Antwort an das IBRP (1995)

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Das Wesen des imperialistischen Krieges

 

Das IBRP hat in seiner ‘International Communist Review’ Nr. 13 auf unsere Polemik ‘Die Auffassung des IBRP zur Dekadenz des Kapitalismus’, die in der Internationalen Revue der IKS Nr. 79  engl.Ausgabe erschienen war, geantwortet. In dieser Antwort stellt das IBRP deutlich seine Positionen dar. Somit liefert ihr Artikel einen Beitrag zur notwendigen Debatte, die zwischen den Organisationen der kommunistischen Linken geführt werden muß, welche eine entscheidende Verantwortung in dem Kampf für die Gründung der kommunistischen Partei des Proletariats tragen.

Die Debatte zwischen dem IBRP und der IKS findet innerhalb des Rahmens der kommunistischen Linken statt:

- es handelt sich um keine akademische oder abstrakte Debatte, sondern um eine militante Polemik, um klare Positionen zu entwickeln, bei denen es keine Zweideutigkeiten oder Konzessionen gegenüber der bürgerlichen Ideologie gibt, insbesondere hinsichtlich Fragen wie das Wesen der imperialistischen Kriege und der materiellen Grundlagen der Notwendigkeit der kommunistischen Revolution,

- es handelt sich um eine Debatte zwischen Anhängern der Analyse der Dekadenz des Kapitalismus. Seit dem Anfang des Jahrhunderts ist das System in eine ausweglose Krise hineingeraten, die eine wachsende Bedrohung der Auslöschung der Menschheit  und der Zerstörung des Planeten mit sich bringt.

Innerhalb dieses Rahmens besteht der Artikel des IBRP auf der Auffassung des imperialistischen Krieges als ein Mittel der Entwertung des Kapitals und der Erneuerung des Akkumulationszyklus. Diese Position wird mit einer Erklärung der historischen Krise des Kapitalismus gerechtfertigt, die sich stützt auf das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Diese beiden Fragen sind Gegenstand unserer Antwort auf den Artikel des IBRP ( ([1]).

Was uns mit dem IBRP verbindet

In einer Polemik zwischen Revolutionären und insbesondere wegen des militanten Charakters müssen wir von dem ausgehen, was uns verbindet, um innerhalb dieses globalen Rahmens zu behandeln, was uns trennt. Dies ist die Methode, die die IKS immer in Anlehnung an Marx, Lenin, Bilan usw. angewendet hat, und die wir auch in unserer Polemik mit der IKP (Programma ([2]) benutzten, als wir die gleiche Frage behandelten, die wir jetzt in unserer Antwort an das IBRP aufgreifen. Es ist uns wichtig, dies zu unterstreichen, weil erstens die Polemiken unter den Revolutionären nicht immer den Kampf um die Klärung und die Umgruppierung mit der Perspektive der Bildung der Partei des Weltproletariats als einen roten Faden haben. Zweitens weil das, was zwischen der IKS und dem IBRP an Gemeinsamkeiten vorhanden ist, wichtiger ist als das uns Trennende, ohne dabei die Bedeutung und die Konsequenzen der Divergenzen hinsichtlich des Begreifens des imperialistischen Wesens des Krieges zu leugnen oder abzuschwächen:

1) Aus der Sicht des IBRP gibt es bei imperialistischen Kriegen keine objektiven Grenzen, sondern es handelt sich um totale Kriege, deren Konsequenzen bei weitem die Folgen der Kriege in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus[i] übersteigen.

2) Die imperialistischen Kriege bündeln die wirtschaftlichen und politischen Faktoren in einem unauflösbaren Ganzen zusammen.

3) Das IBRP verwirft die Idee, daß der Militarismus und die Rüstungsproduktion als ein Mittel der ‘Akkumulation des Kapitals  (3) fungieren könnte.

4) Als ein Ausdruck der Dekadenz des Kapitalismus beinhalten die imperialistischen Kriege die wachsende Bedrohung der Zerstörung der Menschheit.

5) Im heutigen Kapitalismus gibt es starke Tendenzen hin zu Chaos und Zerfall, obgleich, wie wir später sehen werden, das IBRP diesen Tendenzen nicht die gleiche Bedeutung beimißt wie die IKS.

Diese Elemente der Übereinstimmung spiegeln die gemeinsame Fähigkeit wider, die imperialistischen Kriege als den Gipfel der historischen Krise des Kapitalismus zu entblößen und zu bekämpfen und die Arbeiterklasse dazu aufzurufen, nicht zwischen zwei imperialistischen Wölfen zu wählen. Des weiteren die Fähigkeit, die Weltrevolution als die einzige Lösung für die Überwindung der blutigen Sackgasse aufzuzeigen, in die der Kapitalismus die Menschheit geführt hat, womit wir das pazifistische Opium bekämpfen und die kapitalistischen Lügen verwerfen, denen zufolge ‘wir jetzt dabei sind, die Krise zu überwinden’.

Diese Elemente, die der Ausdruck der gemeinsamen Tradition der Kommunistischen Linken sind, machen es notwendig und möglich, daß gegenüber Ereignissen von großer Tragweite wie der Krieg am Golf oder im ehemaligen Jugoslawien sich die Gruppen der Kommunistischen Linken gemeinsam äußern, die gegenüber der Arbeiterklasse die vereinigte Stimme der Revolutionäre zum Ausdruck bringen. Zu diesem Zweck schlugen wir innerhalb des Rahmens der Internationalen Konferenzen von 1977-80 eine gemeinsame Erklärung gegen den Afghanistankrieg vor, und wir beklagten, daß weder Battaglia Comunista noch die CWO (die kurze Zeit später das gegenwärtige Internationale Büro der Revolutionären Partei - IBRP gründeten)  dieser Initiative nicht zugestimmt hatten. Diese Initiativen sind keineswegs ein Vorschlag für einen vorübergehenden und opportunistischen Zusammenschluß, sondern Instrumente des Kampfes für die Abgrenzung und Klärung der Positionen innerhalb der Kommunistischen Linke, da sie einen konkreten und militanten Rahmen (das Engagement für die Arbeiterklasse gegenüber wichtigen Situationen der historischen Entwicklung darstellen) innerhalb dessen die Divergenzen ernsthaft diskutiert werden können. Dies war die Methode Marxens und Lenins: obwohl es in Zimmerwald viel größere Divergenzen gab als die gegenwärtig existierenden zwischen der IKS und dem IBRP war Lenin bereit, dem Manifest von Zimmerwald zuzustimmen. Gleichzeitig gab es zum Zeitpunkt der Gründung der Kommunistischen Internationale unter den Gründerparteien schwergewichtige Divergenzen nicht nur hinsichtlich der Analyse des imperialistischen Krieges sondern auch hinsichtlich Fragen wie die Ausnutzung des Parlamentes und der Gewerkschaften. Jedoch hinderte sie dies nicht daran, sich zusammenzuschließen und für die Revolution in den weltweiten revolutionären Kämpfen einzutreten. Dieser gemeinsame Kampf war kein [ii]Rahmen, um die Divergenzen zum Schweigen zu bringen, sondern im Gegenteil die militante Plattform, auf der nicht akademisch oder je nach sektiererischen Gelüsten diskutiert,  sondern diese ernsthaft aufgegriffen werden konnten.

