Vor 70 Jahren, im Mai 1936, brach spontan eine riesige Welle von Arbeiterkämpfen gegen die wachsende Ausbeutung aus, die von der Wirtschaftskrise und der Ausbreitung der Kriegswirtschaft ausgelöst wurde. Im Juli desselben Jahres begann die Arbeiterklasse in Spanien unvermittelt einen Generalstreik und erhob, als Reaktion auf den Militärputsch Francos, die Waffen. Viele Revolutionäre, einschließlich einige der bekanntesten wie Trotzki, interpretierten diese Ereignisse als den Beginn einer neuen internationalen revolutionären Welle. Tatsächlich aber ließen sie sich durch die begeisterte Unterstützung der Massen, durch ein oberflächliches Verständnis der vorhandenen Kräfte und durch den „radikalen“ Charakter einiger ihrer Reden in die Irre führen.
Auf der Grundlage einer klaren Analyse des Kräfteverhältnisses auf internationaler Ebene realisierte die Italienische Kommunistische Linke (in ihrer Zeitschrift Bilan), dass die Volksfronten alles andere als der Ausdruck einer sich entwickelnden revolutionären Bewegung waren. Im Gegenteil, diese deuteten an, dass sich die Klasse immer mehr in der nationalistischen und demokratischen Ideologie verfangen und vom Kampf gegen die Auswirkungen der historischen Krise des Kapitalismus abgelassen hatte. „Die Volksfront hat sich selbst als Auflösungsprozess des proletarischen Klassenbewusstseins erwiesen, als Waffe, die darauf abzielte, die Arbeiter auf dem Terrain des Schutzes der bürgerlichen Gesellschaft in jeglichem Aspekt ihres sozialen und politischen Lebens festzuhalten.“ (Bilan, Nr. 31, Mai – Juni 1936) In aller Eile setzten sich sowohl in Frankreich als auch in Spanien die Politapparate der „sozialistischen“ und „kommunistischen“ Linken an die Spitze dieser Bewegungen. Indem sie die Arbeiter in die falsche Alternative Faschismus/Antifaschismus einsperrten, sabotierten sie die Bewegung von innen, verpflichteten sie zur Verteidigung des demokratischen Staates und heuerten die Arbeiter in Frankreich und Spanien schließlich für das zweite weltweite imperialistische Gemetzel an.
Heute gibt es eine allmähliche Wiederbelebung des Klassenkampfes, und neue Generationen begeben sich auf die Suche nach radikalen Alternativen zum Kapitalismus, dessen Scheitern immer offenkundiger wird. In diesem Zusammenhang prangern „Antiglobalisierungs“bewegungen wie Attac den zügellosen Liberalismus und „die Diktatur des Marktes“ an, der „die politische Macht den staatlichen Händen und somit den Bürgern entrissen hat“, und rufen zur „Verteidigung der Demokratie gegen die Finanzdiktatur“ auf. Die „andere Welt“, die von den Anhängern der „Antiglobalisierung“ vorgestellt wird, nimmt häufig eine Form an, die von der Politik der 30er, 50er oder 70er Jahre inspiriert ist, als der Staat angeblich eine weitaus wichtigere Rolle als unmittelbarer Wirtschaftsfaktor gespielt hatte. Die Politik der Volksfrontregierungen, die mit ihren Programmen der staatlichen Kontrolle über die Wirtschaft, „der Einheit aller Schichten der arbeitenden Bevölkerung gegen die kapitalistische und faschistische Bedrohung“ eine „soziale Revolution“ in Gang gesetzt habe, wird schöngefärbt, um die Behauptung zu stützen, dass „eine andere Welt“, dass eine andere Politik innerhalb des Kapitalismus möglich sei.
Daher ist es absolut wichtig, anlässlich dieses 70. Jahrestages die Zusammenhänge und die Bedeutung der Ereignisse von 1936 in Erinnerung zu rufen:
- die tragischen Lehren aus diesen Erfahrungen ins Gedächtnis zurückzurufen, insbesondere die verhängnisvolle Falle, in die die Arbeiterklasse lief, als sie ihr Terrain, die kompromisslose Verteidigung ihrer spezifischen Interessen, verließ, um sich den Bedürfnissen des einen oder anderen bürgerlichen Lagers zu unterwerfen;
- die Lügen zu entlarven, die über die „Linke“ in Umlauf gesetzt werden und denen zufolge sie die Interessen der Arbeiterklasse während dieser Ereignisse verkörpert hatte, und aufzuzeigen, dass sie in Tat und Wahrheit ihr Henker war.
Die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren von der Niederlage der revolutionären Welle von 1917-23 und dem Triumph der Konterrevolution gekennzeichnet. Sie unterscheiden sich fundamental von der heutigen historischen Periode der Wiederbelebung der Kämpfe und der allmählichen Entwicklung des Bewusstseins. Dennoch stößt auch die neue Generation von Proletariern, die der konterrevolutionären Ideologie zu entkommen versucht, auf dieselbe „Linke“, dieselben Fallen und ideologischen Manipulationen, obgleich diese die neuen Kleider der „Antiglobalisierung“ tragen. Ihnen zu entgehen ist nur durch die Wiederaneignung der so teuer erkauften Lehren aus den vergangenen Erfahrungen des Proletariats möglich.
Die Volksfronten behaupteten, dass sie die „Kräfte des Volkes gegen die Arroganz der Kapitalisten und den Aufstieg des Faschismus“ vereinigt hatten. Aber setzten sie wirklich eine Dynamik in Gang, die den Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung stärkte? Waren sie wirklich ein Schritt vorwärts in der Entwicklung der Revolution? Um darauf zu antworten, kann sich eine marxistische Vorgehensweise nicht darin erschöpfen, ausschließlich auf den radikalen Ton der Reden und auf die Gewalt der gesellschaftlichen Eruptionen zu achten, die etliche westeuropäische Länder damals erschütterten. Eine Analyse des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen auf internationaler Ebene und für die gesamte historische Periode muss die Grundlage einer solchen Methode sein. In welchem Kontext standen die Stärken und Schwächen des Proletariats und seines Todfeindes, der Bourgeoisie? In welchem Zusammenhang fanden die Ereignisse von 1936 statt?
Die mächtige revolutionäre Welle zwang die Bourgeoisie dazu, den Krieg zu beenden, brachte die Arbeiterklasse in Russland an die Macht und erschütterte die bürgerliche Herrschaft in Deutschland und in ganz Mitteleuropa bis in ihre Grundfesten. Was folgte, war eine Reihe von blutigen Niederlagen des Proletariats in den 20er Jahren. Die Niederschlagung des deutschen Proletariats erst 1919 und schließlich 1923 durch die Sozialdemokraten der SPD ebnete den Weg für Hitlers Aufstieg zur Macht. Die tragische Isolierung der Revolution in Russland war der Sargnagel für die Kommunistische Internationale und öffnete die Tür zum Triumph der stalinistischen Konterrevolution, die die gesamte alte Garde der Bolschewiki und die Lebenskräfte des Proletariats vernichtete. Schließlich wurde auch der letzte proletarische Funke, in China 1927, gnadenlos ausgelöscht. Der Kurs der Geschichte hatte sich gedreht. Die Bourgeoisie hatte entscheidende Siege über das internationale Proletariat erzielt, der Kurs zur Revolution machte einem unaufhaltsamen Marsch in den Weltkrieg Platz. Dies bedeutete den schrecklichsten Rückfall in die kapitalistische Barbarei.
Dennoch gab es immer noch, trotz dieser niederschmetternden Niederlagen der Bataillone der Avantgarde des Weltproletariats, zum Teil wichtige Episoden der Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse. Dies war besonders in jenen Ländern der Fall, in denen die Arbeiter keine direkte Niederlage, weder physisch noch ideologisch, im Kontext der revolutionären Konfrontationen von 1917-1927 erlitten hatten. So brach auf dem Höhepunkt der Krise in den 30er Jahren ein wilder Streik unter den Bergarbeitern Belgiens aus, der rasch die Dimensionen eines Aufstandes annahm. Er ging von einer Bewegung gegen Lohnkürzungen in den Bergwerken von Borinage aus. Als die Streikenden gefeuert wurden, verbreitete sich die Bewegung über die ganze Provinz, und es kam zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei. Von 1931 bis 1934 beteiligte sich die Arbeiterklasse in Spanien an einer Reihe von Kämpfen, die brutal unterdrückt wurden. Im Oktober 1934 befanden sich sämtliche Bergbauregionen Asturiens und der Industriegürtel von Oviedo und Gijon in einer selbstmörderischen Erhebung, die von der republikanischen Regierung und ihrer Armee zerschmettert wurde. Sie endete in einer brutalen Repression. Auch in Frankreich wurde eine gewisse Kampfbereitschaft an den Tag gelegt, obwohl die Arbeiterklasse durch die „linke“ Politik der KP tief demoralisiert war, derzufolge noch 1934 die Revolution unmittelbar bevorstand und es daher notwendig war, „überall Sowjets zu bilden“. Im Sommer 1935 fanden angesichts einer Gesetzgebung, die massive Lohnkürzungen für die Arbeiter im Staatssektor verordnete, eindrucksvolle Demonstrationen und gewaltsame Konfrontationen auf den Werften von Toulon, Tarbes, Lorient und Brest statt. In Brest gab es, nachdem Soldaten einen Arbeiter mit den Gewehrkolben totgeschlagen hatten, zwischen dem 5. und 10. August gewaltsame Demonstrationen und Ausschreitungen. Diese endeten mit drei Toten und Hunderten von Verletzten; Dutzende von Arbeiter wurden ins Gefängnis gesteckt.[i] [1]
Diese Ausdrücke einer anhaltenden Militanz, die oftmals von Wut, Verzweiflung und politischer Desorientierung geprägt war, waren in Wahrheit „Ausbrüche der Verzweiflung“, die die Schwächen der Arbeiter in einer weltweiten Situation der Niederlage und Zerstreuung aufzeigten. Die Zeitschrift Bilan brachte dies im Falle Spaniens auf den Punkt: „Wenn die internationalen Kriterien etwas bedeuten, dann müssen wir sagen, dass angesichts der Tatsache einer sich ausbreitenden Konterrevolution auf der ganzen Welt die Orientierung in Spanien zwischen 1931 und 1936 nur in die gleiche Richtung zielen kann (nämlich hin zu einem konterrevolutionären Verlauf der Ereignisse), statt in die entgegen gesetzte Richtung einer revolutionären Bewegung. Die Revolution kann sich nur vollständig entwickeln, wenn sie das Resultat einer revolutionären Situation auf internationaler Ebene ist.“ (Bilan, Nr. 35, Januar 1937)
Doch um die Arbeiter jener Länder zu mobilisieren, in denen die revolutionäre Bewegung nicht zerschlagen worden war, waren die nationalen Bourgeoisien gezwungen, auf eine besondere Mystifikation zurückzugreifen. In den Ländern, in denen das Proletariat bereits in einer direkten Klassenkonfrontation niedergeschlagen worden war, war die spezifische Form der sich entwickelnden Konterrevolution die ideologische Kriegsmobilisierung für den Faschismus bzw. Nazismus oder für die stalinistische Ideologie der „Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes“. In den politischen Regimes, die „demokratisch“ geblieben waren, wurde dieselbe Mobilisierung im Namen des Antifaschismus unternommen. Die französische und spanische Bourgeoisie (und andere wie die belgische Bourgeoisie zum Beispiel) benutzten den Machtantritt der Linken, um die Klasse hinter dem Antifaschismus und der Verteidigung des „demokratischen“ Staates zu mobilisieren und die Kriegswirtschaft zu etablieren.
Die Position, die die Linke gegenüber den oben erwähnten Kämpfen einnahm, zeigt deutlich, dass die Volksfront keine Politik praktizierte, um die Dynamik der Arbeiterkämpfe zu stärken. Während der aufstandsartigen Kämpfe 1932 in Belgien weigerten sich der Parti Ouvrier Belge (Belgische Arbeiterpartei, POB) und seine Gewerkschaften, die Bewegung zu unterstützen. Dies führte dazu, dass die Wut der Arbeiter sich auch gegen die Sozialdemokratie richtete. Die Streikenden griffen das Maison du Peuple in Charleroi an und zerrissen oder verbrannten ihre POB- und Gewerkschaftsmitgliedsausweise. Ende 1933 stellte die POB den „Plan de Travail“ (Arbeitsplan) als „Volksalternative“ zur kapitalistischen Krise vor, um die Wut und Verzweiflung der Arbeiter zu kanalisieren.
Auch Spanien veranschaulicht deutlich, was das Proletariat von einer „republikanischen“ oder „linken“ Regierung zu erwarten hat. Von Anbeginn ihrer Existenz hatte die spanische Republik bewiesen, dass sie nichts von den faschistischen Regimes lernen musste, um Arbeiter zu massakrieren. Eine große Anzahl von Kämpfen in den 30er Jahren wurde von republikanischen Regierungen oder vom Partido Socialista Obrero Español (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei, PSOE) zerschlagen. Der PSOE, der sich damals in der Opposition befand, zettelte mit seinem „revolutionären“ Gerede den selbstmörderischen Aufstand im Oktober 1934 in Asturien an. Anschließend isolierte er zusammen mit seiner Gewerkschaft, der UGT, die Bewegung vollständig, indem er jegliche Ausbreitung der Bewegung vereitelte. Damals entlarvte Bilan den Charakter der „linksdemokratischen“ Regimes überaus deutlich: „In der Tat schafft der ‚Linksrutsch‘ der spanischen Republik, der in der Zeit zwischen ihrer Gründung im April 1931 und dem Dezember 1931 stattfand – die Bildung der Azaña-Caballero-Lerroux-Regierung, die Amputation ihres rechten Flügels, der von Lerroux repräsentiert wurde, im Dezember 1931 –, keine günstigen Bedingungen für die Entwicklung von proletarischen Klassenpositionen oder für die Bildung von Organen, die in der Lage sind, den revolutionären Kampf anzuführen. Es geht keinesfalls darum, dass die republikanische oder radikalsozialistische Regierung alles zum Guten der (...) kommunistischen Revolution zu tun trachtet. Es geht darum, die Bedeutung dieses Wechsels zu den Linken oder den Rechtsextremen, diesen einstimmigen Chor der Sozialisten und Gewerkschafter für die Verteidigung der Republik zu analysieren. Hat dies die Bedingungen für eine Entwicklung von Arbeitererrungenschaften und für eine revolutionäre Ausrichtung des Proletariats geschaffen? Oder war dieser Linksrutsch vom kapitalistischen Bedürfnis diktiert, die Arbeiter zu betäuben, die von der weitgreifenden revolutionären Welle mitgerissen worden waren, sicherzustellen, dass sie nicht den Weg des revolutionären Kampfes einschlagen? Der Weg, den die Bourgeoisie im Oktober 1934 einschlug, wäre 1931 zu gefährlich gewesen...“ (Bilan Nr. 12, November 1934)
Schließlich ist es besonders aufschlussreich, dass die gewaltsamen Konfrontationen in Brest und Toulon im Sommer 1935 in dem Moment ausbrachen, als die Volksfront gebildet wurde. Da sie sich spontan gegen die Losungen der politischen und gewerkschaftlichen Führer entwickelten, zögerten Letztere nicht, jene als „Provokateure“ zu verunglimpfen, die die „republikanische Ordnung“ störten: „... weder die Volksfront noch die Kommunisten, die in der vordersten Reihe stehen, zerschlagen Fensterscheiben, plündern Cafés oder zerreißen die Nationalflagge“ (Humanité-Leitartikel, 7. August 1935).
So beruhten, wie Bilan in puncto Spanien seit 1933 aufzeigte, die Politik der Volksfront und der linken Regierungen in keiner Weise auf einer dynamischen Verstärkung des proletarischen Kampfes. Im Gegenteil, sie entwickelten sich gegen ihn, sie kollidierten bewusst mit jenen noch auf einem Klassenterrain befindlichen Arbeiterbewegungen, um diese letzten Ausbrüche des Widerstandes gegen die „totale Auflösung des Proletariats im Kapitalismus“ (Bilan Nr. 22, August – September 1935) zu ersticken: „In Frankreich wird die Volksfront, getreu ihrer verräterischen Tradition, nicht nachlassen, zur Ermordung jener aufzurufen, die sich weigern, sich der ‚französischen Entwaffnung‘ zu beugen, und die sich, wie in Brest und Toulon, weiterhin in Streiks für ihre eigenen Forderungen, in Klassenschlachten gegen den Kapitalismus und außerhalb des Zugriffs der Klauen der Volksfront engagieren.“ (Bilan Nr. 26, Dezember – Januar 1936)
Hat die Volksfront nicht wenigstens „die Kräfte des Volkes gegen den Aufstieg des Faschismus vereint“? Als Hitler Anfang 1933 in Deutschland an die Macht kam, nutzte die Linke den Erfolg der rechtsextremistischen und faschistischen Fraktionen in den „demokratischen“ Ländern, um zu zeigen, dass es notwendig sei, die Demokratie mit einer breiten antifaschistischen Front zu verteidigen. Diese Strategie wurde erstmals Anfang 1934 in Frankreich praktiziert und durch ein gigantisches Manöver in Gang gesetzt. Den Vorwand hierfür lieferte die gewaltsame Protestdemonstration am 6. Februar 1934 gegen die Auswirkungen der Krise und gegen die korrupten Regierungen der Dritten Republik. Neben Militanten der KP wurden auch Gruppen von Rechtsradikalen (Croix de Feu, Camelots du Roi) in diese Demonstration eingeschleust. Einige Tage später, nach einem Strategiewechsel seitens Stalin und der Dritten Internationale, änderte die KP ihre Haltung abrupt. Erstere hatten beschlossen, die Taktik der Klassenkonfrontation durch eine Politik der Annäherung an die sozialistischen Parteien zu ersetzen. Von diesem Augenblick an wurde der 6. Februar als eine „faschistische Offensive“ und als „versuchter Staatsstreich“ in Frankreich dargestellt.
Die Ausschreitungen am 6. Februar versetzten die Linke in die Lage, die Bedrohung durch den Faschismus zu übertreiben und eine breite Kampagne zu organisieren, um die Arbeiter im Namen der Verteidigung der „Demokratie“ zu mobilisieren. Der Generalstreik, zu dem sowohl die KP als auch die SFIO[ii] [1] für den 12. Februar aufgerufen hatte, krönte den Antifaschismus mit der Parole „Einheit! Einheit gegen den Faschismus!“ Die französische KP machte sich die neue Ausrichtung rasch zu eigen, und auf der nationalen Konferenz in Ivry im Juni 1934 war der einzige Punkt auf der Tagesordnung „die Organisation der Einheitsfront des antifaschistischen Kampfes“.[iii] [1] Diese Perspektive mündete schnell in der Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens zwischen der KP und der SFIO im Juli 1934.
Auf diese Weise wurde der Antifaschismus zu dem Mittel schlechthin, um alle bürgerlichen Kräfte, die „in die Freiheit verliebt“ waren, hinter der Flagge der Volksfront zu sammeln. Er ermöglichte es auch, die Interessen des Proletariats an jene des nationalen Kapitals zu binden, indem er ein „Bündnis der Arbeiterklasse mit den Arbeitern der Mittelschichten“ bildete, um Frankreich die „Schande und die Krankheiten einer faschistischen Diktatur“ zu ersparen, wie Thorez es formulierte. Des weiteren verbreitete die französische KP die Leier von den „200 Familien, die Frankreich ausplündern und die nationalen Interessen ausverkaufen“. So leide jeder, mit Ausnahme dieser „Kapitalisten“, an der Krise und sei in Solidarität mit allen anderen verbunden. Auf diese Weise wurden die Arbeiterklasse und ihre Klasseninteressen im Volk und in der Nation im Kampf gegen „eine Handvoll von Parasiten“ ertränkt.
Andererseits wurde Tag für Tag der Faschismus hysterisch als einziges kriegstreiberisches Element angeprangert. Die Volksfront mobilisierte die Arbeiterklasse für die Verteidigung des Vaterlandes gegen die faschistischen Invasoren, und das deutsche Volk wurde mit dem Nazismus identifiziert. In ihren Parolen rief die französische KP jedermann dazu auf, nur „französische Waren zu kaufen“, und glorifizierte die nationale Versöhnung. So drängte die Linke mit den Mitteln des abscheulichsten Nationalismus, des schlimmsten Ausdrucks von Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit das Proletariat hinter das Staatsschiff.
Der Höhepunkt dieser intensiven Kampagne waren ein Wahlbündnis und die offizielle Bildung der Volksfront am 14. Juli 1935. Zu diesem Anlass wurden die Arbeiter dazu gebracht, unter den gemeinsamen Porträts von Marx und Robespierre die französische Nationalhymne zu singen und zu skandieren: „Lang lebe die französische Sowjetrepublik!“ Indem alle Handlungen auf die Entfaltung einer Wahlkampagne für die „Volksfront für Frieden und Arbeit“ konzentriert wurden, lenkte die Linke die Kämpfe vom Klassenterrain auf das Terrain der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie, ertränkte das Proletariat in der formlosen Masse des „französischen Volkes“ und leitete seinen Kampf um in die Verteidigung der nationalen Interessen. „Dies war ein Resultat der neuen Positionen vom 14. Juli, die die logische Konsequenz aus der Politik des Antifaschismus waren. Die Republik war kein Kapitalismus, sie war das Reich der Freiheit, der Demokratie, die, wie wir wissen, die Plattform des Antifaschismus ist. Die Arbeiter schworen feierlich, diese Republik gegen innere wie äußere Unruhestifter zu verteidigen, während Stalin sie aufforderte, der Bewaffnung des französischen Imperialismus im Namen der Verteidigung der UdSSR zuzustimmen.“ (Bilan Nr. 22, August – September 1935)
Dieselbe Strategie zur Mobilisierung der Arbeiterklasse auf dem Terrain der Wahlen und für die Verteidigung der Demokratie wurde auch in vielen anderen Ländern praktiziert. Sie integrierte die Arbeiter in die Allgemeinheit der Volksschichten und mobilisierte sie für die Verteidigung der nationalen Interessen. In Belgien wurden bei der Mobilisierung der Arbeiter hinter die Kampagne für den „Plan de Travail“ Mittel der psychologischen Propaganda benutzt, die der nazistischen oder faschistischen Propaganda in nichts nachstanden. Am Ende trat der POB 1935 in die Regierung ein. Der antifaschistische Rausch, der insbesondere von der Linken des POB entfacht wurde, erreichte 1937 seinen Höhepunkt mit der Allianz zwischen Degrelle, dem Führer der faschistischen Königspartei, und dem Premierminister Van Zeeland, der die Unterstützung aller „demokratischen“ Kräfte einschließlich der belgischen KP genoss. Im gleichen Jahr bekräftigte Spaak, einer der Führer des linken Flügels des POB, den „nationalen Charakter“ des Programms der belgischen Sozialisten. Er schlug außerdem vor, dass die Partei zu einer Volkspartei werden solle, da sie die allgemeinen Interessen und nicht die Interessen einer einzigen Klasse vertrete!
Jedoch war Spanien das Land, in dem das französische Beispiel die Politik der Linken am nachhaltigsten inspirierte. Auch nach dem Massaker in Asturien konzentrierte der PSOE seine Politik auf die Propaganda für den Antifaschismus, für die „vereinigte Front aller Demokraten“, und rief zu einem Volksfrontprogramm gegen die faschistische Gefahr auf. Im Januar 1935 unterzeichnete er ein „Volksfrontbündnis“ mit der Gewerkschaft UGT, den republikanischen Parteien und der spanischen KP, mit kritischer Unterstützung der CNT[iv] [1] und des POUM .[v] [1] Diese „Volksfront“ rief offen zu einer Ersetzung des Arbeiterkampfes durch den Kampf auf bürgerlichem Terrain auf, gegen die faschistischen Fraktionen der Bourgeoisie und zugunsten ihres „antifaschistischen“ und „demokratischen“ Flügels. Der Kampf gegen den Kapitalismus wurde zugunsten eines illusorischen „Reformprogramms“ und einer „demokratischen Revolution“ des Systems aufgegeben. Mittels der Mystifikation der falschen antifaschistischen und demokratischen Front mobilisierte die Linke das Proletariat auf dem Terrain der Wahlen und errang darüber hinaus im Februar 1936 einen Wahltriumph: „Diese (die republikanisch-sozialistische Koalition 1931-33) war eine aufschlussreiche Demonstration, wie man die Demokratie als Manövriermasse für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Regimes einsetzt (...) auch 1936 ergab sich auf dieselbe Weise die Möglichkeit, das spanische Proletariat nicht hinter seinen Klasseninteressen aufzustellen, sondern hinter der Verteidigung der ‚Republik‘, des ‚Sozialismus‘ und des ‚Fortschritts‘ gegen Monarchismus, Klerikalfaschismus und Reaktion. Dies zeigt die tiefe Verwirrung der Arbeiter in Spanien, wo das Proletariat erst kürzlich seine Kampfbereitschaft und seinen Opfergeist bewiesen hatte.“ (Bilan Nr. 28, Februar – März 1936)
In der Tat gelang es der antifaschistischen Politik der Linken und der Bildung der „Volksfronten“, die Arbeiter zu atomisieren, innerhalb der Bevölkerung zu verwässern, sie für die demokratische Umwandlung des Kapitalismus zu mobilisieren, ja sie mit chauvinistischem und nationalistischem Gift zu durchtränken. Bilans Einschätzung erwies sich als richtig, als am 14. Juli 1935 die Volksfront offiziell verkündet wurde: „Eindrucksvolle Massendemonstrationen signalisieren die Auflösung des französischen Proletariats in das kapitalistische Regime. Trotz der Tatsache, dass Abertausende von Arbeitern durch die Straßen von Paris marschieren, gibt es keinen Arbeiterkampf für die eigenen Ziele mehr, genauso wenig wie in Deutschland. In diesem Zusammenhang markiert der 14. Juli einen entscheidenden Moment im Prozess der Desintegration des Proletariats und des Wiederaufbaus der heiligen Einheit der kapitalistischen Nation (...) Die Arbeiter trugen geduldig die Nationalfahne, sangen die Nationalhymne und applaudierten gar Daladier, Cot und anderen kapitalistischen Ministern, die zusammen mit Blum und Cachin[vi] [1] feierlich geschworen hatten, ‚den Arbeitern Brot, den Jungen Arbeit und der Welt Frieden zu geben‘. Was bedeutete: Bleikugeln, Kasernen und imperialistischer Krieg für jedermann.“ (Bilan Nr. 21, Juli – August 1935)
Aber hat die Linke die Schrecken der freien Konkurrenz des „Monopol“-Kapitalismus nicht zumindest gelindert durch ihre Maßnahmen zur Stärkung der staatlichen Kontrolle über die Wirtschaft? Hat sie somit nicht die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse verteidigt? Es ist einmal mehr notwendig, die von der Linken gerühmten Maßnahmen in den allgemeinen Rahmen der Situation des Kapitalismus zu stellen.
Zu Beginn der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts herrschte totale Unordnung in der kapitalistischen Produktion. Die weltweite Krise warf Millionen von Proletariern auf die Strasse. Die ökonomische Krise, hervorgerufen durch die Dekadenz des kapitalistischen Systems, manifestierte sich in der großen Depression der 30er Jahre (Börsenkrach 1929, rekordhohe Inflationsraten, Rückgang in Wachstum und industrieller Produktion, dramatische Beschleunigung der Arbeitslosigkeit). Dies drängte die siegreiche Bourgeoisie unerbittlich zum imperialistischen Krieg um die Neuaufteilung des übersättigten Weltmarktes. „Exportiere oder stirb“ wurde der Slogan jeder nationalen Bourgeoisie. Die nationalsozialistischen Führer drückten dies klar aus.
Nach dem Ersten Weltkrieg fand sich Deutschland durch den Versailler Vertrag seiner wenigen Kolonien beraubt und von Kriegsschulden und Reparationszahlungen niedergedrückt. Es war eingezäunt im Zentrum Europas und von diesem Zeitpunkt an wuchs dort das Problem heran, welches die Politik aller europäischen Länder für die nächsten zwei Jahrzehnte bestimmen sollte. Im Zuge des Wiederaufbaus seiner Wirtschaft war Deutschland gezwungen, neue Absatzmöglichkeiten für seine Güter zu finden, wobei seine Expansion nur im Rahmen Europas stattfinden konnte. Die Ereignisse beschleunigten sich, als Hitler 1933 an die Macht kam. Die ökonomischen Bedürfnisse, die Deutschland in den Krieg drängten fanden ihren Ausdruck in der nationalsozialistischen Ideologie: Die Ablehnung des Versailler Vertrages, die Forderung nach „Lebensraum“, der nur in Europa sein konnte.
Dies überzeugte gewisse Teile der französischen Bourgeoisie, dass der Krieg unvermeidlich war und dass Sowjetrussland ein guter Alliierter sei, die pangermanischen Aspirationen abzuwehren. Dies umso mehr, als die Situation auf internationaler Ebene immer klarer wurde: Deutschland verließ den Völkerbund und die UdSSR trat ihm bei. Ehemals hatte diese die deutsche Karte gegen die Kontinentalblockade der westlichen Demokratien ausgespielt. Aber dann wurde die Beziehung Deutschlands zu den USA besser, als diese vermehrt in die deutsche Wirtschaft investierten, die dank dem Dawes-Plan[vii] [1] wieder in Fahrt kam, und so den ökonomischen Wiederaufbau einer westlichen „Bastion“ gegen den Kommunismus förderten. An diesem Punkt orientierte das stalinistische Russland seine Außenpolitik neu in Richtung eines Bruches dieser Allianz. In der Tat glaubten wichtige Teile der Bourgeoisie in den westlichen Ländern bis zu einem späten Zeitpunkt, dass sich der Krieg mit Deutschland mit Hilfe von wenigen Konzessionen und vor allem, indem man Deutschlands notwendige Expansion in den Osten lenkte, verhindern ließe. München 1938 brachte dieses kontinuierliche Unverständnis der Situation und des kommenden Krieges zum Ausdruck.
Die Reise des französischen Außenministers Laval nach Moskau unterstrich 1935 mit der französisch-russischen Annäherung dramatisch diese Aufstellung der imperialistischen Bauern auf dem europäischen Schachbrett. Stalins Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages implizierte die Anerkennung der französischen Verteidigungspolitik und ermutigte die französische KP, für die Militärkredite zu stimmen. Wenige Monate später, im August 1935, zog der VII. Kongress der Komintern für Russland die politischen Konsequenzen einer möglichen Allianz mit den westlichen Ländern zwecks Konfrontation des deutschen Imperialismus. Dimitrow benannte den neuen Feind, den es zu bekämpfen galt: Faschismus. Die Sozialisten, welche bis anhin heftig kritisiert wurden, wurden zu einer demokratischen Kraft (unter anderen) mit welcher man sich, wenn es galt, den faschistischen Feind zu besiegen, verbünden musste. Die stalinistischen Parteien in anderen Ländern folgten der 180-Grad-Drehung des großen Bruders, der KPdSU, und wurden so die feurigsten Verteidiger der imperialistischen Interessen des so genannten „Sozialistischen Vaterlandes“.
Kurz gesagt fühlten alle industrialisierten Länder einen großen Drang, ihre Kriegsökonomie zu entwickeln; nicht nur die Rüstungsproduktion, sondern auch die ganze Infrastruktur, welche für diese Produktion nötig war. Alle Großmächte, sowohl die „demokratischen“ wie die „faschistischen“, entwickelten eine ähnliche Politik der großen öffentlichen Werke unter Staatskontrolle und einer Rüstungsindustrie, welche gänzlich auf die Vorbereitung eines zweiten Weltkrieges ausgerichtet war. Darum herum organisierte sich die Wirtschaft, sie erzwang eine Reorganisation der Arbeit, von welcher der „Taylorismus“ der vorzüglichste Sprössling war.
Eine der Hauptcharakteristiken „linker“ Wirtschaftspolitik war die Stärkung staatlicher Maßnahmen mit dem Zweck, die krisengeschüttelte Wirtschaft zu unterstützen, und die staatliche Kontrolle über verschiedene Sektoren der Wirtschaft. Dies rechtfertigte Maßnahmen „einer ‚kontrollierten Wirtschaft’, eines ‚Staatssozialismus’, der die Bedingungen reifen lässt, welche es den ‚Sozialisten’ erlauben sollen, ‚friedlich’ und stufenweise die Mühlen des Staates zu erobern“ (Bilan Nr. 3, Januar 1934). Solche Maßnahmen wurden allgemein von der ganzen europäischen Sozialdemokratie gepriesen. Sie wurden in das Wirtschaftsprogramm der Volksfront in Frankreich aufgenommen, bekannt als Jouhaux-Plan. In Spanien beinhaltete das Programm der Volksfront eine breite Politik von Agrarkrediten, einen Plan für weitläufige öffentliche Investitionen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie eine Arbeitsgesetzgebung, welche zum Beispiel einen Minimallohn festsetzte. Wir können deren eigentliche Bedeutung erkennen, indem wir eines ihrer Vorbilder untersuchen, den „New Deal“, welcher in den USA unter Roosevelt nach der Krise von 1929 eingeführt wurde. Ebenfalls analysiert werden sollte die best entwickelte theoretische Konkretisierung dieses „Staatssozialismus“, der „Plan de Travail“ des belgischen Sozialisten Henri De Man.
