100 Jahre nach der Gründung der Kommunistischen Internationale: Welche Lehren können wir für zukünftige Kämpfe ziehen (Teil 3)

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In den vorhergehenden Teilen dieses Artikels begannen wir mit der Identifizierung der Bedingungen, unter denen die Dritte oder Kommunistische Internationale im März 1919 gegründet wurde[1]. In einem sehr komplizierten Kontext gelang es den Revolutionären jener Zeit nicht, all die neuen Fragen und Herausforderungen zu klären, vor denen das Proletariat stand.

Darüber hinaus war der Prozess der Umgruppierung der revolutionären Kräfte durch das Fehlen einer festen Haltung gegenüber den revolutionären Prinzipien bei der Gründung der Internationale gekennzeichnet. Dies ist eine der Lehren, die die Fraktion der Italienischen Linken, die sich um die Zeitschrift Bilan und dann vor allem um die Gauche Communiste de France (GCF - Internationalisme) gruppierte, aus den Erfahrungen der Komintern zog: "Die 'breite' Methode, die vor allem darauf bedacht war, auf Kosten präziser Prinzipien und Programme sofort die größtmögliche Zahl zu sammeln, führte zur Bildung von Massenparteien, echten Giganten mit tönernen Füßen, die dem Opportunismus unterworfen werden sollten.“[2]

Während der Gründungskongress ein echter Fortschritt in der Vereinigung des Weltproletariats war, war die Entwicklung der Komintern in den folgenden Jahren im Wesentlichen durch Rückschritte gekennzeichnet, die die Revolution angesichts der immer mehr an Boden gewinnenden konterrevolutionären Kräfte entwaffneten. Der zügellose Opportunismus in den Reihen der Partei wurde nicht wie von Lenin und den Bolschewiki vorgesehen beseitigt. Im Gegenteil, mit der Degeneration der Revolution nahm er am Ende einen vorherrschenden Platz ein und beschleunigte das Ende der Komintern als Klassenpartei. Diese opportunistische Dynamik, die bereits durch den Zweiten Kongress sichtbar wurde, vertiefte sich danach sowohl auf programmatischer als auch auf organisatorischer Ebene, wie wir in diesem Artikel zu zeigen versuchen werden.

1920-1921: Der Rückzug der revolutionären Welle

Nach dem Dritten Kongress der Komintern[3] begannen die Revolutionäre zu verstehen, dass die Revolution schwieriger sein würde, als sie gedacht hatten. Wenige Tage nach dem Ende des Kongresses analysierte Trotzki die Situation auf diese Weise:

"Der Dritte Kongress nahm zur Kenntnis, dass die wirtschaftlichen Grundlagen der bürgerlichen Herrschaft weiter zerfielen. Aber er hat gleichzeitig die fortgeschrittenen Arbeiter gewaltsam vor jeder naiven Vorstellung gewarnt, dass daraus automatisch der Tod der Bourgeoisie durch eine ununterbrochene Offensive des Proletariats folge. Noch nie zuvor war der Klasseninstinkt der Bourgeoisie zur Selbsterhaltung mit so vielgestaltigen Verteidigungs- und Angriffsmethoden bewaffnet wie heute. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Sieg der Arbeiterklasse sind vorhanden. Wenn dieser Sieg ausbleibt, und darüber hinaus, wenn dieser Sieg nicht in mehr oder weniger naher Zukunft kommt, ist die gesamte Zivilisation von Niedergang und Degeneration bedroht. Aber dieser Sieg kann nur durch die geschickte Führung von Kämpfen und vor allem durch die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse errungen werden. Dies ist die wichtigste Lektion des Dritten Kongresses."[4]

Dies ist weit entfernt von der überschwänglichen Begeisterung des Gründungskongresses, wo Lenin in seiner Schlussrede behauptete: "der Sieg der proletarischen Revolution im Weltmaßstab ist gesichert. Die Gründung einer internationalen Sowjetrepublik ist auf dem Weg.“ In der Zwischenzeit waren die Angriffe des Proletariats in einer Reihe von Ländern auf die Gegenbewegung der Bourgeoisie gestoßen. Und insbesondere sahen wir das Scheitern des Versuchs der Machtübernahme in Deutschland im Jahre 1919, dessen Bedeutung von den Revolutionären unterschätzt wurde.

Wie die große Mehrheit in den Reihen der Komintern erklärte, konnten die Krise des Kapitalismus und sein Abstieg in die Dekadenz die Massen nur auf den Weg zur Revolution treiben. Das Bewusstsein über die Größenordnung des zu erreichenden Ziels und die Mittel zu seiner Verwirklichung lag jedoch weit unter dem erforderlichen Niveau. Diese Situation wurde besonders nach dem Zweiten Kongress im Sommer 1920 sichtbar, der durch eine Reihe von Schwierigkeiten gekennzeichnet war, die das Proletariat in Russland weiter isolierten:

  • In Westeuropa hatten die Arbeiterkämpfe nicht die erhofften Siege gebracht. In Italien war es der Bourgeoisie gelungen, die Bewegung zu kanalisieren und zu sterilisieren. In Deutschland endete die abenteuerliche Aktion vom März 1921[5],  die von der KPD mit Unterstützung der Komintern gesteuert wurde, in einem vernichtenden und demoralisierenden Fiasko;
  • Auf militärischer Ebene endete die Offensive der Roten Armee in Polen in einer Niederlage und mit dem Rückzug aus Warschau, wodurch die Errichtung einer Brücke zwischen der Arbeiterklasse in Russland und der Arbeiterklasse in Westeuropa verhindert wurde;
  • In Russland selbst hatte der Bürgerkrieg zu ernsthafter Nahrungsmittelknappheit und einer dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Lage geführt, die es notwendig machte, die Kriegswirtschaft und ihre Verstaatlichungen zu beenden, um ein Mindestmaß an Güteraustausch zu ermöglichen. Die Neue Wirtschaftspolitik (NEP) wurde im März 1921 verabschiedet;
  • Im gleichen Moment fand die Niederschlagung des Aufstandes der Kronstädter Matrosen statt. Ein Fehler, der katastrophale Folgen für die Beziehungen zwischen den Massen und der Kommunistischen Partei in Russland hatte.

Auch wenn es der internationalen Bourgeoisie zu diesem Zeitpunkt nicht gelang, die proletarische Revolution vollständig zu vernichten, so war es doch so, dass das Herz der Revolution, das Russland der Sowjets, besonders isoliert war. Auch wenn Lenin die Situation als "zwar äußerst unsicheres, äußerst labiles Gleichgewicht“ beschrieb, „aber immerhin ein Gleichgewicht, das der Sozialistischen Republik, natürlich nicht für lange Zeit, die Möglichkeit gibt, in der kapitalistischen Umwelt fortzubestehen"[6], so müssen wir rückblickend feststellen, dass die zahlreichen Misserfolge und Schwierigkeiten, die zwischen 1920 und 1921 auftraten, bereits die Niederlage der revolutionären Welle einläuteten. Vor diesem besonders schwierigen Hintergrund wollen wir die Politik der Komintern analysieren. Eine Politik, die in einer Reihe von Punkten einen zunehmend opportunistischen Rückzug zum Ausdruck brachte.