Die Funktion des imperialistischen Krieges

Die Divergenzen zwischen dem IBRP und der IKS betreffen nicht die allgemeinen Ursachen des imperialistischen Krieges. Wir vertreten beide das gemeinsame Erbe der kommunistischen Linke und betrachten den imperialistischen Krieg als einen Ausdruck der historischen Krise des Kapitalismus. Die Divergenz taucht jedoch dann auf, wenn es darum geht, die Rolle des imperialistischen Krieges innerhalb des dekadenten Kapitalismus zu analysieren. Das IBRP meint, daß der imperialistische Krieg eine ökonomische Funktion erfüllt: er würde eine massive Entwertung des Kapitals erlauben, und somit die Möglichkeit eröffnen, daß der Kapitalismus in einen neuen Zyklus der Akkumulation eintritt. Dieses Einschätzung erscheint ganz logisch: denn gab es nicht vor dem Weltkrieg eine Weltwirtschaftskrise wie beispielsweise die von 1929? Da sie eine Überproduktionskrise von Menschen und Waren ist, ist da der imperialistische Krieg keine ‘Lösung’ mittels der Zerstörung im großen Maßstab von Arbeitern und Maschinen? Beginnt nicht von neuem der Wiederaufbau und wird damit nicht die Krise überwunden? Jedoch ist diese Einschätzung, die auf den ersten Blick so einleuchtend und kohärent erscheint, zutiefst oberflächlich. Sie greift einen Teil des Problems auf (in der Tat hat der dekadente Kapitalismus durch einen höllischen Zyklus von Krise-Krieg-Wiederaufbau - neuer Krise überlebt. Aber diese Einschätzung geht nicht auf den Kern des Problems ein. Der Krieg ist viel mehr als ein einfaches Mittel der Wiederherstellung des Zyklus der kapitalistischen Akkumulation. Und andererseits wird dieser Zyklus zutiefst deformiert, entartet und ist sehr weit davon entfernt, der klassische Zyklus der aufsteigenden Phase zu sein.

Diese oberflächliche Betrachtungsweise des imperialistischen Krieges hat schwerwiegende Auswirkungen für die militante Arbeit, die das IBRP nicht erkennt. Wenn der Krieg  in der Tat den Mechanismus der kapitalistischen Akkumulation wiederherstellt, sagt man damit tatsächlich, daß der Kapitalismus immer wieder durch den schmerzhaften und brutalen Prozeß des Kriegs immer wieder aus der Krise herauskommen könnte. Diese Auffassung wird ja im Grunde auch von der herrschenden Klasse vertreten: der Krieg sei eine schreckliche Angelegenheit, die keiner Regierung gefalle, aber er sei immerhin ein unvermeidbares Mittel, welches einen neuen Zeitraum von Frieden und Wohlstand eröffnet. Das IBRP entblößt solche Lügen, ist sich aber nicht bewußt, daß diese Entblößung durch seine Theorie des Krieges als ‘Mittel der Entwertung des Kapitals’ geschwächt wird. Um die gefährlichen Konsequenzen dieser Position zu begreifen, müßte das IBRP diese Erklärung der IKP (Programma) untersuchen:

Die Krise hat ihren Ursprung in der Unmöglichkeit der Fortsetzung der Akkumulation. Dies äußert sich, wenn das Wachstum der Produktionsmasse es nicht mehr schafft, den Fall der Profitrate auszugleichen. Die Masse der gesamten Mehrarbeit reicht nicht mehr, dem vorgeschossenen Kapital Profit zu garantieren, und um die Bedingungen für die Rentabilität der Investitionen zu schaffen. Durch die Zerstörung des konstanten Kapitals (tote Arbeit) in großem Maßstab spielt der Krieg eine wirtschaftlich wesentliche Rolle. Dank der schrecklichen Zerstörungen des Produktionsapparates ermöglicht der Krieg eine gewaltige zukünftige Ausdehnung zur Ersetzung der zerstörten Anlagen, also eine parallele Ausdehnung des Profits, des gesamten Mehrwerts, d.h. der Mehrarbeit... Die Bedingungen für den Wiederaufschwung sind somit hergestellt. Der Wirtschaftskreislauf fängt von neuem an... Das weltweite kapitalistische System tritt veraltet in den Krieg ein, aber verjüngt sich in dem Blutbad, durch das es eine neue Jugend erhält, insgesamt geht es daraus mit der Vitalität eines kräftigen Neugeborenen hervor’ (Programme Communiste, Nr. 90, S. 24- aus Internationale Revue Nr. 15, S. 13).

Zu behaupten, daß der Kapitalismus wieder seine Jugend zurückgewinnen kann, wenn es einen Weltkrieg gegeben hat, beinhaltet sehr klare revisionistische Folgen. Der Weltkrieg würde dadurch die Notwendigkeit der proletarischen Revolution nicht auf die Tagesordnung stellen, sondern den Wiederaufbau des Kapitalismus, der wieder zu seiner Anfangsphase zurückkehrt. Damit wird die Analyse der 3. Internationale verworfen, die eindeutig  in den ‘Richtlinien der Komintern’ von der ‘Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung’ sprach. ‘Die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats’. Dies bedeutet einfach und klar mit einer grundlegenden Position des Marxismus zu brechen. Der Kapitalismus ist kein ewig bestehendes System, sondern eine Produktionsform, deren historischen Grenzen diesem System einen Zeitraum der Dekadenz aufzwingen, in dem  die kommunistische Revolution auf der Tagesordnung steht. Wir zitierten und kritisierten in unserer Polemik zum Thema ‘Die Auffassung vom Krieg und der Dekadenz der IKP’ in der Internationalen Revue Nr. 15 & 78. Von dem IBRP wird dies außer Acht gelassen. Ja, in seiner Antwort scheint das IBRP Programma zu verteidigen, wenn das Büro behauptet:

‘Die Debatte der IKS mit den Bordigisten konzentriert sich auf den scheinbaren Standpunkt der Bordigisten, daß es keinen mechanischen kausalen Zusammenhang zwischen Krieg und dem Akkumulationszyklus gibt. Wir sagen ‘scheinbar’, denn die IKS zitiert wie üblich keine Textstelle um zu beweisen, daß die Bordigisten die Geschichte so schematisch auffassen. Wir neigen sogar noch viel weniger dazu, die Behauptung hinsichtlich von Programma Comunista zu akzeptieren, wenn wir sehen, wie sie unsere Auffassung interpretieren’ (ihre Antwort in ‘Die materiellen Grundlagen des imperialistischen Kriegs’, International Communist Review, Nr. 13, S. 29).