Der „New Deal“, in Kraft gesetzt in den USA ab 1932, war ein Plan des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und des „sozialen Friedens“. Die Intervention von Seiten der Regierung zielte ab auf die Wiederherstellung des Gleichgewichts des Bankensystems, die Wiederbelebung des Finanzmarktes, die Umsetzung bedeutender öffentlicher Investitionen (Dammbauten durch die Behörden des Tennessee Valleys gehen auf diese Zeit zurück) und bestimmter sozialer Programme (Pensionssystem, Arbeitslosenversicherung, usw.). Die Rolle der neuen Bundesagentur, der „National Recovery Administration“ (NRA, etwa „Nationale Wiederaufschwungsverwaltung“), bestand darin, Preise und Löhne in Zusammenarbeit mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zu stabilisieren. Sie schuf die „Public Works Administration“ (PWA, Verwaltung öffentlicher Bauten) zur Förderung einer Politik großer öffentlicher Investitionen.
Hat die Regierung von Roosevelt, ohne es zu wissen, den Arbeiterparteien den Weg bereitet, die wichtigsten Hebel der staatlichen Macht zu erobern? Für Bilan war das Gegenteil wahr: „Die Intensität der Wirtschaftskrise akkumulierte zusammen mit der Arbeitslosigkeit und dem Elend von Millionen die Gefahr eines ernsthaften sozialen Konflikts, welche der amerikanische Kapitalismus mit allen möglichen Mitteln entschärfen oder ersticken musste“ (Bilan Nr. 3, Januar 1934). So gesehen waren diese Maßnahmen alles andere als förderlich für das Wohl der Arbeiter, die Maßnahmen für den „sozialen Frieden“ waren direkte Angriffe auf die Klassenautonomie des Proletariats. „Roosevelt hatte nicht vor, die Arbeiterklasse in die Klassenopposition zu führen, sondern dieselbe innerhalb des kapitalistischen Regimes und unter der Kontrolle des kapitalistischen Staates aufzulösen. So konnten soziale Konflikte nicht mehr aus dem realen (Klassen-)Kampf zwischen den Arbeitern und den Unternehmern heraus entstehen, sondern wurden auf den Gegensatz zwischen Arbeiterklasse und NRA, einem staatskapitalistischen Organ begrenzt. So mussten die Arbeiter jegliche Initiative in diesem Kampf aufgeben und ihr Schicksal dem Gegner überlassen“ (ebenda).
Einer der Hauptarchitekten dieser Maßnahmen der Staatskontrolle und geistiger Vater einer Mehrzahl derselben war Henri De Man. Er war der Kopf des Institutes der POB-Kader sowie Vizepräsident und führende Figur der Partei ab 1933. Seine Maßnahmen wurden sowohl von der Volksfront als auch von faschistischen Regimes (Mussolini war einer seiner großen Bewunderer) in die Praxis umgesetzt. Für De Man, der detaillierte Studien über industrielle und soziale Entwicklung in den USA und in Deutschland durchgeführt hatte, mussten „alte Dogmas“ überwunden werden. Für ihn war die Grundlage des Klassenkampfes das Gefühl einer sozialen Minderwertigkeit der Arbeiter. So sollte der Sozialismus weniger auf die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse einer Klasse (der Arbeiter), sondern vor allem auf universelle geistige Werte wie Gerechtigkeit, Respekt der menschlichen Persönlichkeit und die Sorge um das „Allgemeinwohl“ ausgerichtet werden. So wurden die unvermeidlichen und unversöhnlichen Gegensätze zwischen der Arbeiterklasse und den Kapitalisten beseitigt. Nicht nur musste die Revolution abgelehnt werden, sondern auch der „alte Reformismus“, welcher in Perioden der Krise nicht anwendbar war. Es mache keinen Sinn, ein immer größeres Stück eines konstant schwindenden Kuchens zu verlangen. Ein neuer und größerer Kuchen musste gebacken werden. Das war das Ziel seiner so genannten „konstruktiven Revolution“. Innerhalb dieses Rahmens entwickelte er 1933 für den „Weihnachts“-Kongress des POB seinen „Plan de Travail“, welcher „strukturelle Reformen“ des Kapitalismus anstrebte:
- Verstaatlichung der Banken, welche weiter existieren, jedoch einen Teil ihrer Aktien einer staatliche Kreditinstitution verkaufen und die Richtlinien des wirtschaftlichen Plans befolgen sollten;
- die gleiche Kreditinstitution sollte Anteile großer Monopole in einigen zentralen Industriesektoren (zum Beispiel dem Energiesektor) kaufen, so dass diese zu gemischten Unternehmen unter der gemeinsamen Kontrolle der Kapitalisten und des Staates würden;
- Neben diesen „assoziierten“ Unternehmen sollte ein freier kapitalistischer Sektor weiter existieren, der vom Staat gefördert und unterstützt würde;
- die Gewerkschaften sollten mit Hilfe einer „Arbeiterkontrolle“ direkt in die Koordination dieser gemischten Ökonomie eingebunden werden – eine Richtlinie, die De Man auf der der Grundlage von Erfahrungen in großen US-amerikanischen Fabriken verteidigte.
Wie führten diese von De Man angepriesenen „Strukturreformen“ zur Verteidigung des Klassenkampfes der Arbeiter? Für Bilan wollte De Man „zeigen, dass sich der Kampf der Arbeiter natürlich begrenzen musste auf nationale Ziele in Form und Inhalt und dass Sozialisierung fortschreitende Verstaatlichung der kapitalistischen oder gemischten Wirtschaft bedeutete. Unter dem Deckmantel der „unmittelbaren Aktion“ predigte De Man eine nationale Anpassung der Arbeiter an die „einzigartige und unteilbare Nation“ und stellte dies dar als die äußerste Zuflucht der von der kapitalistischen Reaktion gehemmten Arbeiter.“ Schließlich „zielen die strukturellen Reformen von H. De Man darauf ab, den realen Kampf der Arbeiter – und das ist deren einziges Ziel - in den Bereich des Irrealen zu verbannen. Sie schließen jeglichen Kampf für die Verteidigung unmittelbarer oder historischer Interessen des Proletariats im Namen einer strukturellen Reform aus, welche, was ihre Konzeption und Mittel betrifft, der Bourgeoisie nur helfen konnte, ihren Klassenstaat zu stärken, indem die Arbeiterklasse auf ihre Ohmacht reduziert wurde.“ (Bilan Nr. 4, Februar 1934).
Aber Bilan ging noch weiter und setzte den „Plan de Travail“ in den Kontext der Rolle, welche die Linke im damaligen historischen Rahmen spielte. „Der Aufstieg des Faschismus in Deutschland beendete eine bestimmende Periode von Arbeiterkämpfen. (...) Die Sozialdemokratie, welche ein wesentliches Element in diesen Niederlagen war, war auch ein Element in der organischen Reformation des Lebens des Kapitalismus. (...) Sie benutzte eine neue Sprache, um mit ihren Aufgaben fortzufahren. Sie lehnte verbal den Internationalismus ab, da dieser nicht länger notwendig war und ging über zu einer offenen ideologischen Vorbereitung der Arbeiter zur Verteidigung „ihrer Nation“. (...) Hier findet sich der wahre Ursprung von De Mans Plan. Dieser ist ein konkreter Versuch, mit Hilfe einer adäquaten Mobilisation, die Niederlage des revolutionären Internationalismus genau so zu sanktionieren wie die ideologische Vorbereitung einer Integration des Proletariats in den Kampf des Kapitalismus Richtung Krieg. Deswegen spielt ihr nationaler Sozialismus dieselbe Rolle wie der National-Sozialismus der Faschisten.“ (Bilan Nr. 4, Februar 1934).
Die Analyse des New Deals und von De Mans Plan zeigt gut, dass diese Maßnahmen in keiner Weise in Richtung einer Stärkung des proletarischen Kampfes gegen den Kapitalismus gingen. Im Gegenteil, sie zielten darauf ab, das Proletariat in die Ohnmacht zu treiben, es den Bedürfnissen der nationalen Verteidigung zu unterwerfen. Wie Bilan sagte, kann De Mans Plan auf keine Weise unterschieden werden von den Programmen der Staatskontrolle der faschistischen und Naziregimes oder von denen der stalinistischen Fünfjahrespläne, welche von 1928 an in den UdSSR durchgesetzt wurden und anfangs die Demokraten in den USA inspirierten.
Solche Maßnahmen wurden allgemein verbreitet, weil sie den Bedürfnissen eines dekadenten Kapitalismus entsprachen. In dieser Periode war die allgemeine Tendenz zum Staatskapitalismus eine der dominanten Charakteristiken des sozialen Lebens. „Da in dieser Epoche kein nationales Kapital in der Lage ist, sich uneingeschränkt zu entwickeln, und jedes von ihnen mit einer unbarmherzigen imperialistischen Konkurrenz konfrontiert ist, wird jedes Nationalkapital gezwungen, sich so effektiv wie möglich zu organisieren, um sich nach außen, gegen seine Rivalen, ökonomisch und militärisch bestmöglich zu wappnen und um im Innern der wachsenden Zuspitzung der gesellschaftlichen Widersprüche Herr zu werden. Die einzige Kraft in der Gesellschaft, die diese Aufgaben durchführen kann, ist der Staat.
Nur der Staat kann:
- die Volkswirtschaft global und zentral kontrollieren und die innere Konkurrenz reduzieren, welche die Wirtschaft schwächt. Dabei lautet seine oberste Maxime, die Konkurrenzfähigkeit der nationalen Wirtschaft zu stärken, um der Konkurrenz auf dem Weltmarkt vereint zu begegnen;
- die militärischen Vorkehrungen treffen (Aufbau von militärischen Streitkräften), welche für die Verteidigung der Interessen des nationalen Kapitals in Anbetracht der Verschärfung der internationalen Gegensätze notwendig sind;
- schließlich dank eines ständig verstärkten Unterdrückungsapparates und seiner Bürokratie den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft stärken, welcher durch den sich beschleunigenden Verfall ihrer ökonomischen Grundlagen bedroht ist. (...)“ (Plattform der IKS).
In Tat und Wahrheit waren alle diese Programme der Reorganisation nationaler Produktion unter Staatskontrolle gänzlich auf den ökonomischen Krieg und die Vorbereitung eines neuen weltweiten Schlachtens (Kriegswirtschaft) ausgerichtet. Sie entsprachen genauestens den Bedürfnissen der Bourgeoisie, innerhalb des Kapitalismus in seiner dekadenten Periode zu überleben.
Aber wurden diese pessimistischen Analysen nicht hinweggefegt von den massiven Streiks im Mai und Juni 1936 in Frankreich, von den sozialen Maßnahmen, welche die Volksfrontregierung ergriff, und von der „spanischen Revolution“, welche im Juli 1936 begann? Bestätigen diese Ereignisse nicht im Gegenteil, dass der Ansatz der „antifaschistischen“ oder „Volksfront“ korrekt war? Waren diese nicht sogar ein konkreter Ausdruck der „sozialen Revolution“ in Aktion? Untersuchen wir das Wesen dieser Ereignisse.
Die große Streikwelle, welche unmittelbar auf den Antritt der Volksfrontregierung nach ihrem Wahlsieg am 5. Mai 1936 folgte, sollte die Grenzen der Arbeiterbewegung aufzeigen. Diese Grenzen waren abgesteckt durch die Niederlage der revolutionären Welle und das Gewicht der Konterrevolution.
Am 7. Mai brach eine Streikwelle in der Flugzeugindustrie aus, gefolgt von der Bau- und der Automobilindustrie. Begleitet wurde sie von spontanen Fabrikbesetzungen. Trotz ihrer kämpferischen Natur waren diese Auseinandersetzungen ein Zeichen der beschränkten Fähigkeit der Arbeiter, den Kampf auf ihrem eigenen Klassenterrain auszufechten. In den ersten Tagen der Bewegung war die Linke erfolgreich darin, die Ablenkung der Kampfbereitschaft der Arbeiter auf das Terrain der nationalen Interessen als „Sieg der Arbeiter“ darzustellen. Es stimmt zwar, dass zu dieser Zeit die ersten Fabrikbesetzungen überhaupt in Frankreich stattfanden, aber es war auch das erste Mal, dass man Arbeiter gleichzeitig die Marseillaise und die Internationale singen hörte oder sie sowohl hinter der roten Fahne als auch der nationalen „Trikolore“ marschieren sah. Der Kontrollapparat der KP und die Gewerkschaften blieben Herren der Situation und konnten die Arbeiter erfolgreich in ihren Fabriken eingeschlossen halten, zu der besänftigenden Musik des Akkordeons. Währenddessen wurde an der Spitze über ihr Schicksal entschieden, in den Verhandlungen, welche zum Matignon-Abkommen führen sollten. Einheit bestand zwar, aber diejenige des bourgeoisen Kontrollapparates über die Arbeiterklasse, und nicht die Einheit der Arbeiterklasse. Als sich eine kleine Menge Widerspenstiger weigerte zu verstehen, dass es nach der Unterzeichnung des Abkommens Zeit war, wieder an die Arbeit zu gehen, erklärte ihnen die Humanité, dass es „notwendig war, zu wissen, wie man einen Streik stoppt... es sogar notwendig war zu wissen, wie man einen Kompromiss eingeht“ (Maurice Thorez, Rede im Juni 1936) und dass „wir unsere radikalen Freunde nicht erschrecken dürfen“.
Während des Riom-Prozesses, den das Vichy-Regime führte, um die Verantwortlichen für die „moralische Dekadenz Frankreichs“ zu bestrafen, erklärte Léon Blum persönlich, wie die Fabrikbesetzungen in die nationale Mobilisierung hinein passten: „Die Arbeiter waren da als Wächter, Aufseher und in einem gewissen Sinne auch als Mitbesitzer. Und vom speziellen Gesichtspunkt aus, der Sie interessiert, führt die Feststellung, dass es gegenüber dem nationalen Kulturgut eine Gemeinschaft von Rechten und Pflichten gibt, nicht zur Sicherung und Vorbereitung seiner gemeinsamen und einhelligen Verteidigung? (...) auf diese Weise schafft man Schritt für Schritt für die Arbeiter ein gemeinsames Eigentum im Vaterland; auf diese Weise lehrt man sie das Vaterland zu verteidigen.“
Die Linke kriegte was sie wollte: Sie brachte die Kampfbereitschaft der Arbeiter auf den unfruchtbaren Boden des Nationalismus, des nationalen Interesses. „Die Bourgeoisie ist gezwungen, sich an die Volksfront zu wenden, um den unvermeidlichen Ausbruch des Klassenkampfes zu ihrem Wohl zu kanalisieren, speziell da die Volksfront als Ausfluss der Arbeiterklasse erscheint und nicht als die kapitalistische Macht, welche das Proletariat auflöste, um es für den Krieg zu mobilisieren“ (Bilan Nr. 32, Juni-Juli 1936). Um jeglichem Arbeiterwiderstand ein Ende zu setzen, benutzten die Stalinisten ihre Knüppel gegen jene, welche „sich selbst zu kurzsichtigen Aktionen provozieren ließen“ (M. Thorez, 8. Juni 1936), und die Volksfront holte 1937 die Polizei herbei, um die Arbeiter in Clichy niederzuschießen. Indem sie die letzten Reste an aufsässigen Arbeitern zusammenschlug oder tötete, zwang die Bourgeoisie das ganze französische Proletariat in die Verteidigung der Nation.
Im Wesentlichen gab es im Programm der Volksfront nichts, um was sich die Bourgeoisie hätte Sorgen machen müssen. Am 16. Mai versicherte Daladier, der Präsident der Radikalen Partei: „Kein Artikel des Volksfrontprogramms enthält irgendetwas, was die legitimen Interessen irgendeines Bürgers beeinträchtigen, Investoren beunruhigen oder die gesunde Kraft der französischen Arbeit schädigen könnte. Es gibt keinen Zweifel, dass es viele derjenigen, die es so leidenschaftlich bekämpfen, noch nicht einmal gelesen haben“ (L’Oeuvre, 16. Mai 1936). Nichtsdestotrotz musste die Linke, um ihre antifaschistische Ideologie zu verbreiten und in ihrer Rolle als Verteidiger des Vaterlandes und des kapitalistischen Staates glaubwürdig zu bleiben, ein paar Krümel verteilen. Die Matignon-Abkommen und der Pseudoerfolg von 1936 machten es möglich, die Linke an der Macht als „großen Sieg der Arbeiter“ darzustellen und deren Vertrauen in die Volksfront und in ihre Verteidigung des bürgerlichen Staates sogar in Kriegszeiten zu gewinnen.
Dieses berühmt berüchtigte Matignon-Abkommen, unterzeichnet am 7. Juni 1936, von der CGT gefeiert als ein „Sieg über die Armut“ und bis heute dargestellt als ein Vorbild für „soziale Reformen“, war somit der Köder, mit Hilfe dessen den Arbeitern die Volksfront verkauft wurde. Was hat es konkret gebracht? Unter dem Anschein von „Konzessionen“ an die Arbeiterklasse, wie zum Beispiel Lohnerhöhungen, der 40-Stundenwoche und von bezahlten Ferien, sicherte die Bourgeoisie vor allem die Produktion unter der Führung eines „unparteiischen“ Staates, wie der CGT-Führer Léon Juhaux aufzeigte: „(...) der Beginn einer neuen Ära (...), der Ära direkter Beziehungen zwischen den beiden großen organisierten wirtschaftlichen Kräften des Landes (...). Entscheidungen wurden gänzlich unabhängig getroffen, unter der Schirmherrschaft der Regierung, welche nötigenfalls die Rolle eines Schiedsrichters übernahm, was ihrer Rolle als Repräsentant des allgemeinen Interesses entspricht“ (Radioansprache des 8. Juni 1936). Das Ziel war, die Arbeiter dazu zu bringen, beispiellose Produktionsbeschleunigungen durch Einführung neuer Methoden der Arbeitsorganisation zu akzeptieren, welche das Ziel hatten, die stündliche Produktivität speziell in der Rüstungsindustrie zu verzehnfachen. Dies bedeutete die Verallgemeinerung des Taylorismus, der Fließbandproduktion und die Diktatur der Stoppuhr in den Fabriken.
Es war Léon Blum persönlich, der den „sozialen“ Schleier lüftete, welcher die Gesetze von 1936 verdeckte, und zwar in seiner Rede vor dem Riom-Prozess 1942, welcher die Schuld an der Niederlage gegen die Nazis der Volksfront und der 40-Stundenwoche in die Schuhe schieben wollte: „Was liegt hinter der Stundenproduktivität? (...) Sie hängt ab von der guten Koordination und Anpassung der Bewegungen des Arbeiters an die Maschine; sie hängt ebenso vom moralischen und physischen Zustand des Arbeiters ab.
Es gibt in Amerika eine ganze Denkschule, die Schule von Taylor und den Bedeau-Ingenieuren, welche man auf Inspektion am Fabrikband sehen kann. Diese unternahmen gründliche Studien der materiellen Organisationsmethoden, welche die Stundenproduktion einer Maschine maximieren, was genau ihre Absicht war. Aber es gibt auch die Gilbreth-Schule, welche Daten zur physischen Verfassung der Arbeiter untersuchte, damit diese Steigerung erreicht werden kann. Der Hauptpunkt ist, die Erschöpfung des Arbeiters zu beschränken (...) Glauben sie nicht, dass all unsere soziale Gesetzgebung darauf hinauslief, diese moralische und physische Verfassung zu verbessern: Der kürzere Arbeitstag, mehr Muße, bezahlte Ferien, das Gefühl, eine gewisse Würde und Gleichheit erobert zu haben - all dies sollten Elemente sein, um die Stundenproduktivität, die der Arbeiter aus der Maschine herausholen konnte, zu erhöhen.“
Aus diesen Gründen und auf diese Weise waren die „sozialen“ Maßnahmen der Volksfrontregierung notwendig, um das Proletariat in die neuen Produktionsmethoden einzubinden, welche auf eine schnelle Wiederbewaffnung der Nation abzielten, bevor der Krieg ausbrach. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass bezahlte Ferien in der einen oder anderen Form in allen kriegswilligen entwickelten Ländern gleichzeitig garantiert wurden und so ihren Arbeitern derselbe Produktionsrhythmus aufgezwungen wurde.
Im Juni 1936 brach in Belgien unter dem Eindruck der Bewegung in Frankreich ein Dockarbeiterstreik aus. Nachdem die Gewerkschaften zuerst versucht hatten, ihn zu stoppen, anerkannten sie schließlich die Bewegung und richteten sie auf Forderungen aus, die denen der französischen Volksfront glichen: Lohnerhöhungen, die 40- Stundenwoche und eine Woche bezahlten Urlaubs. Am 15. Juni breitete sich die Bewegung aus auf Borinage und die Regionen von Liège und Limburg: Im ganzen Land standen 350'000 Arbeiter im Streik. Das Hauptresultat der Bewegung war die Verbesserung sozialer Konsultation durch die Einsetzung der nationalen Arbeitskonferenz, in der sich Bosse und Gewerkschaften auf den nationalen Plan zur Optimierung der Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Industrie einigten.
Sobald einmal die Streiks beendet und ein bleibender Zuwachs der Stundenproduktivität erreicht waren, hatte die Volksfrontregierung freie Hand, wieder zurück zu nehmen, was sie gewährt hatte. Die Lohnerhöhungen wurden innerhalb von Monaten von der Inflation weggefressen (die Nahrungsmittelpreise stiegen zwischen 1936 und 1938 um 54%), die 40-Stundenwoche wurde ein Jahr später von Blum selbst in Frage gestellt und dann komplett vergessen, sobald Daladiers radikale Regierung 1938 die ganze wirtschaftliche Maschinerie in Vorbereitung des Krieges beschleunigte: Abschaffung der Extrazahlungen für die ersten 250 Überstunden sowie der Arbeitsverträge, welche Akkordarbeit verboten, und Bestrafung all jener im Namen der nationalen Verteidigung, welche Überstunden ablehnten. „Fabriken, welche für die nationale Verteidigung arbeiteten, wurden ohne weiteres von der Auflage der 40-Stundenwoche befreit. In den meisten anderen Dingen erhielt ich 1938 von den Arbeiterorganisationen die Zustimmung für eine 45-Stundenwoche in Fabriken, welche direkt oder indirekt für die nationale Verteidigung arbeiteten“ (Blum während des Riom-Prozesses). Schlussendlich erhielten die Bosse mit Unterstützung der Regierung Blum und der Zustimmung der Gewerkschaften ihre bezahlten Ferien zurück. Weihnachten und Neujahr wurden in die bezahlte Ferienzeit integriert. Dem folgte die Abschaffung von allen existierenden öffentlichen Feiertage: das Ganze summierte sich auf 80 Stunden Extraarbeit auf, welche genau den von der Volksfront gewährten zwei Wochen bezahlter Ferien entsprachen.
Was die Anerkennung der Gewerkschaftsdelegierten und der Tarifverträge betrifft, symbolisierte dies nichts mehr als die Stärkung des gewerkschaftlichen Zugriffs auf die Arbeiter durch die Verstärkung ihrer Präsenz in den Fabriken. Léon Juhaux, Sozialist und Gewerkschaftsführer, erklärte diesen Zweck mit folgenden Worten: „Die Arbeiterorganisationen (d.h. die Gewerkschaften) wollen sozialen Frieden. Zum einen, um die Volksfrontregierung nicht in Verlegenheit zu bringen, und zum andern, um die Wiederaufrüstung nicht zu behindern.“ Wenn die Bourgeoisie den Krieg vorbereitet, muss der Staat die ganze Gesellschaft kontrollieren, um all ihre Energie auf dieses blutige Ziel zu konzentrieren. Und in den Fabriken sind es die Gewerkschaften, welche es dem Staat erlauben, die Arbeitskraft zu überwachen.
Wenn es einen Sieg gab, dann war es der Unheil verkündende Sieg des Kapitals, welches seine einzige „Lösung“ der Krise vorbereitet: den imperialistischen Krieg.
In Frankreich wurde die Verteidigung der imperialistischen Interessen der französischen Bourgeoisie seit dem Beginn der Volksfront mit ihrer Parole „Frieden, Brot, Freiheit“ und über den Antifaschismus und den Pazifismus hinaus mit den demokratischen Illusionen vermischt. Auf diesem Hintergrund nützte die „Linke“ geschickt die Kriegsvorbereitung, die in internationalem Maßstab stattfand, aus, um zu zeigen, dass die „faschistische Gefahr vor den Türen des Landes“ stehe, indem sie zum Beispiel eine Kampagne über den italienischen Angriff auf Äthiopien vom Zaun riss. Noch offensichtlicher teilten sich die SFIO und die KP die Arbeit hinsichtlich des spanischen Bürgerkrieges: Während die SFIO die Intervention in Spanien im Namen des „Pazifismus“ ablehnte, propagierte die KP genau diese Intervention im Namen des „antifaschistischen Kampfes“.
Wenn somit das französische Kapital der Volksfrontregierung dankbar sein muss, so ist es insbesondere dafür, die Aufgabe der Kriegsvorbereitung übernommen zu haben. Sie hat dies auf dreierlei Arten bewerkstelligt:
- Zuerst einmal konnte die Linke die riesigen Arbeitermassen, die sich im Streik befanden, als Druckmittel gegen die rückständigsten Kräfte der Bourgeoisie benützen, indem sie ihnen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz des nationalen Kapitals angesichts der Krise aufzwang und dies gleichzeitig als einen Sieg der Arbeiterklasse verkaufte.
- Weiter setzte die Volksfront ein Rüstungsprogramm um, das die Verstaatlichung der Kriegsindustrie beinhaltete und über das Blum später während des Riom-Prozesses zu Protokoll geben sollte: „Ich habe ein großes Steuerpaket unterbreitet (…), das darauf abzielte, alle Kräfte der Nation auf die Rüstung zu konzentrieren, und das diese intensiven Rüstungsanstrengungen zur Bedingung selbst, zum eigentlichen Element eines endgültigen industriellen und wirtschaftlichen Aufschwungs machte. Es ließ die liberale Wirtschaftspolitik hinter sich und stellte sich auf die Ebene einer Kriegswirtschaft.“
Tatsächlich war sich die Linke des kommenden Krieges bewusst; allen voran sie drängte auf ein französisch-russisches Bündnis, sie griff die Münchener Tendenzen innerhalb der französischen Bourgeoisie aufs Schärfste an. Die „Lösungen“, die sie angesichts der Krise durchsetzt, waren nicht anders als diejenigen im faschistischen Deutschland, in den USA mit ihrem New Deal oder im stalinistischen Russland: Entwicklung des unproduktiven Sektors der Waffenindustrie. Welches auch immer die Maske war, hinter der sich das nationale Kapital versteckte, waren die ergriffenen wirtschaftlichen Maßnahmen die gleichen. Wie Bilan feststellte: „Es ist kein Zufall, dass die großen Streiks in der Metallindustrie ausbrachen und da in den Flugzeugfabriken begannen (…) es sind diese Sektoren, die heute aufgrund der im ganzen Land befolgten Rüstungspolitik voll ausgelastet sind. Dies spüren die Arbeiter und sie mussten ihre Bewegung auslösen, um den brutalen Rhythmus des Fliessbandes zu bremsen (…)“.
- Schließlich und vor allem führte die Volksfront das Proletariat auf das schlimmste Terrain, nämlich auf dasjenige seiner Niederlage und Vernichtung: des Nationalismus.
Mittels der vaterländischen Hysterie, die die Linke in der Form des Antifaschismus lostrat, wurde das Proletariat dazu gebracht, eine Fraktion der Bourgeoisie gegen die andere zu verteidigen, die demokratische gegen die faschistische, einen Staat gegen einen anderen, Frankreich gegen Deutschland. Die KPF verkündete: „Die Stunde der Umsetzung der allgemeinen Volksbewaffnung hat geschlagen, der Umsetzung der radikalsten Reformen, die eine Verzehnfachung der Kraft der militärischen und technischen Mittel des Landes erlauben werden. Die Armee des Volkes, die Armee der in Reih und Glied stehenden Arbeiter und Bauern, die wohl ausgebildet, wohl geführt werden durch der Republik treue Offiziere“. Im Namen dieses „Ideals“ feierten die „Kommunisten“ Jeanne d’Arc, „die große Befreierin Frankreichs“, rief die KP zur Bildung einer Französischen Front auf und übernahm die Losung, die noch ein paar Jahre zuvor diejenige der extremen Rechten gewesen war: „Frankreich den Franzosen!“ Unter dem Vorwand, die durch den Faschismus bedrohten demokratischen Freiheiten zu verteidigen, brachten sie die Proletarier dazu, die für die Gesundheit des französischen Kapitals nötigen Opfer zu erbringen und schließlich das eigene Leben im Gemetzel des Zweiten Weltkrieges zu opfern.
Für diese Henkersaufgabe fand die Volksfront effiziente Verbündete bei ihren Kritikern auf der Linken: der Sozialistischen Arbeiter- und Bauernpartei (PSOP) von Marceau Pivert, Trotzkisten und Anarchisten. Diese spielten die Rolle der Einpeitscher gegenüber den kämpferischsten Teilen der Arbeiterklasse und warfen sich in die Pose der „Radikaleren“, doch waren sie nur „radikaler“ in der Verblendung der Arbeiter. Die Sozialistischen Jugendorganisationen der Seine, wo die Trotzkisten eines Craipeau oder Roux Entrismus betrieben, waren die ersten, die auf antifaschistische Milizen setzten und sie organisierten, die Freunde Piverts, die dem PSOP beitraten, kritisierten am lautesten die „Feigheit“ von München. Alle waren sie einmütig in der Verteidigung der spanischen Republik, Seite an Seite mit den Antifaschisten, und alle sollten später am interimperialistischen Blutbad als Teil der Résistance teilnehmen. Alle leisteten ihren Beitrag zum Schutze des nationalen Kapitals, sie machten sich verdient um das Vaterland!
Mit der Bildung der Volksfront (Frente Popular) und ihrem Sieg in den Wahlen vom Februar 1936 brachte die Bourgeoisie das Gift der "demokratischen Revolution" in die Arbeiterklasse und es gelang ihr so, die Arbeiterklasse an die Verteidigung des "demokratischen" bürgerlichen Staates zu binden. Als unmittelbar nach den Wahlen eine neue Streikwelle ausbrach, bremsten und sabotierten sie die Linken und die Anarchisten, weil sie angeblich „Wasser auf die Mühlen der Unternehmer und der Rechten“ war. Diese Politik fand während des militärischen Putsches vom 18. Juli 1936 einen konkreten und tragischen Ausdruck. Die Arbeiter reagierten auf den Staatsstreich sofort mit Streiks, der Besetzung von Kasernen und der Entwaffnung der Soldaten, und zwar gegen die Anweisungen der Regierung, die zur Ruhe aufrief. Dort wo die Aufrufe der Regierungen befolgt wurden ("die Regierung befiehlt, die Volksfront gehorcht"), übernahm das Militär das Kommando, worauf eine blutige Unterdrückung folgte.
Doch die Illusion der "spanischen Revolution" wurde verstärkt durch das vermeintliche „Verschwinden“ des republikanischen Kapitalistenstaates und die Nichtexistenz der Bourgeoisie, wo sich alle hinter einer „Pseudoarbeiterregierung“ und hinter „noch linkeren“ Organisationen wie dem „Zentralkomitee der Antifaschistischen Milizen“ oder dem „Zentralrat der Wirtschaft“ versteckten, welche die Illusion einer Doppelmacht aufrechterhielten. Im Namen dieses „revolutionären Wechsels“, der so leicht errungen war, verlangte und erhielt die Bourgeoisie von den Arbeitern den Burgfrieden mit dem alleinigen Ziel, Franco zu schlagen. Aber „die Alternative ist nicht diejenigen zwischen Azaña und Franco, sondern zwischen Bourgeoisie und Proletariat; ob der eine oder der andere der beiden Partner geschlagen wird, der wirkliche Verlierer ist in jedem Fall das Proletariat, das den Preis eines Sieges entweder von Azaña oder von Franco bezahlt“ (Bilan n°33, Juli-August 1936).