1. Die katastrophalen Folgen der Unterstützung der "nationalen Befreiungsbewegungen"

A. Eine Frage, die in der Arbeiterbewegung noch nicht geklärt war

Die nationale Frage war eine der ungelösten Fragen in der revolutionären Bewegung zum Zeitpunkt der Konstituierung der Komintern. Es stimmt zwar, dass Revolutionäre während der aufsteigenden Periode des Kapitalismus manchmal nationale Kämpfe unterstützt hatten, aber dies war keine Frage des Prinzips. Die Debatte war in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wieder aufgeflammt. Rosa Luxemburg war eine der ersten, die begriff, dass der Eintritt des Kapitalismus in seine Phase der Dekadenz auch bedeutete, dass jeder Nationalstaat einen imperialistischen Charakter hatte. Folglich zielte der Kampf einer Nation, sich von einer anderen zu befreien, nur darauf ab, die Interessen der einen Bourgeoisie gegen eine andere zu verteidigen und keinesfalls die Interessen der Arbeiterklasse.

Die Bolschewiki nahmen eine Position ein, die sich eher im sozialdemokratischen Zentrum befand, da das Recht der Völker auf Selbstbestimmung im Programm von 1903 erschienen war. "Die Beharrlichkeit, mit der die Bolschewiki an diesem Standpunkt trotz aller von innen und außen kommenden Opposition festhielten, kann am besten durch die Tatsache erklärt werden, dass das zaristische Russland die nationale Unterdrückung par excellence verkörperte ("Das Gefängnis der Völker"), und dass die Bolschewiki als 'großrussische' Partei im geographischen Sinne der Meinung waren, den von Russland unterdrückten Nationen das Recht auf Abspaltung zuzugestehen, wäre das beste Mittel, um das Vertrauen der Massen dieser Länder zu gewinnen. Dieser Standpunkt, obwohl er erwiesenermaßen unrichtig war, gründete sich auf eine proletarische Perspektive. Zu einer Zeit, als sich die „Sozialimperialisten“ in Deutschland, Russland und anderen Ländern gegen das Recht der vom deutschen oder russischen Imperialismus unterdrückten Nationen, für ihre nationale Befreiung zu kämpfen, aussprachen, wurde das Losungswort der „nationalen Selbstbestimmung“ von den Bolschewiki als Mittel der Untergrabung des russischen und anderer Imperialismen sowie zur Schaffung der Voraussetzung einer zukünftigen Vereinigung der Arbeiter sowohl der unterdrückenden als auch den unterdrückten Nationen aufgestellt.[7] Während Lenin die Auffassung vertrat, dass das "Recht der Nationen auf Selbstbestimmung" in den westlichen Ländern zu einer überholten Forderung geworden war, stellte sich die Situation in den Kolonien anders dar, wo das Aufblühen der nationalen Befreiungsbewegungen Teil der Herausbildung eines unabhängigen Kapitalismus war, der zum Entstehen eines Proletariats beitrug. Unter diesen Bedingungen blieb die nationale Selbstbestimmung in den Augen Lenins und der bolschewistischen Partei eine fortschrittliche Forderung.

Rosa Luxemburg verstand, dass der Imperialismus nicht einfach eine Form der Plünderung durch die entwickelten Länder auf Kosten der rückständigen Nationen war, sondern Ausdruck der Gesamtheit der kapitalistischen Beziehungen auf globaler Ebene, und so konnte sie die deutlichste Kritik an den nationalen Befreiungskämpfen im Allgemeinen und an der Position der Bolschewiki im Besonderen entwickeln. Im Gegensatz zu der zersplitterten Vision der Bolschewiki, die davon ausging, dass das Proletariat je nach geographischer Zone unterschiedliche Aufgaben haben könne, wählte Rosa Luxemburg einen Ansatz, der einen globalen Prozess im Kontext eines Weltmarktes beschrieb, der zunehmend auf unüberwindbare Hindernisse stoßen würde: "In diesem Zusammenhang war es jedem neuen Nationalstaat unmöglich, in den Weltmarkt auf einer selbständigen Grundlage einzutreten, oder die Phase einer ursprünglichen Akkumulation außerhalb dieses barbarischen weltweiten Spannungsfelds zu durchlaufen. " [8]

Daraus folgt, dass es "in dem heutigen imperialistischen Milieu überhaupt keine nationalen Verteidigungskriege mehr geben kann".[9]

Diese Fähigkeit, die Tatsache zu begreifen, dass jede nationale Bourgeoisie nur innerhalb des imperialistischen Systems operieren konnte, brachte Rosa Luxemburg dazu, die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki nach 1917 zu kritisieren, als die Sowjets die Unabhängigkeit der Ukraine, Finnlands, Litauens usw. akzeptierten, um "die Massen zu gewinnen". Die folgenden Zeilen prophezeien beeindruckend die Folgen der nationalen Politik der Komintern in den 1920er Jahren: "eine nach der anderen von diesen „Nationen“ benutzte die frisch geschenkte Freiheit dazu, sich als Todfeindin der russischen Revolution gegen sie mit dem deutschen Imperialismus zu verbünden und unter seinem Schutze die Fahne der Konterrevolution nach Rußland selbst zu tragen".[10]

B. Der Kongress von Baku

Die nationale Frage wurde zum ersten Mal in der Komintern während des Zweiten Weltkongresses 1920 aufgeworfen. Ausgehend von der insbesondere von den Bolschewiki vertretenen irrigen Auffassung vom Imperialismus meinte der Kongress, man müsse "eine Politik treiben, durch die das engste Bündnis aller nationalen und kolonialen Befreiungsbewegungen mit Sowjetrußland verwirklicht wird, und muß die Formen dieses Bündnisses entsprechend der jeweiligen Entwicklungsstufe der kommunistischen Bewegung unter dem Proletariat eines jeden Landes oder der bürgerlich-demokratischen Befreiungsbewegung der Arbeiter und Bauern in den zurückgebliebenen Ländern oder unter den zurückgebliebenen Nationalitäten bestimmen".[11]

