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Im Januar 2015 kündigten die Mitglieder der IKS in der Türkei ihren Austritt aus unserer Organisation an. Die Begründung für ihren Abgang wurde einige Monate später unter dem Namen einer neuen Gruppe, die sich „Pale Blue Jadal“ nennt, unter der Überschrift „Über unser Ausscheiden aus der Internationalen Kommunistischen Strömung“ veröffentlicht. Ziel des folgenden Artikels ist es, zu thematisieren, was unserer Ansicht nach die Hauptfragen sind, die sich angesichts des Weggangs dieser Ex-Genossen stellen.
Das Editorial der ersten Ausgabe unserer Internationalen Revue, die in englischer, französischer und spanischer Sprache 1975 veröffentlicht wurde, legt deutlich das Ziel dar, das sich die frischgebackene IKS selbst gesetzt hatte: „In dieser Periode der allgemeinen Krise, die schwanger geht mit Erschütterungen und sozialem Aufruhr, ist es eine der drängendsten und mühseligsten Aufgaben, denen sich die Revolutionäre gegenübersehen, die geringen revolutionären Kräfte zusammenzuschweißen, die gegenwärtig auf der ganzen Welt verstreut sind. Diese Aufgabe kann nur angegangen werden, indem sie geradewegs auf einer internationalen Ebene begonnen wird. Dies ist stets ein zentrales Anliegen unserer Strömung gewesen.“ Für solch eine Organisation ist der Verlust eines Mitstreiters ein Unglück. Eine ganze Sektion zu verlieren ist ein Versagen. Wir sind es daher uns selbst, all jenen, die sich mit der Tradition der Kommunistischen Linken identifizieren, und der Arbeiterklasse im Allgemeinen schuldig, dieses Versagen in einem schonungslosen, kritischen Geist zu untersuchen und unsere Schlüsse unseren LeserInnen darzulegen.
Dies ist umso dringlicher angesichts der Aussagen des von unseren Ex-Genossen aus der Türkei verfassten Textes, die wir von nun an „Pale Blue Jadal“ (PBJ) nennen müssen. Es gibt Punkte in diesem Text, mit denen wir uns einverstanden erklären können, und dennoch ist der Text im Großen und Ganzen ein solches Allerlei von Halbwahrheiten, Entstellungen, Schuldzuweisungen und einer allgemeinen Konfusion, die schon von jenen, die bei den Ereignissen dabei waren, die er zu schildern versucht, kaum zu durchschauen sind und für jeden außerhalb der IKS völlig unverständlich sein müssen. Dies heißt aber natürlich nicht, dass der Text von PBJ nicht gewisse Auswirkungen hat: Den Zaghaften wird er einen weiteren Anlass zu Zweifeln geben, und unsere Gegner (einige von ihnen hegen einen Hass gegen uns, der eher im Bereich des Pathologischen anzusiedeln ist als in der Politik)werden in ihm lesen, was sie schon immer lesen wollten.
Um auf jede Anschuldigung von PBJ zu antworten, müssten wir etwas Ähnliches unternehmen wie Lenins Sezieren des Parteitages der RSDLP von 1903 in Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, jedoch über einen Zeitraum von fast zehn Jahren: Wir müssten detailliert aus einer Menge Konferenz- und Kongressprotokollen zitieren, gar nicht zu reden über die Korrespondenz und Protokolle der Treffen und Konferenzen. Dies würde zu lange dauern, es würde die Geduld unserer LeserInnen überfordern, und darüber hinaus würde es das interne Arbeiten unserer Organisation dem öffentlichen Blick preisgeben, etwas, was kein Revolutionär bei vollem Verstand heute tun würde. Wir werden daher uns selbst darauf beschränken, unseren Standpunkt so klar wie möglich darzustellen und nebenbei einige der schlimmsten Irrtümer und Unterstellungen von PBJ richtigzustellen.
Organisatorischer Opportunismus
Fangen wir mit dem Punkt an, in dem wir mit PBJ übereinstimmen: dass die Integration der Gruppe EKS als türkische Sektion ein Prozess war, der vom Opportunismus befallen war. Wir wollen hier nicht in die Einzelheiten gehen; es reicht aus zu sagen, dass wir das Tempo der Geschichte beschleunigen wollten, ein klassisches Rezept für den Opportunismus.
„Das Tempo beschleunigen“ natürlich in unserem eigenen kleinen Rahmen; prinzipiell bedeutete es die Entscheidung, die Diskussionen mit der EKS, die unsere Sektion in der Türkei werden sollte, „auf der Schnellspur“ laufen zu lassen. Insbesondere beschlossen wir:
- den Zeitraum für die organisatorische Diskussion mit den Mitgliedern der EKS vor ihrer Integration drastisch zu reduzieren, mit der Begründung, die Kunst des Aufbaus einer Organisation werde im Wesentlichen aus der Erfahrung gelernt;
- die EKS als Gruppe, nicht die Individuen als solche zu integrieren. Obgleich dies im Rahmen unserer Statuten möglich ist, beinhaltet es die Gefahr, dass die neuen Militanten sich selbst nicht zuallererst als individuelle Mitglieder einer internationalen Organisation ansehen, sondern als Mitglieder ihrer ursprünglichen Gruppierung.
Im Nachhinein war unsere nachlässige Herangehensweise in der Organisationsfrage sowohl unentschuldbar als auch unglaublich. Wer war die EKS schließlich? Wie die PBJ sagt, war sie „lediglich eine Ansammlung politisierter Freundeskreise“ und zudem Zirkel, die im politisierten kleinbürgerlichen Studentenmilieu großgeworden sind. Mit anderen Worten, es war exakt die Art von Zirkel, die Lenin 1903 beschrieben hatte. Angesichts all unserer vergangenen Erfahrungen, ganz zu schweigen von unserem Bewusstsein über unsere eigenen Versäumnisse, die häufig aus den Ursprüngen der IKS in den Studentenbewegungen der 60er und 70er Jahre herrührten – wie konnten wir übersehen, dass eine der größten Fragen, denen wir uns bei der Integration der EKS gegenübersahen, eben die Weitergabe unseres eigenen organisatorischen Experiments ist? Wie konnten wir unsere eigene Kritik an der Zwecklosigkeit hastiger, opportunistischer Integration, wie sie in der Vergangenheit von der TCI praktiziert wurde, aus den Augen verlieren? Wie es aussieht, dient unsere Erfahrung mit der Sektion in der Türkei lediglich als weitere Bestätigung – falls sie denn notwendig ist – dafür, dass diese Kritik grundsätzlich richtig ist und genauso auf uns zutrifft wie auch auf Andere.
