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Einleitung
Dies ist der erste Teil einer Studie, die 1934 in der Zeitschrift Bilan, Organ der Linken Fraktion der Kommunistischen Partei Italiens, veröffentlicht worden ist. Diese Studie setzte sich damals das Ziel, ”den Sinn der periodisch wiederkehrenden Krisen besser zu verstehen, die immer wieder den ganzen Kapitalismus erschüttert haben, und zu versuchen, mit größtmöglicher Präzision das Zeitalter der definitiven Dekadenz zu charakterisieren und die von ihm ausgehenden tödlichen Zuckungen zu verstehen”.
Es handelte sich also darum, die klassische marxistische Analyse zu aktualisieren und zu vertiefen, um zu verstehen, weshalb der Kapitalismus zyklischen Produktionskrisen ausgesetzt war und weshalb er im 20. Jahrhundert mit der zunehmenden Sättigung des Weltmarktes in eine neue Phase, die seiner unwiderruflichen Dekadenz, getreten ist. Die zyklischen Krisen sind längst einem viel tieferen und schwerwiegenderen Phänomen gewichen - der historischen Krise des kapitalistischen Systems. Sie ist gekennzeichnet durch einen sich ständig verschärfenden Widerspruch zwischen den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und der Entwicklung der Produktivkräfte. Die kapitalistische Produktionsweise hat sich nicht nur in eine Fessel des Fortschritts verwandelt, sondern bedroht nun gar das Überleben der Menschheit selbst. Die Studie von Mitchell[1] beginnt mit den Grundlagen der marxistischen Analyse: dem Profit und der kapitalistischen Akkumulation. Sie zeigt die Kontinuität zwischen den Analysen von Marx und Rosa Luxemburg auf, die in der Akkumulation des Kapitals eine Erklärung für die Tendenz des Kapitalismus zu immer tödlicheren Erschütterungen geliefert und die historischen Grenzen des Systems aufgezeigt hat, das nun in ein Zeitalter der ”Krisen, Kriege und Revolutionen” eingetreten war.
Mitchells Arbeit der Aktualisierung und Vertiefung ist auch heute noch vollständig gültig. Natürlich konnte Bilan sich das heutige Ausmaß der Verschuldung, der Spekulation, der monetären Manipulationen, der Unternehmensfusionen und -konzentrationen nicht vorstellen. Dennoch liefert diese Analyse alle Grundlagen zum Verständnis ihrer Mechanismen. Dieses Dokument erlaubt es uns also, die Grundlagen der Analysen zu formulieren, die wir in einem Artikel in der letzten Nummer über ”Die New Economy, eine erneute Rechtfertigung des Kapitalismus” entwickelten. Dies wird noch deutlicher im zweiten Teil der Studie über ”Die Analyse der allgemeinen Krise des dekadenten Imperialismus”, den wir in der nächsten Nummer veröffentlichen werden.
IKS
Die marxistische Analyse der kapitalistischen Produktionsweise bezieht sich hauptsächlich auf folgende Punkte:
a) auf die Kritik an den feudalen und vorkapitalistischen Produktions- und Austauschformen;
b) auf die Notwendigkeit, diese rückständigen Formen durch die fortschrittlichere kapitalistische Form zu ersetzen;
c) auf die Demonstration des fortschrittlichen Charakters der kapitalistischen Produktionsweise, indem der positive Aspekt und die gesellschaftliche Notwendigkeit der Gesetze aufgezeigt werden, die ihre Entwicklung bestimmen;
d) auf die vom Standpunkt einer sozialistischen Kritik aus zu erfolgende Untersuchung der negativen Aspekte derselben Gesetze, ihrer widersprüchlichen und zerstörerischen Auswirkungen, die die kapitalistische Evolution in eine Sackgasse führen;
e) auf den Beweis dafür, dass die kapitalistischen Aneignungsformen schließlich ein Hemmnis der vollständigen Entwicklung der Produktion sind und dass infolgedessen diese Produktionsweise ein immer unhaltbarer werdendes Klassenverhältnis schafft, was sich durch eine immer größere Kluft zwischen den immer wenigeren, aber reicheren KAPITALISTEN auf der einen und den immer zahlreicheren und unglücklicheren LOHNABHÄNGIGEN ohne Eigentum auf der anderen Seite ausdrückt;
f) und schließlich auf die Anerkennung, dass die immensen, vom Kapitalismus entwickelten Produktivkräfte sich nur in einer Gesellschaft harmonisch entfalten können, die wiederum nur von einer Klasse organisiert werden kann, die kein besonderes Eigeninteresse als Kaste besitzt: vom PROLETARIAT.
In dieser Studie werden wir keine vertiefte Analyse der organischen Evolution des Kapitalismus in seiner aufsteigenden Phase anfertigen. Wir werden uns darauf beschränken, dem dialektischen Prozess seiner inneren Kräfte zu folgen, um so besser den Sinn der Krisen zu verstehen, die den Kapitalismus periodisch erschüttert haben. Schließlich werden wir versuchen, mit größter Genauigkeit das Zeitalter der definitiven Dekadenz des Kapitalismus zu bestimmen, in dem er von den blutigen Zuckungen seines Todeskampfes geschüttelt wird.
Wir werden ebenfalls untersuchen, wie der Zerfall der vorkapitalistischen Wirtschaftsformen – Feudalismus, Handwerksproduktion, ländliche Gemeinwirtschaft - die Bedingungen für die Ausweitung des Marktes für die kapitalistischen Waren schafft.
Die kapitalistische Produktion orientiert sich am Profit, nicht an den Bedürfnissen
Fassen wir die wichtigsten Vorbedingungen der kapitalistischen Produktionsweise zusammen.
1. Die Existenz von Waren, mit anderen Worten: von Produkten, die, ehe sie als GEBRAUCHSWERT entsprechend ihrem gesellschaftlichen Nutzen betrachtet werden können, als Austauschverhältnis mit anderen Gebrauchswerten verschiedener Art, d.h. als TAUSCHWERT, auftreten. Das einzige gemeinsame Maß der Waren ist die Arbeit; der Tauschwert einer Ware wird von der zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit bestimmt.
2. Waren werden nicht DIREKT untereinander ausgetauscht, sondern durch die Zwischenschaltung einer universellen Ware, die den Wert aller Waren ausdrückt: die Ware GELD.
3. Die Existenz einer Ware mit einem besonderen Charakter, die ARBEITSKRAFT, die das einzige Eigentum des Arbeiters ist und von den Kapitalisten, den alleinigen Eigentümern der Produktions- und Subsistenzmittel, auf dem Arbeitsmarkt wie jede andere Ware zu ihrem WERT oder, in anderen Worten, zu ihren Produktionskosten bzw. dem Preis zur „Erhaltung“ der Lebenskraft des Proletariers gekauft wird. Doch während der Konsum aller anderer Waren nicht zu einer Wertsteigerung führt, verschafft die Arbeitskraft dagegen dem Kapitalisten, der sie gekauft hat, daher auch ihr Eigentümer ist und nach seinem Willen über sie verfügen kann, einen Wert, der größer ist als ihre Kosten, vorausgesetzt, er lässt den Proletarier länger arbeiten, als notwendig ist, um sein striktes Existenzminimum zu produzieren.
Dieser MEHRWERT entspricht der MEHRARBEIT, die der Proletarier kraft der Tatsache, dass er seine Arbeitskraft „frei“ und auf vertraglicher Basis verkauft, gratis an den Kapitalisten abtritt. Dies schafft den PROFIT des Kapitalisten. Es handelt sich hier also nicht um etwas Abstraktes, sondern um LEBENDIGE ARBEIT.
