Lange Zeit ist es dem deutschen Imperialismus gelungen, sein wichtigstes Instrument, die Bundeswehr, als die gute Fee zu verkaufen, die in all den Krisenherden der Welt mit Know-how und gutem Willen für das gesundheitliche Wohlergehen der geplagten Zivilbevölkerung, für die Schlichtung von Stammesfehden und für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung auf den Straßen sorgt. Jahrelang wurde wirkungsvoll und mediengerecht das Image der Bundeswehr als Katastrophenhelfer inszeniert, die im Inland wie im Ausland bei Naturkatastrophen Leben rettet statt zu vernichten. Doch dieses Bild bekommt nun die ersten Risse, ja erweist sich immer deutlicher als Illusion.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass ausgerechnet jetzt, wo sich die USA in einer außenpolitischen Krise befinden, einige Jahre alte Fotos in die Presse lanciert wurden, die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zeigen, wie sie mit den Schädeln unbekannter Toter posieren. Wir wollen an dieser Stelle nicht darüber spekulieren, wer diese Fotos in Umlauf gebracht hat. Fakt ist jedoch, dass diese Akte der Totenschändung - vergleichsweise harmlosere Ausdrücke der Verrohung im Militär - den deutschen Imperialismus in arge Erklärungsnöte gegenüber der islamischen Welt brachten und ihn in seiner Goodwill-Politik (einer der Trümpfe, den der deutsche Imperialismus gegenüber den übermächtigen USA besitzt) zurückzuwerfen drohten. Unterdessen wächst der Druck der britischen, holländischen und kanadischen NATO-Verbündeten bzw. Rivalen auf das deutsche Militär, sich mit Truppen an den heftigen und verlustreichen Kämpfen gegen die Taliban in Südafghanistan zu beteiligen. Die Weigerung des deutschen Imperialismus, seine Truppen vom Norden in den heftiger umkämpften Süden Afghanistans zu verlegen, hat ihm unter den "Alliierten" schon den Vorwurf der "Feigheit vor dem Feind" eingebracht. Denn aus ihrer Sicht ist es überhaupt nicht akzeptabel, dass sie mit jedem weiteren Soldaten, der in den Kämpfen gegen die Taliban fällt, steigenden Unmut ihrer eigenen Bevölkerung riskieren, während der deutsche Imperialismus im Norden Afghanistans versucht, sein Image als Wohltäter zu pflegen.
Brisant ist auch die Affäre um die Soldaten der Eliteeinheit KSK. Nicht nur, dass sie offensichtlich bei der Folterung von Al-Qaida-Verdächtigen deutscher Herkunft in amerikanischem Gewahrsam beteiligt waren. So sickerte nebenbei auch noch durch, dass die KSK-Rambos offensichtlich in Afghanistan bereits ihr Unwesen trieben, ehe das Parlament überhaupt zugestimmt hatte. Deutlicher kann einem nicht vor Augen geführt werden, dass das Parlament als Ort der Exekutive zum reinen Mythos verkommen ist.
Wie wenig willkommen die Bundeswehr in ihren Auslandseinsätzen ist, zeigen auch und gerade die Zwischenfälle im Mittelmeer. Verstört musste die hiesige Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen, dass es die israelische Luftwaffe (und nicht arabische Terroristen) war, die Scheinangriffe gegen die deutsche Marine flog - ein militärisches Imponierverhalten, das üblicherweise nicht unter Freunden, sondern gegen militärische Gegner ausgeübt wird. Diese Scheinangriffe wirkten auf die deutsche Öffentlichkeit um so befremdlicher, war es doch, laut Kanzlerin Merkel, angeblicher Zweck der Entsendung der deutschen Marine an die libanesische Küste, das Existenzrecht Israels zu sichern.
Noch gehört die Bundeswehr zu den angesehensten Institutionen in der Bundesrepublik. Doch allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass es nicht weit her ist mit dem uneigennützigen Handeln des deutschen Imperialismus, dass hinter dem heuchlerischen Gerede von den "humanitären", "friedenserhaltenden" Absichten der Auslandseinsätze der Bundeswehr nichts anderes als das Bestreben der deutschen Bourgeoisie steckt, Flagge zu zeigen und ihre Claims in den geostrategisch wichtigen Regionen dieser Welt abzustecken.
Nach dem verloren gegangenen 2. Weltkrieg gab Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik, die Parole heraus: Nachdem wir Deutschen fünfzig Jahre lang hochgestapelt haben, werden wir nun fünfzig Jahre lang tief stapeln müssen.
Tatsächlich ist die Bundesrepublik gerade in Bezug auf die eigene militärische Rolle Meister der Tiefstapelei geworden. Beispiel Nordafghanistan. Woher rührt das "hohe Ansehen" der Bundeswehr in dieser Weltgegend? Die Schlafmohnfelder Nordafghanistans sind heute Dreh- und Angelpunkt des weltweiten Heroinhandels geworden. Ganze Privatarmeen nicht nur in Afghanistan, sondern im gesamten Zentralasien und darüber hinaus werden daraus finanziert. Strategische Verbindungen zwischen Rauschgift- und Waffenhandel und der internationalen Diplomatie werden dabei geknüpft. Das ruhmreiche "Nation Building" der Bundeswehr in Afghanistan besteht nicht zuletzt in der Pflege der Beziehungen zu und die Förderung der Interessen von einigen der mächtigsten Warlords dieser Gegend. Und im Süden Afghanistans: Was tut dort die Spezialeinheit KSK? Die Bundestagsabgeordneten, die so überrascht waren durch die Nachricht, dass die KSK schon so lange dort im Einsatz waren, sie zeigen kein Interesse, solche Geheimnisse zu lüften. Auch die der Linkspartei nicht. Es hat schon seinen Grund, wenn die Praktiken dieser Elite-Einheit als Staatsgeheimnis gelten.
Auch im Kongo, diesem gigantischen Friedhof im Herzen Afrikas - wo allein in jüngster Zeit mehrere Millionen Menschen ermordet worden sind - ist das deutsche Militär nicht gerade unterwegs, um "freie Wahlen" abzusichern, sondern um mit ausgewählten Mörderbanden "vertrauensvoll zusammenzuarbeiten".
Und weshalb feuern israelische Militärs Warnschüsse auf die Bundesmarine vor der libanesischen Küste? Die Politiker und die Medien faseln von "Missverständnissen", um das Offensichtliche zu leugnen: Israel hat allen Grund, Deutschland mit einer Warnung zu empfangen. Denn Israel ist der Hauptverbündete der USA im Nahen Osten, während Deutschland heute zu den wichtigsten Herausforderern Amerikas gehört. Die Bundesmarine patrouilliert vor Suez und am Horn von Afrika, nicht um das Existenzrecht Israels, sondern um die nationalen Interessen der deutschen Bourgeoisie zu verteidigen. Diese nationalen Interessen einer der führenden Industriestaaten der Welt werden längst in "Weißbüchern" der Bundesregierung so formuliert: Militärische Absicherung des "freien" Welthandels und des Zugangs zu den wichtigsten Rohstoffen der Erde sowie die Pflege von "partnerschaftlichen Beziehungen" mit potenziellen Verbündeten in aller Welt. Die deutsche Bourgeoisie denkt nicht im Traum daran, sich erpressbar zu machen, in dem sie diese "Absicherung" und "Pflege" ihrem Hauptrivalen USA überlässt!
Das bedrückendste Problem der deutschen Bourgeoisie ist in dieser Hinsicht die wachsende Kluft zwischen ihren imperialistischen Ansprüchen und den materiellen Mitteln, die sie dafür locker machen kann.. "Während Länder wie Australien, Frankreich oder Großbritannien in den vergangenen Jahren ihren Wehretat ausweiteten, sank der deutsche Verteidigungsetat seit der Wiedervereinigung fast kontinuierlich (...) Kaum mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts von etwa zwei Billionen Euro wendet die Republik für die Verteidigung auf und gehört damit unter den Nato-Ländern zu den Schlusslichtern." (1)<!--[if !supportFootnotes]-->[i]<!--[endif]--> [1]
Die sog. Verteidigungsexperten schlagen Alarm: Heer, Luftwaffe und Marine seien nur noch bedingt einsatzbereit. Schon jetzt würden Soldaten mit unzureichender Ausrüstung in ihre heiklen Auslandsmissionen geschickt. Einmütig fordern diese Experten mehr Geld, viel mehr Geld für die Bundeswehr.
In der Tat steht die deutsche Bourgeoisie vor einem Dilemma. Dass die Bundesrepublik im Rüstungswettlauf ins Hintertreffen geraten ist, hängt viel mit den Kosten der deutschen "Wiedervereinigung" zusammen. Dies heute wieder wettzumachen, würde eine andere Qualität der Angriffe gegen die Arbeiterklasse erforderlich machen. Denn, woher nehmen, wenn nicht stehlen? Erhöht sie die Rüstungsausgaben, so ist sie gezwungen, die Sozialausgaben entsprechend zu kürzen. Unterlässt sie es jedoch, die Bundeswehr zu modernisieren und aufzurüsten, kann sie ihre Absicht, die US-Supermacht herauszufordern, begraben. Zudem geht es darum, als führende Macht Kontinentaleuropas überall auf der Welt vermehrt präsent zu sein.
Nun, für die erste Alternative gibt es derzeit keine Mehrheit in der Bevölkerung: "64 Prozent der Bürger sind dagegen, den Verteidigungshaushalt - derzeit rund 24 Milliarden Euro - zu erhöhen."<!--[if !supportFootnotes]-->[ii]<!--[endif]--> [1]. Doch die zweite Alternative findet wiederum bei den Herrschenden aus naheliegenden Gründen keinen Anklang. Was also tun? Vorerst behilft sich die große Koalition damit, unter Zuhilfenahme haushaltspolitischer Tricks den Wehretat peu à peu zu erhöhen.
So verhält es sich auch im Falle des europäischen Technologiekonzerns EADS. Hier drohen Deutschland im Zuge der Krise um den Airbus die Felle davonzuschwimmen. Während der französische Staat seine Aktienbeteiligung ausbaut und Russland fünf Prozent der Aktien von EADS, dem Mutterkonzern von Airbus, erwarb, beabsichtigt DaimlerChrysler als deutscher Großaktionär, seinen Anteil sukzessive zu verkaufen. Fieberhaft sucht die große Koalition nun nach einem Dreh, wie sie sich in den Besitz dieses Aktienpaketes bringen kann, ohne den Haushalt zu belasten. Denn ein Ausstieg aus EADS käme für den deutschen Imperialismus einer mittleren Katastrophe gleich. Er wäre gleichbedeutend mit dem vorläufigen Ende der imperialistischen Ambitionen Deutschlands, mit der EADS einen europäischen Rüstungskonzern mit zu gestalten, der den USA Paroli bieten kann.
Zieht man ein Fazit, so kommt man nicht umhin festzustellen, dass nicht nur der amerikanischen, sondern auch der deutschen Bourgeoisie die imperialistische Überdehnung droht. Nicht zuletzt steht ihr ein Hindernis im Weg, das durch keinen Panzer beiseite geräumt werden kann: der Unwille der Arbeiterklasse in Deutschland, noch mehr Opfer auf sich zu nehmen, um die Rüstungsarsenale des Imperialismus zu füllen.
TW 17.11.06
<!--[if !supportFootnotes]-->[i]<!--[endif]--> [1] Der Spiegel, Nr. 36
<!--[if !supportFootnotes]-->[ii]<!--[endif]--> [1] Der Spiegel, Nr. 37
Der nachfolgende Artikel wurde kurz nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses in Österreich geschrieben. Inzwischen sind 7 Wochen vergangen, ohne dass es bislang gelungen wäre, eine neue Regierung zu bilden. Dies bestätigt, dass es in Österreich (wie in jüngster Zeit in einer Reihe anderer Industriestaaten) es nicht mehr ohne Weiteres der Bourgeoisie gelingt, Wahlergebnisse nach Wunsch zu erzielen. Wir werden auf diese Problematik zu einem späteren Zeitpunkt in unserer Presse zurückkommen.
Nicht nur Kanzler Schüssel zeigte sich schockiert über den Ausgang der sicher geglaubten Wahlen (und die für österreichische Verhältnisse sehr niedrige Wahlbeteiligung). Auch international zeigten sich die Herrschenden sehr beunruhigt. Wieso aber diese Unruhe? Bei Wahlen gibt es doch stets Gewinner wie Verlierer. In der Tat, doch das scheinbar Überraschende an den Wahlen in Österreich ist die Tatsache, dass eine Regierung von der Bevölkerung "abgestraft" wurde, die aus Sicht der Bourgeoisie alles richtig gemacht hat. Auch wenn dies in den deutschen Medien kaum gesagt wurde, weil man wie eifersüchtig die "Erfolgsgeschichte" des kleinen Bruders nur ungern erwähnte, so wird doch Österreich allgemein wie etwa Schweden als Musterland präsentiert. Österreich hat Vieles bereits umgesetzt, was in Deutschland noch kommen wird, um möglichst konkurrenzfähig zu bleiben. Reformen wurden durchgesetzt, es wurden Anreize für Unternehmen geschaffen, das jährliche Staatsdefizit entspricht den Maastrichter Kriterien und die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie lange nicht mehr. So kann man es in den bürgerlichen Medien nachlesen.
Doch die ArbeiterInnen müssen mit diesen Reformen tagtäglich leben und sehen ganz einfach, was dies konkret bedeutet: Auch wenn es der Wirtschaft besser geht, so geht es uns aber immer schlechter. Hier zeigt sich, dass große Teile der Gewinne der Unternehmen auf Senkung des Faktors Arbeitskraft (variables Kapital) beruhen. Es geht den Unternehmen also besser, wenn sie die ArbeiterInnen zu mehr unbezahlter Mehrarbeit, insbesondere zu Zeitarbeitsverträgen erpressen. Sonst droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Selbst der ARD-Korrespondent für Österreich schreibt: "Die Arbeitslosigkeit ist beneidenswert niedrig, dafür verdienen aber auch viele Menschen wenig und nur sehr wenige viel. Und alle haben sehr unsichere Arbeitsplätze. Und sie zahlen hohe Abgaben und Steuern, während die Unternehmenssteuern gesenkt wurden." (Online Nachrichten ARD) Die Mär, das wenn es der Wirtschaft, den Unternehmen besser geht, es auch mehr sichere Arbeitsplätze gibt, von denen man seine Familie ernähren kann, bekommt tiefe Risse. Im Übrigen ist die Krise des Kapitalismus auch in Österreich damit keineswegs gelöst. Vielmehr sind die "Reformen" in der einstigen "Insel der Seligen" Ausdruck der, durch die Krise erzeugten, ungeheueren Verschärfung der internationalen Konkurrenz.