Der Kongress der Völker des Ostens, der zwischen dem 1. und 8. September 1920 in Baku stattfand, hatte die Aufgabe, die Orientierungen des Zweiten Weltkongresses, der einige Wochen zuvor zu Ende gegangen war, in die Praxis umzusetzen. Fast 1900 Delegierte, die hauptsächlich aus dem Nahen Osten und Asien kamen, trafen sich. Fast zwei Drittel der vertretenen Organisationen bekannten sich zwar zum Kommunismus, aber ihre Unterstützung war äußerst oberflächlich. "Die nationalen Eliten fühlten sich mehr von der Organisation und Wirksamkeit der von den Bolschewiki vorgeschlagenen Handlungsweisen angezogen als von der kommunistischen Ideologie“.[12] Deshalb war der Kongress ein „großer Basar“, der sich aus mehreren Klassen und sozialen Schichten zusammensetzte, die aus allen möglichen Gründen kamen, aber nur sehr wenige mit der festen Absicht, bewusst für die Entwicklung der proletarischen Weltrevolution zu arbeiten. Die Beschreibung der Zusammensetzung des Kongresses, die Sinowjew dem Exekutivkomitee der Komintern nach seiner Rückkehr aus Baku gab, bedarf keines Kommentars: "Der Kongress von Baku setzte sich aus einer kommunistischen Fraktion und einer viel größeren überparteilichen Fraktion zusammen. Letztere wiederum teilte sich in zwei Gruppen: die eine bestand effektiv aus parteilosen Elementen, darunter die Vertreter der Bauern und der semi-proletarischen Bevölkerung der Städte, die andere aus Personen, die sich selbst als parteilos definierten, aber in Wirklichkeit bürgerlichen Parteien angehörten".[13]

Für eine Reihe von Delegationen war der Aufbau einer revolutionären kommunistischen Bewegung im Osten zweitrangig und sogar uninteressant. Für viele von ihnen ging es darum, die Hilfe Sowjetrusslands sicherzustellen, um den britischen Kolonialismus zu vertreiben und ihre eigenen Träume von nationaler Souveränität zu verwirklichen.

Wie war die Haltung der Vertreter der Komintern gegenüber diesen offensichtlich bürgerlichen Forderungen? Anstatt den proletarischen Internationalismus mit größter Entschlossenheit zu verteidigen, beharrte die Komintern-Delegation auf ihrer Unterstützung bürgerlich-nationalistischer Bewegungen und rief die Völker des Ostens auf, sich "dem ersten wirklich heiligen Krieg unter dem roten Banner der Kommunistischen Internationale" anzuschließen, um einen Kreuzzug gegen "den gemeinsamen Feind, den britischen Imperialismus", zu führen.

Die wichtigen Zugeständnisse an die nationalistischen Parteien und die gesamte Politik, die in Baku betrieben wurde, waren bereits von der Notwendigkeit diktiert, die Sowjetrepublik zu verteidigen, und nicht mehr von den Interessen der Weltrevolution. Diese zentrale Position der Komintern, die auf dem Zweiten Kongress festgelegt wurde, zeigte, wie weit die opportunistische Tendenz an Boden gewonnen hatte. Natürlich gab es Kritik an diesen Versuchen, Nationalismus und proletarischen Internationalismus zu versöhnen: Lenin warnte davor, "den Nationalismus rot zu färben", und auch John Reed, der in Baku anwesend gewesen war, wandte sich gegen "diese Demagogie und diese Schauveranstaltung", doch "diese Antworten nannten die Wurzeln des folgenden opportunistischen Kurses nicht beim Namen, blieben auf dem zentristischen Terrain der Versöhnung mit noch offeneren Ausdrücken des Opportunismus und versteckten sich hinter den Thesen des Zweiten Kongresses, die – gelinde gesagt – eine Vielfalt von Sünden der revolutionären Bewegung verbargen".[14]

C. Nach und nach wurde die Komintern zu einem Instrument des russischen Imperialismus

Der Rückzug der Revolution in Westeuropa und die Isolierung des Proletariats in Russland unter dramatischsten Bedingungen führten dazu, dass die Komintern allmählich zu einem Instrument der bolschewistischen Außenpolitik wurde - die Bolschewiki selbst wurden im Laufe der Jahre zu den Verwaltern des russischen Kapitals.[15] Während diese verhängnisvolle Entwicklung zum Teil mit den falschen Vorstellungen der Bolschewiki über das Verhältnis von Klasse, Partei und Staat in der Übergangsperiode zusammenhing, lag der Hauptgrund dafür in der unumkehrbaren Degeneration der Revolution ab den 1920er Jahren.[16]

In erster Linie im Namen der Verteidigung des Sowjetstaates schlossen die Bolschewiki und die Komintern Bündnisse mit nationalen Befreiungsbewegungen oder unterstützten sie direkt. Ab 1920 unterstützte die Weltpartei die Bewegung von Kemal Atatürk, dessen Interessen sehr weit von der Politik der Internationale entfernt waren, wie Sinowjew zugab. Aber dieses Bündnis war ein Mittel, um die Briten aus der Region zu verdrängen. Auch wenn die türkische Regierung bald darauf die Führer der Kommunistischen Partei der Türkei hinrichtete, sah die Komintern weiterhin Potenzial in dieser nationalistischen Bewegung und hielt an ihrem Bündnis mit einem Land fest, dessen geografische Lage für den russischen Staat strategisch wichtig war. Dies hinderte Kemal jedoch nicht daran, sich gegen seinen Verbündeten zu wenden und 1923 ein Bündnis mit der Entente einzugehen.

Während die Politik der Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen für eine gewisse Zeit eine falsche Position innerhalb der Arbeiterbewegung war, so wurde sie Ende der 1920er Jahre zur imperialistischen Strategie einer kapitalistischen Macht wie aller anderen. Die Unterstützung der Komintern für die Kuomintang-Nationalisten in China, die 1927 zum Massaker an den Arbeitern von Shanghai führte, war eine entscheidende Episode in diesem Prozess der Degeneration. Zuvor hatte die Komintern die nationalistische Bewegung unter der Führung von Abd El-Krim im Rif-Krieg (1921-26) und 1926 die Drusen in Syrien unterstützt.

Folglich zeigten "solch offenkundige Akte des Verrats (...), dass die stalinistische Fraktion, die bis dahin nahezu die völlige Vorherrschaft über die KI und ihre Parteien errungen hatte, nicht mehr eine opportunistische Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung war, sondern ein direkter Ausdruck der kapitalistischen Konterrevolution".[17]

2. Die Massen auf Kosten der Prinzipien gewinnen

A. Die Bildung von kommunistischen "Massen"-Parteien im Westen

Wie wir im ersten Teil dieser Untersuchung[18] gezeigt haben, waren nur eine Handvoll ordnungsgemäß konstituierter Kommunistischer Parteien auf dem Gründungskongress der Komintern im März 1919 vertreten. In den folgenden Wochen unternahm die Internationale große Anstrengungen mit dem Ziel, Kommunistische Parteien zu gründen: "Die Kommunistische Internationale hat vom ersten Tage ihrer Bildung an klar und unzweideutig sich zum Zwecke gesetzt nicht die Bildung kleiner, kommunistischer Sekten, die nur durch Propaganda und Agitation ihren Einfluss auf die Arbeitermassen herzustellen suchen, sondern die Teilnahme an dem Kampfe der Arbeitermassen, die Leitung dieses Kampfes in kommunistischem Sinne und die Bildung im Kampfe erprobter, großer, revolutionärer kommunistischer Massenparteien."[19] Diese Orientierung beruhte auf der Überzeugung, dass es in Westeuropa zu einer raschen Ausbreitung der Revolution komme und folglich die dringende Notwendigkeit bestehe, in den verschiedenen Ländern Parteien der Arbeiterklasse zu gründen, die es ermöglichen würden, die revolutionäre Aktion der Massen zu lenken.

