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Während wir schreiben, beginnt bei AEG in Nürnberg die dritte Streikwoche. Nach einem Beschluss des schwedischen Mutterkonzerns Elektrolux vom 12.12.05 soll das Werk in Nürnberg bis Ende 2007 geschlossen und die 1750 Beschäftigten entlassen werden. Nach einer von der IG Metall am 18. Januar durchgeführten Urabstimmung wurde drei Tage später am Eingangstor Muggenhoferstrasse mit einem unbefristeten Streik begonnen. Über 96% der Wahlbeteiligten hatten für den Streik gestimmt.
Während wir schreiben, beginnt bei AEG in Nürnberg die dritte Streikwoche. Nach einem Beschluss des schwedischen Mutterkonzerns Elektrolux vom 12.12.05 soll das Werk in Nürnberg bis Ende 2007 geschlossen und die 1750 Beschäftigten entlassen werden. Nach einer von der IG Metall am 18. Januar durchgeführten Urabstimmung wurde drei Tage später am Eingangstor Muggenhoferstrasse mit einem unbefristeten Streik begonnen. Über 96% der Wahlbeteiligten hatten für den Streik gestimmt.
Eine beispielhafte Kampfbereitschaft
Der Kampf bei AEG beweist, dass die Arbeiterklasse angesichts von Massenentlassungen, der stets um sich greifenden Arbeitslosigkeit und der unablässigen Angriffe auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen zum Kampf entschlossen ist. Die Entschlossenheit der Beschäftigten, Entlassungen und Werksschließung nicht tatenlos, sozusagen als unvermeidliches Naturereignis hinzunehmen, sondern als gesellschaftliche Frage, als Gegenstand des Klassenkampfes aufzufassen, ist beispielhaft. Die Arbeiterklasse ordnet sich der Logik des Kapitalismus nicht unter, weil diese Logik mit den Lebensinteressen der Lohnabhängigen nicht vereinbar ist.
Anders die Konzernleistung und die Politiker, anders auch die IG Metall. Als die Verwalter und Nutznießer der bürgerlichen Gesellschaft besteht die Rolle der Unternehmer, der Staatsvertreter und der Gewerkschaften darin, diesen Gesetzmäßigkeiten den Weg zu ebnen. So erklärt es sich, dass der offizielle Streik erst so spät einsetzte. Keine der ordnungspolitischen Instanzen, welche jetzt so wohlfeil ihre „Solidarität“ verkünden, dachte auch nur eine Sekunde daran, etwas zu unternehmen, um der Durchführung des Schließungsbeschlusses aus Stockholm Steine in den Weg zu legen. Ob IG Metall oder SPD, ob der Betriebsrat der AEG oder der Oberbürgermeister von Nürnberg, alle gehen davon aus, dass die Attraktivität des kapitalistischen „Standorts Deutschland“ entscheidend davon abhängt, dass deutsche wie ausländische Investoren nach Belieben Werke gründen können und auch jederzeit ohne „Belästigungen“ wieder schließen können, wenn woanders höhere Dividenden winken.
Es waren die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst, welche dem Kapital den Kampf aufgezwungen haben. Seit Mitte Dezember, als die Schließungsabsicht öffentlich wurde, herrscht im AEG Werk in Nürnberg so etwas wie der Ausnahmezustand. Die Empörung der Beschäftigten war schier grenzenlos. Schon Wochen vor dem Streik forderten die Betroffenen Kampfmaßnahmen. Seitdem wird immer wieder die Arbeit unterbrochen, um zu diskutieren und zu protestieren. Der Krankenstand schnellte auf 20% hoch.
Betriebsrat und IGM wollten den Kampf nicht
Betriebsrat und IG Metall, an der Leitung des Konzerns mitbeteiligt, müssten lange vorher von der Schließung gewusst oder es zumindest geahnt haben. Es heißt sogar, dass von 20 Werken des Elektroluxkonzerns 13 als Kandidaten gelten, geschlossen zu werden. Trotzdem wurde nichts unternommen, um die Betroffenen auf einen frühzeitigen Kampf einzustimmen. Das Gegenteil war der Fall. Die Gewerkschaften stellten die Schließung des Werkes zunächst als eine bereits feststehende Tatsache hin, an der nicht mehr zu rütteln sei, und versuchten die Wut der Betroffenen wegzulenken auf die Frage eines „Sozialplans“.