Eigentlich sind die Wahlen ein Hauptinstrument der Herrschenden, um uns ideologisch zu bearbeiten und uns das Gefühl zu geben, dass wir mit der Stimmabgabe etwas bewirken können, doch die Wahlen in Österreich (und nicht nur dort) zeigen, dass die Überzeugung der arbeitenden Bevölkerung schwindet. Heute sehen wir mehr und mehr, dass Wahlen nicht Ausdruck einer positiven Entscheidung für eine Partei, sondern negativer Ausdruck eines Abstrafens sind. In diesem Licht muss man auch das bessere Abschneiden der rechten Randparteien sehen. Sie sind ebenfalls Teil des kapitalistischen Systems. Aber mehr Glaube an die anderen Parteien besteht oft eigentlich auch nicht.
Tatsächlich ist dies eine internationale Entwicklung. Vor wenigen Wochen erst wurde im nördlichen Musterland Schweden die "Erfolgsregierung" um Persson ebenfalls abgestraft, denn der so genannte Erfolg geht auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Auch die Vorzeigeländer des ehemaligen Ostblocks Ungarn und die Slowakei brechen derzeit ein. So war der Lügenskandal in Ungarn nicht nur, dass die Bevölkerung vor den Wahlen angelogen wurde, sondern auch, dass Ungarn die Zahlen für die EU fingiert hat. Tatsächlich beträgt das jährliche Staatdefizit um die 10%! Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der arbeitenden Bevölkerung sind dort besonders hart.
Wie überraschend war das Wahlergebnis in Österreich also wirklich? Vieles spricht dafür, dass die sozialdemokratische SPÖ - die Hauptgewinnerin dieser Wahl - weniger überrascht war als die Anführerin der abgelösten Regierungskoalition, die ÖVP. Jedenfalls war es auffallend, dass die SPÖ allen für sie negativen Umfragen zum trotz zuversichtlich in den Wahlkampf zog. Die Wahlen sind vor allem für die traditionell konservativen Fraktionen wie die ÖVP in Österreich oder die Fraktion um Merkel in Deutschland als Stimmungsbarometer von Bedeutung, während die Sozialdemokraten mittels ihrer Verbindung zu den Gewerkschaften über viel bessere und kontinuierlicher arbeitende Überwacher der Stimmungen innerhalb der Arbeiterklasse verfügen. So scheint die ÖVP erst nach der Wahl begriffen zu haben, dass der Vormarsch der Krise heute ein anderes ideologisches Vorgehen nötig macht, welches die Verarmung der arbeitenden Bevölkerung nicht mehr einfach leugnet.
Zugleich zeigt das Wahrergebnis, dass es der österreichischen Bourgeoisie nicht gelungen ist, die Partei Jörg Haiders als relativ verantwortungslosen, populistisch-politischen Ausdruck der herrschenden Klasse durch die Regierungsbeteiligung zu bändigen. Heute gibt es nicht eine, sondern gleich zwei solcher Parteien. Dennoch: Die Wahlen haben vor allem gezeigt, dass das Proletariat zwar Illusionen gegenüber der kapitalistischen Krise einbüsst, dass aber die Täuschungsmittel der Demokratie selbst - der sinkenden Wahlbeteiligung zum trotz - immer noch gut funktioniert. Denn das "Abstrafen" tut zwar den abgestraften Politikern weh, nicht aber der herrschenden Klasse insgesamt. Aber auch damit kann man die Bevölkerung für die Stimmabgabe mobilisieren und vom Wege des Klassenkampfes ablenken. Und das Auftreten der Haiderpartei sowie der ehemaligen Haiderpartei FPÖ erlaubt der Bourgeoisie einerseits durch eine ganz offen ausländerfeindliche Hetze die Arbeiterklasse zu spalten, und gleichzeitig eine "anti-faschistische" Anti-Haider-Stimmung zu erzeugen, welche Stimmung für die bürgerliche Demokratie macht.
Dies zeigt, dass die Abstrafung der Regierung in Österreich durch die Arbeiterklasse Teil einer allgemeinen und wichtigen Entwicklung ist. In den Medien wurde darüber spekuliert, ob Schüssel den Fehler gemacht hat, alles schön zu reden. Er hätte lieber der Bevölkerung die Wahrheit sagen sollen. Da muss man unwillkürlich an die Wahlstrategie Merkels denken, die aus einer zwischenzeitlichen absoluten Mehrheit in den Umfragen, dank eben dieser "Wahrheitsstrategie" beinahe noch die Wahlen verloren hätte. Dies zeigt das Dilemma der Herrschenden. Wie soll man diese gesellschaftliche Sackgasse am Besten verkaufen, so dass die Arbeiterklasse all diese Angriffe selbstgenügsam erträgt? Wichtig für uns ist aber das Erkennen, dass die soziale Frage wieder in den Blickpunkt tritt. Es handelt sich um ein allmähliches Dämmern bei der arbeitenden Bevölkerung, dass diese Gesellschaftsordnung eine Sackgasse bedeutet. Die Desillusionierung und die Unzufriedenheit über die Wahlen und über das kapitalistische System insgesamt wachsen. Erst 2003 gab es in Österreich ja große Proteste gegen die so genannte Rentenreform. Der Kampfeswille der Arbeiterklasse ist also keine große Unbekannte.
Anlässlich seines hundertfünfzigsten Todestages wurde im Verlauf des Jahres 2006 Heinrich Heine als großer Dichter der deutschen Romantik gefeiert. Heine: Ist das nicht der Schöpfer des Loreleyliedes, das so volkstümlich klingt, dass auch die Nationalsozialisten nicht darauf verzichten wollten? Die Romantik: War das nicht eine Flucht vor der Realität in die Vergangenheit, in die Religion bzw. in die Welt der Märchen und Mythen? Und wenn ja, was hat eine revolutionäre marxistische Zeitschrift von heute mit Heine zu schaffen?Ja, Heine schrieb das Loreleylied. Die Nazis sangen es. Sie setzten darunter: Autor unbekannt.
Ja, Heine war der große Dichter der deutschen Romantik. Ja, die Stimmung dieser Zeit war reaktionär und rückwärtsgewandt. Das Mittelalter, der Adel und die katholische Kirche wurden verherrlicht. Am Rhein und anderswo wurden Burgruinen wiederaufgebaut und brachliegende gotische Kathedralen wie in Köln vollendet. Alte Mythen und Volksmärchen wurden wiederentdeckt. Aber Heine war ein Revolutionär. Er war es zum Teil in der Politik. Er war es in seiner Kunst ganz und gar. So sehr, dass das revolutionäre Proletariat Heine einiges zu verdanken hat, und von ihm heute noch viel lernen kann. Wie passt das zusammen?
Es ist kein Fehler, die Romantik, zumal in Deutschland, als feudale Reaktion auf die große bürgerliche Revolution in Frankreich und auf die von England ausgehende industrielle Revolution zu betrachten. Die Romanik blühte besonders auf, nachdem die revolutionären Armeen Napoleons durch eine mit englischem Geld ausgestattete europaweite adlige Koalition niedergerungen wurden. Aber nicht nur die feudale Welt war erschrocken angesichts des Einbruchs der kapitalistischen Moderne. Viele der aufrichtigsten mitfühlenden Menschen und tiefsten Denker der Epoche waren besorgt und empört - nicht wegen des wirtschaftlichen Fortschritts, sondern angesichts der sich abzeichnenden Verrohung der Gesellschaft. Sie waren nicht gegen die französische Revolution, sondern enttäuscht über deren Ergebnisse. So kam es, dass viele der damaligen Künstler, obschon durch den vorherrschenden Zeitgeist mitgeprägt, eine revolutionäre Seite der romantischen Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus zu entwickeln begannen. Wie kaum ein anderer Dichter dieser Zeit verkörperte Heine diese revolutionäre Seite der Romantik.
In Düsseldorf geboren, war er ein typischer Vertreter des damaligen Rheinlandes. Hier lag der Teil Deutschlands, wo die Leibeigenschaft und das ganze mittelalterliche Gerümpel am radikalsten durch die französische Revolution abgeschafft und entsorgt wurden. So sehr, dass der deutsche Adel auch dann nicht wagte, sie wiedereinzuführen, als das Rheinland nach der Niederlage Napoleons an Preußen fiel. Das hatte zur Folge, dass Heine sein Leben lang ein erbitterter Feind des Feudalismus und ein glühender Verehrer Napoleons blieb. Aufgrund dessen wurde er in Deutschland unerbittlich verfolgt und ins Exil vertrieben. Die Reaktion verbot nicht nur seine sämtlichen Werke, sondern vorauseilend auch alle, die er künftig noch schreiben würde! Heine war als Jude besonders empfänglich für die Auswirkungen der französischen Revolution im Rheinland. Denn es war die Revolution, welche die Gleichstellung der Juden mit sich brachte, während die feudale Reaktion nach der Niederlage Napoleons alles tat, um diese Fortschritte wieder rückgängig bzw. sozial unwirksam zu machen.
Das Erlebnis der Einführung des gesellschaftlichen Fortschritts aus dem Ausland machte aus Heine einen Internationalisten. So soll er als Erster den Begriff der Weltrevolution geprägt haben. Wie andere Geistesgrößen Deutschlands vor ihm auch, wurde er durch die französische Revolution ebenso wie durch das Studium der Geistesgeschichte des Auslandes gelehrt, dass der gesellschaftliche Fortschritt grenzübergreifend ist. So trat er an gegen die "schäbige, plumpe, ungewaschene Opposition gegen eine Gesinnung, die eben das Herrlichste und Heiligste ist, was Deutschland hervorgebracht hat, nämlich gegen jene Humanität, gegen jene allgemeine Menschenverbrüderung, gegen jenen Kosmopolitismus, dem unsere großen Geister, Lessing, Herder, Schiller, Goethe, Jean Paul, dem alle Gebildeten in Deutschland immer gehuldigt haben."<!--[if !supportFootnotes]-->[i]<!--[endif]--> [4]
Heine hatte verstanden, dass der Fortschritt der Menschheit zum bedeutenden Teil von der Fähigkeit abhängen würde, eine höhere Synthese der besten Errungenschaften der Kulturen aller Völker zu erstellen. Er selbst - der als politischer Flüchtling in Paris Zuflucht fand - sah eine seiner wichtigsten Lebensaufgaben darin, an einer solchen Synthese des Denkens und Schöpfens zwischen Deutschland und Frankreich mitzuarbeiten. Diese Leistung Heines machte ihn nicht nur damals bei den herrschenden Klassen in Deutschland in zweifacher Hinsicht besonders verhasst. Zum einem, weil Frankreich während eines weiteren Jahrhunderts Erzfeind der deutschen Bourgeoisie bleiben sollte (heute fällt es natürlich einfacher, Heine zu "ehren", da die deutsche Bourgeoisie ein Bündnis sucht). Zum anderen, weil er damit einen Faden aufnahm, der zum Marxismus führte. Wie beispielsweise Lenin in einem am Vorabend des Ersten Weltkrieges geschriebenen Artikel später darlegte, waren die wichtigsten vorproletarischen "Quellen" des Marxismus auch schon international. "Die Geschichte der Philosophie und die Geschichte der Sozialwissenschaft zeigen mit aller Deutlichkeit, dass der Marxismus nichts enthält, was einem ‚Sektierertum' im Sinne irgendeiner abgekapselten, verknöcherten Lehre ähnlich wäre, die abseits von der Heerstraße der Entwicklung der Weltzivilisation entstanden ist. Im Gegenteil: Die ganze Genialität Marx´ besteht darin, dass er auf die Fragen Antwort gegeben hat, die das fortgeschrittene Denken der Menschheit bereits gestellt hatte. Seine Lehre entstand als direkte und unmittelbare Fortsetzung der Lehren der größten Vertreter der Philosophie, der politischen Ökonomie und des Sozialismus".<!--[if !supportFootnotes]-->[ii]<!--[endif]--> [4]
Auch Heines Interesse an den Märchen und Sagen der Völker entsprang keineswegs dem Wunsch, die Geschichte aufzuhalten oder gar zurückzudrehen. Vielmehr ließ er sich von diesen Quellen inspirieren, um einen neuen, damals unerhört lyrischen Rhythmus und eine neue Sprache zu entwickeln. Heine war als großer Dichter nicht nur ungemein sensibel gegenüber den geistigen Strömungen seiner Zeit. Als philosophisch gebildeter, an der Dialektik Hegels geschulter Künstler wusste er sehr genau, in welcher geschichtlichen Epoche er lebte. So erkannte er, wie die bürgerliche Epoche immer mehr die Künstler von der Gesellschaft isoliert und wie die Kunst für das Volk immer unverständlicher wird. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist einerseits die Entstehung einer kapitalistischen Massenkultur als Ausdruck der Barbarei und der Verdummung der Arbeiterklasse. Andererseits werden die Kunst und die Kultur wie selbstverständlich nur noch als das Produkt von Spezialisten betrachtet, an dem die arbeitende Bevölkerung keinen Anteil mehr hat.
Es wäre falsch, die Beschäftigung mit der Volkskunst in der Zeit der Romantik ausschließlich als Ausdruck einer reaktionären Nostalgie zu betrachten. Wie später Tolstoi oder der englische Marxist William Morris war Heine davon überzeugt, dass zum schöpferischen Erbe der Menschheit nicht nur die Werke der großen Baumeister, Maler oder Schriftsteller gehörten, sondern ebenfalls das Volkslied, das populäre Märchen und die Sagen oder etwa die Fachwerkhäuser und Schnitzereien der mittelalterlichen Handwerker. Das Zeitalter der Romantik war eine der letzten Epochen, wo die bedeutendsten Künstler sich noch von der lebendigen Kunst der arbeitenden Bevölkerung inspirieren lassen konnten. So haben die Gebrüder Grimm die Volksmärchen Deutschlands für die Menschheit aufgeschrieben und gerettet; Beethoven, Dvorak und Liszt die Melodien, Tänze und Rhythmen der Volksmusik aufgegriffen und weiterentwickelt usw.
Tatsächlich schöpft das ganze Werk Heines von dieser Tradition. Nicht nur seine Gedichte und Erzählungen, selbst die philosophischen, geschichtlichen und kunsthistorischen Stücke haben etwas Ursprüngliches, Überraschendes und auch Märchenhaftes an sich. Wir haben bereits gesehen, wie die "traditionelle" Bourgeoisie, auch wenn sie neuerdings vorgibt, Heine zu huldigen, sie allein schon wegen seines Internationalismus unüberwindliche Probleme mit Heines Werk hat. Dies gilt nicht minder für die stalinistische Bourgeoisie, auch wenn diese als angebliche Marxisten - wohl wissend, dass Marx Heine und seine Dichtung liebte - diesen Dichter immer offiziell "gefeiert" hat. Jedoch passte Heine nie zum offiziellen Kanon des Stalinismus, demzufolge nur die "realistische" Kunst auch "progressiv" ist. Der "Materialismus" der Stalinisten ist artverwandt mit dem bürgerlichen Materialismus Englands nach Bacon, von dem Engels und Marx in der Heiligen Familie" schreiben "Die Sinnlichkeit verliert ihre Blume" und "Der Materialismus wird menschenfeindlich."<!--[if !supportFootnotes]-->[iii]<!--[endif]--> [4]
Da das Wesen des Stalinismus aus einer Lebenslüge bestand, den nationalen, staatlich totalitären Kapitalismus als Sozialismus auszugeben, kann er unmöglich der fantastische, aber wahrheitsgetreue Realismus Heines begreifen. Dieser Realismus bohrte tiefer, als der bürgerliche Vulgärmaterialismus jemals zu bohren gewagt hätte. Heine war einer der Ersten, der die psychologischen Wahrheiten des Unterbewusstseins an der Oberfläche beförderte. Dabei schöpfte er von der Weisheit der alten Erzählungen. Damit schlug er einen Weg bei der Erforschung der menschlichen Psyche ein, der nach ihm von den großen realistischen Schriftstellern wie George Eliot in England, Dostojewski und Tolstoi in Russland, aber auch der "dekadente" Kafka weiter geführt wurde. Und Freud erkannte in Heine einer der Wegbereiter der Psychoanalyse. Somit war Heine nicht nur Dichter der Romantik, sondern zugleich deren Überwinder. Bekannt sind die vielen Stellen, wo er die romantische Pose ironisiert, z.B.:
"Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte so sehr
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! Sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück."