So drängten die Bolschewiki nicht nur auf die schnellstmögliche Bildung kommunistischer Massenparteien, sondern auch darauf, dies auf der Grundlage eines Kompromisses zwischen dem linken Flügel der Arbeiterbewegung und der zentristischen Strömung zu tun, die nicht mit den Ansichten und Schwächen der Zweiten Internationale gebrochen hatte. In der Mehrzahl der Fälle konnten diese Parteien nicht aus dem Nichts entstehen, sondern mussten aus einem Abspaltungsprozess innerhalb der Sozialistischen Parteien der II. Internationale hervorgehen. Dies war insbesondere der Fall bei der Kommunistischen Partei Italiens, die auf dem Kongress von Livorno im Januar 1921 gegründet wurde, oder bei der Kommunistischen Partei Frankreichs, die auf dem Kongress von Tours im Dezember 1920 das Licht der Welt erblickte. So trugen die Parteien von Anfang an eine Menge an Ballast und Schwächen in organisatorischer Hinsicht in sich, die die Fähigkeit dieser Organisationen, den Massen eine klare Orientierung zu geben, nur noch weiter beeinträchtigen konnten. Lenin und die Haupttriebkräfte der Internationale waren sich dieser Zugeständnisse und der Gefahr, die sie darstellen könnten, voll bewusst; sie zählten aber auf die Fähigkeit der Parteien, sie zu bekämpfen. In Wirklichkeit unterschätzte Lenin die Gefahr ernsthaft. Die Annahme der 21 Bedingungen für den Beitritt zur Komintern auf dem Zweiten Weltkongress, die zu Recht als ein Fortschritt im Kampf gegen den Reformismus angesehen wurde, wurde nicht wirklich umgesetzt. Lenins ganzer Ansatz beruhte auf der Idee, dass der Marsch in Richtung Revolution nicht unterbrochen werden durfte, dass die Entwicklung der Komintern auf Kosten der Zweiten Internationale und der Zweieinhalbten Internationalen mehr oder weniger eine vollendete Tatsache war.[20]

In einer Situation, in der die Massen noch nicht bereit waren, die Macht zu übernehmen, "die Revolution zu beschleunigen, ohne sie durch künstliche Mittel hervorzurufen, ehe nicht eine genügende Vorbereitung erfolgt ist".[21] Aus diesen Gründen bestand eine der Orientierungen des Zweiten Kongresses in der "Zusammenfassung der zersplitterten kommunistischen Kräfte, [der] Schaffung einer einigen kommunistischen Partei in jedem Lande (oder die Festigung und Erneuerung der bereits bestehenden Partei) zur Ver- zehnfachung der Arbeit für die Vorbereitung des Proletariats zur Eroberung der Staatsmacht in der Form der Diktatur des Proletariats".[22] Eine richtige Orientierung, aber auf der Grundlage einer fehlerhaften Praxis.

Dies erklärt die Fehlentwicklung der Fusion zwischen der USPD[23] und der KPD auf dem Kongress von Halle am 12. Oktober 1920. Das wohl bedeutendste Beispiel ist die Gründung der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). Letztere wurde im Dezember 1920 nach einer Spaltung von der SFIO (Sozialistische Partei) gegründet, deren wichtigste Führer sich während des Ersten Weltkriegs zur "Union Sacrée" (Burgfrieden) zusammengeschlossen hatten. Ihre Entstehung war das Ergebnis eines von der Komintern geförderten Kompromisses zwischen der Linken (einer schwachen Minderheit) und einer zentristischen Strömung, die eine starke Mehrheit hatte. Wie wir in unserer Broschüre Wie die KPF in den Dienst des Kapitals überging[24] gezeigt haben, "war diese Taktik eine Katastrophe, denn die Mitgliedschaft beruhte nicht – wie bei allen anderen europäischen KPs – auf den 21 Bedingungen für den Beitritt zur Komintern, die insbesondere einen vollständigen und endgültigen Bruch mit der opportunistischen Politik des Zentrismus gegenüber Reformismus, Sozialpatriotismus und Pazifismus forderte, sondern auf viel weniger selektiven Kriterien. Das Ziel dieser Taktik der Komintern bestand darin, die Mehrheit dazu zu bringen, sich vom rechten Flügel der Sozialdemokratie, einer offen patriotischen Partei, die an kapitalistischen Regierungen teilgenommen hatte, zu trennen (...) Die zentristische Mehrheit der neuen Partei war mit Opportunisten verseucht, die mehr oder weniger ‚bereuten‘, mal bei der Union Sacrée gewesen zu sein. (...) Der Partei schloss sich eine weitere wichtige Komponente an, die vom anarchistischen Föderalismus durchdrungen war (vertreten insbesondere durch die Seine-Föderation), die sich auf organisatorischer Ebene immer wieder mit der Mitte gegen die Linke stellte, um sich der internationalen Zentralisierung und vor allem der Ausrichtung der Komintern auf die junge französische Partei entgegenzustellen". Vom Opportunismus geplagt, unterwarf sich die KPF voll und ganz der Degeneration der Komintern, die auf dem Dritten Kongress deutlich zu spüren war. Sie sollte zu einem der Hauptakteure des Stalinismus werden.[25] So war es auch in Italien, denn nach der Spaltung von der Sozialistischen Partei Italiens auf dem Kongress von Livorno bestand die KP Italiens aus einem marxistischen, kommunistischen linken Flügel, der sich entschlossen für den Kampf gegen den Opportunismus in der Komintern einsetzte, und einem von Gramsci und Togliatti geführten Zentrum, das unfähig war, die politische Rolle der Sowjets als zentralisierende Organe der Macht zu verstehen, und die politische Rolle der Partei unterschätzte. Das Zentrum der Partei sollte dann als Stütze der Komintern bei der Ausgrenzung der Linken in der Zeit der "Bolschewisierung" fungieren.

Die vielleicht krasseste Karikatur war schließlich die KP der Tschechoslowakei, die sich um die Šmeral-Tendenz bildete, welche die Habsburgermonarchie während des imperialistischen Krieges von 1914-18 unterstützt hatte.