Sehr schnell lenkte die republikanische Regierung der Volksfront mit Hilfe der CNT (3) und des POUM (4) die Reaktion der Arbeiter auf den franquistischen Staatsstreich um auf den Weg eines antifaschistischen Kampfes. Sie manövrierte, damit der soziale, wirtschaftliche und politische Kampf gegen die gesamten Kräfte der Bourgeoisie einer militärischen Konfrontation in den Schützengräben Platz machte, die nur gegen Franco gerichtet war. Und die Bewaffnung der Arbeiter fand nur statt, damit sie an die militärische Front des „Bürgerkrieges“ ins Gemetzel geschickt werden konnten, weit weg von ihrem Klassenterrain. „Man könnte annehmen, dass die Bewaffnung der Arbeiter vom politischen Gesichtspunkt her an sich eine gute Sache ist und dass die Arbeiter, wenn sie einmal bewaffnet sind, ihre verräterischen Führer in die Wüste schicken und den Kampf auf eine höhere Stufe bringen könnten. Nichts dergleichen ist passiert. Der Volksfront ist es gelungen, die Arbeiter mit der Bourgeoisie zu verbinden, denn sie kämpfen nun unter der Führung und für den Sieg einer der bürgerlichen Fraktionen; somit berauben sich die Arbeiter der Möglichkeit, auf der Grundlage von Klassenpositionen zu wachsen“ (Bilan Nr. 33, Juli-August 1936).
Außerdem war es nicht ein „Bürgerkrieg“, sondern schnell ein ganz normaler Konflikt zwischen Imperialisten und damit eine Hauptprobe für den Zweiten Weltkrieg. Während die Demokratien und Russland sich auf die Seite der Republikaner schlugen, unterstützten Italien und Deutschland die Falangisten. „Anstelle von Klassengrenzen, die allein die Regimente Francos hätten auflösen und den durch die Rechte terrorisierten Bauern Vertrauen geben können, sind andere Grenzen gezogen worden, die wesentlich kapitalistischen, und der Burgfrieden wurde ausgerufen für das imperialistische Gemetzel, Region gegen Region, Stadt gegen Stadt in Spanien, und durch die Ausweitung Staaten gegen Staaten in den beiden Blöcken, in dem demokratischen und dem faschistischen. Dass der Weltkrieg noch nicht begonnen hat, heißt nicht, dass die Mobilisierung des spanischen und internationalen Proletariats für das gegenseitige Abschlachten unter den imperialistischen Fahnen des Faschismus und des Antifaschismus nicht bereits abgeschlossen wäre.“ (Bilan n°34, August-September 1936).
Doch der Krieg in Spanien hat noch einen weiteren Mythos hervorgebracht. Indem die Volksfront den Klassenkampf des Proletariats gegen den Kapitalismus durch den Krieg zwischen „Demokratie“ und „Faschismus“ ersetzte, entstellte sie das Wesen der Revolution: Seine zentrale Zielsetzung ist nun nicht mehr die Zerstörung des bürgerlichen Staates und die Ergreifung der politischen Macht durch das Proletariat, sondern die Maßnahmen der angeblichen Sozialisierung und der Arbeiterselbstverwaltung in den Fabriken. Es sind vor allem die Anarchisten und bestimmten Tendenzen, die sich als rätistisch verstehen, welche diesen Mythos besonders pflegen und so weit gehen zu behaupten, dass in diesem republikanischen, antifaschistischen und stalinistischen Spanien die Eroberung sozialistischer Positionen weiter gegangen sei als das, was die Oktoberrevolution in Russland zustande gebracht habe.
Ohne diese Frage hier aufzurollen, muss doch gesagt werden, dass diese Maßnahmen, selbst wenn sie radikaler gewesen wären, als sie es wirklich waren, nichts an dem grundlegend konterrevolutionären Wesen des Prozesses in Spanien geändert hätten. Für die Bourgeoisie wie für das Proletariat kann der zentrale Punkt der Revolution nichts anders als die Zerstörung oder die Bewahrung des kapitalistischen Staates sein.
Es ist nicht so, dass sich der Kapitalismus bloß vorübergehend mit der Selbstverwaltung oder angeblichen Sozialisierungen (der Schaffung von Kooperativen/Genossenschaften) in der Landwirtschaft abfände, während er nur darauf wartete, sie bei der nächst besten Gelegenheit wieder rückgängig zu machen; vielmehr kann er sie durchaus zur Verschleierung und Ablenkung der proletarischen Energien einführen, damit diese sich in illusorischen Siegen verflüchtigen und das Proletariat von seinem zentralen Ziel abgebracht wird, das mit der Revolution unauflöslich verbunden ist: das der Zerstörung der kapitalistischen Herrschaft, des Staates.
Das Loblied auf die so genannten sozialen Maßnahmen als höchsten Punkt der Revolution ist nichts als Verbalradikalismus, der das Proletariat abbringen soll von seinem revolutionären Kampf gegen den Staat die Mobilisierung als Kanonenfutter im Dienste der Bourgeoisie versteckt. Nachdem das Proletariat sein Klassenterrain verlassen hatte, wurde es in die antifaschistischen Milizen der Anarchisten oder der POUM eingepackt und als Kanonenfutter ins Massaker an der Front geschickt; damit einher ging eine gnadenlose Überausbeutung in immer mehr Opfer im Namen der Produktion für den „Befreiungskrieg“, der antifaschistischen Kriegswirtschaft: Lohnsenkungen, Inflation, Rationierungen, Militarisierung der Arbeit, Verlängerung des Arbeitstages. Und als sich im Mai 1937 das Proletariat in Barcelona verzweifelt erhob, unterdrückten die Volksfront und die Generalitat von Barcelona, an der die Anarchisten aktiv teil hatten, offen den Aufstand, metzelten die Arbeiterklasse dieser Stadt nieder, während die Franquisten ihre Feindseligkeiten einstellten, um die linken Henker ihre Bluttat vollenden zu lassen.
Von den Sozialdemokraten bis zu den Linksextremen sind sich alle einig darüber (und dazu gehören selbst gewisse Fraktionen der bürgerlichen Rechten), dass die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Linke 1936 in Frankreich und Spanien (aber auch, obwohl zweifellos in weniger spektakulärem Maßstab, in anderen Ländern wie Schweden und Belgien) ein großer Sieg der Arbeiterklasse und ein Zeichen seiner Kampfbereitschaft und Stärke während der dreißiger Jahre gewesen sei. Gegenüber diesen ideologischen Verdrehungen müssen die Revolutionäre heute wie ihre Vorgänger von der Zeitschrift Bilan klar und deutlich den benebelnden Charakter der Volksfronten und ihrer so genannten "Sozialrevolutionen" aufzeigen. Der Einzug der Linken in die Regierung brachte damals vielmehr die Tiefe der Niederlage des Weltproletariats zum Ausdruck und ermöglichte der Bourgeoisie, die Arbeiterklasse in Frankreich und Spanien auf den imperialistischen Krieg auszurichten, den die gesamte Bourgeoisie vorbereitete, indem sie die Arbeiter massenhaft in die antifaschistische Ideologie einlullte.
„(…) Und ich dachte vor allem, dass es ein großartiges Ergebnis und ein großartiges Verdienst war, diese Massen und diese Arbeiterelite zur Liebe und zum Pflichtgefühl gegenüber dem Vaterland geführt zu haben“ (Erklärung von Blum im Riom-Prozess).
1936 ist für die Arbeiterklasse eine der finstersten Zeiten der Konterrevolution, als ihr die schlimmsten Niederlagen als Siege verkauft wurden; als die Bourgeoisie dem Proletariat, das nach der Niederlage der 1917 begonnenen revolutionären Welle noch ohnmächtig darniederlag, fast ohne Opposition ihre „Lösung“ der Krise - den Krieg aufzwingen konnte.
Jos
[i] [1] s. B. Kermoal, "Colère ouvrière à la veille du Front populaire", Le Monde diplomatique, Juni 2006, S. 28.
[ii] [1] Abkürzung für: Section Française de l’Internationale Ouvrière, Französische Sektion der Arbeiterinternationale, gemeint der II. Internationalen, die das Proletariat 1914 verriet.
[iii] [1] Die Zitate betreffend die Volksfronten stammen normalerweise aus: L. Bodin und J. Touchard, Front populaire 1936, Paris: Armand Colin, 1985.
[iv] [1] Confederación Nacional de Trabajo, anarcho-syndikalistische Zentrale.
[v] [1] Partido Obrero de Unificación Marxista, eine kleine, auf Katalonien konzentrierte Partei, die die „radikale“ extreme Linke der Sozialdemokratie darstellte. Sie war Teil des „Londoner Büros“, das international die linken sozialistischen Strömungen (die deutsche SAPD, den französischen PSOP, die britische Independent Labour Party etc.) zusammenfasste.
[vi] [1] Edouard Daladier: Führer der Radikalen Partei, ab 1924 immer wieder Minister (insbesondere zuständig für die Kolonien bzw. die Verteidigung), Regierungschef in den Jahren 1933, 1934 und 1938. In dieser Funktion unterschrieb er am 30. September 1938 das Münchner Abkommen. Pierre Cot: Er begann seine politische Laufbahn als Radikaler und beendete sie als Weggefährte der KPF. Er wurde 1933 von Daladier zum Luftfahrtminister ernannt. Léon Blum: Historischer Führer der SFIO (der sozialistischen Partei) nach der Spaltung am Kongress von Tours 1920, wo die Kommunistische Partei gegründet wurde. Marcel Cachin: Sagenumwobene Figur der KPF, Direktor der Humanité von 1918-1958. Sein Leistungsausweis spricht für sich: Während des Ersten Weltkrieges gehörte er zu den unnachgiebigen Vaterlandsverteidigern, so dass er von der französischen Regierung zu Mussolini geschickt wurde, der damals noch Sozialist war, um diesem das nötige Geld zuzustecken, das er für die Gründung der Zeitung Il popolo d’Italia brauchte, um damit Propaganda für den Kriegseintritt Italien zu treiben. 1917 wurde er nach der Februarrevolution nach Russland geschickt, um die Provisorische Regierung davon zu überzeugen, den Krieg fortzusetzen. Er rühmte sich später, dass er 1918 vor Freude geweint habe, als nach dem Sieg Frankreichs über Deutschland in Strassburg wieder die französische Fahne im Wind geflattert habe. 1920 trat er der KPF bei, wo er zusammen mit Frossard den rechten Flügel der Partei repräsentierte. Während seines ganzen Lebens zeichnete er sich durch Strebertum und Unterwürfigkeit aus, was es ihm erlaubte, alle Kursänderungen der KPF spielend mitzumachen.
[vii] [1] Dieser Plan wurde auf Vorschlag des amerikanischen Bankiers Charles Dawes im August 1924 durch die Londoner Konferenz angenommen, wo sich die Siegermächte und Deutschland versammelt hatten. Dieser Plan sah vor, Deutschland von den „Reparationszahlungen“, die es den Siegern (insbesondere Frankreich) leisten musste, zu entlasten, was ihm eine Wiederankurbelung seiner Wirtschaft und den Amerikanern Investitionen erlauben sollte.
Im ersten Artikel dieser Serie, den wir in der Internationalen Revue Nr. 32 veröffentlicht hatten, sahen wir, dass die Dekadenztheorie im eigentlichen Zentrum des historischen Materialismus, in Marxens und Engels‘ Analyse der Evolution der Produktionsweisen steht. Des Weiteren finden wir denselben Begriff im Mittelpunkt programmatischer Texte von Arbeiterorganisationen. Darüber hinaus beließen es diese Organisationen nicht dabei, diesen Grundstein des Marxismus einfach nur zu übernehmen, sondern entwickelten diese Analyse und/oder ihre politischen Implikationen weiter. Wir beabsichtigen hier, kurz die politischen Ausdrücke der Arbeiterbewegung Revue passieren zu lassen. In diesem Teil werden wir mit der Bewegung zu Lebzeiten von Marx, mit der Zweiten Internationale, der marxistischen Linken, die ihr entstammte, und mit der Kommunistischen Internationale zurzeit ihrer Gründung beginnen. Im nächsten Teil, der in einer späteren Ausgabe erscheinen wird, werden wir detaillierter den analytischen Rahmen für die politischen Positionen untersuchen, die von der Dritten Internationale und schließlich von den linken Fraktionen entwickelt wurden, die zu Beginn ihrer Degeneration auftauchten und von denen wir unsere politischen und organisatorischen Ursprünge beziehen.
Marx und Engels drückten stets sehr deutlich die Ansicht aus, dass die Perspektive einer kommunistischen Revolution von der materiellen, historischen und globalen Entwicklung des Kapitalismus abhängt. Die Auffassung, dass eine Produktionsweise nicht ihr Leben aushaucht, bevor die Produktionsverhältnisse, auf denen sie beruht, zu einem Hindernis für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte geworden sind, war die Grundlage der gesamten politischen Aktivitäten von Marx und Engels sowie für die Erarbeitung eines jeden politischen Programms des Proletariats. Obgleich es zwei Momente gab, in denen Marx und Engels vermeinten, den Beginn der Dekadenz des Kapitalismus festgestellt zu haben[i] [3], korrigierten sie diese Einschätzung schnell und erkannten, dass der Kapitalismus immer noch ein progressives System war. Ihre Ansicht – bereits im Kommunistischen Manifest umrissen und seitdem in all ihren Werken vertieft -, dass, wenn das Proletariat in dieser Periode an die Macht käme, es seine hauptsächliche Aufgabe sein müsste, den Kapitalismus auf fortschrittlichste Art und Weise weiterzuentwickeln, statt ihn einfach zu zerstören, war ein Ausdruck dieser Analyse. Daher basierte die Praxis der Marxisten in der Zweiten Internationale völlig zu Recht auf der Erkenntnis, dass, solange der Kapitalismus eine fortschrittliche Rolle spielte, es notwendig war für die Arbeiterbewegung, bürgerliche Bewegungen zu unterstützen, die dabei helfen sollten, den historischen Boden für den Sozialismus zu bereiten. Wie das Kommunistische Manifest es nennt: „Wir sahen oben schon, dass der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“ Die Kommunisten „kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung. In Frankreich schließen sich die Kommunisten an die sozialistisch-demokratische Partei an gegen die konservative und radikale Bourgeoisie, ohne darum das Recht aufzugeben, sich kritisch zu den aus der revolutionären Überlieferung herrührenden Phrasen und Illusionen zu verhalten. In der Schweiz unterstützen sie die Radikalen, ohne zu verkennen, dass diese Partei aus widerstrebenden Elementen besteht, teils aus demokratischen Sozialisten im französischen Sinn, teils aus radikalen Bourgeois. Unter den Polen unterstützen die Kommunisten die Partei, welche eine agrarische Revolution zur Bedingung der nationalen Befreiung macht, dieselbe Partei, welche die Krakauer Insurrektion von 1846 ins Leben rief. In Deutschland kämpft die Kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt, gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei.“[ii] [3]
Parallel dazu war es für die Arbeiter notwendig, den Kampf um Reformen fortzusetzen, solange der Kapitalismus sie ermöglichte, und in diesem Kampf sollten die Kommunisten „für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse“ (Manifest) kämpfen. Diese materialistischen Positionen wurden auch gegen die ahistorischen Rufe der Anarchisten nach sofortiger Abschaffung des Kapitalismus und gegen ihre totale Opposition gegenüber jedweder Reform vertreten.[iii] [3]
Die Zweite Internationale machte sich diese Anpassung der Arbeiterpolitik an die historische Periode noch ausdrücklicher zu Eigen, indem sie zusammen mit einem Minimalprogramm (Anerkennung der Gewerkschaften, Arbeitszeitverkürzung, etc.) auch ein Maximalprogramm, den Sozialismus, verabschiedete, das in Kraft treten sollte, sobald die unvermeidliche historische Krise des Kapitalismus in Erscheinung trat. Dies wird deutlich im Erfurter Programm, das den Sieg des Marxismus innerhalb der Sozialdemokratie konkretisierte: „So verwandelt das Privateigenthum an den Produktionsmitteln (…) für die ganze Gesellschaft sein ursprüngliches Wesen in sein Gegentheil. Aus einer Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung wird es zu einer Ursache der gesellschaftlichen Versumpfung, des gesellschaftlichen Bankerotts. (…) Sein Untergang ist gewiss. Es fragt sich nur: Soll es die Gesellschaft mit sich in den Abgrund reißen oder soll diese sich der verderblichen Bürde entledigen, um frei und neugestärkt den Weg weiter wandeln zu können, den die Gesetze der Entwicklung ihr vorschreiben? (…) Die Produktivkräfte, die sich im Schooße der kapitalistischen Gesellschaft entwickelt haben, sind unvereinbar geworden mit der Eigenthumsordnung, auf der dieselbe beruht. Diese Eigenthumsordnung aufrecht erhalten wollen, heißt jeden weiteren gesellschaftlichen Fortschritt unmöglich machen, heißt die Gesellschaft zum Stillstand, zur Verwesung verurtheilen (…) Der Untergang dieses Privateigenthums ist nur noch eine Frage der Zeit. Er kommt sicher, wenn auch Niemand mit Bestimmtheit sagen kann, wann und in welcher Weise er eintreten wird. (…) Ein Beharren in der kapitalistischen Zivilisation ist unmöglich; es heißt entweder vorwärts zum Sozialismus oder rückwärts in die Barbarei. (…) die Geschichte der Menschheit (wird) nicht durch die Ideen der Menschen, sondern durch die ökonomische Entwicklung bestimmt (…), welche unwiderstehlich fortschreitet, nach bestimmten Gesetzen, nicht nach den Wünschen und Launen der Menschen“ (aus: Das Erfurter Programm, In seinem grundsätzlichen Teil erläutert von Karl Kautsky, Stuttgart 1892, korrigiert und unterstützt von Engels.[iv] [3]
Doch für die Mehrheit der offiziellen Führung der Zweiten Internationale wurde das Minimalprogramm immer mehr zum einzig gültigen Programm der Sozialdemokratie: „Das Endziel ist nichts, die Bewegung ist alles“, wie Bernstein es formulierte. Der Sozialismus und die proletarische Revolution wurden auf Plattitüden und Moralpredigten anlässlich von 1.-Mai-Kundgebungen reduziert, während die Energie der offiziellen Bewegung immer mehr darauf gerichtet wurde, der Sozialdemokratie einen Platz innerhalb des kapitalistischen Systems zu verschaffen, zu welchem Preis auch immer. So war es unvermeidlich, dass der opportunistische Flügel der Sozialdemokratie die eigentliche Idee von der Notwendigkeit der Zerstörung des Kapitalismus abzulehnen und die Idee von einer langsamen, allmählichen Umwandlung des Kapitalismus in den Sozialismus zu vertreten begann.
In Reaktion auf die Ausbreitung des Opportunismus in der Zweiten Internationale tauchten in einer Reihe von Ländern linke Fraktionen auf. Sie sollten die Basis für die Bildung kommunistischer Parteien sein, die als Folge auf den Verrat am proletarischen Internationalismus durch die Sozialdemokratie bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs ins Leben traten. Diese Fraktionen nahmen unüberhörbar und entschlossen die Fackel des Marxismus und das Erbe der Zweiten Internationale auf; wobei sie gezwungen waren, dieses Vermächtnis im Angesicht neuer Herausforderungen weiterzuentwickeln, die durch die Eröffnung einer neuen Epoche des Kapitalismus, der Dekadenzperiode, entstanden waren.
Diese Strömungen erschienen zu einem Zeitpunkt, als der Kapitalismus durch die letzte Phase seines Aufstiegs ging, als die imperialistische Expansion es ermöglichte, sich eine Ahnung von den kommenden Konfrontationen zwischen den Großmächten auf Weltebene zu verschaffen, und als die Arbeiterklasse immer öfter ihr Haupt erhob (die Entwicklung von politischen Generalstreiks und vor allem der Massenstreiks in etlichen Ländern). Gegen den Opportunismus von Bernstein und Co. verteidigte der linke Flügel der Sozialdemokratie – die Bolschewiki, die holländischen Tribunisten, Rosa Luxemburg und andere Revolutionäre – all die Implikationen des Marxismus: das Verständnis der Dynamik am Ende der aufsteigenden Phase des Kapitalismus und des unvermeidlichen Bankrotts des Systems[v] [3], die Gründe der opportunistischen Abweichungen[vi] [3] und die Bekräftigung der Notwendigkeit einer gewaltsamen und endgültigen Zerstörung des Kapitalismus.[vii] [3] Unglücklicherweise wurde all diese theoretische Arbeit der linken Fraktionen nicht auf internationaler Ebene ausgeführt. All diese Fraktionen arbeiteten isoliert voneinander und mit einem unterschiedlich ausgeprägten Verständnis der gewaltigen gesellschaftlichen Konvulsionen im ersten Teil des 20. Jahrhunderts, verkörpert durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und der aufständischen Bewegungen auf internationaler Ebene. Wir maßen uns hier nicht an, all die Beiträge der linken Fraktionen zu diesen Fragen darzustellen oder zu analysieren; wir wollen uns vielmehr auf einige wenige Schlüsselpositionen der beiden Organisationen beschränken, die das Rückgrat der neuen Internationale bildeten – die Bolschewiki und die deutsche Kommunistische Partei mit ihren hervorragendsten Repräsentanten, Lenin und Rosa Luxemburg.
Auch wenn Lenin nicht die Begriffe „Aufstieg“ und „Dekadenz“ benutzte (jedoch Ausdrücke wie „die Epoche des fortschrittlichen Kapitalismus“, „einst ein Faktor des Fortschritts“, „die Epoche der fortschrittlichen Bourgeoisie“, um die Aufstiegsperiode des Kapitalismus zu charakterisieren, und: „die Epoche der reaktionären Bourgeoisie“, „der Kapitalismus ist reaktionär geworden“, „sterbender Kapitalismus“, „die Epoche eines Kapitalismus, der seinen Zenit überschritten hat“, um die Dekadenzperiode des Kapitalismus zu charakterisieren), machte er ausgiebig Gebrauch von diesem Konzept und seinen wesentlichen Auswirkungen, besonders in seiner Analyse des Charakters des Ersten Weltkriegs. So war Lenin im Gegensatz zu den Sozialchauvinisten, die, indem sie sich die Analysen von Marx in der aufsteigenden Epoche des Kapitalismus zunutze machten, damit fortfuhren, zur Unterstützung bestimmter bürgerlicher Fraktionen und ihrer nationalen Befreiungskämpfe aufzurufen, in der Lage, im Ersten Weltkrieg den Ausdruck eines Systems zu sehen, das seine historische Funktion erschöpft hat, und die Notwendigkeit zu erklären, es durch eine weltweite Revolution zu überwinden. Daher seine Charakterisierung des imperialistischen Krieges als total reaktionär und seine Betonung der Notwendigkeit, ihm den proletarischen Internationalismus und die Revolution entgegenzusetzen:
„Aus einem Befreier der Nationen, der er in der Zeit des Ringens mit dem Feudalismus war, ist der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche zum grössten Unterdrücker der Nationen geworden. Früher fortschrittlich, ist der Kapitalismus jetzt reaktionär geworden, er hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass der Menschheit entweder den Übergang zum Sozialismus oder aber ein jahre-, ja sogar jahrzehntelanger bewaffneter Kampf der „Groß“mächte um die künstliche Aufrechterhaltung des Kapitalismus mittels der Kolonien, Monopole, Privilegien und jeder Art von nationaler Unterdrückung bevorsteht.“ (W. I. Lenin: „Sozialismus und Krieg“, in: LW Bd. 21 S. 302)
„Die Epoche des kapitalistischen Imperialismus ist die des reifen und überreifen Kapitalismus, der vor dem Zusammenbruch steht, der reif ist, dem Sozialismus Platz zu machen. Die Epoche 1789 bis 1871 war die des fortschrittlichen Kapitalismus, als auf der Tagesordnung der Geschichte die Niederringung des Feudalismus, des Absolutismus, die Abschüttelung des fremden Joches stand.“ (W. I. Lenin: „Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationalen“, in: LW Bd. 22 S. 108)
„Es sind eben der Parasitismus und die Fäulnis des Kapitalismus, die seinem höchsten geschichtlichen Stadium, d.h. dem Imperialismus, eigen sind (...) Der Imperialismus ist der Vorabend der sozialen Revolution des Proletariats. Das hat sich seit 1917 im Weltmaßstab bestätigt“ (W. I. Lenin, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, in: LW Bd. 22 S. 191)
Die Haltung zu Krieg und Revolution war stets eine klare Trennungslinie innerhalb der Arbeiterbewegung gewesen. Lenins Fähigkeit, die historische Dynamik des Kapitalismus wahrzunehmen, das Ende der „Epoche des fortschrittlichen Kapitalismus“ zu erkennen, zu sehen, dass der „Kapitalismus reaktionär geworden ist“, versetzte ihn nicht nur in die Lage, den Ersten Weltkrieg klar zu charakterisieren, sondern auch das Wesen und die Bedeutung der Revolution in Russland zu erfassen. Als in diesem Land die revolutionäre Situation heranreifte, erlaubte es die Wahrnehmung der durch die neue Periode aufgezwungenen Aufgaben den Bolschewiki, gegen die mechanistischen und nationalistischen Auffassungen der Menschewiki anzukämpfen. Als Letztere versuchten, die Bedeutung der revolutionären Welle unter dem Vorwand herunterzuspielen, dass Russland viel zu unterentwickelt für den Sozialismus sei, beharrten die Bolschewiki darauf, dass der weltweite Charakter des imperialistischen Krieges enthüllt hatte, dass der Weltkapitalismus einen Punkt der Reife erreicht hat, wo die sozialistische Revolution zu einer Notwendigkeit geworden ist. Somit kämpften sie für die Machtergreifung durch die Arbeiterklasse in Russland, die sie als den Auftakt zur proletarischen Weltrevolution betrachteten.
Zu den ersten und klarsten Ausdrücken dieser Verteidigung des Marxismus gehörte die Broschüre Sozialreform oder Revolution, die 1899 von Rosa Luxemburg verfasst wurde. Auch wenn sie anerkannte, dass der Kapitalismus noch immer durch „die plötzliche Erweiterung des Gebiets der kapitalistischen Wirtschaft“ (d.h. den Imperialismus) expandierte, bestand Luxemburg darauf, dass der Kapitalismus sich unabwendbar auf seine „Senilitätskrise“ hinzubewegt, die die revolutionäre Machtergreifung durch das Proletariat notwendig macht. Darüber hinaus erkannte Luxemburg mit großem politischen Scharfsinn die neuen Erfordernisse, die sich durch den Wandel in der historischen Periode den Kämpfen und den politischen Positionen des Proletariats stellten, insbesondere bezüglich der Gewerkschaftsfrage, der parlamentarischen Taktik, der nationalen Frage und der neuen Methoden des Kampfes, die durch den Massenstreik in den Mittelpunkt rückten.[viii] [3]
Über die Gewerkschaften: „Hat die Entwicklung der Industrie ihren Höhepunkt erreicht und beginnt für das Kapital auf dem Weltmarkt der ‚absteigende Ast‘, dann wird der gewerkschaftliche Kampf doppelt schwierig (...) Der bezeichnete Gang der Dinge ist es, dessen andere Seite und Korrelat der Aufschwung des politischen und sozialen Klassenkampfes sein muss.“ (Sozialreform oder Revolution?, „Einführung des Sozialismus durch soziale Reformen“)
Über den Parlamentarismus: „Entweder Nationalversammlung oder die ganze Macht den Arbeiter- und Soldatenräten, entweder Verzicht auf den Sozialismus oder schärfster Klassenkampf im vollen Rüstzeug des Proletariats gegen die Bourgeoisie: Das ist das Dilemma. Ein idyllischer Plan dies: auf parlamentarischem Wege, durch einfachen Mehrheitsbeschluss den Sozialismus zu verwirklichen! (...) Auch der Parlamentarismus war eine Arena des Klassenkampfes für das Proletariat, solange der ruhige Alltag der bürgerlichen Gesellschaft dauerte: Er war die Tribüne, von der aus die Massen um die Fahne des Sozialismus gesammelt, für den Kampf geschult werden konnten. Heute stehen wir mitten in der proletarischen Revolution, und es gilt heute, an den Baum der kapitalistischen Ausbeutung selbst die Axt zu legen. Der bürgerliche Parlamentarismus hat, wie die bürgerliche Klassenherrschaft, deren vornehmstes politisches Ziel er ist, sein Daseinsrecht verwirkt. Jetzt tritt der Klassenkampf in seiner unverhüllten, nackten Gestalt in die Schranken. Kapital und Arbeit haben sich nichts mehr zu sagen, sie haben einander nur mit eiserner Umarmung zu packen und im Endkampf zu entscheiden, wer zu Boden geworfen wird.“ (Nationalversammlung oder Räteregierung?)
Über die nationale Frage: „5. Der Weltkrieg dient weder der nationalen Verteidigung noch wirtschaftlichen oder politischen Interessen irgendwelcher Volksmassen, er ist lediglich eine Ausgeburt imperialistischer Rivalitäten zwischen den kapitalistischen Klassen verschiedener Länder um die Weltherrschaft und das Monopol in der Aussaugung und Auspowerung der letzten Reste der noch nicht vom Kapital beherrschten Welt. In der Ära dieses entfesselten Imperialismus kann es keine nationalen Kriege mehr geben. Die nationalen Interessen dienen nur als Düpierungsmittel, um die arbeitenden Volksmassen ihrem Todfeind, dem Imperialismus, dienstbar zu machen.“ (Entwurf zu den Junius-Thesen, in: Luxemburg-Werke Bd. 4 S. 44)
Von den revolutionären Bewegungen, die dem Ersten Weltkrieg ein Ende bereitet hatten, ins Leben gerufen, wurde die Kommunistische Internationale (KI) auf der Grundlage der Erkenntnis gegründet, dass die fortschrittliche Rolle der Bourgeoisie beendet war, wie der linke Flügel der Zweiten Internationale vorhergesagt hatte. Konfrontiert mit der Aufgabe, den Wendepunkt zu begreifen, der im Ausbruch des Weltkriegs und in den aufständischen Bewegungen auf internationaler Ebene zum Ausdruck kam, erblickten die KI und die Gruppen, aus denen sie zusammengesetzt war, in der Dekadenz mehr oder weniger den Schlüssel zu ihrem Verständnis der neuen Epoche. So wird in der Richtlinien der Kommunistischen Internationale gesagt: „Eine neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seines inneren Zersetzung, die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats.“ (in: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen, Bd. 1 S. 40). Dieser analytische Rahmen findet sich mehr oder weniger in allen Grundsatzerklärungen der KI[ix] [3], wie in den „Thesen zum Parlamentarismus“, die auf ihrem Zweiten Kongress verabschiedet wurden: „Der theoretische klare Kommunismus muss dagegen den Charakter der gegenwärtigen Epoche richtig einschätzen (Höhepunkt des Kapitalismus; imperialistische Selbstverneinung und Selbstvernichtung, ununterbrochenes Anwachsen des Bürgerkrieges usw.).“ (in: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen, Bd. 1 S. 178)
Dieser analytische Rahmen erschien mit noch größerer Klarheit im „Bericht über die internationale Lage“, der von Trotzki verfasst und vom Dritten Kongress angenommen wurde: „Zyklische Schwankungen – sagten wir in unserem Bericht an den 3. Kongress der KI - begleiten die kapitalistische Gesellschaft in ihrer Jugend, in ihrem Erwachsensein und in ihrem Zerfall, so wie die Herzschläge den Menschen selbst auf seinem Totenbett begleiten“ (aus: Die Flut steigt, Jan. 1922, eigene Übersetzung). Was auch in den Diskussionen rund um diesen Bericht bestätigt wurde: „Wir sahen gestern im Detail, wie Genosse Trotzki – und ich denke, alle, die hier sind, stimmen mit ihm überein – auf der einen Seite das Verhältnis zwischen kurzen Krisen und kurzen Perioden zeitweiliger zyklischer Krisen und auf der anderen Seite das Problem der Krise und des Niedergangs des Kapitalismus auf der Ebene der großen historischen Epochen aufzeigt. Wir stimmen alle darin überein, dass die große aufsteigende Kurve nun unwiderstehlich in die andere Richtung gehen wird und dass in dieser Kurve weiterhin Schwankungen, ein Auf und Ab stattfinden werden.“ (Authier D., Dauve G., Ni parlement ni syndicats... les conseils ouvriers!, Edition „Les nuits rouges“ 2003, eigene Übersetzung).[x] [3] Schließlich wird dieser Rahmen noch ausdrücklicher in den „Thesen über die Taktik der Komintern“ bestätigt:
„2. Die Niedergangsperiode des Kapitalismus. Nach Abschätzung der ökonomischen Weltlage konnte der 3. Kongress mit vollkommener Bestimmtheit konstatieren, dass der Kapitalismus nach Erfüllung seiner Mission, die Entwicklung der Produktion zu fördern, in unversöhnlichen Widerspruch zu den Bedürfnissen nicht nur der gegenwärtigen historischen Entwicklung, sondern auch der elementarsten menschlichen Existenzbedingungen geraten ist. Im letzten imperialistischen Kriege spiegelte sich dieser fundamentale Widerspruch wider, der durch den Krieg noch verschärft wurde und der die Produktions- und Zirkulationsverhältnisse den schwersten Erschütterungen aussetzte. Der überlebte Kapitalismus ist in das Stadium getreten, in dem die Zerstörungsarbeit seiner zügellosen Kräfte die schöpferischen, wirtschaftlichen Errungenschaften, die das Proletariat noch in den Fesseln kapitalistischer Knechtschaft geschaffen hat, lähmt und vernichtet.“ (in: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen, Bd. 2, 4. Weltkongress, S. 6)
Der Ausbruch des imperialistischen Krieges 1914 markierte einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte sowohl der Bourgeoisie als auch der Arbeiterbewegung. Das Problem der „Senilitätskrise“ des Systems war nicht mehr Gegenstand einer rein theoretischen Debatte zwischen den verschiedenen Fraktionen der Arbeiterbewegung. Die Erkenntnis, dass der Krieg eine neue Periode des Kapitalismus als historisches System eröffnet hatte, erforderte auch eine Änderung in der politischen Praxis, die die Klassengrenzen neu justierte: auf der einen Seite die Opportunisten, die sich selbst deutlich als Agenten des Kapitalismus gezeigt haben, indem sie die Revolution zugunsten der nationalen Verteidigung in einem imperialistischen Krieg „vertagten“; und auf der anderen Seite die Bolschewiki um Lenin, die Gruppe Internationale, die Bremer Linksradikalen, die holländischen Tribunisten, etc., die sich in Zimmerwald und Kienthal versammelten und bekräftigten, dass der Krieg die Ära der „Kriege und Revolutionen“ eröffnet hat und dass die einzige Alternative zur kapitalistischen Barbarei die revolutionäre Erhebung des Proletariats gegen den imperialistischen Krieg war. Unter allen Revolutionären, die an diesen Konferenzen teilnahmen, waren die Bolschewiki am klarsten in der Kriegsfrage, und diese Klarheit resultierte direkt aus der Auffassung, dass der Kapitalismus in seine Dekadenzphase getreten ist, da die „Epoche der fortschrittlichen Bourgeoisie“ abgelöst wurde durch die „Epoche der reaktionären Bourgeoisie“, wie in folgender Passage von Lenin unmissverständlich klargemacht wurde: „Die russischen Sozialchauvinisten (an ihrer Spitze Plechanow) berufen sich auf die Taktik von Marx im Kriege von 1870; die deutschen Sozialchauvinisten (vom Schlage der Lensch, David und Co.) berufen sich auf die Erklärungen von Engels im Jahre 1891, in denen er von der Pflicht der deutschen Sozialisten spricht, im Falle eines gleichzeitigen Krieges gegen Russland und Frankreich das Vaterland zu verteidigen. (…) All diese Berufungen sind eine empörende Verfälschung der Auffassungen von Marx und Engels zugunsten der Bourgeoisie und der Opportunisten (…) Wer sich jetzt auf Marx´ Stellungnahme zu den Kriegen in der Epoche der fortschrittlichen Bourgeoisie beruft und Marx´ Worte ´Die Arbeiter haben kein Vaterland´ vergisst – dies Worte, die sich gerade auf die Epoche der reaktionären, überlebten Bourgeoisie beziehen, auf die Epoche der sozialen Revolution –, der fälscht Marx schamlos und ersetzt die sozialistische Auffassung durch die bürgerliche.“ (W. I. Lenin: Sozialismus und Krieg, in LW Bd. 21 S. 309 f.)