Das Zitat, das wir in der Internationalen Revue Nr. 15 brachten, spricht für sich selbst und belegt, daß es bei der Position der IKP (Programma) etwas mehr als nur ‘schematisches’ gibt. Wenn das Büro die Frage vermeidet und über unsere ‘schlechten Interpretationen’ jammert, dann geschieht das, weil  - auch wenn das Büro es nicht wagt, die verrückten Aussagen der IKP zu wiederholen - seine Zweideutigkeiten zu den gleichen Schlußfolgerungen führen: ‘Wir behaupten, daß die ökonomische Funktion des Weltkrieges, d.h. dessen Folgen für den Kapitalismus darin besteht, Kapital als ein notwendiger Auftakt für einen neuen Zyklus der Akkumulation zu entwerten’. (International Communist Review Nr. 13).

Diese Auffassung von der ‘ökonomischen Funktion des imperialistischen Krieges’ stammt von Bukarin. In seinem Buch ‘Imperialismus und Weltwirtschaft’, das er 1915 schrieb, und einen Beitrag zu Fragen wie Staatskapitalismus und der nationalen Befreiung lieferte, hatte sich jedoch ein wichtiger Fehler eingeschlichen, da er die imperialistischen Kriege als ein Instrument der kapitalistischen Entwicklung betrachtete. ‘Kann der Krieg somit den allgemeinen Gang der Entwicklung des Weltkapitals nicht aufhalten, drückt er im Gegenteil die maximale Ausdehnung des Zentralisationsprozesses aus... In seinen wirtschaftlichen Auswirkungen erinnert der Krieg in vielem an die industriellen Krisen, wobei er sich natürlich von diesen durch die größere Intensität der Erschütterungen und Verwüstungen unterscheidet’ (S. 166, Kapitel: Der Krieg und die wirtschaftliche Entwicklung).

Der imperialistische Krieg ist kein Mittel der Entwertung des Kapitals, sondern ein Ausdruck des historischen Prozesses der Zerstörung, der Sterilisierung der Produktionsmittel und des Lebens, die ein Merkmal des dekadenten Kapitalismus sind.

Zerstörung und Sterilisierung des Kapitals sind aber nicht gleichbedeutend mit Entwertung des Kapitals. In der aufsteigenden Phase des Kapitalismus gab es periodische, zyklische Krisen, die zu Perioden der Entwertung des Kapitals führten. Diese Bewegung wurde von Marx aufgezeigt:

‘Gleichzeitig mit dem Fall der Profitrate wächst die Masse der Kapitale, und geht Hand in Hand mit ihr eine Entwertung des vorhandnen Kapitals, welche diesen Fall aufhält und der Akkumulation von Kapitalwert einen beschleunigenden Antrieb gibt... Die periodische Entwertung des vorhandnen Kapitals, die ein der kapitalistischen Produktionsweise immanentes Mittel ist, den Fall der Profitrate aufzuhalten und die Akkumulation von Kapitalwert durch Bildung von Neukapital zu beschleunigen, stört die gegebnen Verhältnisse, worin sich der Zirkulations- und Reproduktionsprozeß des Kapitals vollzieht, und ist daher begleitet von plötzlichen Stockungen und Krisen des Produktionsprozesses’ (Das Kapital, 3. Band, III. Abschnitt, Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, 15.Kapitel, Entfaltung der inneren Widersprüche, II. Konflikt zwischen Ausdehnung der Produktion und Verwertung S. 259).

Aufgrund seines ihm eigenen Wesens bringt der Kapitalismus ständig sowohl in der aufsteigenden Phase wie in der Dekadenz eine Überproduktion hervor, und auf diesem Hintergrund sind diese blutigen Zeiträume für das Kapital notwendig, um mit größerer Kraft seine normale Produktions- und Zirkulationsbewegung der Waren wieder in Gang zu bringen.

In der aufsteigenden Phase führte jede Stufe der Entwertung des Kapitals zu einer Expansion auf höherer Stufenleiter der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Dies war möglich, weil der Kapitalismus in neue vorkapitalistische Gebiete vorstoßen konnte, die er in seine Produktionsverhältnisse eingliedern konnte, indem er sie den Verhältnissen der Lohnarbeit und der Warenwirtschaft unterwarf. Aus diesem Grund waren ‘die Krisen des 19. Jahrhunderts, welche Marx analysierte, damals noch Wachstumskrisen. Es handelte sich um Krisen, aus denen das Kapital gestärkt hervorging.... Nach jeder Krise gab es immer noch neue Märkte für die kapitalistischen Länder zu erobern (8).

In der dekadenten Phase des Kapitalismus setzen sich die Entwertungskrisen des Kapitals fort und werden mehr oder weniger zu chronischen Krisen (9). Jedoch zu diesem, dem Kapitalismus immanenten und seinem innersten Wesen entsprechenden Merkmal tritt noch eine andere Eigenschaft in der Phase der Dekadenz hinzu, die sich sozusagen aufzwingt, sie sozusagen überlagert und ein Ergebnis der schwerwiegenden Zuspitzung der Widersprüche der kapitalistischen Dekadenz ist: die Tendenz zur Zerstörung und Sterilisierung des Kapitals.

Diese Tendenz wird hervorgebracht durch die historische Sackgasse, in die der dekadente Kapitalismus geraten ist, und diese Phase kennzeichnet: ‘Was ist der imperialistische Weltkrieg? Es handelt sich um den Kampf mit Gewalt, den die verschiedenen kapitalistischen Gruppen führen müssen, nicht um neue Märkte zu erobern, und neue Rohstoffquellen zu erschließen, sondern um schon vorhandene unter sich aufzuteilen. Bei dieser Aufteilung gewinnen die einen auf Kosten der anderen. Der Krieg hat seine Wurzeln in der allgemeinen und ständigen Wirtschaftskrise, die grassiert und aufzeigt, daß das kapitalistische System auf das Ende seiner historischen Entwicklungsmöglichkeiten gestoßen ist’ (Der Renegat Vercesi, Mai 1944, in ‘Internationales Bulletin der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken Nr. 5). ‘Der dekadente Kapitalismus ist in der Phase, in der die Produktion nur unter der Voraussetzung weitergeführt werden kann, wenn sie die materielle Form von Produkten und Produktionsmitteln annimmt,  die kein Wachstum und  eine Erweiterung der Produktion mit sich bringen, sondern ihre Eindämmung und Zerstörung (ebenda).

