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Vor ca. drei Woche trafen sich ungefähr 30 osteuropäische LKW-Fahrer auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen an der A5 …um nicht mehr weiter zu fahren[1]. Mittlerweile ist diese Gruppe auf über 60 Fahrer, meist aus Georgien, Usbekistan und anderen osteuropäischen Ländern angewachsen. Ein Streik in einem Sektor, welches als düsterstes Beispiel für Überausbeutung gilt. Der Transportsektor zu dem die LKW-Fahrer gehören, ist ganz im Allgemeinen mit der Bedingung konfrontiert, dass sie durch die atomisierte und „einsame“ Arbeit kaum Gelegenheit zu gemeinsamen Diskussionen über ihre Situation haben, was ein gemeinsames Handeln enorm erschwert. Der Widerstand den wir jetzt sehen - auch wenn er nur klein ist – stellt auf diesem Hintergrund einen Schritt nach vorne dar.
Der internationale Transportsektor schlägt den Puls der internationalen Lieferketten, die in den letzten 30 Jahren ein enormes Wachstum erfahren haben. Hier sind die Arbeitsbedingungen mit am schärfsten verschlechtert worden, in dem hunderttausende Arbeiter und Arbeiterinnen aus den Überresten der ehemaligen Sowjetunion und des Ostblocks angeheuert wurden. Hier gelten unverblümt die Gesetze der Expansion westlicher Firmen, die überall in den auseinandergefallenen Ländern des ehemaligen Ostblocks ihren Profit scheffelten. Die Verhältnisse sind hier eher vergleichbar mit denen im Bausektor oder sogar der Prostitution, als mit denjenigen schon sehr schlechten in den aus dem Boden gestampften Zulieferer-Fabriken. Sie sind ein typischerweise unkontrollierter Sektor, in dem der Staat bewusst freie Hand für mieseste Bedingung lässt und sich kaum um die Einhaltung minimalster Sicherheiten für die Arbeiter und Arbeiterinnen schert.
Der konkrete Anlass des Streiks liegt wohl darin begründet, dass das polnische Unternehmen, das als Vertragspartner für große Transportdienstleiter tätig ist, seit Monaten keine Löhne mehr gezahlt hat. Das polnische Unternehmen reagiert, wie es schon seit Jahren praktiziert wurde: Mit einem paramilitärischen Schlägertrupp, der mit einem gepanzerten Fahrzeug nach Deutschland geschickt wurde, um den Streikenden eine kleine Abreibung zu verpassen, sie sofort zur Aufgabe ihres Widerstandes zu zwingen, die LKW`s zu kapern und zurück zu führen. Soviel zu den empörenden Fakten.
Diese Bedingungen, die der Streik mit einem grellen Scheinwerferlicht aus seiner düsteren Normalität ans Tageslicht zerrt, sind die Bedingungen, die den Kern der kapitalistischen Produktionsweise ausmachen: Wir sind gezwungen unsere Arbeitskraft zu verkaufen, wir sind gezwungen unter Bedingungen zu leben und zu schuften, die uns diktiert werden.
Nachdem unter den für die Arbeiterklasse ausbeuterischen Bedingungen der ehemaligen Sowjetunion durch den Staat gewisse Marktmechanismen wie Arbeitslosigkeit oder Konkurrenzkampf umgangen wurden, ist nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 in weiten Teilen Ost-Europas ein unkontrolliertes Schlaraffenland für das Kapital entstanden. Auch in Westdeutschland wurde nach 1989 eine Phase der Privatisierung (Post, Bahn, Gesundheitssektor, Teile der Verwaltung) und Umstrukturierung der Produktionsketten eingeführt, vor dem Hintergrund einer geschwächten und verwirrten Arbeiterklasse.
Dort wo die Arbeiterklasse aus den unterschiedlichsten Gründen geschwächt ist, hält das Kapital so lange wie möglich mit wohlwollender Begleitung durch die bürgerlichen Gesetze des (demokratischen) Staates an diesen brutalen Bedingungen fest. Wir sehen dies in den Schlachthäusern in Niedersachsen, den Erdbeerfeldern in der Pfalz oder auf den Autobahnraststätten im ganzen Land. Wenn sich die Arbeiterklasse bewegt, dann wird deutlich, dass diese Verhältnisse keine vor- oder frühkapitalistische Ausnahme sind, sondern den grundsätzlichen Charakter der Ausbeutung im Kapitalismus darstellen.
Seit letztem Sommer sehen wir nun eine Welle von internationalen Kämpfen, die sich mit dem Slogan „genug ist genug“ von Großbritannien nach Frankreich, Portugal und Spanien ausweitet. In Deutschland streikt(e) insbesondere der arg von Privatisierungen und Vernachlässigung gekennzeichnete Öffentliche Sektor (Post, Gesundheitssektor, Schulen und auch die Bahn), wenn auch unter der totalen Kontrolle der Gewerkschaften die ein Teil des kapitalistischen Staates sind.
Der Streik der LKW-Fahrer, so klein und isoliert er auch ist, reiht sich ein in diese Streikwelle. Die Streikenden sind Teil der internationalen Arbeiterklasse. Durch ihren Kampf machen sie heute einen Schritt vom überausgebeuteten Rand der Arbeiterklasse auf diese internationale Kampfbewegung zu und werden Teil davon. Er ist ein Zeichen dafür, dass es auch unter schwierigsten Bedingungen möglich ist Widerstand zu leisten, mit der notwenigen Perspektive eines Zusammenschlusses, nicht nur mit anderen Teilen des Transportsektors, sondern mit der gesamten Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse kann ihre Schwächen nur überwinden, wenn sie sich selbst als Klasse mobilisiert!
Gerald, 19. 04. 2023