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Regierung und Gewerkschaften: Komplizen gegen die Arbeiter
Deutschland steckt in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Nachkriegsgeschichte. Seit nunmehr über zwei Jahren stagniert die deutsche Wirtschaft. Im ersten Quartal dieses Jahres ist sie gar geschrumpft, womit die prognostizierten (ohnehin bescheidenen) 0,75 Prozent Wachstum für dieses Jahr obsolet geworden sind. Und je dramatischer die Hiobsbotschaften über Arbeitslosenraten und Staatsverschuldung ausfallen, desto frenetischer wird der Chor derjenigen, die eine ”Modernisierung der Deutschland AG”, den ”Umbau des Sozialstaates”, eine ”Reform an Haupt und Gliedern” fordern. Mit anderen Worten: Je tiefer Deutschland in die Krise rutscht, desto unverblümter werden die Angriffe gegen die Arbeitenden und Erwerbslosen dieses Landes.
Die Agenda 2010: Teile und herrsche
Im Windschatten der schon seit Monaten währenden Medienkampagne über die “deutsche Krankheit“ holt Rot-Grün nun zum zweiten Schlag gegen unsere Arbeits- und Lebensbedingungen aus. Nachdem die Schröder-Regierung in ihrer ersten Legislaturperiode erfolgreich die sog. Renten- und Steuerreform durchgeboxt hatte, ist sie nun im Begriff, einen Schritt weiter zu gehen in ihrer ”Sparpolitik” gegen die Arbeiterklasse. Kern der Agenda 2010 sind der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung durch Unternehmen und Beschäftigten zu Lasten Letzterer, die Halbierung der Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung für ältere Beschäftigte von 32 auf 18 Monate, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und die Lockerung des Kündigungsschutzes für Beschäftigte in Kleinbetrieben. Hinzu kommen noch kleinere Grausamkeiten wie die Erhöhung der Tabaksteuer und die Privatisierung des Krankengeldes.
Zweifellos werden die Angriffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse immer massiver. Dennoch zeichnet sich die Agenda 2010 dadurch aus, dass sie nicht nach dem Rasenmäherprinzip vorgeht, d.h. dass ihre geplanten Maßnahmen sich zwar gegen die gesamte Klasse richten, aber so konzipiert sind, dass die Arbeiter in ihren verschiedenen Lebenslagen beispielsweise als Beitragszahler in die Rentenversicherung einerseits und als jetziger oder künftiger Rentenbezieher andererseits gegeneinander ausgespielt werden.
Und es ist kein Zufall, dass es dabei diejenigen mit besonderer Härte erwischt, die zu den Schwächsten der Arbeiterklasse zählen: Arbeitslose, Kranke, Ältere, Beschäftigte von Klitschen. Doch daran ist nichts Neues. Diese Vorgehensweise entspricht dem uralten Herrschaftsprinzip aller Ausbeuterklassen, mit dem Mittel der Zwietracht einen kollektiven Widerstand der Unterdrückten zu verhindern. Wer weiß dies besser als die Sozialdemokratie, die es zu einiger Virtuosität auf diesem Instrument gebracht hat!
Und keiner versteht es besser als die Sozialdemokratie, selbst die brutalsten Angriffe noch als “Sozialreformen” zu verkaufen. So hat sich die Schröder-Regierung, neben der üblichen Blut-Schweiß-und-Tränen-Phraseologie, mit einigem Erfolg darum bemüht, einen nicht unerheblichen Teil der Klasse von den Vorteilen der Agenda 2010 zu überzeugen. Schließlich werde mit diesen Maßnahmen ja angestrebt, die Lohnnebenkosten, die mittlerweile über 40 Prozent betragen, zu reduzieren.
Die Linke und die Gewerkschaften – zwei kritische Weggefährten von Rot-Grün
Nicht anders verhält es sich mit den Protesten der SPD-Linken und der Gewerkschaften gegen die Agenda 2010. Anfangs in den Medien noch als “Aufstand” tituliert, ist die Drohung von zwölf Mitgliedern aus der SPD-Bundestagsfraktion, wegen “sozialer Unausgewogenheit” gegen die Agenda im Bundestag zu stimmen, schnell zur Lachnummer verkommen. Das sog. Mitgliederbegehren, mit dem sie die Agenda parteiintern angeblich kippen wollten, ist im Sande verlaufen. Einige Placebos (Ausbildungsabgabe für Unternehmen, Modifikationen in der Arbeitslosengeldregelung u.ä.) und ein paar Rücktrittsdrohungen Schröders reichten aus, um den Widerstand der “Rebellen” bröckeln zu lassen.