Der in Kürze erscheinende Artikel über unseren 21. Kongress gibt eine allgemeine Antwort auf diese Fragen: „Der Kongress unterstrich, dass die IKS stets von ihrer ‚Jugendsünde‘ der revolutionären Ungeduld beeinträchtigt war, die uns wiederholt dazu veranlasst hat, den historischen und langfristigen Rahmen aus den Augen zu verlieren, der das Umfeld der Funktion der Organisation ist.“ Solche Versäumnisse sind insoweit schwierig zu überwinden, als sie von Anfang an in der Organisation präsent waren.[1] Konkret machte es uns für die besonders unter einigen jungen Mitgliedern der EKS grassierende Illusion zugänglich, dass unsere Schwierigkeiten, unsere Positionen unter der neu politisierten jüngeren Generation rüberzubringen (besonders im relativ neuen Medium des Internet-Forums), hauptsächlich eine Frage der Darstellung sei[2] und dass wir daher unseren Einfluss vergrößern könnten, wenn wir in unserem Beharren auf Organisationsprinzipien nachgeben (dies meint PBJ mit der „Erkenntnis, dass unsere Traumas Probleme bereiteten“). Infolgedessen verloren wir die historischen, materialistischen Fundamente unserer Organisationspraxis aus den Augen, wie sie von unseren Statuten verkörpert werden, die allein historisch, als politische Prinzipien[3], und als das Ergebnis sowohl der vergangenen Arbeiterbewegung (Internationale und Fraktionen) als auch unserer eigenen Erfahrungen verstanden werden können. Wir behandelten die Statuten als bloße „Verhaltensregeln“; die „Diskussion“ über das Thema wurde an einem Tag durchgepeitscht (im Gegensatz zu der monatelangen Korrespondenz und Diskussion mit der EKS über die Positionen, die in der Plattform zum Ausdruck kommen). Es gab keine Diskussion über die „Kommentare zu den Statuten“ (ein Text, der unsere Statuten in den Kontext der historischen Erfahrung der Arbeiterbewegung und der IKS stellt) und auch keine über die elementaren organisatorischen Texte. Auch beharrten wir nicht darauf, dass diese Texte ins Türkische übersetzt werden.[4]
Für all dies trägt, um es nochmals zu sagen, die IKS – nicht die Mitglieder der EKS – die volle Verantwortung.[5]
Doch das Resultat war, dass die Haltung der türkischen Sektion zu den Statuten nicht dem von militanten Marxisten entsprach, die danach streben, die Prinzipien hinter ihnen zu begreifen und in die Praxis umzusetzen – oder, falls notwendig, dafür einzutreten, dass sie geändert werden, mit all den internationalen Debatten innerhalb der Organisation, die dies beinhalten würde: Es war eher die Haltung von Winkeladvokaten, deren einziges Interesse darin besteht, Wortklauberei zum eigenen Vorteil zu betreiben.[6]
„Wir mussten gehen“
Dies ist letztendlich die Rechtfertigung von PBJ für ihren Austritt: „Wir mussten gehen“. Doch was genau ist damit gemeint? Immerhin wurden die türkischen Mitglieder nicht hinausgeworfen, weder kollektiv noch individuell, noch wurden sie anderweitig sanktioniert. Ihre „Minderheitspositionen“ wurden nicht unterdrückt – im Gegenteil, sie wurden ständig dazu aufgefordert, ihre Positionen in Texten auszudrücken, so dass diese veröffentlicht und der gesamten Organisation zur Kenntnis gebracht werden können.
Wenn wir versuchen, die Hauptpunkte aus dem Text von PBJ zu ziehen, ergibt sich das immer gleiche Bild:
- Die IKS leide unter einer „Konsenskultur“, die die Debatte erschwere. Zumindest damit können wir bis zu einem gewissen Grad übereinstimmen.[7] Wir werden später auf die „Konsenskultur“ in der türkischen Sektion selbst zurückkommen.
- Die „alten“ Kämpen versuchten, eine „einseitige Übergabe“ von Erfahrungen an die Jungen durchzusetzen.
- „Die Sektion war aufgelöst“.
- Kurz: daher „mussten wir gehen“.
PBJ ist, um es zusammenzufassen, die „kritische Linke“ der IKS, und nicht die Jungen, die sich etwa weigern würden, den „einseitigen Transfer“, die „Diktatur“ der Alten zu akzeptieren, deren „Traumata Probleme bereiteten“.
In der Tat konfrontierte die Sektion nur Monate vor ihrem Austritt die Organisation mit einem hochtrabenden Positionspapier, indem sie erklärte, dass sie „die Linke“ in der Organisation sei. Nehmen wir sie beim Wort und betrachten für einen Moment, was das bedeutet: Was heißt es, „die Linke“ im Kontext der IKS zu sein?
Die IKS behauptet sehr bewusst, dass ihre Ursprünge in der Kommunistischen Linken und noch ausdrücklicher, soweit Organisationsfragen betroffen sind, in der Tradition der italienischen Linkskommunisten liegen. Was bedeutete es, eine „Linksfraktion“ in den Tagen der Italienischen Linken, zurzeit der Degeneration der Kommunistischen Internationalen zu sein? „Die Linksfraktion wird in einer proletarischen Partei gebildet, die unter dem Einfluss des Opportunismus dabei ist zu degenerieren, mit anderen Worten, die von der bürgerlichen Ideologie penetriert ist. Es liegt in der Verantwortung der Minderheit, die das revolutionäre Programm hochhält, einen organisierten Kampf für seinen Erfolg in der Partei zu führen (…) Es ist die Verantwortung der linken Fraktion, den Kampf in der Partei fortzuführen, solange die Hoffnung besteht, sie zur Umkehr zu bewegen: Daher haben Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre die linken Strömungen die Parteien der KI nicht verlassen, sondern wurden häufig mit den Mitteln schmutziger Manöver ausgeschlossen.“[8]
Kurz, die Linke kämpft bis zum Äußersten für ihre Organisation, um:
- die Organisation soweit wie möglich zu überzeugen, für sich zu gewinnen;
- so viele Militante wie möglich zu retten;
- für Klarheit über die Gründe des organisatorischen Niedergangs für sich selbst, für andere Militante und für die Zukunft zu sorgen.
Schließlich rennt die Linke nicht beim ersten Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten und Gegensätzen weg. Sie unternimmt alles Erdenkliche, um in der Organisation zu verbleiben und ihre Ideen zu verteidigen – und wird ausgeschlossen. Sie spielt nicht das Schaf im Wolfsfell, indem sie davonläuft.
Die italienische Linksfraktion wurde in Reaktion auf die Degeneration der Kommunistischen Internationalen, die Integration ihrer konstituierenden Parteien in den politischen Apparat der herrschenden Klasse, gebildet. Wie immer unsere Mängel aussehen mögen, die IKS befindet sich nicht in derselben Lage, und selbst die Mitglieder der türkischen Sektion haben solch eine Behauptung nicht aufgestellt. Es gab also keinen Grund, anzunehmen, dass die vielfältigen Meinungsverschiedenheiten, die durch die oder in der Sektion laut geworden sind, die Bildung einer „Fraktion“ in der IKS rechtfertigen könnten; im Gegenteil, wir konnten hoffen, dass offene Diskussionen in der Sektion es ermöglichen würden, diese Meinungsverschiedenheiten zu klären, was vielleicht zu einer klareren Position für die Organisation in ihrer Gesamtheit führen könnte.