Diese politische Analyse der historischen Bedeutung des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs bestimmte die Stellung, die von der gesamten revolutionären Bewegung eingenommen wurde, von der marxistischen Fraktion innerhalb der Zweiten Internationale[xi] [3] über die Kommunistische Internationale bis hin zu den Gruppen der Kommunistischen Linken. Exakt dies hatte Engels Ende des 19. Jahrhunderts vorhergesehen. „Friedrich Engels sagt einmal: Die bürgerliche Gesellschaft steht vor einem Dilemma, entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall in die Barbarei. Was bedeutet ein ‚Rückfall in die Barbarei‘ auf unserer Höhe der europäischen Zivilisation? Wir haben wohl alle die Worte bis jetzt gedankenlos gelesen und wiederholt, ohne ihren furchtbaren Ernst zu ahnen. Ein Blick um uns in diesem Augenblick, was ein Rückfall der bürgerlichen Gesellschaft in die Barbarei bedeutet. Dieser Weltkrieg – das ist ein Rückfall in die Barbarei. Der Triumph des Imperialismus führt zur Vernichtung der Kultur – sporadisch während der Dauer eines modernen Krieges und endgültig, wenn die nun begonnene Periode der Weltkriege ungehemmt bis zur letzten Konsequenz ihren Fortgang nehmen sollte. Wir stehen also heute, genau wie Friedrich Engels vor einem Menschenalter, vor vierzig Jahren, voraussagte, vor der Wahl: entweder Triumph des Imperialismus und Untergang jeglicher Kultur, wie im alten Rom, Entvölkerung, Verödung, Degeneration, ein großer Friedhof; oder Sieg des Sozialismus, d.h. der bewussten Kampfaktion des internationalen Proletariats gegen den Imperialismus und seine Methode: den Krieg. Dies ist ein Dilemma der Weltgeschichte, ein Entweder – Oder, dessen Waagschalen zitternd schwanken vor dem Entschluss des klassenbewussten Proletariats. Die Zukunft der Kultur und der Menschheit hängt davon ab, ob das Proletariat sein revolutionäres Kampfschwert mit männlichem Entschluss in die Waagschale wirft.“ (R. Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie, in: Werke Bd. 4 S. 62)
Es war auch dieses Verständnis, das die revolutionären Kräfte bei der Gründung der Kommunistischen Internationale antrieb. So stellte Letztere unmissverständlich fest: „Die III. Kommunistische Internationale bildete sich beim Ausbruch des imperialistische Krieges 1914-1918, in welchem die imperialistische Bourgeoisie der verschiedenen Länder 20 Millionen Menschen opferte. `Gedenke des imperialistischen Krieges!` das ist das erste, womit sich die Kommunistischen Internationale an jeden Werktätigen wendet, wo er auch leben mag, in welcher Sprache er auch sprechen mag. Gedenke dessen, dass dank des Bestehens der kapitalistischen Ordnung ein kleines Häufchen von Imperialisten die Gelegenheit hatte, im Verlauf von vier langen Jahren die Arbeiter der verschiedenen Länder zu zwingen, einander den Hals abzuschneiden! Gedenke dessen, dass der Krieg der Bourgeoisie über Europa und die ganze Welt die fürchterlichste Hungersnot und das entsetzlichste Elend heraufbeschwor! Gedenke dessen, dass ohne den Sturz des Kapitalismus die Wiederholung von derartigen Raubkriegen nicht nur möglich, sondern unvermeidlich ist. (...) Die Kommunistische Internationale hält die Diktatur des Proletariats für das einzige Mittel, welches die Möglichkeit gibt, die Menschheit von den Greueln des Kapitalismus zu befreien.“ (in: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen, Bd. 1 S. 142)
Ja, mehr denn je müssen wir uns an die Analysen „erinnern“, die von unseren illustren Vorgängern angefertigt wurden. Wir müssen all dies umso nachdrücklicher bekräftigen, wenn parasitäre Grüppchen versuchen, sie als „bürgerlichen Moralismus und Humanismus“ abzutun, indem sie den imperialistischen Krieg und den Genozid bagatellisieren. Unter dem Vorwand einer Kritik an der Dekadenztheorie greifen solche Gruppen in Wahrheit die fundamentalsten Errungenschaften der Arbeiterbewegung an: „Um zum Beispiel zu demonstrieren, dass sich die kapitalistische Produktionsweise in der Dekadenz befindet, bekräftigt Sander, dass ihr Kennzeichen der Völkermord ist und dass mehr als drei Viertel aller Kriegstoten in den letzten 500 Jahren auf das 20. Jahrhundert fielen. Diese Art von Argumentation kommt auch im Denken des Tausendjährigen Reiches vor. Für die Zeugen Jehovas war der Erste Weltkrieg wegen seiner Erhabenheit und Intensität ein Wendepunkt in der Geschichte. Ihnen zufolge war die Zahl der Toten während des Ersten Weltkriegs ‚siebenmal höher als alle 901 vorhergehenden Kriege in den 2400 Jahren vor 1914‘. Gemäß einem polemischen Werk von Ruth Leger Sivard, das 1996 veröffentlicht wurde, hinterließ das Jahrhundert rund 110 Millionen Tote in 250 Kriegen. Wenn wir diese Zahl bis zum Ende des Jahrhunderts hochrechnen, werden es 120 Millionen sein, sechsmal mehr als im 19. Jahrhundert. Wenn wir diese Zahl zum Bevölkerungswachstum ins Verhältnis setzen, sind es nur noch zweimal soviel (...) Selbst dann bleiben die Auswirkungen der Kriege zweitrangig gegenüber jenen von Fliegen und Mücken (...) Nicht indem man sich hinter Konzepte schart, die zum bürgerlichen Gesetz gehören (wie der Völkermord), gestaltet von der demokratischen Ideologie und den Menschenrechten im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg, werden wir den Materialismus nach vorn bringen; schon gar nicht werden wir unser Verständnis über die Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise vergrößern.“ (Robin Goodfellow, „Comrade, one more effort to no longer be revolutionary“, eigene Übersetzung)
Die Verheerungen des imperialistischen Krieges als etwas darzustellen, das „zweitrangig gegenüber den Auswirkungen von Fliegen und Mücken“ ist, heißt auf die Millionen von Proletariern, die auf den Schlachtfeldern niedergemetzelt wurden, und auf die Tausenden von Revolutionären zu spucken, die ihr Leben geopfert haben, um dem mörderischen Arm der Bourgeoisie Einhalt zu gebieten und den Ausbruch der revolutionären Bewegungen zu forcieren. Es ist eine skandalöse Beleidigung von Generationen von Kommunisten, die mit aller Macht darum kämpften, die imperialistischen Kriege anzuprangern. Der Vergleich der Analysen, die uns von Marx, Engels und all unseren Vorgängern aus der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Linken hinterlassen wurden, mit den Zeugen Jehovas und mit dem bürgerlichen Moralismus ist wirklich irrsinnig. Angesichts solcher Verunglimpfungen stimmen wir mit Rosa Luxemburg überein, die argumentierte, dass die Empörung des Proletariats eine revolutionäre Kraft ist!
Für diese parasitären Elemente sind die gesamte Dritte Internationale, Lenin, Trotzki, Bordiga einem beklagenswerten Irrtum aufgesessen und haben dummerweise den Ersten Weltkrieg, den die KI-Plattform das „größte aller Verbrechen“ nannte, mit etwas verwechselt, dessen Auswirkungen „zweitrangig gegenüber denen von Fliegen und Mücken“ waren. All die Revolutionäre, die annahmen, dass der imperialistische Krieg die gigantischste Katastrophe für das Proletariat ist – „Die Katastrophe des imperialistischen Krieges hat alle Eroberungen des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Kampfes weggefegt“ (Manifest der Komintern) –, hätten den größten aller Fehler begangen: Sie haben den Ersten Weltkrieg als Eröffnung der Niedergangsepoche des Kapitalismus theoretisiert. Sie haben tollkühn behauptet, dass „der Kapitalismus nach Erfüllung seiner Mission, die Entwicklung der Produktion zu fördern, in unversöhnlichen Widerspruch zu den Bedürfnissen nicht nur der gegenwärtigen historischen Entwicklung, sondern auch der elementarsten menschlichen Existenzbedingungen geraten ist. Im letzten imperialistischen Kriege spiegelte sich dieser fundamentale Widerspruch wider, der durch den Krieg noch verschärft wurde und der die Produktions- und Zirkulationsverhältnisse den schwersten Erschütterungen aussetzte.“ (Thesen über die Taktik der Komintern, 4. Weltkongress, a.a.O.)
Die hochnäsige Geringschätzung der Errungenschaften der Arbeiterbewegung, die mit dem Blut unserer Klassenbrüder erkauft wurden, durch diese Parasiten wird nur von der Geringschätzung, die die Bourgeoisie gegenüber dem Elend der Arbeiter zeigt, und vom seelenlosen Zynismus erreicht, den diese Klasse an den Tag legt, wenn sie ihre brutalen Statistiken benutzt, um die „Errungenschaften“ des Kapitalismus aufzuzeigen. In Anlehnung an den berühmten Satz von Marx gegenüber Proudhon über das Elend könnte man sagen, dass diese Parasiten in den Zahlen nichts als Zahlen, und nicht die darin enthaltene gesellschaftliche und revolutionäre Bedeutung sehen.[xii] [3] Alle Revolutionäre jener Periode hatten den qualitativen Unterschied begriffen, die ganze gesellschaftliche und politische Bedeutung dieses Massenuntergangs der „Kerntruppen des internationalen Proletariats“: „Aber das heutige Wüten der imperialistischen Bestialität in den Fluren Europas hat noch eine Wirkung, für welche die ‚Kulturwelt‘ (und die heutigen Parasiten) kein entsetztes Auge, kein schmerzzuckendes Herz hat: Das ist der Massenuntergang des europäischen Proletariats. Nie hat ein Krieg in diesem Maße ganze Volksschichten ausgerottet (...) Es sind die besten, intelligentesten, geschultesten Kräfte des internationalen Sozialismus, die Träger der heiligsten Traditionen und des kühnsten Heldentums, der modernen Arbeiterbewegung, die Vordertruppen des gesamten Weltproletariats: die Arbeiter Englands, Frankreichs, Belgiens, Deutschlands, Russlands, die jetzt zuhauf niedergeknebelt, niedergemetzelt werden (...) Hier enthüllt der Kapitalismus seinen Totenschädel, hier verrät er, dass sein historisches Daseinsrecht verwirkt, seine weitere Herrschaft mit dem Fortschritt der Menschheit nicht mehr vereinbar ist.“ (R. Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie, in Werke Bd. 4, S. 162 f.)[xiii] [3]
C. Mcl.
[i] [3] Für weitere Details siehe den ersten Artikel dieser Serie in Internationale Revue Nr. 32.
[ii] [3] Leider wurde diese Sichtweise, die Marx sehr richtig in dieser Epoche zum Ausdruck gebracht hatte, in der Epoche der Dekadenz als reaktionäre Konfusion benutzt, indem die Maßnahmen, die im Kommunistischen Manifest befürwortet worden waren, weiterhin gepredigt wurden, so als seien sie in der gegenwärtigen Periode noch geeignet.
[iii] [3] Diese scheinbar ultrarevolutionären Positionen waren in Wahrheit der Ausdruck eines kleinbürgerlichen Wunsches nach Abschaffung des Kapitalismus und der Lohnarbeit, nicht indem man sich in Richtung ihrer historischen Überwindung bewegt, sondern indem man sich in eine Welt unabhängiger Kleinproduzenten zurückzieht.
[iv] [3] Der erste Artikel in dieser Reihe hat bereits mit Hilfe einer Reihe von Zitaten aus ihrem gesamten Werk deutlich gemacht, dass das Konzept der Dekadenz wie auch der Begriff selbst ihren Ursprung in den Schriften von Marx und Engels haben und den Mittelpunkt des historischen Materialismus, des Verständnisses der Aufeinanderfolge von Produktionsweisen bildeten. Dies weist eindeutig die verrückte Behauptung der akademischen Zeitschrift Aufheben zurück, dass „die Theorie des kapitalistischen Niedergangs erstmals in der Zweiten Internationale auftauchte“ (s. die Serie „Über die Dekadenz: Theorie des Niedergangs oder Niedergang der Theorie“ in Aufheben Nr. 2, 3 und 4, eigene Übersetzung). Doch auch die Erkenntnis, dass die Dekadenztheorie in der Tat ein Kernbereich im marxistischen Programm der Zweiten Internationale war, überführt allein die absurden Behauptungen der Lüge, die der Chor der parasitären Gruppen anstimmt. So tauchte für die IFIKS diese Theorie zuerst Ende des 19. Jahrhunderts auf. „Wir haben den Ursprung des Begriffs der Dekadenz in den Debatten rund um den Imperialismus und der historischen Alternative zwischen Krieg und Revolution gezeigt, die am Ende des 19. Jahrhunderts angesichts der tiefen Umwälzungen, durch die der Kapitalismus ging, stattfand.“ Für die RIMC (Revue Internationale du Mouvement Communiste) wurde er laut ihrem Artikel „Die Dialektik der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse in der kommunistischen Theorie“ nach dem Ersten Weltkrieg in die Welt gesetzt: „Ziel dieses Werks ist es, eine globale und definitive Kritik an dem Konzept der ‚Dekadenz‘ zu üben, das die kommunistische Theorie vergiftet hat und eine der Hauptabweichungen war, die in der Nachkriegszeit in die Welt gesetzt wurde und aufgrund ihres total ideologischen Charakters jeglicher wissenschaftlichen Arbeit zur Restaurierung der kommunistischen Theorie im Weg stand.“ Und für Internationalist Perspective („Auf zu einer neuen Theorie der Dekadenz des Kapitalismus“) war es schließlich Trotzki, der das Konzept erfand: „Das Konzept der Dekadenz des Kapitalismus entstand in der Dritten Internationale und wurde insbesondere von Trotzki entwickelt.“ Das einzige, was diese Gruppen gemeinsam haben, ist die Kritik an unserer Organisation und insbesondere an unserer Dekadenztheorie. Doch in Wahrheit weiß keine von ihnen wirklich, worüber sie spricht.
[v] [3] Was zum Beispiel von Lenin in Der Imperialismus, die höchste Stufe des Kapitalismus oder von Rosa Luxemburg in Die Akkumulation des Kapitals getan wurde.
[vi] [3] Was wiederum von Luxemburg in Sozialreform oder Revolution und später von Lenin in Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky getan wurde.
[vii] [3] Auch hier waren Lenin und Luxemburg tätig, in Staat und Revolution und Was will der Spartakusbund?
[viii] [3] siehe ihr Buch Der Massenstreik, die Partei und die Gewerkschaften.
[ix] [3] Wir werden diese Idee im dritten Teil dieses Artikels noch anschaulicher machen.
[x] [3] Diese Passage ist ein Ausdruck aus einer Intervention von Alexander Schwab, einem KAPD-Delegierten auf dem 3. Kongress der KI, in der Diskussion über Trotzkis Bericht über die weltwirtschaftliche Lage („Thesen zur Weltlage und zu den Aufgaben der Kommunistischen Internationalen“). Sie gewährt einen guten Einblick in den Tenor, die Richtung und vor allem den konzeptionellen Rahmen dieses Berichts und der Diskussionen in der KI rund um den Begriff des Aufstiegs und Niedergangs des Kapitalismus auf der Ebene der „großen historischen Epochen“.
[xi] [3] „Eines ist sicher: Der Weltkrieg ist eine Weltwende. Es ist ein törichter Wahn, sich die Dinge so vorzustellen, dass wir den Krieg nur zu überdauern brauchen, wie der Hase unter dem Strauch das Ende des Gewitters abwartet, um nachher munter wieder in den alten Trott zu verfallen. Der Weltkrieg hat die Bedingungen unseres Kampfes verändert und uns selbst am meisten.“ (R. Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie, in Werke Bd. 4 S. 56)
[xii] [3] Selbst auf der Zahlenebene sind unsere Zensoren immer noch gezwungen, gemäß ihren weisen Kalkulationen anzuerkennen, dass in der Dekadenz doppelt so viele Menschen starben wie in der Epoche des Aufstiegs.
[xiii] [3] Wenn wir uns überhaupt mit solchen Beleidigungen auseinandersetzen, dann nicht nur, um sie zu stigmatisieren und die theoretischen Errungenschaften aller Generationen von Proletariern und Revolutionären zu verteidigen, sondern auch um das kleine Milieu der Parasiten deutlich zu brandmarken, das diese Art von Prosa kultiviert und verbreitet. Wir haben es hier mit einem von vielen Beispielen ihres vollkommen parasitären Charakters zu tun: Ihre Rolle ist es, die Errungenschaften der Kommunistischen Linken zu zerstören, das proletarische Milieu kaputt zu machen und insbesondere die IKS zu diskreditieren.
Vor 25 Jahren endete der Zyklus der internationalen Konferenzen der Kommunistischen Linken in Chaos und Durcheinander, die auf Initiative der Internationalistischen Kommunistische Partei (PC Int. Battaglia Communista) hin einige Jahre zuvor stattgefunden hatten, in Folge eines von Battaglia Communista und der Communist Workers' Organisation gestellten Antrages über die Parteifrage. Dieser Antrag hatte das Ziel, die IKS wegen ihrer angeblichen "spontaneistischen" Haltung zur Organisationsfrage auszuschließen. Diese Konferenzen sind von der IKS als einen positiven Schritt begrüßt worden, um aus der Zersplitterung und den Missverständnissen unter den Gruppen herauszukommen, die das internationale proletarische Milieu geplagt hatten. Sie stellen jetzt noch eine wertvolle Erfahrung dar, aus welcher die heute entstehende neue Generation von Revolutionären viele Lehren ziehen kann. Es ist wichtig für diese neue Generation, sich die Debatten, die an den Konferenzen und um diese stattfanden, wieder anzueignen. Dennoch können wir die negativen Auswirkungen der Art und Weise, wie sie endeten, nicht ignorieren. Ein kurzer Blick auf den jämmerlichen Zustand des politischen proletarischen Milieus heute zeigt, dass wir immer noch unter den Folgen des Scheiterns des Versuchs leiden, einen organisierten Rahmen für eine brüderliche Debatte und eine politische Klärung unter den Gruppen zu schaffen, die der Tradition der Kommunistischen Linken angehören.
Angesichts des Techtelmechtels des IBRP mit dem parasitären, selbsternannten Grüppchen "Interne Fraktion der IKS" (FICCI) und dem Abenteurer, der sich hinter dem "Circulo de Comunistas Internacionalistas" in Argentinien verbirgt, sind die Beziehungen zwischen dem IBPR und der IKS noch nie so schlecht gewesen wie heute. Entweder begnügen sich die Gruppen bordigistischer Tradition im sektiererischen Alleinsein des Elfenbeinturms, in dem sie Ende der 70er Jahre vor den Konferenzen Schutz gesucht haben, oder sie haben sich – so z.B. Le Prolétaire - wie das IBRP für die Verführungsspielchen und Schmeicheleien der FICCI empfänglich gezeigt. Jedenfalls haben sich die Bordigisten von der traumatischen Krise des Jahres 1981, aus der sie in Bezug auf ihre wichtigsten Schwächen nur wenig Lehren gezogen haben, noch nicht erholt. Was die letzten Erben der deutsch/holländischen Linken angeht, so sind sie inzwischen praktisch verschwunden. So steht es heute mit den Gruppen der Kommunistischen Linken - und dies gerade jetzt, wo eine neue Generation von Leuten auf der Suche nach einer richtungweisenden Antwort auf ihre Fragen sich der organisierten kommunistischen Bewegung nähert, und das auch zu einem Zeitpunkt, an dem historisch so viel auf dem Spiel steht wie nie zuvor.
Als Battaglia den Beschluss fasste, die Teilnahme der IKS an den Konferenzen zu sabotieren, behauptete sie "die Verantwortung, die man von einer seriösen Führungskraft zu erwarten berechtigt ist", übernommen zu haben (Antwort auf die Adresse der IKS an das Proletarische Milieu 1983). Indem wir auf die Geschichte dieser Konferenzen zurückkommen, wollen wir unter anderem die Verantwortung aufzeigen, die diese Gruppe für die Desorganisierung der Kommunistischen Linken trägt.
Wir werden kein ausführliches Protokoll der Diskussionen, die in und um die Konferenzen stattgefunden haben, liefern. Die Leser können verschiedene Publikationen nachschlagen, die die Texte und Protokolle dieser Konferenzen beinhalten, obwohl diese nur noch selten zu finden sind (in diesem Sinne sind alle Hilfsangebote, diese Publikation online zur Verfügung zu stellen, willkommen). Der Zweck dieses Artikels ist vielmehr, die wesentlichen Themen zusammenzufassen, die in diesen Konferenzen behandelt wurden, und vor allem die wichtigsten Gründe ihres Scheiterns zu untersuchen.
Die Zersplitterung der Kräfte der Kommunistischen Linken war 1976 keine neue Erscheinung. Die Kommunistische Linke hat ihren Ursprung in den linken Fraktionen der Zweiten Internationale, die den Kampf gegen den Opportunismus ab dem Ende des 19. Jahrhunderts geführt haben. Schon dieser Kampf war zersplittert geführt worden.
Als z.B. Lenin den Kampf gegen den menschewistischen Opportunismus in der russischen Partei aufnahm, war die erste Reaktion Rosa Luxemburgs, sich auf die Seite der Menschewiki zu stellen. Als Luxemburg die wirkliche Bedeutung der Kapitulation Kautskys begriff, brauchte Lenin länger, um zu realisieren, dass sie recht hatte. Das alles kam daher, dass die Parteien der Zweiten Internationale auf einer nationalen Grundlage entstanden waren und fast alle ihre Arbeit auf nationaler Arbeit führten; die Internationale war eher ein Zusammenschluss nationaler Parteien als eine vereinigte Weltpartei. Auch wenn die Kommunistische Internationale (KI) sich verpflichtete, diese nationalen Besonderheiten zu überwinden, behielten diese ein sehr großes Gewicht. Es gibt keinen Zweifel, dass die linken kommunistischen Fraktionen, die gegen die Degenerierung der KI Anfang der 20er Jahre zu reagieren begannen, von dem Gewicht der Vergangenheit auch beeinträchtigt waren; die Linke antwortete abermals alles andere als einheitlich auf das Anwachsen des Opportunismus innerhalb der proletarischen Internationale. Der gefährlichste und schädlichste Ausdruck dieser Zerstreuung war der Graben, der die Deutsche und die Italienische Linke fast von Anfang an ab den 20er Jahren voneinander trennte. Bordiga neigte dazu, die Bedeutung, die die deutsche Linke der entscheidenden Rolle der Arbeiterräte beimaß, der "Verherrlichung der Fabrikräte" durch Gramsci gleichzusetzen; die deutsche Linke wiederum vermochte nicht wirklich in der italienischen "leninistischen" Linken einen möglichen Verbündeten gegen die Degenerierung der KI zu erkennen.
Die Konterrevolution, die die Arbeiterbewegung Ende der 20er Jahre mit voller Wucht traf, hat zur weiteren Zersplitterung der Linken beigetragen, obwohl die Italienische Fraktion diese Tendenz mit aller Kraft bekämpfte, indem sie eine Diskussion und eine internationale Zusammenarbeit auf der Basis von Prinzipien zu etablieren versuchte. So veröffentlichte sie in ihrer Presse die Debatten mit den holländischen Internationalisten, den Dissidenten-Gruppen der Linksopposition und anderen. Die geistige Offenheit, die bei Bilan (Presseorgan der Italienischen Fraktion) vorhanden war – neben anderen allgemeineren programmatischen Vorstößen der Fraktion – wurde durch die opportunistische Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei am Ende der Krieges weggefegt. Dem nationalen Kleingeist zu einem guten Stück unterworfen, beeilte sich die Mehrheit der Italienischen Fraktion, die Bildung einer neuen Partei (nur in Italien!) zu begrüßen, worauf die Fraktion sich auflöste und ihre Mitglieder einzeln der Partei beitraten. Der voreilige Zusammenschluss verschiedener, sehr heterogener Kräfte hat nicht zu der Verfestigung der Einheit der Strömung der italienischen Linken geführt, sondern hat neue Spaltungen verursacht. Dies schon 1945 mit der französischen Fraktion, deren Mehrheit sich gegen die Auflösung der Italienischen Fraktion ausgesprochen hatte und die opportunistischen Grundlagen der neuen Partei kritisierte. Die Französische Fraktion wurde ohne Rücksicht aus der internationalen Organisation des PCI (der Internationalen Kommunistischen Linken) ausgeschlossen und gründete dann die Kommunistische Linke Frankreichs. 1952 erlitt die Partei selbst eine große Spaltung zwischen ihren zwei Hauptflügeln – den "Damenisten" um Battaglia Communista und den "Bordigisten" um Programma Communista; diese entwickelten insbesondere eine theoretische Rechtfertigung des strengsten Sektierertums, indem sie sich für die einzige proletarische Partei des Planeten hielten (was andere Spaltungen sowie die Koexistenz verschiedener "einzig wahrer" Internationaler Kommunistischer Partei in den 70er Jahren nicht verhinderte).
Dieses Sektierertum war ohne Zweifel ein Tribut an die Konterrevolution. Einerseits war es der Ausdruck des Versuchs, in einer feindlichen Umwelt die Prinzipien zu bewahren, indem eine Mauer "invarianter" (unveränderlicher) Formeln um schwer errungene Grundsätze errichtet wurde. Andererseits war es Ausdruck der zunehmenden Absonderung der Revolutionäre von der gesamten Arbeiterklasse und ihres Zirkelgeistes. Ihre Neigung, in der eigenen Welt kleiner Gruppen zu leben, konnte den Zirkelgeist und – wie bei Sekten – die Diskrepanz zu den wirklichen Bedürfnissen der proletarischen Bewegung nur begünstigen.
Nach 40 Jahren Konterrevolution – am tiefsten Punkt der Schwäche des internationalen revolutionären Milieus - begann sich das soziale Klima zu verändern. Das Proletariat erschien wieder auf der historischen Bühne mit den Streiks im Mai 68. Diese Bewegung besaß eine unermesslich tiefe politische Dimension, denn sie stellte die Frage nach der Errichtung einer neuen Gesellschaft und hatte eine Vielzahl von Gruppen entstehen lassen, deren Suche nach revolutionärer Kohärenz sie naturgemäß zu einer Wiederaneignung der Traditionen der Kommunistischen Linken führte. Unter den ersten, die die Veränderung der Lage erkannten, befanden sich die Genossen der alten Kommunistischen Linken Frankreichs, die mit einigen jungen Interessierten eine politische Aktivität in Venezuela wiederaufgenommen und 1964 die Gruppe Internacionalismo gegründet hatten. Nach den Ereignissen vom Mai 1968 reisten Genossen von Internacionalismo nach Europa, um in das neue, von dieser starken Bewegung erzeugte proletarische Milieu zu intervenieren. Diese Genossen ermunterten insbesondere die alten Gruppen der Italienischen Linken, die den Vorteil hatten, über eine Presse und eine strukturierte Organisationsform zu verfügen, dazu, durch die Einberufung einer internationalen Konferenz als Zentrum der Debatte und des Kontaktes für die neuen suchenden Elemente zu fungieren. Sie bekamen eine eisige Antwort, denn die zwei Flügel der Italienischen Linken sahen im Mai 68 (und sogar im Heißen Herbst in Italien) nicht viel mehr als eine Welle studentischer Aufruhr.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen, die italienischen Gruppen von ihrer Verantwortung zu überzeugen (vgl. den Brief der IKS an Battaglia in der Broschüre Dritte Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken, Mai 1980, Protokoll), konzentrierten die Genossen von Internacionalismo und der neu gegründeten Gruppe Révolution Internationale ihre Bemühungen auf die Umgruppierung der neuen Elemente, die dank des Wiedererstarkens des Proletariats auf der sozialen Bühne politisiert wurden. 1968 kamen zwei Gruppen in Frankreich - Cahiers du Communisme de Conseils und die Rätistische Organisation von Clermont-Ferrand – mit der Gruppe Révolution Internationale zusammen und gründeten die Zeitung RI "neue Serie", die mit Internacionalismo und Internationalism (USA) eine internationale Tendenz bildeten. 1972 schlug Internationalism die Bildung eines internationalen Korrespondenznetzes vor. Erneut hielten sich die italienischen Gruppen von dieser Entwicklung fern. Diese führte zu positiven Ergebnissen – insbesondere zu einer Reihe von Konferenzen 1973-74, an der Révolution Internationale sowie einige neue Gruppen aus England teilnahmen. Eine von ihnen – World Revolution – schloss sich der internationalen Tendenz an, die 1975 zur Bildung der IKS führen sollte (damals aus 6 Gruppen bestehend: Révolution Internationale in Frankreich ; Internationalism USA ; World Revolution England ; Internacionalismo Venezuela ; Accion Proletaria Spanien und Rivoluzione Internazionale Italien).
Der Zyklus internationaler Konferenzen wurde 1976 eröffnet, als Battaglia Communista endlich ihre Isolation in Italien beendete und einigen Gruppen der Welt ein internationales Treffen vorschlug.
Die Gruppen waren die folgenden:
Frankreich: Révolution Internationale, Pour une Intervention Communiste, Union Ouvrière, Combat Communiste;
England: Communist Workers’ Organisation, World Revolution;
Spanien: Fomento Obrero Revolucionario (FOR);
USA: Revolutionary Workers' Group;
Japan: Japan Revolutionary Communist League, Revolutionary Marxist Fraction (Kahumaru-Ha) ;
Schweden: Forbundet Arbetarmakt (Workers' Power League);
Portugal: Combate.