Heine setzte aber die lyrische Romantik ebenso wie seinen schneidenden Humor vor allem als eine Waffe ein, um uns zu entwaffnen, wenn er uns unerwartet mit der Wahrheit überfällt. Heine war einer dieser in der bisherige Geschichte seltenen Geister, welche möglichst ohne Illusionen leben wollen. Bereits vor Marx bewies Heine Mut zur historischen Wahrheit. Beispielhaft, wie er das tragische Schicksal Münzers schildert, der während der Reformation die irdische Gleichheit der Menschen zu einem Zeitpunkt einforderte, wo sie noch nicht realisierbar war. "Ein solcher Vorschlag war freilich damals noch unzeitgemäß, und Meister Himmling, der dir dein Kopf abschlug, armer Thomas Münzer, er war in gewisser Hinsicht wohl berechtigt zu solchem Verfahren: denn er hatte das Schwert in Händen, und sein Arm war stark!"<!--[if !supportFootnotes]-->[iv]<!--[endif]--> [4]
Heine fühlte nicht nur in sich die wachsende Zerrissenheit und das Leiden des Künstlers in der bürgerliche Gesellschaft - er erkannte es auch analytisch."Ach, teuerer Leser, wenn du über jene Zerrissenheit klagen willst, so klage lieber, dass die Welt selbst mitten entzweigerissen ist. Denn da das Herz des Dichters der Mittelpunkt der Welt ist, so musste es wohl in jetziger Zeit jämmerlich zerrissen werden. Wer von seinem Herzen rühmt, es sei ganz geblieben, der gesteht nur, dass er ein prosaisches, weitabgelegenes Winkelherz hat."<!--[if !supportFootnotes]-->[v]<!--[endif]--> [4]
Dieser Zerrissenheit macht den Künstler oft unberechenbar und schwer verständlich. Während die aufkeimende marxistische Arbeiterbewegung dann auch im Umgang mit Heine Schwierigkeiten hatte - Wilhelm Liebknecht und sogar der junge Engels hielten anfangs nicht viel von Heine, bis Marx sie vom Gegenteil überzeugte -, verstand Marx dieses Problem sehr gut. Später sollte die Marx-Tochter Eleanor in der "Neuen Zeit" dazu schreiben: "Marx war ein großer Verehrer Heines. Er liebte den Dichter ebenso sehr wie seine Werke und urteilte auf das Nachsichtigste über seine politischen Schwächen. Dichter, erklärte er, seien sonderbare Käuze, die man ihrer Wege wandeln lassen müsse. Man dürfte sie nicht mit dem Maßstab gewöhnlicher...Menschen messen."
Eine von Heines bedeutendsten Leistungen war sein Beitrag zur Klärung der Natur einer künftigen sozialistischen Gesellschaft.
Nicht, dass Heine ein Marxist gewesen wäre. Er gehörte eigentlich noch der Generation vor Marx an, welche, enttäuscht durch die Ergebnisse und Schrecknisse der französischen bürgerlichen Revolution, sich vom Klassenkampf abwendete. Er war glühender Anhänger des utopischen Sozialismus von Saint-Simon. Die Überwindung der Klassengesellschaft erhoffte er sich von einem aufgeklärten Philanthropen, einem guten König oder einem der Rothschilds, nicht durch einer Massenerhebung. Die letzten Jahren seines Lebens, von der Welt weitgehend abgeschnitten, die Qualen einer furchtbaren Erkrankung in seiner "Matratzengruft" erleidend, gelang es ihm trotz seiner tiefen Freundschaft zu Marx nicht mehr, die moderne Arbeiterbewegung und den wissenschaftlichen Sozialismus zu begreifen.
Den Auftritt der Massen in der Geschichte - die er selbst eher in der Gestalt des antisemitischen Mob kennengelernt hatte - fürchtete er eigentlich eher, als dass er ihn herbeisehnte. Dennoch antwortete er auf die reale Bewegung des Proletariats, wenn es in Erscheinung trat. So gegenüber dem Aufstand der Weber in Schlesien 1844.
Die schlesischen Weber
Im düstern Auge keine Träne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch -
Wir weben, wir weben!
<!--[if !supportEmptyParas]--> <!--[endif]-->
Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungernöten;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt
Wir weben, wir weben!
<!--[if !supportEmptyParas]--> <!--[endif]-->
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpresst
Und uns wie Hunde erschießen lässt -
Wir weben, wir weben!
<!--[if !supportEmptyParas]--> <!--[endif]-->
Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt -
Wir weben, wir weben!
<!--[if !supportEmptyParas]--> <!--[endif]-->
Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht -
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!
Was das Ziel der klassenlose Gesellschaft betrifft, war der Sozialismus vor Marx im Wesentlichen ein utopischer Sozialismus. Als solches bildete das Christentum eine wesentliche Quelle des vormarxistischen Sozialismus. Dieser Sozialismus verstand noch nicht, dass erst der Kapitalismus durch die gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte die Voraussetzungen für eine klassenlose Gesellschaft geschaffen hat. Der vormarxistische Sozialismus eines Babeufs oder Weitlings war somit im Wesentlichen kaum weniger sinnenfeindlich als die damaligen christlichen Sekten. Dieser konnte sich eine klassenlose Gesellschaft nur in der Form einer klosterartigen Nivellierung der Armut vorstellen, wo Kunst und Schönheit, Spiel und Freude, Liebe und Genuss als "bürgerlicher Luxus" kaum noch Platz haben sollten - kurzum, eine Gesellschaft, welche die Proletarisierung und die Leiden des Proletariats idealisiert, anstatt sie zu überwinden.
Man möchte meinen, dass die damalige Auseinandersetzungen um diese Frage heute höchstens noch von geschichtlichen Interessen wären. Wenn nicht der Umstand wäre, dass heutzutage wieder dieses Bild des Sozialismus vorherrschend geworden ist - nicht mehr als Ideal, sondern als abschreckendes Beispiel! Mit dem Unterschied, dass heute dieser bürgerliche Kloster- oder genauer: Kasernensozialismus nicht mehr wie damals Ausdruck der Unreife der Bewegung ist, sondern das Ergebnis einer von Stalinismus geprägten Konterrevolution. Infolgedessen erscheint uns der Beitrag Heines in dieser Frage aktueller den je!
Heine setzte sich für eine Welt ein, wo Mensch und Natur, wo Wissenschaft und Kunst, das Geistige und das Sinnliche in Harmonie leben, wo die Beziehungen der Individuen zur eigenen inneren Welt und zur Außenwelt zu einer wirklichen Einheit zusammengefügt werden. So schrieb er in sein Gedicht "Deutschland: Ein Wintermärchen":
"Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
<!--[if !supportEmptyParas]--> <!--[endif]-->
Wir wollen auf Erden glücklich sein
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.
<!--[if !supportEmptyParas]--> <!--[endif]-->
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrthen, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
<!--[if !supportEmptyParas]--> <!--[endif]-->
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen
Den Engeln und den Spatzen.
<!--[if !supportEmptyParas]--> <!--[endif]-->
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen."
Mit feinem Gespür und einer an Hegel erprobten, den Marxismus vorwegnehmenden historischen Methode erkannte Heine, dass die Religion einen Teil ihrer Anziehungskraft aus der imaginäre Erfüllung einer Art von Sozialismus schöpft, aber gerade darum ein Fessel des historischen Fortschritts geworden ist. "Die bisherige spiritualistische Religion war heilsam und notwendig, solange der größte Teil der Menschheit in Elend lebte und sich mit der himmlischen Religion vertrösten musste. Seit aber durch die Fortschritte der Industrie und der Ökonomie es möglich geworden, die Menschen aus ihrem materiellen Elend herauszuziehen und auf Erden zu beseligen, seitdem - Sie verstehen mich. Und die Leute werden uns schon verstehen, wenn wir ihnen sagen, dass sie in der Folge alle Tage Rindfleisch statt Kartoffeln essen sollen, und weniger arbeiten und mehr tanzen werden." Für Heine erforderte die Kritik des asketischen Sozialismus somit die Kritik des Christentums. "Unsere Nachkommen werden schauern, wenn sie einst lesen, welch ein gespenstisches Dasein wir geführt, wie der Mensch in uns gespalten war und nur die eine Hälfte ein eigentliches Leben geführt. Unsere Zeit - und sie beginnt am Kreuze Christi - wird als eine große Krankheitsperiode der Menschheit betrachtet werden."<!--[if !supportFootnotes]-->[vi]<!--[endif]--> [4] Heine führt diese Spaltung auf die Sinnenfeindlichkeit des Christentums zurück. "Hatten aber die Juden den Leib nur mit Geringschätzung betrachtet, so sind die Christen auf dieser Bahn noch weiter gegangen und betrachteten ihn als etwas verwerfliches, als etwas schlechtes, als das Übel selbst."<!--[if !supportFootnotes]-->[vii]<!--[endif]--> [4] Ganz ähnlich wiesen in ihrer Schrift "Heilige Familie" Marx und Engels darauf hin, wie die Strafe der Blendung einst diesen Wesenszug des Christentums, "die Trennung des Menschen von der sinnlichen Außenwelt"<!--[if !supportFootnotes]-->[viii]<!--[endif]--> [4], zum Ausdruck brachte.
Der Marxismus, der auch andere, tiefere Ursachen dieser Spaltung aufdeckt, wie etwa den Gegensatz zwischen Kopf- und Handarbeit, bestätigt dennoch diesen ausgeprägten Charakter des Christentums. "Indem also das Christentum das allgemein verbreitete Gefühl, dass die Menschen am allgemeinen Verderben selbst schuld seien, als Sündenbewusstsein jedes Einzelnen zum klaren Ausdruck brachte (...) bewährte es wieder seine Fähigkeit, Weltreligion zu werden."<!--[if !supportFootnotes]-->[ix]<!--[endif]--> [4] Heine spürt auch den Zusammenhang zwischen dem aufkommenden Geist-Körper-Zwist und der Entfremdung gegenüber der Natur auf. "Die Nachtigall sogar wurde verleumdet, und man schlug ein Kreuz, wenn sie sang. Der wahre Christ spazierte mit ängstlich verschlossenen Sinnen, wie ein abstraktes Gespenst, in der blühenden Natur umher." Somit werden die Konturen der künftigen Revolution klarer. Er forderte "das Wohlsein der Materie, das materielle Glück der Völker, nicht weil wir gleich den Materialisten den Geist missachten, sondern weil wir wissen, dass die Göttlichkeit des Menschen sich auch in seiner leiblichen Erscheinung kundgibt.."<!--[if !supportFootnotes]-->[x]<!--[endif]--> [4] Auch das Verhältnis zur Natur müsse von Grund auf umgewandelt werden.
"In dem heutigen Deutschland haben sich die Umstände geändert, und die Partei der Blumen und der Nachtigallen ist eng verbunden mit der Revolution." (Ebenda).Oder wie Friedrich Engels trefflich formulierte: "Und so werden wir auf Schritt und Tritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht - sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und dass unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können. (...)Je mehr dies aber geschieht, desto mehr werden sich die Menschen wieder als Eins mit der Natur nicht nur fühlen, sondern auch wissen, und je unmöglicher wird jene widersinnige und widernatürliche Vorstellung von einem Gegensatz zwischen Geist und Materie, Mensch und Natur, Seele und Leib, wie sie seit dem Verfall des klassischen Altertums in Europa aufgekommen und im Christentum ihre höchste Ausbildung erhalten hat."<!--[if !supportFootnotes]-->[xi]<!--[endif]--> [4]
Der Dichter Heine fürchtete sich vor dem Kommunismus als Massenbewegung, weil er sie sich nicht anders vorstellen konnte als die Aufstände der marodierende Bauern und Handwerker der Reformationszeit, die die Kunstwerke zerschlugen. Dafür wurde er in einem Artikel in "Der Spiegel" vom ehemaligen DDR-Dissidenten Wolf Biermann als Kronzeuge gegen den Kommunismus angeführt. So lohnt es sich, auf das Vorwort zur französischen Ausgabe der "Lutetia" zu verweisen, welche Heine kurz vor seinen Tod in 1856 schrieb, worin er die "zwei Sätze" aufführt, welche den Sieg des Kommunismus in seinen Augen rechtfertigen. Der erste Satz lautet, dass alle Menschen das Recht haben zu essen. "Werde sie zertrümmert, diese alte Welt, wo die Unschuld umkam, die Selbstsucht gedieh, wo der Mensch ausgehungert wurde durch den Menschen! Mögen sie von Grund bis zum Gipfel zerstört werden, diese übertünchten Gräber, in denen die Lüge und die Ungerechtigkeit hausten."Der zweite Satz ist der Internationalismus. "Aus Hass gegen die Partisanen des Nationalismus könnte ich die Kommunisten fast lieben. Wenigstens sind es keine Heuchler, die nur das Christentum und die Religion auf den Lippen führen; die Kommunisten haben zwar keine Religion (kein Mensch ist vollkommen), die Kommunisten sind selbst Atheisten (was gewiss eine große Sünde ist), aber als Hauptdogma bekennen sie den absolutesten Kosmopolitismus, eine allgemeine Liebe für alle Völker, eine brüderliche Gütergemeinschaft zwischen allen Menschen, freien Bürgern dieses Erdballs."
Elemer. Oktober 2006.
<!--[if !supportFootnotes]-->[i]<!--[endif]--> [4] Heine: Die romantische Schule. Erstes Buch. Zitiert aus der Sammlung: Heinrich Heine: Beiträge zur deutschen Ideologie, S. 134.
<!--[if !supportFootnotes]-->[ii]<!--[endif]--> [4] Lenin: Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus. Werke Bd. 19. S. 3.
<!--[if !supportFootnotes]-->[iii]<!--[endif]--> [4] MEW Band 2, S. 136. Heilige Familie (Kritische Schlacht gegen den französische Materialismus).
<!--[if !supportFootnotes]-->[iv]<!--[endif]--> [4] Heine: Ludwig Börne. Zweites Buch. Ebenda S. 293.