Wie können wir solche Kompromisse erklären? Wie können wir erklären, dass die Bolschewiki, die jahrelang einen harten Kampf um die Bewahrung unnachgiebiger Prinzipien geführt hatten, solche Kompromisse akzeptierten? Die Kommunistische Linke Italiens untersuchte diese Episode aufmerksam und legte eine erste Antwort vor: "Es ist offensichtlich, dass dies keine plötzliche Bekehrung der Bolschewiki zu einer anderen Herangehensweise an die Bildung kommunistischer Parteien war, sondern im Wesentlichen auf einer historischen Perspektive beruhte, die die Möglichkeit vorsah, den schwierigen Weg, der zur Gründung der Bolschewistischen Partei führte, zu vermeiden. In den Jahren 1918-20 rechneten Lenin und die Bolschewiki mit dem sofortigen Ausbruch der Weltrevolution und sahen deshalb in der Gründung von Kommunistischen Parteien in verschiedenen Ländern so viele Unterstützungsbasen für die revolutionäre Aktion des russischen Staates, die ihnen als das wesentliche Element beim Sturz der kapitalistischen Welt erschien" [26]

Zweifellos veranlassten die zum Stillstand gekommene Revolution in dieser Zeit und die verzweifelten Bemühungen, damit umzugehen, Lenin und die Bolschewiki dazu, ihre Wachsamkeit bei der Verteidigung von Prinzipien zu verringern und so dem Opportunismus zu verfallen. Aber es waren auch anhaltende Irrtümer über die Aufgaben der Partei und ihr Verhältnis zur Klasse, die dazu beitrugen, in einer Zeit, die durch die ersten Rückzüge des Proletariats gekennzeichnet war, die Bildung von KP auf einer völlig konfusen Grundlage zu erzwingen.

B. Die Gründung von Kommunistischen "Phantom"-Parteien im Osten

Die opportunistische Methode, mit der ihre Mitgliedsparteien gebildet wurden, fand ihren endgültigen Ausdruck in der Entstehung der Kommunistischen Parteien in der kolonialen Welt.

Nach dem Kongress von Baku richtete die Exekutive der Komintern ein zentrales Büro für Asien ein, das für die Arbeit im Nahen/Mittleren Osten und bis nach Indien zuständig war. Dieses Organ, bestehend aus Sokolnikow, Grefori Safarow und M.N. Roy, wurde in Taschkent in Usbekistan eingerichtet. Im Januar 1921 wurde dann in Irkutsk ein Komintern-Sekretariat für den Fernen Osten eingerichtet. So wollte sich die Komintern angesichts des Rückzugs der Revolution in Westeuropa die Mittel an die Hand geben, um die Revolution im Osten zu "beschleunigen". Mit diesem Ziel wurden zwischen 1919 und 1923 im Osten und im Fernen Osten kommunistische Parteien auf äußerst zerbrechlichen theoretischen und politischen Grundlagen gegründet.

Vor dieser Zeit waren KPs in der Türkei, im Iran, in Palästina und in Ägypten entstanden, aber wie der trotzkistische Historiker Pierre Broué bemerkte: "Es mangelte nicht an Problemen zwischen der Internationale und diesen kommunistischen Parteien, die nichts über den Kommunismus wussten und Länder vertraten, in denen richtig proletarische Schichten unbedeutend waren. Was ihre Führer nicht davon abhielt, eine doktrinäre Reinheit und ein rigoros arbeiterorientiertes Schema für die Revolution zu beanspruchen, von der sie glaubten, sie stünde vor der Tür."[27]

In Indien hatten die Kräfte, die sich auf die Internationale zubewegten, alle eine nationalistische Vergangenheit. Der bekannteste war M.N. Roy. Die Komintern befahl der um Roy gebildeten Gruppe, in die von Gandhi geführte nationalistische Kongresspartei einzutreten, zunächst durch ein Bündnis mit der so genannten "revolutionären" und "kommunistischen" Linken, dann mit allen Fraktionen, die nach den gewalttätigen Zusammenstößen, die am 4. Februar 1922 während einer von Gandhi selbst initiierten Kampagne des zivilen Ungehorsams stattfanden, gegen Gandhi waren[28]. Roy sah sich veranlasst, ein offen opportunistisches Programm innerhalb der Kongresspartei zu verteidigen: nationale Unabhängigkeit, allgemeines Wahlrecht, Abschaffung des Großgrundbesitzes, Verstaatlichung des öffentlichen Dienstes. Darüber hinaus ging es nicht darum, die Verabschiedung seines Programms zu erreichen, sondern seine Ablehnung durch die Führung der Partei zu provozieren, die sich damit "enttarnen" würde. Dieses Unterfangen endete in einem völligen Scheitern. Roys Programm fand kein positives Echo, und das Leben der "kommunistischen" Gruppe artete sehr schnell in interne Streitigkeiten aus. Danach wurden die Kommunisten sehr hart unterdrückt. Sie wurden verhaftet und dann wegen Verschwörung verurteilt, was der Politik der Komintern in Indien ein Ende setzte.[29]

In Ostasien verfolgte die Komintern mehr oder weniger den gleichen unverantwortlichen Ansatz. Die Strukturierung einer kommunistischen Bewegung in China wurde vom Büro für den Fernen Osten geleitet, indem es Kontakte zu Intellektuellen und Studenten knüpfte, die für den "Bolschewismus" gewonnen worden waren. Die Kommunistische Partei Chinas konstituierte sich auf einer Konferenz, die im Juli 1921 in Schanghai stattfand. Sie bestand aus ein paar Dutzend Kämpfern und durchlief danach eine bedeutende Wachstumsphase und erreichte 1927 fast 20.000 Mitglieder. Auch wenn diese zahlenmäßige Stärkung den revolutionären Geist zum Ausdruck brachte, der die chinesische Arbeiterklasse in einer Zeit intensiver sozialer Kämpfe beseelte, so blieb es dennoch so, dass neue Mitglieder der Partei auf sehr oberflächlichen theoretischen und politischen Grundlagen beitraten. Wiederum öffnete dieselbe unverantwortliche Methode angesichts der opportunistischen Politik der Komintern gegenüber der Kuomintang die Tür zur Entwaffnung der Partei. Im Januar 1922 legte die Konferenz der Völker des Ostens in Moskau die Grundlagen für die Klassenzusammenarbeit durch einen "antiimperialistischen Block". Auf Betreiben der Exekutive der Komintern verbreitete die KP Chinas die Losung einer "antiimperialistischen Einheitsfront mit der Kuomintang" und forderte die Kommunisten auf, sich als Einzelpersonen der Kuomintang anzuschließen. Diese Politik der Klassenzusammenarbeit war das Ergebnis geheimer Verhandlungen zwischen der UdSSR und der Kuomintang. Im Juni 1923 stimmte der Dritte Kongress der chinesischen KP für den Beitritt ihrer Mitglieder zur Kuomintang. Diese Politik der Unterordnung unter eine bürgerliche Partei stieß zunächst auf Widerstand innerhalb der jungen Partei, und dies schloss einen Teil ihrer Führung ein.[30] Aber die politische Zerbrechlichkeit und Unerfahrenheit dieser Opposition machte sie unfähig, die irrigen und selbstmörderischen Direktiven der Internationale wirksam zu bekämpfen. Und so "hatte diese Politik katastrophale Folgen für die Arbeiterbewegung in China. Während Streikbewegungen und Demonstrationen spontan und ungestüm entstanden, war die Kommunistische Partei, die sich mit der Kuomintang zusammenschloss, unfähig, die Arbeiterklasse zu orientieren, eine unabhängige Klassenpolitik zu betreiben, trotz des unbestreitbaren Heldentums der kommunistischen Militanten, die häufig in den vordersten Reihen der Arbeiterkämpfe zu finden waren. Ebenso ohne einheitliche Organisationen des politischen Kampfes, wie die Arbeiterräte, setzte die Arbeiterklasse auf Forderung der KPCh selbst ihr Vertrauen in die Kuomintang, mit anderen Worten in die Bourgeoisie.“[31]