Das Vorwort zur Broschüre „Texte und Protokolle der von der Internationalistischen Kommunistischen Partei (Battaglia Communista) organisierten internationalen Konferenz“ bemerkt: „Durch die Auflösung von Union Ouvrière und der RWG und den Abbruch der Kontakte mit Combat Communiste, dessen politische Prinzipien sich mit den Themen der Konferenz als unvereinbar herausstellten, fand sehr schnell eine „natürliche Auslese“ statt. Die Kontakte mit der portugiesischen Gruppe wurden nach einer Zusammenkunft zwischen ihren Vertretern und einem Gesandten der PCInt in Lissabon im Übrigen unterbrochen, als die Entfernung dieser Gruppe von den Grundauffassungen der kommunistischen Bewegung festgestellt wurde. Die japanische Organisation hat nie geantwortet, was vermuten lässt, dass sie die „Adresse“ der PCInt nicht bekommen haben.“
Die schwedische Gruppe zeigte Interesse, konnte aber nicht teilnehmen.
Es war ein wichtiger Schritt, den Battaglia da tat – die Anerkennung der überaus großen Wichtigkeit nicht von internationalen Verbindungen (wie jede linke Gruppe es auch befürwortet), sondern der internationalistischen Aufgabe, die Spaltungen in der weltweiten revolutionären Bewegung zu überwinden und auf eine Zentralisierung und letztendlich Umgruppierung hinzuarbeiten. Die IKS hat die Initiative von Battaglia Communista als einen Schlag gegen Sektierertum und Zersplitterung wärmstens begrüßt. Ihr Beschluss an dieser Initiative teilzunehmen hatte zudem eine heilsame Wirkung auf ihr eigenes politisches Leben, denn keine Gruppe ist gänzlich vor der schädlichen Neigung gefeit, sich als die „einzige und alleinige“ revolutionäre Gruppe zu betrachten. In Folge von Fragestellungen, die innerhalb der IKS über das proletarische Wesen der aus der Italienischen Linken stammenden Gruppen entstanden waren, entwickelte sich eine Diskussion über die Kriterien zur Beurteilung der Klassenzugehörigkeit politischer Organisationen. Eine Resolution über die proletarischen politischen Gruppen wurde infolgedessen beim Internationalen Kongress der IKS 1977 verabschiedet.
Gewichtige Schwächen gab es dennoch im Vorschlag Battaglias und bei der dann stattfindenden Konferenz in Mailand im April/Mai 1977. Erstens fehlten in dem Vorschlag von Battaglia klare Kriterien für die Teilnahme. Mit etwas zeitlichem Abstand betrachtet war der ursprünglich angegebene Grund für den Aufruf zur Konferenz vollkommen richtig: die Annahme des „Eurokommunismus“ durch die wichtigsten westeuropäischen Kommunistischen Parteien. Die Schlussfolgerungen einer Diskussion über das, was Battaglia die „Sozialdemokratisierung“ der KP’s nannte, waren nicht klar. Noch wichtiger war aber die Tatsache, dass der Aufruf die wesentlichen Klassenpositionen, die gewährleisten, dass jede Zusammenkunft proletarischer Gruppen den linken Flügel des Kapitals ausschließt, keineswegs definierte. Die Verschwommenheit in dieser Frage war nicht neu für Battaglia, die in der Vergangenheit bereits zu einer internationalen Konferenz mit der Teilnahme der Trotzkisten von Lutte Ouvrière aufgerufen hatte. Diesmal beinhaltete die Liste der eingeladenen Gruppen auch radikale Linke wie die japanische Gruppe oder Combat Communiste. Die IKS betonte also die Notwendigkeit, dass die Konferenz ein Minimum an grundsätzlichen Prinzipien annimmt, die sowohl die Linkskapitalisten ausschließt, als auch diejenigen, die – auch wenn sie eine gewisse Anzahl an Klassengrundsätzen verteidigen – die Idee einer Klassenpartei ablehnen. Das Ziel der Konferenz wurde also begriffen als Teil eines langfristigen Prozesses hin zu der Bildung einer neuen weltweiten Partei.
Ebenfalls wandte sich die Konferenz direkt gegen das Sektierertum, das die Bewegung beherrschte. Battaglia schien sich z.B. als alleinige Vertreterin der „Italienischen Linken“ zu betrachten und hatte demnach keine einzige andere bordigistische Gruppe zur Konferenz eingeladen. Diese Vorgehensweise spiegelte sich auch darin wider, dass der Aufruf nicht an die IKS gerichtet war (die schon eine Sektion in Italien hatte), sondern nur an einige territoriale Sektionen der IKS. Dann gab es die plötzliche Bekanntgabe der Gruppe Pour une Intervention Communiste, nicht teilzunehmen, obwohl sie anfänglich dazu bereit gewesen war. In einem Schreiben vom 25.04.1977 behauptet sie, diese Zusammenkunft würde zu keinem Dialog führen. Letztendlich zeigte sich in der Konferenz etwas, das sich später zu einem massiven Problem entwickeln sollte: die Unfähigkeit der Konferenzen, irgendeine gemeinsame Stellungnahme zu verabschieden. Am Ende des Treffens schlug die IKS ein kurzes Statement vor, das die Übereinstimmungen und Meinungsverschiedenheiten, die sich in der Diskussion herausgestellt hatten, klarstellen sollte. Das war für Battaglia schon zu viel. Obwohl diese Gruppe für die Konferenz großartige Ziele hatte: „die Grundzüge einer Plattform grundsätzlicher Prinzipien, um eine gemeinsame Arbeit beginnen zu können; ein internationales Koordinationsbüro“ (dritter Rundbrief des PCInt., Februar 1977), wurde schon vor den allerersten Schritten in diese Richtung die Initiative Battaglias gebremst bei dem Gedanken daran, mit der IKS die noch so bescheidene Zusammenfassung der Übereinstimmungen und Unterschiede zu unterschreiben. Die einzigen Gruppen, die in der Lage waren, an der Konferenz teilzunehmen, waren in der Tat Battaglia und die IKS. Die Communist Workers' Organisation war einverstanden zu kommen, konnte aber aus praktischen Gründen doch nicht teilnehmen – dies war dennoch ein großer Schritt, da sie bislang jeglichen Kontakt mit der IKS, die sie wegen ihrer Analyse des Niedergangs der Russischen Revolution als „konterrevolutionär“ bezeichnete, abgebrochen hatte. Auch die um Munis in Spanien und Frankreich gegründete Gruppe FOR konnte nicht teilnehmen. Die Diskussion hatte trotz allem viele Punkte behandelt und eine Reihe von entscheidenden Fragen erörtert, die in der von der IKS vorgeschlagenen gemeinsamen Stellungnahme zusammengefasst sind. Die Diskussion hatte folgendes hervorgehoben:
Einverständnis über die Tatsache, dass der Kapitalismus in seine Dekadenzphase eingetreten ist, obwohl Differenzen in den Analysen der Ursachen dieser Dekadenz bestehen: die IKS verteidigte die These Rosa Luxemburgs, wonach der Hauptwiderspruch des Kapitalismus in seiner Niedergangsphase die Frage der Realisierung des Mehrwerts ist, während für Battaglia dieser Faktor gegenüber der Senkung der Profitrate zweitrangig ist.
Einverständnis über den Beginn einer neuen Phase akuter ökonomischer Krise.
Kein Einverständnis über die Bedeutung der Klassenbewegung am Ende der 60er Jahre und am Anfang der 70er. Für die IKS war dies das Zeichen des Endes der Konterrevolution, während für Battaglia die Konterrevolution noch andauerte.
Einverständnis über die konterrevolutionäre Rolle der Sozialistischen und Kommunistischen Parteien. Die IKS kritisierte dabei Battaglia, dass sie diese Organisationen lediglich als „opportunistisch“ oder „reformistisch“ bezeichnete, denn solche Attribute können nur für proletarische Organisationen, die von der bürgerlichen Ideologie beeinflusst werden, angewendet werden.
Einverständnis über das Wesen der Gewerkschaften als Organisationen der Bourgeoisie, aber kein Einverständnis über die Intervention ihnen gegenüber. Battaglia verteidigte noch die Notwendigkeit einer Arbeit innerhalb der Gewerkschaften – einschließlich der Möglichkeit, in basisgewerkschaftlichen Fabrikkomitees gewählt zu werden. Gleichzeitig verteidigte Battaglia die Notwendigkeit, ihre eigenen „Fabrikgruppen“ zu bilden, die sie „kommunistische Fabrikgruppen“ oder „kommunistische Gewerkschaftskomitees“ nannte.
Diese Frage der Fabrikgruppen war auch ein Hauptelement der Diskussionen, da Battaglia sie als „einen Keilriemen zwischen Klasse und Partei“ betrachtete, während die IKS die Existenz solcher „Keilriemen“ in der Phase der kapitalistischen Dekadenz leugnete, da die Arbeiterklasse keine dauerhaften Massenorganisationen mehr entstehen lassen kann, um die Gewerkschaften zu ersetzen.
Diese Diskussion hing mit erheblichen Differenzen über die Frage der Partei und des Klassenbewusstseins zusammen: Battaglia vertrat die Auffassung Lenins, wonach die Partei das Bewusstsein „von außen“ zu den Arbeitern bringt. Diese Frage sollte bei der nächsten Konferenz wiederaufgenommen werden. Diese Fragen sind Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten zwischen der IKS und Battaglia (und dem IBRP) seit den Konferenzen (als schwerwiegend kommt hinzu, dass sich das IBRP vom Dekadenzbegriff abgewandt hat – siehe unsere kürzlich veröffentlichten Artikel in der Internationalen Revue). Dieser Widerstreit war dennoch keineswegs der Ausdruck sinnloser Auseinandersetzungen. Battaglia hat sich tatsächlich bezüglich der Gewerkschaftsfrage weiter entwickelt und fügt sogar ihren Fabrikgruppen den Begriff „gewerkschaftlich“ nicht mehr hinzu. Auch zeigten während der Mailänder Konferenz einige der Antworten der IKS auf Battaglia zur Frage des Klassenbewusstseins einen starken „Anti-Leninismus“, den die IKS in den darauf folgenden Jahren in den eigenen Reihen bekämpfen sollte – insbesondere ab 1984 in der Debatte mit denjenigen, die später die FECCI („Externe Fraktion der IKS“) gegründet haben. Kurzum, die Diskussion führte zu Klärungen auf beiden Seiten und war für das gesamte politische Milieu äußerst interessant. Die Konferenz zog eine positive Bilanz ihrer Arbeit, denn es herrschte Übereinstimmung über die Weiterführung dieses Diskussionsprozesses.
Die Tatsache, dass die nächste Konferenz gegenüber der ersten einen wichtigen Schritt vorwärts bedeuten sollte, zeigte die Richtigkeit dieser Schlussfolgerungen. Die nächste Konferenz war viel besser organisiert, die politischen Teilnahmekriterien waren klarer und mehr Organisationen waren anwesend. Zahlreiche Diskussionsbeiträge sowie die Protokolle wurden veröffentlicht (Siehe Band I und II der Broschüre „Zweite Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken“, auf Französisch noch erhältlich).
Diesmal beteiligten sich viele: Battaglia, die IKS, die CWO, der Nucleo Communista Internazionalista (NCI aus Italien), For Kommunismen (Schweden) und das FOR. Drei andere Gruppen waren interessiert, konnten aber nicht teilnehmen: Arbetarmakt (Schweden), Il Leninista aus Italien und die Organisation Communiste Révolutionnaire Internationaliste aus Algerien.
Die Themen der Zusammenkunft waren eine Fortsetzung der Diskussionen auf der ersten Konferenz – die Krise und die ökonomischen Ursachen der kapitalistischen Dekadenz, die Rolle der Partei. Es gab auch eine Diskussion über die nationalen Befreiungskämpfe – Stein des Anstoßes für die meisten Gruppen bordigistischer Tradition. Diese Debatten lieferten einen wichtigen Beitrag im allgemeinen Klärungsprozess. Erstens ermöglichten sie einigen der bei der Konferenz anwesenden Gruppen zu erkennen, dass ausreichend gemeinsame Positionen vorhanden waren, um in einen Prozess der Umgruppierung einzutreten, der den allgemeinen Rahmen der Konferenzen nicht in Frage stellen würde. Dies war der Fall für die IKS und die schwedische Gruppe For Kommunismen. Hinzu kam, dass diese Debatten einen unschätzbaren Bezugspunkt für das gesamte politische Milieu darstellten – einschließlich für die Einzelnen, die keiner bestimmten Gruppe angehörten, aber eine revolutionäre Kohärenz suchten.
Diesmal stellte sich aber das Problem des Sektierertums besonders deutlich.
Die bordigistischen Gruppen waren zur Zweiten Konferenz eingeladen, aber ihre Antwort war ein typischer Ausdruck ihrer Ablehnung der wirklichen Bewegung, ihrer zutiefst sektiererischen Haltung. Die Internationale Kommunistische Partei (IKP) „Florenz“ (die sich 1972 von der bordigistischen Gruppe Programma gespalten hatte und Il Partito Communista veröffentlicht) antwortete, sie möchte mit „Missionaren der Vereinigung“ nichts zu tun haben. Wie wir aber in unserer Antwort „Die Zweite Internationale Konferenz“ (International Review Nr. 16, frz./engl./span. Ausgabe) betonen, war die Vereinigung mit Sicherheit nicht die unmittelbare Absicht: „Die Stunde der Vereinigung der verschiedenen heute bestehenden kommunistischen Gruppen in eine einzige Partei hat noch nicht geschlagen.“
Der gleiche Artikel widmet sich auch der Antwort von Programma: „Nicht viel anders in der Argumentation ist die Antwort der zweiten IKP – Programma. Wichtigster Unterschied ist ihre Vulgarität. Der Titel der Artikels „der Kampf zwischen Fottenti und Fottuti“ (wörtlich: zwischen Fickenden und Gefickten) zeigt schon, auf welches wahrhaftig für andere schwer erreichbare „Niveau“ Programma sich stellt. Muss man annehmen, dass Programma so sehr von stalinistischen Umgangsweisen geprägt ist, dass sie die Gegenüberstellung von Positionen unter Revolutionären nur in Begriffen von „Vergewaltigern und Vergewaltigten“ auffasst? Für Programma ist keine Diskussion möglich unter Gruppen, die sich auf den Kommunismus berufen und dem kommunistischen Lager tatsächlich angehören – vor allem nicht unter diesen Gruppen. Man kann gegebenenfalls mit Trotzkisten und anderen Linken in einem Möchtegern-Soldatenkomitee marschieren oder mit ihnen oder ihresgleichen gemeinsame Flugblätter für die „Verteidigung der Gastarbeiter“ unterschreiben, aber niemals zieht man die Möglichkeit der Diskussion unter kommunistischen Gruppen, nicht einmal unter den vielen bordigistischen Gruppen in Betracht. Da kann es sich nur um einen Machtkampf handeln: wenn man sie nicht zerstören kann, dann zumindest ihre Existenz ignorieren! Vergewaltigung oder Ohnmacht ist die einzige Alternative, die Programma für die kommunistische Bewegung und die Beziehungen unter den Gruppen sieht. Da sie keine andere Auffassung vertritt, glaubt sie sie überall zu erkennen und schreibt sie gern den anderen zu. Eine Internationale Konferenz kommunistischer Gruppen kann in ihren Augen nichts anderes sein und kein anderes Ziel haben, als Mitglieder der anderen Gruppe abzuwerben. Programma hat aus Furcht ohnmächtig zu sein nicht teilgenommen, obwohl der Wunsch zu „vergewaltigen“ sicherlich vorhanden war... Für Programma kann man nur mit sich selber diskutieren. Aus Angst, in einer Auseinandersetzung mit anderen kommunistischen Gruppen den Kürzeren zu ziehen, flüchtet sich Programma lieber in die „Masturbation“. Das ist die Männlichkeit einer Sekte und ihr einziges Mittel der Befriedigung.“
Die IKP hatte auch noch ein anderes Argument hervorgehoben: Die IKS sei parteifeindlich. Andere verweigerten ihre Teilnahme, weil sie gegen die Partei waren – Spartacusbond (Niederlande) und die PIC, die – wie der Artikel es zeigt – die Gesellschaft des sozialdemokratischen linken Flügels der der „Bordigo-Leninisten“ bei Weitem bevorzugte. Und:
„Die Konferenz erlebte durch die Haltung der Gruppe FOR eine Überraschung. Diese hatte ihr volles Einverständnis zur ersten Konferenz in Mailand und zur zweiten gegeben, mit Diskussionstexten beigetragen, zog sich aber bei der Eröffnung der Konferenz mit dem Argument zurück, sie sei mit dem ersten Punkt auf der Tagesordnung – der Entwicklung der Krise und ihrer Perspektiven - nicht einverstanden. Das FOR entwickelte die These, dass sich der Kapitalismus in keiner ökonomischen Krise befand. Die jetzige Krise sei nur eine konjunkturelle, wie der Kapitalismus sie im Laufe ihrer Geschichte immer wieder erlebt und überwunden habe. Sie eröffne demnach keine neue Perspektive, und schon gar nicht eine Wiederaufnahme der proletarischen Kämpfe, sondern eher das Gegenteil. Das FOR stellte die These einer von der ökonomischen Situation völlig unabhängigen „Zivilisationskrise“ auf. Man findet in dieser These den Beigeschmack des Modernismus als Erbe des Situationismus wieder. Wir werden hier keine Debatte eröffnen, um zu beweisen, dass es für die Marxisten absurd erscheint, von Dekadenz und Zusammenbruch einer historischen Gesellschaft zu sprechen, indem man sich ausschließlich auf infrastrukturelle und kulturelle Phänomene beruft, ohne sich auf die ökonomische Struktur zu beziehen, und gleichzeitig behauptet, diese Struktur – Grundlage jeder Gesellschaftsform – werde immer stärker und blühe förmlich auf. Diese Gedankengänge ähneln mehr den Hirngespinsten eines Marcuse als Marxens Denken. Auf diese Weise gründet das FOR die revolutionäre Tätigkeit weniger auf einen objektiven ökonomischen Determinismus als vielmehr auf den subjektiven Voluntarismus, der alle Protestler kennzeichnet. Wir sollten der Frage aber nachgehen, ob diese Verirrungen die wirkliche Ursache dafür sind, dass das FOR die Konferenz verlassen hat? Bei weitem nicht. In der Ablehnung der Teilnahme an der Konferenz und an der Debatte drückt sich vor allem der Cliquengeist des Jeder-für-sich aus, der die sich auf den Linkskommunismus berufenden Gruppen noch so stark prägt“.[i] [5]
Es war in der Tat relativ eindeutig, dass das Sektierertum ein Problem als solches darstellte. Dennoch lehnte die Konferenz den Vorschlag der IKS ab, eine gemeinsame Stellungnahme zur Verurteilung solcher Verhaltensweisen zu verabschieden (obwohl der Nucleo dies unterstützt hätte): nicht die Haltung der Gruppen sei das Problem, sondern ihre politischen Divergenzen. Dies stimmte für Gruppen wie den Spartacusbond oder die PIC, die aufgrund ihrer Ablehnung der Klassenpartei die Kriterien der Konferenz nicht annehmen konnten. Falsch ist aber die Idee, dass die politische Aktivität einzig und allein aus der Verteidigung oder Ablehnung politischer Positionen besteht. Die Haltung, der Werdegang, das Verhalten und die organisatorische Praxis der politischen Gruppen und ihrer Mitglieder sind ebenso maßgeblich, und die sektiererische Haltung fällt selbstverständlich unter diese Kategorie.
Wir haben vom IBRP angesichts verschiedener Krisen innerhalb der IKS die gleiche Antwort bekommen. Für sie ist der Versuch, interne Krisen als Ausdruck des Zirkelgeistes, des Klanverhaltens oder des Parasitismus zu verstehen, nichts als eine Vermeidung „politischer“ Debatten, gar eine bewusste Verschleierung. Mit dieser Auffassung kann man alle organisatorischen Probleme der IKS mit ihrer irrtümlichen Analyse der internationalen Situation oder der historischen Periode erklären; der tägliche Einfluss der bürgerlichen Gewohnheiten und Ideologie innerhalb der proletarischen Organisationen ist einfach ohne Belang. Der eindeutigste Beweis, dass die IBRP dafür absichtlich blind ist, ist ihre bedauernswerte Reaktion auf die letzten Angriffe der parasitären FICCI und des Abenteurers, der hinter dem „Circulo“ in Argentinien steckt, gegen die IKS. Unfähig, die wirklichen Beweggründe dieser Gruppen zu sehen, die nichts mit der Klärung politischer Differenzen zu tun haben, wurde das IBRP zum unmittelbaren Komplizen ihrer zerstörerischen Machenschaften.[ii] [5] Die Fragen des Verhaltens sind keine falschen Fragen für das proletarische politische Leben. Vielmehr sind sie eine Prinzipienfrage – die Frage eines Prinzips, das mit einem lebenswichtigen Anliegen jeder Organisationsform der Arbeiterklasse einhergeht: die Anerkennung eines gemeinsamen Interesses, das den Interessen der Bourgeoisie entgegengesetzt ist. Kurzum, die Notwendigkeit der Solidarität – keine proletarische Organisation kann diese elementare Notwendigkeit ignorieren, ohne dafür zu büßen. Dies gilt auch für das Sektierertum, das auch die solidarischen Bande unter den Organisationen der Arbeiterklasse abschwächt. Die Weigerung der Zweiten Konferenz, das Sektierertum zu verurteilen, hat der Grundlage dieser Reihe von Konferenzen selbst – die dringende Notwendigkeit, über den Tellerrand zu gucken und die wirkliche Einheit der revolutionären Bewegung voranzutreiben – einen Schlag versetzt. Mit ihrer Ablehnung jeglicher gemeinsamen Stellungnahme, fiel sie umso mehr in die Falle des Sektierertums.
Die Definition von Marx lautete: „Die Sekte sucht ihre raison d'être und ihren point d'honneur [Daseinsberechtigung und Ehre] nicht in dem, was sie mit der Klassenbewegung gemein hat, sondern in dem besonderen Schibboleth, das sie von ihr unterscheidet." (Marx an Schweitzer 13/10/1868, Briefwechsel...). Sie beschreibt genau die Haltung der großen Mehrheit der Gruppen, die an den internationalen Konferenzen teilgenommen haben.
Obwohl wir in Bezug auf die Arbeit der Zweiten Konferenz optimistisch blieben, da sie einen bedeutsamen Fortschritt gegenüber der ersten bedeutete, waren Anzeichen von Gefahr doch erkennbar. Sie bestätigten sich bei der Dritten Konferenz. Die teilnehmenden Gruppen waren: die IKS, Battaglia, die CWO, l’Eveil Internationaliste, die Nuclei Leninisti Internazionalisti (entstanden aus der Fusion zwischen dem Nucleo und Il Leninista), die Organisation communiste révolutionnaire d’Algérie (war selbst nicht anwesend, sondern wurde vertreten) und die Groupe communiste internationaliste als „Beobachter“.[iii] [5]
Die wichtigsten Fragen auf der Tagesordnung waren erneut die Krise und ihre Perspektiven sowie die Aufgaben der Revolutionäre heute. Die von der IKS gezogene Bilanz: „Einige allgemeinen Bemerkungen zu den Beiträgen für die dritte internationale Konferenz“ (erschienen in der Broschüre Die Dritte Konferenz) stellte einige wichtige Übereinstimmungspunkte als Grundlage der Konferenz heraus:
Der Kapitalismus steht vor einer sich vertiefenden Krise, die das System zu einem dritten Weltkrieg führt;
Dieser Krieg wird imperialistisch sein und die Revolutionäre müssen beide Lager verurteilen;
Die Kommunisten müssen als Ziel haben, zu der revolutionären Aktion ihrer Klasse beizutragen, die allein der Entwicklung zum Krieg entgegentreten kann;
Die Arbeiterklasse muss sich vom Einfluss der angeblichen „Arbeiterparteien“ und Gewerkschaften befreien, und auf dieser Ebene ist die Aktivität der Revolutionäre unerlässlich.
Der Texte vermerkt auch, dass bedeutende Differenzen über den historischen Kurs insbesondere mit Battaglia bestehen: Sie behauptete, es könne gleichzeitig einen Kurs zum Krieg und einen Kurs zur Revolution geben und es sei nicht die Aufgabe der Revolutionäre zu entscheiden, welcher sich durchsetzen würde. Die IKS wiederum stützte sich auf die Methode der Italienischen Fraktion in den 30er Jahren und unterstrich die Tatsache, dass ein Kurs zum Krieg nur auf der Grundlage einer Schwächung und Niederlage der Arbeiterklasse entstehen kann und dass die Klasse, wenn sie sich in einer Dynamik zur revolutionären Konfrontation mit dem Kapitalismus befindet, für einen Krieg nicht angeworben werden kann. Sie fügte hinzu, es sei für die Revolutionäre von herausragender Bedeutung, die möglichst klarste Position zu der vorherrschenden Tendenz zu haben, da die Form und der Inhalt ihrer Tätigkeit auf einer Analyse über den historischen Kurses gründet.
Die Frage der Fabrikgruppen war wieder ein Reibungspunkt für die anwesenden Gruppen. Während Battaglia sie als ein Mittel zur Entwicklung einer reellen und konkreten Einflussnahme innerhalb der Klasse präsentierte, stellte diese Auffassung für die IKS eher die Sehnsucht dar nach der längst verflossenen Zeit der permanenten Organisationen der Arbeiterklasse (z.B. der Gewerkschaften). Der Gedanke, die kleinen revolutionären Gruppen von heute könnten ein solches Netz, einen „Keilriemen zwischen der Partei und der Klasse“ schaffen, zeugte von einem gewissen Größenwahn bezüglich der tatsächlichen Möglichkeiten revolutionärer Tätigkeit zu dieser Zeit.
Die Diskrepanz zwischen dieser Auffassung und einem wirklichen Verständnis der reellen Bewegung konnte eine bedenkliche Unterschätzung der tatsächlichen Arbeit der Revolutionäre zur Folge haben und verhindern, dass eine Intervention in den Organisationsformen, die anfänglich in den Kämpfen des Proletariats 1978-80 entstanden waren, als notwendig erachtet wurde: nicht nur in den Vollversammlungen und Streikkomitees (die zwar am spektakulärsten in Polen auftraten, aber auch schon im Streik der Hafenarbeiter von Rotterdam zu finden waren), sondern auch in den Gruppen und Zirkeln, die kämpferische Minderheiten während oder am Ende der Streiks ins Leben riefen. In dieser Frage war die Auffassung der IKS der der NLI und deren Kritik des „Fabrikgruppen“-Schemas Battaglias ähnlich. Jegliche Möglichkeit, die Diskussion zu dieser Frage oder anderen zu führen, wurde aber durch den endgültigen Sieg des Sektierertums in den Konferenzen restlos vernichtet. Zuerst wurde der Vorschlag der IKS abgelehnt, eine gemeinsame Erklärung angesichts der Kriegsdrohung zu verfassen, die in Folge des Einmarsches Russlands in Afghanistan zu dieser Zeit besondere Brisanz besaß:
„Die IKS forderte die Konferenz auf, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, und schlug eine Resolution vor, um gemeinsam die Haltung der Revolutionäre gegenüber dem Krieg zu bekräftigen. Der PCInt und dann die CWO und l’Eveil Internationaliste lehnten ab. Die Konferenz blieb stumm. Aufgrund der Kriterien für die Teilnahme an der Konferenz teilten alle anwesenden Gruppen zweifellos die gleiche grundlegende Position über die Haltung, die das Proletariat im Falle der Gefahr eines weltweiten Konfliktes einzunehmen hat. „Wir unterschreiben nicht mit irgendjemand, das wäre opportunistisch“, sagen uns die Befürworter des Schweigens. Wir antworten: Opportunismus bedeutet, Prinzipien bei der erstbesten Gelegenheit zu verraten. Wir schlugen nicht vor, ein Prinzip zu verraten, sondern es so kraftvoll wie möglich zu bekräftigen. Das internationalistische Prinzip ist eins der höchsten und wichtigsten für den proletarischen Kampf. Unabhängig davon, welche Differenzen zwischen den internationalistischen Gruppen ansonsten bestehen, gibt es nur wenige politische Organisationen auf der Welt, die dieses Prinzip konsequent verteidigen. Die Konferenz musste zum Krieg Stellung beziehen und dies so laut wie möglich. Der Inhalt dieser glänzenden „nicht opportunistischen“ Schlussfolgerung lautet: Da die revolutionären Organisationen nicht in allen Fragen eine Einigung erreicht haben, dürfen sie nicht zu den Fragen sprechen, über die sie seit langem einverstanden sind. Die Besonderheiten jeder Gruppen sind wichtiger als das Gemeinsame. Genau das ist Sektierertum. Das Schweigen der drei Konferenzen ist der klarste Ausdruck der Machtlosigkeit, zu der das Sektierertum führt.“ (International Review Nr. 22 „Das Sektierertum – Erbe der Konterrevolution“).
Das Problem ist nicht verschwunden: 1999 und 2003 trat es bei dem Vorschlag der IKS, gemeinsame Erklärungen zu den Kriegen in Jugoslawien und Irak zu verfassen, wieder auf.
Ferner wurde die Debatte plötzlich unterbrochen, als am Ende der Versammlung Battaglia und die CWO ein neues Kriterium hervorholten, das die IKS wegen ihrer Position zur Ablehnung der Machtergreifung durch die Partei in einer revolutionären Phase herausdrängen sollte. Dieses neue Kriterium lautete: „Die proletarische Partei ist zur politischen Führung der revolutionären Klassenbewegung und der revolutionären Macht selbst notwendig.“ Dies bedeutete, die Debatte zu schließen, bevor sie überhaupt anfangen konnte. Für Battaglia war es das Zeichen eines Ausleseprozesses, das die „Spontaneisten“ aus den Reihen der Konferenz aussondern sollte, damit nur diejenigen bleiben, die ernsthaft an der Bildung einer revolutionären Partei interessiert sind. Tatsächlich waren aber alle anwesenden Gruppen de facto an der langfristigen Bildung der Partei beteiligt. Nur die Diskussion in Verbindung mit der wirklichen Praxis der Revolutionäre konnte die wichtigsten Differenzen zur Struktur und Funktion der Partei beseitigen.
Das Kriterium von Battaglia und der CWO zeigt, dass diese Gruppen selbst zu keiner klaren Position zur Rolle der Partei gelangt waren. Zur Zeit der Konferenz und trotz der großen Phrasen über die Partei als „Kapitän der Klasse“ betonte Battaglia die Notwendigkeit für diese, sich vom Staat zu unterscheiden. Dabei verwarf sie eindeutig die „offener“ bordigistische Auffassung, die die Diktatur der Partei vertritt. Bei der Zweiten Konferenz hatte die CWO vor allem gegen die Kritik der IKS an den „substitutionistischen“ Fehlern der Bolschewiki polemisiert und entschieden behauptet, dass die Partei die Macht ergreife, wenngleich das „durch“ die Räte erfolgen soll. Diese beiden Gruppen konnten also schwer verkünden, die Debatte sei „beendet“. Der Grund, weshalb Battaglia (die die Konferenzen ohne Kriterien begonnen hatte und jetzt fanatisch besonders „selektive“ Kriterien hervorholte) dieses Kriterium in den Vordergrund stellte, war keineswegs der Wille zur Klärung, sondern vielmehr der sektiererische Drang, die IKS als die zu vernichtende Rivalin loszuwerden, um sich als der einzige internationale Pol der Umgruppierung hervorzutun. Diese Politik wurde in den 80er und 90er Jahren immer mehr zur Theorie und Praxis des IBRP. Sie führte zu der Aufgabe des Konzeptes eines proletarischen Lagers und zu der Selbsternennung als die einzige Kraft, die die Errichtung der Weltpartei vorantreiben könne. Wichtig ist auch zu verstehen, dass die andere Seite des Sektierertums der Opportunismus, der Schacher mit Prinzipien ist. Das hat die Methode gezeigt, mit welcher Battaglia dieses neue Kriterium aus dem Hut gezaubert und zur Abstimmung gebracht hat (nach Verhandlungen mit der CWO hinter den Kulissen): genau zu dem Zeitpunkt, als die einzige Gruppe, die ebenso dagegen war (die NCI), die Konferenz schon verlassen hatte (solche Manöver gehören zur Methode der bürgerlichen Parlamente und haben definitiv nichts in einer Versammlung kommunistischer Gruppen zu suchen).