In der Dekadenz hat sich das Wesen des Kapitalismus überhaupt nicht geändert. Der Kapitalismus bleibt weiterhin ein System der Ausbeutung, und er leidet auch noch in einem viel größeren Maße unter der Tendenz zur Entwertung des Kapitals - die gar zu einer ständigen Tendenz wird. Das Wesen der Dekadenz ist jedoch die historische Sackgasse des Systems, die diese starke Tendenz hin zu Zerstörung und Chaos hervorgebracht hat. ‘ Wenn es keine revolutionäre Klasse gibt,  die die historischen Möglichkeiten in sich trägt, um den Aufbau eines Wirtschaftssystems zu bewerkstelligen, das den historischen Notwendigkeiten entspricht, gerät die Gesellschaft und die Zivilisation in eine Sackgasse, wo der Zusammenbruch und die ständige Auflösung, das Auseinanderbrechen unvermeidbar sind. Marx zeigte das Beispiel einer ähnlichen historischen Sackgasse:  die  römischen und griechischen Zivilisationen der Antike. Engels wandte diese These auf die bürgerliche Gesellschaft an und kam zu der Schlußfolgerung, wenn das Proletariat unfähig wäre, dieses Problem zu lösen,  würden die Widersprüche, die in der Gesellschaft vorhanden sind, zu keinem anderen Ergebnis führen als zur Barbarei’(ebenda).

Die Position der Kommunistischen Internationale zum imperialistischen Krieg

Das IBRP will sich über die IKS lächerlich machen, wenn wir diesen Wesenszug des dekadenten Kapitalismus hervorheben: ‘Aus der Sicht der IKS reduziert sich alles auf Chaos und Zerfall, und damit brauchen wir uns nicht länger den Kopf darüber zerbrechen, eine detaillierte Untersuchung der Lage anzufertigen. Dies ist der Schlüssel ihrer Position’ (10). Wir werden auf diese Frage zurückkommen. An dieser Stelle möchten wir jedoch betonen, daß diese Beschuldigung der Vereinfachung, die der Meinung des IBRP nichts anderes als eine Verwerfung des Marxismus als eine Untersuchungsmethode der Wirklichkeit beinhaltet, ebenfalls an den 1. Kongress der Komintern, an Lenin, Rosa Luxemburg gerichtet werden muss.

Das Ziel dieses Artikels ist nicht, die Grenzen und Schwächen der Position der Komintern aufzuzeigen, wenn wir uns nicht vorher auf die klaren Aussagen dieser Position stützen. In den Grundsatztexten der Komintern gibt es klare Hinweise darauf, daß die Idee vom Krieg als eine Lösung der Wirtschaftskrise verworfen wird, wie auch die Auffassung, daß es einen Kapitalismus gäbe, der nach dem Krieg ‘wieder normal’ funktionierte, genau wie in den Akkumulationszyklen während der aufsteigenden Phase.

‘Die ‘Friedenspolitik’ der Entente enthüllt hier endgültig vor dem internationalen Proletariat das Wesen des Ententeimperialismus und des Imperialismus im allgemeinen. Gleichzeitig beweist sie, daß die imperialistischen Regierungen unfähig sind, einen ‘gerechten und dauernden’ Frieden zu schließen, und daß das Finanzkapital nicht imstande ist, die zerstörte Volkswirtschaft wiederherzustellen. Die weitere Herrschaft des Finanzkapitals würde entweder zur völligen Vernichtung der zivilisierten Gesellschaft oder zu einer Steigerung der Ausbeutung, der Versklavung, der politischen Reaktion, der Rüstungspolitik und schließlich zu neuen vernichtenden Kriegen führen’ (Die Kommunistische Internationale, 1919, Nr. 1, S. 51) Thesen über die internationale Lage und die Politik der Entente, angenommen auf dem 1. Kongreß der Komintern am 6.3. 1919).

Die Komintern hob deutlich hervor, daß das Kapital die zerstörte Wirtschaft nicht wiederherstellen kann, d.h. daß es nach dem Kriege keinen ‘normalen, gesunden’ Akkumulationszyklus herbeiführen kann, und daß das Kapital sich keine neue Jugend verschaffen kann, wie die IKP meint. Aber mehr noch: eine Rückkehr zu solch einer Wiederherstellung würde zutiefst geprägt und deformiert sein durch die Entwicklung der Rüstungsindustrie, einer reaktionären Politik und der Verschärfung der Ausbeutung. In dem Manifest des 1. Kongresses erklärt  die Komintern: ‘Die Verteilung der Rohstoffe, die Ausnutzung des Petroleums von Baku oder Rumänien, der Donezkohle, des ukrainischen Getreides, das Schicksal der deutschen Lokomotiven, Eisenbahnwagen, Automobile, die Versorgung des hungernden Europas mit Blut und Fleisch - all diese Grundfragen des wirtschaftlichen Lebens der Welt werden nicht durch den freien Wettbewerb, nicht durch Kombination nationaler und internationaler Trusts und Konsortien geregelt, sondern durch direkte Anwendung von militärischer Gewalt im Interesse ihrer weiteren Erhaltung. Hat die völlige Unterordnung der Staatsmacht unter die Gewalt des Finanzkapitals die Menschheit zur imperialistischen Schlachtbank geführt, so hat das Finanzkapital durch diese Massenabschlachtung nicht nur den Staat, sondern auch sich selbst vollends militarisiert und ist nicht mehr fähig, seine wesentlichen ökonomischen Funktionen anders als mittels Blut und Eisen zu erfüllen’ (Manifest an das Proletariat der ganzen Welt, angenommen auf dem 1. Kongreß der Komintern am 6.3.1919).

Die Perspektive, die die Komintern aufzeigt, ist die einer ‘Militarisierung der Wirtschaft’, und alle marxistischen Analysen fassen dies als einen Beweis für die Zuspitzung der kapitalistischen Widersprüche auf und nicht als deren Linderung und Abschwächung, egal wie stark sie zeitlich begrenzt sein mag. Das IBRP verwirft den Militarismus als ein Akkumulationsinstrument. Die Komintern betont ebenfalls, daß die Weltwirtschaft nicht mehr zu der Zeit des Liberalismus und auch nicht mehr zu den Trusts zurückkehren könnte. Schließlich wird hervorgehoben, daß der Kapitalismus nicht ‘mehr fähig ist, seine wesentlichen ökonomischen Funktionen anders als mittels Blut und Eisen zu erfüllen. Dies kann nur folgendermaßen verstanden werden. Nach dem Krieg kann der Mechanismus der Akkumulation nicht mehr normal funktionieren. Um dies zu tun, benötigt, er vielmehr Blut und Eisen. Die Komintern zeigte dann auch, daß die Perspektive in der Zeit nach dem Krieg vielmehr die einer Zuspitzung der Kriege war. ‘Die Opportunisten, die vor dem Weltkriege die Arbeiter zur Mäßigkeit im Namen des allmählichen Übergangs zum Sozialismus aufforderten, die während des Krieges Klassendemut im Namen des Burgfriedens und der Vaterlandsverteidigung verlangten, fordern wiederum vom Proletariat Selbstverleugnung zur Überwindung der entsetzlichen Folgen des Krieges. Fände diese Predigt bei den Arbeitermassen Gehör, so würde die kapitalistische Entwicklung auf den Knochen mehrerer Generationen in neuer, noch konzentrierterer und ungeheuerlicherer Form ihre Wiederaufrichtung feiern mit der Aussicht eines neuen, unausbleiblichen Weltkrieges’ (Manifest, ebenda,).