Wir möchten uns an dieser Stelle für unser Beharren auf dem, was allgemein zum kleinen Einmaleins der marxistischen Wirtschaftstheorie gehört, entschuldigen. Wenn wir insistieren, so, weil wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen, dass alle wirtschaftlichen und politischen Probleme, die sich dem Kapitalismus stellen (und in Krisenzeiten sind sie zahlreich und komplex), auf das zentrale Ziel hinauslaufen, ein MAXIMUM an MEHRWERT zu produzieren. Der Kapitalismus kümmert sich nicht im mindesten um die Bedürfnisse der Menschheit, um ihren Konsum und oder um ihr Existenzminimum. NUR EIN EINZIGER KONSUM regt seine Interessen und Leidenschaft an, stimuliert seine Energien und seinen Willen, bildet seinen Daseinsgrund: DER KONSUM VON ARBEITSKRAFT!
Der Kapitalismus gebraucht die Arbeitskraft, um den höchstmöglichen Gewinn zu erzielen, was der größtmöglichen Menge an Arbeitskraft entspricht. Aber dies ist nicht alles: Notwendig ist auch die maximale Steigerung der Gratisarbeit im Verhältnis zur bezahlten Arbeit, des Profites im Verhältnis zu den Löhnen und zum verausgabten Kapital – die MEHRWERTRATE. Der Kapitalist gelangt zu seinem Ziel einerseits durch die Vergrößerung der Arbeitsmenge, sei es durch eine Verlängerung des Arbeitstages oder durch eine Erhöhung der Arbeitsintensität, und andererseits durch eine möglichst geringe Bezahlung der Arbeitskraft (sogar unter ihrem Wert), was vor allem dank der Entwicklung der Arbeitsproduktivität möglich ist, die die Kosten für die vordringlichsten Bedürfnisse und das Existenzminimum senkt. Aus eigenen Stücken wird der Kapitalismus dem Arbeiter natürlich nicht erlauben, aufgrund des Preisverfalls mehr Waren zu kaufen. Die Löhne bewegen sich stets um den Durchschnitt des Wertes der Arbeitskraft herum, welcher jenen Dingen entspricht, die für ihre Reproduktion unbedingt erforderlich sind: Die Bewegungen im Lohnwert über oder unter diesem Wert entfalten sich parallel zu den Fluktuationen im Kräfteverhältnis zwischen Kapitalisten und Proletariern.
Aus obigen Zeilen geht klar hervor, dass die Mehrwertmenge nicht eine Funktion des GESAMTEN verausgabten Kapitals ist, sondern nur des Teils, der für den Kauf der Arbeitskraft, des VARIABLEN KAPITALS, ausgegeben wird. Deshalb tendiert der Kapitalist dazu, aus einem MINIMUM von GESAMTKAPITAL ein MAXIMUM an MEHRWERT herauszuschlagen. Doch wie wir bei der Analyse des Akkumulationsprozesses feststellen, wirkt dieser Tendenz ein Gesetz entgegen, das zu einem Fall der Profitrate führt.
Wenn wir also das Gesamtkapital oder das in der kapitalistischen Produktion investierte Kapital betrachten - sagen wir: innerhalb eines Jahres -, so dürfen wir es nicht als Ausdruck einer konkreten, materiellen Form der Waren, sprich: Gebrauchswerte, betrachten, sondern als Verkörperung von Waren, als Tauschwerte. Ist dies der Fall, so setzt sich der Wert der Jahresproduktion folgendermaßen zusammen:
a) aus dem verausgabten konstanten Kapital, d.h. aus den verschlissenen Produktionsmitteln und den absorbierten Rohstoffen: diese beiden Elemente sind der Ausdruck vergangener Arbeit, die bereits in vorhergehenden Produktionsperioden verausgabt, materialisiert worden war;
b) aus dem variablen Kapital und dem Mehrwert, die die neue, lebendige, während des Jahres verausgabte Arbeit darstellt.
Dieser abstrakte Wert erscheint im Gesamtprodukt ebenso wie in jedem Einzelstück. Der Wert eines Tisches beispielsweise ist die Summe des Wertes der Maschinen, die ihn produzieren, plus des Wertes der Rohstoffe und der Arbeit, die dabei verbraucht wurden. Man darf das Produkt also nicht als ausschließlichen Ausdruck entweder des konstanten Kapitals, des variablen Kapitals oder des Mehrwerts verstehen.
Das variable Kapital und der Mehrwert sind der Ertrag aus der Produktionssphäre (da wir hier nicht die außerkapitalistische Produktion der Bauern, Handwerker usw. berücksichtigen, beziehen wir auch ihr Einkommen nicht mit ein).
Das Einkommen der Proletarier entspricht dem Lohnfonds. Das Einkommen der Bourgeoisie entspricht der Mehrwertmasse bzw. dem Profit (wir wollen hier nicht die Verteilung des Mehrwerts in Industrie, Handel und Banken sowie in Form der Grundrente innerhalb der Bourgeoisie analysieren). Auf diese Weise definiert, begrenzt das Einkommen aus der kapitalistischen Sphäre den individuellen Konsum sowohl des Proletariats als auch der Bourgeoisie. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass der Konsum der Bourgeoisie nur durch die Möglichkeiten der Mehrwertproduktion begrenzt wird, wohingegen der Konsum der Arbeiter eine ausgesprochene Notwendigkeit derselben Mehrwertproduktion ist. Folglich ist die Verteilung der Einkünfte der Hauptwiderspruch, der alle anderen Widersprüche auslöst. Denjenigen, die behaupten, dass die Arbeiter produzieren, um zu konsumieren oder dass die Bedürfnisse, die ja unbegrenzt seien, immer größer seien als die Produktionskapazitäten, antworten wir mit den Worten von Marx: ”Die Arbeiter produzieren tatsächlich den Mehrwert: solange sie ihn produzieren, können sie auch konsumieren, sobald jedoch die Produktion unterbricht, können sie auch nicht mehr konsumieren. Es ist falsch zu sagen, dass sie konsumieren können, da sie das Äquivalent ihrer Produktion herstellen.” Er sagt ferner: ”Die Arbeiter müssen immer Mehrwertproduzenten sein und über ihre Bedürfnisse hinaus produzieren, um Konsument oder Käufer in den Grenzen der Bedürfnisse zu sein.”
Doch für den Kapitalisten reicht es nicht aus, sich Mehrwert anzueignen, er kann sich nicht damit zufrieden geben, dem Arbeiter einen Teil der Früchte seiner Arbeit zu rauben, er muss in der Lage sein, den Mehrwert auch zu realisieren, ihn durch den Verkauf des Produkts zu seinem Wert in Geld umzuwandeln.
Erst mit dem Verkauf kann ein neuer Produktionszyklus beginnen. Er erlaubt dem Kapitalisten, die im gerade beendeten Produktionsprozess verbrauchten Teile des Kapitals zu ersetzen. Er muss verbrauchte Produktionsmittel ersetzen, neue Rohstoffe kaufen, die Arbeitskraft bezahlen. Doch vom kapitalistischen Standpunkt aus gelten diese Elemente nicht in ihrer materiellen Form als entsprechende Menge von Gebrauchswerten, als dieselbe Produktionsmenge, die in den Produktionsprozess wieder einverleibt wird, sondern als Tauschwert, als Kapital, das in die Produktion auf ihrem alten Stand (dabei den neuen akkumulierten Wert ignorierend) reinvestiert wird, um mindestens denselben Profit wie zuvor zu erzielen. Das erstrangige Ziel des Kapitalisten ist ein neuer Produktionszyklus, der ihm neuen Mehrwert einbringt.
