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Die Losung „Den Kapitalismus demokratisieren“, die bei der Besetzung von St. Paul auf dem Gelände der Universität von Tent City aufkam, löste scharfe Debatten aus, die letztendlich dazu führten, dass das Banner mit dieser Losung entfernt wurde.
Dieser Ausgang zeigt, dass die Besetzungen von St. Paul, UBS und anderswo den Boden für sehr fruchtbare Diskussionen unter all jenen geschaffen haben, die mit dem gegenwärtigen gesellschaftlichen System unzufrieden sind und nach einer Alternative Ausschau halten. „Den Kapitalismus demokratisieren“ ist keine wirkliche Option, spiegelt aber die Auffassung vieler Menschen wider, die sich an den Besetzungen und Treffen beteiligten, die sie generiert haben. Immer wieder wird der Gedanke verbreitet, dass der Kapitalismus menschlicher gestaltet werden könnte, wenn die Reichen mehr Steuern zahlen, wenn die Banker ihre Boni verlieren, wenn die Finanzmärkte besser kontrolliert werden oder wenn der Staat die Wirtschaft mehr in die eigenen Hände nehmen würde.
Selbst Spitzenpolitiker springen auf diesen Zug auf. Cameron will den Kapitalismus moralischer machen, Clegg möchte, dass die ArbeiterInnen sich mehr Aktien aneignen können, Miliband ist gegen den „Raubtierkapitalismus“ und will mehr staatliche Regulierung.
Doch all das, was da von den Politikern des Kapitals kommt, ist nur leeres Geschwätz, eine Nebelkerze, die uns daran hindern soll zu sehen, was Kapitalismus ist und was nicht.
Der Kapitalismus ist ein ganz eigenes Stadium in der Geschichte der menschlichen Zivilisation. Er ist die letzte in einer Reihe von Gesellschaften, die auf der Ausbeutung der Mehrheit durch eine Minderheit fußen. Er ist die erste menschliche Gesellschaft, in der die gesamte Produktion von dem Bedürfnis angetrieben wird, einen Profit auf dem Markt zu erzielen. Er ist daher die erste Klassengesellschaft, in der all die Ausgebeuteten ihre Fähigkeit zu arbeiten, ihre „Arbeitskraft“, an die Ausbeuter verkaufen müssen. Während also im Feudalismus die Leibeigenen mit Gewalt dazu gezwungen wurden, ihre Arbeit bzw. ihre Produkte direkt an den Fronherrn abzuliefern, wird uns im Kapitalismus die Arbeitszeit auf subtilere Weise, durch das Lohnsystem, genommen.
Es macht daher keinen Unterschied, ob die Ausbeuter in Gestalt privater Bosse oder als Funktionäre der „Kommunistischen Partei“ wie in China oder Nordkorea organisiert sind. Solange Lohnarbeit existiert, herrscht der Kapitalismus. Wie Marx es formuliert hatte: „Das Kapital setzt also die Lohnarbeit, die Lohnarbeit setzt das Kapital voraus“ (Lohnarbeit und Kapital).
Der Kapitalismus ist in seinem Innersten das gesellschaftliche Verhältnis zwischen der Klasse der LohnarbeiterInnen (die die Arbeitslosen miteinschließt, da die Arbeitslosigkeit Teil der Bedingungen jener Klasse ist) und der ausbeutenden Klasse. Der Kapitalismus ist der entfremdete Reichtum, der von den ArbeiterInnen produziert wird – einer Kraft, die von ihm selbst geschaffen wurde, die ihm aber als unerbittlicher Feind gegenübersteht.
Kapitalismus ist Krise
Doch auch wenn die Kapitalisten von diesem Arrangement profitieren, können sie es nicht wirklich kontrollieren. Das Kapital ist eine unpersönliche Kraft, die sich letztendlich ihrem Zugriff entzieht und sie gar beherrscht. Daher ist die Geschichte des Kapitalismus eine Geschichte der wirtschaftlichen Krisen. Und seitdem der Kapitalismus zu einem globalen System geworden ist, rund um den Beginn des 20. Jahrhunderts, ist die Krise mehr oder weniger permanent geworden, ob sie nun die Form eines Weltkriegs oder einer weltweiten Depressionen annimmt.
Und gleich welche Wirtschaftspolitik, die die herrschende Klasse und ihre Staaten ausprobieren, ob Keynesianismus, Stalinismus oder staatlich gestützter „Neoliberalismus“, die Krise wurde nur tiefer und unlösbarer. Verzweifelt ob der ökonomischen Sackgasse, verfangen sich die verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse und die mannigfaltigen Nationalstaaten, in denen sie organisiert ist, in einer Spirale der gnadenlosen Konkurrenz, militärischen Konflikten und ökologischen Verwüstungen, die sie zwingen, immer „unmoralischer“ und „räuberischer“ auf ihrer Jagd nach Profiten und strategischen Vorteilen zu werden.
Die kapitalistische Klasse ist der Kapitän eines sinkenden Schiffs. Niemals war die Notwendigkeit, sie ihres Kommandos über den Planeten zu entheben, drängender wie heute.
Doch dieses System, der extremste Ausdruck der Entfremdung des Menschen, hat auch die Möglichkeit einer neuen und wahrhaft menschlichen Gesellschaft geschaffen. Es hat Wissenschaften und Technologien in Bewegung gesetzt, die zum Nutzen aller umgewandelt und verwendet werden könnten. Es hat daher die Möglichkeit eröffnet, dass die Produktion direkt auf den Konsum ausgerichtet werden kann, ohne die Vermittlung durch das Geld oder den Markt. Es hat den Globus vereint oder zumindest die Voraussetzungen für seine wahre Vereinigung geschaffen. Es hat es somit plausibel gemacht, das gesamte System der Nationalstaaten mit ihren pausenlosen Kriegen abzuschaffen. Zusammengefasst hat es den alten Traum einer menschlichen Weltgemeinschaft sowohl notwendig als auch möglich gemacht. Wir nennen diese Gesellschaft Kommunismus.