Diese Vorgehensweise der Gewerkschaften hat Methode. Sie wurde kurz zuvor schon bei Infineon in München genauso praktiziert. Die Proletarier hingegen haben nie akzeptiert, dass das Werk dichtgemacht wird. Sie dachten dabei nicht nur an sich, sondern an die Millionen von Erwerbslosen, welche jetzt schon der Verarmung preisgegeben sind. Und sie dachten an die kommende Generation, welche jetzt schon zum bedeutenden Teil keine andere Zukunft sieht als Ausgrenzung und permanente Unsicherheit. Die Hauptforderungen der Streikenden „ Einrichtung einer Beschäftigungsgesellschaft bis Ende 2010 bei voller Lohnfortzahlung“ und – „Abfindungen in Höhe von 3 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr“ sind Ausdruck dieses Willens. Sie zielen darauf ab (wie die Streikenden selbst immer wieder beteuern), das Dichtmachen des Werkes kostspieliger zu machen als die Aufrechterhaltung der Produktion.
Mercedes, Opel, AEG
Die Auseinandersetzung in Nürnberg ist der dritte große Kampf des Proletariats in Deutschland in weniger als zwei Jahren gegen Massenentlassungen und gegen die damit verbundenen Erpressungen. Zwar hat es in dieser Zeit viele andere Protestaktionen gegen Entlassungen und Schließungen gegeben: so bei der Telekom, der Deutschen Bank, bei Continental in Hannover oder eben bei Infineon. Dennoch fanden die Kämpfe bei Daimler, Opel und bei AEG ein besonderes Echo innerhalb der gesamten Arbeiterklasse – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern international. Dies erklärt sich dadurch, dass es sich in diesen drei Fällen um jeweils Tausende von Betroffenen handelt; um Großbetriebe mitten in städtischen und industriellen Ballungsgebieten; sowie um international operierende Konzerne. Die bedeutendste Gemeinsamkeit liegt jedoch darin, dass man mit großer Entschlossenheit und unter Einsatz der Streikwaffe auf die Angriffe des Kapitals antwortete.
Wir beobachten heute eine steigende Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse, nicht nur in Deutschland, sondern international. So hat es in den letzten Wochen z.B. wilde Streiks gegen Entlassungen bei der VW Tochter SEAT in Barcelona gegeben. Diese allmählich anlaufende Kampfeswelle beendet eine sehr lange Phase der zurückgehenden Kampfkraft und des zurückgehenden Klassenbewusstseins nach dem Fall der Berliner Mauer, als man uns mit einigem Erfolg eintrichterte, dass Arbeiterklasse und Klassenkampf nur noch Relikte der Geschichte seien. Jetzt, wo der Klassenkampf wieder auflebt, müssen wir uns wieder daran gewöhnen, nicht nur entschlossen in den Kampf zu treten, sondern auch das Handeln der Gegenseite zu untersuchen und dabei an die Lehren aus den Kämpfen der 70er und 80er Jahre wieder anzuknüpfen. Es ist dabei sehr wichtig, nicht nur die Gemeinsamkeiten zwischen den Kämpfe zu sehen – v.a. die großartige Kampfbereitschaft –sondern auch die Unterschiede. Tun wir dies, so fällt sofort auf, dass die Herrschenden gegenüber Daimler oder Opel sehr darauf aus waren, die Kämpfe möglichst rasch zu beenden. Wovor die Bürgerlichen Angst hatten, war die Solidarität der Arbeiterklasse. Diese Frage stand von Anfang an im Mittelpunkt bei Mercedes im Juli 2004, weil die Beschäftigten in Bremen aus Solidarität mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart mit in den Streik getreten waren.. Als dann im Oktober 2004 bei Opel Bochum gestreikt wurde, und sowohl im gesamten Ruhrgebiet wie in ganz Europa unter den Opel-Beschäftigten das Gefühl der Solidarität groß war, weigerte sich die IG Metall, diesen Streik offiziell zu unterstützen. So stand diese spontane Arbeitsniederlegung und Werksbesetzung von Anfang bis zum Ende als illegale Aktion unter der Drohung der Repression. Denn die Herrschenden fürchteten ernsthaft, dass das Beispiel der Solidarität bei Daimler hier Schule machen konnte. Auch gegenüber dem U-Bahnstreik in New York Anfang des Jahres, wo die Jetzt-Beschäftigten streikten, um die Pensionen der Neu-Einzustellenden zu verteidigen, ging man mit Hetztiraden, Geldstrafen und Gewaltdrohungen vor, um eine möglichst schnelle Wiederaufnahme der Arbeit zu erzwingen.
