossen mit linkskapitalistischer Vergangenheit befasste, sich eine proletarische Herangehensweise anzueignen. Nachfolgend drucken wir weitere Auszüge aus demselben Brief ab.
“Warum sehe ich im Auftauchen der hier behandelten Gruppen nicht wie ihr ‚Zeichen einer unterirdischen Reifung in der Klasse.’ Oder gar, wie ihr im Artikel zum IBRP schreibt: ‚Die Generation von Revolutionären, die heute in Deutschland auftaucht, ist nicht in erster Linie das Ergebnis des Wirkens des linkskommunistischen Milieus, sondern sie ist der weitestgehende Ausdruck einer breiten unterirdischen Bewusstseinsreifung, die in der Arbeiterklasse insgesamt stattfindet.’ Von Revolutionären würde ich nicht sprechen – sei es drum – wichtiger ist die Diskussion der Frage, ob das Auftauchen der besagten Gruppen ein Reifen in der Klasse ausdrückt? Ich bin kein Erbsenzähler, was Begriffe angeht und es hilft erfahrungsgemäß wenig, im Interesse der Eindeutigkeit Vorgänge “passend” zu machen, die ambivalent daherkommen und vor allem nichts Statisches sind. Dennoch müssen wir klar trennen zwischen der Klasse im Sinne. von Lohnarbeit (gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, weil sie nichts anderes haben, um ihre Reproduktion zu gewährleisten und so den Wechselfällen der Kapitalbewegung unterworfen, d.h. potentiell immer von Arbeitslosigkeit bedroht) und Klasse im politischen Sinne, wo nämlich die Eigenständigkeit des Arbeiterinteresses artikuliert wird und man sich Instrumente schafft (das, was man bisher Arbeiterbewegung genannt hat), woraus sich Organisationen entwickeln, die um den Antagonismus von Kapital und Lohnarbeit wissen und ihn verkörpern. Wann, wie und mit welchem Verlauf es dazu kommt, hängt von vielem ab, nicht zuletzt aber davon, ob es gelingt, eine Dialektik von Klassenbewegung und revolutionärer Organisation (es werden derer mehrere sein und so spreche ich lieber von Polen der Polarisierung und der Kristallisation eines radikalen Interesses am Bruch mit den kapitalistischen Verhältnissen) herzustellen. Dialektik passiert nicht einfach, so dass nur noch organisiert werden müsste, was eh schon auf den Bruch drängt, sie kann aber auch nicht “hergestellt” werden im Sinne von “die revolutionäre Organisation führt den Bruch herbei” etc. Ich kann das hier nicht vertiefen.” [...]
“Natürlich gibt es nicht (wie man in der Schule lernt) hier Kommunisten, mit einer Idee oder Utopie und da die Arbeiter oder Armen etc. und nun suchen die Kommunisten nach Ausführern ihrer Idee. Aber Kommunistisches Programm und Arbeiterkämpfe (und seien sie noch so militant) berühren sich von Anbeginn nur selten.” [...]
“Wenn ein paar Genossen aus linken Organisationen sich “umgruppieren” – warum sollte das einer (unterirdischen) Reifung in der Klasse entsprechen? Dazu müsste man handfeste Argumente über eine begonnene neue Stufe von Klassenauseinandersetzung auf den Tisch legen. Dass die Akzeptanz und das Interesse gegenüber linkskommunistischen Positionen gewachsen ist, reicht dazu nicht aus. Zumal wir ja nicht zum erstenmal ein solches, wenn auch minimales Interesse erleben. Wir hatten Ende der 80er die Gruppen GIK (Gruppe Internationaler Kommunisten in Austria), IRK (Internationale Revolutionäre Kommunisten), den Revolutionären Funken, die alle bald wieder verschwunden waren, wir hatten davor die IKP-Kommunistisches Programm, wovon in gutsortierten Antiquitäten mit viel Glück noch etwas aufzutreiben ist.
M.E. ist das heute die zweite (und letzte) Bewegung aus den Gruppen der Neuen Linken heraus von wenigen Genossen, die das “Ende der Fahnenstange” erreicht hatten und dann auf der Suche auf den Linkskommunismus gestoßen sind – worauf sie sich sofort gemüßigt sahen, wieder “Fahne zu hissen” – statt eine Bestandsauffassung der vorausgegangenen Praxis, der eigenen wie der anderer linker Gruppen vorzunehmen wie überhaupt die Frage nach dem Stand der Klassenauseinandersetzung gründlich anzugehen.