Wir könnten noch viele weitere Beispiele für kommunistische Parteien nennen, die in rückständigen Ländern gegründet wurden, in denen die Arbeiterklasse sehr schwach war, und die nach Niederlagen sehr schnell zu bürgerlichen Organisationen wurden. Wir müssen dazu festhalten, dass die Bildung von "Massenparteien", sowohl im Westen als auch im Osten, ein Faktor war, der die Schwierigkeiten des Proletariats, sich dem Rückfluss der revolutionären Welle zu stellen, verschlimmerte und es unmöglich machte, einen geordneten Rückzug durchzuführen.

C. Die Politik der Einheitsfront

Auf ihrem 3. Kongress verabschiedete die Komintern die Politik der "Einheitsfront der Arbeiter"[32], die darin bestand, Bündnisse mit den Organisationen der Sozialdemokratie einzugehen, gemeinsame Aktionen mit ähnlichen Forderungen durchzuführen, mit der Idee, dass dadurch die konterrevolutionäre Rolle dieser Organisationen in den Augen der Massen entlarvt würde.

Diese Orientierung wurde auf dem 4. Kongress vollständig konkretisiert und markierte eine völlige Kehrtwende gegenüber dem Gründungskongress, auf dem die neue Internationale ihre klare Entschlossenheit verkündete, gegen alle Kräfte der sozialdemokratischen Strömung zu kämpfen, und „die Arbeiter aller Länder“ aufforderte, „einen entschlossenen Kampf gegen die gelbe Internationale aufzunehmen und die breitesten Massen des Proletariats von dieser Lug- und Truginternationale zu bewahren“.[33] Was war es, das die Komintern nur zwei Jahre später dazu brachte, eine Politik der Bündnisse mit Parteien zu betreiben, die zu den wirksamsten Agenten der Konterrevolution geworden waren?

Hatten sie eine ehrenhafte Wiedergutmachung geleistet und ihre früheren Verbrechen bereut? Ganz offensichtlich nicht. Auch hier ging es darum, "sich nicht von den Massen abzuschotten": "Das Argument der Komintern zur Rechtfertigung der Notwendigkeit der Einheitsfront beruhte hauptsächlich auf der Tatsache, dass der Rückfluss das Gewicht der Sozialdemokratie verstärkt hatte und dass man sich, um dagegen zu kämpfen, nicht von den Massen abschneiden durfte, die Gefangene dieser Mystifizierung waren. Es war notwendig, auf eine Entblößung der Sozialdemokratie über Bündnisse mit der Sozialdemokratie hinzuarbeiten, im Falle der stärksten kommunistischen Parteien (in Deutschland trat die KP für eine einheitliche proletarische Front ein und erkannte die Möglichkeit an, eine vereinigte Arbeiterregierung zu unterstützen) oder über den Entrismus für die schwächeren Parteien ("Die britischen Kommunisten müssen eine energische Kampagne für ihre Aufnahme in die Labour-Partei starten", wie es in den Thesen zur Einheitsfront des 4. Kongresses hieß)"[34].

Diese opportunistische Linie wurde von den Gruppen links der Komintern bekämpft und scharf angeprangert. Die KAPD begann den Kampf auf dem 3. Parteitag, bevor sie kurz danach aus der Komintern ausgeschlossen wurde. Der linke Flügel der KP Italiens folgte ihr auf dem 4. Parteitag und erklärte, dass die Partei es "nicht akzeptieren wird, ein Teil gemeinsamer Organe verschiedener Organisationen zu sein (...) [Sie] wird es ebenfalls vermeiden, gemeinsame Erklärungen mit anderen politischen Organisationen zu verabschieden, wenn diese Erklärungen ihrem Programm widersprechen und dem Proletariat als Resultat von Verhandlungen präsentiert werden, mit dem Ziel, eine gemeinsame Linie für die Praxis zu finden."[35] Auch Miasnikows Arbeitergruppe[36] lehnte die Einheitsfront ab. In ihrem Manifest verteidigte sie gegenüber den Parteien der II. Internationale eine Position, die eindeutig den Interessen der Revolution entsprach: "Nicht die Einheitsfront mit der Zweiten Internationale oder der Zweieinhalbten Internationalen wird zum Sieg der Revolution führen, sondern der Krieg gegen sie. Das ist die Losung der zukünftigen sozialen Weltrevolution". Die Geschichte sollte die Weitsicht und Unnachgiebigkeit der Gruppen der Linken bestätigen. Mit der Umkehrung des Kräfteverhältnisses gewann die herrschende Ideologie wieder Einfluss auf die Massen. Unter diesen Umständen bestand die Rolle der Partei nicht darin, der Dynamik der Klasse zu folgen, sondern das revolutionäre Programm und die Prinzipien innerhalb der Klasse zu verteidigen. In der Zeit der Dekadenz des Kapitalismus war die Rückkehr zu einem "Minimalprogramm", und sei es auch nur vorübergehend, unmöglich geworden. Dies war eine weitere Lehre, die später von der kommunistischen Linken Italiens gezogen wurde: "Im Jahre 1921 änderte die Veränderung der Situation nicht das grundlegende Merkmal der Epoche, da die revolutionären Turbulenzen von 1923, 1925, 1927 und 1934 (um nur die wichtigsten zu nennen) diese voll und ganz bestätigen sollten [...] Eine solche Veränderung der Situation musste natürlich Konsequenzen für die kommunistischen Parteien haben. Aber das Problem war folgendes: War es notwendig, die Politik der Kommunistischen Parteien in ihrer Substanz zu ändern oder aus den ungünstigen Umständen die Notwendigkeit abzuleiten, die Massen zu Teilkämpfen aufzurufen und dabei auf ein revolutionäres Ergebnis ausgerichtet zu bleiben[37], sobald die erlittenen Niederlagen es unmöglich machten, direkt zum Aufstand aufzurufen? Der Dritte Kongress, die Erweiterte Exekutive von 1921 und vor allem der Vierte Kongress haben eine Lösung für dieses Problem gefunden, die den Interessen der Sache abträglich war. Dies geschah vor allem durch die Frage der Einheitsfront."[38]