Auch der angekündigte “heiße Herbst” durch die Gewerkschaften ist mehr rhetorisches Wortgeklingel denn tatsächliche Absicht. Schon gibt es innerhalb des gewerkschaftlichen Lagers erste Absetzmanöver von diesem Kurs. Auch DGB-Chef Sommer trat nach einem Gespräch mit dem Kanzler reichlich zerknirscht an die Öffentlichkeit – offensichtlich überwältigt von der Notwendigkeit der bitteren Pillen, die der Arbeiterklasse verabreicht werden sollen.
Sowohl der Widerstand der SPD-Linken um Lafontaine und Schreiner als auch die geharnischten Proteste insbesondere der beiden größten Gewerkschaften, der IG-Metall und Verdi, sind nur Manöver zur Irreführung der Arbeiterklasse. Sie sind der Katalysator, an dem sich die Geister scheiden sollen. Zum einen verhilft das schlechte Licht, in dem die sog. “Traditionalisten” fast einhellig von der bürgerlichen Öffentlichkeit wahrgenommen werden, den Kanzler zu neuem Glanz als “Modernisierer”, der scheinheilig auf das weit verbreitete Gefühl innerhalb der Arbeiterklasse antwortet, dass es so nicht weitergehen kann. Zum anderen treibt das inszenierte Kesseltreiben gegen Gewerkschaften und SPD-Linke jenen Teil der Klasse, der sich der Logik des Kapitals nicht beugen will, zur Solidarisierung mit eben jenem gewerkschaftlichen und linken Flügel der SPD und damit auf das Terrain des Reformismus keynesianischer Ausprägung. Indem Lafontaine & Co. unbeirrt auf die längst untauglich gewordenen Instrumente des deficit spending setzen, um der Logik der Krise zu entkommen, verbreiten sie unter diesen kritischen Arbeitern die Illusion, als gäbe es noch eine Alternative zur Austeritätspolitik innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, und hindern sie somit daran, nach Alternativen außerhalb dieses mörderischen Systems zu suchen.
Die Austeritätspolitik: Die Bourgeoisie hat keine andere Wahl
In Wahrheit erlaubt das ganze Ausmaß der Krise heute keinen Rückgriff mehr auf die alten Palliativmittel der bürgerlichen Krisenmanager. Die astronomisch hohen Schulden des Staates, die nicht zuletzt durch die staatliche Wohlfahrts- und Subventionspolitik in den letzten drei Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts angehäuft wurden, sind heute selbst zu einem krisenverschärfenden Faktor geworden. So werden von den 248 Milliarden Euro im Bundeshaushalt allein 50 Milliarden für den Schuldendienst ausgegeben. Angesichts dessen ist die Bourgeoisie schlicht dazu gezwungen, die Flucht nach vorn anzutreten. Und das heißt: immer massivere Angriffe gegen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse zu richten.
Diese Krise ist nicht auf Deutschland beschränkt und schon gar nicht die Folge einer “deutschen Krankheit”. Es handelt sich hier vielmehr um einen globalen Wirtschaftsabschwung, der insbesondere die hochentwickelten Industriestaaten seit fast zwei Jahren im Würgegriff hält. Ob die USA, Großbritannien, Italien, Frankreich, Japan, etc. – überall hat die Wirtschaft mit Auftragsrückgängen und Insolvenzen zu kämpfen. Was wir heute erleben, ist eine weitere Etappe der kapitalistischen Produktionsweise auf ihrer “Reise nach Jerusalem”, ein weiterer Ausdruck der immer weiter zunehmenden Übersättigung der Märkte. Und ebensowenig wie der auf früheren Etappen der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise praktizierte Keynesianismus stellt auch die heutige Austeritätspolitik einen Ausweg aus dem prinzipiellen Dilemma der kapitalistischen Überproduktion dar.
Der einzige Ausweg aus dieser für die gesamte Menschheit fatalen Lage ist nichts Geringeres als die revolutionäre Umwälzung der Produktionsverhältnisse, d.h. die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Produktion um des Profits willen und ihre Ersetzung durch die gesellschaftliche Aneignung der Produktionsmittel und die Produktion um der Bedürfnisse willen. Diese Herkulesarbeit kann allerdings nur gelingen, wenn sich die Arbeiterklasse von allen Illusionen über die Reformierbarkeit des Kapitalismus befreit und wenn sie Hoffnung aus der eigenen Kraft schöpft.
23.5.2003