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In unseren Statuten steht: „Der internationale Kongress ist das souveräne Organ der IKS. Deshalb hat er folgende Aufgaben:
- Ausarbeitung von Analysen und generellen Orientierungen für die Organisation, vor allem bezüglich der internationalen Situation;
- Untersuchen und Bilanzieren der Aktivitäten der Organisation seit dem letzten Kongress;
- Formulieren unserer Arbeitsperspektiven für die Zukunft.“
Auf dieser Grundlage wollen wir den 19. Kongress bilanzieren und betrachten.
Die internationale Situation
Als ersten Punkt wollen wir unsere Analysen und Diskussionen über die internationale Situation erwähnen. Wenn die Organisation nicht in der Lage ist, sich ein klares Verständnis darüber zu erarbeiten, läuft sie Gefahr, nicht in angemessener Weise politisch intervenieren zu können.
Heute ist es überaus wichtig für revolutionäre Organisationen, eine richtige Analyse der internationalen Situation machen zu können, nur schon deshalb, weil die Herausforderungen der Geschichte, die sich in der letzten Zeit beschleunigt hat, bedeutend sind.
Wir haben in der letzten Nummer der Internationalen Revue die vom Kongress angenommene Resolution veröffentlicht und es ist nicht notwendig, auf alle darin enthaltenen Aspekte zurückzukommen. Wir wollen lediglich deren wichtigste noch einmal unterstreichen.
Der erste und grundlegendste Aspekt ist der Weg, den die Krise des Kapitalismus durch die Staatsverschuldungen europäischer Staaten wie Griechenland eingeschlagen hat. „In der Tat stellt diese potentielle Pleite einer wachsenden Reihe von Staaten eine neue Phase im Versinken des Kapitalismus in der unüberwindlichen Krise dar. Sie verdeutlicht die Grenzen der Maßnahmen, mit denen es der Bourgeoisie gelungen ist, den Fortgang der kapitalistischen Krise seit mehreren Jahrzehnten zu bremsen.“ (Resolution zur internationalen Situation, Punkt 2)
Diese Politik
basierte auf einer Flucht nach vorne in die Verschuldung, um den Mangel an
ausreichenden Märkten für die Industriegüter zu kompensieren. Mit der
Verschuldungskrise der Staaten selber, der Staaten, welche für die
kapitalistische Ökonomie der letzte Rückhalt sind, ist das System brutal mit
seinen grundlegenden Widersprüchen konfrontiert und mit der Tatsache, diese
nicht überwinden zu können. In diesem Sinne: „Die Krise der Staatsschulden in
den PIIGS (Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien) ist nur ein
kleiner Teil des Erdbebens, das die Weltwirtschaft bedroht.“ und „Mit
anderen Worten läuft die größte Weltmacht Gefahr, dass ihr das „offizielle“
Vertrauen in ihre Fähigkeit zur Bezahlung der Schulden entzogen wird -
mindestens mit Dollars, die noch etwas wert sind. (…) Die Krise der
Verschuldung verschob sich von der Bankensphäre in diejenige der Staaten,
wodurch die kapitalistische Produktionsweise in eine neue Phase ihrer
zugespitzten Krise eingetreten ist, in der sich die Gewalt und die Ausdehnung
ihrer Erschütterungen noch einmal beträchtlich verschärfen werden. Es gibt für
den Kapitalismus keinen „Ausgang aus dem Tunnel“. Dieses System kann die
Gesellschaft nur noch in eine ständig wachsende Barbarei ziehen.“ (Punkt 5)
Die Zeit unmittelbar nach dem Kongress hat diese Analyse bestätigt: erneute
Zunahme der Verschuldung Griechenlands und eine Herabstufung der USA im Juli,
Börsenkrach im August, die Lage verschlechtert sich laufend in dramatischer Art
und Weise…
Die Bestätigung der Analysen, die am Kongress gemacht worden sind, ist nicht etwa ein besonderes Verdienst unserer Organisation. Der einzige „Verdienst“, den sie für sich beanspruchen können, ist die Treue gegenüber den klassischen Analysen der Arbeiterbewegung, welche immer, seit der Entwicklung der marxistischen Theorie, unterstrichen haben, dass die kapitalistische Produktionsweise, gleich wie die vorangegangenen, nur einen Übergangscharakter hat und ihre wirtschaftlichen Widersprüche nicht überwinden kann. Die Diskussion am Kongress hat sich in diesem marxistischen Rahmen entfaltet. Es wurden verschiedene Standpunkte ausgetauscht, vor allem bezüglich der fundamentalen Gründe der kapitalistischen Widersprüche (welche im Wesentlichen in unserer Debatte über die 30 glorreichen Jahre dargelegt sind) und über die Möglichkeit, dass die Weltwirtschaft durch die hemmungslose Ankurbelung der Geldpresse in eine Hyperinflation stürzt, vor allem in den USA. Eine große Einigkeit bestand über die Dramatik der aktuellen Lage; die Resolution wurde einstimmig angenommen.