Dennoch bleiben die dem zugrundeliegenden Punkte gültig. Es steht in der Verantwortung jeglicher Minderheiten in einer revolutionären Organisation, ihre Positionen so lange zu verteidigen, wie sie dazu in der Lage sind, bis zum Äußersten zu versuchen, den Rest der Organisation von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Niemand gibt vor, dass dies leicht ist – aber es ist der einzige Weg, eine Organisation aufzubauen.
Warum scheiterten die türkischen Genossen in diesem Zusammenhang so eklatant? Wir können auf zwei Hauptfaktoren verweisen:
- Den ersten haben wir bereits 2007 in einem Text über die „Debattenkultur“[9] beleuchtet, der die absolut lebenswichtige Notwendigkeit einer Debatte innerhalb der Organisation zu ihrem eigenen inneren Wohl betonte: „Der zweite bedeutende Impuls für die IKS, zur Frage der Diskussionskultur zurückzukommen, war unsere eigene interne Krise zu Beginn des neuen Jahrtausends, die von einem bösartigen Verhalten gekennzeichnet war, wie wir es in unseren Reihen noch nie erlebt hatten. (…) Eine der Schlussfolgerungen, zu denen wir gelangten, war, dass in all den Abspaltungen, die wir erlitten, die Tendenz zum Monolithismus eine wichtige Rolle spielte. Sobald Divergenzen auftraten, begannen gewisse Mitglieder zu behaupten, dass sie nicht länger mit den anderen zusammenarbeiten könnten, dass die IKS zu einer stalinistischen Organisation geworden sei oder sich im Prozess der Degenerierung befinde. Diese Krisen brachen anlässlich von Divergenzen aus, die in einer nicht-monolithischen Organisation größtenteils problemlos eingedämmt und in jedem Fall diskutiert und geklärt worden wären, ehe auch nur der Gedanke an eine Trennung aufgekommen wäre.“ Die türkischen Genossen fielen diesem „Monolithismus der Minderheit“ zum Opfer.
- Der zweite ist, dass eine Vorbedingung für die Akzeptanz der Forderung, dass die Linke bis zum Äußersten kämpfen sollte, statt die Organisation überstürzt zu verlassen, die Überzeugung ist, dass die Organisation selbst eine lebenswichtige Notwendigkeit ist. Dies ist exakt das Problem im politischen Milieu heute, das keine Erfahrung mit dem Parteileben (wie es zum Beispiel in der bolschewistischen Partei zu Lenins Zeiten existierte) hat, das keine Erfahrung mit der revolutionären Agitation durch eine Partei besitzt, die einen relevanten Einfluss auf den Klassenkampf ausübt, und das darüber hinaus nicht nur von der alten rätekommunistischen Opposition gegen die Partei befallen ist, sondern auch von einem viel breiteren, tiefen Misstrauen gegenüber jeglicher Form organisierter politischer Aktivitäten als solche, die über den Zirkel hinausgeht. In der Tat nimmt PBJ die Organisation nicht wirklich ernst. Daher ist PBJ so schockiert über „Positionen, die in der Organisation entwickelt wurden, wonach die Partei, wenn die IKS irgendwie zu existieren aufhört, nicht gegründet werden könnte, das Proletariat keine Revolution machen könnte und die Welt dem unvermeidlichen Ruin ausgeliefert ist [und] drückte die Hoffnung aus, dass wir nicht allein sind, um die kommunistischen Aktivitäten fortzusetzen im Fall, dass eine Situation wie diese stattfand“. Wir möchten die Genossen des PBJ fragen: Glaubt ihr (wie ihr es mutmaßlich getan habt, als ihr der IKS beigetreten wart), dass die Existenz einer internationalen, zentralisierten, politischen revolutionären Organisation entscheidend für den Erfolg jeglicher künftigen Revolution ist? Im Gegensatz zu Anderen haben wir nie vorgegeben, „die Partei“ zu sein oder auch nur die einzige Gruppierung in der Welt, die den proletarischen Internationalismus vertritt. Es gibt zu wenige Revolutionäre auf dieser Welt, aller Wahrscheinlichkeit wird dies noch lange Zeit der Fall sein, und das Proletariat muss all seine Kräfte bündeln: Die Existenz einer revolutionären Organisation ist keine Angelegenheit für Individuen, sondern die Frucht der historisch revolutionären Natur des Proletariats. Wie Bilan in der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs in den 1930er Jahren betont hatte: wenn es keine Partei gibt – keine politische Organisation, die von der Internationalen Arbeiterklasse als ihr Eigen anerkannt ist -, dann gibt es keine Revolution. Dabei wird eine solche Organisation nicht durch irgendeinen mystischen Prozess der Selbstentstehung zustande kommen. Eine Organisation aufzubauen ist immens schwierig, es bedarf Jahre mühevoller Anstrengungen, dabei wird sie stets so zerbrechlich sein, dass sie binnen Monate oder gar Wochen demoliert werden kann. Wenn die IKS, die heute die weitaus größte Organisation der Kommunistischen Linken[10] ist, am Ende scheitert, wer wird ihren Platz dann einnehmen? Wie und auf welcher Grundlage soll die internationale Organisation errichtet werden? Auf diese Fragen antwortet PBJ lediglich: „Wir hoffen, wir sind nicht allein.“ Die Hoffnung währet ewiglich, wie ein Sprichwort sagt, und in der Zwischenzeit herrscht uneingeschränkte Oberflächlichkeit.
Wir möchten diesen Punkt abschließen, indem wir auf die angebliche „Auflösung der türkischen Sektion“ antworten. Es gibt keinen Zweifel, dass auf beiden Seiten in dem Prozess, der zum Weggang der Sektion führte, Fehler begangen wurden; es gibt auch keinen Zweifel daran, dass sich ein gewisses Misstrauen breitgemacht hatte, das wir nicht zerstreuen konnten.[11] Es trifft jedoch nicht zu, wenn suggeriert wird, dass die Sektion aufgelöst wurde. Diese Behauptung stützt sich auf zwei Punkte:
- Erstens wurde die Sektion in einer Resolution des Zentralorgans aufgefordert, zugunsten der Teilnahme all ihrer Mitglieder via Internet an den Diskussionen anderer IKS-Sektionen auf ihre eigenen Treffen zu verzichten.
- Zweitens wurde die Sektion aufgefordert, all ihre Artikel ins Englische zu übersetzen und vor der Veröffentlichung dem IB vorzulegen.
Wir möchten dies klarstellen.
Wie der Text von PBJ besagt, war die Teilnahme ihrer Mitglieder an anderen Sektionstreffen ein Versuch, den Lokalismus aufzubrechen, hinter dem sich die Sektion verschanzt hatte – und den sie nicht leugnen können. Was sie nicht sagen, ist, dass dasselbe Mittel auch auf andere Sektionen im Vorfeld von Kongressen der IKS angewendet wurde. Ziel war es, das lokale Leben der Sektionen für internationale Diskussionen zu öffnen, zu versuchen, frische Luft hineinzulassen und allen GenossInnen zu erlauben, sich über ihre eigenen unmittelbaren Hauptbeschäftigungen hinaus ein Bild vom Leben der Gesamtorganisation zu machen, bevor die Delegationen auf dem Kongress eintrafen. Diese Maßnahme sollte ursprünglich nicht über den Kongress hinaus reichen. Nicht nur das; was die Genossen vom PBJ ihren Lesern nicht mitteilen, ist, dass diese Maßnahme vom Zentralorgan zurückgezogen wurde, nachdem klar geworden war, dass die türkische Sektion dem nicht zustimmte – weil sie es nicht verstanden hatte: Kommunistische Disziplin ist etwas, das man nicht bürokratisch erzwingen kann.