In euerer oben zitierten Einschätzung wird Reifen in der Klasse und Umgruppierung/Schritte auf das revolutionäre Milieu zu ineins gesetzt. Der Begriff “unterirdisch” macht die Sache nicht klarer, sondern bietet sich geradezu an, Projektionen vorzunehmen. So kann man im Übrigen das Nichtvorhandensein einer selbsttätigen Klasse (Klassenbewusstsein) übergehen. Damit will ich überhaupt nicht sagen, der Begriff “unterirdisches Reifen” sei unzutreffend. Wer sich eingehender mit der Geschichte von Arbeiterkämpfen befasst hat, weiß, wie treffend damit Vorgänge, Entwicklungen, erklärt werden können. Aber es passt nicht, um das Auftauchen linkskommunistischer Orientierung zu erklären. Es mag sich so anhören, als schätze ich dieses Auftauchen nun meinerseits als unbedeutend ein – das ist nicht der Fall. Dass es kommunistische Stimmen gegen Befreiungsnationalismus, Demokratiefetisch, Arbeitertümelei a la K-Gruppen gibt, ist wichtig. Noch wichtiger wäre, wenn diese Artikulation sich um eine Analyse, sowohl der Geschichte der Arbeiterkämpfe und der kommunistischen Organisationen, also auch der gegenwärtigen Kapital- und Klassenbewegung bemühen würde. Wenn sie dies tun so kann, nicht zuletzt durch die Auseinandersetzung mit den bestehenden linkskommunistischen Organisationen, ein Projekt entstehen, das nicht nur zum Anziehungspol für suchende Genossen, sondern auch zu einem nicht zu übergehenden Faktor in kommenden Auseinandersetzungen “vor Ort” werden kann.”
Unsere Anmerkungen
Der Autor dieser Leserzuschrift stimmt mit uns sowohl darin überein, dass das Phänomen der unterirdischen Bewusstseinsreifung einen bedeutenden Faktor der Entwicklung des Klassenkampfes darstellt, als auch darin, dass das wachsende Interesse an “linkskommunistischen” Positionen wichtig ist. Er äußert allerdings Zweifel gegenüber unserer Einschätzung des Zusammenhangs dieser beiden Faktoren. Sein Einwand: “Wenn ein paar Genossen aus linken Organisationen sich “umgruppieren” – warum sollte das einer (unterirdischen) Reifung in der Klasse entsprechen? Dazu müsste man handfeste Argumente über eine begonnene neue Stufe von Klassenauseinandersetzung auf den Tisch legen. Dass die Akzeptanz und das Interesse gegenüber linkskommunistischen Positionen gewachsen ist, reicht dazu nicht aus.”
Dieser Einwand leuchtet uns ein. Die These vom Auftauchen einer neuen Generation von Revolutionären als Ausdruck einer unterirdischen Reifung in der Klasse müsste sich auf mehr stützen als auf die Feststellung einer Zunahme von am Linkskommunismus interessierten Gruppen. Als beispielsweise im Kampf gegen die stalinistische Konterrevolution Ende der 1920er und Anfang der 1930er während kurzer Zeit ein wachsendes Interesse oppositioneller proletarischer Gruppen an linkskommunistischen Positionen zu verzeichnen war, zeigte es sich bald, dass dies ein letztes Aufbäumen entschlossener Minderheiten war, und keineswegs Ausdruck einer breiteren Reifung innerhalb der Klasse. Am Ende standen die Linkskommunisten noch isolierter da als zuvor, während das Gros des Proletariats sich für den zweiten imperialistischen Weltkrieg mobilisieren ließ.
Dieses Beispiel erinnert uns daran, dass es keine einfache Übereinstimmung zwischen der Entwicklung der Klasse insgesamt und der Entwicklung revolutionärer Minderheiten geben kann. Dennoch gibt es zwischen beiden eine Verbindung. Diese “Dialektik” ist komplexer als manche Rätekommunisten es wahr haben wollen, welche die Entwicklung revolutionärer Ideen als unmittelbaren Ausdruck von Arbeiterkämpfen, z.B. von Streikbewegungen begreifen. Und die Verbindung ist weitaus inniger als manche Nachfolger der italienischen Linken meinen, welche in Anlehnung an Bordiga sich einbilden, dass eine Klassenpartei völlig unabhängig vom Stand des Klassenkampfes ewig und unabänderlich fortexistieren kann.