Falls die Produktion nicht vollständig realisiert werden kann oder sie unter ihrem Wert realisiert wird, hat die Ausbeutung des Arbeiters dem Kapitalisten nichts oder nur wenig eingebracht, da sich die Gratisarbeit ja nicht in Geld und anschließend in Kapital zur erneuten Mehrwertproduktion hat umwandeln lassen. Dass dabei nichtsdestotrotz konsumierbare Produkte produziert worden sind, ist dem Kapitalisten völlig gleichgültig, selbst wenn es der Arbeiterklasse am Notwendigsten mangelt. Wenn wir hier die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass dieser Verkauf misslingt, so geschieht das vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich der kapitalistische Produktionsprozess in zwei Phasen gliedert, nämlich in die der Produktion und des Verkaufs. Obwohl beide eine Einheit bilden und eng voneinander abhängig sind, verlaufen sie dennoch vollständig getrennt voneinander. Der Kapitalist beherrscht den Markt nicht, sondern ist ihm vielmehr völlig ausgeliefert. Nicht nur der Verkauf ist von der Produktion abgetrennt, sondern auch der anschließende Erwerb von Waren ist vom Verkauf derselben getrennt. Mit anderen Worten: Der Verkäufer einer Ware ist nicht notwendigerweise und gleichzeitig Käufer einer anderen Ware. In der kapitalistischen Ökonomie bedeutet Warenhandel nicht direkten Tauschhandel: Alle Waren müssen sich vor ihrer endgültigen Bestimmung in Geld umwandeln. Diese Metamorphose ist der wichtigste Moment in ihrer Zirkulation.
Die erste Möglichkeit einer Krise resultiert also aus der Differenzierung zwischen Produktion und Verkauf einerseits und zwischen Kauf und Verkauf andererseits, was es notwendig macht, dass die Ware sich zunächst in Geld und dann vom Geld zur Ware umwandeln muss, und dies auf der Grundlage einer Produktion, die als Kapital-Geld beginnt und als Geld-Kapital endet.
Hier taucht für den Kapitalismus das Problem der Realisierung auf. Welche Lösungen bieten sich an? Zunächst kann der das konstante Kapital verkörpernde Teil des Produktwertes unter normalen Umständen in der kapitalistischen Sphäre selbst, durch den inneren Austausch zur Erneuerung der Produktion, verkauft werden. Der das variable Kapital darstellende Teil wird von den Arbeitern gekauft, dank der Löhne, die ihnen vom Kapitalisten bezahlt werden, und strikt innerhalb der Grenzen, die wir hervorgehoben haben, da der Preis der Arbeitskraft um seinen Wert herum pendelt: Dies ist der einzige Teil des Gesamtprodukts, dessen Realisierung und dessen Markt durch die Finanzierung des Kapitalismus selbst gesichert ist. Es bleibt also der Mehrwert. Man könnte natürlich in Betracht ziehen, dass die Bourgeoisie ihn allein für ihren Konsum ausgibt, obwohl dazu das Produkt erst in Geld umgewandelt werden müsste (wir vernachlässigen hier die Möglichkeit, dass individuelle Ausgaben auch mit gespartem Geld bestritten werden können), denn die Kapitalisten können nicht einfach ihr eigenes Produkt konsumieren. Doch wenn die Bourgeoisie sich derart verhalten würde, wenn sie nicht mehr täte, als die Früchte des Mehrwerts zu genießen, die sie sich vom Proletariat nimmt, wenn sie sich auf eine einfache Reproduktion beschränken würde, statt eine erweiterte Reproduktion anzustreben, um sich so eine friedliche und sorgenfreie Existenz zu sichern, dann würde sie sich nicht von den früheren herrschenden Klassen unterscheiden, abgesehen von ihren Herrschaftsformen. Die Struktur der Sklavenhaltergesellschaft unterdrückte jegliche technische Entwicklung und hielt die Produktion auf einem Niveau, auf dem der Sklavenhalter gut leben konnte, dessen Bedürfnissen die Sklaven vollauf gerecht wurden. Auch der Feudalherr erhielt im Austausch für den Schutz, den er seinen Leibeigenen gewährte, von Letzteren das Produkt ihrer Mehrarbeit und entledigte sich somit der Sorge um die Produktion, den Markt, der sich auf einen engen, nicht anpassungsfähigen lokalen Austausch beschränkte.
Angetrieben von der Entwicklung einer merkantilen Gesellschaft, war es die historische Aufgabe des Kapitalismus, diese dumpfen und stagnierenden Gesellschaften wegzufegen. Die Enteignung der Produzenten schuf den Arbeitsmarkt und öffnete den Quell des Mehrwerts des merkantilen Kapitals, um es in industrielles Kapital umzuwandeln. Ein Produktionsfieber erfasste die gesamte Gesellschaft. Angespornt von der Konkurrenz, zog Kapital Kapital an. Die Produktivkräfte und die Produktion wuchsen exponentiell, und die kapitalistische Akkumulation erreichte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit dem Aufblühen des ”Freihandels” ihren Höhepunkt.
Die Geschichte zeigt also, dass die Bourgeoisie in ihrer Gesamtheit keinesfalls den gesamten Mehrwert konsumieren kann. Im Gegenteil: Ihre Profitgier veranlasst sie, den größeren Teil des Mehrwerts beiseite zu legen und – da Profit Profit anzieht, so wie der Magnet das Eisen – in KAPITAL umzuwandeln. Die Produktion wird unaufhörlich erweitert, wobei die Konkurrenz sie stimuliert und technologische Verbesserungen voraussetzt.
Die Erfordernisse der Akkumulation verwandeln die Realisierung des Mehrwerts zu einem Stolperstein für die Realisierung des Gesamtprodukts. Während die Realisierung des für den Konsum bestimmten Teils kein Problem darstellt (zumindest theoretisch), so verbleibt nichtsdestotrotz der Teil des Mehrwerts, der für die Akkumulation reserviert ist. Dieser kann unmöglich von den Proletariern absorbiert werden, da ihre Kaufkraft auf ihren Lohn beschränkt ist. Soll man nun davon ausgehen, dass er vom Austausch unter den Kapitalisten und innerhalb des kapitalistischen Bereichs absorbiert wird und dass dieser Austausch für eine Produktionsausdehnung ausreicht?
Marx unterstreicht die offensichtliche Absurdität einer solchen Lösung: ”Die kapitalistische Produktion will nicht andere Güter besitzen, sondern sich Wert, Geld, abstrakten Reichtum aneignen.” Die Ausdehnung der Produktion ist eine Funktion der Akkumulation dieses abstrakten Reichtums. Der Kapitalist produziert nicht aus Gefallen am Produzieren, am Akkumulieren von Produktionsmitteln oder Konsumgütern oder etwa aus Gefallen daran, sich mit immer mehr Arbeitern „vollzustopfen“, sondern weil die Produktion Gratisarbeit erzeugt, also Mehrwert, der akkumuliert und um so mehr wächst, je mehr er in Kapital umgewandelt wird. Marx fügt hinzu: ”Wenn man sagt, dass die Kapitalisten ihre Waren ja nur unter sich auszutauschen und zu konsumieren hätten, so vergisst man den ganzen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise, bei der es sich um die Umwandlung des Kapitals in Wert und nicht um seinen Verzehr handelt.”
Wir befinden uns also beim Kern des Problems, das sich dem Gesamtkapital unausweichlich und ständig stellt: dem Verkauf außerhalb des kapitalistischen Marktes, dessen Aufnahmefähigkeit durch die Gesetze des Kapitalismus streng begrenzt ist, da die Mehrproduktion zumindest den Teil des Mehrwerts darstellt, der nicht von der Bourgeoisie konsumiert wird, sondern dafür vorgesehen ist, in Kapital umgewandelt zu werden. Da gibt es kein Entrinnen: Das Warenkapital kann nur Mehrwert erzeugendes Kapital werden, wenn es zuvor in außerkapitalistischen Gebieten in Geld umgewandelt worden ist. ”Der Kapitalismus benötigt nichtkapitalistische, nicht lohnabhängige und sich im Besitz autonomer Kaufkraft befindlicher Käufer, um einen Teil seiner Waren loszuwerden.” (Rosa Luxemburg)
Bevor wir betrachten, wo und wie das Kapital diese ”autonome” Kaufkraft findet, müssen wir zunächst den Akkumulationsprozess weiterverfolgen.
Die kapitalistische Akkumulation: Faktor des Fortschritts und des Rückschritts
Wir haben bereits betont, dass das Wachstum des arbeitenden Kapitals unter dem Zwang der technischen Verbesserungen gleichzeitig die Produktivkräfte entwickelt. Doch neben diesem positiven und fortschrittlichen Aspekt der kapitalistischen Produktionsweise taucht ein rückschrittlicher, widersprüchlicher Faktor auf, der aus den Veränderungen der inneren Zusammensetzung des Kapitals entsteht.