Für die ausgebeutete Klasse, die Klasse der Lohnarbeit, gibt es kein Interesse daran, Illusionen über das System zu hegen, mit dem sie konfrontiert ist. Sie ist der potenzielle Totengräber dieser Gesellschaft und der Erbauer einer neuen. Doch um dieses Potenzial zu realisieren, muss sie sich vollkommen im Klaren darüber sein, für und gegen was sie kämpft. Die Ideen über die Reformierung oder „Demokratisierung“ des Kapitals sind so viele Hindernisse auf dem Weg zu dieser Klarheit.
Kapitalismus und Demokratie
Als könne man den Kapitalismus menschlicher gestalten, behauptet heutzutage jedermann für die Demokratie zu sein, möchte jedermann eine demokratischere Gesellschaft. Und deshalb können wir die Idee der Demokratie nicht für bare Münze nehmen, wie irgendeine abstrakte Idee, dem wir alle zustimmen können. Wie der Kapitalismus hat die Demokratie eine Geschichte. Als ein politisches System konnte die Demokratie im antiken Athen mit der Sklaverei und unter Ausschluss der Frauen koexistieren. Unter dem Kapitalismus kann die parlamentarische Demokratie mit dem Machtmonopol einer kleinen Minderheit koexistieren, die sich nicht nur den wirtschaftlichen Reichtum, sondern auch die ideologischen Mittel angeeignet hat, um das Denken (und das Abstimmungsverhalten) der Menschen zu beeinflussen.
Die kapitalistische Demokratie hält der kapitalistischen Gesellschaft den Spiegel vor, die uns alle in isolierte wirtschaftliche Einheiten umwandelt, die gegeneinander auf dem Markt konkurrieren. Theoretisch konkurrieren wir unter gleichen Bedingungen, doch die Realität ist, dass der Reichtum sich in immer weniger Händen konzentriert. Wir sind gleichfalls isoliert, wenn wir als individuelle Bürger die Wahlkabine betreten, und genauso fern von der Ausübung jeglicher realen Macht.
In den Diskussionen, die die vielen Besetzungen und Bewegungen der öffentlichen Versammlungen von Tunesien und Ägypten bis Spanien, Griechenland und den USA angeregt haben, hat es eine mehr oder weniger kontinuierliche Konfrontation zwischen zwei Flügeln gegeben: auf der einen Seite gab es jene, die nicht weitergehen wollen, als das herrschende Regime demokratischer zu machen, die dabei stehenbleiben, Tyrannen wie Mubarak loszuwerden und ein parlamentarisches System einzuführen oder Druck auf die etablierten politischen Parteien auszuüben, so dass diese den Forderungen der Straße mehr Gehör zu schenken. Und auf der anderen Seite haben wir jene, die, auch wenn sie noch eine kleine Minderheit sind, zu sagen beginnen: Wozu brauchen wir ein Parlament, wenn wir uns selbst in Versammlungen organisieren können? Können parlamentarische Wahlen etwas ändern? Können wir Formen wie die Versammlungen benutzen, um die Kontrolle über unser eigenes Leben zu übernehmen – nicht nur auf den öffentlichen Plätzen, sondern auch auf den Baustellen, in den Fabriken und Werkstätten?
Diese Diskussionen sind nicht neu. Sie sind ein Nachhall jener Debatten, die in der Zeit der Russischen und Deutschen Revolution am Ende des I. Weltkrieges stattgefunden haben. Millionen waren gegen ein kapitalistisches System in Bewegung geraten, das durch das Abschlachten von Millionen an den Kriegsfronten bereits gezeigt hat, dass es aufgehört hat, eine nützliche Rolle für das menschliche Geschlecht zu spielen. Doch während manche sagten, dass die Revolutionen nicht über die Installierung eines „bürgerlich-demokratischen“ Regimes hinausgehen dürfen, gab es andererseits auch jene – damals recht beträchtlich an Anzahl -, die sagten: Das Parlament gehört der herrschenden Klasse. Wir haben unsere eigenen Versammlungen gebildet, Fabrikkomitees, Sowjets (Organisationen, die auf allgemeinen Versammlungen mit gewählten und jederzeit abwählbaren Delegierten basierten). Diese Organisationen sollten die Macht übernehmen, die dann in unseren Händen bleibt – der erste Schritt zu einer Umorganisierung der Gesellschaft von unten nach oben. Und für einen kurzen Augenblick, ehe ihre Revolution durch Isolation, Bürgerkrieg und innere Degeneration zerstört wurde, übernahmen die Sowjets, die Organe der Arbeiterklasse, die Macht in Russland.
Es war ein Moment einer unerhörten Hoffnung für die Menschheit. Die Tatsache, dass sie sich zerschlagen hatte, sollte uns nicht davon abhalten: Wir müssen aus unseren Niederlagen und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir können den Kapitalismus nicht demokratisieren, weil er mehr denn je eine monströse und zerstörerische Kraft ist, die die Welt in den Ruin stürzen wird, es sei denn, wir zerstören ihn. Und wir werden dieses Monster nicht los, indem wir die Institutionen des Kapitalismus nutzen. Wir benötigen Organisationen, die wir kontrollieren und mit denen wir den revolutionären Wandel einleiten können, der unsere einzige Hoffnung verbleibt.
Amos, 25.1.2012