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Verschiedene Artikel der IKS über die weltweiten Jugendproteste der letzten Zeit haben eine lebhafte Debatte auf unserer Webseite ausgelöst in Form von Kommentaren zu unseren Artikeln und zu unseren Kommentaren zu den Kommentaren. Es geht bei dieser Debatte zum bedeutenden Teil um die Frage, wie man die Klassennatur von solchen Bewegungen überhaupt einschätzt. Wir haben uns dafür ausgesprochen, dass man sowohl objektive wie auch subjektive Kriterien hierzu anwenden sollte, um zu einer richtigen Einschätzung zu kommen, d.h. man sollte sowohl die Rolle der Akteure in der kapitalistischen Wirtschaft ebenso in Betracht ziehen wie ihren Bewusstseinsstand, ihre angewandten Kampfmethoden, ihre aufgestellten Forderungen. Darüber hinaus argumentierten wir, dass das eventuelle Zustandekommen eines kommunistischen Bewusstseins und einer revolutionären Situation das Vorhandensein und Zusammenkommen von objektiven und subjektiven Faktoren zur Voraussetzung hätte.
Verschiedene Artikel der IKS über die weltweiten Jugendproteste der letzten Zeit haben eine lebhafte Debatte auf unserer Webseite ausgelöst in Form von Kommentaren zu unseren Artikeln und zu unseren Kommentaren zu den Kommentaren. Es geht bei dieser Debatte zum bedeutenden Teil um die Frage, wie man die Klassennatur von solchen Bewegungen überhaupt einschätzt. Wir haben uns dafür ausgesprochen, dass man sowohl objektive wie auch subjektive Kriterien hierzu anwenden sollte, um zu einer richtigen Einschätzung zu kommen, d.h. man sollte sowohl die Rolle der Akteure in der kapitalistischen Wirtschaft ebenso in Betracht ziehen wie ihren Bewusstseinsstand, ihre angewandten Kampfmethoden, ihre aufgestellten Forderungen. Darüber hinaus argumentierten wir, dass das eventuelle Zustandekommen eines kommunistischen Bewusstseins und einer revolutionären Situation das Vorhandensein und Zusammenkommen von objektiven und subjektiven Faktoren zur Voraussetzung hätte.
In seinem Kommentar zu diesem Beitrag vertritt Bruno nun den Standpunkt, dass die objektiven Bedingungen (sprich die Krisen und Katastrophen des Kapitalismus) niemals von alleine eine revolutionäre Situation und ein revolutionäres Bewusstsein schaffen werden. „Die Krise wird es nicht richten und nicht das kollektive Bewusstsein für die richtigen Schlüsse der Arbeiterklasse erzeugen“, so Bruno.
Wir sind damit einverstanden. Es war eine der fatalsten Schwächen der Sozialistischen Internationalen, welche das Versagen dieses Organs gegenüber dem Ersten Weltkrieg ermöglichte, an eine Unvermeidbarkeit des Sozialismus geglaubt zu haben, welcher sich gewissermaßen als Ergebnis der Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus wie ein Naturgesetz realisiert. Demgegenüber haben zunächst Friedrich Engels und dann Rosa Luxemburg die Alternative aufgestellt: Sozialismus oder Barbarei. Diese Alternative schließt die Möglichkeit ein, dass die Arbeiterklasse im Kampf um eine klassenlose Gesellschaft letztendlich versagen kann. In diesem Fall hätte sich die zentrale Arbeitshypothese des Marxismus – dass das Proletariat imstande ist, den Kapitalismus zu überwinden – nicht bewahrheitet. Es schließt ebenfalls die Erkenntnis ein, dass nicht alle objektiven Faktoren der Krise des niedergehenden Kapitalismus für die Realisierung des Sozialismus günstig sind. Dazu zählt nicht zuletzt das schiere Ausmaß der Zerstörung (auch der inneren Zerstörung im Menschen selbst), welche das System anrichtet.
Bruno’s Pochen auf der Unabdingbarkeit der subjektiven Faktoren, der Entwicklung des Bewusstseins oder des revolutionären Willens, ist somit mehr als berechtigt. Wir haben dies aber auch nicht bestritten. Uns ging es um die notwendige Einheit zwischen den objektiven und subjektiven Bedingungen. Ohne revolutionäre Organisation, ohne die Entwicklung von Klassenbewusstsein, ohne die „Schule des Kommunismus“ kann es keinen revolutionären Ansturm geben. Aber ohne objektive Erschütterung des Systems, ohne Wirtschaftskrise und andere Katastrophen, ohne Massenverelendung des Proletariats auch nicht. Fehlt auch nur einer dieser Faktoren, so kann es keine Revolution geben.