<!--[if !supportFootnotes]-->[v]<!--[endif]--> [4] Heine: Reisebilder Lucca. Werke in 10 Bänden, Bd 3, S. 286.
<!--[if !supportFootnotes]-->[vi]<!--[endif]--> [4] Heine: Aus dem Memoiren des Herren von Schnabelewopski (Reclam S. 56/57).
<!--[if !supportFootnotes]-->[vii]<!--[endif]--> [4] Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Ebenda S. 51.
<!--[if !supportFootnotes]-->[viii]<!--[endif]--> [4] Marx-Engels-Werke Bd. 2, S. 189.
<!--[if !supportFootnotes]-->[ix]<!--[endif]--> [4] Engels: Bruno Bauer und das Urchristentum. MEW Bd. 19. S. 305.
<!--[if !supportFootnotes]-->[x]<!--[endif]--> [4] Ebenda. Wo Heine hier "Materialisten" schreibt, würden wir "mechanistische-" oder "Vulgärmaterialisten" schreiben.
<!--[if !supportFootnotes]-->[xi]<!--[endif]--> [4] Engels: Dialektik der Natur. MEW Bd. 20. S. 453.
Ende Oktober 2006 wurde von der Socialist Political Alliance (SPA) zu einer Konferenz internationalistischer Oganisationen, Gruppen und Individuen in den südkoreanischen Städten Seoul und Ulsan eingeladen. Auch wenn die Teilnehmerzahl noch bescheiden war, handelt es sich um den ersten organisierten Ausdruck im Fernen Osten (so weit wir wissen) der Prinzipien der Kommunistischen Linken und diese Konferenz war sicherlich die erste ihrer Art. Als solche ist sie von historischer Bedeutung. Die IKS unterstützte sie von ganzem Herzen durch eine Delegation, die sich an der Konferenz beteiligte.
In den Tagen vor der Konferenz wurde die langfristige politische Bedeutung der Ziele der Konferenz durch die dramatische Zuspitzung der inter-imperialistischen Spannungen in der Region überschattet, die durch die Zündung der ersten nordkoreanischen Atombombe und die Manöver ausgelöst wurde, welche insbesondere seitens der verschiedenen Staaten der Region (USA, China, Japan, Russland, Südkorea) folgten. Deshalb wurde diese Frage ausführlich auf der Konferenz diskutiert. Dies führte schließlich dazu, dass die Teilnehmer, deren Namen wir weiter unten veröffentlichen, die folgende Stellungnahme verabschiedeten.
Nach der Bekanntgabe von atomaren Tests in Nordkorea, beziehen wir, die kommunistischen Internationalisten, die sich in Seoul und Ulsan getroffen haben, wie folgt Stellung:
1) Wir verurteilen die Entwicklung neuer Atomwaffen in den Händen eines weiteren kapitalistischen Staates: Die Atomwaffe ist die letzte Waffe im interimperialistischen Krieg. Ihre einzige Funktion besteht in der massiven Vernichtung der Zivilbevölkerung im Allgemeinen und der Arbeiterklasse im Besonderen.
2) Wir verurteilen vorbehaltlos diesen neuen Schritt in Richtung Krieg, der von dem kapitalistischen Staat Nordkoreas vollzogen wurde, welcher damit erneut unter Beweis gestellt hat (wenn es dazu noch Beweise bedurfte), dass er absolut gar nichts mit der Arbeiterklasse oder dem Kommunismus zu tun hat. Dieser neue Schritt ist nichts als eine der extremsten und grotesksten Ausdrücke der allgemeinen Tendenz des dekadenten Kapitalismus zur militaristischen Barbarei.
3) Wir verurteilen vorbehaltlos die heuchlerische Kampagne der USA und ihrer Verbündeten gegen den nordkoreanischen Gegner. Diese ist nichts als eine ideologische Vorbereitung zur Durchführung ihrer eigenen vorbeugenden Militärschläge - sobald diese die Mittel dazu haben -, bei denen die arbeitende Bevölkerung zum Hauptopfer werden würde, wie das heute im Irak der Fall ist. Wir haben nicht vergessen, dass die USA die einzige Macht sind, die bislang Atomwaffen im Krieg eingesetzt haben, als sie die Zivilbevölkerung von Hiroshima und Nagasaki vernichtete.
4) Wir verurteilen vorbehaltlos die sogenannten ‚Friedensinitiativen', die unter der Führung anderer imperialistischer Gangster wie China ergriffen werden. Dabei wird es nicht um Frieden gehen, sondern um den Schutz eigener kapitalistischer Interessen in der Region. Die Arbeiter dürfen überhaupt kein Vertrauen haben in die ‚friedlichen Absichten' irgendeines kapitalistischen Staates.
5) Wir verurteilen vorbehaltlos jegliche Versuche der südkoreanischen Bourgeoisie, unter dem Vorwand des Schutzes der nationalen Freiheit oder der Demokratie Repressionsmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse oder gegen Aktivisten zu ergreifen, wenn diese internationalistischen Prinzipien verteidigen.
6) Wir erklären unsere volle Unterstützung für die Arbeiter Nord und Südkoreas, Chinas, Japans und Russlands, die bei einem militärischen Eingreifen die ersten Opfer sein werden.
7) Wir erklären, dass nur der weltweite Arbeiterkampf die ständige Bedrohung der Barbarei, des imperialistischen Krieges und atomarer Vernichtung, die im Kapitalismus über der Menschheit schweben, für immer beenden kann.
Die Arbeiter haben kein Vaterland. Arbeiter aller Länder vereinigt euch!
Diese Erklärung wurde von den folgenden Organisationen und Gruppen unterzeichnet:
Internationale Kommunistische Strömung, Socialist Political Alliance (SPA) (Korea), Treffen der Seouler Gruppe am 26. Oktober 2006
Internationalist Perspectives
Eine Reihe von Genossen, die sich an der Konferenz beteiligten, haben die Stellungnahme im eigenen Namen unterzeichnet:
SJ (Seouler Gruppe Arbeiterräte), MS (Seouler Gruppe Arbeiterräte), LG, JT, JW (Ulsan), SC (Ulsan), BM
<!--[if !supportFootnotes]-->[i]<!--[endif]--> [6] Wir werden in kürze mehr über die Konferenz berichten.
Das Ausmaß des klimabedingten Temperaturanstiegs, der auf die Treibhausgase zurückzuführen ist, ist eine "unbequeme Wahrheit". Das zumindest behauptet Al Gore, der ehemalige Vizepräsident der USA, der seit seiner Wahlniederlage 2000 von einer Konferenz zur anderen eilt (von den USA nach Japan, China, Deutschland usw.), um der Welt diese "unbequeme Wahrheit" zu offenbaren. Der pro-demokratische Filmemacher Davis Guggenheim hat eine dieser zahlreichen Konferenzen in einem Dokumentarfilm mit dem Titel "Eine unbequeme Wahrheit" aufgearbeitet.
Die Sache ist so "unangenehm", dass ein hoher Würdenträger der amerikanischen Bourgeoisie sie uns weltweit in einem Vortrag mit Riesenleinwand präsentiert. Albert Gore scheint völlig überrascht zu sein! Aber seit mehr als 30 Jahren befassen sich Wissenschaftlicher mit dem Problem und seit mehr als 10 Jahren herrscht Einigkeit in der Feststellung, dass der fortschreitende Temperaturanstieg mit der industriellen Verschmutzung verbunden ist. Schließlich ist die einzige ‚Offenbarung' des Films Al Gore selbst und sein angeborenes Talent als Komödiant. Denn heute tritt dieser als Meister aller Klassen bei der Verteidigung der Umwelt auf. Aber dieser Al Gore, der in Harvard studiert hat und an Professor Roger Revelle's (Pionier der Theorie der globalen Erwärmung) Kursen aufmerksam teilnahm, ist niemand anders als derjenige, der später mit Clinton "die Entsorgung von Dioxin in den Weltmeeren gestattete und der größten Abholzung von Wäldern in der Geschichte der USA zustimmte." (The Independent, in Courrier International, 15.6.2006).
Albert Gore, der mit grenzenloser Heuchelei auftritt, ist ein sehr repräsentativer Vertreter seiner gesellschaftlichen Klasse. Alle Staaten sind sich über die Gefahren der Klimakatastrophe bewusst. Alle bekunden ihre Absicht handeln zu wollen, um die natürliche Umwelt der Menschengattung zu bewahren und die Zukunft der späteren Generationen zu sichern. Aber ungeachtet der Aufsehen erregenden Erklärung des Gipfels von Rio (1992) oder den Beschlüssen des Kyoto-Protokolls (1998), hat die Umweltverschmutzung weiter zugenommen und die Gefahren, die aus der Klimakatastrophe hervorgehen, werden immer größer. Die unbequeme Wahrheit, die die herrschende Klasse hinter all ihren Konferenzen und ihrem Film vertuschen will, ist, dass die kapitalistische Welt völlig hilflos und unfähig ist, eine Lösung auf die Klimagefahren zu finden… und dies um so mehr, da sie als allererste dafür verantwortlich ist.
Das kapitalistische System, das seit nahezu einem Jahrhundert bankrott ist, stellt für die Menschheit keinen Fortschritt mehr dar. Sein Fortbestehen ruht auf einer kranken und zerstörerischen Grundlage. Die verheerenden ökologischen Konsequenzen, die seit den 1950er Jahren registriert werden, liefern einen zusätzlichen Beweis dafür.
Die Bohrungen im Eis lügen nicht! Die in der Antarktis entnommenen Eisproben ermöglichen eine Untersuchung der Atmosphäre über Hunderttausende von Jahren. Die Ergebnisse zeigen klar, dass der CO2 -Ausstoß noch nie so hoch war wie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Treibhausemissionen sind weiterhin angestiegen und die mittlere Jahrestemperatur steigt ebenso regelmäßig an "Der Planet ist heute wärmer als je zuvor während der letzten zwei Jahrtausende, und wenn sich die gegenwärtige Entwicklung so fortsetzt, wird die Temperatur bis zum Ende des 21. Jahrhunderts wahrscheinlich höher sein als sie es je während der letzten beiden Millionen Jahre war." (The New Yorker, in Courrier International, Oktober 2006).
Dieser große Wärmeschub ist übrigens mit dem bloßen Auge an den beiden Erdpolen festzustellen. Die Eisschmelze in der Arktis ist schon so weit vorangeschritten, dass man bis 2080 mit dem vollständigen Verschwinden des Eises rechnet. Alle großen Gletscher sind dabei zu schmelzen und als eine weitere Folge erwärmen sich die Weltmeere.
1975 befasste sich der Direktor des Goddard Weltrauminstituts (GISS) mit den Klimaveränderungen. "In seiner Untersuchung des Klimas auf der Venus stellt er die Hypothese auf: der Planet weist eine mittlere Oberflächentemperatur von 464° C auf, weil er von einem Nebel aus Kohlendioxid umgeben ist, der für die Treibhauswirkung verantwortlich ist. Einige Zeit später lieferte eine Weltraumsonde den Beweis, dass Venus in der Tat durch eine Atmosphäre isoliert ist, die zu 96% aus Kohlendioxyd zusammengesetzt ist." (The New Yorker). So könnte die ferne Zukunft der Erde infolge der kumulierten CO2 Anhäufung aussehen - die Auslöschung jeglichen Lebens. Aber man braucht nicht so sehr über die ferne Zukunft zu spekulieren, um sich über das jetzige Zerstörungspotenzial der Klimaerwärmung bewusst zu werden. Lange bevor die Klimaerwärmung die Erde zu einem Ofen mit einer Temperatur von 400° C verwandelt hat, haben die Vorzeichen des Klimawandels schon verheerende Auswirkungen für die Menschen gehabt: Überschwemmungen, Krankheiten, Stürme…
Der Direktor der Britischen Untersuchungen der Antarktis, Chris Rapley, stellte Anfang 2005 fest, dass die Polkappen des Westteils der Antarktis dabei waren zu schmelzen. Aber diese Polkappen (genau wie die Grönlands) umfassen so viel Wasser, dass durch ihr Schmelzen der Meeresspiegel mittelfristig um sieben Meter ansteigen könnte, was die Überschwemmung von stark bevölkerten Teilen Thailands, Indiens, der Niederlande, der USA zur Folge haben könnte…
Ein anderer Direktor, der der INSERN, schlussfolgerte 2000, dass "die Fähigkeit zur Reproduktion und der Infektionen vieler Insekten und Nagetiere, die Träger von Parasiten oder von Viren sind, von der Temperatur und der Feuchtigkeit der Umgebung abhängen. Mit anderen Worten: ein auch noch so bescheidener Temperaturanstieg wird der Ausdehnung zahlreicher krankmachender Träger Vorschub leisten wie Malaria (…) Auch haben Virusinfektionen wie Denguefieber, bestimmte Enzephaliten und blutiges Fieber sich in den letzten Jahren ausgedehnt. Entweder sind sie in Gebieten wieder aufgetaucht, wo sie verschwunden waren, oder sie dringen in Gebiete ein, die bislang von ihnen verschont geblieben waren…"
Ein weiteres Beispiel - die Häufigkeit und Intensität von Hurrikans wird durch die Klimaerwärmung zunehmen. Die turbulenten Gebilde feuchter Luft, die sie hervorbringt, entstehen nur, wenn die Oberflächentemperatur des Meeres über 26° C liegt. Wenn die Ozeane sich weiter erwärmen, wird die Zahl der Gebiete, in denen dieser Schwellenwert überschritten wird, noch ansteigen. Als Katrina die Kategorie 5 bei der Einstufung der Hurrikanstärke erreichte, betrug die Wasseroberflächentemperatur im Golf von Mexiko ca. 30° C. Wie Kerry Emanuel vom Massachussetts Institute of Technology meinte, "Die fortgesetzte Klimaerwärmung wird das Zerstörungspotenzial der tropischen Zyklone weiter erhöhen und mit einem weiteren Bevölkerungswachstum an den Küsten werden im 21. Jahrhundert noch mehr Menschen Opfer der Hurrikane werden."
So kam K. Emanuel nach Auswertung der Statistiken über die Intensität der Hurrikanes während der letzten 50 Jahre zu der Schlussfolgerung, dass die letzten Hurrikanes im Durchschnitt länger dauerten und ihre Windgeschwindigkeiten 15% höher waren als früher, was eine größere Zerstörungskraft von 50% bedeutet.