3. Schlussbemerkungen

Wie wir gerade gesehen haben, war die Zeit vom 2. bis zum 3. Kongress von einem deutlichen Eindringen des Opportunismus in die Reihen der Weltpartei gekennzeichnet. Dies war die direkte Folge der verfehlten Politik der "Eroberung der Massen" um den Preis von Kompromissen und Zugeständnissen: Unterstützung der nationalen Befreiungskämpfe, Bündnis mit den Verräterparteien der II. Internationale, Beteiligung am Parlament und an den Gewerkschaften, Bildung von Massenparteien ... Die Komintern kehrte dem den Rücken, was die Stärke der linken Fraktionen innerhalb der II. Internationale gewesen war.  Darauf wies Herman Gorter 1920 gegenüber Lenin hin: "Sie handeln, Genosse Lenin, jetzt in der Internationale ganz anders als damals in der Partei der Maximalisten. Diese wurde (und wird vielleicht noch immer) sehr "rein" gehalten. In die Internationale sollen jetzt sofort Halb-, Viertel- und Achtel-Kommunisten aufgenommen werden. [...] Die russische Revolution hat durch "Reinheit", durch Prinzipienfestigkeit gewonnen. [...]

Statt jetzt auch in allen anderen Ländern dieselbe bewährte Taktik anzuwenden und so die dritte Internationale innerlich sehr stark zu machen, geht man auch jetzt wieder, ganz wie damals die Sozialdemokratie, zum Opportunismus über. Alles soll jetzt hinein: die Gewerkschaften, die Unabhängigen, das französische Zentrum, Teile der Labour-Party."[39]

Der grundlegende Irrtum der Kommunistischen Internationale bestand darin, zu glauben, dass es allein aus eigener Kraft möglich war, die Arbeiterklasse zu "erobern", sie vom Einfluss der Sozialdemokratie zu befreien und so ihr Bewusstsein zu heben und sie zum Kommunismus zu führen.

Daraus ergab sich die Politik der Einheitsfront, die Sozialdemokratie zu entlarven und anzuprangern; die Teilnahme am Parlament, um die Spaltungen zwischen den bürgerlichen Parteien auszunutzen; die Arbeit in den Gewerkschaften, um sie wieder ins proletarische Lager und auf die Seite der Revolution zu bringen.[40] Keiner der Versuche erbrachte die erhofften Ergebnisse. Im Gegenteil, sie brachten die Komintern nur dazu, das proletarische Lager zu verraten. Anstatt das Klassenbewusstsein zu schärfen, verbreiteten diese Taktiken lediglich Verwirrung und Desorientierung unter den Massen und machten sie damit anfälliger für die Fallen der Bourgeoisie. Obwohl es den Gruppen auf der linken Seite der Komintern nie gelang, sich zu vereinigen, waren sie sich alle über den selbstmörderischen Charakter dieser Politik einig, die ihrer Ansicht nach zur Niederlage der Arbeiterbewegung und zum Tod der Revolution führte. Eigentlich verteidigten diese Gruppen eine ganz andere Auffassung von der Beziehung zwischen Partei und Klasse.[41] Die Rolle der Partei bestand nicht darin, die Illusionen in die Klasse zu schüren, und noch weniger darin, sie in dubiose und gefährliche Taktiken zu verwickeln, sondern vielmehr darin, ihr Bewusstsein durch die Verteidigung proletarischer Prinzipien zu schärfen und sicherzustellen, dass keine Zugeständnisse in prinzipiellen Fragen gemacht werden. Dies war der einzige wirkliche Kompass, der in einer Zeit, in der die im Oktober 1917 in Russland entfesselte Welle ihre ersten Rückzüge machte, in die Richtung der Revolution weisen konnte.

Mit der Verschärfung des Rückflusses des Klassenkampfes und der opportunistischen Entartung der kommunistischen Parteien sollte die revolutionäre Kontinuität des Marxismus nur noch durch die Fraktionen aufrechterhalten werden, die sich mit Händen und Füßen innerhalb der Kommunistischen Parteien oder außerhalb derselben wehrten, nachdem aus sie ihnen ausgeschlossen worden waren.

(Fortsetzung folgt)

Narek, 16. Juni 2020


[1] Die ersten beiden Teile dieser Serie sind im Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dieses dritten Artikels auf Deutsch noch nicht übersetzt. Die englische, französische oder spanische Version der Artikel findest du auf unserer Webseite, z.B. https://en.internationalism.org/content/16652/centenary-foundation-communist-international-what-lessons-can-we-draw-future-combats

[2] Internationalisme Nr. 7, 1945. Die Linken Fraktionen – Methode zur Bildung der Partei, International Review 162 (englische/französische/spanische Ausgabe)

[3] Der Kongress fand zwischen dem 21. Juni und Anfang Juli 1921 statt.

[4] Die wichtigsten Lehren aus dem Dritten Kongress, Juli 1921. Die Idee, die Mehrheit der Arbeiterklasse unter den damaligen Verhältnissen zu gewinnen, enthielt bereits die Keime der Idee, die Massen auf Kosten der Prinzipien zu erobern, wie wir in diesem Artikel zeigen wollen.

[5] Die Märzaktion 1921: Die Gefahr kleinbürgerlicher Ungeduld, /content/2074/die-maerzaktion-1921-die-gefahr-kleinbuergerlicher-ungeduld

[6] Thesen zum Referat auf dem III. Kongress der Kommunistischen Internationale über die Taktik der KPR, Lenin Werke Bd. 32 S. 476

[7] Nation oder Klasse, Broschüre der IKS (S. 7)

[8] A.a.O. S. 9. Der Aufstieg Chinas zu einem bedeutenden imperialistischen Herausforderer am Ende des 20. Jahrhunderts ändert nichts an dieser Gesamtanalyse: erstens, weil er unter den besonderen Umständen des kapitalistischen Zerfalls entstanden ist, und zweitens, weil sein Aufstieg zu einem hoch militarisierten und expansionistischen Staat keinerlei fortschrittlichen Inhalt hat.