Der Kongress nahm
sich ebenfalls der Entwicklung der imperialistischen Konflikte an, wie man an
der Resolution erkennen kann. Diesbezüglich gab es im Vergleich zu den zwei dem
letzten Kongress von 2009 vorangegangenen Jahren keine grundlegenden
Veränderungen, sondern im Wesentlichen eine Bestätigung dessen, dass die größte
Weltmacht USA trotz all ihrer militärischen Bemühungen unfähig ist, ihre
„Leadership“ wieder herzustellen, die seit dem Ende des „Kalten Krieges“
bestanden hatte. Ihr Engagement im Irak und in Afghanistan konnten der Welt
keine „Pax Americana“ mehr aufzwingen, im Gegenteil: „Die „neue Weltordnung“,
die Vater George Bush vor 20 Jahren prognostizierte und die er sich unter der
Vorherrschaft der USA erträumte, entlarven sich je länger je mehr als ein
„Weltchaos“ - ein Chaos, das die Konvulsionen der kapitalistischen Wirtschaft
nur noch verschlimmern werden.“ (Punkt 8)
Es war wichtig, dass sich der Kongress ganz besonders der heutigen Entwicklung
im Klassenkampf gewidmet hat, denn neben der Wichtigkeit, welche diese Frage
für Revolutionäre immer hat, steht heute die Arbeiterklasse in allen Ländern
vor Angriffen auf ihre Existenzbedingungen wie selten zuvor. Diese Angriffe
sind besonders brutal in den Ländern, die der Europäischen Zentralbank und dem
IWF unterworfen sind, wie das Beispiel Griechenlands zeigt. Doch sie breiten
sich auch auf alle anderen Länder aus durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit
und die Notwendigkeit für die Regierungen, die Staatsschulden zu reduzieren,
was mehr und mehr eine entschlossene und massive Antwort der Arbeiterklasse
notwendig macht. Doch der Kongress stellte auch fest: „Diese Antwort ist immer
noch schüchtern, vor allem dort, wo die Sparmaßnahmen die brutalsten Formen
angenommen haben, in Ländern wie z.B. Griechenland oder Spanien, auch wenn die
Arbeiterklasse dort in letzter Zeit ein bedeutendes Niveau an Kampfbereitschaft
gezeigt hat. In gewisser Weise scheint die Brutalität der Angriffe in den
Reihen der Arbeiterklasse ein Gefühl der Machtlosigkeit ausgelöst zu haben, vor
allem auch, weil sie durch „linke“ Regierungen durchgesetzt wurden.“ Seither
hat die Arbeiterklasse in diesen Ländern aber bewiesen, dass sie nicht
resigniert. So vor allem in Spanien, wo die Bewegung der „Empörten“ während
mehrerer Monate zu einem Orientierungspunkt für die anderen Länder in Europa
und in anderen Kontinenten geworden ist.
Diese Bewegung begann just im Moment, als der Kongress stattfand und deshalb
konnten diese Ereignisse auf dem Kongress nicht diskutiert werden. Somit war
der Kongress vor allem geprägt vom Nachdenken über die sozialen Bewegungen, welche
die arabischen Länder seit Ende 2010 erfasst hatte. In den Diskussionen zeigte
sich keine absolute Einigkeit darüber, vor allem nicht über die Frage ihres
neuartigen Charakters. Doch der gesamte Kongress sammelte sich um die Analyse,
welche in der Resolution enthalten ist: „Diese Bewegungen waren nicht
klassische Arbeiterkämpfe… Sie haben oft die Form sozialer Revolten angenommen,
in denen sich verschiedenste Teile der Gesellschaft wiederfanden: Beschäftigte
des Staates und der Privatwirtschaft, Arbeitslose, aber auch Kleinhändler und
Bauern und Freiberufliche, die Jugend usw. Aus diesem Grund ist die
Arbeiterklasse über die meiste Zeit hinweg nicht direkt als solche erkennbar
aufgetreten. Dennoch ist der Ursprung dieser Revolten (…) derselbe wie derjenige
von Arbeiterkämpfen in anderen Ländern: die dramatische Zuspitzung der Krise
und die zunehmende Misere, welche innerhalb der gesamten nichtausbeutenden
Bevölkerung um sich greift. Wenn die Arbeiterklasse in diesen Kämpfen im
arabischen Raum im Allgemeinen nicht als Klasse aufgetreten ist, so war ihr
Einfluss in den Ländern, in denen sie ein stärkeres Gewicht hat, dennoch
spürbar. Dies vor allem durch die Atmosphäre einer großen Solidarität in den
Revolten und die Fähigkeit, Fallen von blinder und verzweifelter Gewalt zu
vermeiden, auch dann, wenn sie mit einer starken Repression konfrontiert waren.