Es war eine historische Tragödie, daß die Komintern nicht dazu in der Lage war, diesen klaren Rahmen der Analyse weiter auszubauen, und daß sie in ihrer Niedergangsphase dieser Analyse widersprüchliche Aussagen insofern entgegensetzte, als sie die Auffassung entwickelte, daß der Kapitalismus wieder zu seiner Normalität zurückkehrte, und daß die Analyse des Niedergangs und der Barbarei des Systems nur mehr rhetorische Erklärungen waren. Die Aufgabe der Kommunistischen Linken besteht jedoch darin, die allgemeine Aussage, die die Komintern machte, zu vertiefen und voranzutreiben. Aus den oben erwähnten Zitaten geht hervor, daß die Schlußfolgerung nicht eine Orientierung war, wo der Kapitalismus in einen konstanten Zyklus von Akkumulation - Krise - Krieg - Entwertung - neue Akkumulation eingetreten ist, sondern in eine zutiefst geänderte Weltwirtschaft, die nicht dazu in der Lage ist, zu den Bedingungen der normalen Akkumulation zurückzukehren, sondern neuen Erschütterungen und Zerstörungen unterworfen ist.

Die Irrationalität des imperialistischen Krieges

Daß die Analyse der Kommunistischen Internationale (und damit die Position von Rosa Luxemburg und Lenin) unterschätzt wird, wird klar, wenn das IBRP unseren Begriff der Irrationalität des Krieges verwirft. ‘Aber der Artikel der IKS lenkt vom Thema ab durch den nächsten Kommentar, denn dies würde bedeuten, daß wir damit übereinstimmten, daß es ‘eine ökonomische Rationalität hinter dem Phänomen Weltkrieg’ gibt. Dies hieße, daß wir die Zerstörung von Werten als ein Ziel des Kapitalismus auffaßten, d.h. dies wäre die direkte Kriegsursache. Aber Ursachen sind nicht das gleich wie die Konsequenzen. Die herrschende Klasse der imperialistischen Staaten zieht aber nicht bewußt in den Krieg, um Kapital zu entwerten’ (15).

In der aufsteigenden Phase des Kapitalismus wurden die zyklischen Krisen nicht bewußt durch die herrschende Klasse hervorgerufen. Jedoch besaßen die zyklischen Krisen eine ‘ökonomische Rationalität’: sie erlaubten eine Entwertung des Kapitals, und infolgedessen einen Neuanfang der kapitalistischen Akkumulation auf einer neuen Ebene. Das IBRP meint, daß die Weltkriege der kapitalistischen Dekadenz eine Rolle der Entwertung des Kapitals und der Erneuerung der Akkumulation spielen. Das heißt, es schreibt den Kriegen eine ökonomische Rationalität der gleichen Art zu wie die zyklischen Krisen in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus.

Hier liegt genau der zentrale Fehler, und wie wir schon gegenüber der CWO vor 16 Jahren sagten, als wir in einem Artikel ‘Ökonomische Theorie und Kampf für den Sozialismus’ schrieben: ‘Wir können sehen, daß der Fehler Bukarins von der CWO in ihrer Analyse  wiederholt wird. Der CWO zufolge führt jede Krise  (durch den Krieg) zu einer Entwertung des konstanten Kapitals, wodurch die Profitrate gesteigert wird und der Zyklus von Wiederaufbau - Boom - Krise und Krieg erneut wiederholt werden kann’ (zitiert aus der Zeitung der CWO - Revolutionary Perspectives, Nr. 6, S. 18, Die Akkumulation der Widersprüche). Daher faßt die CWO die Krisen im dekadenten Kapitalismus in wirtschaftlichen Begriffen als die zyklischen Krisen des aufsteigenden Kapitalismus auf einer höheren Ebene auf’ (International Review, Nr. 16, S. 15). 

Das IBRP sieht den Unterschied zwischen aufsteigender und Niedergangsphase ausschließlich in dem Umfang und dem Ausmaß der periodischen Unterbrechungen des Akkumulationszyklus.

Die Kriegsursachen sind auf die Bemühungen der Bourgeoisie zurückzuführen, diese Kapitalwerte gegen die Rivalen zu verteidigen. Im aufsteigenden Kapitalismus spielten sich diese Rivalitäten hauptsächlich auf ökonomischer Ebene ab und zwischen rivalisierenden Betrieben. Diejenigen, die einen höheren Grad an Kapitalkonzentration durchsetzen konnten (die Tendenz des Kapitals zu Zentralisierung und Monopolbildung) waren dadurch in die Lage versetzt,... ihre Gegner in die Enge zu treiben. Diese Rivalitäten führten auch zu einer Überakkumulation von Kapital, die die Krisen im 10-Jahresrhythmus im 19. Jahrhunderten mit sich brachten. Die schwächeren Betriebe brachen zusammen, oder sie wurden von den stärkeren Rivalen übernommen. Das Kapital wurde in jeder Krise entwertet und eine neue Runde Akkumulation konnte beginnen, aber jedes Mal stiegen Konzentration und Zentralisierung des Kapitals... In der Epoche des Monopolkapitalismus jedoch hat die Konzentration die Ebene des Nationalstaates erreicht. Das Ökonomische und Politische sind jetzt eng miteinander in der imperialistischen oder dekadenten Stufe des Kapitalismus verwoben... In dieser Epoche ist für die Verteidigung der Kapitalwerte die Intervention des Staates selber erforderlich; damit werden die Rivalitäten zwischen den imperialistischen Mächten verschärft’ (S. 29-30). Infolgedessen ‘haben imperialistische Kriege nicht solch beschränkten Ziele (wie in der aufsteigenden Phase). Sobald die Bourgeoisie diese Kriege anfängt, gibt es nur einen Kampf um Zerstörung, Auslöschung, bis eine Nation oder ein Block von Nationen militärisch und wirtschaftlich zerstört ist. Die Folgen des Krieges sind dann, daß Kapital nicht nur physisch zerstört wurde, sondern daß es auch eine massive Entwertung von bestehendem Kapital gegeben hat’ (ebenda).