Was die Presse angeht, so stellen unsere Statuten unmissverständlich fest (und dies gilt ebenso in der Türkei): „Die territorialen Publikationen sind von der IKS den territorialen Sektionen und noch spezifischer ihren Zentralorganen anvertraut, die zu diesem Zweck Redaktionskomitees ernennen können. Jedoch sind diese Publikationen der Ausfluss der Gesamtheit der Strömung und nicht einzelner territorialer Sektionen. Daher hat das IB die Verantwortung, die Inhalte dieser Publikationen zu orientieren und zu verfolgen.“ Angesichts dessen, dass das IB in seiner Gesamtheit kein Türkisch spricht und dass die Sektion – was PBJ nur schwerlich abstreiten kann – sich nicht in vollständiger Übereinstimmung mit dem Rest der IKS in einer ganzen Reihe von Punkten befand (einschließlich beispielsweise die Analyse der „sozialen Revolten“ in Spanien, Ägypten, Türkei und Brasilien), war es sicherlich nicht unbegründet vom IB, darum zu bitten, dass Artikel vor ihrer Veröffentlichung vorgelegt werden; auf alle Fälle befand sich das IB völlig im Rahmen seiner statutenmäßigen Rechte, wenn es so verfuhr. Wie sehr sich das IB im Recht befand, können die LeserInnen auf der Grundlage eben jenes Artikel über das Bergwerksunglück in Soma selbst beurteilen, wegen dessen Nicht-Veröffentlichung die PBJ jetzt so viel Aufhebens macht. In diesem Artikel steht zum Beispiel, dass „der Tod der Arbeiter auf Schiffswerften, Baustellen und im Krieg geschieht, weil die Bourgeoisie ihn bewusst anstrebt; das Massaker in Soma, das ein Unfall genannt wurde, ist bewusst durchgeführt worden“, und weiter: „Im Krieg oder am Arbeitsplatz sind die ArbeiterInnen wertvoll, wenn sie für den Kapitalismus sterben.“ Selbst für die größten Vulgärmarxisten (und die Mitglieder der türkischen Sektion behaupteten damals, Marxisten zu sein; sie verwöhnten uns geradezu mit unverdaulichen Lehren über „das Wertgesetz“) ist dies kompletter Unfug: ArbeiterInnen sind für das Kapital wertvoll, wenn sie Mehrwert produzieren, etwas, was sie wohl kaum bewerkstelligen können, wenn sie tot sind.
Weit entfernt davon, die Sektion „aufzulösen“, hatte die Organisation jedes Interesse an ihrer Teilnahme am internationalen Leben der IKS, besonders an deren internationalen Kongressen. Man könnte erwarten, die „Linke“ würde die Gelegenheit beim Schopfe packen und sich auf dem Kongress ausdrücken, dies umso mehr, als unsere Statuten die Über-Repräsentierung von Minderheitspositionen ermöglichen. Nicht so PBJ: nicht nur dass sie überstürzt vor dem Kongress austraten, sie lehnten auch die Einladung unserer Organisation ab, als auswärtige Gruppe aufzutreten und zu sprechen. Sie hatten ja so viel „wichtige Arbeit“ zu tun – wir überlassen es unseren LeserInnen selbst, die Ergebnisse der „wichtigen Arbeit“ von PBJ auf deren eigener Website zu beurteilen. Probieren geht über Studieren.
Die Überlieferung von Erfahrungen
PBJ macht viel Aufhebens über die so genannten „konservativen Genossen“[12], die „betonten, dass die 68er Generation ihre Erfahrungen einseitig an die Jugend übermitteln muss. Diese Betonung setzte voraus, dass die jungen Genossen bar jeglicher Erfahrung in der Organisationsfrage sind“. Dass „die jungen Genossen bar jeglicher Erfahrung in der Organisationsfrage“ sind, ist nichts anderes als eine Tatsachenfeststellung[13], doch lohnt es sich, diese Frage etwas ausführlicher aufzugreifen als PBJ.
„Jede Generation bildet ein Glied in der Kette der Menschheitsgeschichte. Jede von ihnen wird mit drei fundamentalen Aufgaben konfrontiert: damit, das kollektive Erbe von der vorherigen Generation zu übernehmen; dieses Erbe auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrung zu bereichern und es schließlich weiterzureichen, so dass die nächste Generation mehr erreichen kann, als eigentlich in ihrem Vermögen steht. Diese Aufgaben sind alles andere als leicht und stellen eine besondere Herausforderung dar. Dies trifft auch auf die Arbeiterbewegung zu. Die ältere Generation hat ihre Erfahrungen anzubieten. Doch sie trägt auch an den Wunden und Traumata ihrer Kämpfe, musste lernen, Niederlagen, Enttäuschungen und der Tatsache ins Gesicht zu schauen, dass die Erringung von dauernden Errungenschaften des kollektiven Kampfes oftmals mehr als eine Lebensspanne erfordert. Es benötigt die Energie und den Elan der folgenden Generation, aber auch ihre neuen Fragen und ihre Fähigkeit, die Welt mit anderen Augen zu betrachten.
Doch so sehr sich die Generationen gegenseitig benötigen, ist ihre Fähigkeit, die nötige Einheit zu schmieden, nicht automatisch gegeben. Je mehr sich die Gesellschaft von der Naturalwirtschaft entfernte, je unablässiger und schneller der Kapitalismus die Produktivkräfte und die gesamte Gesellschaft ‚revolutioniert‘, desto mehr unterscheiden sich die Erfahrungen der einen Generation von der nächsten. Der Kapitalismus, das Konkurrenzsystem schlechthin, spielt die Generationen im Kampf einer gegen alle gegenseitig aus.“[14]
Schematisch können wir sagen, dass es drei mögliche Reaktionen auf dieses Bedürfnis nach Erfahrungstransfer gibt, das jeder menschlichen Gesellschaft innewohnt:
- Die Autorität des Herrn ist unangefochten, jede neue Generation muss sich bloß die Lehren der vorhergehenden aneignen und wiederholen. Dies ist die Haltung, die die alten asiatischen Gesellschaften ausgezeichnet und die die proletarische Bewegung in Gestalt der karikativen Anbetung der unantastbaren Werke des Meisters durch die Bordigisten infiziert hat.