Wir finden, dass unser Leser recht hat darauf hinzuweisen, dass eine neue Stufe der Klassenauseinandersetzungen als Maßstab dafür dienen sollte, um feststellen zu können, ob eine unterirdische Entwicklung im Gange ist, welche der Klasse insgesamt, einschließlich den revolutionären Minderheiten, den Rahmen vorgibt. Aus unserer Sicht hat die italienische Fraktion der kommunistischen Linken in den 1920er bis 30er Jahren am besten das Rätsel aufsteigender und absteigender Entwicklungen proletarischer Parteien gelöst. Die von “Bilan” angefertigten Studien zu dieser Frage zeigten auf, dass Entwicklungsphasen im politischen Leben des Proletariats einher gingen mit einer wachsenden Bereitschaft der Klasse, sich mit neuen historischen Begebenheiten auseinanderzusetzen. Solche Reifungsphasen der Klassen bahnen den revolutionären Minderheiten den Weg, einen wirklichen, gegebenenfalls sogar entscheidenden Einfluss auf den Gang des Klassenkampfes zu gewinnen. Doch schmerzliche Niederlagen der Klasse, welche mit einer Art historischer Zäsur einhergehen, können diesen Prozess unterbrechen, die Revolutionäre von der Klasse wieder isolieren, und die entstehende oder faktisch entstandene Klassenpartei dazu verdammen, entweder sich aufzulösen (wie es sich mit dem Bund der Kommunisten am Ende der Phase der bürgerlichen Revolutionen 1848-49, oder mit der 1. Internationalen nach der Niederlage der Pariser Kommune am Ende der Phase der fortschrittlichem Bildung von Nationalstaaten in Westeuropa ereignete) oder ins Lager der Bourgeoisie überzuwechseln (wie es die Parteien der 2. Internationalen 1914 am Ende der aufsteigenden Phase des Kapitalismus, oder die Parteien der 3. Internationalen nach der Niederlage der ersten revolutionären Welle von 1917-23 taten). Auch die Massenstreiks ab 1968 bedeuteten eine historische Zäsur. Mit dem Ende der langen Phase der bürgerlichen Konterrevolution öffnete sich eine neue geschichtliche Phase der Reifung der Klasse, wo es wieder möglich wurde, die Abwehrkämpfe der Klasse mit der Perspektive der Revolution in Verbindung zu bringen. Die damals neue Generation von Revolutionären war nicht der einzige Ausdruck dieser Entwicklung. Denn 1968 in Frankreich oder 1969 in Italien debattierten Millionen Arbeiter über eine solche Perspektive. Aber dieser erste Anlauf, eine eigene Klassenperspektive am Ende der Konterrevolution wiederzuerlangen, scheiterte. Er scheiterte daran, dass die Arbeiter aus Angst vor der Vereinnahmung durch die bürgerliche Linke Zuflucht suchten in einer bornierten Verwerfung der Politik. So entwickelte sich die Pattsituation zwischen den beiden Hauptklassen der Gesellschaft, welche die Zerfallsphase des Kapitalismus einleitete. Da die Bourgeoisie keine entscheidenden Schritte hin zum generalisierten Krieg tun konnte, und das Proletariat der Perspektive der Revolution auch nicht näher kam, löste sich Ende der 1980er Jahre die Nachkriegsordnung auf. Dies geschah aber, ohne dass die Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage im Kampf erlitten hätte. Daher die Möglichkeit, aber auch die Notwendigkeit, einen zweiten proletarischen Anlauf zur Gewinnung einer eigenen Klassenperspektive zu machen. Dies erfordert freilich, dass das Proletariat dort ansetzt, wo es im ersten Anlauf gescheitert ist, indem es immer bewusster seine Verteidigungskämpfe mit der Zukunft der Gesellschaft insgesamt verknüpft – und damit die bisherige “apolitische” Haltung überwindet. Dies der tiefere Grund, weshalb wir das zunehmende Befassen kleiner Minderheiten mit proletarischer Politik als ein wichtiges Anzeichen der unterirdischen Reifung der Klasse begreifen.
Die Tatsache, dass diese Fragestellung heute überhaupt auftaucht, ist ein Zeichen der Reifung, weil es einem objektiven Bedürfnis der gesamten Klasse entspricht, auch wenn dies zur Zeit (noch) von einer verschwindend geringen Minderheit der Klasse geäußert wird.
Während wir also unsere These aufrechterhalten, wollen wir unserem Leser auch in einer anderen wichtigen Frage recht geben. Nämlich, dass das Auftauchen solcher Minderheiten keineswegs ausreicht, damit sie bereits den aktiven Ausdruck einer unterirdischen Bewusstseinsentwicklung bilden. Wichtig ist vielmehr, dass diese neuen Kräfte sich nicht zerstreuen und zersplittern, wie dies z. Z. teilweise der Fall ist, sondern sich mit den bestehenden revolutionären Organisationen auseinandersetzen, um einen “Anziehungspol für suchende Genossen” wie für kämpfende Arbeiter “vor Ort” zu bilden. Wie das bereits oben erwähnte Beispiel der 1930er Jahre zeigt, ist das Kennzeichen der proletarischen Reifung nicht das bloße Hervorbringen, sondern die Vereinigung der revolutionären Kräfte.
Weltrevolution