[9] Rosa Luxemburg, Junis-Broschüre

[10] Rosa Luxemburg, Zur russischen Revolution, 3. Kapitel

[11] 2. Kongress der Komintern, Thesen zur nationalen und kolonialen Frage

[12] Edith Chabrier, Les délégués du premier Congrès des peuples d’Orient (Bakou, 1er-8 septembre 1920) in Cahiers du monde russe et soviétique, vol 26, no. 1, Januar-März 1985, S. 21-42

[13] A.a.O.

[14] Kommunisten und die nationale Frage, Teil 3, „Die Debatte während der revolutionären Welle und die Lehren für heute“, /content/1294/kommunisten-und-die-nationale-frage-aus-international-review-engl-ausgabe-nr-42-1985

[15] A.a.O.

[16] Die Degeneration der Russischen Revolution, in Internationale Revue Nr. 2

[17] Kommunisten und die nationale Frage, Teil 3, „Die Debatte während der revolutionären Welle und die Lehren für heute“, /content/1294/kommunisten-und-die-nationale-frage-aus-international-review-engl-ausgabe-nr-42-1985

[18] Vgl. Fn 1

[19] 3. Kongress der Komintern, Thesen über die Taktik

[20]  Die Parteien der Kommunistischen Internationale werden zu revolutionären Massenparteien, wenn sie den Opportunismus, seine Überreste und seine Traditionen, in ihren Reihen dadurch überwinden, dass sie sich eng mit den kämpfenden Arbeitermassen zu verbinden suchen, ihre Aufgaben aus den praktischen Kämpfen des Proletariats schöpfen, in diesen Kämpfen ebenso die opportunistische Politik der Vertuschung und Verkleisterung der unüberbrückbaren Gegensätze ablehnen und gleichzeitig jede revolutionäre Phrase ablehnen, die den Einblick in das reale Kräfteverhältnis verschließt, die Schwierigkeiten des Kampfes übersehen lässt." 3. Kongress der Komintern, Thesen über die Taktik

[21] 2. Kongress der Komintern, Leitsätze über die Grundaufgaben der Kommunistischen Internationale, Juli 1920

[22] Ebenda

[23] Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschland; die Mehrheit ihrer Mitglieder hatte nicht mit dem Reformismus gebrochen und verwarf die Diktatur des Proletariats und die Organisierung in Arbeiterräten

[24] Comment le PCF est passé au service du capital, IKS-Broschüre – auf französisch erhältlich (https://fr.internationalism.org/brochures/pcf)

[25] Für mehr Einzelheiten siehe unsere Broschüre zur KPD, Fn 24

[26] En marge d’un anniversaire, Bilan n°4, Februar 1934.

[27] Pierre Broué, Histoire de l’Internationale Communiste, 1919-1943, Fayard, 1997 (unsere Übersetzung ins Deutsche)

[28] Obgleich Roy selbst mit dieser Taktik nicht einverstanden war.

[29] Pierre Broué, Histoire de l’Internationale Communiste, a.a.O.

[30] Chen Duxiu, eines der Gründungsmitglieder der Partei, übte eine deutliche Kritik an dieser Ausrichtung. "Der Hauptgrund für unsere Opposition war folgender: Der Eintritt in die Kuomintang brachte Verwirrung in die Klassenorganisation, behinderte unsere Politik und bedeutete, sie derjenigen der Kuomintang unterzuordnen. Der KI-Delegierte sagte uns wörtlich, dass 'die gegenwärtige Periode eine Periode ist, in der Kommunisten für die Kuomintang Kuli-Arbeit (Handlangerdienste) leisten müssen'. Von diesem Zeitpunkt an war die Partei nicht mehr die Partei des Proletariats. Sie verwandelte sich in die extreme Linke der Bourgeoisie und begann, in den Opportunismus abzusinken" (Chen Duxiu, "Brief an alle Genossen der chinesischen KP", 10. Dezember 1929, in Pierre Broué, La question chinoise dans l’Internationale Communiste).

[31] Chinas ‚Revolution‘ von 1949 – ein Glied in der Kette imperialistischer Kriege, International Review Nr. 81, engl./franz./span. Ausgabe.

[32] Der "offene Brief" vom 7. Januar 1921, der von der KPD-Zentrale an andere Organisationen (SPD, USPD, KAPD) gerichtet wurde und zu gemeinsamen Aktionen der Massen und den kommenden Kämpfen aufrief, war eine der Prämissen dieser Politik.

[33] 1. Kongress der Komintern, Die Stellung zu den sozialistischen Strömungen und der Berner Konferenz

[34] Front unique, front anti-prolétarien, Révolution Internationale Nr. 45, Januar 1978

[35] Intervention der Delegation der KP Italiens auf dem 4. Kongress der Komintern, zit. nach dem Buch der IKS Die Italienische Kommunistische Linke, 2007, S. 32 f.

[36] Siehe dazu unsere beiden Artikel zur Kommunistischen Linken Russlands, /content/747/kommunistische-linke-russlands

[37] Angesichts der Tatsache, dass die Bedingungen für die Ausweitung der Revolution immer ungünstiger wurden, wäre es sachdienlicher gewesen, von "partiellen Kämpfen ..., die sich an einer revolutionären Perspektive orientieren", zu sprechen.

[38] Bilan, April 1934

[39] Herman Gorter, Eine Antwort an Lenins Broschüre: „Der linke Radikalismus, eine Kinderkrankheit des Kommunismus“, 1920

[40] Die Gewerkschaftsfrage haben wir bereits im zweiten Artikel dieser Serie untersucht (vgl. Fn 1), so dass wir an dieser Stelle nicht darauf zurückkommen werden. Erinnern wir uns jedoch daran, dass die Komintern am Ersten Kongress den Bankrott der Gewerkschaften sowie der Sozialdemokratie registriert hatte (auch wenn die Debatte über den Klassencharakter der Gewerkschaften nach dem Ersten Weltkriegs nicht abgeschlossen war), dann aber ihre Position änderte und für die Wiederbelebung der Gewerkschaften eintrat, indem sie in ihnen kämpfte mit den Zielen, deren Führung in die Wüste zu schicken und die Massen für den Kommunismus zu gewinnen. Diese illusorische Taktik wurde auf dem 3. Kongress mit der Forderung nach der Bildung der Roten Internationale der Gewerkschaften vorgebracht. Sie wurde von bestimmten linken Gruppen (insbesondere der deutschen Linken) bekämpft, die zu Recht die Auffassung vertraten, dass die Gewerkschaften keine Organe des proletarischen Kampfes mehr seien.

[41] Trotz der Tatsache, dass ein großer Teil der deutschen und niederländischen Linken später dazu überging, die Notwendigkeit der Partei zu leugnen, und dann die rätekommunistische bzw. rätistische Strömung bildete.

Rubric: 

Geschichte der Arbeiterbewegung