Geht man dieser Analyse auf den Grund, findet man einen starken Ökonomismus, der den Krieg nur als ein unmittelbares und mechanisches Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung auffaßt. In unserem Artikel in der Internationalen Revue Nr. 15 & 79 haben wir aufgezeigt, daß der Krieg eine globale ökonomische Wurzel hat (die historische Krise des Kapitalismus), daß man daraus nicht ableiten kann, daß jeder Krieg aus einem direkten ökonomischen Grund geführt werde. Das IBRP wollte hinter dem Golfkrieg eine ökonomische Erklärung suchen und argumentierte auf vulgäre ökonomistische Art und Weise, daß es sich um einen Krieg um die Erdölfelder handelte. Der Balkankrieg wird auch durch den Appetit seitens der Großmächte nach irgendwelchen Märkten erklärt (19). Es stimmt allerdings, daß unter dem Druck unserer Kritik und den empirischen Beweisen das IBRP diese Analyse korrigiert hat, aber es hat noch nicht geschafft, diesen vulgären Ökonomismus infragezustellen, demzufolge der Krieg eine unmittelbare und ökonomische ökonomische Wurzel habe (20).

Das IBRP verwechselt wirtschaftliche Konkurrenz  und imperialistische Rivalität, die nicht notwendigerweise gleich sind. Die imperialistische Rivalität hat als Hintergrund eine wirtschaftliche Situation mit einer allgemeinen Sättigung des Weltmarktes, aber das heißt nicht, daß man  als direkten Ursprung die reine Handelskonkurrenz nennen kann. Ihr Ursprung ist wirtschaftlich, strategisch und militärisch und darin bündeln sich politische und geschichtliche Faktoren.

In der aufsteigenden Phase hatten die Kriege (der nationalen oder kolonialen Befreiung) zwar ein globales ökonomisches Ziel (die Bildung von neuen Nationen oder die Ausdehnung des Kapitalismus mittels der Bildung von Kolonien), dennoch entstanden sie nicht direkt aus ökonomischer Konkurrenz. Der französisch-preußische Krieg beispielsweise hatte dynastische und strategische Wurzeln, aber er hatte keine unüberwindbare Wirtschaftskrise zum Hintergrund und auch keine besondere ökonomische Rivalität zwischen den beiden Kontrahenten. Das IBRP versteht diesen Punkt bis zu einem gewissen Punkt, wenn es schreibt:

‘Während es in den post-napoleanischen Kriegen im 19. Jahrhundert großes Elend und Gewalt gab (wie die IKS richtigerweise erkennt), lag der wirkliche Unterschied darin, daß für spezifische Ziele gekämpft wurde, die ermöglichten, schnelle und durch Verhandlungen erzielte Lösungen durchzusetzen. Die Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts hatte noch die programmatische Aufgabe der Zerstörung der Überreste der alten Produktionsweise und der Schaffung wirklicher Nationen (21). Darüber hinaus sieht das IBRP wohl den Unterschied zur dekadenten Phase: ‘Die Kosten der größeren kapitalistischen Entwicklung der Produktivkräfte waren nicht länger unvermeidbar. Ja, diese Kosten haben solche Ausmaße erreicht, daß sie drohen, das zivilisierte Leben sowohl kurzfristig (Umweltzerstörung, Hungersnöte, Völkermord) als auch langfristig (Weltkriege) zu zerstören’ (S. 31).

Die Feststellungen des IBRP sind richtig, und wir teilen sie voll und ganz, aber wir möchten eine einfache Frage stellen: was bedeutet es, daß die Kriege der Dekadenz ‘totale Ziele’ haben, und daß der Aufwand für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus schon soweit entwickelt ist, daß dies bis zur Zerstörung der Menschheit geht? Gab es solche Situationen der Erschütterungen und der Zerstörung, die das IBRP als qualitativ unterschiedlich von denen der aufsteigenden Phase betrachtet, in einer wirtschaftlichen Situation der normalen und ‘gesunden’
Reproduktion der Akkumulation des Kapitals in der aufsteigenden Phase?

Die tödliche Krankheit des dekadenten Kapitalismus sieht das IBRP nur in den Zeiten der Weltkriege, aber nicht in den scheinbar ‘normalen’ Zeiten, d.h. in den Zeiten, wo es dem IBRP zufolge eine Entwicklung des Zyklus der Akkumulation des Kapitals gibt. Dies führt das IBRP zu einem gefährlichen Zwiespalt: einerseits meinen sie, gebe es Zeiten der Entwicklung des normalen Zykluses der Kapitalakkumulation, wo es wirkliches wirtschaftliches Wachstum gibt, das ‘technologische Revolutionen’ hervorbringt und ein Anwachsen der Arbeiterklasse. In diesen Zeiten des vollen Funktionierens des Akkumluationszykluses scheint der Kapitalismus zu seinen Ursprüngen zurückzukehren, sein Wachstum scheint wieder Zahlen  wie in seiner Jugendzeit zu erzielen (das IBRP wagt dies nicht zu sagen, aber die IKP (Programa) behauptet dies offen). Auf der anderen Seite gibt es die Zeit der Weltkriege, wo die Barbarei des dekadenten Kapitalismus in all ihrer Brutalität und Gewalt deutlich ans Tageslicht tritt.

Dieser Zwiespalt erinnert stark an die Position von Kautsky und seiner These vom ‘Superimperialismus’. Einerseits erkannte Kautsky, daß der Kapitalismus nach dem 1. Weltkrieg in eine Phase eingetreten war, in der es große Katastrophen und Erschütterungen geben könnte, aber er behauptete gleichzeitig, daß es eine ‘objektive’ Tendenz zur höchsten Konzentration des Kapitalismus hin zu einem imperialistischen Trust gäbe, wodurch der Kapitalismus friedlich werden könnte.