Der Brief der IKS an Battaglia nach der Konferenz (in der Broschüre Die Dritte Konferenz veröffentlicht) zeigt gegenüber solchen Methoden, was eine verantwortliche Haltung gewesen wäre: „Wenn Ihr tatsächlich dachtet, es sei an der Zeit, ein zusätzliches, viel selektiveres Kriterium für die Einladung zu zukünftigen Konferenzen einzufügen, wäre die einzige ernsthafte, verantwortungsvolle Haltung gewesen, die mit dem Bestreben nach der notwendigen brüderlichen Klärung und Diskussion unter revolutionäre Gruppen zu vereinbaren ist, die Konferenz aufzufordern, diese Frage explizit auf die Tagesordnung zu stellen und entsprechende Diskussionstexte vorzubereiten. Dennoch habt Ihr zu keinem Zeitpunkt während der Vorbereitung auf die Dritte Konferenz diese Frage ausdrücklich angesprochen. Erst nach Verhandlungen mit der CWO hinter den Kulissen habt Ihr am Ende der Konferenz Eure kleine Bombe platzen lassen.
Wie soll man Eure Kehrtwendung und die vorsätzliche Verheimlichung Eurer wirklichen Absichten verstehen? Wir können schwer etwas anderes darin erkennen als den Willen die Grundsatzdebatte zu vermeiden, die der Einführung eines zusätzlichen Kriteriums zur Frage der Partei eventuell einen Sinn verliehen hätte. Obwohl wir der Meinung waren, eine „Selektion“ sei auch nach einer solchen Diskussion sehr verfrüht, schlugen wir, gerade um diese Grundsatzdebatte zu führen, für die Tagesordnung der nächsten Konferenz folgende Frage vor: „die Frage der Partei – ihre Natur, Funktion und das Verhältnis zwischen Partei und Klasse ausgehend von der historischen Darstellung dieser Frage in der Arbeiterbewegung und der historischen Beweisführung dieser Konzepte“ (von der IKS vorgeschlagener Resolutionsentwurf). Genau dieser Diskussion wolltet Ihr aus dem Weg gehen (stört sie Euch so sehr?). Dies wurde sehr deutlich, als Ihr Euch am Ende der Konferenz geweigert habt, eine Erklärung zu Eurem Vorschlag für ein Kriterium zu liefern: „die proletarische Partei als notwendiges Organ der politischen Führung der revolutionären Klassenbewegung und der revolutionären Macht selbst.“ Allen Teilnehmern war klar, dass Eure einzige Absicht nicht die Klärung der Debatte war, sondern die Konferenzen sollten sich der Elemente – unter anderen der IKS - „entledigen“ , die Ihr als „spontaneistisch“ bezeichnet hattet.
Eine solche Vorgehensweise verrät die größte Geringschätzung gegenüber den teilnehmenden Gruppen – sowohl den anwesenden als noch vielmehr denjenigen, die aus materiellen Gründen nicht hatten kommen können, und darüber hinaus des gesamten revolutionären Milieus, für welches die Konferenzen eine Referenz waren; sie scheint auch darauf hinzudeuten, dass Battaglia Communista die Konferenzen als IHR Ding betrachtete, das sie nach Gutdünken aufbauen oder zerstören kann.
Nein Genossen! Die Konferenzen waren nicht Battaglias Eigentum, nicht einmal dasjenige der sie organisierenden Gruppen. Sie gehören dem Proletariat, sind eine Etappe auf seinem mühsamen Weg zur Bewusstwerdung und zur Revolution. Keine Gruppe hat das Recht auf ihr Bestehen oder ihre Auflösung, weder aufgrund einer Laune noch wegen der ängstlichen Weigerung, über die Probleme, mit denen die Klasse konfrontiert ist, vertieft zu diskutieren.“
Der Opportunismus, der sich in der Vorgehensweise von Battaglia und der CWO gezeigt hatte, wurde in der vierten Konferenz in London 1982 voll bestätigt. Es wurde ein Flop in puncto Organisation: viel weniger Teilnehmer als bei den vorigen Konferenzen, keine veröffentlichten Texte oder Protokolle, keine Fortsetzung. Außerdem ein gefährliches Aufweichen der Prinzipien, denn die einzige anwesende Gruppe waren die Unterstützer der Einheit Kommunistischer Militanter (SUCM) – eine radikale stalinistische Gruppe in direkter Verbindung mit dem kurdischen Nationalismus, die sich jetzt Kommunistische Partei der Arbeiter Irans nennt (auch bekannt unter dem Namen „Hekhmatisten“). Die sektiererische „Strenge“ gegenüber der IKS und dem proletarischen Milieu ging mit einer sehr nachgiebigen Haltung gegenüber der Konterrevolution einher. Wie wir es in dem Artikel „Polemik mit dem IBRP: eine opportunistische Umgruppierungspolitik führt lediglich zu Fehlgeburtent“ (Internationale Revue Nr. 36) zeigten, sollte das IBRP unverhohlen diese opportunistische Auffassung der Umgruppierung noch öfters vertreten.
Die 70er Jahre waren für die revolutionäre Bewegung, die noch die Früchte des ersten Ansturms von Arbeiterkämpfen am Ende der 60er Jahre erntete, Wachstumsjahre. Seit Anfang der 80er Jahre war aber das politische Umfeld erheblich düsterer. Der Einmarsch Russlands in Afghanistan und die aggressive Antwort der USA darauf machten eine Zuspitzung der interimperialistischen Konflikte deutlich; die damit verbundene Gefahr eines Weltkrieges nahm Form an. Die Bourgeoisie verkündete immer weniger eine strahlende Zukunft und immer mehr den Realismus, dessen Symbol die Politik der „Eisernen Lady“ in Großbritannien wurde.
Zu Anfang des Jahrzehnts erkannte die IKS, dass die Jahre der Illusionen vorbei waren und die Jahre der Wahrheit begannen. Mit der dramatischen Vertiefung der Krise und der Beschleunigung der Kriegsvorbereitungen konfrontiert, vertraten wir die Ansicht, dass die Arbeiterklasse ihre Kämpfe auf ein höheres Niveau stellen müsse und dass das kommende Jahrzehnt für das weitere Schicksal des Kapitalismus entscheidend sein könne. Das Proletariat war gezwungen, den Klassenkampf auf eine höhere Stufe zu stellen. Im August 1980 kam in Polen der klassische Massenstreik hervor, der die Fähigkeit der Arbeiterklasse, sich auf der Ebene eines ganzen Landes zu organisieren, erneut aufzeigte. Obwohl diese Bewegung isoliert blieb und letztendlich brutal niedergeschlagen wurde, zeigte die in Belgien 1983 begonnene Kampfeswelle, dass die Arbeiter der westeuropäischen Schlüsselländer bereit waren, auf die durch die Krise bedingten vermehrten Angriffe auf ihre Lebensbedingungen zu antworten. Die Revolutionäre hatten zahlreiche und wichtige Gelegenheiten, in der darauf folgenden Bewegung zu intervenieren, dennoch war es keine „einfache“ Zeit für die Mitgliedschaft in einer kommunistischen Organisation. Der Ernst der Lage forderte zu viel von denjenigen, die zu einem langfristigen Engagement für die Sache des Kommunismus nicht bereit waren oder die sich mit vielen von den „happy days“ der 60er Jahre geerbten kleinbürgerlichen Illusionen in der Bewegung verirrt hatten. Hinzu kommt, dass die damaligen Kämpfe, so wichtig sie waren, es nicht schafften, ein ausreichendes Niveau von Politisierung zu erreichen. Der Kampf der englischen Bergarbeiter, des Schulpersonals in Italien, der Eisenbahner in Frankreich, der Generalstreik in Dänemark ... – all diese Kämpfe und andere mehr waren Ausdruck des offenen Misstrauens einer nicht besiegten Klasse, die den Weg der Bourgeoisie zum Weltkrieg versperrte. Sie waren aber nicht in der Lage, die Perspektive einer neuen Gesellschaft aufzuzeigen und haben das Potential des Proletariats als revolutionäre Klasse der Zukunft nicht deutlich herausgestellt. Sie haben auf Grund dessen keine neue Generation von proletarischen Gruppen und Militanten hervorgebracht.
Das globale Ergebnis dieses Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen war das, was wir die Phase des kapitalistischen Zerfalls genannt haben, in welcher keine der beiden historischen Klassen ihre eigene Perspektive durchzusetzen vermag: weltweiten imperialistischen Krieg oder proletarische Revolution. Die „Jahre der Wahrheit“ sollten die ganze Schwäche des proletarischen Milieus gnadenlos offenbaren. Die IKP (Programma) wurde Anfang der 80er Jahre von einer verheerende Krise infolge eines Geburtsgebrechens ihres programmatischen Gerüstes geschüttelt – insbesondere die Frage der nationalen Befreiungskämpfe führte zu einem Eindringen linker und nationalistischer Elemente in ihre Reihen. Die Krise der IKS von 1981 (die in die Abspaltung der „Chénier“-Tendenz mündete) war weitestgehend der Preis, den die IKS für ihr schwaches Verständnis organisatorischer Fragen zu zahlen hatte. Der Bruch mit der „Externen Fraktion der IKS“ (FECCI) zeigte außerdem, dass unsere Organisation die Überreste rätistischer Auffassungen ihrer Anfangsjahre noch nicht überwunden hatte. 1985 bildete sich das IBRP aufgrund einer Verbindung zwischen Battaglia und der CWO. Die IKS bezeichnete diesen Zusammenschluss als „opportunistischen Bluff“. Die darauf folgende Unfähigkeit des IBRPs, eine wirklich zentralisierte internationale Organisation aufzubauen, hat dies bestätigt.
All diese Schwierigkeiten wären gewiss nicht aufgetreten, wenn die Konferenzen nicht Anfang des Jahrzehnts sabotiert worden wären. Aber das Fehlen von Konferenzen bedeutete einmal mehr, dass das proletarische Milieu ungeordnet ihnen entgegentreten musste. Bezeichnenderweise sind die Konferenzen am Vorabend des Massenstreiks in Polen gescheitert; damit wurde die Unfähigkeit des proletarischen Milieus deutlich, nicht nur zur Frage des Krieges, sondern auch angesichts eines derart offenen und anregenden Ausdrucks der proletarischen Alternative mit einer einzigen Stimme zu sprechen.
Die Schwierigkeiten, mit denen das heutige politische proletarische Milieu konfrontiert ist, sind keineswegs das Produkt des Scheiterns der internationalen Konferenzen. Wie wir gesehen haben, liegen die Wurzeln viel tiefer und breiter. Aber der Mangel an einem organisierten Rahmen der politischen Debatte und Zusammenarbeit hat zu ihrer Verstärkung beigetragen.
Die Entstehung einer neuen Generation von proletarischen Gruppen und Elementen wird sicherlich in Zukunft das Bedürfnis nach einem organisierten Rahmen hervorbringen. Eine der ersten Initiative des NCI in Argentinien war ein Vorschlag in dieser Richtung. Fast die gesamten Gruppen des proletarischen Milieus haben abschlägig reagiert. Solche Vorschläge werden aber wieder gemacht werden, auch wenn die Mehrheit der „etablierten“ Gruppen immer weniger in der Lage ist, einen einigermaßen positiven Beitrag zur Entwicklung der Bewegung zu liefern. Wenn diese Vorschläge fruchten, wird man sich die Lehren aus den Konferenzen 1976-1980 aneignen müssen.
In Ihrem Schreiben an Battaglia in der Broschüre „Die Dritte Konferenz“ zieht die IKS die wichtigsten Lehren:
„Wichtigkeit dieser Konferenzen für das revolutionäre Milieu und die gesamte Klasse,
Notwendigkeit von Kriterien,
Notwendigkeit, Stellung zu beziehen,
Ablehnung von überstürztem Verhalten,
Notwendigkeit der tiefstmöglichen Diskussion über die entscheidenden Fragen, mit denen das Proletariat konfrontiert ist.“
Wenn sich die neue Generation diese Lehren zu Eigen macht, dann wird der erste Zyklus internationaler Konferenzen in seiner Aufgabe nicht gänzlich gescheitert sein.
Amos
Einige der erwähnten Gruppen sind später verschwunden.
Eine der letzten Gruppen der Kommunistischen Holländischen Linken, die aber in den 70er Jahren nur noch ein Schatten des Rätekommunismus der 30er Jahre und des Spartacusbond der Nachkriegszeit war, der die Notwendigkeit einer proletarischen Partei anerkannt hatte.
Schwedische Gruppe mit einer seltsamen Mischung aus Rätekommunismus und linker Ideologie.
Sie bezeichnete die UdSSR als „staatsbürokratische Produktionsweise“, unterstützte die nationalen Befreiungskämpfe und die Arbeit in den Gewerkschaften. Erheblich Differenzen waren vorhanden und einige der Mitglieder verließen sie Ende der 70er Jahre und schlossen sich der IKS an.
Ende 1973 aus der IKS ausgetreten, weil diese angeblich nicht ausreichend intervenieren würde (für die PIC war Intervention gleichbedeutend mit: Unmengen an Flugblättern produzieren). Die Gruppe orientierte sich relativ schnell hin zu halb-rätistischen Positionen und verschwand.
Aus der IKP (Programma) in Italien Ende der 70er Jahre entstanden, hatte diese Gruppe anfänglich eine viel offenere Haltung gegenüber der Tradition von Bilan und dem bestehenden proletarischen Milieu, wie man in ihren Interventionen während der Konferenz feststellen kann. Zur Zeit der Dritten Konferenz fusionierte sie mit Il Leninista und gründete die Nuclei Leninisti Internazionalisti. Später entstand die Organizzazione Comunista Internazionalista, die sich aber zu den Linken entwickelte. Die ursprüngliche Schwäche der NCI zur nationalen Frage bildete einen fruchtbaren Boden und verfestigte sich: die OCI unterstützte offen Serbien im Krieg 1999 und den Irak in beiden Golfkriegen.
Formento Obrero Revolucionario
Entstand Ende der 70er Jahre infolge eines Bruchs mit dem Maoismus. Hat bei der Dritten Konferenz alle anderen Gruppen über ihre Unzulänglichkeiten in Theorie und Intervention belehrt und ist kurz darauf spurlos verschwunden.
Auch
bekannt unter dem Namen TIL (nach ihrer Zeitschrift Travailleurs Immigrés
en Lutte), unterstützte sie die Konferenzen, konnte aber aus
Sicherheitsgründen angeblich nicht teilnehmen. Tatsächlich war dies Teil eines
größeren Problems: die Konfrontation mit dem revolutionären Milieu zu
vermeiden. Sie überlebte noch bis in die 80er Jahre.
[i] [5] Das FOR scheint einen nachträglichen Sieg bei der Konferenz errungen zu haben. Es gibt nämlich eine frappierende Ähnlichkeit zwischen seiner Idee, die kapitalistische Gesellschaft, aber nicht die kapitalistische Wirtschaft sei dekadent und der neuen Entdeckung des IBRP, die zwischen der kapitalistischen (nicht dekadenten) Produktionsweise und dem gesellschaftlichen (dekadenten) Überbau unterscheidet. Siehe insbesondere den Text von Battaglia: Dekadenz und Zerfall, Produkte der Konfusion sowie unsere Antwort auf unserer französischsprachigen Webseite.
[ii] [5] siehe den „Offenen Brief an die Genossen des IBRP“ auf unserer Webseite.
[iii] [5] Die Haltung der GCI bei der Konferenz zeigte, wie wir es in der International Review Nr. 22 gezeigt haben, dass diese Gruppe keinen Platz in einer Zusammenkunft von Revolutionären hatte. Obwohl die IKS zur Zeit der Konferenzen ihre Auffassung des politischen Parasitentums noch nicht entwickelt hatte, konnte man bei der GCI alle Charakteristiken dessen finden. Sie war nur zur Konferenz gekommen, um sie als „Betrug“ zu denunzieren, betonte, sie sei nur als Beobachterin gekommen, habe jederzeit das Recht, das Wort zu allen Fragen zu ergreifen, und verursachte fast eine Schlägerei. Kurzum, diese Gruppe existiert, um das proletarische Milieu zu sabotieren. Bei der Konferenz schwenkte sie große Reden über den revolutionären Defätismus und den Internationalismus in Aktion und nicht in Worten. Wie viel wert diese Phrasen waren, kann man an den Lobliedern, die die GCI später über die nationalistischen Gangs in Peru und El Salvador gesungen hat, und an ihrer aktuellen Auffassung über einen proletarischen Kern des „Widerstandes“ im Irak messen.
Gegenüber dem Krieg, der im Nahen und Mittleren Osten ständig wütet, und neulich wieder gegenüber dem Konflikt zwischen Israel und Libanon, vertreten die Revolutionäre eine klare Position. Deshalb unterstützen wir voll und ganz die wenigen internationalistischen und revolutionären Stimmen, die in dieser Region zu vernehmen waren, wie die der Gruppe Enternasyonalist Komunist Sol der Türkei. In ihrer Stellungnahme zur Lage im Libanon und Palästina, die wir in den verschiedenen Organen unserer territorialen Presse veröffentlicht haben, verwirft diese Gruppe entschlossen jede Unterstützung der aufeinander prallenden rivalisierenden bürgerlichen Cliquen und Fraktionen, deren direkte Opfer Millionen Proletarier sind, ob sie nun palästinensischen, jüdischen, schiitischen, sunnitischen, kurdischen, drusischen oder anderen Ursprungs sind. Diese Gruppe hat zu Recht hervorgehoben: „Der Imperialismus ist die natürliche Politik eines jeden Nationalstaates und einer jeden Organisation, die wie ein Nationalstaat funktioniert“. Sie hat ebenso die folgende Tatsache angeprangert: “In der Türkei als auch in der übrigen Welt gewährte eine große Mehrheit der Linksextremisten der PLO und der Hamas völlige Unterstützung. Im letzten Konflikt sagten sie einstimmig: „Wir alle sind Hisbollah“. Der Logik „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ folgend, umarten sie innig diese gewalttätige Organisation, die ihre Arbeiterklasse in einen katastrophalen nationalistischen Krieg stieß. Die Unterstützung, die die Linksextremisten dem Nationalismus gewährten, zeigt uns, warum Linksextremisten nicht viel anderes sagen als Parteien wie die MHP (Partei der nationalistischen Bewegung – die faschistischen Grauen Wölfe)… Sowohl der Krieg zwischen der Hisbollah und Israel als auch der Krieg in Palästina ist ein imperialistischer Konflikt, und alle Seiten benutzen den Nationalismus, um die Arbeiter ihrer Territorien auf ihre Seite zu ziehen. Je mehr die Arbeiter vom Nationalismus aufgesaugt werden, desto mehr werden sie die Fähigkeit verlieren, als Klasse zu handeln. Daher dürfen Israel, die Hisbollah, die PLO oder die Hamas unter keinen Umständen unterstützt werden.“ (siehe Weltrevolution Nr. 138). Dies belegt, dass die proletarische Perspektive immer noch vorhanden ist und sich nicht nur durch die Entwicklung der Kämpfe der Arbeiterklasse überall auf der Welt äußert (in Europa, USA, Lateinamerika, Indien oder Bangladesh), sondern auch durch das Auftauchen von kleinen Gruppen und politisierten Leuten in verschiedenen Ländern, die bestrebt sind, internationalistische Positionen zu verteidigen, welche das herausragende Merkmal proletarischer Politik sind.
Der Krieg im Libanon vom letzten Sommer war eine neue Etappe zu einem weiteren Blutvergießen im ganzen Nahen und Mittleren Osten. Die Welt versinkt in einem immer weniger kontrollierbaren Chaos, einem Krieg, zu dem alle imperialistischen Mächte der angeblichen ‚internationalen Weltgemeinschaft’ beigetragen haben, von den größten bis zu den kleinsten Staaten. 7000 Luftangriffe allein auf libanesisches Territorium, abgesehen von den unzähligen Raketenangriffen auf Nordisrael, mehr als 1200 Tote im Libanon und Israel (darunter mehr als 300 Kinder unter 12 Jahren), mehr als 5000 Verletzte, eine Million Zivilisten, die vor den Bomben und Kämpfen flüchten mussten. Andere, die zu arm sind zu fliehen, suchen irgendwo total verängstigt Schutz. Ganze Stadtviertel und Dörfer in Schutt und Asche gelegt, überfüllte Krankenhäuser: Dies ist die Bilanz eines Monats Krieg im Libanon und in Israel nach der Tsahal-Offensive, die dazu dienen sollte, den wachsenden Einfluss der Hisbollah einzudämmen, und eine Reaktion auf eine der zahlreichen tödlichen Angriffe der islamistischen Milizen über die israelisch-libanesische Grenze hinweg war. Man schätzt den wirtschaftlichen Schaden auf mehr als 6 Milliarden Euro, zusätzlich zu den militärischen Kosten des Krieges.
Der israelische Staat hat mit einer unglaublichen Brutalität, Wildheit und Besessenheit eine Politik der verbrannten Erde gegenüber der Zivilbevölkerung in den Dörfern des Südlibanons praktiziert. Die Menschen wurden aus ihren Wohngebieten vertrieben, man überließ sie dem Hunger, ohne Wasser, den schlimmsten Epidemien ausgesetzt. 90 Brücken und zahlreiche Verkehrswege wurden systematisch zerstört (Straßen, Autobahnen…), drei Elektrizitätswerke und Tausende von Wohnungen vernichtet, durch die pausenlosen Bombardierungen wurde eine Umweltkatastrophe ausgelöst. Die israelische Regierung und ihre Armee erklärten unaufhörlich, man wolle die ‚Zivilisten verschonen’. Massaker wie das in Kanaa wurden als ‚bedauerliche Unfälle’ dargestellt (wie die berühmten ‚Kollateralschäden’ im Golfkrieg und auf dem Balkan). Aber unter der Zivilbevölkerung gab es die meisten Opfer – 90% der Getöteten waren Zivilisten!
Auch wenn die Hisbollah nur über begrenzte und damit weniger spektakuläre Mittel verfügt, hat sie genau die gleiche mörderische und blutrünstige Politik der ziellosen Beschießungen betrieben. Ihre Raketen trafen vor allem die Zivilbevölkerung und die im Norden Israels gelegenen Städte (75% der Getöteten gehörten gar der arabischen Bevölkerung an, die angeblich geschützt werden sollte).
Wie festgefahren die Lage im Nahen Osten war, konnte man schon deutlich anhand des Eintritts der Hamas in die Regierung der palästinensischen Gebiete (dort hat die Unnachgiebigkeit der israelischen Regierung dazu beigetragen, den Großteil der palästinensischen Bevölkerung zu ‚radikalisieren’) und den offenen Riss zwischen den Fraktionen der palästinensischen Bourgeoisie sehen, hauptsächlich zwischen Fatah und Hamas. Jegliche Verhandlungslösung galt als ausgeschlossen. Gegenüber dieser Sackgasse reagierte Israel so, wie heute alle Staaten reagieren: mit der Flucht nach vorne. Um seine Autorität wieder zu behaupten, hat sich Israel umgewandt mit dem Ziel, den wachsenden Einfluss der Hisbollah im Südlibanon einzudämmen, die vom Iran Hilfe, Geld und Waffen erhalten. Israel begründete sein Vorgehen mit dem Vorwand der Befreiung zweier, von der Hisbollah verschleppter israelischer Soldaten, die aber vier Monate nach ihrer Verschleppung noch immer Gefangene der schiitischen Milizen sind. Der andere Rechtfertigungsgrund war die ‚Neutralisierung’ und Entwaffnung der Hisbollah, deren Angriffe und Eindringen vom Südlibanon aus auf israelisches Gebiet als eine ständige Bedrohung für die Sicherheit des israelischen Staates angesehen werden.
Schließlich erwies sich die militärische Operation als ein großer Misserfolg, der den Mythos der Unbesiegbarkeit und Unverletzbarkeit der israelischen Armee plötzlich auffliegen ließ. Zivilisten und Militärs innerhalb der israelischen Bourgeoisie schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu für den schlecht vorbereiteten Krieg. Im Gegenzug geht die Hisbollah verstärkt aus dem Konflikt hervor und verfügt in den Augen der arabischen Bevölkerung aufgrund ihres Widerstandes gegen Israel über eine neue Legitimität. Anfangs war die Hisbollah wie auch Hamas nur eine der zahlreichen islamischen Milizen, die sich gegen den israelischen Staat gebildet hatten. Sie entstand 1982 während der israelischen Offensive im Südlibanon. Aufgrund des starken Gewichtes der Schiiten konnte sie dank der umfangreichen finanziellen Hilfe des Ayatollahregimes und der iranischen Mullahs gedeihen. Syrien hat die Hisbollah ebenfalls durch seine umfangreiche logistische Unterstützung benutzt. Damit konnte die Hisbollah für Syrien als Stützpunkt dienen, nachdem sich Syrien 2005 aus dem Libanon zurückziehen musste. Diese Mörderbande konnte gleichzeitig geduldig ein ganzes Netz von Rekrutierungsoffizieren errichten, wobei diese medizinische, sanitäre und soziale Hilfe anboten, die aus Geldmitteln der iranischen Öleinkünfte finanziert wurden. Diese Gelder ermöglichen nun gar die Ersetzung der durch den Bomben- oder Raketenbeschuss zerstörten Häuser, damit die Stimmung der Bevölkerung für die Hisbollah mobilisiert werden kann. In Berichten über diese „Schattenarmee“ konnte man sehen, dass ihr viele männliche Jugendliche im Alter von 10–15 Jahren angehören, die bei ihren blutigen Abrechnungen jeweils als Kanonenfutter verwendet werden.
Syrien und Iran bilden gegenwärtig den homogensten Block um Hamas und Hisbollah. Insbesondere der Iran zeigt offen seine Bestrebungen, die führende imperialistische Macht in der Region zu werden. Wenn der Iran in den Besitz von Atomwaffen käme, würde er in der Tat eine solche Rolle erfüllen können. Dies ist genau eine der Hauptsorgen der USA, denn seit ihrer Gründung im Jahre 1979 hat die ‚islamische Republik’ eine ständige Feindseiligkeit gegenüber den USA an den Tag gelegt.
Die USA haben für die Auslösung der israelischen Offensive gegen den Libanon grünes Licht gegeben. Nachdem sie bis zum Hals in den Krieg im Irak und im Afghanistan verwickelt sind, und nach dem Scheitern ihres „Friedensplans“ zur Regelung des Palästinenserkonfliktes müssen die USA das Scheitern ihrer Strategie feststellen, die darauf abzielte, eine „Pax Americana“ im Nahen und Mittleren Osten zu errichten. Insbesondere hat die US-Präsenz im Irak seit drei Jahren zu einem blutigen Chaos, einem schrecklichen regelrechten Bürgerkrieg zwischen verschiedenen rivalisierenden Fraktionen und zu tagtäglichen Attentaten geführt, die die Bevölkerung wahllos treffen und jeden Tag zwischen 80-100 Toten hinterlassen.
Auf diesem Hintergrund stand es außer Frage, dass die USA selbst intervenieren, obwohl es ihr erklärtes Ziel ist, sich die Staaten vorzuknüpfen, die als „terroristisch“ und als Verkörperung der „Achse des Bösen“ dargestellt werden wie Syrien und vor allem der Iran, der die Hisbollah unterstützt. Die israelische Offensive sollte den beiden Staaten als eine Warnung dienen; sie zeigte die völlige Interessensidentität zwischen dem Weißen Haus und der israelischen Bourgeoisie. Deshalb stellt das Scheitern Israels ebenso ein Zurückweichen der USA und die fortgesetzte Schwächung der US-Führungsrolle dar.
Der Gipfel des Zynismus und der Heuchelei wurde von der UNO erreicht, als diese während der ein Monate dauernden Kriegshandlungen im Libanon unaufhörlich ihren „Friedenswillen“ verkündete und gleichzeitig ihre „Machtlosigkeit“ zur Schau stellte.[i] [8] Dies ist total verlogen. Diese Verbrecherbande (wie Lenin die Vorläuferorganisation der UNO, den Völkerbund, nannte) ist ein Ort, wo sich die gefährlichsten Krokodile der Erde bekämpfen. Die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder sind die größten Räuber der Erde:
- Die USA, deren Vorherrschaft auf der militärischen Armada des stärksten Staates der Welt fußt, und deren Verbrechen seit der 1990 erfolgten Verkündung einer „Ära des Friedens und des Wohlstands“ durch Bush Senior (die beiden Golfkriege, die Intervention auf dem Balkan, die Besetzung des Iraks, der Krieg im Afghanistan…) für sich selbst sprechen.
- Russland, das für die schrecklichsten Grausamkeiten in seinen beiden Kriegen in Tschetschenien verantwortlich ist, weil es den Zusammenbruch der UdSSR nicht verkraftet hat und nach Rache dürstet, zeigt heute seine neuen imperialistischen Ambitionen, nachdem es von der Schwäche der USA profitiert hat. Deshalb spielt es die Karte der Unterstützung des Irans und etwas diskreter der Hisbollah.
- China, das von seinem wachsenden wirtschaftlichen Einfluss profitiert, träumt davon, Zugang zu neuen Einflusszonen außerhalb Südostasiens zu bekommen. Es hat insbesondere den Iran umworben, der ein privilegierter Wirtschaftspartner ist, welcher ihm Öl zu besonders günstigen Beziehungen verkauft. Russland und China haben die jüngsten UN-Resolutionen zu sabotieren versucht.
- Bislang hat Großbritannien die großen Strafaktionen seitens der USA für die Verteidigung seiner eigenen Interessen mitgetragen. Es will so sein altes Einflussgebiet wieder zurückgewinnen, über das es seinerzeit in Gestalt der alten Protektorate in dieser Region verfügte (insbesondere Iran und Irak).
- Die französische Bourgeoisie zeigt weiterhin eine Nostalgie für eine Zeit, zu der sie die Einflussgebiete im Nahen und Mittleren Osten mit Großbritannien teilen konnte. Deshalb unterstützte sie die US-Pläne gegenüber Libanon anlässlich der berühmten UN-Resolution 1201 und willigte gar dem Plan des Einsatzes von UNIFIL-Truppen zu. Deshalb hat sie auch der Entsendung von zunächst 400, mittlerweile 2000 Soldaten in den Südlibanon im Rahmen der UNIFIL zugestimmt.
Andere Mächte sind ebenfalls auf den Plan getreten wie Italien, das als Belohnung für die Entsendung des größten Kontingentes an UN-Truppen nach Februar 2007 das Oberkommando über die UNIFIL im Libanon übernehmen wird. Einige Monate nach dem Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak tritt Prodi, der zuvor das Engagement der Berlusconi-Mannschaft im Irak kritisiert hatte, in dessen Fußstapfen im Libanon und beweist damit die Ambitionen Italiens, am Tisch der Großen mit sitzen zu wollen, auch wenn es dabei wieder Federn lassen muss. Das verdeutlicht wieder einmal, dass alle imperialistischen Mächte Kriegstreiber sind.
Der Nahe und Mittlere Osten liefert uns heute eine gebündelte Illustration des irrationalen Charakters des Krieges, wo jeder Imperialismus sich immer stärker engagiert, um seine eigenen Interessen zu vertreten, was zur Folge hat, dass dadurch Konfliktfelder immer größer und blutiger werden, weil immer mehr Staaten daran beteiligt sind.
Die Ausdehnung der blutigen Konfliktherde auf der ganzen Welt zeigt somit den unausweichlich barbarisch-kriegerischen Charakter des Kapitalismus. Krieg und Militarismus sind zur ständigen Überlebensform des im Zerfall begriffenen dekadenten Kapitalismus geworden. Es handelt sich um einen Hauptwesenszug der tragischen Sackgasse eines Systems, das der Menschheit nichts anderes anzubieten hat als Tod und Elend.
Der Polizist, der angeblich den Schutz der „Weltordnung“ sicherstellen soll, ist heute selber ein aktiver Faktor bei der Zunahme der Unordnung.
