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China erlebt die größte Wirtschaftskrise seit 50 Jahren vor dem Hintergrund eines starken wirtschaftlichen und militärischen Drucks seitens der USA: "China ist in die globale Krisendynamik verwickelt, sein Finanzsystem ist durch das Platzen der Immobilienblase bedroht. Der Niedergang des russischen Partners und die Unterbrechung der „Seidenstraßen“ nach Europa durch bewaffnete Konflikte oder das herrschende Chaos richten erheblichen Schaden an. Der starke Druck der USA verschärft die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes weiter. Und angesichts der wirtschaftlichen, gesundheitlichen, ökologischen und sozialen Probleme stellt die angeborene Schwäche der stalinistischen Staatsstruktur ein großes Handicap dar."[1]
Vor diesem Hintergrund kann das Abrutschen der wichtigsten Wirtschaftsindikatoren des Landes in den roten Bereich für den stalinistischen Parteienstaat nur von größter Bedeutung sein. Das Wirtschaftswachstum ist auf dem niedrigsten Stand seit 45 Jahren (weniger als 5 %), die Exporte sind rückläufig (-8,3 % im Jahresvergleich) und der Binnenkonsum ist minim. Während sich die Inlandsnachfrage in einer Deflationsspirale befindet, sind die Staatsverschuldung - insbesondere die der regionalen Behörden - und die Unternehmensverschuldung kolossal. Die öffentliche und private Verschuldung Chinas, die 2021 über 250 % des BIP lag, wird bis Mitte 2023 300 % des BIP erreichen (nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, Schweiz). Das katastrophale Ausmaß der Probleme zeigt sich besonders im Immobiliensektor, der fast 30 % des chinesischen BIP ausmacht: Nach dem Konkurs von Evergrande und dem angekündigten Zahlungsausfall von Country Garden, das viermal so viele Projekte wie Evergrande hat, gab es Ende August 648 Millionen unverkaufte Wohnungen[2]. Das Banken- und Kreditsystem steht also unter Druck angesichts einer Vertrauenskrise der Verbraucher und einer abwartenden Haltung der Unternehmen, die sich mit Investitionen zurückhalten, um abzuwarten, wie es weitergeht.
Noch beunruhigender für die chinesische Bourgeoisie ist die Kapitalflucht, der Rückgang der Auslandsinvestitionen auf den niedrigsten Stand seit 25 Jahren, den Peking mit massiven Kampagnen für Investoren einzudämmen versucht. Die Wiederwahl Xi Jinpings und seine Behandlung "privater chinesischer Unternehmer" wie Jack Ma (Grupo Ant und Alibabá), von denen viele nach Japan fliehen mussten, sind jedoch nicht vertrauenserweckend. Die Kapitalflucht in andere Länder wie Vietnam, Indonesien, Indien und Mexiko ist nicht nur Ausdruck fehlender "Garantien" in China; die Transportkosten und Löhne sind dort so stark gestiegen, dass heute Indien und in geringerem Maße auch Vietnam und andere indopazifische Länder mit China konkurrieren: "Alle wollen entweder ihre Produkte in China verkaufen oder, wenn sie in China produzieren, suchen sie nach alternativen Standorten. Die Situation hat sich im Vergleich zu noch vor fünf Jahren dramatisch verändert."[3]
Kurz gesagt: China ist weit davon entfernt, der Motor zu sein, der die Weltwirtschaft 2008 wiederbelebte, und befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise, die den Rest der Welt in weitere wirtschaftliche Turbulenzen zu stürzen droht und deren soziale Auswirkungen zunehmend auch im Land selbst zu spüren sind. Der Zusammenbruch des Immobilienmarktes führt zu Demonstrationen von Kleinsparern, die ihre Ersparnisse in Rauch aufgehen sehen. Ebenso besorgniserregend ist die Beschäftigungssituation für junge Menschen: 21,3 % der jungen Chinesen sind nach den jüngsten offiziellen Zahlen (17. Juli 2023) arbeitslos. Lokalen Wirtschaftswissenschaftlern zufolge ist die Arbeitslosenquote unter den 16- bis 24-Jährigen sogar doppelt so hoch (46,5 % statt 19,7 % im März!), da fast 20 % der jungen Stadtbewohner "tangping" (wörtlich: "herumliegen") sind. Die