In dem Vorwort zu dem eingangs zitierten Buch von Bukarin (Weltwirtschaft und Imperialismus) legte Lenin diesen zentristischen Widerspruch Kautskys bloß:

Kautsky hatte das Versprechen gegeben, Marxist zu sein in der herannahenden akuten Katastrophenepoche, die er in seinem 1909 beschriebenen Werk über diese Epoche mit aller Bestimmtheit hatte prophezeien und positiv ins Auge fassen müssen. Heute, da bereits absolut feststeht, daß diese Epoche angebrochen ist, gibt Kautsky abermals nur das Versprechen, in einer zukünftigen, - wer weiß, ob überhaupt realisierbaren - Epoche des Ultraimperialismus Marxist zu sein! Kurz und gut - Versprechungen, soviel ihr wollt: in einer anderen Epoche Marxist zu sein, aber nur nicht heute, nur nicht unter den gegenwärtigen Bedingungen, nur nicht zu dieser Stunde’ (Lenin, Dez. 1915, S. 10)

Wir wollen damit nicht behaupten, daß das gleiche mit dem IBRP passiert. Sie halten stark fest an der Analyse der Dekadenz, wenn sie von den Kriegszeiten sprechen, während sie in den Zeiten der Akkumulation mit einer Analyse aufwarten, die Konzessionen an die bürgerlichen Lügen vom ‘Wachstum’ und ‘Wohlstand’ dieses Systems macht.

Die Unterschätzung der Tragweite des Prozesses des Zerfalls des Kapitalismus

Diese Tendenz, die marxistische Analyse der Dekadenz nur hinsichtlich der Zeit der Weltkriege zu verteidigen, erklärt die Schwierigkeit des IBRP, die gegenwärtige historische Phase des Kapitalismus zu begreifen:

‘ Seit ihrer Gründung vor 20 Jahren hat die IKS ein konsistentes Verhalten: sie hat alle Versuche abgelehnt zu untersuchen, wie die Kapitalisten bislang mit der Krise umgegangen sind. Die IKS scheint zu meinen, daß jeder Versuch, die besonderen historischen Aspekte der jetzigen Krise zu analysieren, gleich bedeutet zu sagen, daß der Kapitalismus die Krise überwunden hat. Dies ist aber nicht der Fall. Die Marxisten müssen jetzt begreifen, warum die gegenwärtige Krise die Dauer der großen Depression von 1873-1896 übertrifft. Während diese große Krise zu einer Zeit auftrat, als der Kapitalismus in seine Monopolphase eintrat, und während diese Krise noch durch eine ökonomische Entwertung überwindbar war, bedroht die heutige Krise die Menschheit mit einer viel größeren Katastrophe’ (Antwort des IBRP S. 34).

Das IBRP scheint sicher zu sein, behaupten zu können, die IKS habe auf eine Untersuchung der gegenwärtigen Krise verzichtet. Das IBRP kann sich davon überzeugen, wenn es die Artikel liest, die wir regelmäßig in jeder Nummer unserer Internationalen Revue veröffentlichen, wobei wir die Krise in all ihren Aspekten untersuchen. Aus unserer Sicht ist die 1967 wieder offen aufgebrochene Krise eine chronische und ständige Krise des Kapitalismus in seiner Niedergangsphase. Sie stellt eine große, immer weniger kontrollierbare  Fessel für den kapitalistischen Akkumulationsprozeß dar.  Die ‘spezifischen Aspekte’ der gegenwärtigen Krise sind zurückzuführen auf die verschiedenen Versuche des Kapitals, mittels der verstärkten Staatsintervention, die Flucht in die Verschuldung und die monetären und kommerziellen Manipulationen zu versuchen, eine unkontrollierbare Explosion ihrer zutiefst verwurzelten Krise zu verhindern. Gleichzeitig wird das Scheitern dieser Lösungen und der entgegengesetzten Wirkungen deutlich, wie sie alle die unheilbare Krankheit des Kapitalismus nur noch verschlimmern.

Das IBRP stellt als ‘große Aufgabe’ der Marxisten die Erklärung der langen Dauer der Krise dar. Es überrascht uns nicht, daß das IBRP sich über die lange Dauer dieser Krise wundert, weil die Genossen des IBRP  das grundlegende Problem nicht verstehen. Es gibt zur Zeit nämlich nicht das Ende eines Akkumulationszyklus, sondern eine historische Situation der Sackgasse, eine blockierte Lage, wo die Akkumulationsmechanismen zutiefst umgewälzt werden. Es handelt sich um eine Situation, in der der Kapitalismus seine wesentlichen ökonomischen Funktionen - wie die Komintern sagte - nur noch durch Eisen und Blut aufrechterhalten kann.

Das Kernproblem des IBRP bringt sie wieder einmal dazu, sich ironisch über unsere Position zur gegenwärtigen historischen Situation des Chaos und des Zerfalls des Kapitalismus zu äußern. ‘Während wir damit einverstanden sein können, daß es Tendenzen zum Zerfall und zum Chaos gibt (seitdem der Akkumulatinoszyklus seit  20 Jahren zu Ende gegangen ist, ist es schwierig sich vorzustellen, wie es anders sein könnte), kann dies jedoch kein Anlaß sein, dies als Slogan zu verwenden, um eine konkrete Analyse der gegenwärtigen Ereignisse zu umgehen’ (24).

Wie man sieht, befaßt sich das IBRP lieber mit unserer angeblichen ‘Vereinfachung’, eine Art ‘intellektueller Faulheit’, die sich in radikale Parolen flüchtet über den Ernst der Lage und das Chaos im Kapitalismus, damit man keine konkrete Untersuchung der Wirklichkeit vornimmt.

Die Sorge des IBRP ist richtig. Marxisten müssen sich und werden sich damit befassen müssen (dies ist eine unserer Aufgaben im Kampf der Arbeiterklasse), die Ereignisse in ihren Einzelheiten zu untersuchen anstatt rhetorische Verallgemeinerungen zu produzieren im Stile eines Longuets, der dies mit seinem ‘orthodoxen Marxismus’ in Frankreich betrieb, oder allgemeinen anarchistischen Aussagen zu verfallen, die vielen passen, aber in entscheidenden Augenblicken zu opportunistischen Abweichungen, wenn nicht gar zu offenem Verrat führen.

 

Aber um eine konkrete Untersuchung der Ereignisse anzufertigen, ist es notwendig, einen klaren globalen Rahmen zu haben - und da stößt das IBRP auf Schwierigkeiten. Da es den Ernst der Lage und die Tragweite der Erschütterungen, der Widersprüche des Kapitalismus in den ‘normalen’ Zeiten der Phase des Zyklus der Akkumulation nicht versteht, begreift es auch nicht den Prozeß des Zerfalls und des Chaos im Weltkapitalismus, und warum sich dieser Prozeß seit 1989 seit dem Zusammenbruch des Ostblocks beschleunigt hat.