Wenn schlussendlich die herrschende Klasse in Tunesien und Ägypten auf den
Ratschlag der USA hin die alten Diktatoren über die Klinge springen ließ, so
geschah dies weitgehend wegen der starken Präsenz der Arbeiterklasse in diesen
Bewegungen.“
Die Intervention der IKS in den sich entfaltenden Kämpfen
Auf der Grundlage der Einschätzung der Wirtschaftskrise, der furchtbaren Angriffe, die diese für die Arbeiterklasse nach sich zieht, und auf der Grundlage der ersten Antworten derselben auf diese Angriffe ging der 19. Kongress der IKS davon aus, dass wir in eine neue Zeit der Entwicklung der Klassenkämpfe eintreten, die deutlich intensiver und massenhafter sein werden als in der Zeitspanne zwischen 2003 und jetzt. In dieser Hinsicht ist es aber vielleicht noch schwieriger als beim Verlauf der Krise, der diese Entwicklung im Großen und Ganzen bestimmt, kurzfristige Voraussagen zu treffen. Es gilt hingegen, eine allgemeine Tendenz auszumachen und angesichts der Entwicklung der Lage besonders wachsam zu sein, um schnell und angemessen reagieren zu können, wenn sie es erfordert, sei es mittels Stellungnahmen oder der direkten Intervention in den Kämpfen.
Der 19. Kongress
schätzte die Bilanz der Intervention der IKS seit dem letzten Kongress als
unbestreitbar positiv ein. Immer wenn es nötig war, und oft sehr schnell wurden
Stellungnahmen in zahlreichen Sprachen auf unserer Webseite und in den
territorialen Zeitungen veröffentlicht. Im Rahmen dessen, war wir mit unseren
bescheidenen Kräften leisten konnten, verbreiteten wir die Presse auf
Demonstrationen, welche die sozialen Bewegungen begleiteten. Solche Bewegungen
waren in der letzten Zeit insbesondere die Bewegung gegen die Rentenreform im
Herbst 2010 in Frankreich oder die Mobilisierungen der Schülerinnen und Schüler
gegen die Angriffe, die vor allem die zukünftigen Studentinnen und Studenten
aus der Arbeiterklasse zum Ziel hatten. Gleichzeitig hielt die IKS öffentliche
Diskussionsveranstaltungen in zahlreichen Ländern auf verschiedenen Kontinenten
ab, welche die sozialen Bewegungen zum Thema hatten. Gleichzeitig
intervenierten die Mitglieder der IKS, wenn immer es möglich war, in den
Versammlungen, Kampfkomitees, Diskussionszirkeln, Internetforen, um die
Positionen und Analysen der Organisation zu verbreiten und an der
internationalen Debatte teilzunehmen, die diese Bewegungen ausgelöst hatten.
Weiter zog der Kongress eine positive Bilanz über unsere Intervention gegenüber
Leuten und Gruppen, die kommunistische Positionen verteidigen oder sich solchen
Positionen annähern.
Der Bericht über die Kontakte, der am Kongress angenommen wurde, „schenkte den neuen Entwicklungen hinsichtlich unserer Kontakte besondere Aufmerksamkeit, namentlich der Zusammenarbeit mit Anarchisten. Es gelang uns, bei gewissen Gelegenheiten in Kämpfen gemeinsame Sache mit Leuten und Gruppen zu machen, die sich im gleichen Lager wie wir befinden – in demjenigen des Internationalismus.“ (Einführung des Berichts am Kongress) Diese Zusammenarbeit mit Leuten und Gruppen, die sich auf den Anarchismus berufen, stieß in der Organisation zahlreiche und fruchtbare Diskussionen an, die es uns erlaubten, die verschiedenen Facetten dieser Strömung besser kennen zu lernen und insbesondere die ganze Vielfältigkeit, die es in diesem Milieu gibt, besser zu verstehen …
Die Organisationsfragen
Jede Diskussion über die Tätigkeit einer revolutionären Organisation muss sich auch der Bilanz ihrer Funktionsweise widmen. Gerade hier stellte der Kongress auf der Grundlage der verschiedenen Berichte die größten Schwächen in unserer Organisation fest. Der Kongress setzte sich lange mit diesen Schwierigkeiten auseinander, insbesondere mit dem oft bedauerlichen Zustand des Organisationsgewebes und der kollektiven Arbeit, unter dem gewisse Sektionen leiden. Alle Genossinnen und Genossen der Sektionen, in denen sich diese Schwierigkeiten zeigen, sind voll überzeugt von der Richtigkeit des Kampfes, den die IKS führt, sind absolut loyal ihr