Eine unbequeme Wahrheit: Das kapitalistische System ist für die Klimaerwärmung verantwortlich
Im Gegensatz zur Venus, deren Klima sich aufgrund natürlicher Bedingungen erwärmte und unerträgliche Temperaturen erreichte, hat die gegenwärtige Klimaerwärmung der Erde andere Ursachen: die industrielle Aktivitäten der Menschen. Aber diese Wahrheit ist überhaupt keine Überraschung, weil viele Klimaexperten (und die herrschende Klasse selbst) daraus kein Geheimnis machen. Im Film Al Gores wird dies noch deutlicher, denn dort zeigt man einen Fabrikschornstein, aus dem Rauch steigt, der die Form eines Zyklons annimmt. "Die Industrie ist schuld!" Dies ist ein willkommener Sündenbock, denn im Grunde ist es nicht so sehr die Industrie, die schuldig ist, sondern die Art und Weise, wie der Kapitalismus funktioniert. Die kapitalistische Produktionsform hat schon immer die Umwelt verschmutzt, auch schon im 19. Jahrhundert, als der Kapitalismus noch einen Fortschritt darstellte. Man muss betonen, dass der Kapitalismus sich einen Dreck um die Umwelt schert. "
"Akkumulation um der Akkumulation, Produktion um der Produktion willen, in dieser Formel sprach die klassische Ökonomie den historischen Beruf der Bourgeoisperiode aus. Sie täuschte sich keinen Augenblick über die Geburtswehn des Reichtums, aber was nützt der Jammer über historische Notwendigkeit? [Marx: Das Kapital, S. 885. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 4199 (vgl. MEW Bd. 23, S. 621)]
Die Akkumulation des Kapitals ist das oberste Ziel der kapitalistischen Produktion. Welche Folgen daraus für die Menschheit und die Umwelt entstehen, spielt keine Rolle. Solange die Produktion rentabel ist, wird alles hingenommen. Alles Andere ist schließlich vernachlässigenswert.
Aber seitdem das System seit Anfang des 20. Jahrhunderts in seinen historischen Niedergang eingetreten ist, nimmt die Umweltzerstörung ganz andere Ausmaße an. Sie wird unnachgiebig, genau wie der gnadenlose Konkurrenzkampf unter den kapitalistischen Rivalen, die versuchen, auf dem Weltmarkt mitspielen zu können. Die Produktionskosten so stark wie möglich zu senken, wird somit zum obersten Überlebensgebot. Auf diesem Hintergrund sind natürlich die Maßnahmen zur Eindämmung der Verschmutzung durch die Industrie unerträgliche Belastungen.
Und diese ökonomische Notwendigkeit, ständig die Kosten zu reduzieren, liefert natürlich eine Erklärung für das Ausmaß des materiellen und menschlichen Schadens, sobald die Dinge ihren Lauf nehmen. Bauten aus zerbrechlichem Material, schlecht gewartete Deiche, zusammenbrechende Hilfssysteme…Der Kapitalismus ist nicht mal in der Lage, ein Mindestmaß an Schutzmaßnahmen gegen Unwetter, Epidemien und andere Geißeln, die er der Menschheit aufbürdet, zu ergreifen.
Der Kinofilm Herrn Gores endet mit der Aussage, dass wir die Mittel haben, die Dinge zu ändern, die angerichteten Schäden zu beheben, und die Gefahren der Klimaerwärmungen abzuwehren, wenn wir uns bemühen, zu perfekten …."ökologiebewussten Bürgern" zu werden. Deshalb schlägt der Nachspann am Ende des Films eine lange Liste von Empfehlungen vor: "Wechseln Sie Ihr Thermostat", "Pflanzen Sie einen Baum", "Stimmen Sie für einen Kandidaten, der sich für den Umweltschutz engagiert, wenn es keine gibt, treten Sie selbst zur Wahl an". Und schließlich "Wenn Sie gläubig sind, beten Sie, dass die anderen ihr Verhalten ändern!" Dies ist vielleicht der einzige vernünftige Vorschlag, den ein Mitglied der herrschenden Klasse geben kann: "bevor die Sonne verdunkelt und die Sterne vom Himmel fallen, knien Sie sich hin und beten Sie!" Ein schönes Eingeständnis der Hilflosigkeit der Bourgeoisie und ihrer Vertreter.
Die Arbeiterklasse darf es nicht länger zulassen, das Schicksal der Erde in den Händen dieser Leute und dieses Systems zu belassen. Die Öko-Krise ist der Beweis dafür, dass der Kapitalismus überwunden werden muss, bevor er die Menschheit vollständig in den Abgrund treibt.
Eine Gesellschaft zu errichten, die den Menschen und seine Zukunft in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellt, ist zu einer zwingenden Notwendigkeit geworden. Der Kommunismus wird diese notwendige Welt werden, und die proletarische Revolution der Weg, um die Menschheit dorthin zu geleiten. (Jude, 20.10.06).
Im Morgengrauen des 14. Juni griffen 3000 Polizisten ein Lager von Demonstranten an, das im Zentrum von Oaxaca, der Hauptstadt des gleichnamigen mexikanischen Bundesstaates, errichtet worden war. Dieses Lager war drei Wochen zuvor von Beschäftigten des staatlichen Bildungswesen gebaut worden, um Lohnforderungen durchzusetzen. Im Bundesstaat Oaxaca findet man einige der ärmsten Gegenden Mexikos, wo unterbezahlte Lehrer unter unglaublichen Bedingungen unterernährte Kinder unterrichten. Die Lehrer haben durch massive Demonstrationen versucht, die Unterstützung anderer Beschäftigter einzuholen. Aber diese Beschäftigten standen allen möglichen gewerkschaftlichen Manövern gegenüber, sowohl denen der ‚offiziellen' Gewerkschaften als auch denen der ‚abtrünnigen' gewerkschaftlichen ‚Basisgruppen' und der Repression des Staates. Auch wenn es den Beschäftigten anfangs gelang, sich dieser Repression zu widersetzen, mussten sie auf ihre Lohnforderungen, die der Ausdruck ihrer Lebensbedingungen als Angehörige der Arbeiterklasse sind und eine direkte Kritik am Ausbeutungssystem darstellen, verzichten. Ihre Kampfbereitschaft und ihre Forderungen wurden im Rahmen einer klassenübergreifenden Mobilisierung von der APPO (Volksversammlung des Volkes von Oaxaca) aufgelöst. Die APPO wird unter dem Deckmantel radikaler Aktionen und einer angeblichen Autonomie von den Gewerkschaften, den Stalinisten und allen möglichen linkskapitalistischen Organisationen beherrscht. Die Unzufriedenheit der Arbeiter (insbesondere der Lehrer) und anderer unterdrückter Bevölkerungsteile (wie die armen Bauern) wurde instrumentalisiert, um eine "Verbesserung" der demokratischen Ordnung und die Absetzung des Gouverneurs von Oaxaca, Ulises Ruiz, zu verlangen, der ein richtiger Gangster in der besten Tradition der mexikanischen Bourgeoisie und ihrer ehemaligen dominierenden Partei, die PRI, ist .
Seit dem Beginn der Mobilisierungen konnte man schon feststellen, wie den Arbeitern Forderungen und Vorgehensweisen durch die Gewerkschaften untergejubelt wurden, die ihren Interessen fremd waren. Mit Hilfe der Gewerkschaften versuchen verschiedene Kräfte der Bourgeoisie die Unzufriedenheit der Arbeiter abzulenken, nicht nur um die Kampfbereitschaft zu zerbröseln, sondern auch um diese als Schachfiguren bei den Streitigkeiten innerhalb der Bourgeoisie einzusetzen.
Was die Manipulation der Massen angeht, neigt die Bewegung von Oaxaca leider dazu, in die gleichen Fallen zu laufen wie die, welche vor kurzem von dem Flügel der mexikanischen Bourgeoisie um Obrador<!--[if !supportFootnotes]-->[i]<!--[endif]--> [9] aufgestellt worden waren. Es ist ihnen gelungen, die Unzufriedenheit und die Kampfbereitschaft in vielen Bereichen zu ersticken und die Arbeiter einzuspannen für die "Verteidigung des Stimmrechts". Die Taktik bestand darin, die Arbeiter für einen irregeleiteten Kampf ins Feld zu schicken, ihren Prozess des Nachdenkens aufs falsche Gleis zu lenken, was dazu geführt hat, dass die Unzufriedenheit abgewürgt werden konnte (oder dass diese durch den CND<!--[if !supportFootnotes]-->[ii]<!--[endif]--> [9] und ihre ‚Parallelregierung' in eine Sackgasse gelenkt werden konnte. Die Unzufriedenheit wurde dazu benutzt, um die Massen für die Unterstützung einer bürgerlichen Clique einzuspannen. Dadurch nahm die Verwirrung unter den Arbeitern zu.
Im Falle Oaxcacas wird die augenblickliche Wut der Beschäftigten des Erziehungswesens, die zu Mobilisierungen aufgerufen haben, in eine falsche Alternative gedrängt - nämlich die Forderung nach Reformen des Staates. Diese Mobilisierungen haben nicht so sehr einen Fortschritt auf Bewusstseinsebene und eine wachsende Kampfbereitschaft der Arbeitermassen aufgezeigt (wie es die Gruppen der kapitalistischen Linken behaupten), sondern die Instrumentalisierung dieser Unzufriedenheit und die Tatsache, dass eine der Fraktionen der herrschenden Klasse daraus Kapital schlagen kann.
Indem die Interessen der verschiedenen Flügel der am Konflikt beteiligten mexikanischen Bourgeoisie hinter den Demonstrationen und den aufrichtigen Aktionen von Tausenden in der Region lebenden Menschen vertuscht werden, konnte die Unzufriedenheit der Beschäftigten mit der Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen in "demokratische Forderungen" einer Masse von amorphen ‚Bürgern' umgewandelt werden. Sie verbreiten damit die Illusion, dass der Kapitalismus verbessert werden könnte, allein schon dadurch, dass man einen Gouverneur ablöst und ersetzt, der sicher ein ‚Gangster, Dieb und Bestochener- ist, durch einen anderen, der ein "gutes Herz" hätte.
Die von der APPO vorangetriebenen Mobilisierungen waren in der Tat massiv. Sie brachten tatsächlich die Bereitschaft der Betroffenen zum Kampf zum Ausdruck. Auch gab es Solidaritätsbekundungen gegenüber den Lehrern seitens verschiedener anderer Beschäftigter. Aber all dies wurde abgewürgt, als die Interessen der Lohnabhängigen auf die Verteidigung der Demokratie ausgerichtet und dieser unterworfen wurden. Die Gewerkschaftsstrukturen und die verschiedenen linkskapitalistischen Gruppen haben mittels der APPO die Massen sehr geschickt in eine Sackgasse geführt. Das brutale und blutige Wesen des Kapitalismus kommt natürlich durch eine immer stärker werdende Repression gegen die Demonstranten zum Vorschein. Aber damit werden im Gegensatz zu den Darstellungen der Linken des Kapitals die Aktionen der Betroffenen noch nicht zu revolutionären oder aufständischen Aktionen. Der Klassencharakter einer Bewegung äußert sich in den Zielen, die sie sich setzt, in ihrer Organisation und der Führung ihres Kampfes, in den Mitteln, die im Kampf angewandt werden. Den Beschäftigten wurden schließlich Ziele und Forderungen aufgezwungen, die das kapitalistische System nur verstärken. Die angestrebten Ziele zeigen, dass die Betroffenen die Kontrolle über die Mobilisierungen verloren haben. Man kann feststellen, dass die Organisation dieser Bewegung, auch wenn sie teilweise durch den Willen hervorgebracht wurde, die Solidarität mit den Beschäftigten auszudehnen, in eine andere Richtung verlaufen ist, seitdem die Interessen als Arbeiterklasse (die durch die Lohnforderungen zum Ausdruck kommen) durch die Interessen als Bürger ersetzt wurden. Diese Wende wurde durch die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ermöglicht, die in der APPO versammelt sind. Die Gruppen des linken Flügels des Kapitals (von der PRD bis zu den stalinistischen und trotzkistischen Gruppen) haben dies tatkräftig unterstützt.<!--[if !supportFootnotes]-->[iii]<!--[endif]--> [9]
So wurde den in den APPO versammelten Arbeitern ihre Kraft als Arbeiterklasse entrissen. Sie können dort nicht mehr ihre Interessen, ihren Mut als Klasse verteidigen, da diese entartet und von ihren Zielen abgelenkt wurden. Schlimmer noch: weil die Selbstorganisierung unmöglich geworden war, wurde ihr Kampfpotenzial gehemmt und unschädlich gemacht, indem es den Entscheidungen der herrschenden Klasse unterworfen und deren Methoden angewandt wurden.
In einem Interview mit dem Rechtsanwalt der APPO, Ocho Lora, erklärte dieser bei dem Versuch der Rechtfertigung des spontanen Entstehens seiner Organisation den Charakter und das Wesen der APPO. Er berichtete, dass dort ungefähr 200 Gruppen und Gemeinden aus der Region zusammengeschlossen sind. Aber hinter den meisten von ihnen stecken nur Namenszeichen, keine wirkliche Kraft. "Die zahlenmäßig stärkste Gruppe ist die Bewegung für die Vereinigung der Kämpfe der Triqui<!--[if !supportFootnotes]-->[iv]<!--[endif]--> [9] (MULT), die in der APPO durch Rogelio Pensamiento vertreten wird, der dem Rechtsanwalt zufolge für seine enge Beziehungen zur Regierung der PRI bekannt ist<!--[if !supportFootnotes]-->[v]<!--[endif]--> [9]. Ein anderer Führer der APPO ist Flavio Sosa, ehemals Abgeordneter der PRD. Seitdem hat er bei der Kampagne von Vicente Fox mitgewirkt, um später die Partei Unidad Popular zu gründen, die bei den Wahlen die PRI unterstützte und den Gouverneur Ulises Ruiz an die Macht brachte" (Proceso 1560, 24.9.06).
Trotz der spektakulären Versammlungen und der Repression gegen ihre Mitglieder spiegeln die von der APPO durchgeführten Mobilisierungen nicht die Stärke des Proletariats wider, sondern das verzweifelte Handeln der Klassen und Mittelschichten (die obwohl ausgebeutet und unterdrückt, keine historische Perspektive haben), welche von der herrschenden Klasse zu ihren Gunsten ausgeschlachtet werden. Die Spekulationen der linken Kräfte des Kapitals, die behaupten, bei den Mobilisierungen der APPO handele es sich um den Beginn der "Revolution" sind völlig irreführend. Ähnliche Behauptungen wurden beim Entstehen der Piquetero-Bewegung in Argentinien verbreitet - die Wirklichkeit bewies etwas Anderes.
Für uns geht es darum, die Ausrichtung dieser Mobilisierungen zu klären; uns geht es nicht darum, die Beteiligten zu attackieren. Die Ausdrücke proletarischen Lebens in dieser Region dürfen nicht unterschätzt werden; es geht viel mehr darum, das Nachdenken über die Notwendigkeit einer eigenständigen Klassenorganisierung zu fördern, die es der herrschenden Klasse unmöglich macht, ihre Ziele aufzuzwingen. Auch muss verhindert werden, dass es den Herrschenden gelingt, mit Hilfe der Gewerkschaften und der Extremen Linken hilflose und sinnlose Kämpfe zu propagieren, die nur zur Repression und in die Niederlage führen können.