Das akkumulierte Kapital ist in zwei ungleiche Teile aufgeteilt: Der größte Teil dient der Erweiterung des konstanten Kapitals, der kleinere wird für den Kauf zusätzlicher Arbeitskraft aufgewendet. Der Rhythmus in der Entwicklung des konstanten Kapitals beschleunigt sich also auf Kosten desjenigen des variablen Kapitals, und das konstante Kapital wächst im Verhältnis zum Gesamtkapital. Anders ausgedrückt erhöht sich die organische Zusammensetzung des Kapitals. Gewiss erhöht die Nachfrage nach mehr Arbeitern den absoluten Anteil des Proletariats am Sozialprodukt, doch sein relativer Anteil verringert sich, da das variable Kapital im Verhältnis zum konstanten und zum Gesamtkapital abnimmt. Aber auch das absolute Wachstum des variablen Kapitals, also des Lohnfonds, kann sich nicht unbegrenzt fortsetzen: An einem bestimmten Punkt erreicht es seine Sättigung. Tatsächlich treibt die ständige Erhöhung der organischen Zusammensetzung (in anderen Worten: die technische Entwicklung des Kapitals) die Entwicklung der Produktivkräfte und Arbeitsproduktivität derart voran, dass das fortgesetzte Wachstum des Kapitals, weit davon entfernt, neue Arbeitskräfte zu absorbieren, im Gegenteil darin endet, einen Teil jener Arbeitskraft, die bereits in die Produktion integriert war, auf den Markt zu werfen und so ein „Phänomen“ zu produzieren, das eine Eigentümlichkeit des dekadenten Kapitalismus ist: die permanente Arbeitslosigkeit, Ausdruck eines relativen und konstanten „Überschusses“ von Arbeitern.
Andererseits gewinnen die gigantischen Proportionen, die die Produktion nun erreicht hat, ihre volle Bedeutung erst durch den Umstand, dass die Masse der Produkte oder Gebrauchswerte schneller wächst als die ihr entsprechenden Tauschwerte, sprich: als der Wert des konsumierten konstanten Kapitals, des variablen Kapitals und des Mehrwerts. Zum Beispiel: Eine Maschine zum Preis von 1000 Franken, mit der zwei Arbeiter in der Lage sind, 1000 Einheiten eines bestimmten Produkts herzustellen, wird durch eine ausgereiftere Maschine zum Preis von 2000 Franken ersetzt, mit der aber ein Arbeiter das Drei- bis Vierfache produzieren kann. Man kann nun einwenden, dass der Arbeiter mit seinem Lohn mehr Produkte kaufen kann, da ja mit weniger Arbeit ein Mehr an Waren hergestellt werden kann. Man vergisst dabei aber völlig, dass diese Produkte vor allem Waren sind und dass auch die Arbeitskraft eine Ware ist. Folglich kann diese Ware Arbeitskraft, wie wir dies bereits zu Beginn sagten, nur zu ihrem Tauschwert, der ihren Reproduktionskosten entspricht, verkauft werden. Diese Reproduktionskosten stellen umgekehrt das strikte Existenzminimum für die Arbeiter dar. Wenn nun wegen des technischen Fortschritts die Lebenshaltungskosten reduziert werden, dann wird auch der Lohn entsprechend reduziert. Und selbst wenn sich diese Kürzung wegen eines für das Proletariat günstigen Kräfteverhältnisses nicht proportional zur Verminderung der Produktionskosten verhält, so muss sie sich auf jeden Fall innerhalb der Grenzen bewegen, die mit den Erfordernissen der kapitalistischen Produktionsweise vereinbar sind.
Der Akkumulationsprozess vertieft also einen ersten Widerspruch: das Wachstum der Produktivkräfte auf der einen Seite, die Reduzierung der in der Produktion tätigen Arbeitskräfte und die Entwicklung eines relativen und konstanten Überschusses an Arbeitern auf der anderen Seite. Dieser Widerspruch ruft einen weiteren hervor. Wir haben bereits angesprochen, welche Faktoren die Mehrwertrate bestimmen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass sich bei einer unveränderlichen Mehrwertrate die Masse des Mehrwerts und somit auch die Masse des Profits immer proportional zur Masse des in der Produktion verausgabten variablen Kapitals verhält. Wenn nun das variable Kapital im Verhältnis zum Gesamtkapital abnimmt, dann vermindert sich auch die Profitmasse im Verhältnis zum Gesamtkapital und sinkt infolgedessen die Profitrate. Der Fall der Profitrate verschärft sich in dem Maß, in dem die Akkumulation voranschreitet und das konstante Kapital im Verhältnis zum variablen Kapital wächst, während die Profitmasse weiter wächst (in Folge einer Steigerung der Mehrwertrate). Es findet nun also keineswegs eine Verminderung der Ausbeutungsintensität statt, sondern es wird nur weniger Arbeit im Verhältnis zum Gesamtkapital aufgewendet, die aber auch weniger Gratisarbeit liefert. Mehr noch, der Akkumulationsrhythmus wird beschleunigt, weil er den Kapitalisten ständig quält, ihn nie zur Ruhe kommen lässt und zwingt, aus einer gegebenen Anzahl von Arbeitern den maximalen Mehrwert herauszupressen, um so immer mehr Mehrwert zu akkumulieren.
Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate erzeugt die zyklischen Krisen und ist ein mächtiger Beschleunigungsfaktor im Zerfall des dekadenten Kapitalismus. Ferner liefert es uns eine Erklärung für den Kapitalexport, der ein spezifischer Zug des imperialistischen und monopolistischen Kapitalismus ist. „Der Kapitalexport“, sagt Marx, „ ist nicht auf die absolute Unmöglichkeit der inneren Anlage zurückzuführen, sondern auf die Möglichkeit der ausländischen Anlage zu einer höheren Profitrate.” Lenin bestätigt diesen Gedanken: ”Die Notwendigkeit des Kapitalexports ergibt sich aus der Überreife des Kapitalismus in einigen Ländern, in denen die vorteilhaften Anlagen (was wir hervorheben:) - rückständige Landwirtschaft, elende Massen - nur noch mangelhaft vorhanden sind.”
Ein weiterer Faktor, der die Akkumulation zu beschleunigen hilft, ist der Kredit, der heute auf die bürgerlichen Ökonomen und Sozialdemokraten auf ihrer Suche nach Heilmitteln und Lösungen eine magische Wirkung ausübt. Im Lande Roosevelts und in allen Planwirtschaften, für DeMan, die Bürokraten des CGT und andere Retter des Kapitalismus übte er einen großen Zauber aus. Denn es schien, als habe der Kredit die Eigenschaft, Kaufkraft zu schaffen.
Doch wenn wir all den pseudowissenschaftlichen und verlogenen Kram einmal beiseite lassen, können wir den Kredit einfach folgendermaßen definieren: Mittels seines Finanzapparates wird dem Kapital zur Verfügung gestellt:
a) zurzeit im Produktionsprozess nicht benötigte und zur Erneuerung des konstanten Kapitals bestimmte Summen;
b) jener Teil des Mehrwerts, den die Bourgeoisie nicht unverzüglich konsumiert oder den sie nicht akkumulieren kann;
c) Summen, die nichtkapitalistischen Schichten (Bauern, Handwerker) oder privilegierten Schichten der Arbeiterklasse zur Verfügung stehen,
Mit einem Wort: Es handelt sich hierbei um ERSPARNISSE oder potenzielle Kaufkraft.