- Die Anfechtung, die die Jugendbewegung der 1960er Jahre dominierte, die – weil sie daran scheitert, von ihren Vorgängern zu lernen – dazu verurteilt war, ihre Irrtümer bis ins Detail zu wiederholen.[15]
- Schließlich haben wir die wissenschaftliche – und marxistische – kritische Aneignung der vergangenen Erfahrungen. Wie ein früherer Artikel[16] hervorhob, ist es diese Fähigkeit, sich die Arbeit und das Denken vorhergehender Generationen anzueignen und sie kritisch weiterzuentwickeln, die das Auftauchen des wissenschaftlichen Denkens im antiken Griechenland auszeichnete.
Es mangelt nicht an Beispielen solcher kritischer Aneignungen durch eine neue Generation von Militanten in der Arbeiterbewegung. Wir könnten jene von Lenin in Bezug auf Plechanow oder, noch bemerkenswerter, von Rosa Luxemburg bezüglich Kautsky und der SPD im Allgemeinen zitieren, die sie genauso wie die Theorien von Marx in Die Akkumulation des Kapitals sowohl kritisierte als auch weiterentwickelte. Diese Beispiele zeigen uns, dass eine Vorbedingung zur Kritik eben die Aneignung der Ideen ihrer Vorgänger ist, mit anderen Worten, die Fähigkeit, sie zu begreifen – und die Fähigkeit zu begreifen ist abhängig von der Fähigkeit zu lesen (da die halbe Sektion keine andere Sprache als Türkisch las, war dies natürlich faktisch unmöglich). Vorausgesetzt, man hat die Ideen verstanden, kann man sie – besonders im Kontext einer Organisation, in der es das Ziel ist, die anderen GenossInnen zu überzeugen – nur kritisieren, indem man eingehend mit ihnen in Beziehung tritt, was die Mitglieder der türkischen Sektion auf eklatante Weise versäumt hatten. PBJ behauptet, dies sei unwahr.[17] Dennoch haben sie es schwer, auf einen einzigen Text über Organisationsfragen (anders als die „niederträchtige“ Position über den Parasitismus) zu verweisen, der sich mit irgendeinem der Grundsatzdokumente der IKS, ob externe oder interne, beschäftigt. Wenn sich unsere LeserInnen von den weißen Flecken im organisatorischen Verständnis von PBJ überzeugen wollen, können wir sie nur dazu einladen, sich einen Text von Jamal (ein eifriger Mitwirkender im IKS-Forum) zu Gemüte zu ziehen, den PBJ auf ihrer Website ohne ein Wort des kritischen Kommentars veröffentlichte. Es liest sich wie eine Art Manager-Handbuch, das von einer Personalabteilung für ein neues Start-up produziert wurde.
Was bedeutet es, der IKS beizutreten?
An diesem Punkt wollen wir einen Schritt zurückgehen und zu den Worten zurückkehren, die wir eingangs des Artikels zitiert haben. „Eine der drängendsten und mühseligsten Aufgaben, denen sich Revolutionäre gegenübersehen, (ist) die kümmerlichen revolutionären Kräfte, die auf der ganzen Welt verstreut sind, zusammenzuschweißen.“ Konfrontiert mit den Versäumnissen der IKS (und niemand ist sich dessen bewusster als wir), ist es allzu leicht zu übersehen, wie schwierig, wie ambitiös solch eine Aufgabe ist. Mitstreiter aus allen Herren Ländern, aus äußerst unterschiedlichen Kulturen und Hintergründen in einer einzigen internationalen Organisation zusammenzubringen, die imstande ist, am Denkprozess eines Milliarden-starken Proletariats teilzunehmen und ihn zu stimulieren, Letzteres nicht in einer leblosen Homogenität, sondern in einem Ganzen zu vereinen, in dem die Einheit der Aktion sich auf der Diversität der Debatte innerhalb eines allgemein akzeptierten politischen Rahmens stützt – das ist ein gigantisches Unterfangen. Sicherlich bleiben wir hinter unseren eigenen Ansprüchen zurück – doch wir müssen sie nur aussprechen, um zu sehen, wie sehr sie sich von der Zirkelmentalität unterscheiden, die die EKS dominierte, wie ihre Mitglieder selbst einräumten.
Im Grunde haben die Mitglieder der türkischen Sektion den fundamentalen Unterschied zwischen einem Zirkel und dem Dasein eines Militanten in einer revolutionären Organisation, besonders in einer internationalen, nie begriffen. Dies ist nicht allein ihr Fehler, da wir scheiterten, ihnen unsere Organisationsauffassung zu vermitteln – zum Teil auch, weil wir selbst in gewisser Weise den Blick auf sie verloren hatten.
Wir haben uns bereits intensiv mit der Frage beschäftigt, die Lenin den „Zirkelgeist“ nannte.[18] Nun wollen wir einige der Hauptpunkte in Erinnerung rufen.
Erstens zeichnet sich der Zirkel durch eine auf eine Mischung aus persönlicher Freundschaft und politischer Übereinstimmung basierende Mitgliedschaft aus; infolgedessen verschmelzen persönliche Konflikt und politische Meinungsverschiedenheiten – ein sicheres Rezept für die Personalisierung politischer Argumente. Es ist wenig überraschend, dass das Leben der türkischen Sektion durch eine Reihe von bitteren persönlichen Animositäten gezeichnet war, die zu Spaltungen und Perioden der „Paralyse“ geführt hatten.
Um seinen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten, verschließt sich der Zirkel wie eine Auster vor der Außenwelt. Dies ist umgekehrt ein Rezept für personalisierte Antagonismen zwischen dem Zirkel und dem Rest der Organisation: „Im Namen der ‚Minderheit’ sammeln sich heterogene Elemente in der Partei, die, bewusst oder unbewusst, von dem Wunsch geeint sind, die Verhältnisse eines Zirkels, der Vorläufer der Organisationsform der Partei, aufrechtzuerhalten.“[19] Der Zirkelgeist in der Organisation führt zu einem „Wir und sie“-Verhalten, des Zirkels gegen die „Zentralorgane“; der Zirkel verliert völlig den Blick auf die Organisation als Ganzes und ist geradezu von den „Zentralorganen“ besessen. Ein Beispiel, das wir unter vielen anderen zitieren können, ist der Text eines Mitglieds der Sektion, der den Titel trug: „Gibt es eine Krise in der IKS?“. Die Kritik, die in diesem Text angestimmt wurde, wurde aufgegriffen und von einer anderen Sektion sowohl beantwortet als auch weiterentwickelt; jedoch wurde diese Antwort völlig ignoriert. Allein „die Zentralorgane“ wurden als wert erachtet, beachtet zu werden.