Wie ist es möglich, dass die stärkste Armee der Welt, mit den modernsten Technologien und den mächtigsten Geheimdiensten ausgerüstet, mit hoch komplexen Waffen, die ein Tausende Kilometer weit entferntes Ziel präzise treffen können, sich plötzlich in einer Fallgrube gefangen vorfindet? Wie kommt es, dass die USA, das mächtigste Land der Welt, von einem Halbidioten regiert werden, der seinerseits von einer Bande von Aktivisten umgeben ist, die nicht gerade dem Bild entsprechen, das man sich von einer verantwortungsvollen „großen Demokratie“ der Bourgeoisie traditionellerweise macht? Bush Junior, der vom Schriftsteller Norman Mailer als „schlimmster Präsident der Vereinigten Staaten: ignorant, arrogant und vollkommen blöd“ bezeichnet wird, hat sich mit einer Mannschaft von „klugen Köpfen“ umgeben, die ihm die Politik diktieren: von Vizepräsident Dick Cheney über den Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und seinen Guru-Manager Karl Rove bis zum „Theoretiker“ Paul Wolfowitz. Dieser hat sich seit Beginn der 1990er Jahre als konsequentester Verfechter einer „Doktrin“ hervorgetan, die klar behauptet, dass „die wesentliche politische und militärische Mission von Amerika nach dem Kalten Krieg darin besteht, zu verhindern, dass irgendeine rivalisierende Supermacht in Westeuropa, in Asien oder in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion entstehen kann“. Diese „Doktrin“ wurde im März 1992 publik, als die amerikanische Bourgeoisie sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der Wiedervereinigung Deutschlands noch Illusionen über den Erfolg ihrer Strategie machte. Mit diesem Ziel erklärten jene Leute vor ein paar Jahren, dass „es ein neues Pearl Harbor bräuchte“, um die Nation wachzurütteln, der ganzen Welt die demokratischen Werte Amerikas zu vermitteln und die imperialistischen Rivalitäten zu überwinden. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass der japanische Angriff auf den Stützpunkt der amerikanischen Seestreitkräfte im Dezember 1941, der 4500 Tote und Verletzte auf amerikanischer Seite forderte, den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten an der Seite der Alliierten erlaubte, da in der öffentlichen Meinung, die sich bis zu diesem Zeitpunkt gegen eine Beteiligung am Krieg wandte, ein Stimmungsumschwung stattfand, während die höchsten politischen Gremien in den USA über den Angriffsplan auf dem Laufenden waren und nicht intervenierten. Seit Cheney und seinesgleichen dank dem Sieg von Bush Junior im Jahr 2000 an die Macht gekommen sind, haben sie genau die vorgesehene Politik umgesetzt: Die Angriffe vom 11. September haben ihnen als „neues Pearl Harbor“ gedient, und im Namen ihres Kreuzzuges gegen den Terrorismus haben sie die Invasionen zuerst in Afghanistan und dann im Irak wie auch die äußerst kostspieligen neuen Rüstungsprogramme gerechtfertigt, ohne dass wir dabei die beispiellose Intensivierung der polizeilichen Kontrolle über die Bevölkerung vergessen dürfen. Dass sich die USA solche Führer geben, die mit dem Schicksal des Planeten wie Zauberlehrlinge spielen, gehorcht der gleichen Logik des dekadenten, krisengeschüttelten Kapitalismus, die seinerzeit einen Hitler in Deutschland an die Macht brachte. Es ist nicht dieses oder jenes Individuum an der Spitze eines Staates, das den Kapitalismus in diese oder jene Richtung sich entwickeln lässt; vielmehr ist es dieses auseinander brechende System, das diesem oder jenem Repräsentanten dieser Entwicklung, wenn er sie in Gang bringen kann, erlaubt, an die Macht zu gelangen. Das bringt die historische Sackgasse, in welche der Kapitalismus die Menschheit hineinzieht, klar zum Ausdruck.
Die Bilanz dieser Politik ist erschütternd: 3000 Soldaten, die seit Beginn des Krieges vor drei Jahren im Irak gestorben sind (unter ihnen mehr als 2800 von den amerikanischen Truppen), 655’000 Iraker sind zwischen März 2003 und Juli 2006 umgekommen, während die mörderischen Attentate und die Konfrontationen zwischen schiitischen und sunnitischen Fraktionen ständig weiter eskalieren. 160'000 Soldaten der Besatzungsmächte stehen auf irakischem Boden unter dem Oberkommando der USA, und sie sind unfähig „ihren Auftrag zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu erfüllen“ in einem Land, das am Rande des Zusammenbruchs und des Bürgerkriegs steht. Im Norden versuchen die schiitischen Milizen ihre Regeln durchzusetzen und führen immer mehr Machtdemonstrationen durch, im Süden rufen aktivistische Sunniten, die stolz auf ihre Verbindungen zu den Taliban und Al Kaida sind, eine „islamische Republik“ aus, während im Zentrum des Landes, in der Gegend um Bagdad, die Bevölkerung plündernden Banden und Autobomben ausgesetzt ist und jeder Patrouillengang von amerikanischen Truppen in einem Hinterhalt enden kann.
Die Kriege im Irak und in Afghanistan verschlingen darüber hinaus Unsummen von Geld, was das Budgetdefizit der USA noch mehr vergrößert und sie in eine gewaltige Verschuldung treibt. Die Situation in Afghanistan ist nicht minder katastrophal. Die unendliche Jagd nach Al Kaida und die Anwesenheit einer Besatzungsmacht auch hier, geben den Taliban neuen Kredit, die 2002 von der Macht vertrieben worden sind, die aber vom Iran und diskreter von China mit Waffen ausgerüstet werden und ihre Hinterhalte und Anschläge wieder verstärken. Die „terroristischen Dämonen“, d.h. Bin Laden und das Taliban-Regime, sind aber alle beide „Geschöpfe“ der USA im seinerzeitigen Kampf gegen die UdSSR, zur Zeit der imperialistischen Blöcke nach der Invasion der russischen Truppen in Afghanistan. Bin Laden ist ein ehemaliger Spion, den die CIA 1979 rekrutierte und der, nachdem er in Istanbul als Finanzintermediär bei einem Waffenhandel von Saudiarabien und den USA mit Bestimmungsort afghanische Guerilla „ganz natürlich“ von Anbeginn der russischen Intervention an zum Vermittler der Amerikaner bei der Verteilung der finanziellen Hilfe an den afghanischen Widerstand wurde. Die Taliban wurden von den USA bewaffnet und finanziert, und ihr Aufstieg an die Macht stand unter dem vollen Segen von Uncle Sam.
Längst ist unbestritten, dass der grosse Kreuzzug gegen den Terrorismus keineswegs zu dessen Ausmerzung führte, sondern vielmehr in eine Vervielfachung von terroristischen Angriffen und Selbstmordanschlägen mündete, deren einziges Ziel darin besteht, möglichst viele Opfer zu verursachen. Heute muss das Weiße Haus ohnmächtig erdulden, dass ihm das iranische Regime auf der Nase herumtanzt. Was wiederum die Flügel von Mächten im vierten oder fünften Rang wachsen lässt wie von Nordkorea, das sich am 8. Oktober einen Atomwaffentest erlauben konnte und damit zum 8. Land wurde, das Atomwaffen besitzt. Diese gewaltige Herausforderung stellt das Gleichgewicht in ganz Südostasien in Frage und ermutigt neue Anwärter in ihren Plänen, sich auch nuklear zu rüsten. Sie rechtfertigt damit auch die erneute Militarisierung und Wiederaufrüstung Japans und dessen Marschrichtung hin zur Produktion von Atomwaffen, um damit dem unmittelbaren Nachbarn die Stirn bieten zu können. Diese Gefahr besteht durchaus und sie veranschaulicht den „Dominoeffekt“ bei dieser Flucht nach vorn in den Militarismus und das „Jeder-für-sich“.
Dabei ist auch die absolut chaotische Lage zu erwähnen, die im Nahen Osten und insbesondere im Gazastreifen herrscht. Nach dem Wahlsieg der Hamas Ende Januar wurde die direkte ausländische Hilfe eingestellt, und die israelische Regierung verhängte ein Steuer- und Zollembargo über die palästinensische Behörde. 165'000 Beamte sind schon während sieben Monaten nicht mehr entlöhnt worden, doch ihre Wut und diejenige der ganzen Bevölkerung, von der 70% unter der Armutsgrenze leben (bei einer Arbeitslosenrate von 44%), wird leicht in den Straßenkämpfen aufgefangen, in denen sich seit dem 1. Oktober von neuem die Milizen der Hamas und der Fatah gegenüber stehen. Die Versuche, eine Regierung der nationalen Einheit auf die Beine zu stellen, scheitern einer nach dem anderen. Auch nachdem sich die israelische Armee aus dem Südlibanon zurückgezogen hatte, verstärkte sie die Kontrolle an der Grenze zwischen Ägypten und Gazastreifen und nahm die Beschießung der Stadt Rafah mit Raketen unter dem Vorwand wieder auf, Hamasaktivisten zu verfolgen. Für diejenigen, die noch eine Arbeit haben, gibt es unaufhörlich Kontrollen. Die Bevölkerung lebt in einem ständigen Klima des Terrors und der Unsicherheit. Seit dem 25. Juni wurden in den Territorien 300 Tote gezählt.
Das Fiasko der amerikanischen Politik ist offensichtlich. Deshalb wird die Bush-Administration auch immer mehr in Frage gestellt, und zwar selbst von Leuten aus dem eigenen, republikanischen Lager. Die Gedenkfeiern zum fünften Jahrestag des 11. September waren Anlass für eine geballte Ladung von bissiger Kritik an Bush, die durch die Medien ausgebreitet wurde. Vor fünf Jahren setzte sich die IKS dem Vorwurf aus, sie habe eine machiavellistische Sichtweise der Geschichte, als sie die Hypothese aufstellte und untermauerte, dass das Weiße Haus die Ausführung der Anschläge in Kenntnis der Dinge zuließ, um die sich in Vorbereitung befindenden militärischen Abenteuer zu rechtfertigen.[ii] [8] Heute stellen unglaublich zahlreiche Bücher, Dokumentarfilme, Artikel im Internet nicht nur die offizielle Version über den 11. September in Frage, sondern ein großer Teil dieser Stellungnahmen vertritt wesentlich härtere Theorien und klagt die Bush-Regierung des Komplotts und der konzertierten Manipulation an. In der Bevölkerung selber geht nach den jüngsten Meinungsumfragen mehr als ein Drittel der Amerikaner und fasst die Hälfte der New Yorker Bevölkerung davon aus, dass eine Manipulation hinter den Anschlägen stand, dass der 11. September ein „inside job“ (eine innere Angelegenheit) war.
Während 60% der amerikanischen Bevölkerung den Krieg im Irak für eine „schlimme Sache“ halten, glaubt ein Großteil von ihnen nicht mehr an die These über das Atomwaffenprogramm und ebenso wenig an die Verbindungen zwischen Saddam und Al Kaida, sondern geht davon aus, dass es sich dabei um Vorwände für den Einmarsch im Irak gehandelt hat. Etwa ein halbes Dutzend von kürzlich erschienen Büchern (darunter dasjenige des Starjournalisten Bob Woodward, der den Watergate-Skandal zur Zeit von Nixon aufdeckte) legen unwiderlegbares Material vor, um die „Staatslüge“ zu entlarven und den Rückzug der Truppen aus dem Irak zu fordern. Das bedeutet keineswegs, dass der militaristischen Politik der USA die letzte Stunde geschlagen hätte, doch ist die Regierung gezwungen, dieser Stimmung Rechnung zu tragen und ihre eigenen Widersprüche offen zu legen, um zu versuchen sich anzupassen.
Der angebliche letzte „Schnitzer“ von Bush, der darin bestand, die Parallele zum Vietnamkrieg zuzugeben, fiel zusammen mit anderen „Lecks“ - welche durch die von James Baker persönlich gewährten Interviews medial begleitet wurden. Der Plan des ehemaligen Stabchefs der Ära Reagan und dann Staatssekretärs unter Vater Bush sieht eine Eröffnung des Dialogs mit Syrien und dem Iran und insbesondere den teilweisen Truppenrückzug aus dem Irak vor. Dieser Versuch eines begrenzten Zurückweichens unterstreicht das Ausmaß der Schwächung der amerikanischen Bourgeoisie, für die der sofortige und vollständige Rückzug aus dem Irak die am lautesten schallende Ohrfeige ihrer Geschichte und deshalb untolerierbar wäre. Die Parallele mit dem Vietnamkrieg ist genauer betrachtet eine trügerische Unterschätzung der Lage. Seinerzeit erlaubte der Rückzug der Truppen aus Vietnam eine strategische Neuorientierung, die für die Bündnisse der USA vorteilhaft war und es erlaubte, China aus dem Lager der damaligen UdSSR in ihr eigenes herüberzuziehen. Heute wäre der Rückzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak eine schlichte Kapitulation ohne jeden Ausgleich und würde zu einer völligen Diskreditierung der amerikanischen Macht führen. Ein solcher Rückzug würde gleichzeitig den Zusammenbruch des Iraks nach sich ziehen und damit das Chaos in der ganzen Region beträchtlich vergrößern. Diese Widersprüche sind ein schreiender Ausdruck der Krise, der Schwächung der amerikanischen Vormachtstellung und des fortschreitenden „Jeder-für-sich“, das wiederum das sich zuspitzende Chaos in den internationalen Beziehungen belegt. Und eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Kongress anlässlich der nächsten Zwischenwahlen, ja selbst die allfällige Wahl eines demokratischen Präsidenten in zwei Jahren würde keine andere Perspektive bieten als die Flucht nach vorn in weitere militärische Abenteuer. Die Bande von Besessenen, die in Washington regiert, hat zwar ein Ausmaß an Inkompetenz unter Beweis gestellt, das durch die amerikanische Verwaltung nur selten erreicht wird. Doch wie auch immer die Ablösungsmannschaft zusammengesetzt sein wird – sie wird die die Matrix nicht ändern können: Angesichts eines kapitalistischen Systems, das in seiner Todeskrise versinkt, ist die herrschende Klasse unfähig, eine andere Antwort anzubieten als die Flucht nach vorn in die Kriegsbarbarei. Auch und gerade die ranghöchste Bourgeoisie der Welt wird sich so an ihre Rolle klammern müssen.
In den USA ist der zentnerschwere Chauvinismus, der unmittelbar nach dem 11. September überall verbreitet wurde, aufgrund der Erfahrung mit dem doppelten Fiasko des Kampfes gegen den Terrorismus und des Kontrollverlustes im Irakkrieg weitgehend verschwunden. Die Rekrutierungskampagnen der Armee bekunden Mühe bei der Suche nach Kandidaten, die bereit wären, sich im Irak die Haut durchlöchern zu lassen, während die Truppen immer mehr demoralisiert sind. Trotz den sich stellenden Risiken gibt es immer mehr Soldaten, die desertieren. Es sind mehr als 1000 Deserteure gezählt worden, die nach Kanada geflohen sind.
Diese Lage ist aber nicht nur ein Ausdruck der Sackgasse der Bourgeoisie, sondern sie kündigt eine Alternative an. Das immer unerträglichere Gewicht des Krieges und der Barbarei in der Gesellschaft ist eine unabdingbare Dimension im Bewusstwerdungsprozess der Proletarier, wenn es darum geht, den Bankrott des kapitalistischen Systems zu begreifen. Die einzige Antwort der Arbeiterklasse auf den imperialistischen Krieg, die einzige Solidarität, die sie ihren Klassenbrüdern und –schwestern angesichts der schlimmsten Massaker anbieten kann, ist die eigene Mobilisierung auf ihrem Klassenterrain gegen die Ausbeuter. Das bedeutet, zu kämpfen und ihre Kämpfe auf dem gesellschaftlichen Terrain gegen die nationale Bourgeoisie weiter zu treiben. Und dies hat die Arbeiterklasse bereits zu tun begonnen, z.B. im Solidaritätsstreik, den die Flughafenangestellten in Heathrow im August 2005 trotz aller antiterroristischer Kampagnen nach den Anschlägen von London zusammen mit den beim Catering-Unternehmen Gate Gourmet entlassenen pakistanischen Arbeitern führten. Ebenso tat sie es mit der Mobilisierung der zukünftigen Proletarier in Frankreich gegen den Erstanstellungsvertrag (CPE) oder der Metallarbeiter in Vigo in Spanien. Auch die 18'000 Mechaniker von Boeing in den USA zeigten im September 2005 den Weg, als sie sich gegen Rentenkürzungen wehrten und sich gleichzeitig weigerten, eine Diskriminierung der jungen gegenüber den älteren Arbeitern hinzunehmen. Dasselbe gilt für die Angestellten der U-Bahn und des öffentlichen Verkehrs in New York, die kurz vor Weihnachten 2005 in den Streik traten. Konfrontiert mit einem Angriff auf die Renten, der eigentlich vordergründig nur die in Zukunft anzustellenden Arbeiter betroffen hätte, stellten sie ein wachsendes Bewusstsein darüber unter Beweis, dass der Kampf für die Zukunft unserer Kinder Teil unseres Kampfes überhaupt ist. Diese Kämpfe sind noch schwach, und der Weg hin zu entscheidenden Konfrontationen zwischen Bourgeoisie und Proletariat ist noch lang und schwierig, aber sie legen Zeugnis über die Wiederaufnahme des Klassenkampfes in weltweitem Maßstab ab. Sie stellen den einzigen möglichen Hoffnungsschimmer für eine andere Zukunft dar, für eine Alternative der Menschheit zur kapitalistischen Barbarei.
W, 21. Oktober 2006
[i] [8] Diesen Zynismus und diese Heuchelei konnte man deutlich vor Ort anhand einer Kriegsepisode der letzten Kriegstage erkennen. Ein Flüchtlingstreck eines Teils der Bevölkerung eines libanesischen Dorfes, in dem sich viele Frauen und Kinder befanden, welcher aus dem Kampfgebiet fliehen wollte, war wegen einer technischen Panne liegen geblieben und wurde von der israelischen Armee beschossen. Die Flüchtlinge wollten in einem nahe gelegen UN-Kontrollpunkt Unterschlupf suchen. Man antworte ihnen, es sei unmöglich sie unterzubringen, weil man kein Mandat dafür habe. Die meisten Flüchtlinge (58) starben unter israelischem Beschuss und vor den passiven Augen der UNIFIL-Kräfte (so die Zeugenaussage einer Mutter im Fernsehen, deren Familie lebend durchkommen konnte).
[ii] [8] s. unseren Artikel „Pearl Harbor 1941, Twin Towers 2001 – Der Machiavellismus der herrschenden Klasse“, in: Internationale Revu Nr. 29.
Die ersten Artikel dieser Reihe warfen einen Blick zurück, um zu überprüfen, was diese Veränderung bedeutete, stellten Form und Inhalt von 1905 dem Vergangenen gegenüber und untersuchten, inwiefern sie der neuen Periode in der Dekadenz des Kapitalismus entsprachen. Wir zeigten auf, dass die Gewerkschaften von den Sowjets als jene organisatorische Form verdrängt wurden, die am besten zum Zweck und Charakter des Kampfes passt, welchen die Arbeiterklasse heute führt. Wir haben gezeigt, dass es falsch war, die Sowjets als ein Produkt der angeblichen Rückständigkeit Russlands zu betrachten, und haben das Augenmerk auf die Tatsache geworfen, dass die Bildung der Sowjets im Gegenteil Ausdruck eines fortgeschrittenen Bewusstseinstandes der Arbeiterklasse war. In dieser neuen Periode hörten die Gewerkschaften auf, ein Mittel zur Durchsetzung der Interessen der Arbeiterklasse zu sein, und verwandelten sich in ein Hindernis gegen die Weiterentwicklung des Kampfes und in eine Falle für die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse sowie ihrer entschlossensten Elemente. Die Entwicklung von Gewerkschaften in Russland 1905 und auch 1917 spiegelte die revolutionäre Leidenschaft der Arbeiterklasse, welche jedes Mittel zu nutzen versuchte, um ihren Kampf voran zu bringen, aber auch einen faktischen Mangel an Erfahrungen mit den Gewerkschaften wider. Es waren die Sowjets, die den Kampf anführten und ihm einen revolutionären Charakter verliehen; die Gewerkschaften trotteten nur hinterher.
Die Entstehung der Sowjets war untrennbar mit dem Massenstreik verbunden, der als Kampfmethode gegen den Kapitalismus auftauchte, als Teilreformen und Linderungen nicht mehr zu erlangen waren. Wie die Sowjets entsprang er einem Bedürfnis der gesamten Klasse und brachte dieselbe nicht nur zusammen, sondern förderte auch ihr Klassenbewusstsein. Dadurch stieß er mit den Beschränkungen der Gewerkschaften und Teilen der revolutionären Bewegung zusammen, die in einer solchen Bewegung nur ein anarchistisches Spektrum erblickten. Es blieb der Linken der Arbeiterklasse, mit Rosa Luxemburg und Anton Pannekoek an der Spitze, überlassen, den Massenstreik nicht als bloße Taktik der Führung, sondern als eine elementare, revolutionäre und erneuernde Kraft zu verteidigen, die inmitten der Arbeiterklasse entstanden war und fähig ist, ihre Kampfbereitschaft und ihr Bewusstsein auf eine neue und höhere Ebene zu stellen.
1905 zeigte auf, dass der Kampf um Reformen vom Kampf für die Revolution verdrängt worden war.
Wir haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass diese Veränderungen nichts spezifisch Russisches waren, sondern die gesamte Arbeiterklasse betrafen, als der Kapitalismus in seine dekadente Phase eintrat. Die Arbeiterklasse, die sich als eine internationale Klasse konsolidiert hatte und für ihre Interessen zu kämpfen bereit war, sah sich von nun an mit der Notwendigkeit konfrontiert, den Kapitalismus zu überwinden und die Produktionsverhältnisse umzuwandeln, statt für Verbesserungen in ihnen zu kämpfen. Überall auf der Welt fand in den Jahrzehnten vor dem I. Weltkrieg eine Eskalation und Intensivierung von Streiks statt, die die alten Organisationsweisen und die alten Ziele des Kampfes in Frage zu stellen begannen und die von Zeit zu Zeit in einem offenen Konflikt mit dem Staat aufflammten. Kurzum: Nach 1905 wurde der Kampf der Arbeiterklasse zum Kampf für den Kommunismus.
Die wahre Bedeutung von 1905 ist also, dass dieses Ereignis zukunftsweisend war und den Weg für sämtliche Streiks ebnete, die im dekadenten Kapitalismus stattfanden, das heißt für alle Kämpfe der letzten hundert Jahre und für jene von morgen.
Die Rolle, die 1905 bei der Wegbereitung der Zukunft spielte, konnte man mit großer Klarheit 1917 sehen, als die Sowjets die Hauptwaffe der Revolution waren. Sie waren die Form, die Letztere annahm. Die Sowjetmacht stand gegen die bürgerliche Macht der Provisorischen Regierung, wie Trotzki beredt in seinem Werk Die Geschichte der Russischen Revolution schilderte: „Wie war die reale Konstitution des Landes nach der Aufrichtung der neuen Macht?Die monarchistische Reaktion verkroch sich in die Löcher. Sobald nur die ersten Wasser der Sintflut zurückwichen, gruppierten sich die Besitzenden aller Arten und Richtungen um das Banner der Kadettenpartei, die mit einem Male die einzige nichtsozialistische Partei und gleichzeitig die äußerste Rechte in der offenen Arena geworden war. (...) Die Massen ergossen sich in die Sowjets wie in ein Triumphtor der Revolution. Alles, was außerhalb der Sowjets blieb, fiel von der Revolution gleichsam ab und schien einer anderen Welt zugehörig (...) Den Sowjets wandten sich alle Aktiven aus den Massen zu, und während der Revolution siegte mehr denn je die Aktivität; da nun die Massenaktivität von Tag zu Tag wuchs, so erweiterte sich die Basis der Sowjets ununterbrochen. Dies war auch die einzige reale Basis der Revolution.“[i] [11]
Die Sowjets – und nur die Sowjets – haben eine Organisationsform, die sowohl für die Mittel als auch den Zweck des Kampfes für den Kommunismus geeignet ist. Jedoch war dies zu damaliger Zeit alles andere als klar, insbesondere für die Revolutionäre in Russland. Dies wurde in der Diskussion über die Gewerkschaftsfrage auf dem Ersten Kongress der Dritten Internationale offensichtlich, wie wir im Artikel „Von Marx zur Kommunistischen Linken, Teil 3“ in der Internationalen Revue Nr. 123 (engl., franz. und span. Ausgabe)[ii] [12] gezeigt haben. Delegierte vieler europäischer Länder prangerten in der Diskussion unmissverständlich die konterrevolutionäre Rolle an, die die Gewerkschaften mittlerweile spielten. Im Gegensatz dazu argumentierte Sinowjew, der den Bericht über Russland verfasste: „Die zweite Organisationsform der Arbeiter in Russland sind die Gewerkschaften. Sie entwickelten sich hier anders als in Deutschland: Sie spielten eine wichtige revolutionäre Rolle in den Jahren 1904-05 und marschieren heute Seite an Seite mit uns in den Kampf für den Sozialismus (...) Eine große Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder unterstützt unsere Parteiposition, und sämtliche Entscheidungen der Gewerkschaften werden im Geiste jener Positionen getroffen“. Dies bestätigt keineswegs, dass die Gewerkschaften in Russland irgendwelche besonderen Tugenden besaßen, sondern bezog sich auf gewisse Besonderheiten der russischen Situation. Wie der Artikel sagt, wurden die Gewerkschaften von der Welle der Sowjets mitgerissen. Während der revolutionären Phase war ihre Rolle als Instrument des kapitalistischen Staates gegen die Arbeiterklasse weniger offensichtlich als sonst.
Auch wenn die Revolution von 1917 erst durch 1905 ermöglicht wurde, konnte die Revolution von 1905 selbst nicht zu einer weltweiten kommunistischen Revolution führen. Dies hätte erst 1917 geschehen können, wenn es der Revolution gelungen wäre, sich überall auf der Welt auszubreiten und zu triumphieren. Dennoch zogen die isolierten Gruppen von Revolutionären, die die Zerschlagung der revolutionären Welle von 1917-23 überlebt und bestrebt waren, die revolutionäre Bewegung neu zu errichten, viele Lehren aus ihr. Hierin bestand insbesondere die Rolle der Kommunistischen Linken. Die Richtigkeit dieser Lehren ist immer wieder auch von den Erfahrungen der Arbeiterklasse in ihrem täglichen Kampf und in ihren größeren Anstrengungen, wie Polen Anfang 1980, bewiesen worden. Bereits unmittelbar nach 1905 wurde begonnen, die Lehren aus dieser Revolution zu ziehen, und genau dieser Arbeit wollen wir uns nun zuwenden.
In diesem letzten Teil unserer Artikelreihe über 1905 werden wir schauen, wie die revolutionäre Bewegung sowohl bezüglich der Weiterentwicklung ihrer Positionen als auch bezüglich ihrer Methoden antwortete. Dies ist kein unwichtiger Punkt, wenn man berücksichtigt, dass eine Änderung in der tatsächlichen Lage auch andere Mittel erfordert, um mit dieser Situation richtig umzugehen.
Was an der theoretischen Auseinandersetzung und Debatte nach 1905 auffällt, ist ihr kollektiver und internationaler Charakter, auch wenn die Teilnehmer sich nicht immer völlig klar darüber waren.
Während Marx nach der Pariser Kommune von 1870 in der Lage gewesen war, ihre Bedeutung für den Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation (die Erste Internationale) in einer einzigen Broschüre zusammenzufassen, war dies nach 1905 aufgrund der Komplexität der gestellten Frage nicht möglich.
Insbesondere hatten es die Revolutionäre jener Zeit mit einem unerhörten historischen Epochenwechsel zu tun, mit Veränderungen, die viele Annahmen und Errungenschaften der Arbeiterbewegung über den Haufen warfen, wie die Rolle der Gewerkschaften und die Form des Klassenkampfes. Die Leistung der Linken der Arbeiterbewegung bestand nicht nur darin, diese Herausforderungen anzunehmen, sondern auch darin, zu solch tiefer Einsicht in so viele Fragen zu gelangen und solch ein großartiges Vermächtnis an theoretischen Mühen zu hinterlassen, und vor allem in ihrem bemerkenswerten Können bei der Anwendung der marxistischen Methode. Diese Leistung überwiegt bei weitem die Lücken und Schwächen in ihren Bemühungen. Etwas anderes, ja Perfektion zu erwarten ist nicht nur einfach naiv, sondern offenbart auch eine Unfähigkeit, den wahren Charakter des Marxismus und des gesamten Kampfes der Arbeiterklasse zu begreifen. Das wäre so, als erwarte man von der Arbeiterklasse, jeden Streik zu gewinnen, jedes Manöver der Bourgeoisie zu durchschauen und letztendlich imstande zu sein, die kommunistische Revolution aus dem Stand zu machen.
Der manchmal bruchstückhafte Charakter der Debatte und ihrer Beiträge war nicht eine Schwäche, sondern eine unvermeidliche Konsequenz aus der Entwicklung, die in Gestalt der theoretischen Auseinandersetzung als Pendant zur Entwicklung des „praktischen“ Kampfes stattgefunden hat. In der Tat kann man soweit gehen zu sagen, dass das Pendant zum Massenstreik der massenhafte theoretische Kampf ist. Natürlich umfasst Letzterer nicht so große Zahlen wie Ersterer, aber er drückt den gleichen kollektiven Geist aus und erfordert die gleichen Qualitäten der Solidarität, Bescheidenheit und Selbstaufopferung. Vor allem aber erfordert er ein aktives Engagement, wie unsere Genossen von Internationalisme vor fast 60 Jahren betonten: „Entgegen der Idee, dass Militante nur auf der Grundlage von Gewissheiten handeln können (...) bestehen wir darauf, dass es keine Gewissheiten gibt, sondern lediglich ein kontinuierlicher Prozess des Hinwegschreitens über alte Wahrheiten. Allein eine Aktivität, die auf den jüngsten Entwicklungen basiert, auf Fundamenten, die kontinuierlich angereichert werden, ist wirklich revolutionär. Im Gegensatz dazu ist eine Handlungsweise, die auf den Wahrheiten von Gestern beruht, welche bereits ihre Gültigkeit verloren haben, steril, schädlich und reaktionär. Man mag versucht sein, die Mitglieder mit absoluten Gewissheiten und Wahrheiten abzuspeisen, doch nur relative Wahrheiten, die eine Antithese, Zweifel enthalten, können eine revolutionäre Synthese bewirken.“[iii] [13] Dies ist es, was die Linke der Arbeiterbewegung – Lenin, Luxemburg, Pannekoek, etc. – vom Zentrum trennte, das von Kautsky und der offen revisionistischen, von Bernstein angeführten Rechten verkörpert wurde. Der Graben zwischen den Zentristen und der Linken wurde in der Debatte über den Massenstreik deutlich, als Kautsky sich unfähig zeigte, die grundlegenden Veränderungen im Klassenkampf zu erkennen, die von Rosa Luxemburg analysiert worden waren. Außerstande, über die Sichtweise der Vergangenheit hinauszugehen, in der der Massenstreik allein ein vom Zentralkomitee benutztes Werkzeug war, konnte Kautsky Luxemburgs Argumenten nichts abgewinnen und versuchte gar in der zweiten Stufe der Diskussionen, ihre Veröffentlichung zu blockieren.[iv] [14]
Es ist möglich, einige der Schlüsselaussagen aus den Dokumenten und der Debatte, die nach 1905 aufkamen, zu identifizieren:
- Neben den praktischen Lehren von 1905 teilten sie das Merkmal, eher Ansätze denn fertige Produkte zu sein.
- Es wurde keine einzige Arbeit produziert, die eine allgemeine Analyse bewerkstelligte.
- Kein Einzelner widmete sich allen Aspekten des Themas.
- Vieles aus der Diskussion stammte aus vergangenen Diskussionen, wie die Frage des Massenstreiks, der Rolle der revolutionären Organisation und der Arbeiterklasse in der demokratischen Revolution.
Dies spiegelte die Realität eines Epochenwechsels wider, in der es sowohl Abgrenzungen als auch den Versuch gibt, jene Abgrenzungen zu verstehen und zu meistern. In einer Periode immenser Veränderungen sind viele desorientiert. Einige verwerfen die gesamte Vergangenheit, andere hängen an dem, was sie kennen, und versuchen, die Veränderungen zu ignorieren, während wiederum andere die Veränderungen erkennen und bemüht sind, sich ihnen anzupassen, ohne jenes aus der Vergangenheit, was auch weiterhin gültig bleibt, aufzugeben. Diese unterschiedlichen Antworten existierten innerhalb der Arbeiterbewegung und bestimmten die Spaltungen, die sich zwischen den Rechten, dem Zentrum und den Linken entwickelten. Darüber hinaus verlief diese Debatte im Wesentlichen zwischen diesen Tendenzen und nicht zwischen Individuen. Wirkliche Bemühungen, die neue Situation zu verstehen, kamen nur von der Linken. Die Rechte dagegen wandte sich sowohl von den Schlussfolgerungen als auch von der marxistischen Methode ab. Auch die Zentristen kehrten ihr in wachsendem Maße zugunsten einer sterilen, konservativen Orthodoxie, die am deutlichsten von Karl Kautsky verkörpert wurde, den Rücken zu.
Die wesentliche Leistung der Linken bestand in der Erkenntnis, dass die Gesellschaft eine neue Periode betreten hat, und in ihrem Streben nach Verständnis. Dabei vertrat die Linke die marxistische Methode und somit das wahre Vermächtnis von Marx. In Lenins, Luxemburgs und Trotzkis Werken gibt es genug Hinweise darauf, dass die objektiven Bedingungen sie vorwärts getrieben haben. Alle drei entwarfen wichtige Analysen:
- Lenin über die zentrale Rolle der Organisation und auch über das Verhältnis zwischen Strategie und Taktik;
- Trotzki über die große historische Dynamik, die ihn zu einer klaren Sichtweise der Rolle der Sowjets führte; darüber hinaus kam er der Erkenntnis der Eröffnung einer Periode der proletarischen Revolution am nächsten;
- Luxemburg über die Dynamik innerhalb der Klasse, die ihren Ausdruck im Massenstreik findet.