Anders bei der AEG in Nürnberg. Dort erleben wir, wie die IG Metall nicht nur die Durchführung des Streiks in die eigenen Händen nahm, sondern sich von vorn herein auf einen Arbeitskampf von mindestens einem Monat festlegte. Wir erlebten, wie der bayerische Ministerpräsident Stoiber sofort nach Nürnberg eilen wollte, um seine „Solidarität“ zu verkünden. Diese Geste eines der mächtigsten Politiker Deutschlands machte sofort klar, dass die Herrschenden zu dem Zeitpunkt nicht daran dachten, gewaltsam gegen die Betriebsbesetzung vorzugehen. Es hat den Eindruck, als ob die Bourgeoisie es diesmal gar nicht so eilig hat, die Flammen des Klassenkampfes auszutreten. Aber warum?
Wie die Herrschenden die Arbeitersolidarität bei der AEG zu zerstören trachten
Des Rätsels Lösung liegt unserer Ansicht nach in der Kombination zweier Faktoren. Einerseits handelt es sich bei AEG in Nürnberg, anders als bei Mercedes oder Opel, nicht nur um Personalabbau, sondern um eine Werksschließung. Dort, wo das Werk ohnehin dicht gemacht werden soll, ist es für die Beschäftigten schwieriger, sich wirksam zur Wehr zu setzen. Das heißt nicht, dass es in solch einer Lage nicht möglich wäre, erfolgreich zu kämpfen. Aber ein solcher Kampf würde einen höheren Grad an Bewusstsein und an Solidarität verlangen, als die kämpfende Klasse im Durchschnitt in der heutigen Zeit schon erreicht hat. Es würde insbesondere bedeuten, die Arbeitersolidarität als ein internationales Prinzip aufzufassen, so dass die Beschäftigten beispielsweise in Polen, wohin die jetzt in Nürnberg angesiedelte Produktion ausgelagert werden soll, nicht als Rivalen, sondern als Kampfgenossen verstanden werden.
Andererseits handelt es sich bei AEG in Nürnberg bekanntlich um ein Werk, das noch schwarze Zahlen schreibt. So können die Besitzenden den „Fall AEG“ ausschlachten, um die vor millionenfacher Arbeitslosigkeit und vor ohne Unterlass rollenden Entlassungswellen stehende Arbeiterklasse daran zu hindern, den Kapitalismus als System dafür verantwortlich zu machen. Man tut so, als ob es im Kapitalismus „pervers“ wäre, sich nicht mit weniger Profit zufrieden zu geben. Es ist aber ein Gesetz des Kapitalismus, dass der Profit, mit dem man sich zufrieden geben muss, vom Markt bzw. von der Konkurrenzsituation diktiert wird. Konzerne nehmen manchmal Verluste über längere Zeit in Kauf, um ihre Rivalen durch Dumpingspreise nieder zu konkurrieren. Andererseits nehmen sie niemals magere Profite hin, wenn die Konkurrenten fettere einstreichen.
Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass die besitzende Klasse normalerweise kein Interesse daran haben kann, Kampfmassnahmen gegen Entlassungen oder Schließungen zuzulassen. Der Schaden für den kapitalistischen „Standort“ Deutschland, welcher durch die Behinderung einer „ordnungsgemäßen Abwicklung“ eines Betriebes durch Arbeiterkämpfe entsteht, kann dennoch manchmal aufgewogen werden durch ein politisches Ergebnis, welches künftige Entlassungen auf breiter Front leichter durchsetzbar macht.
Im Klartext: Die Kapitalistenklasse nutznießt die verzweifelte Lage der Lohnabhängigen von AEG, um eine trügerische, bürgerliche Sichtweise des Klassenkampfes in der gesamten Arbeiterklasse zu verbreiten. Sie profitiert dabei von der gegenwärtigen Isolation der Betroffenen vom Rest ihrer Klasse. Es instrumentalisiert diesen Kampf, um die längst bürgerlich gewordenen gewerkschaftlichen Methoden anzupreisen und zu verbreiten. Am Beispiel der AEG will die Kapitalistenklasse uns vorführen, dass der moderne Arbeiterkampf darin besteht, in einem einzigen Betrieb so lange zu streiken, bis die Kapitalseite nachgibt. Um die Beschäftigten bei AEG bei der Stange zu halten, hat man beispielsweise am 13. Streiktag im Streikzelt erzählt, dass unlängst bei Marseille eine Belegschaft erfolgreich die Werkschließung verhindert habe durch einen 21 Monate währenden Ausstand. Als diese Nachricht nicht durch Jubel, sondern mit entsetztem Stöhnen quittiert wurde, holte man rasch etwas anderes aus der Trickkiste. Man kündigte eine Anzeigenkampagne in der Bildzeitung an, um Geld zu sammeln für einen langen Streik in Nürnberg. Die „AEGler“, so die gewerkschaftliche Drohung, sollen sich „warm anziehen“.