Der Zirkel erhält seinen Zusammenhalt aufrecht, indem er sich en bloc dem Rest der Organisation widersetzt, während er gleichzeitig jede Debatte innerhalb des Zirkels über seine eigenen Divergenzen vermeidet. Dies wurde offensichtlich in der Debatte über Ethik und Moralität innerhalb der IKS: Wo ein Genosse ein kritisches Argument entwickelte, das (vgl. die Bemerkung oben) bis zu einem gewissen Grad direkt von den eigenen Texten der Organisation inspiriert war, stellte ein anderer eine Position vor, die eher zu Hobbes neigt als zu Marx – und doch hörten wir nie ein Wort der Kritik von den türkischen Genossen.[20]
Ein noch eklatanterer Fall für dieses Verschließen gegenüber dem Rest der Organisation war die Debatte über die Ereignisse rund um die Massendemonstrationen für den Gezi-Park in Istanbul. PBJ äußerte: „Es wurde behauptet, dass die Sektion es versäumt hatte, die Organisation über ihre Meinungsverschiedenheiten während des Gezi-Prozesses aufzuklären, und dies, obwohl die Sektion in der Hitze der Ereignisse ein Treffen mit Genossen aus dem Sekretariat gehabt hatte, auf dem sie versucht hatte, ihre Meinungsverschiedenheiten zu erläutern.“ Es ist sicherlich richtig, dass es eine ausführliche Diskussion zwischen Mitgliedern des Internationalen Sekretariats und Mitgliedern der türkischen Sektion über die redaktionellen Veränderungen in ihrem Artikel über die Ereignisse in Gezi gab. Es ist ebenfalls richtig, dass die Mitglieder des IS Schwierigkeiten hatten, aus diesen „Meinungsverschiedenheiten“ schlau zu werden, und dies aus gutem Grund: Auf der Konferenz der Sektion, die kurz darauf abgehalten wurde, gab es mindestens zwei, wenn nicht sogar drei verschiedene Positionen innerhalb der Sektion. Die Mitglieder der Sektion verpflichteten sich selbst, ihre unterschiedlichen Positionen niederzuschreiben, um die Diskussion in die gesamte Organisation zu tragen – unsere LeserInnen werden erstaunt sein, wenn sie hören, dass diese Dokumente bis heute nicht das Tageslicht erblickt haben.
Die Ex-Genosse aus der Türkei schweigen sich auch über eine weitere interne Meinungsverschiedenheit aus, über den „Tonfall“ unseres „Kommunique an unsere Leser: Die IKS unter Beschuss durch eine neue Agentur des bürgerlichen Staates“ aus. So heißt es bei PBJ: „Nichtsdestotrotz versäumten es die Mitglieder unserer Sektion im Zentralorgan der IKS nicht, den äußerst zornigen Tonfall des Kommuniqués zu kritisieren, das als Antwort auf diese Angriffe geschrieben worden war.“ Völlig richtig. Doch der Text vergaß zu erwähnen, dass zwei andere Mitglieder der Sektion das Kommuniqué für vollkommen geeignet hielten und dies auch unmissverständlich auf einem Treffen äußerten, das im Juli 2014 mit Mitgliedern der Sektion aus Frankreich abgehalten wurde.
Wir haben bereits (in Fußnote 6) erwähnt, dass Leo und Devrim darauf bestanden, ihre Forumsdebatten ohne jegliche Einschränkungen fortzusetzen. Dies erinnert erneut an Lenins Worte: „Einige hervorragende Persönlichkeiten der einflußreichsten unter den früheren Zirkeln, die nicht gewöhnt sind an die organisatorischen Selbstbeschränkungen, welche die Parteidisziplin erfordert, neigen gewohnheitsmäßig dazu, die allgemeinen Parteiinteressen und ihre Zirkelinteressen zu vermengen, die zur Zeit des Zirkelwesens tatsächlich häufig zusammenfallen mochten“ die „... entrollen natürlich das Banner des Aufstands gegen die notwendigen organisatorischen Beschränkungen und erheben ihren spontanen Anarchismus zum Kampfprinzip“ das „... als Forderung nach „Duldsamkeit“ usw. bezeichnen.“[21]
Verwelkt PBJ?
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Dies trifft sicherlich auf PBJ zu. Dank der technischen Hexerei des Internet entdeckten wir, dass das Bild, das die Mitglieder von Pale Blue Jadal gewählt haben, um ihre Gruppe darzustellen, geradewegs aus der Welt des sentimentalen Hippietums stammt.[22]
Ihre „politischen Prinzipien“ sind bar jeglichen Bezugs zur Kommunistischen Linken, ja sogar zu jeglichem vergangenen Vermächtnis überhaupt. So erklärt sich PBJ selbst zu einer neuen Gruppe, die allein auf sich selbst ruht, auf Ignoranz und einer Ansammlung von Ressentiments, auf Missmut und persönliche Loyalitäten.[23]
Es gibt auch keine Erwähnung der Dekadenz des Kapitalismus, die für die IKS, die sie gerade verlassen haben, der materialistische Grundstein ihrer politischen Positionen ist. PBJ hat weder Kritik an diesem theoretischen Fundament noch irgendeine Alternative anzubieten. PBJ mag sich dessen unbewusst sein, doch indem diese Gruppe jeglichen Bezug zur Vergangenheit und jegliches Bemühen, ihren politischen Positionen eine materialistische Grundlage zu geben, eingestellt hat, ist diese Gruppe schon dabei, den Prozess der „politischen Diskussion“ zu torpedieren, zu der sie sich angeblich verpflichtet hat.[24] In der Liste der Diskussionsthemen, die im „Fahrplan“ von PBJ vorgeschlagen wurden (und die sie mindestens die nächsten 20 Jahre auf Trab halten werden) fällt die Anwesenheit des Punktes „Die nationale Frage im Mittleren Osten“… und das völlige Fehlen jeglicher Anmerkungen über die konkrete Situation in der Türkei, über das Wiederaufflammen von Erdoǧans Krieg gegen die Kurden, das Wiedererwachen des kurdischen Nationalismus und die syrische Flüchtlingskrise, den Bombenanschlag in Suruç, etc., etc. auf.
Wir haben oben gesagt, dass die Existenz einer internationalen revolutionären Organisation eine Vorbedingung für den erfolgreichen Sturz des Kapitalismus ist. Wenn das Proletariat eines Tages sich als fähig erweisen wird, „den Himmel zu stürmen“ (um Marx‘ Ausdruck zu benutzen), dann wegen seiner ausschlaggebenden Stärke in jenen Ländern mit einer starken Arbeiterklasse und einer gewissen historischen Erfahrung. Die Türkei, das Tor zu Asien, ist eines dieser Länder; eine aufstrebende proletarische Bewegung dort wird zwangsläufig einen politischen Ausdruck produzieren, der allein auf dem Vermächtnis der Kommunistischen Linken ruhen kann. Indem sie diesem Vermächtnis den Rücken zukehren, disqualifizieren sich die Mitglieder von PBJ selbst für die Beteiligung an einem solchen politischen Ausdruck, und dies ist ihre Tragödie.
Schließen wir jedoch mit einer optimistischen Bemerkung. All unsere vergangenen Erfahrungen zeigen, dass PBJ dazu verdammt ist, den Weg früherer Zirkel zu gehen – jene, die sich weigern, aus der Geschichte zu lernen (und man kann nicht aus der Geschichte lernen, wenn man nichts über sie weiß), sind dazu verurteilt, sie zu wiederholen. Doch wir sollten offen bleiben für die Möglichkeit, dass wir womöglich unrecht haben und dass PBJ trotz allen Anscheins noch etwas Lohnenswertes für das Proletariat und die Revolution bewegen kann. Damit dies geschieht, müssen sie den Weg zurück zum revolutionären theoretischen und organisatorischen Vermächtnis der Kommunistischen Linken finden.