Daher kann eine Kreditoperation bestenfalls zu nicht viel mehr führen, als zu einer Umwandlung von latenter Kaufkraft in neue Kaufkraft. Darüber hinaus ist dies ein Problem, das nur diejenigen interessiert, die müßige Zuschauer amüsieren wollen. Uns interessiert jedoch die Tatsache, dass Ersparnisse zur Kapitalisierung mobilisiert werden können und somit die akkumulierte Kapitalmasse anwachsen lassen. Ohne Kredit wären die Ersparnisse nur gehortetes Geld und kein Kapital. ”Der Kredit lässt die Ausdehnungsmöglichkeit der Produktion auf unermessliche Weise anwachsen und bildet die treibende interne Kraft zur ständigen Überwindung der Grenzen des Marktes.” (R. Luxemburg)
Ein dritter Beschleunigungsfaktor muss erwähnt werden. Es ist der Bourgeoisie nicht möglich, ihren eigenen Konsum dem Schwindel erregenden Wachstum der Mehrwertmenge anzupassen. Ihr Magen, so unersättlich er auch sein mag, kann das Mehr an produziertem Mehrwert nicht absorbieren. Selbst wenn ihre Völlerei sie zu einem erhöhten Konsum treiben würde, wäre sie nicht dazu in der Lage, denn sie ist dem unverrückbaren Gesetz der Konkurrenz unterworfen: die Produktion zu steigern, um die Preise zu senken. Da der Teil des Mehrwerts, der konsumiert wird, sich im Verhältnis zum Gesamtmehrwert verringert, steigt die Akkumulationsrate. Somit haben wir einen weiteren Grund für die Schrumpfung des kapitalistischen Marktes.
Wir wollen hier noch einen vierten Beschleunigungsfaktor erwähnen, der parallel zur Entwicklung des Banken- und Kreditkapitals auftritt und ein Produkt des selektiven Konkurrenzprozesses ist: die Konzentration von Kapital und Produktionsmitteln in gigantischen Unternehmungen, die, indem sie den Mehrwert für die Akkumulation en gros steigern, ungleich schneller die Kapitalmasse vergrößern. Da sich diese Unternehmen organisch zu parasitären Monopolen entwickeln, werden sie auch zu einem bösartigen Desintegrationsherd in der Periode des Imperialismus.
Fassen wir also die Grundwidersprüche zusammen, die die kapitalistische Produktionsweise untergraben:
a) Auf der einen Seite hat die Produktion ein Niveau erreicht, das in den Massenkonsum gemündet ist; auf der anderen Seite bringen die Erfordernisse dieser Produktion die Fundamente des Konsums innerhalb des kapitalistischen Marktes zum Schwinden. Der relative und absolute Anteil des Proletariats am Gesamtprodukt nimmt ab, der individuelle Konsum der Kapitalisten wird relativ eingeschränkt.
b) Es ist notwendig, jenen Teil des Gesamtprodukts außerhalb des kapitalistischen Marktes zu realisieren, der innerhalb nicht konsumiert werden kann. Dieser Teil entspricht dem akkumulierten Mehrwert, der unter dem Druck diverser, beschleunigender Faktoren immer schneller und permanent wächst.
Es ist daher notwendig, auf der einen Seite das Produkt zu realisieren, ehe die Produktion wieder beginnen kann, und auf der anderen Seite die Absatzmärkte zu vergrößern, damit das Produkt realisiert werden kann.
Wie Marx unterstrich: ”Die kapitalistische Produktion muss auf ständig größerer Stufenleiter produzieren, die aber gerade gar nichts mit der gegenwärtigen Nachfrage zu tun hat, sondern von der ständigen Ausdehnung des Weltmarktes abhängt. Die Nachfrage der Arbeiter genügt keineswegs, da der Profit ja gerade aus dem Umstand entsteht, dass die Nachfrage der Arbeiter kleiner ist als der Wert der von ihnen hergestellten Produkte und er ist um so größer, je kleiner diese Nachfrage ist. Die wechselseitige Nachfrage der Kapitalisten ist ebenso ungenügend.”
Wie also gelingt diese kontinuierliche Ausdehnung des Weltmarktes, die Erschließung und ständige Schaffung und Vergrößerung von außerkapitalistischen Märkten, deren lebenswichtige Bedeutung für den Kapitalismus Rosa Luxemburg hervorhob? Aufgrund seiner historischen Stellung in der Evolution der Gesellschaft muss der Kapitalismus, um weiter zu überleben, den Kampf weiterführen, den er zunächst begonnen hatte, um das Fundament für die Entwicklung seiner Produktion zu schaffen. Mit anderen Worten: Um den Mehrwert, den er aus jeder Pore ausschwitzt, in Geld umzuwandeln und zu akkumulieren, muss der Kapitalismus die alten Wirtschaftsweisen, die bis dahin alle historischen Erschütterungen überlebt hatten, auflösen. Um die Produkte, die er in der kapitalistischen Sphäre nicht verkaufen kann, loszuwerden, muss er Käufer finden, die ihrerseits nur in einer Warenwirtschaft existieren können. Ferner benötigt der Kapitalismus, um das Produktionsniveau zu halten, große Vorräte an Rohstoffen, die er sich nur in den Ländern aneignen kann, wo die Eigentumsformen keine Barriere gegen seine Ziele darstellen und die notwendige Arbeitskraft zur Ausbeutung dieser begehrten Reichtümer verfügbar ist. Wo immer noch solche Sklavenhalter- oder Feudalgesellschaften oder bäuerliche Subsistenzwirtschaft vorkamen, in denen der Produzent an die Produktionsmittel gebunden war und für die Befriedigung seiner unmittelbaren Bedürfnisse arbeitete, musste der Kapitalismus daher die Bedingungen schaffen und den Weg öffnen, um seine Ziele zu erreichen. Mit Gewalt, Enteignung, der Steuerschraube und der Unterstützung der herrschenden Schichten dieser Gegenden zerstörte er zuallererst das Gemeineigentum, wandelte die Produktion zur Bedürfnisbefriedigung in eine Produktion für den Markt um, etablierte neue Produktionen, die seinen eigenen Bedürfnissen entsprachen, schnitt die bäuerliche Wirtschaft von jenen Handwerkern ab, die sie ergänzt hatten. So schuf er einen Markt, auf dem der Bauer gezwungen war, seine landwirtschaftlichen Produkte – die alles waren, was er noch produzieren konnte – im Austausch für den in den kapitalistischen Fabriken hergestellten Ramsch zu verkaufen. In Europa hatte bereits die landwirtschaftliche Umwälzung des 15. und 16. Jahrhunderts die Enteignung und Vertreibung eines Teils der ländlichen Bevölkerung bewirkt und den Markt für die entstehende kapitalistische Produktionsweise geschaffen. Marx bemerkte diesbezüglich, dass erst die Vernichtung der häuslichen Baumwollindustrie dem heimischen Markt eines Landes zur notwendigen Ausdehnung und zum Zusammenwachsen verhelfen konnte.
In seiner Unersättlichkeit macht der Kapitalismus hier jedoch nicht Halt. Die Realisierung des Mehrwerts genügt nicht. Nun muss der Kapitalismus die unabhängigen Produzenten ausrotten, die aus den primitiven Gesellschaften hervorgegangen waren und noch immer im Besitz eigener Produktionsmittel waren. Er muss ihre Produktion ersetzen, und zwar durch kapitalistische Produktion, um Anlagefelder für die Massen akkumulierten Kapitals zu finden, welche ihn zu ersticken drohen. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in den Vereinigten Staaten eingeleitete Industrialisierung der Landwirtschaft ist ein schlagendes Beispiel für den Auflösungsprozess der bäuerlichen Wirtschaften, der die Kluft zwischen dem kapitalistischen Farmer einerseits und dem Landarbeiter andererseits weiter öffnete.
In den Kolonien füllte trotz der Tatsache, dass der Prozess der kapitalistischen Industrialisierung sehr begrenzt blieb, die Enteignung und Proletarisierung der eingeborenen Massen das Reservoir, aus dem der Kapitalismus die Arbeitskräfte schöpft, die ihm die billigen Rohstoffe liefern.