Als Revolutionäre haben wir die Verantwortung klar zu definieren, welche Kräfte bei diesen Mobilisierungen der Beschäftigten im Spiel sind, und auf welche Grenzen sie stoßen. Es geht darum, auf die Gefahren aufmerksam zu machen, auf die die Handlungen der Arbeiter stoßen, wenn die Kräfte der Bourgeoisie diese zu manipulieren versuchen. Man muss die wahren Verbündeten und die erforderlichen Ausrichtungen des Kampfes aufzeigen. Wir wissen, wie schwierig es für Kommunisten ist, diese Aufgabe zu erfüllen, denn wir müssen uns dabei gegen das ganze Gerede von "Pragmatismus" der Linken des Kapitals wenden, die auf "Sympathien" stößt, weil sie alles begrüßt, was sich bewegt, damit aber in Wirklichkeit nur Ungeduld und Immediatismus fördert. Aber all dies bedeutet in Wirklichkeit nur Sabotage, oder bestenfalls sind sie nur ein kleinbürgerlicher Ausdruck eines fehlenden historischen Vertrauens in das Proletariat. Deshalb entsteht jeweils dieser Enthusiasmus für die klassenübergreifenden Revolten. Ausbeutung, Unterdrückung und Armut verschwinden nicht mit einem einfachen Austauschen der Beamten; die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse, die die Abschaffung des Staates herbeiführen kann, ihr Bewusstsein und ihre Organisation sind die einzigen Waffen, auf die sie sich stützen kann.
Übersetzt aus Revolucion Mundial (Weltrevolution), Zeitung der IKS in Mexiko, 20.10.06
<!--[if !supportFootnotes]-->[i]<!--[endif]--> [9] A.M. Lopez-Obrador, genannt AMLO, war der Kandidat der PRD (linke Partei) bei den letzten Präsidentschaftswahlen in Mexiko. Der Kandidat der Rechten, Calderon, gewann mit einer knappen Stimmenmehrheit. Obrador behauptete sofort in einer Kampagne, das Wahlergebnis sei gefälscht - das wäre in der Tat in Anbetracht der politischen Gewohnheiten der mexikanischen Bourgeoisie nicht überraschend. Aber hauptsächlich hat die mexikanische Linke diese Situation dazu ausgeschlachtet, um die Idee zu verbreiten, dass es eine gerechte und gute Demokratie geben könnte, dass man eine "neue Verfassung" brauche usw. Je mehr die Herrschaft der Bourgeoisie sich als eine Diktatur entblößt, egal welches Gewand sie trägt, desto heftiger treten die für die Kontrolle der Ausgebeuteten spezialisierten Kräfte , d.h. die mehr oder weniger radikalisierte Linke, für demokratische Forderungen ein, die eine neue, direkte, partizipierende Demokratie und Ähnliches mehr verlangen. So konnte man in diesem Herbst in Mexiko folgendes Schauspiel verfolgen: Von der Linken, die eine symbolische Besetzung der Hauptstadt inszenierte, bis zur Vereinnahmung des Kampfes der Lehrer durch die APPO in Oaxaca, über die EZLN (Bewegung der Zapatistas) und ihre 6. Erklärung, die sehr kritisch ist gegenüber der offiziellen Linken um Obrador, haben wir die ganze Bandbreite der politischen Schachzüge gesehen, um das Proletariat davon abzuhalten, sich die wahren Fragen zu stellen.
<!--[if !supportFootnotes]-->[ii]<!--[endif]--> [9] Die nationale demokratische Versammlung, die linke mexikanische Koalition, die nur Obrador als "legitimen" Präsidenten anerkennt, organisiert Foren, um den Druck in dieser Richtung aufrechtzuerhalten.
<!--[if !supportFootnotes]-->[iii]<!--[endif]--> [9] Siehe dazu Revolucion Mundial mit dem Artikel zu den Trotzkisten.
<!--[if !supportFootnotes]-->[iv]<!--[endif]--> [9] Die "Triquis" sind ein Volksstamm im Bundesstaat Oaxaca.
<!--[if !supportFootnotes]-->[v]<!--[endif]--> [9] PRI - Institutionalisierte revolutionäre Partei, hat Mexiko 70 Jahre lang regiert.
Ein Thema, das die Medien der Schweiz in den vergangenen Monaten immer wieder beschäftigte, war die Amtsführung des Justizministers Christoph Blocher, welcher der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) angehört. Es ging dabei insbesondere um folgende Fakten und Äusserungen:
- Im Januar 2006 sprach der Justizminister an der so genannten Albisgüetlitagung der zürcherischen SVP von zwei "kriminellen Albanern" und meinte damit zwei anerkannte Flüchtlinge, von denen die albanischen Behörden behaupten, sie hätten sich des Mordes schuldig gemacht. Blocher wörtlich: "Die haben zwei Morde auf dem Buckel." Die Medien schalten darauf den Justizminister, dass er trotz seines Amtes nicht einmal wisse, dass ein Beschuldigter, solange er nicht durch ein ordentliches Gericht rechtskräftig verurteilt sei, als unschuldig gelte.
- Anfang Oktober reiste Blocher in die Türkei und versuchte bei der dortigen Regierung gute Stimmung zu machen, indem er das schweizerische Antirassismusgesetz kritisierte. Er bedaure, dass in der Schweiz eine Strafuntersuchung gegen den türkischen Historiker Yusuf Halacoglu laufe, welcher den Völkermord an den Armeniern geleugnet haben soll. In den Schweizer Medien brach ein Entrüstungssturm darüber los, dass ein Justizminister ein demokratisch verabschiedetes Gesetz öffentlich kritisierte, und dies auch noch im Ausland. Die Aussenpolitische Kommission des Parlamentes verzichtete aber darauf, Blocher eine formelle Rüge für das nicht mit dem Gesamtbundesrat abgesprochene Vorgehen zu erteilen, da sie anerkannte, dass der Blocher-Besuch zu einer Entkrampfung des Verhältnisses zwischen der Türkei und der Schweiz geführt habe. Früher geplante Besuche der sozialdemokratischen Aussenministerin Calmy-Rey und des christlichdemokratischen ehemaligen Volkswirtschaftsministers Deiss waren von der Türkei mit Hinweis auf die Völkermorddiskussion annulliert worden.
- Ebenfalls im Oktober wurde bekannt, dass sich Blocher in einer Sitzung der Staatspolitischen Kommission kritisch über den Nutzen der Entwicklungshilfe in Afrika geäussert habe. "Wie man mit Afrika verfahren soll, weiss ich nicht … Es sich selbst zu überlassen wäre eine Möglichkeit …". Auch darauf folgte ein mehrere Wochen dauerndes Hickhack zwischen dem linken und rechten Flügel des bürgerlichen Apparates.
Diese verschiedenen Aufschreie der Entrüstung fanden vor dem Hintergrund einer Verschärfung des Ausländer- und Asylrechts statt. Am 24. September 2006 wurde eine Volksabstimmung über eine entsprechende Gesetzesänderung durchgeführt, bei der sich zwei Drittel derjenigen, die an der Abstimmung teilnahmen, für die Verschärfung aussprachen: Arbeiter von ausserhalb der EU haben nach dem neuen Gesetz kaum mehr eine Möglichkeit, eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten, insbesondere wird auch der Familiennachzug erschwert, Asylsuchende ohne Ausweispapiere können ohne Prüfung der Fluchtgründe in ihr Heimatland zurückgeschickt werden. In diesem Fall waren es eher die Medien im Ausland, die sich über so viel institutionellen Rassismus erstaunt zeigten. Der Spiegel titelte: "Schweiz schottet sich ab." Und The Economist: "Ein erfolgreicher populistischer Angriff auf die Schweizer Asyl- und Ausländergesetze". In der Schweiz ging man nach der Annahme dieser Gesetze schnell zur Tagesordnung über; und die Sozialdemokraten, die sich vorher vordergründig noch dagegen gewehrt hatten, begannen nun die Vorteile der neuen Rechtslage zu rühmen - es sei damit einfacher, die Einwanderer zu integrieren.
Es geht uns im vorliegenden Artikel nicht in erster Linie darum, den Zynismus der Rechten und die Heuchelei der Linken anzuprangern, sondern genauer zu analysieren, was hinter dem ideologischen Rauch steckt, den die Bourgeoisie mit diesen Kampagnen aufsteigen lässt.
Die Schweizer Bourgeoisie steht vor zwei Problemen, die in diesen Zwischenfällen und insbesondere in ihrer Aufbereitung in den Medien zum Ausdruck kommen: Das eine betrifft die Stellung des Kleinstaates Schweiz gegenüber dem Ausland, besonders gegenüber der Europäischen Union; das zweite den Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen.
Der Nationalstaat Schweiz steckt in seiner Politik gegenüber dem Ausland in einem Dilemma. Geographisch gehört das Land zweifellos zu Europa; es ist aber eines der letzten westeuropäischen Länder, das noch nicht der EU beigetreten ist. Insbesondere wirtschaftlich ist es völlig abhängig vom Handel mit den EU-Ländern. Die Schweizer Wirtschaft ist stark auf den Export ausgerichtet; die Exporte (Güter und Dienstleistungen zusammen) umfassen fast die Hälfte des ganzen Bruttoinlandprodukts der Schweiz. Der Güterexport in die EU machte 2005 rund 63% der Gesamtgüterexporte der Schweiz aus; die Tendenz ist steigend.
Das Dilemma besteht darin, dass sowohl ein EU-Beitritt als auch der Sonderkurs ernsthafte Nachteile mit sich bringen. Ein EU-Beitritt würde heissen, dass die Schweiz wesentlich mehr Geld bezahlen müsste, als sie umgekehrt erhielte. Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf liegt in der Schweiz um rund 70% über dem Durchschnitt der EU-25, so dass die Schweiz bei einem Beitritt vor allem zur Kasse gebeten würde<!--[if !supportFootnotes]-->[i]<!--[endif]--> [11]. Das Preisniveau ist hierzulande höher als in der EU. Weiter müsste das Bankgeheimnis aufgegeben werden, was unweigerlich zu einem erheblichen Abfluss der vom Schweizer Finanzkapital verwalteten ausländischen Vermögen führen würde.
Der immer noch eingeschlagene Sonderkurs umgekehrt setzt die Schweizer Bourgeoisie einem ständigen Druck zum Nachgeben auf den verschiedensten Gebieten aus: Alpentransit, Personenfreizügigkeit, Luftverkehr, Steuerdelikte usw. Die Pleite der Swissair ist ein Ausdruck dieser Schwierigkeiten<!--[if !supportFootnotes]-->[ii]<!--[endif]--> [11]. Trotz einer vergleichsweise hohen Produktivität ist die Schweiz viel zu klein, um aus einem günstigen Kräfteverhältnis heraus ihre Bedingungen zu diktieren. Längerfristig bleibt also nichts anderes übrig, als sich Schritt für Schritt der EU anzunähern.
Wie mit diesem Dilemma umgegangen werden soll, stellt für die Regierenden in der Schweiz ein objektives Problem dar. Ein offen isolationistischer Kurs, wie ihn die SVP fährt, entspricht nicht den langfristigen Interessen der Schweizer Bourgeoisie, auch deshalb, weil das Image der Schweiz im Ausland, von dem sie so abhängig ist, leidet.
Bei den Propagandaschlachten werden immer wieder Sündenböcke gesucht: Für Blocher und seinesgleichen sind es "kriminelle Ausländer", für die Linken ist es Blocher. Insbesondere die linken Kräfte der Bourgeoisie (SP, Grüne, Linksextreme) versuchen, der Schweiz ein offenes, gegenüber Immigranten freundlich gesinntes Image zu verpassen. Die Realität ist aber gerade bei der Einwanderung eine andere. Wenn es um die Sache, und nicht bloss um schöne Worte geht, sind sich die Parteien und Medien von links bis rechts einig. Wie dies das linksliberale Tagesanzeiger-Magazin nach der Annahme des verschärften Ausländergesetzes durchaus zustimmend festhielt: "Mit dem neuen Ausländergesetz dürften mehr Bessergebildete aus der Mittelschicht einwandern, und die sind nun mal einfacher zu integrieren." (11.11.06) So wird Blocher bei der Frage der Einwanderung auf einmal vom Sündenbock zum Vorreiter dessen, was eigentlich auch die Linken wollen, aber nicht so laut sagen dürfen.
Das zweite Problem der herrschenden Klasse in der Schweiz betrifft die Disziplinierung der rechtspopulistischen Tendenzen, welche auch in anderen Ländern zu einem unberechenbaren Faktor geworden sind. Die SVP steht für diesen Trend, worüber wir in der Weltrevolution Nr. 122 - nach der Wahl Blochers in den Bundesrat - bereits berichtet haben.
Als das Parlament im Dezember 2003 Christoph Blocher in die Landesregierung wählte, verfolgte es das Ziel, die SVP "verstärkt in die Regierungsverantwortung einzubinden, um sie einerseits der Narrenfreiheit einer Oppositionspartei zu berauben und andererseits gerade dadurch tendenziell zu diskreditieren und wieder auf eine ‚vernünftige' Grösse zurückzuwerfen"<!--[if !supportFootnotes]-->[iii]<!--[endif]--> [11]. Nach drei Jahren zieht die Bourgeoisie eine durchzogene Zwischenbilanz. "Das Kalkül ist aufgegangen, der Schaden mit Blocher im Bundesrat ist deutlich geringer als mit einem Blocher draussen", meint der ehemalige Chefredaktor der Weltwoche, der 1999 vorgeschlagen hatte, Blocher zwecks "Domestizierung" in den Bundesrat zu wählen<!--[if !supportFootnotes]-->[iv]<!--[endif]--> [11]. Tatsache ist aber, dass die SVP zwar eine der drei grossen Bundesratsparteien geworden, aber gleichzeitig eine Partei in einer Oppositionsrolle geblieben ist. Ihre rechtspopulistischen Tendenzen sind keineswegs gebremst worden. Die Bourgeoisie steht weiterhin vor der Herausforderung, die irrationalen, den Zusammenhalt der Bourgeoisie untergrabenden Tendenzen einer SVP zurück zu binden.
Es ist nur ein scheinbares Paradox, dass die offen nationalistisch und fremdenfeindlich auftretende Rechte den "vernünftigen" nationalen Interessen der herrschenden Klasse zuwider handelt. Für die massgebenden Teile der Schweizer Bourgeoisie kann durchaus die Meinung des Chefredaktors des Tagesanzeiger-Magazins als repräsentativ erachtet werden: "Tatsache bleibt, dass die humanitäre Tradition die einzige halbwegs realistische Vision der Schweizer Aussenpolitik ist. Die Schweiz wird in einer Welt mit verschiedenen Blöcken mangels Gewicht künftig kaum mehr eine eigene Aussenpolitik betreiben können. (…) Umso wichtiger wäre es für die Schweiz, die humanitäre Tradition aufrechtzuerhalten. Allein Finanzplatz der Welt zu sein, wird der Schweiz langfristig ein Identitäts- und Imageproblem schaffen, vergleichbar mit jenem der Schweizer Grossbanken in der Debatte um die nachrichtenlosen Konti. Zum humanitären Engagement gehört auch ein Mitwirken an bewaffneten Einsätzen zur Friedenssicherung in den Pufferzonen zwischen Kriegsparteien mit einem Uno-Mandat. (…) Was hat Blocher im Bundesrat zu dieser Vision beigetragen? Nichts. (…) Als dominanter Bundesrat, demnächst gar Bundespräsident, schadet er diesem Land im 21. Jahrhundert mehr als er nützt."<!--[if !supportFootnotes]-->[v]<!--[endif]--> [11]
Die eingangs erwähnten Medienkampagnen um Blocher haben also einerseits ein propagandistisches Ziel: Sie sollen gegenüber dem Proletariat und dem Ausland ein demokratisches und humanitäres Bild vermitteln. Andererseits geht es aber auch darum, das Regierungsmitglied Blocher an seine Verantwortung zu erinnern und zu disziplinieren.