IKS, November 2015
[2]Natürlich ist es nicht zu bestreiten, dass wir in diesem Bereich ebenfalls Fehler gemacht haben, größtenteils in Folge unserer eigenen Neigung zum Schematismus.
[3]Deshalb bilden unsere Statuten einen Teil unserer Plattform und sind Bestandteil der Grundlage, auf die Militante in die Organisation integriert werden.
[4]Das Ausbleiben der türkischen Übersetzungen wurde kritisch, als die Sektion (ohne nach der Meinung anderer zu diesem Thema zu fragen) neue Mitglieder integrierte, die nicht in der Lage waren, Englisch zu lesen.
[5]Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass unser Blick auf den organisatorischen Opportunismus der IKS ein ganz anderer ist als der von PBJ. Auch auf das Risiko, die Geduld unserer LeserInnen zu überstrapazieren, möchten wir kurz auf einen der kleinen Mythen von PBJ (um ihren Ausdruck zu benutzen) antworten: dass „das deutlichste Beispiel für den Opportunismus im Integrationsprozess der Sektion die Tatsache ist, dass Genossen, die nicht mit der Plattform und den Statuten übereinstimmten, in der Organisation akzeptiert wurden“. Worauf bezieht sich das? Tatsächlich traten zwei potenzielle Meinungsverschiedenheiten im Verlauf der Diskussion zutage. Die erste war Devrims Nicht-Zustimmung zum statutengemäßen Verbot der gewerkschaftlichen Mitgliedschaft (interessanterweise erblickt PBJ nichts Unehrenhaftes darin, eine Integration in eine Organisation zu akzeptieren, mit deren Positionen man nicht übereinstimmt…), die zweite bezieht sich auf den Dissens einer Genossin mit dem in den Statuten formulierten Verbot, irgendeiner anderen politischen Organisation anzugehören.
Das Verbot einer gewerkschaftlichen Mitgliedschaft richtet sich gegen jegliches Zugeständnis an den „Entrismus“ (die Idee, dass es möglich sei, Gewerkschaften positiv von innen zu beeinflussen oder gar dass man „wirksamer“ intervenieren könne, wenn man Gewerkschaftsmitglied ist) oder an die „roten Gewerkschaften“ der bordigistischen Variante oder an ihres Cousins, den revolutionären Syndikalismus. Die Statuten gestatten allerdings Ausnahmen im Falle „beruflicher Auflagen“. Diese Ausnahmeregelungen nehmen Rücksicht auf ArbeiterInnen in so genannten „closed-shop“-Betrieben, in denen die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft eine Bedingung für die Beschäftigung ist – eine Situation, die in Großbritannien der 1970er Jahre, aber auch in einigen Industrien in anderen Ländern (die französische Druckindustrie wurde zum Beispiel völlig beherrscht von der CGT) durchaus üblich war. Devrims Einwand bestand darin, dass ArbeiterInnen, auch wenn sie nicht in einem closed-shop-Betrieb beschäftigt sind, möglicherweise gezwungen sind, in die Gewerkschaft einzutreten, um Zugang zu Sozialhilfe, Versicherung oder anderen entscheidenden Beihilfen, wie z.B. eine legale Repräsentanz in Personalstreitigkeiten, zu erlangen; zu keiner Zeit, weder damals noch in der Zwischenzeit, hat (nach unserer Kenntnis) Devrim zugunsten des Entrismus oder des revolutionären Syndikalismus argumentiert, und wir meinten (wie wir ihm erklärten), dass die Fälle, die er zitierte, unter den Bedingungen der Nuller Jahre in die Kategorie „berufliche Auflagen“ fallen,
Im zweiten Fall nahm die fragliche Genossin an einer Frauengruppe teil und war nicht geneigt, dies aufzugeben. Wir fragten, was für eine Art von Gruppe dies sei. Sie erklärte, dass es eine Gruppe von Frauen sei, die sich treffen, um spezifische Frauenprobleme (sowohl sozialer als auch politischer Art) zu besprechen, und es vorzögen, dies ohne die Anwesenheit von Männern zu tun – völlig verständlich unter den Bedingungen eines Landes wie die Türkei. Diese Gruppe hatte – soweit wir verstehen konnten – keine politische Plattform, ja nicht einmal eine politische Agenda als solche; daraus schlossen wir, dass dies keine politische Gruppe, wie sie in den Statuten definiert ist, war, sondern eher eine Diskussionsgruppe und dass wir folglicherweise keinen Grund für einen Einwand erblicken konnten, sondern im Gegenteil es als Teil der Intervention der Organisation betrachteten.
[6]Wir werden uns auf ein Beispiel beschränken. Laut unseren Statuten werden Debatten innerhalb der Organisation erst öffentlich gemacht, wenn sie einen derartigen Reifegrad erreicht haben, dass erstens die gesamte Organisation sich der Debatte und ihrer Implikationen bewusst ist und zweitens es möglich ist, sie mit ausreichender Klarheit zum Ausdruck zu bringen, so dass sie zur Klärung und nicht zur Konfusion beiträgt. Diese Regelungen stehen, daran sei erinnert, in denselben Statuten, die die Mitglieder der EKS unterzeichnet haben. Zwei von ihnen setzten jedoch die Debatte untereinander in etlichen Internetforen, die sie aufzusuchen pflegen, in aller Öffentlichkeit fort, ohne auch nur daran zu denken, dass es notwendig ist, den Rest der Organisation auf dem Laufenden zu halten, sei es über ihre Interventionen, sei es über ihre Meinungsverschiedenheiten. Als sie darauf angesprochen wurden, dass dies sowohl dem Wort als auch dem Geist der Statuten direkt widerspricht, antworteten sie, dass die Statuten vor der Existenz des Internets geschrieben worden seien, so dass sie lediglich auf die gedruckte Presse angewendet werden könnten.
Jetzt kann man dies natürlich sehr gut behaupten, doch was man nicht kann, ist, erst die Statuten einer Organisation wie die IKS zu akzeptieren und dann sie einfach zu ignorieren, wenn sie einem nicht in den Kram passen, sowie zu versuchen, sich zu rechtfertigen, indem man auf dem Unterschied zwischen der gedruckten und der elektronischen Presse herumreitet.
[7]Im Artikel über den Kongress wird über die „intellektuelle Dimension“ der Krise in der IKS und den notwendigen Kampf gegen „Routinismus, Oberflächlichkeit, intellektuelle Nachlässigkeit, Schematismus…“ gesprochen. Aber können die Mitglieder von PBJ ernsthaft behaupten, frei von diesen Defekten zu sein?
[8]Internationale Revue, Nr. 90 (engl., franz., span. Ausgabe, „Die Italienische Fraktion und die französische Linkskommunisten“. Siehe auch den „Bericht über die Fraktion“, adressiert an den 21. Kongress der IKS.
[9]Internationale Revue, Nr. 41, „Die Debattenkultur: Eine Waffe des Klassenkampfes“.