Infolgedessen bedeutet die Realisierung des Mehrwerts für den Kapitalismus die fortschreitende und ständige Annexion vorkapitalistischer Wirtschaftsformen, deren Existenz lebenswichtig für ihn ist, die er aber dennoch vernichten muss, wenn er seinen Daseinsgrund fortsetzen will: die Akkumulation. Daraus entsteht ein weiterer, mit dem oben Genannten verbundener Grundwiderspruch: Die Entwicklung der Akkumulation und der kapitalistischen Produktion nährt sich von der ”menschlichen” Substanz der außerkapitalistischen Gebiete, löscht diese aber auch zunehmend aus. Was einst als eine ”autonome” Kaufkraft erschien, die in der Lage war, Mehrwert zu absorbieren - wie der Konsum der Bauern -, wird zu einer spezifisch kapitalistischen Kaufkraft (mit anderen Worten: zu einer Kaufkraft, die in die engen Grenzen gezwängt ist, die durch das variable Kapital und den konsumierbaren Mehrwert bestimmt werden), sobald die Bauernschaft in Proletarier und Kapitalisten getrennt ist. Der Kapitalismus sägt also in gewisser Weise den Ast ab, auf dem er sitzt.
Man könnte sich natürlich eine Epoche vorstellen, in der der weltweit verbreitete Kapitalismus ein Gleichgewicht zwischen den Produktivkräften und der gesellschaftlichen Harmonie hergestellt hat. Doch es scheint uns, dass, wenn Marx in seinen Schemata über die erweiterte Produktion diese Hypothese einer vollständig kapitalistischen Gesellschaft aufgestellt hat, in der es nur den Gegensatz zwischen Kapitalisten und Proletariern gibt, dies genau deshalb geschah, um die Absurdität einer kapitalistischen Gesellschaft zu demonstrieren, die eines Tages ein Gleichgewicht und einen Einklang mit den Bedürfnissen der Menschheit erlangt. Denn dies würde bedeuten, dass der zu akkumulierende Mehrwert dank der Ausweitung der Produktion einerseits durch den Kauf neuer Produktionsmittel, andererseits durch die zusätzliche Nachfrage der Arbeiter (wo sie sonst finden?) direkt realisiert werden kann und dass die Kapitalisten sich von Wölfen in friedliche Schafe verwandeln würden.
Wäre Marx in der Lage gewesen, seine Schemata weiterzuentwickeln, wäre er zum gegenteiligen Schluss gelangt: dass ein kapitalistischer Markt, der sich nicht mehr durch die Einverleibung nicht-kapitalistischer Gebiete ausdehnen kann, dass eine allumfassende kapitalistische Produktion – die historisch unmöglich ist – das Ende des Akkumulationsprozesses und das Ende des Kapitalismus selbst bedeuten würde. Folglich dient die Darstellung dieser Schemata als Abbild einer kapitalistischen Produktion, die in der Lage ist, ohne Ungleichgewicht, ohne Überproduktion, ohne Krisen zu überdauern, nur dazu, die marxistische Theorie bewusst zu verfälschen, wie manche „Marxisten“ es tun.
Dem Kapital gelingt es nicht, seine gewaltigen Produktionssteigerungen an die Kapazitäten der Märkte, derer er sich bemächtigt hat, anzupassen. Einerseits dehnen sich die Märkte nicht fortlaufend aus, während andererseits die mannigfaltigen Beschleunigungsfaktoren, die wir erwähnt haben, der Akkumulation einen Schwung verleihen, der die Produktion schneller wachsen lässt, als sich die außerkapitalistische Absatzmärkte ausweiten. Der Akkumulationsprozess erzeugt nicht nur eine enorme Menge an Tauschwerten, sondern die wachsende Kapazität der Produktionsmittel lässt, wie wir bereits gesagt haben, die Masse an Produkten oder Gebrauchswerten in noch beträchtlicherem Ausmaß wachsen. Die Folge ist, dass der Produktionsprozess zwar in der Lage ist, den Massenkonsum zu befriedigen, aber der Verkauf seiner Produkte einer ständigen Anpassung an der Aufnahmefähigkeit, die nur außerhalb der kapitalistischen Sphäre existiert, untergeordnet ist.
Wenn diese Anpassung nicht stattfindet, entsteht eine relative Überproduktion von Waren, und zwar nicht in Bezug auf die Konsumkapazitäten, sondern in Bezug auf die Kaufkraft sowohl innerhalb als auch außerhalb der kapitalistischen Sphäre.
Träte die Überproduktion erst dann ein, wenn alle Mitglieder einer Nation ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigt hätten, so wäre es in der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft nie zu einer generellen oder partiellen Überproduktion gekommen. Wenn der Markt an Schuhen, Stoffen, Wein und Kolonialwaren gesättigt ist, heißt dies, dass ein Teil der Nation, sagen wir zwei Drittel, auch tatsächlich ihren Bedarf an diesen Schuhen usw. mehr als befriedigt hat? Die Überproduktion ist keine Frage von absoluten Bedürfnissen; sie richtet sich nur nach jenen Bedürfnissen, die ”bezahlbar” (Marx) sind.
Diese Art von Überproduktion ist in keiner älteren Gesellschaftsform vorzufinden. Der niedrige Stand der Produktionsmittel erforderte die Ausbeutung von Sklaven, um gewaltsam jeden Hang einzuschränken, die Bedürfnisse der Massen zu erweitern. Falls zufällig eine Überproduktion auftrat, so wurde sie entweder durch Lagerung oder durch die Ausweitung des Luxuskonsums absorbiert. Mit anderen Worten: Es handelte sich also um keine eigentliche Überproduktion, sondern um einen Überkonsum der Reichen. Desgleichen ist unter dem Feudalregime die geringe Produktion schnell verbraucht worden: Der Leibeigene musste den größten Teil seines Produkts zur Befriedigung der Bedürfnisse des Feudalherrn abgeben und bemühte sich mit dem Rest, nicht zu verhungern. Hungersnöte und Kriege ließen keine Gefahr der Überproduktion befürchten.
Unter kapitalistischem Regime überfluten die Produktivkräfte ein Fundament, das zu klein geworden ist, um sie zu umfassen: Die kapitalistischen Produkte sind im Überfluss vorhanden, doch sie hegen puren Widerwillen gegen die einfachen Bedürfnisse der Menschen, sie geben sich nur dem Austausch gegen Geld hin, und wenn kein Geld vorhanden ist, ziehen sie es vor, sich in Fabriken, Geschäften oder Lagerhallen anzuhäufen oder gar zu verrotten.
Die chronischen Krisen des aufsteigenden Kapitalismus
Die einzigen Grenzen der kapitalistischen Produktion sind diejenigen, die ihr durch die Möglichkeit der Kapitalverwertung aufgezwungen werden: Solange Mehrwert produziert und kapitalisiert werden kann, schreitet die Produktion voran. Ihre Unausgewogenheit zu den allgemeinen Konsumkapazitäten erscheint erst, wenn die Warenflut an die Grenzen des Marktes stößt und die Kanäle der Zirkulation blockiert, mit anderen Worten: wenn die Krise ausbricht.
Es ist offensichtlich, dass die Krise nicht jener Definition entspricht, die sie auf eine Gleichgewichtsstörung zwischen den verschiedenen Produktionssektoren reduziert, wie dies gewisse bürgerliche und selbst marxistische Ökonomen tun. Marx hebt hervor, dass ”in Perioden genereller Überproduktion die Überproduktion in gewissen Sphären nur das Ergebnis, die Konsequenz der Überproduktion in den Hauptzweigen ist. Es handelt sich nur um eine relative Überproduktion, weil es Überproduktion in anderen Sphären gibt.” Gewiss kann eine zu starke Diskrepanz z.B. zwischen dem Produktionsmittel herstellenden Sektor und dem Konsumartikel herstellenden Sektor eine partielle Krise auslösen, kann sogar der ursprüngliche Grund einer allgemeinen Krise sein. Die Krise ist das Produkt einer allgemeinen und relativen Überproduktion, einer Überproduktion von Waren aller Art (seien es nun Produktionsmittel oder Konsumgüter) im Verhältnis zur Nachfrage auf dem Markt.