Das IBRP sollte sich an den jämmerlichen Unfug erinnern, den sie sagten, als die stalinistischen Regime zusammenbrachen. Sie spekulierten damals über die neu entstandenen ‘phantastischen Märkte’, die diese Ruinen dem Westen bieten würden und glaubten, daß dadurch eine Abschwächung der kapitalistischen Krise möglich sein werde. Seitdem hat das IBRP in Anbetracht der empirischen Beweise und aufgrund unserer Kritik seine Position hierzu geändert. Dies ist sehr gut und zeigt sein Verantwortungsbewußtsein und Ernsthaftigkeit gegenüber der Arbeiterklasse. Aber das IBRP muß dennoch zum Kern des Problems vorstoßen: warum solche Fehltritte? Warum mußte das IBRP erst seine Einschätzung nach Erkenntnis der Ereignisse selber ändern? Welche Avantgarde ist das, die erst durch den Lauf der Ereignisse dazu gebracht wird, ihre Position zu ändern, anstatt diese Ereignisse vorherzusehen? Das IBRP sollte aufmerksam die Texte lesen, in denen wir die allgemeine Entwicklung des Kapitalismus und seines Zerfalls aufzeigen (25). Dann könnte das IBRP sehen, daß wir keine ’Vereinfachungen’ betreiben, sondern daß es eine Langsamkeit und Inkohärenz bei der Analyse des IBRP gibt.

Diese Probleme werden erneut ersichtlich bei der folgenden Spekulation des IBRP: ‘Wenn ein weiterer Beweis des Idealismus der IKS erforderlich wäre, ihre letzte Beschuldigung gegen das Büro ist, daß wir keine ‘einheitliche und globale Auffassung vom Krieg’ haben, wodurch eine ‘Blindheit und Unverantwortung’ (sic) entsteht und wir ‘nicht begreifen, daß der nächste Krieg nichts anders als die vollständige Zerstörung des Planeten’ bedeuten würde. Die IKS mag recht haben, obgleich wir gerne die wissenschaftliche Grundlage gesehen hätten, auf die sie sich bei dieser Aussage stützt. Wir unsererseits haben immer gesagt, daß der nächste Krieg ‘die Fortsetzung der Existenz der Menschheit’ infragestellt. Aber es gibt keine Sicherheit darüber, daß alles ausgelöscht werden wird. Der nächste imperialistische Krieg mag tatsächlich zur endgültigen Zerstörung der Menschheit führen. Es gibt Massenvernichtungswaffen, die in bisherigen Kriegen noch nicht zum Einsatz kamen (z.B. biologische und chemische Waffen), und es gibt keine Garantie, daß ein nukleares Holocaust das nächste Mal den ganzen Planeten treffen würde. Tatsächlich sehen die gegenwärtigen Kriegsvorbereitungen der imperialistischen Mächte den Abbau von Massenvernichtungsmitteln vor, während sog. konventionelle Waffen weiter entwickelt werden. Selbst die Bourgeoisie begreift, daß ein zerstörter Planet für niemanden etwas wert ist (selbst wenn die Kräfte, die zum Krieg führen und das Wesen des Krieges letzten Endes außer ihrer Kontrolle sind)’ (S. 35-36).

Das IBRP sollte ein wenig aus der Geschichte lernen. Im 1. Weltkrieg benutzten alle Räuber diese zerstörerischen Kräfte, wobei sie gleichzeitig immer mörderischere Waffensysteme entwickelten. Nachdem Deutschland im 2. Weltkrieg schon besiegt war, beschloß man die Flächenbombardierungen von Dresden und anderen Städten, wobei Brandbomben und Streubomben zum Einsatz kamen, und die USA warfen die Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki, nachdem Japan schon besiegt war. Seitdem übertrafen die Bombardierungen von Hanoi 1971 an einem Abend all die Bombenangriffe, die 1945 auf Deutschland geflogen worden waren. Die Flächenbombardierungen von Bagdad im Jahre 1991 übertrafen dann wiederum den traurigen Rekord von Hanoi. Im gleichen Golfkrieg wurden dann neue chemische und atomare konventionelle Waffen an US-amerikanischen Soldaten von den USA ausprobiert. Es ist mittlerweile bekannt geworden, daß die USA in den 50er Jahren an der eigenen Bevölkerung Experimente mit bakteriologischen Waffen vornahmen. In Anbetracht dieser Massen an Beweisen zeigt das IBRP, das diese Informationen in jeder bürgerlichen Publikation finden kann, eine Unehrlichkeit und Ignoranz, wenn es über den Grad der Kontrolle der Bourgeoisie über ihre Waffensysteme spekuliert, über deren ‘Interesse’, ein vollständiges Holocaust zu vermeiden. Selbtmörderisch träumt das IBRP davon, daß ‘weniger zerstörerische Waffen eingesetzt würden’, obgleich die letzten 80 Jahre zeigen, daß genau das Gegenteil der Fall ist.

Bei dieser sinnlosen Spekulation begreift das IBRP nicht nur nicht die Theorie, sondern verschließt die Augen vor der niederschmetternden und unleugbaren Beweiskraft der Tatsachen. Es muß das schwerwiegende und revisionistische Wesen dieser stupiden Illusionen der machtlosen Kleinbürger begreifen, die sich wie an einem Strohhalm an der Idee festhalten, daß ‘gar die Bourgeoisie begreift, daß ein zerstörter Planet niemandem nützt’.

Das IBRP muß seinen Zentrismus überwinden, seine Schwankungen zwischen einer kohärenten Position zum Krieg und zur Dekadenz des Kapitalismus und seinen spekulativen Theoretisierungen, die wir kritisiert haben, vom Krieg als ein Mittel der Entwertung des Kapitals und der Erneuerung des Akkumulationszykluses. Diese Fehler bewirken, daß das IBRP selbst nicht seine eigene Analyse ernst nimmt und sie als ein kohärentes Instrument einsetzt. So schreibt das IBRP: ’die Kräfte, die zum Krieg führen und das Wesen des Krieges stehen letztendlich außerhalb der Kontrolle der Bourgeoisie’.

Für das IBRP ist dieser Satz ein rein rhetorischer Einschub. Aber wenn das Büro wirklich der Methode und der Arbeit der Kommunistischen Linke treu sein und die geschichtliche Wirklichkeit begreifen will, müßte dieser Satz als Kompaß bei der Analyse wirken, Achse ihres Denkens sein, um konkret die Tatsachen und die historischen Tendenzen des heutigen Kapitalismus zu begreifen.

Adalen   27.05.95


[1]In seiner Antwort geht das IBRP auch auf andere Fragen ein wie eine besondere Auffassung zum Staatskapitalismus, die wir hier nicht behandeln.

[2]Siehe Internationale Revue Nr. 15 ‘Die Verwerfung der Auffassung der Dekadenz führt zur Schwächung der Arbeiterklasse gegenüber dem Krieg.


[i][i]In seiner Antwort geht das IBRP auch auf andere Fragen ein wie eine besondere Auffassung zum Staatskapitalismus, die wir hier nicht behandeln.

[i]Siehe Internationale Revue Nr. 15 ‘Die Verwerfung der Auffassung der Dekadenz führt zur Schwächung der Arbeiterklasse gegenüber dem Krieg.

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