[10]Zudem ist die IKS die einzige Organisation heute, deren Positionen aus einer Synthese die wichtigsten Fortschritte der unterschiedlichen Strömungen der Kommunistischen Linken bestehen; andere Gruppierungen identifizieren sich selbst entweder mit der deutsch-holländischen oder mit der italienischen Linken.
[11]PBJ erwähnt ein Treffen des Internationalen Büros, auf dem den Delegierten der türkischen Sektion von einer der anderen Sektionen das Recht abgesprochen wurde, diesem Treffen beizuwohnen. Dies war zweifellos ein schlimmer Fehler auf Seiten der Delegation und geradezu ein Indikator für jene Atmosphäre des Misstrauens, die sich innerhalb der Organisation breitgemacht hatte – doch wie PBJ selbst betont, wurde der Gedanke, dass die türkischen GenossInnen nicht zugelassen seien, entschieden vom IB als unseren Statuten und unserer Organisationsauffassung zuwiderlaufend abgelehnt.
[12]PBJ ist sehr besorgt über die „Personalisierung“, die angeblich unser Vorgehen auszeichnet. Doch in ihrem ganzen Text werden Militante als „expansionistisch“ oder „konservativ“ beschrieben, völlig ungeachtet der geäußerten politischen Argumente. Die Genossen von PBJ sollten sich daher um den Pfahl im eigenen Auge kümmern, bevor sie sich über den Splitter im fremden Auge Sorgen machen.
[13]Einige Mitstreiter der türkischen Sektion hatten schon vor ihrem Eintritt in die IKS viele organisatorische Erfahrungen… in linksextremistischen Sekten. Doch welche bewussten Absichten ihre Mitglieder auch gehabt haben mögen, diese Gruppen sind im Kern bürgerlicher Natur und als solche durchtränkt mit bürgerlicher Ideologie: Es ist unsere ständige Erfahrung (bekräftigt durch den Brief von PBJ), dass es für einen Ex-Linksextremisten, der Mitglied in einer kommunistischen Organisation werden will, zunächst heißt, all die Verhaltensweisen und Praktiken zu vergessen, die er sich im Linksextremismus erworben hat. Dies ist weitaus schwieriger, als ohne vorherige organisatorische Erfahrungen auf kommunistische Positionen zu stoßen.
[14]„Die Debattenkultur“, 2007, s.o.
[15]Im Lied „Les Bourgeois“ des belgischen Chansonniers Jacques Brel spotten drei Studenten über den Mief der provinziellen „Bourgeois“… bis sie sich selbst, älter geworden, bei der Polizei über die unerhörte Unverfrorenheit der jungen Studenten beschweren. Brel hätte dies auch für Joschka Fischer, Dany Cohn-Bendit und all die anderen ministerialen Ex-Führer der 68er Studentenbewegung schreiben können.
[17]PBJ schreibt: „Die Behauptung, dass ein interner Text, der von einem Mitglied der Sektion über die Frage der Ethik verfasst wurde, die Texte ignoriert habe, die von der Organisation zuvor über dieses Thema geschrieben wurden, ist eine weitere Legende, da der besagte Text tatsächlich als Antwort auf den Orientierungstext der Organisation über diese Frage geschrieben wurde.“ Um darauf zu erwidern, möchten wir aus der Antwort auf den fraglichen Text zitieren, den PBJ offensichtlich nur überflogen hat: „Eine Voraussetzung für die ‚Debattenkultur‘ besteht darin, dass es auch eine Debatte geben muss: Das heißt, dass gegensätzliche Positionen aufeinander antworten müssen. Obgleich L’s Text mit einem kurzen Zitat aus E&M [der Text über Ethik und Marxismus "Interne Debatte der IKS: Marxismus und Ethik" Teil I/a, Teil I/b und Teil II] über die Definition der Moralität und Ethik beginnt und uns mitteilt, dass ‚sich aus diesen Definitionen eine Reihe von Konfusionen, Überschätzungen, Rückfälle in den Idealismus, Divergenzen mit der marxistischen Methode und eine Menge Irrtümer ableiten‘, ist dies die einzige Stelle in seinem Text, wo er überhaupt Bezug auf E&M nimmt; ansonsten werden wir im Dunkeln gelassen, worin exakt diese ‚Irrtümer und Konfusionen‘ bestehen und auf welche Weise sie das Resultat der in E&M vorgestellten Ideen sind. Darüber hinaus ist es für uns offensichtlich, dass Teile von L’s Text mit E&M übereinstimmen, wenn sie nicht gar direkt davon inspiriert wurden, und dennoch wurden diese Gemeinsamkeiten niemals deutlich gemacht.“
[18]Besonders in „Die Frage der organisatorischen Funktionsweise in der IKS“, Internationale Revue, Nr. 30.
[19]Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, zitiert im Text über die organisatorische Funktionsweise.
[20]Damit man eine Vorstellung vom Hobbes’schen Geist dieses Textes bekommt, möchten wir diese kurze Passage zitieren: „Das Verhältnis zwischen den Menschen ist ein ungleiches. Diese Ungleichheit stammt vom Gebrauchs- und Tauschwert ab, der von den Menschen produziert wird [anscheinend ist sich der Autor hier im Unklaren, dass es Zehntausende von Jahren gab, in denen der Tauschwert nicht existierte]. Diese reale materielle Basis bestimmt die ganze Zeit und vollständig die menschlichen Beziehungen [der klassische bürgerliche Einwand gegen die Möglichkeit des Kommunismus]. Und diese Ungleichheit erzeugt eine Tendenz zum Herrschen. Diese Tendenz entsteht für die Menschen, um unter den natürlichen Bedingungen zu überleben. Es ist die primitive Neigung, das eigene Überleben zu sichern.“ Der Mensch ist des Menschen Wolf, die menschliche Gesellschaft ist der Krieg des Einen gegen den Anderen, wie bei Hobbes.
[21]Lenin, s.o. (Lenin Werke, Bd 7, S. 461/462)
[22]Interessierte finden das Original hier. Er wird ergänzt von folgendem erbaulichen Text: „Das epische Drama von Leben, Tod, Krieg, Frieden und vom unveräußerlichen Recht zu wählen wird in einem riesigen Panorama geschildert. Flüchtlinge befreien sich aus einer Kriegszone, ein Pionier kommt zu einer Graffiti-Wand, wo die Auswahlmöglichkeiten heraus gemeißelt sind. Wir wollen alle in Frieden leben, aber irgendwie werden viele von Werten angezogen, die so ungleich sind, dass der Krieg die einzige Option für eine rasend gewordene Menschheit zu sein scheint. Die Pioniere und Flüchtlinge werden in eine neue Welt des erwachten Bewusstseins einziehen.“
[23]Es ist beachtenswert, dass ein Genosse in seinem Rücktrittsbrief keinerlei politische Differenzen mit der Organisation zum Ausdruck gebracht hatte.
[24]Unsere LeserInnen können selbst urteilen, wie sehr sich PBJ der Diskussion und Klarheit verpflichtet fühlte, als sie unsere Einladung ausschlugen, den letzten Kongress der IKS zu besuchen, ob in oder außerhalb der Organisation.