gegenüber und beweisen ihren selbstlosen Einsatz. Oft kennen sich diese Genossen und Genossinnen bereits seit mehr als dreißig Jahren und kämpfen so lange gemeinsam. Häufig gibt es aus diesem Grund zwischen ihnen freundschaftliche und von Vertrauen geprägte Beziehungen. Aber kleine Fehler, kleine Schwächen, Verschiedenheiten im Charakter, die jeder und jede bei den anderen akzeptieren muss, führten manchmal zu Spannungen oder zu einer wachsenden Schwierigkeit, nach Jahrzehnten überhaupt noch zusammen zu arbeiten in kleinen Sektionen, die insbesondere wegen des allgemeinen Zurückweichens der Arbeiterklasse nach dem Zusammenbruch der „sozialistischen“ Regimes keine „Blutauffrischung“ mit neuen Mitgliedern erfahren haben. Heute beginnt diese „Blutauffrischung“ gewisse IKS-Sektionen wieder zu beleben, aber es ist klar, dass die neuen Mitglieder sich nur dann gut in die Organisation werden integrieren können, wenn sich das Organisationsgewebe verbessert. Der Kongress diskutierte über diese Schwierigkeiten im Klartext, was einige der eingeladenen Gruppen dazu verleitete, auch über ihre Organisationsschwierigkeiten zu berichten. Doch fand der Kongress keine „Zauberlösung“ für diese Probleme, die auch schon an früheren Kongressen festgestellt wurden. Die Aktivitätsresolution, welche die Organisation angenommen hat, erinnert an die auch schon früher vertretene Herangehensweise und ruft alle Genossinnen und Genossen und Sektionen dazu auf, sie systematisch in die Tat umzusetzen: „der gegenseitige Respekt, die Solidarität, die Reflexe der Zusammenarbeit, ein herzlicher Geist des Verständnisses und der Sympathie für die anderen, soziale Beziehungen und die Großzügigkeit müssen sich entwickeln“ (Punkt 15).
Die Diskussion über „Marxismus und Wissenschaft“
Eines der Anliegen in den Diskussionen und der vom Kongress angenommenen Aktivitätsresolution drehte sich um die Notwendigkeit, auch die theoretischen Aspekte der vor uns stehenden Fragen zu vertiefen. Aus diesem Grund widmete dieser Kongress - wie auch schon die früheren - einen Punkt der Tagesordnung einer theoretischen Frage: „Marxismus und Wissenschaft“. Aus Platzgründen werden wir nicht hier über die angeschnittenen Themen berichten. Aber es gilt trotzdem darauf hinzuweisen, dass die Delegationen mit dieser Diskussion sehr zufrieden waren, was insbesondere auch den Beiträgen eines Wissenschaftlers, Chris Knights, zu verdanken war, den wir eingeladen hatten, an einem Teil des Kongresses teilzunehmen. Wir möchten uns herzlich dafür bedanken, dass er die Einladung angenommen hat, und die Qualität seiner Interventionen wie auch deren Lebendigkeit und Verständlichkeit für wissenschaftliche Laien, die wir zum größten Teil sind, begrüßen. Auf unserer englischen Webseite haben wir seinen Redebeitrag als podcast veröffentlicht: https://en.internationalism.org/podcast/20110925/chris-knight-origins-of...
Nach dem Kongress haben alle Delegationen die Diskussion über „Marxismus und Wissenschaft“ und die Beteiligung von Chris Knight daran als einen der interessantesten und anregendsten Momente des Kongresses hervorgehoben – einen Moment, der die Gesamtheit der Sektionen im Interesse für solche theoretischen Fragen bestärkt.
Wir ziehen keine triumphalistische Bilanz des 19. Kongress der IKS, vor allem weil er die Organisationsschwierigkeiten abstecken musste, mit denen wir kämpfen; Schwierigkeiten, die wir überwinden müssen, wenn die Organisation weiterhin die Herausforderungen meistern will, welche die Geschichte einer revolutionären Organisationen stellt. Vor uns steht deshalb ein langer und schwieriger Kampf. Doch soll uns diese Perspektive nicht entmutigen. Denn schließlich ist der Kampf der ganzen Arbeiterklasse auch lang und schwierig, voller Tücken und Niederlagen. Diese Perspektive soll die Organisationsmitglieder vielmehr in ihrem Willen bestärken, diesen Kampf zu führen. Ein grundlegender Wesenszug eines/r jeden kommunistischen Militanten ist, ein/e Kämpfer/in zu sein.
IKS, 31. Juli 2011