Auch hier zeigen sich die typischen Tendenzen des kapitalistischen Zerfalls. Die Bourgeoisie ringt darum, die Kontrolle über alle Teile ihres politischen Apparates aufrecht zu erhalten.
Cassin, 15.11.06
<!--[if !supportFootnotes]-->[i]<!--[endif]--> [11] Obwohl die Schweiz noch nicht zur EU gehört, soll sie im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU über fünf Jahre eine Milliarde Schweizer Franken an die 10 neuen EU-Mitglieder bezahlen - als so genannten Kohäsionsbeitrag. Darüber wird am 26. November 2006 in einem Referendum abgestimmt, wobei die Parteien des bürgerlichen Apparats von links bis rechts die Ja-Parole herausgegeben haben - mit Ausnahme der SVP.
<!--[if !supportFootnotes]-->[ii]<!--[endif]--> [11] Vgl. dazu den Artikel in Weltrevolution Nr. 136 "Die Schweizer Fluggesellschaft als Symbol für den bankrotten Kapitalismus"
<!--[if !supportFootnotes]-->[iii]<!--[endif]--> [11] Weltrevolution Nr. 122: "Bundesratswahlen in der Schweiz - die herrschende Klasse vor Herausforderungen"
<!--[if !supportFootnotes]-->[iv]<!--[endif]--> [11] zit. nach Tagesanzeiger-Magazin 16.09.06
Ich bin leider jetzt erst zum lesen der Weltrevolution Nr. 138 gekommen (by the way, freue ich mich schon auf die Internationale Revue, wobei ich schon mal in die englische Ausgabe reingelesen habe).
Ich bin sehr einverstanden mit euren Artikeln zum Krieg im Libanon und der Internationalität der Klasse. Beides zudem wichtige Themen angesichts des grassierenden Nationalismus.
Weniger zufrieden bin ich mit dem Artikel, der den Zustand der Klasse in Deutschland behandelt. Zweiffellos habt ihr im Grunde erst einmal recht mit der Konstatierung der Desillusionierung, die ja auch in allen bürgerlichen Blättern beklagt wird. Allerdings ist dies bei euch zu positiv gewendet. Wenn ihr schreibt, dass die Herrschenden nichts mehr zu fürchten hätten als den Verlust ihrer Glaubwürdigkeit und Legitimität, dann blendet ihr m.e. einen wichtigen Aspekt aus: den der Verzweiflung und des Fatalismus, der auch Folge des Individualisierungsprozesses seit Ende der 70er Jahre ist. Nur ein kurzes Beispiel: Wir haben in den letzten Wochen relativ intensiv die Kämpfe in der Charité und bei BSH verfolgt und in sie interveniert. Während es im Krankenhaussektor so gut wie überhaupt keine Initiative von unten gegeben hat und die Beschäftigten trotz unglaublich autoritären Auftretens der Gewerkschaften stramm gestanden haben, musste die IG Metall die Kollegen bei BSH am Ende ja sogar auf der Autobahn abfangen und gegen die Mehrheit der Streikwilligen den Streik absagen. Im Ergebnis jedoch ist eines klar: Die Legitimität der Gewerkschaften war in beiden Fällen nicht völlig gebrochen, aber relativ schwach (erst recht, wenn man dies mit Zuständen vor 20 oder 30 Jahren vergleicht). Um das Selbstbewusstsein der Klasse ist es jedoch auch nicht viel besser bestellt. Die lokale Begrenzung, fehlende solidarische Praxis, die Massenarbeitslosigkeit als Druckfaktor, das Fehlen einer gesellschaftlichen Perspektive und wahrnehmbaren kommunistischen Organisation, und auch das abhanden gekommene Gefühl Produzent aller Gebrauchswerte zu sein, sind hier Steine, die im Weg liegen. Ihr habt recht, das Vertrauen ist erschüttert (bei BSH traute keiner irgendeiner der Parteien über den Weg, der Ruf der Gewerkschaft war etwas besser), aber entscheidend ist das Selbstbewusstsein der Klasse als Klasse der Negation. Das fehlt leider nach wie vor völlig. So long für's erste.
A.
<!--[if !supportEmptyParas]--> <!--[endif]-->
wir haben uns sehr über deine Reaktion auf unsere Presse gefreut. Das bestärkt uns in unserem Bestreben, Publikationen herauszugeben, welche einen Beitrag zum Nachdenken und zur Debatte innerhalb der Klasse leisten. Weder wir noch irgend ein anderer politisierter Teil der Arbeiter-klasse haben fertige Antworten auf die Probleme des Klassenkampfes. Aber das kollektive und öffentliche Bestreben, die Probleme zu diskutieren und zu klären, ermöglicht es unserer Klasse, doch noch Antworten zu finden, welche immer bes-ser den Anforderungen des Lebens ge-recht werden können.
Jetzt zum Inhalt deines Schreibens. Du stimmst uns zu, dass es heute einen weit-verbreiteten Prozess der Desillusionierung gibt, der beispielsweise Ausdruck findet in der relativ niedrigen Legitimität der Gewerkschaften in den Augen der Arbei-ter. Du wirft uns aber vor, die Verzweif-lung und den Fatalismus der Klasse aus-zublenden, welche mit dem heute noch allgegenwärtigen niedrigen Selbstbe-wusstsein des Proletariats, mit dem Man-gel an Einsicht, einer gemeinsamen Klasse anzugehören, einhergehen. Diese Frage des Selbstbewusstseins aber sei das Entscheidende, so deine Schlussfolge-rung.
Fangen wir mit dem Wichtigsten an: Wir sind mit deiner Darstellung der Lage ganz und gar einverstanden. Wir verfolgten mit besagten Artikel das Ziel, auf den oben erwähnten Prozess der Desillusionierung hinzuweisen, einerseits weil dies einer der wichtigsten, zukunftsweisenden Elemente der heutigen Situation ist, andererseits weil dieser Aspekt unserer Meinung nach oft übersehen oder unterschätzt wird. Es war aber keineswegs unsere Absicht, den Fatalismus und die Verzweifelung, die du u.a. anhand der Lage in der Charité oder bei der BSH (Bosch-Siemens-Haushaltsgeräte) in Berlin beschreibst, auszu-blenden. Jedenfalls stimmen wir dir zu, dass diese beiden Tendenzen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern Seite an Seite nebeneinander existieren.
Aber indem du das Nebeneinander dieser widersprüchlichen Tendenzen themati-sierst, entsteht eine neue, weiterführende Frage: Ihr Verhältnis zueinander. Die Frage lautet: kann der Prozess des Ver-lusts der Illusionen der Arbeiterklasse helfen, eine eigene revolutionäre Per-spektive zu gewinnen bzw. wiederzuge-winnen, und somit der Verzweiflung und dem Fatalismus entgegenzutreten?
Um diese Frage zu beantworten, halten wir es für wichtig zu unterscheiden zwi-schen Desillusionierung und der von den bürgerlichen Medien oft beklagten "Poli-tikverdrossenheit".
Letzteres bedeutet: sich angeekelt ab-wenden von der als durch und durch ver-kommen erkannten Politik der herrschen-den Klasse. Zwar geht dieses Sich-ab-wenden in den Prozess der Desillusionie-rung mit ein, aber es ist nur ein Bestand-teil davon, und unserer Meinung nach lange nicht der Wichtigste.
Die Politikverdrossenheit war eines der Hauptmerkmale der Niedergangsphase z.B. der antiken Gesellschaft. Das Ge-fühl, Opfer einer schamlosen, die gesamte Gesellschaft zugrunde richtenden Aus-beutung zu sein, war am Ende der Römer-zeit so stark und so weit verbreitet, dass selbst die Invasionen der Barbaren aus dem Norden mit Erleichterung aufge-nommen und beinahe als eine Befreiung empfunden wurden. Das kam daher, weil die gesamte auf der Sklaverei beruhende Gesellschaft in einer historischen Sack-gasse ohne Ausweg steckte. Denn es gab keine Klasse innerhalb dieser Gesell-schaft, welche eine alternative Perspek-tive wusste oder in sich trug. Anders als am Ende des Mittelalters gab es keine ausbeutende Klasse, welche einer kapita-listischen Entwicklung hätte Bahn bre-chen können. Aber auch die Ausgebeute-ten boten keinen Ausweg. So wie die Leibeigenen des Mittelalters nicht für die Abschaffung der Leibeigenschaft, sondern lediglich um die Minderung ihrer Dienste und Abgaben kämpften, stritten die Skla-ven der Antike nicht für eine Gesellschaft ohne Sklaverei, sondern für ihre persönli-che Freiheit oder für eine menschlichere Behandlung. So lösten sich die zunächst siegreichen Armeen des Spartakus auf, weil die rebellierenden Sklaven heim wollten, ihrer Unfreiheit jeweils persön-lich entrinnen wollten. So wurde die als Klasse ohne Hoffnung darbende Schicht der Sklaven zum einem der bedeutendste Träger der neu aufkommenden Religion des Christentums, welche einen Kommu-nismus lediglich des Konsums propagierte und die Sklaverei dabei unangetastet ließ. Der Kommunismus war nur als jenseitiger Trost damals denkbar.
Anders als in der Antike gibt es im Kapi-talismus eine Klasse der Gesellschaft, welche eine alternative Gesellschaft im Kern in sich trägt. Anders als im Feuda-lismus ist der Träger dieser neuen Per-spektive keine ausbeutende, sondern die ausgebeutete, allgemeiner die produzie-rende Klasse, das Proletariat. Während also die Sklaven der Antike, die Leibei-genen des Mittelalters von sich aus ge-neigt waren, Opfer von Illusionen zu wer-den, und sogar ohne Illusionen gar nicht leben konnten, liegt im Wesen des Prole-tariats die Tendenz begründet, im Verlauf des eigenen Abwehrkampfes eine erdge-bundene kommunistische Perspektive zu entwickeln. So kam es, dass bereits im Frühkapitalismus, als die ersten proletari-sierten Massen im Kampf auftraten, ei-gentlich um dem Kapitalismus erst den Weg frei zu machen, die Keime dieser kommunistischen Perspektive formuliert wurden. So durch die Levellers in der englischen, durch Babeuf in der französi-schen bürgerlichen Revolution. Sogar da-vor, während der Reformation in Deutschland, war diese eigenständige Perspektive des Proletariats unter der Führung Thomas Münzers aufgetreten. Und als dann 1842 in England die bereits siegreiche Bourgeoisie versuchte, die proletarischen Massen für die Durchset-zung der Ziele ihrer Ausbeuter zu mobili-sieren - für die Abschaffung der Kornge-setze - musste sie erleben, wie schnell sie die Kontrolle verlor. Die Ar-beiter traten millionenfach in den Kampf, for-mulierten aber bereits nicht nur ihre eige-nen Klassenforderungen, sondern auch ihre kommunistischen Endziele. Die Aus-beuter wussten nur durch Einsatz des Mi-litärs der Lage Herr zu werden.
So war die englische Bourgeoisie die erste, die verstanden hat, dass diese neue Klasse des modernen Proletariats nur zu bändigen ist, wenn man imstande ist, die-ser Klasse die Perspektive einer Besse-rung ihrer Lage - und sei es nur die Illu-sion einer Besserung - anzubieten. Groß-britannien nutzte seine damalige Lage als führende Kolonialmacht, und als "Werk-statt der Welt" aus, um mit Hilfe des Refor-mismus der Trade Unions der revolutio-nären Bewegung auf der Insel das Wasser abzugraben. Nachdem weder das blutige Abschlachten des Proletariats von Paris 1848 und 1870 noch die Sozialistenver-folgungen in Deutschland unter Bismarck imstande waren, die Entwicklung der so-zialistischen Ideen aufzuhalten, lernte auch die herrschende Klasse des europäi-schen Festlandes dazu. Sie profitierte von den letzten Jahrzehnten der Prosperität vor dem Ersten Weltkrieg, um unter Hint-anstellung der offenen Repression eben-falls den Reformismus zu predigen. Und auch im blutigen 20. Jahrhundert, in der Epoche der Kriege und Revolutionen, kam die Bourgeoisie selten lange ohne solche Illusionen aus. Für solche Illusio-nen mussten die USA in den 20er Jahren, später der angebliche "Realsozialismus" des Ostblocks oder der Wohlfahrtstaat im Westen herhalten. Denn nicht aus theo-retischer Erkenntnis, sondern aus histori-scher Erfahrung weiß die Bourgeoisie nur zu gut, dass man zwar den einzelnen Arbeiter, nicht aber die in den kollektiven Kampf getretene Klasse der Lohnabhän-gigen durch religiösen Trost abspeisen kann.
Die Desillusionierung betrifft heute die Perspektive der Gesellschaft
Was sehen wir heute? Zunächst brach der illusorische Realsozialismus des Ost-blocks zusammen. Es stimmt: Dieses Er-eignis diente zunächst dazu, den Kommu-nismus zu diskreditieren und als ein Re-likt der Geschichte erscheinen zu lassen. Inzwischen aber ist ein zweites Ereignis eingetreten, weniger chaotisch und spektakulär als 1989, aber welthistorisch von nicht geringerer Bedeutung: Das Zerschellen der Illusionen in den westli-chen Wohlfahrtsstaaten. Man sieht: Der Verlust der Illusionen bezieht sich nicht nur auf einzelne Organe des bürgerlichen Staates wie die politischen Parteien oder die Gewerkschaften. Er betrifft die Per-spektive der Gesellschaft insgesamt. Heute kann die herrschende Klasse nicht mehr glaubhaft die Perspektive einer Bes-serung der Lage des Proletariats innerhalb des Kapitalismus anbieten. In den 1980er Jahren waren die kapitalistische Modelle noch Deutschland und Japan. Die erfolg-reichsten Staaten waren zugleich die Län-der, in denen die Reallöhne der Arbeiter am höchsten waren. Die kapitalistischen Modelle von heute - China und Indien - wirken nur noch abschreckend. Sie ver-heißen nichts Gutes für das Weltproleta-riat.
