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Fortdauernde deutsch-amerikanische Rivalitäten
Als Angela Merkel zu Jahresanfang 2006 nach
Washington aufbrach, um ihren Antrittsbesuch als deutsche Kanzlerin im Weißen
Haus zu absolvieren, nahm sie nicht nur die Glückwünsche der deutschen
Bourgeoisie mit auf den Weg, sondern auch einen festen Auftrag. Sie sollte die
Kritik "der Heimat" am amerikanischen Vorgehen im "Krieg gegen
den Terrorismus" öffentlich vortragen. Wohl wissend, dass Frau Merkel zur
Zeit des Irakkriegs eine nachgiebigere Haltung gegenüber den Vereinigten
Staaten an den Tag gelegt hatte als der "Mainstream" der deutschen
Bourgeoisie mit dem damaligen Bundeskanzler Schröder, erhoben die führenden
Kreise in Berlin die bekannte amerikanische Praxis der Entführung und Folter
von Gegnern des US Imperialismus zum öffentlichen Skandal, sobald Merkel als
neue Chefin des deutschen Staates über die Schwelle des Kanzleramtes trat. So
sollte sicher gestellt werden, dass sich in der "harten" Haltung des
deutschen Imperialismus gegenüber seinem amerikanischen Rivalen nichts
Wesentliches ändert. Über den Regierungswechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Rot
hinweg soll eine Kontinuität in der deutschen Außenpolitik sichergestellt
werden: Die Herausforderung der einzigen verbleibenden Supermacht durch die
Bundesrepublik.
Merkel tat, was von ihr verlangt wurde. In
den heiligen Hallen des Weißen Hauses äußerte sie höflich, aber entschieden,
dass die Einsperrung Terrorverdächtiger
ohne Anklage und ohne Prozess "auf Dauer" nicht "haltbar"
sei. Die Antwort aus Washington kam postwendend. Während die
Bush-Administration sich ahnungslos gab, plauderte die CIA vor der
Weltöffentlichkeit aus, dass die "deutschen Freunde" vom
Bundesnachrichtendienst der US- Army während des Irakkriegs geholfen haben sollen,
Bombenziele ausfindig zu machen.
Mit diesem Vorgehen hofft die amerikanische
Bourgeoisie, sich eine Tatsache zu nutze zu machen, welche zur Zeit des letzten
deutschen Wahlkampfs zu Tage getreten ist: außenpolitische Differenzen zwischen
den beiden um das Kanzleramt kämpfenden Spitzenkandidaten Schröder und Merkel.
Angesichts einer immer chaotischer werdenden Weltpolitik sind selbst innerhalb
der seit dem Fall der Mauer in diesen Dingen so einheitlichen deutschen
Bourgeoisie außenpolitische Nuancen aufgetreten.
Washington beabsichtigt, Berlin vor der
Weltöffentlichkeit bloßzustellen, nachdem der ehemalige Juniorpartner in Europa
aus der Zeit des Kalten Krieges seit Wochen wieder damit begonnen hat, das zu
tun, was er bereits zur Zeit des Irakkrieges unablässig tat: Amerika an den
Pranger zu stellen. Darüber hinaus hofft die Bush-Administration, die
Meinungsverschiedenheiten und Interessenabweichungen innerhalb der deutschen
Bourgeoisie zu vertiefen. Eins soll klar gestellt werden: Dass weder Deutschland
noch andere imperialistische Herausforderer unbestraft Amerika kritisieren
können. So ist es kein Zufall, dass gerade der Vertreter der außenpolitischen
Linie Schröders innerhalb der neuen
Regierungskoalition - der ehemalige Geheimdienstkoordinator und jetzige
Außenminister Steinmeier - die Hauptzielscheibe der Vorwürfe aus Amerika
abgibt.
Jedoch: Angesichts des Gegenschlags aus
Washington zeigt sich die deutsche Bourgeoisie demonstrativ um
Schadensbegrenzung und um Einheitlichkeit bemüht. Zwar können die
Oppositionsparteien es natürlich nicht lassen, sich durch das Einsetzen einer
Untersuchungskommission in Sachen BND zu profilieren. Dennoch haben die FDP,
die Grünen und die PDS sich zusammengetan, um die Interessen des
kapitalistischen Vaterlands zu verteidigen. Sie kündigten gemeinsam das
Vorhaben an, aus dieser Untersuchungskommission ein Instrument der Anklage
gegen die USA zu machen, indem die Frage der CIA-Gefangenenflüge in Europa
sowie die Verschleppung deutscher
Staatsbürger mit thematisiert werden.
Tatsächlich ist die deutsche Bourgeoisie
derzeit bemüht, außenpolitisch von der Bildung der großen Koalition aus Union
und SPD zu profitieren, um wieder eine einheitlichere Sicht der Interessen des
deutschen Imperialismus zu erreichen. Bereits nach den Antrittsbesuchen Merkels
in Washington und in Moskau lässt sich feststellen, dass es gegenüber diesen
beiden Ländern höchstens zu Stilkorrekturen kommen wird. So wird die
"strategische Partnerschaft" mit Russland vielleicht etwas weniger demonstrativ
gefeiert werden, die Herausforderung der amerikanischen Supermacht noch etwas
hinterhältiger zu gestalten sein. Der Hauptvorteil der Amtsablösung Schröders
durch Merkel im außenpolitischen Bereich liegt wohl eher in der Möglichkeit der
Akzentverschiebung gegenüber der EU. Angesichts des gerade für Deutschland
besorgniserregenden aktuellen Ausmaßes der Krise der Europäischen Union wird es
als Vorteil angesehen, den von Schröder überbetonten Schulterschluss mit
Frankreich zugunsten einer mehr "vermittelnden" Haltung
abzuschwächen.
Eins jedenfalls steht fest: das
diplomatische und propagandistische Ringen zwischen Deutschland und den USA
wird sich in den kommenden Monaten - nicht zuletzt angesichts des schwelenden
Konflikts um das Atomprogramm Irans, sowie angesichts der Verärgerung der USA
und deren derzeitigen osteuropäischen Verbündeten wegen des deutsch-russischen
Erdgasgeschäfts - weiter verschärfen.
M. 19.01.06