Bruno scheint mit diesem Gedanke zu hadern. Es will uns scheinen, dass er beide Faktoren nicht als Einheit sieht, sondern sie gegeneinander zu stellen geneigt ist. Er schreibt: „Es stellt sich vielmehr die Frage, benötigt die Menschheit das Drama der Exzesse von Gewalt und Verarmung, um ein Bewusstsein für eine sozialistische und demokratische Gesellschaft zu erlangen.“
Zur Zeit der Sozialistischen Internationalen gab es neben der Idee von der „Unvermeidbarkeit des Sozialismus“ einen anarchistischen Gegenpart. Dessen Idee war, dass die Revolution keine andere Voraussetzung kennt als die subjektive, als die Entwicklung des Bewusstseins, als den Willen und den Entschluss, den Kapitalismus zu stürzen. Folgerichtig glaubte diese Denkrichtung, dass die Revolution jederzeit losbrechen kann, etwa in Form eines Generalstreiks, wenn nur genügend Massen dafür sind. Dies lässt aber die Frage offen, wie es möglich ist, dass die große Masse der Proletarier zu einem revolutionären Bewusstsein gelangt. Allein durch die Propaganda der Revolutionäre? In dieser Sichtweise ist der wissenschaftliche Anspruch des Marxismus, demzufolge der Sozialismus selbst ein Produkt des Kapitalismus und dessen Widersprüche ist, demzufolge das Proletariat nicht eine künftige Gesellschaft aus dem blauen Dunst ausheckt, sondern dass das Proletariat die Hebamme, die Geburtshelferin, der klassenlosen Gesellschaft darstellt, aufgegeben. Der Sozialismus wird wieder zu einer Utopie. Und so drehte sich die Debatte zwischen Sozialdemokraten und Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten vor dem Ersten Weltkrieg sinnlos im Kreis. Man warf sich gegenseitig, und zurecht, entweder Fatalismus oder Utopismus vor, anstatt zu erkennen, wie Rosa Luxemburg oder Lenin es taten, dass nur das Zusammenkommen von gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und revolutionärer Subjektivität der Klasse zur Revolution führt. Mit anderen Worten: Einerseits muss das Proletariat durch wachsende Unsicherheit und wachsendes Elend zu einer Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit und Möglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft „gezwungen“ werden. Aber diese Revolution siegt nicht zwangsläufig, sondern nur wenn die Klasse die Notwendigkeit der Revolution versteht und bejaht. Das Proletariat wird gezwungen, aber es muss auch können und wollen! Und warum ist das so? Weil wir noch in der „Vorgeschichte der Menschheit“ leben, noch nicht im „Reich der Freiheit“, um Formulierungen von Engels zu gebrauchen. Und dennoch wäre die proletarische Revolution der erste große Schritt in dies Reich der Freiheit. Denn Freiheit bedeutet nicht Willkür, sondern die Fähigkeit, das, was notwendig ist, zu erkennen und es freiwillig und mit Überzeugung zu tun.
Wir haben zumindest den Eindruck, dass Genosse Bruno ziemlich sauer auf die Arbeiterklasse ist, da sie offenbar den Stachel der Verelendung braucht, um für die Interessen der Menschheit zu kämpfen.
„Der Wunsch an dem Konsum und Erwerb ihres eigenen Arbeitsproduktes teilnehmen zu können treibt die Menschen in die Lohnarbeit und der Klassenkampf verbleibt innerhalb der legalistischen Formen juristischer Eigentumstitel, der lediglich der reproduktiven Verteilung des Arbeitsproduktes dient, der Aufrechterhaltung der Konsumfähigkeit der Arbeiterklasse“.
Als Beschreibung des Systems der Lohnsklaverei klingt das sogar ein wenig beschönigend. Statt „Wunsch an dem Konsum und Erwerb ihres Arbeitsproduktes teilnehmen zu können“ könnte man auch schreiben, dass es der Hunger ist, die indirekte, weil ökonomische Gewalt, die radikale und blutige Trennung von den Produktionsmittel, welche die Menschen in die Lohnarbeit treibt. Bruno spricht vom Konsum „ der Lebensmittel, von dem der individuelle Arbeiter versucht möglichst viel abzubekommen. Darin unterscheidet er sich um nichts von anderen Subjekten.“ Das klingt merkwürdig vorwurfsvoll, als ob die Lohnabhängigen sich auch noch ihres „Konsums“ schämen müssten. Warum übrigens unterscheidet sich der Kampf der Proletarier um ihre Lebensmittel, sprich um ihr Überleben, „in nichts“ von der Revenue, vom Protz und Luxus der herrschenden Klasse?
Es gibt Leute, die dem Proletariat sogar moralische Vorwürfe machen, weil sie ihre Arbeitskraft an den Kapitalisten verkaufen, anstatt die Revolution zu machen. Wenn man aber versteht, dass das ein bitterer Zwang ist, dass es immer nur kleine (und immer kleiner werdende) Minderheiten sein werden, welche diesen Zwang austricksen können, um ihrem individuellen „Kampf gegen die Arbeit“ zu fronen, so hat man mehr Verständnis dafür, dass diese Masse der Lohnabhängigen nur wagen kann, offen gegen das System aufzutreten und an eine revolutionäre Alternative zu denken, wenn es die Geborgenheit der Massenkämpfe, der Kampfgemeinschaft erfährt. Und das geht ohne die Stachel des Elends und der Unsicherheit nicht.