Die Verlust von Illusionen schafft nicht automatisch eine eigene revolutionäre Perspektive. Dazu gehört viel mehr, nicht zuletzt die Heranreifung und die Inter-vention revolutionärer Minderheiten der Klasse. Umgekehrt lässt sich sagen, dass ohne - oft schmerzlichen - Abschied von solchen Illusionen keine kommunistische Perspektive in der Klasse sich entwickeln kann. Marx hat es einst so formuliert, dass die kapitalistische Krise die Dialektik in die Köpfe hämmert. Die Krise lehrt die Klasse, den Kapitalismus nicht als Natur-gegebenheit, als ewige Kategorie zu be-trachten, sondern als vorübergehende ge-schichtliche Erscheinung. Zu diesem Pro-zess des Bewusstwerdens gehören auch die Momente der Verzweiflung und Hilflosigkeit. Ja, auch die Niederlagen gehören dazu, solange sie als Niederlagen verstanden werden und nicht von der Bourgeoisie auch noch als Siege verkauft werden können. Solange die Kampfkraft der Klasse auf Dauer nicht gebrochen wird, und solange der Arbeiterkampf auf die Verteidigung der eigenen Klasseninte-ressen ausgerichtet bleibt, bleibt dies die Ei-gentümlichkeit der proletarischen Revo-lution, wie Rosa Luxemburg sagte, dass der Endsieg durch eine Reihe von Niederlagen vorbereitet wird. Auch dem von dir angesprochenen "Indi-vidualisierungsprozess" muss dabei eine entsprechende Antwort der Klasse entge-gengehalten werden. Da ein wirkungs-voller Abwehrkampf gerade heute ohne eine mächtige Entfaltung der Solidarität gar nicht erst denkbar ist, muss das Pro-letariat immer bewusster den kollektiven Charakter seines Wesen und seines Kampfes zur Geltung bringen. Aber in dieser kollektiven und solidarischen Kampfesweise liegt bereits der Kern der künftigen kommunistischen Gesellschaft angelegt.
Somit hat der Verlust der Illusionen heute großen Anteil daran, den Weg freizumachen für die Entwicklung einer kommunistischen Perspektive - auch wenn die Entwicklung einen langen und zähen Kampf erforderlich machen wird. - Weltrevolution
Nachdem in diesem Herbst die der SPD nahestehende Friedrich Ebert Stiftung einen Bericht über das Vorhandensein einer (angeblich neuen) Unterschicht in Deutschland veröffentlicht hatte, kommentierte der einstige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die damit angestoßene "Debatte" mit der Anmerkung, wir leben also nun doch in einer Klassengesellschaft. Auch wenn dies für viele kaum eine neue Erkenntnis sein wird, so ist es bemerkenswert, dass heute selbst führende Vertreter der Bourgeoisie diese schlichte Wahrheit zugeben müssen. Denn es ist noch gar nicht so lange her, dass die Protagonisten der Klassenherrschaft im Zuge des Zusammenbruchs des Stalinismus das endgültige Zugrabetragen des Marxismus einschließlich der "Ideologie" des Klassenkampfes proklamierten und feierten.
Heute hat die bittere Realität diese Propaganda eingeholt. Es zeigt sich, dass Marx recht hatte mit seiner Aufdeckung der Unvermeidbarkeit der immer tieferen Spaltung der kapitalistischen Gesellschaft in einen Pol der Akkumulation von Reichtum und Macht auf der einen Seite, und von Elend und Ohnmacht auf der anderen, die zu immer erbitterteren Klassenkämpfen führt. Diese Kämpfe wiederum neigen dazu, in einen Kampf um die Macht zwischen Kapital und Arbeit zu münden. Nicht nur ist die marxistische Analyse nicht überholt, sie war noch nie so aktuell wie gerade heute.
Die geschichtliche Erfahrung lehrt uns, dass die herrschende Klasse niemals eine Karte (und somit auch kein propagandistisches Argument) ohne Not aus der Hand gibt. Die Bourgeoisie hat erkannt, dass sie in der heutigen Zeit die Glaubwürdigkeit der eigenen Propaganda selbst untergraben würde, sollte sie weiterhin die Existenz von Klassen im modernen Kapitalismus wie nach 1989 schlichtweg leugnen.
Was die Vertreter des Kapitals dazu gezwungen hat, diese nicht mehr zu verteidigende Linie aufzugeben, ist zuallererst die Zuspitzung der Krise des Systems und die dramatische Verschlechterung der Lebenslage der gesamten Arbeiterklasse. Die mit dem Namen Hartz verbundenen Maßnahmen gegen die Erwerbslosen haben Millionen Erwachsene und Kinder in Deutschland in eine grausame Armut gestoßen. In den Betrieben arbeitet inzwischen nun oft eine Mehrheit der Belegschaften ohne Festeinstellung für Löhne, welche oft um mehr als die Hälfte die Gehälter der "Stammbelegschaften" unterschreiten. Inzwischen ist das Kapital - mit den Gewerkschaften an der Spitze - verstärkt dazu übergegangen, im Namen der "leistungsbezogenen Modernisierung des Tarifrechts" im Öffentlichen Dienst oder im Namen von "Gerechtigkeit" und "Solidarität", so in der Metallindustrie, gerade diese erfahrenen "Stammbelegschaften" gezielt überproportional anzugreifen. Auch hier handelt es sich um einen Angriff gegen die gesamte Arbeiterklasse. Denn bis jetzt konnten Ältere in ihrer Eigenschaft als Eltern Jüngeren, ihren Kindern, unter die Arme greifen, damit diese trotz miserabler "Einstiegslöhne" oder gar trotz jahrelanger unentgeltlicher "Praktikumstätigkeiten" noch über die Runden kommen konnten.
Wie sehr die Realität die Glaubwürdigkeit der bisherigen Propaganda der Kapitalistenklasse untergräbt, kann man heute gut anhand der Lage in Deutschland studieren. Während die dafür bezahlte Öffentlichkeit derzeit wirtschaftliche Erfolge feiert - ein Wirtschaftswachstum von über 2 % (zum ersten Mal seit fünf Jahren); einen Rückgang der Arbeitslosigkeit um eine Million; die Beschränkung der Neuverschuldung des Staates auf weniger als 3% des GNP - erntet die Regierung dafür in der Bevölkerung nicht viel mehr als Hohn. Zum einem werden viele dieser Erfolge nicht mehr geglaubt. Die sinkende Arbeitslosenzahl wird mit der veränderten Art, die Statistiken zu erheben, in Zusammenhang gebracht. Die Ankurbelung des Konsums wird als Produkt der Weltmeisterschaft in Deutschland angesehen, sowie der vorgezogenen Käufe angesichts der bevorstehenden Mehrwertsteuererhöhung ab 2007. Außerdem fragt man sich: Wenn es uns in der "Hochkonjunktur" schon so dreckig geht, was erwartet uns erst bei der nächsten offenen und brutalen Rezession? Die Illusion schmilzt dahin, derzufolge es dem Kapital gut gehen muss, damit es auch die Arbeiter besser haben können. Der grundlegende Gegensatz der Klasseninteressen wird unübersehbar.
Wenn es heute schwieriger geworden ist, die historische Sackgasse, in der der Kapitalismus steckt, zu leugnen, so ist das keine Ausgeburt der besonderen Lage in Deutschland, sondern es ist das Ergebnis einer geschichtlichen und weltweiten Entwicklung. So wurden beinahe zeitgleich mit der Studie der Ebertstiftung zwei Berichte internationaler Organisationen veröffentlicht, einmal zur Klimaerwärmung, einmal zum Kampf gegen den Welthunger. Beide Berichte mussten zum Ergebnis kommen, dass die "Staatengemeinschaft" aber auch die "Marktmechanismen" gegenüber diesen Schicksalsfragen der Menschheit auf der ganzen Linie gescheitert sind.
Und wenn die deutsche Bourgeoisie sich heute gezwungen sieht, eine glaubwürdigere Art zu suchen, die Realität der Klassengesellschaft zu verdrehen, so geschieht dies als Reaktion auf die Entwicklung in Frankreich ebenso sehr wie auf die in Deutschland selbst. In Frankreich hat sich in nur einem Jahr zweimal auf eklatante Weise gezeigt, wie tiefgreifend der Bankrott des Systems die Klassengesellschaft aufwühlt. Das erste Mal waren es die Revolten der Jugendlichen in den Vorstädten, das zweite Mal die Massenkämpfe der Studenten und Schüler, welche beide die sich vertiefende Kluft zwischen den Klassen dramatisch offenbart haben. Diese Ereignisse waren umso bedeutender, als sie Tendenzen offenbaren, welche heute in allen Industriestaaten am Werk sind. Es handelt sich zum einem um eine Anhäufung der Misere und der Hoffnungslosigkeit unter den Jugendlichen der Vorstädte, was einst vornehmlich auf die Metropolen der "Dritten Welt" beschränkt blieb. Zum anderen handelt es sich um die Suche der jungen Generation des Proletariats nach einer Solidarisierung der gesamten lohnabhängigen Bevölkerung, Solidarisierung zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen, zwischen Jung und Alt.
Während aber der von den Schulen und Hochschulen ausgehende Kampf im Frühling 2006 gegen eine weitere "Flexibilisierung" des Arbeitsmarktes immer mehr auf die gesamte Arbeiterklasse überzuschwappen neigte (weshalb die Regierung am Ende auch nachgeben musste), fanden die Reaktionen der Jugendlichen in den Vorstädten nicht auf dem Boden des Arbeiterkampfes statt. Stattdessen waren letztere durch Äußerungen blinder, den eigenen Interessen oft zuwiderlaufender Gewaltentladungen gekennzeichnet. Während also die Revolten der Banlieus vor einem Jahr ein Problem nur für die kapitalistischen Ordnungshüter darstellten, stellen die im Kampf der Studentinnen und Studenten vorhandenen proletarischen Ansätze hin zum Massenstreik eine potentielle Bedrohung für die kapitalistische Ordnung selbst dar.
Die jüngst in Szene gesetzte Debatte in Deutschland über die sog. "neuen Unterschichten" ist nicht zuletzt eine Reaktion auf diese Vorboten aus Frankreich. Mit dieser "Unterschichtendiskussion" versuchen die Herrschenden die Tatsache zu verschleiern, dass in der Klassengesellschaft von heute genauso wie zu Zeiten von Marx die Hauptkontrahenten immer noch die Bourgeoisie und das Proletariat sind. Die vor Massenentlassungen stehenden Beschäftigten bei der Allianz-Versicherung oder der Telekom sollen sich als bedrohte "Mittelschicht" fühlen, deren Probleme nichts mit einander und erst recht nichts mit denen der Hartz IV-"Empfänger" zu tun haben. Die Rede von der "neuen Prekarität" soll die Tatsache verschleiern, dass die Unsicherheit der Beschäftigung und der Existenz schon immer das Erkennungsmerkmal der Lohnarbeit war. Erst recht heute gibt es nirgends mehr für die Proletarier auch nur einen Anflug von sicheren Arbeitsplätzen. Zugleich versucht man die Angst der Bevölkerung vor der zunehmenden Verrohung der Gesellschaft auszunutzen, um für die Idee einer klassenübergreifenden "gemeinsamen Anstrengung" aller Schichten zu werben, damit die Probleme der "Unterschicht" nicht zu französischen Zuständen in den deutschen Vorstädten führen. Das neue Zauberwort hierzu lautet jetzt: Bildungsoffensive! Man lässt verlautbaren: So viel "wir" teurer sind (als z.B. die Chinesen), müssen "wir" auch besser sein. So soll die Illusion doch noch am Leben erhalten werden, dass im Kapitalismus eine höhere Produktivität (mittels Bildung) auch höhere Löhne mit sich bringt. Tatsächlich erfordern die kapitalistische Produktion und damit auch die Konkurrenzinteressen des deutschen Kapitals einen hohen Bildungsstand in vielen Bereichen. Und dennoch bleibt im Kapitalismus, und erst recht in der Krise, für immer größere Teile der arbeitenden Bevölkerung Bildung ein ebenso unerreichbares Ziel wie ein "sicherer" Arbeitsplatz oder ein auskömmliches Leben. Ein Blick auf die Wirklichkeit der kapitalistischen Bildungspolitik, wo an allen Ecken und Enden Streichungen und Verteuerungen vorgenommen werden, genügt, um dies zu bestätigen.
Es geht vor allem darum, die erst langsam aufkeimende Idee der Solidarität zwischen allen Opfern der Arbeitslosigkeit und Verarmung im Keim zu ersticken. So mobilisierte der DGB beim diesjährigen, inzwischen ritualisierten "Auftakt" zum "heißen Herbst" Ende Oktober beinahe schon demonstrativ nicht in den Betrieben. So sollte der Eindruck erweckt werden, dass der "Sozialabbau" lediglich ein Problem der Erwerbslosen und Sozialhilfeempfänger wäre - als ob nicht beinahe jeder Proletarier heute Angst hätte, selbst bald erwerbs- und mittellos dazustehen. Während noch vor wenigen Jahren der DGB bei ähnlichen Demonstrationen zum Dampf-ablassen, auch viele Belegschaften mit demonstrieren ließ, wurde diesmal ähnliches sorgfältig vermieden. Denn heute ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die verschiedenen Teile der Klasse, sollten sie zusammen auf der Straße stehen, einander mit Solidarität begegnen. Die Tatsache, dass Anfang November in Düsseldorf Beschäftigte der Allianzversicherung und des bankrotten Handyhersteller BenQ gemeinsam gegen Massenentlassungen demonstrierten, ist ein kleiner, von den Medien weitgehend verschwiegener Hinweis auf eine Entwicklung hin zu einer allgemeinen Arbeitersolidarität. Tatsächlich ist Arbeitersolidarität die erste Bedingung, damit die Arbeiterklasse als Antwort auf die Endzeitkrise der Klassengesellschaft die Menschheit im Kampf gegen Ausbeutung, Hunger und Krieg anführen kann. 17.11.06
Links
[1] https://de.internationalism.org/content/1164/afghanistan-libanon-kongo-bundeswehr-nicht-friedensstifter-sondern-kriegsheer
[2] https://de.internationalism.org/tag/3/43/imperialismus
[3] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/osterreich
[4] https://de.internationalism.org/content/1158/heinrich-heine-die-revolution-und-die-partei-der-nachtigallen
[5] https://de.internationalism.org/tag/3/47/kultur
[6] https://de.internationalism.org/content/1162/internationalistische-stellungnahme-aus-korea-angesichts-der-kriegsgefahr
[7] https://de.internationalism.org/tag/3/44/internationalismus
[8] https://de.internationalism.org/tag/3/52/umwelt
[9] https://de.internationalism.org/content/1161/oaxaca-mexiko-welche-organisation-und-mobilisierung-gegen-die-staatliche-repression
[10] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/mexiko
[11] https://de.internationalism.org/content/1157/schweiz-die-schwierigkeiten-der-herrschenden-klasse-mit-sich-selber
[12] https://de.internationalism.org/tag/nationale-situationen/nationale-lage-der-schweiz
[13] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/schweiz
[14] https://de.internationalism.org/tag/2/40/das-klassenbewusstsein
[15] https://de.internationalism.org/tag/11/151/nationale-lage-deutschland