Abgesehen davon, dass die Bildzeitung vermutlich der finanzielle Hauptnutznießer einer solchen „Solidarität“ wäre, zeigte die Reaktion der Streikenden, dass manche von ihnen erste Zweifel an der Wirksamkeit langer, isolierter Streiks bekommen. Solche Mittel waren wirksam zu einer Zeit, als die Arbeiter einzelnen Kapitalisten gegenüber standen, und nicht wie heute mächtigen Unternehmerverbänden, dem Staatsapparat, ja dem kapitalistischen Weltsystem insgesamt.
Die Kehrseite des isolierten Kampfes, der nichts anderes bedeutet als eine sichere Niederlage, ist die Verzweiflung und Perspektivlosigkeit der Betroffenen. Auf der bereits erwähnten Betriebsversammlung lobten Betriebsrat und IGM das Beispiel von Elektrolux in Spanien, wo im vorigen Jahr die Beschäftigten auf die Werksschließung mit der Zerstörung von Firmeneigentum reagierten. Allein: Auch diese scheinradikalen Aktionen haben das Aus nicht verhindern können.
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
Was den Besitzenden Angst einjagen kann, ist einzig und allein die rasche und selbstständige Ausdehnung des Kampfes, die Entwicklung der Arbeitersolidarität, sowie die politische Infragestellung des Kapitalismus. Weil die Besitzenden dies ganz genau wissen, versuchen sie bei AEG, die Arbeiter gegen einander zu hetzen, sie zu einem Schulterschluss mit ihren eigenen Ausbeutern zu bewegen. So verkünden die Gewerkschafter in Nürnberg immer wieder, der eigentliche Erfolg des Kampfes bei AEG bestünde darin, die Beschäftigten und „ihre Politiker“ zusammenzubringen gegen die international operierenden Konzerne. So erweist sich die scheinradikale Ideologie der „Globalisierungsgegner“ als nationalistische Hetze, welche jetzt dankbar von den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie gegen die kämpfenden Arbeiter eingesetzt wird. Sie sehen den „Erfolg“ des Kampfes bei AEG darin, ein Stück weit die „nationale Handlungsfähigkeit der Politik“ zurückerobert zu haben. Sie weisen darauf hin, dass während Stoiber am ersten Streiktag sich anbot, um in „Vermittlungsmission“ nach Stockholm zu reisen, die Elektroluxleitung mittlerweile anfragt, ob sie in München bei der Regierung Hilfe bekommen könne. Was das im Klartext bedeutet, ist folgendes: Man soll sich nicht als Arbeiter gegen die Angriffe des Kapitals zur Wehr setzen, sondern als braver, steuerzahlender Bürger, der sich darüber ereifert, dass „unsere“ Steuern von der EU verwendet werden, um „unsere“ Arbeitsplatze zu vernichten bzw. nach Polen auszulagern (wobei verschwiegen wird, dass Unternehmer auch subventioniert werden, wenn sie Betriebe aus Polen nach Deutschland verlagern, was oft genug vorkommt). Sie wollen nicht, dass wir als Arbeiter an die großartigen Massenstreiks des polnischen Proletariats in den 70er und 80er Jahren denken, und daran ein Beispiel nehmen. Sie wollen nicht, dass die Kämpfenden bei AEG daran denken, dass es andere von Entlassungen Bedrohte in ihrer unmittelbaren Umgebung gibt, dass nicht ein Werk, sondern dreizehn Elektroluxwerke vor dem Aus stehen, dass es 5 Millionen Erwerbslose allein in Deutschland gibt und kaum weniger in Polen: lauter potentielle Mitstreiter gegen das Kapital
Wie sehr diese nationalistische Hetze die Atmosphäre bei AEG bereits vergiftet hat, zeigte der 14. Streiktag am 22. Februar. Erst einen Tag, nachdem er eine raschere Einführung der Heraufsetzung des Rentenalters durchgesetzt hatte, kam der SPD Spitzenpolitiker und derzeitige „Sozialminister“ Müntefering ins Nürnberger Streikzelt – und es wurde ihm zugejubelt.
Nicht die EU Subventionen, nicht besonders raffgierige Einzelkapitalisten, und nicht die internationalen Konzerne, sondern das unsinnig gewordene, zerstörerische Konkurrenzsystem des Kapitalismus ist verantwortlich für der unerträgliche Armut und Unsicherheit der Lohnabhängigen. Nicht der Staat mit seinen Politikern und Gewerkschaften, sondern die anderen Arbeiter sind die Verbündeten des kämpfenden Proletariats. Die Solidarität der Arbeiterklasse ist international.
Internationale Kommunistische Strömung. 03.02.2006.