chinesische Regierung manipuliert die Veröffentlichung der Zahlen aus Angst, die Investoren in Panik zu versetzen, was die derzeitige Krise weiter verschärfen und sogar die soziale und politische Stabilität gefährden würde. In der Tat wächst die soziale Unzufriedenheit nach Jahren der unmenschlichen Enge im Zusammenhang mit der "Null-Covid"-Politik und den neuen Regulierungsmaßnahmen im Gesundheitswesen. Die wirtschaftliche und soziale Destabilisierung verschärft auch die Kämpfe der Beschäftigten gegen Lohnrückstände und Betriebsschließungen oder -verlagerungen, die häufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsdiensten der Unternehmen führen. Diese Streiks und Proteste haben im Jahr 2023 stark zugenommen und die Zahl der Streiks im Vergleich zu 2022 verdoppelt.[4]
Diese Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage führt auch zu politischen Umwälzungen, die immer deutlicher bis in die Spitze des Staates sichtbar werden, wie die auffällige Abwesenheit von Xi Jinping bei internationalen Foren (BRICS-Wirtschaftsforum in Südafrika, G20-Treffen in Indien) und das "Verschwinden" von Außenminister Qin Gang und Verteidigungsminister Li Shangfu sowie mehrerer Generäle, die an der Spitze der "Raketentruppe" und der Abteilung für Ausrüstungsentwicklung der chinesischen Armee stehen. Die Absetzung von Xi Jinping nahestehenden und von ihm nach dem letzten KPCh-Kongress ernannten Führungspersönlichkeiten wegen "persönlichen Verhaltens" oder "Korruption" unterstreicht die Tatsache, dass Xi Jinping zunehmend persönlich zur Verantwortung gezogen wird, insbesondere seit seiner katastrophalen "Null-Covid"-Politik, die erhebliche wirtschaftliche und soziale Schäden verursacht hat. Im August soll er auf dem traditionellen Sommertreffen der Spitzen des Regimes im Badeort Beidaihe, bei dem eine Bilanz der Lage Chinas gezogen wird, scharf kritisiert worden sein. Ehemalige Führungspersönlichkeiten im Ruhestand sollen ihm mit einer noch nie dagewesenen Schärfe Vorwürfe gemacht haben, was darauf hinzudeuten scheint, dass sich die Konfrontationen zwischen "Ökonomen" und "Nationalisten" angesichts der Gefahr einer wirtschaftlichen und sozialen Destabilisierung, die dieses stalinistische Regime fürchtet, wieder verschärfen. Innerhalb der KPCh haben sich eine giftige Atmosphäre und extreme Spannungen entwickelt. In einem solchen Klima der Fraktionskämpfe innerhalb des Parteistaats ist die Zukunft ungewiss, und Xi Jinping könnte den Hebel eines überstürzten Aufbruchs in einen verschärften Nationalismus ansetzen, um sich durchzusetzen, wie es in China schon oft der Fall war, wenn sich innenpolitische Probleme häuften.
Xi Jinpings Projekt "Großchina", welches er bis 2050 zu konsolidieren hoffte, scheint nun ernsthaft bedroht zu sein: Die gegenwärtigen Trends deuten darauf hin, dass das Land in absehbarer Zeit nicht die führende Wirtschaftsmacht der Welt werden wird. Angesichts einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die das Land in ein weitverbreitetes soziales Chaos zu stürzen droht, eines zunehmenden Drucks seitens der USA und einer wachsenden Opposition innerhalb der Partei wird Xi Jinpings Politik mehr denn je von Unberechenbarkeit geprägt sein, aber auch von der Gefahr irrationaler Entscheidungen, die die Welt in einen Strudel aus Chaos, Barbarei und einer beispiellosen militärischen Konfrontation zu ziehen drohen.
Fo & RH, 9.10.2023
[1]Resolution zur internationalen Lage, 25. IKS-Kongress, Internationale Revue Nr. 59, 2023.
https://de.internationalism.org/content/3120/resolution-des-25-internati...
[2]Siehe: P.-A. Donnet, Chine : comment la folie des grandeurs mène l'économie à la ruine, Asiayst, 01.10.23
[3]Ein britischer Spezialist für Portfolio-Management, zitiert in P. Donnet, Chine : la crise économique, prélude d'un hiver politique et social ? Asialyst, 07.09.23
[4] Siehe: China Labour Bulletin