Kurz, die Krise ist Ausdruck der Unfähigkeit des Kapitalismus, aus der Ausbeutung der Arbeiter Profit zu schlagen. Wir haben bereits aufgezeigt, dass es nicht ausreicht, unbezahlte Arbeit herauszupressen und diese in Form eines neuen Wertes, des Mehrwerts, in das Produkt zu integrieren. Sie muss durch den Verkauf des Gesamtprodukts zu seinem Wert oder besser zu seinem Produktionspreis, der sich aus dem Kostpreis (dem Wert des verwendeten Kapitals, sowohl des konstanten als auch des variablen) und dem gesellschaftlichen Durchschnittsprofit zusammensetzt, in der Geldform materialisiert werden. Andererseits ist der Marktpreis, wenngleich theoretisch, der monetäre Ausdruck des Produktionspreises, unterscheidet sich in der Realität jedoch von Letzterem insofern, als er den Kurven folgt, die vom kaufmännischen Gesetz von Angebot und Nachfrage bewirkt werden, während er nichtsdestotrotz unter dem Einfluss des Wertes steht. Man muss daher betonen, dass Krisen durch abnormale Preisbewegungen gekennzeichnet sind und in beträchtlichen Entwertungen bis hin zur totalen Vernichtung von Werten münden, was einem Verlust von Kapital entspricht. Die Krise offenbart jäh, dass eine zu große Masse an Produktionsmitteln, Arbeitsmitteln und Konsumgütern hergestellt worden ist, so dass es unmöglich geworden ist, diese zu einer bestimmten Profitrate als Ausbeutungsinstrumente der Arbeiter anzuwenden. Das Sinken der Profitrate unter ein für die Bourgeoisie akzeptables Niveau bis zur Gefahr, dass jeglicher Profit verschwindet, bewirkt eine Störung des Produktionsprozesses und kann ihn sogar lähmen. Die Maschinen geraten nicht etwa ins Stocken, weil sie mehr produzieren, als konsumiert werden kann, sondern weil das existierende Kapital nicht mehr den Mehrwert erhält, der es am Leben erhält. Die Krise löst den Nebel über der kapitalistischen Produktionsweise auf: Auf einen Schlag offenbart sich der grundlegende Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, zwischen den Bedürfnissen der Menschen und den Bedürfnissen des Kapitals. ”Es werden”, wie Marx sagte, ”zu viele Waren produziert, als dass sie mit ihrem Wert und Mehrwert unter den Verteilungs- und Konsumptionsbedingungen der kapitalistischen Produktion realisiert und wieder in neues Kapital verwandelt werden könnten. Es werden nicht zu viele Reichtümer produziert. Aber periodisch wird zuviel Reichtum in seinen widersprüchlichen kapitalistischen Formen produziert.”
Die mit beinahe mathematischer Regelmäßigkeit wiederkehrenden Krisen bilden einen der spezifischen Züge der kapitalistischen Produktionsweise. Weder diese Regelmäßigkeit noch die Eigentümlichkeiten der kapitalistischen Krisen finden sich in irgendeiner der vorangehenden Gesellschaftsformen. Krisen, die aus einem Übermaß an Reichtum entstehen, waren unbekannt in den antiken patriarchalischen oder feudalen Wirtschaftsweisen, die hauptsächlich auf der Bedürfnisbefriedigung der herrschenden Klasse basierten und weder vom technischen Fortschritt noch von einem Markt, der einen breiten Austausch ermöglichte, abhängig waren. Wie wir bereits aufgezeigt haben, war Überproduktion in ihnen unmöglich, und Wirtschaftskatastrophen waren entweder das Resultat natürlicher Ursachen (Dürre, Überschwemmungen, Epidemien) oder die Folge gesellschaftlicher Faktoren (wie Kriege).
Wirtschaftskrisen treten erst mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts auf, als der Kapitalismus, gefestigt durch harte und erfolgreiche Kämpfe gegen die feudale Gesellschaft, in die Blütephase seiner Expansion tritt und auf einer soliden industriellen Grundlage mit der Eroberung der Welt beginnt. Seither entwickelte sich die kapitalistische Produktion ungleich. Auf eine Phase der fieberhaften Produktion zur Befriedigung der wachsenden Forderungen des Weltmarktes folgte eine Verstopfung des Marktes. Das Abebben der Zirkulation erschütterte den ganzen Produktionsmechanismus. Das Wirtschaftsleben bildet so eine lange Kette, deren einzelne Glieder einen Zyklus darstellen, der sich in eine Abfolge von Perioden durchschnittlicher Aktivität, von Prosperität, Überproduktion, Krise und Depression unterteilt. Die Bruchstelle dieses Zyklus‘ ist die Krise, die ”momentane und gewaltsame Lösung der Widersprüche, gewaltsamer Ausbruch, der für einen Augenblick das gestörte Gleichgewicht wiederherstellt” (Marx). Krise und Prosperität sind also unzertrennlich miteinander verbunden und bedingen sich wechselseitig.
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts lag das Gravitationszentrum der zyklischen Krisen in Großbritannien, der Wiege der industriellen Revolution. Die erste Überproduktionskrise ereignete sich 1825 (ein Jahr zuvor hatte die Gewerkschaftsbewegung begonnen, sich auf der Grundlage des Koalitionsgesetzes, das die Arbeiter der Bourgeoisie abgerungen hatten, auszubreiten). Die Ursprünge diese Krise waren für damalige Begriffe seltsam: Die stattlichen Anleihen, die in den vorangegangenen Jahren in London von den jungen südamerikanischen Republiken aufgenommen worden waren, waren allesamt ausgegeben, was zu einer plötzlichen Schrumpfung des Marktes führte. Die Krise betraf vor allem die Baumwollindustrie und führte zu dem Verlust ihres Monopols und zu Aufständen der Baumwollarbeiter. Die Krise wurde durch die Ausdehnung der Absatzgebiete überwunden, die im Wesentlichen auf England begrenzt gewesen waren: Erstens fand das Kapital in England selbst noch weite Regionen auf dem Land vor, wo es sich realisieren und kapitalisieren konnte, und zweitens eröffneten die Anfänge des Exports nach Indien einen Markt für die Baumwollindustrie. Die Errichtung des Eisenbahnnetzes und die Entwicklung einer Werkzeugbauindustrie öffneten der Maschinenbauindustrie einen Markt und sorgten dafür, dass Letztere in den Himmel schoss. 1836 brach die Baumwollindustrie nach einer langen Depression, die einer Periode der Prosperität gefolgt war, zusammen; dies führte zu einer Generalisierung der Krise, und die verhungernden Weber wurden einmal mehr als Sühneopfer dargeboten. Die Krise wurde 1839 mit der Ausdehnung des Eisenbahnnetzes überwunden, aber inzwischen war die Chartistenbewegung geboren worden, Ausdruck der ersten politischen Bestrebungen des englischen Proletariats. 1840 führte eine erneute Depression in der englischen Textilindustrie zu Arbeiterrevolten; die Krise selbst hielt bis 1843 an. 1840 setzte eine erneute Expansion ein, die 1845 zu einer Periode großer Prosperität führte. 1847 brach eine allgemeine Krise aus, die sich auf den Kontinent ausdehnte. Auf sie folgte der Pariser Aufstand von 1848 sowie die deutsche Revolution, die bis 1849 andauerte, als sich die amerikanischen und australischen Märkte den Europäern und vor allem der britischen Industrie öffneten. Gleichzeitig erlebte der Eisenbahnbau in Kontinentaleuropa einen enormen Aufschwung.
Bereits zu dieser Zeit hatte Marx im Kommunistischen Manifest die allgemeinen Merkmale der Krisen festgehalten und die Antagonismen zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und ihrer bürgerlichen Aneignung betont. Mit brillantem Scharfsinn hatte er die Perspektiven der kapitalistischen Produktionsweise skizziert. ”Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.”
Mit dem Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errang der Industriekapitalismus die Vorherrschaft auf dem Kontinent. 1860 begann der industrielle Aufschwung in Deutschland und Österreich. Als Folge breiten sich auch die Krisen immer mehr aus. Die Krise von 1857 ist dank der Ausdehnung des Kapitals vor allem nach Zentraleuropa nur von kurzer Dauer. Die britische Baumwollindustrie erreicht 1860, mit der Sättigung der Märkte in Indien und Australien, ihren Gipfel. Der Sezessionskrieg in den Vereinigten Staaten unterbricht die Zufuhr von Baumwolle, was in ihren totalen Zusammenbruch mündet und eine allgemeine Krise nach sich zieht. Doch das englische und das französische Kapital verloren keine Zeit und sicherten sich zwischen 1860 und 1870 starke Positionen in Ägypten und in China.
Der Zeitraum von 1850 bis 1873 verlief für die Entwicklung des Kapitals äußerst günstig. Er war gekennzeichnet durch lange Prosperitätsphasen (ca. sechs Jahre) und kurze Depressionen von ungefähr zwei Jahren. Während der folgenden Periode, von der Krise 1873 bis 1896, wurde der Prozess in sein Gegenteil verkehrt: chronische Depressionen, unterbrochen von kurzen Aufschwungphasen. Deutschland (nach dem Frieden von Frankfurt 1871) und die Vereinigten Staaten entpuppten sich als gefährliche Konkurrenten für England und Frankreich. Die erstaunliche Entwicklung der kapitalistischen Produktion übertraf den Rhythmus der Marktdurchdringung: Es folgten die Krisen von 1882 und 1890. Die großen Kolonialkriege um die Aufteilung der Welt waren bereits im Gange, und unter dem Druck einer gewaltigen Mehrwertakkumulation katapultierte sich der Kapitalismus selbst in die Phase des Imperialismus, der in die allgemeine Krise und den Bankrott führen sollte. Unterdessen gab es die Krisen von 1900 (der Burenkrieg und der Boxeraufstand) und 1907. Die Krise von 1913/14 sollte schließlich im Ersten Weltkrieg explodieren.
Ehe wir uns der Analyse der allgemeinen Krise des dekadenten Imperialismus zuwenden, die Inhalt des zweiten Teils unserer Studie ist, müssen wir die Kurven aller Krisen des aufstrebenden Kapitalismus untersuchen.
Es gibt zwei Extreme im Wirtschaftszyklus:
a) die letzte Phase der Prosperität, die zum Scheitelpunkt der Akkumulation führt, ausgedrückt in der höchsten organischen Zusammensetzung des Kapitals; die Macht der Produktivkräfte erreicht einen Punkt, an dem sie die Marktkapazitäten sprengt; wie wir bereits betonten, bedeutet dies auch, dass die niedrige Profitrate, die der hohen organischen Zusammensetzung entspricht, mit den Erfordernissen der Kapitalverwertung zusammenprallt;
b) den Tiefpunkt der Krise, der einer vollständigen Lähmung der Kapitalakkumulation gleichkommt und der Depression vorangeht.
Zwischen diesen beiden Polen verläuft einerseits die Krise selbst, d.h. eine Periode der Umwälzungen und der Zerstörung von Tauschwerten, und andererseits die Depression, auf die der Wiederaufschwung und die Prosperität folgen, in der neue Werte geschaffen werden.
Das instabile Produktionsgleichgewicht wird, unterminiert durch die fortschreitende Vertiefung der Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise, beim Ausbruch der Krise abrupt umgestoßen und kann sich nur stabilisieren, wenn sich die Kapitalwerte wieder gesund geschrumpft haben. Dieser Reinigungsprozess wird durch die Preissenkungen bei den Endprodukten eingeleitet, während die Rohstoffpreise noch einige Zeit ansteigen. Die Reduzierung der Warenpreise bewirkt natürlich eine Entwertung des Kapitals, das in diesen Waren materialisiert ist, und ihr Fall endet erst mit der Zerstörung eines kleineren oder größeren Teils des Kapitals, je nach Schwere und Intensität der Krise. Es gibt zwei Aspekte im Zerstörungsprozess: auf der einen Seite einen Verlust an Gebrauchswerten in Folge eines völligen oder teilweise Stopps des Produktionsapparates, was zur Entwertung ungenutzter Maschinerien und Rohstoffe führt, und auf der anderen Seite einen Verlust an Tauschwerten, was bedeutsamer ist, da es den Prozess der Produktionserneuerung angreift, indem es ihn aufhält und desorganisiert. Der erste Schock trifft das konstante Kapital. Die Verminderung des variablen Kapitals erfolgt nicht gleichzeitig, denn die Senkung der Löhne hinkt im Allgemeinen dem Preisverfall hinterher. Das Schrumpfen der Werte verhindert ihre Reproduktion im alten Ausmaß. Mehr noch, die Lähmung der Produktivkräfte hindert das Kapital, das sie darstellen, daran, als solches zu existieren: Als Kapital ist es tot und nicht vorhanden, auch wenn es in seiner materiellen Form weiter existiert. Der Prozess der Kapitalakkumulation ist ebenfalls unterbrochen, denn der akkumulierbare Mehrwert hat sich mit dem Preisverfall verflüchtigt, obwohl die Akkumulation von Gebrauchswerten dank bereits geplanter Produktionsausweitungen sehr wohl fortdauern kann.
Die schrumpfenden Werte ziehen schrumpfende Unternehmen nach sich: Die Schwächsten gehen unter oder werden von den Stärksten, die weniger von der Preissenkung betroffen sind, geschluckt. Dieser Konzentrationsprozess findet nicht ohne Auseinandersetzungen statt: Solange die Prosperität anhält, es also eine Beute zu teilen gibt, wird diese zwischen den verschiedenen Fraktionen der kapitalistischen Klasse gemäß dem investierten Kapital aufgeteilt. Doch sobald die Krise ausbricht und der Verlust für die Klasse in ihrer Gesamtheit unvermeidlich wird, versucht jeder Einzelkapitalist oder jede Kapitalistengruppe alles Erdenkliche, um den Verlust zu begrenzen oder gar auf den Nächsten abzuwälzen. Das Klasseninteresse löst sich unter dem Druck der Partikularinteressen auf, während es in normalen Zeiten durchaus respektiert wird. Wir werden umgekehrt aber sehen, dass in der allgemeinen Krise das Klasseninteresse vorherrscht.
Doch der Preisverfall, der es ermöglicht hatte, alte Warenlager zu liquidieren, kommt zu einem Ende. Das Gleichgewicht stellt sich langsam wieder ein. Die Kapitalwerte kehren auf einem niedrigeren Niveau zurück, die organische Zusammensetzung des Kapitals fällt ebenfalls. Gleichzeitig sinken Kostpreise, was hauptsächlich durch einen massiven Lohndruck bedingt ist. Der Mehrwert - der Sauerstoff des Kapitals - erscheint wieder und belebt langsam wieder den ganzen kapitalistischen Körper. Die liberalen Ökonomen feiern die Verdienste ihrer Gegengifte und die ”spontanen Reaktionen” des Systems. Die Profitrate steigt wieder an und wird ”interessant”. Kurz: Die Rentabilität der Unternehmen ist wieder hergestellt. Die Akkumulation kommt wieder in Gang. Sie schürt den Appetit der Kapitalisten und bereitet den Ausbruch einer neuen Überproduktion vor. Die Masse des akkumulierten Mehrwerts nimmt zu und verlangt nach neuen Absatzgebieten, bis jener Moment erreicht ist, in dem der Markt einmal mehr als eine Bremse der Produktionsentwicklung fungiert. Die Krise ist reif. Der Zyklus beginnt von neuem.
”Die Krisen erscheinen als ein Mittel, um das Feuer der kapitalistischen Entwicklung ständig von neuem zu entfachen und zu entfesseln.” (R. Luxemburg)
(Fortsetzung folgt)
Mitchell
[1] Mitchell war Mitglied der Minderheit der Ligue des communistes internationalistes in Belgien und nahm mit der Konstituierung der Belgischen Fraktion 1937 an der Gründung der Kommunistischen Linken um die Zeitschrift Bilan teil.