Die theoretischen Bemühungen der Arbeiterklasse waren nicht auf diese drei beschränkt, sondern umfasste auch viele andere linke Strömungen, die entstanden waren, wo immer es eine politische, organisierte Arbeiterbewegung gab. Lenin und Luxemburg sahen sich zu dem Versuch veranlasst, sich über die Veränderungen in den Strukturen des Kapitalismus klar zu werden, auch wenn dies nicht der Zweck ihrer Untersuchung war.
In Anbetracht der Tatsache, dass das Vermächtnis von 1905 das Werk der gesamten Linken der Arbeiterbewegung war, wollen wir, statt uns der Reihe nach mit allen Individuen zu beschäftigen, einen Blick auf ihre Bemühungen werfen, die wichtigen Fragen des Ziels, der Methode und der Form der Arbeiterkämpfe in der neuen Periode zu verstehen.
Niemand erklärte es ausdrücklich, aber alle ahnten es: Alle erkannten, dass die proletarische Revolution nicht mehr in ferner Zukunft lag, nicht mehr ein bloßes Ideal war, sondern zu einer unübersehbaren Realität geworden war. Lenin, Trotzki und Luxemburg erklärten zwar formal die bürgerliche Revolution zum Ziel, doch ihre Analysen des Charakters dieser bürgerlichen Revolution und der Rolle der Arbeiterklasse stellten indirekt ihre eigene Annahme in Frage. Sie alle betonten, dass das Proletariat dabei die Hauptkraft sein wird, und erkannten, wenn auch in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem Umfang, dass dies die Situation fundamental verändert. Es war also die Methode, die sie gegen jene vereinte, die lediglich die alten Schemata anwendeten.
1906 veröffentlichte Trotzki die Schrift Ergebnisse und Perspektiven, in der er die Idee einer permanenten Revolution (oder der „ununterbrochenen Revolution“, wie sie damals noch genannt wurde) vorstellte. Darin befasste er sich mit den „Voraussetzungen der Revolution“ und vertrat die Ansicht, dass sie alle erfüllt seien.
Die erste Voraussetzung ist „produktionstechnisch“, d.h. sie betrifft den Entwicklungsgrad der Produktionsmittel. Er argumentierte, dass sie erfüllt gewesen sei: „Seit die gesellschaftliche Arbeitsteilung zur Arbeitsteilung in der Manufaktur führte und besonders, seit die Manufaktur von der Fabrik mit maschineller Produktion abgelöst wurde“.[v] [15] Er geht so weit zu behaupten, dass „ausreichende technische Voraussetzungen für die kollektivistische Produktion in diesem oder jenem Umfang schon seit 100 bis 200 Jahren gegeben sind“. Jedoch fügte er hinzu: „Aber die technischen Vorzüge des Sozialismus genügen allein keineswegs, um ihn zu verwirklichen (…) Weil es zu dieser Zeit keine soziale Kraft gab, die bereit und fähig gewesen wäre (ihn) zu realisieren“.
Dies führt zur zweiten Voraussetzung, zur „sozialökonomischen“, mit anderen Worten: zur Entwicklung des Proletariats. Hier stellt Trotzki die Frage: „(…) wie groß muß die relative, zahlenmäßige Stärke des Proletariats sein? Muß es die Hälfte, zwei Drittel oder neun Zehntel der Bevölkerung ausmachen?“, um aber sogleich einen solchen „Schematismus“ zu verwerfen und festzuhalten: „Die Bedeutung des Proletariats beruht ganz und gar auf seiner Rolle in der Großproduktion.“ Für Trotzki zählt allein die qualitative Rolle, die das Proletariat spielt, und nicht so sehr die quantitative Bedeutung. Dies hat zwei wichtige Folgen. Erstens, dass es für das Proletariat nicht notwendig ist, die Mehrheit der Bevölkerung zu bilden, um den Sozialismus einzuführen. Zweitens (und noch spezifischer), dass das Proletariat wegen der Konzentration und der Größe der Industrie ein weitaus größeres Gewicht in Russland besaß, als dies in Ländern wie Großbritannien und Deutschland der Fall war, wo der Anteil des Proletariats an der Gesamtbevölkerung ähnlich hoch war. Nach der Betrachtung der Rolle des Proletariats in anderen großen Ländern zieht Trotzki den Schluss: „Aus all dem können wir zu dem Schluss kommen, dass die ökonomische Evolution – das Wachstum der Industrie, das Wachstum der Großbetriebe. das Wachstum der Städte, das Wachstum des Proletariats im allgemeinen und des Industrieproletariats im besonderen – bereits den Schauplatz bereitet hat, nicht nur für den Kampf des Proletariats um die politische Macht, sondern auch für ihre Eroberung.“
Die dritte Voraussetzung ist die „Diktatur des Proletariats“, mit der Trotzki im Wesentlichen die Entwicklung des Klassenbewusstseins zu meinen scheint: „Es ist (…) notwendig, dass sich diese Klasse ihres objektiven Interesses bewusst ist. Es ist notwendig, dass sie versteht, daß es für sie keinen anderen Ausweg als den Sozialismus gibt; es ist notwendig, dass sie sich zu einer Armee vereint, die stark genug ist, um die Staatsgewalt in offenem Kampf zu erobern.“ Er stellt nicht ausdrücklich fest, ob dies bereits der Fall ist, aber lehnt die Idee vieler „sozialistischer Ideologen“ ab, die besagt: „Das Proletariat und „die Menschheit“ überhaupt müßten vor allem ihre alte egoistische Natur ablegen, im gesellschaftlichen Leben sollten die Impulse des Altruismus vorherrschen usw.“ Diese Erkenntnis über das dynamische Verhältnis zwischen Revolution und Bewusstsein ist eine der wichtigsten Einblicke in die ganze Frage, wie sich eine Revolution entwickelt. Beim Anblick der besonderen Lage in Russland behauptet Trotzki, dass 1905 direkt die Frage der Revolution gestellt habe: „(…) das russische Proletariat (zeigte) eine Kraft, die in diesem ungeheuren Ausmaß von den russischen Sozialdemokraten selbst in ihrer optimistischsten Stimmung nicht erwartet worden war. Der Verlauf der russischen Revolution war in seinen Grundzügen entschieden. Was vor zwei oder drei Jahren eine Möglichkeit war oder schien, ist zur unmittelbaren Wahrscheinlichkeit geworden, und alles spricht dafür, dass diese Wahrscheinlichkeit bereit ist, zur Notwendigkeit zu werden.“ [vi] [16]
Bereits in Ergebnisse und Perspektiven argumentierte Trotzki, dass eine historische Weiterentwicklung das Übergehen der revolutionären Rolle von der Bourgeoisie auf das Proletariat bedeute. Er behauptete, dass die Revolution von 1905 und die Bildung des Petersburger Sowjets dies bestätigten. Dies bedeutete, dass bürgerliche Revolutionen so, wie sie einst betrachtet worden waren, nicht mehr möglich sind. Trotzki lehnte besonders die Idee ab, dass das Proletariat erst eine Revolution ausführt und anschließend die Macht der Bourgeoisie überreicht: „Wenn man sich die Sache so vorstellt, dass die Sozialdemokratie in eine provisorische Regierung eintritt, sie während einer Periode revolutionär-demokratischer Reformen anführt, auch noch ihre radikalsten Maßnahmen verteidigt und sich hierbei auf das Organisierte Proletariat stützt, dass die Sozialdemokratie dann, nachdem das demokratische Programm erfüllt ist, aus dem von ihr gebauten Haus auszieht und den bürgerlichen Parteien den Weg freigibt, selbst in die Opposition geht und damit eine Epoche parlamentarischer Politik eröffnet: sich dies vorzustellen, hieße, die Idee einer Arbeiterregierung kompromittieren. Nicht deshalb, weil es, „prinzipiell“ unzulässig wäre – eine so abstrakte Fragestellung entbehrt jeden Inhalts –, sondern weil es völlig irreal, weil es ein Utopismus übelster Sorte, weil es eine Art von revolutionär-philisterhaftem Utopismus ist.“[vii] [17] Wenn das Proletariat die Mehrheit in der Regierung hält, ist es nicht mehr seine Aufgabe, das Minimalprogramm der Reformen zu verwirklichen, sondern das Maximalprogramm der sozialen Revolution. Dies ist keine Frage des Wollens, sondern der Dynamik der Situation. Trotzki veranschaulichte dies am Beispiel des Achtstundentages. Auch wenn diese Maßnahme „nicht im mindesten den kapitalistischen Verhältnissen widerspricht“, würde seine Einführung dennoch auf den „auf den organisierten und hartnäckigen Widerstand der Kapitalisten stoßen“, der in Aussperrungen und Betriebsschließungen enden würde. Eine bürgerliche Regierung, die damit konfrontiert wäre, würde klein beigeben und die Arbeiter unterdrücken, doch „für eine Arbeiterregierung gibt es nur einen Ausweg: die Enteignung der geschlossenen Fabriken und Betriebe und die Organisation ihrer Produktion auf der Grundlage gesellschaftlicher Rechnungsführung“. Kurz, laut Trotzki „wird die russische Revolution die Bedingungen schaffen, unter denen die Macht in die Hände des Proletariats übergehen kann (und im Falle des Sieges der Revolution muss sie dies tun), bevor die Politiker des bürgerlichen Liberalismus Gelegenheit erhalten ihr staatsmännisches Genie voll zu entfalten“.[viii] [18]
Wie Trotzki stellt auch Lenin die Revolution in den Kontext der internationalen Entwicklung der objektiven Bedingungen: „(…) wir (dürften) einen vollen Sieg der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, d.h. die revolutionäre demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft nicht fürchten (...), denn ein solcher Sieg werde uns die Möglichkeit geben, Europa zur Erhebung zu bringen, und das sozialistische Proletariat Europas werde uns, nachdem es das Joch der Bourgeoisie abgeschüttelt habe, seinerseits helfen, die sozialistische Umwälzung zu vollbringen (...) Der ‚Wperjod‘[ix] [19] zeigte dem revolutionären Proletariat Russlands eine aktive Aufgabe: im Kampf für die Demokratie siegen und diesen Sieg ausnutzen, um die Revolution nach Europa hinüberzutragen.“[x] [20]
Dies ist nur ein Auszug aus einer langen, polemischen Gegenüberstellung der bolschewistischen und menschewistischen Positionen in der Frage der Revolution von 1905, die von beiden als bürgerlich-demokratisch betrachtet wurde. Die Erstgenannten riefen (nimmt man das folgende Zitat aus der Kongressresolution) das Proletariat dazu auf, die Führung zu übernehmen, während die Letztgenannten (nimmt man die Resolution der Konferenz[xi] [21] dazu neigten, die Initiative der Bourgeoisie zu überlassen: „Die Konferenzresolution spricht von der Liquidierung der alten Ordnung im Prozess des beiderseitigen Kampfes zwischen den Elementen der Gesellschaft. Die Parteitagsresolution sagt, dass wir, die Partei des Proletariats, diese Liquidierung vornehmen müssen, dass eine wirkliche Liquidierung nur durch die Errichtung der demokratischen Republik erfolgen kann, dass wir diese Republik erkämpfen müssen, dass wir für sie und für die volle Freiheit nicht nur gegen die Selbstherrschaft, sondern auch gegen die Bourgeoisie kämpfen werden, sobald sie versuchen wird (und sie wird es unbedingt versuchen), uns unsere Errungenschaften zu entreißen. Die Parteitagsresolution ruft eine bestimmte Klasse zum Kampf auf für ein genau bestimmtes nächstes Ziel. Die Konferenzresolution stellt Betrachtungen an über den beiderseitigen Kampf verschiedener Kräfte. Die eine Resolution spiegelt die Mentalität des aktiven Kampfes, die andere die des passiven Zuschauers wider (...)“[xii] [22] Die Betonung der Notwendigkeit für das Proletariat, die führende Rolle zu übernehmen, wird immer und immer wieder von Lenin gegen die Menschewiki zitiert, die er mit Parteirechte meint: „Unser rechter Flügel glaubt nicht an einen vollen Sieg der gegenwärtigen, d.h. der bürgerlich-demokratischen Revolution in Russland, er fürchtet diesen Sieg und stellt die Losung dieses Sieges nicht entschieden und eindeutig vor dem Volke auf. Er irrt ständig zu dem grundfalschen und den Marxismus verflachenden Gedanken ab, dass nur die Bourgeoisie die bürgerliche Revolution selbständig ‚machen’ könne oder dass nur die Bourgeoisie berufen sei, die bürgerliche Revolution zu führen. Die Rolle des Proletariats als des Vorkämpfers für einen vollen und entscheidenden Sieg der bürgerlichen Revolution ist dem rechten Flügel der Sozialdemokratie nicht klar.“[xiii] [23] „In Russland werden der Sozialdemokratie von den gegenwärtigen Verhältnissen solch große Aufgaben auferlegt, wie sie vor keiner einzigen der westeuropäischen sozialdemokratischen Parteien stehen. Wir sind von der sozialistischen Umwälzung unvergleichlich weiter entfernt als die westlichen Genossen, aber wir stehen vor der bürgerlich-demokratischen Bauernrevolution, in welcher dem Proletariat die Rolle des Führers zufallen wird.“[xiv] [24] Diese Zitate zeigen den dynamischen Charakter der bolschewistischen Position, so dass die Bolschewiki, auch wenn sie nicht erkannten, dass sich die Bedingungen für die proletarische Revolution allgemein entwickelt hatten, dennoch in der Lage waren, die zentrale Rolle, die das Proletariat spielte, zu begreifen und dies deutlich in den Begriffen eines Machtkampfes auszudrücken. Obwohl Lenin ausdrücklich feststellt, dass 1905 eine bürgerliche Revolution gewesen sei[xv] [25], öffnete die von ihm entwickelte Analyse über die besondere Rolle des Proletariats das Tor zur scheinbaren Kehrtwende im April 1917 und zum Aufruf zu einer proletarischen Revolution: „Die Eigenart der gegenwärtigen Lage in Russland besteht im Übergang von der ersten Etappe der Revolution, die infolge des ungenügend entwickelten Klassenbewusstseins und der ungenügenden Organisiertheit des Proletariats der Bourgeoisie die Macht gab, zur zweiten Etappe der Revolution, die die Macht in die Hände des Proletariats und der ärmsten Schichten der Bauernschaft legen muss.“[xvi] [26] Die Frage der unmittelbaren Taktik, die so viel Platz in Lenins Schriften einnimmt und die zu scheinbaren Positionswechseln führt (wie in der Frage der Wahlen zur Duma), rührt aus der ständigen Sorge her, das allgemeine Verständnis der Situation auf die tatsächlichen Aktivitäten der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Organisation zu beziehen, statt in zeitlosen Schemata gefangen zu bleiben.
Luxemburgs Position zur Revolution von 1905 erkennt ebenfalls an, dass diese die Frage der proletarischen Revolution gestellt hat, auch hier trotz der formalen Annahme, dass deren Aufgabe die bürgerliche Revolution sei. Dies ergibt sich aus ihrer Analyse des Massenstreiks als eines Ausdrucks der Revolution: „Der Massenstreik ist bloß die Form des revolutionären Kampfes (...) Der Massenstreik, wie ihn uns die russische Revolution zeigt, ist nicht ein pfiffiges Mittel, ausgeklügelt zum Zwecke einer kräftigeren Wirkung des proletarischen Kampfes, sondern er ist die Bewegungsweise der proletarischen Masse, die Erscheinungsform des proletarischen Kampfes in der Revolution.“ [xvii] [27] Auch sie unterstreicht die zentrale Rolle, die das Proletariat gespielt hatte: „… am 22. Januar … hat zum erstenmal das russische Proletariat als Klasse die politische Bühne betreten, zum erstenmal ist endlich auf dem Kampfplatz diejenige Macht erschienen, die allein geschichtlich berufen und imstande ist, den Zarismus in den Staub zu werfen und in Russland wie überall das Banner der Zivilisation aufzupflanzen. (…) die Macht und die Zukunft der revolutionären Bewegung liegt einzig und allein im klassenbewussten russischen Proletariat“ .[xviii] [28]
Luxemburg äußert sich sehr ausdrücklich über die sich ändernde historische Periode, als sie die Französische, Deutsche und Russische Revolution miteinander vergleicht: „... die heutige russische Revolution steht auf einem Punkt des geschichtlichen Weges, der bereits über den Berg, über den Höhepunkt der kapitalistischen Gesellschaft hinweggeschritten ist, wo die bürgerliche Revolution nicht mehr durch den Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat erstickt werden kann, sondern umgekehrt zu einer neuen, langen Periode gewaltigster sozialer Kämpfe entfaltet wird, in denen die Begleichung der alten Rechnung mit dem Absolutismus als eine Kleinigkeit erscheint gegen die vielen neuen Rechnungen, die die Revolution selbst aufmacht. Die heutige Revolution realisiert somit in der besonderen Angelegenheit des absolutistischen Russlands zugleich die allgemeinen Resultate der internationalen kapitalistischen Entwicklung und erscheint weniger ein letzter Nachläufer der alten bürgerlichen als ein Vorläufer der neuen Serie der proletarischen Revolutionen des Westens. Das zurückgebliebenste Land weist, gerade weil es sich mit seiner bürgerlichen Revolution so unverzeihlich verspätet hat, Wege und Methoden des weiteren Klassenkampfes dem Proletariat Deutschlands und der vorgeschrittensten kapitalistischen Länder.“[xix] [29] Später scheint sie sogar zu argumentieren, dass die Aufgabe, der sich das deutsche Proletariat gegenübersieht, die proletarische Revolution sei: „... kann es sich bei einer Periode offener politischer Volkskämpfe in Deutschland als letztes geschichtlich notwendiges Ziel nur noch um die Diktatur des Proletariats handeln.“[xx] [30]
Luxemburgs größter Beitrag zur von 1905 angeregten Diskussion ist ihre Publikation Der Massenstreik, die politische Partei und die Gewerkschaften, die sie im August 1906 verfasst hatte[xxi] [31] und in der sie den Charakter sowie die Merkmale des Streiks analysierte. Nach einem Rückblick auf die traditionelle marxistische Position zum Massenstreik, der Kritik an den anarchistischen und revisionistischen Positionen und einem Blick auf die aktuelle Entwicklung des Streiks in Russland fasste Luxemburg die Hauptaspekte des Massenstreiks zusammen.
Erstens und im Gegensatz zu dem, was sich Anarchisten und viele in der sozialdemokratischen Partei darunter vorstellten, ist der Massenstreik nicht ein „Akt, eine Einzelhandlung“, sondern „vielmehr die Bezeichnung, der Sammelbegriff einer ganzen jahrelangen, vielleicht jahrzehntelangen Periode des Klassenkampfes“.[xxii] [32] Dies führt zu einer Unterscheidung zwischen Massenstreiks als „politische Demonstrationsstreiks“ und als „Kampfstreiks“. Erstere sind eine Taktik, die von der Partei gehandhabt wird, und weisen „das größte Maß von Parteidisziplin, bewusster Leitung und politischen Gedanken auf (...), (müssten) also nach dem Schema als die höchste und reifste Form des Massenstreiks erscheinen“.[xxiii] [33] In Wahrheit jedoch gehören sie zu den Anfängen der Bewegung und werden „mit der Entwicklung der ernsten revolutionären Kämpfe“[xxiv] [34] immer unwichtiger. Sie räumen das Feld zugunsten der elementareren Kräfte des kämpferischen Massenstreiks.
Zweitens überwindet diese Form des Massenstreiks die willkürliche Spaltung zwischen den ökonomischen und den politischen Kämpfen: „Jeder neuer Anlauf und neue Sieg des politischen Kampfes verwandelt sich in einen mächtigen Anstoß für den wirtschaftlichen Kampf, indem er zugleich seine äußeren Möglichkeiten erweitert und den inneren Antrieb der Arbeiter, ihre Lage zu bessern, ihre Kampflust erhöht. Nach jeder schäumenden Welle der politischen Aktion bleibt ein befruchtender Niederschlag zurück, aus dem sofort tausendfältige Halme des ökonomischen Kampfes emporschießen. Und umgekehrt. Der unaufhörliche ökonomische Kriegszustand der Arbeiter mit dem Kapital hält die Kampfenergie in allen politischen Pausen wach, er bildet sozusagen das ständige frische Reservoir der proletarischen Klassenkraft, aus dem der politische Kampf immer von neuem seine Macht hervorholt ...“[xxv] [35] Die Einheit zwischen ökonomischen und politischen Kämpfen ist „eben der Massenstreik“.[xxvi] [36]
Drittens ist „der Massenstreik von der Revolution unzertrennlich“. Jedoch lehnt Luxemburg das in der Arbeiterbewegung weit verbreitete Schema ab, nach dem der Massenstreik nur in einer blutigen Konfrontation mit dem Staat enden könne, die durch das Gewaltmonopol des Letztgenannten unvermeidlich zu einem massenhaften Blutvergießen führen müsse. Dies war die Grundlage, auf der der Massenstreik als nutzlose Geste bekämpft wurde. Im Gegensatz dazu entstand er, auch wenn die Russische Revolution sicherlich einen Zusammenstoß mit dem Staat und Blutvergießen beinhaltete, aus den objektiven Bedingungen des Klassenkampfes; er entstand aus dem In-die-Bewegung-Setzen von immer größeren Massen der Arbeiterklasse. Kurz: „... produziert nicht der Massenstreik die Revolution, sondern die Revolution produziert den Massenstreik“.[xxvii] [37]
Viertens kann, wie der vorherige Punkt besagt, ein wirklicher Massenstreik nicht dekretiert oder im Voraus geplant werden. Dies veranlasst Luxemburg dazu, das Element der Spontaneität zu betonen und die Idee zurückzuweisen, dass dies eine Folge der angeblichen Rückständigkeit Russlands sei: „Die Revolution ist, auch wenn in ihr das Proletariat mit der Sozialdemokratie an der Spitze die führende Rolle spielt, nicht ein Manöver des Proletariats im freien Felde, sondern sie ist ein Kampf mitten im unaufhörlichen Krachen, Zerbröckeln, Verschieben aller sozialen Fundamente. Kurz, in den Massenstreiks in Russland spielt das Element des Spontanen eine so vorherrschende Rolle, nicht weil das russische Proletariat ‚ungeschult‘ ist, sondern weil sich Revolutionen nicht schulmeistern lassen.“[xxviii] [38] Auch lässt sie sich nicht dazu verleiten, die Bedeutung der Organisation zu verneinen: „Der Entschluss und Beschluss der Arbeiterschaft spielt auch dabei eine Rolle, und zwar kommt die Initiative sowie die weitere Leitung natürlich dem organisierten und aufgeklärtesten sozialdemokratischen Kern des Proletariats zu.“[xxix] [39]
Luxemburgs Analyse unterscheidet sich deshalb so stark von jenen der Anarchisten und der orthodoxen Marxisten, weil sie innerhalb eines anderen Zusammenhangs angesiedelt ist: in jenem der Revolution. Auf den ersten Seiten von Massenstreik macht sie klar, dass ihre Schlussfolgerungen, die scheinbar jenen von Marx und Engels widersprechen, nur das Ergebnis der Anwendung ihrer Methode auf eine neue Situation sind: „... es sind dieselben Gedankengänge, dieselbe Methode, die der Marx-Engelschen Taktik, die auch der bisherigen Praxis der deutschen Sozialdemokratie zugrunde lagen, welche jetzt in der russischen Revolution ganz neue Momente und neue Bedingungen des Klassenkampfes erzeugten ...“[xxx] [40]
Kurz und gut, Luxemburg präsentiert eine Analyse der revolutionären Dynamik - mit der Arbeiterklasse an der Spitze -, die aus den sich ändernden objektiven Bedingungen entsteht. Dies führt sie richtigerweise dazu, die Spontaneität des Massenstreiks zu betonen, aber auch zur Erkenntnis, dass diese Spontaneität faktisch das Produkt der Erfahrung der Arbeiterklasse ist. Dies unterscheidet sie von solchen Leuten wie Kautsky, der, auch wenn er damals bei der Unterstützung des Massenstreiks gesehen wurde, der orthodoxen Sichtweise verbunden blieb und unfähig war, die fundamentalen Veränderungen zu begreifen, die die Russische Revolution von 1905 verkörperte.
1910 entwickelte sich eine zweite Phase der Debatte über den Massenstreik[xxxi] [41], die zum endgültigen Bruch zwischen Luxemburg und Kautsky führte. In dieser Debatte spielte Pannekoek eine wichtige Rolle und vertrat nicht nur Positionen, die denen Luxemburgs nahe standen, sondern entwickelte sie auch weiter. Er beginnt, indem er ausdrücklich die Frage des Massenstreiks mit den Lehren von 1905 verknüpft: „Das russische Proletariat … hat die Deutschen im Gebrauch einer neuen Waffe unterwiesen, des Generalstreiks“; „Die russische Revolution schaffte die Voraussetzungen für eine revolutionäre Bewegung in Deutschland“.[xxxii] [42] In seiner Auffassung über den Charakter des Massenstreiks folgt er Luxemburg, indem er ihn als einen Prozess betrachtet und Kautskys Auffassung über ihn als einen „einmaligen Akt“ kritisiert. Er argumentiert, dass der Massenstreik eine Fortsetzung des Tageskampfes bilde, und richtet eine Verbindung zwischen den aktuellen Aktionsformen, die eher klein sind, und jenen Aktionen her, die zur Eroberung der Macht führen. Er setzt die Massenaktion in Beziehung zur Entwicklung des Kapitalismus: „... unter dem Einfluss der modernen Formen des Kapitalismus haben sich in der Arbeiterbewegung neue Aktionsformen ausgebildet, die Massenaktionen (...) Als sie sich aber zu einer machtvollen Praxis entwickelten, stellten sie neue Probleme; die Frage der sozialen Revolution – bisher ein Endziel in ungreifbarer Ferne – erhob sich als eine beginnende Gegenwartsfrage vor den Augen des kämpferischen Proletariats.“[xxxiii] [43] Er fährt fort, indem er die dynamischen, entwicklungsfähigen Aspekte des Massenstreiks verteidigt: „Deshalb weisen wir noch einmal darauf hin, dass im Fortschreiten dieser Aktionen, bei denen die tiefsten Interessen und Leidenschaften der Massen zum Durchbruch kommen, nicht die Angehörigkeit zur Organisation, nicht eine traditionelle Ideologie, sondern immer mehr der reale Klassencharakter den Ausschlag gibt.“[xxxiv] [44] Er zieht den Schluss, dass der wesentliche Unterschied zwischen seiner Position und jener von Kautsky in der Frage der Revolution besteht, und zeigt damit, wohin Kautskys Zentrismus führt: „Über diese Revolution sind nun unsere Meinungen auseinander gekommen. Für Kautsky bilden sie einen Akt in der Zukunft, eine politische Katastrophe, und haben wir uns bis dahin nur auf jene große Entscheidungsschlacht vorzubereiten, indem wir unsere Macht zusammenbringen, unsere Truppen sammeln und sie einüben. Für uns ist sie ein Prozess der Revolution – in dessen erste Anfänge wir schon hineinwachsen -, weil die Massen erst gesammelt, eingeübt und zu einer zur Eroberung der Herrschaft fähigen Organisation gemacht werden können durch den Kampf um die Herrschaft selbst. Diese Verschiedenheit der Auffassung ergibt eine durchaus verschiedene Bewertung der Gegenwartsaktionen; und es ist klar, dass die revisionistische Ablehnung jeder revolutionären Aktion und ihre Hinausschiebung in unbestimmte Ferne bei Kautsky sie in mancher Gegenwartsfrage einander nahe bringen müssen, in der sie zusammen uns gegenüberstehen.“[xxxv] [45]
Trotzki schildert die Sowjets in seinem Buch 1905 als sehr mächtig, wie wir in früheren Artikeln dieser Reihe sahen. Am Ende des Buches fasst er in einer Passage, die in dieser Serie bereits teilweise zitiert wurde, die Bedeutung des Sowjets während der Revolution zusammen:
„Bereits vor der Einsetzung des Rates finden wir in den Kreisen des industriellen Proletariats zahlreiche revolutionäre Organisationen, deren Leitung hauptsächlich von der Sozialdemokratie besorgt wurde. Aber das waren Organisationen im Proletariat; ihr unmittelbares Ziel war - der Kampf um den Einfluss auf die Massen. Der Rat aber schwang sich mit einem Schlage zur Organisation des Proletariats auf, sein Ziel war – der Kampf um die revolutionäre Macht. Indem der Delegiertenrat zum Brennpunkt der revolutionären Kräfte des Landes wurde, löste er sich dennoch nicht in dem Chaos der Revolution auf, er war und blieb der organisierte Ausdruck des Klassenwillens des Proletariats. In seinem Kampfe um die Macht bediente er sich der Methoden, die sich aus dem Charakter des Proletariats als einer Klasse naturgemäß ergeben: aus seiner Rolle in der Produktion, seiner Zahl, seiner sozialen Gleichartigkeit. Noch mehr: den Kampf um die Macht an der Spitze aller revolutionären Kräfte verband er mit der allseitigen Leitung der Klassenselbsttätigkeit der Arbeitermassen – er förderte nicht nur die Organisation der Gewerkschaften, er griff sogar in die Konflikte einzelner Arbeiter mit ihren Arbeitgebern (...) Das Hauptkampfmittel des Rates war der politische Massenstreik. Die revolutionäre Wirkung eines solchen Streiks besteht darin, dass sie über den Kopf des Kapitals hinweg die staatliche Gewalt desorganisiert. Je größer und allgemeiner die von ihm herbeigeführte Anarchie wird, um so näher ist der Sieg. Aber nur in einem Falle: wenn diese Anarchie nicht mit anarchistischen Mitteln herbeigeführt wird. Die Klasse, die auf dem Wege der einmaligen Arbeitseinstellung den Produktionsapparat und zu gleicher Zeit den zentralisierten Apparat der Staatsgewalt lahm legt, indem sie die einzelnen Teile des Landes von einander isoliert und eine allgemeine Unsicherheit erzeugt, muss selbst genügend organisiert sein, wenn sie nicht als erstes Opfer der von ihr geschaffenen Anarchie fallen will. Je mehr der Streik die bestehende Staatsorganisation paralysiert, um so mehr muss die Organisation des Streiks selbst die Ausübung der Staatsfunktionen auf sich nehmen. Die Bedingungen des allgemeinen Streiks als eines proletarischen Kampfmittels waren zugleich die Bedingungen des gewaltigen Einflusses des Arbeiterdelegiertenrates.“[xxxvi] [46]
Nach der Niederlage der Revolution schaute er nach vorn, auf die Rolle, die der Rat in Zukunft spielen würde: „Das städtische Russland bildete eine zu schmale Basis für den Kampf. Der Sowjet wollte den Kampf auf Landesebene führen, er selbst blieb jedoch vor allem eine Petersburger Angelegenheit … Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich bei der nächsten Revolutionswelle solche Arbeiterräte im ganzen Land bilden werden. Ein allrussischer Arbeitersowjet, der von einem Landeskongress organisiert wird, übernimmt dann die Führung … Die Geschichte wiederholt sich nicht. Der neue Sowjet wird die Erfahrung der fünfzig Tage nicht noch einmal durchmachen müssen. Aber er wird aus diesen fünfzig Tagen sein ganzes Aktionsprogramm herleiten können …: die revolutionäre Kooperation mit der Armee, der Bauernschaft und den unteren Schichten der Mittelklassen; die Beseitigung des Absolutismus; die Zerschlagung des absolutistischen Militärapparats; die partielle Auflösung und partielle Reorganisation der Armee; die Abschaffung der Polizei und des bürokratischen Apparats; den Achtstundentag; die Bewaffnung des Volkes, vor allem der Arbeiter; die Umwandlung des Sowjets in Organe einer revolutionären, städtischen Selbstverwaltung; die Bildung von Bauernsowjets, die an Ort und Stelle die Agrarrevolution überwachen; Wahlen zur konstituierenden Versammlung … Es ist leichter, einen solchen Plan zu formulieren als ihn auszuführen. Aber wenn der Revolution der Sieg bestimmt ist, dann muss das Proletariat diese Rolle übernehmen. Es wird eine revolutionäre Leistung vollbringen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.“[xxxvii] [47]
In Ergebnisse und Perspektiven unterstreicht Trotzki, dass die Sowjets eine Kreation der Arbeiterklasse waren, die der revolutionären Periode entsprach: „Das waren keine genau vorbereiteten Verschwörerorganisationen, die in einem Moment der Erregung die Macht über die proletarische Masse ergriffen hatten. Nein, das waren Organe, die von dieser Masse selbst planmäßig zur Koordinierung ihres revolutionären Kampfes geschaffen wurden. Und diese, von der Masse gewählten und der Masse verantwortlichen Sowjets, diese unbedingt demokratischen Einrichtungen, führen eine äußerst entscheidende Klassenpolitik im Geiste des revolutionären Sozialismus.“[xxxviii] [48]
Lenins Haltung gegenüber den Sowjets von 1905 ist bereits in der Internationalen Revue Nr. 123 (engl., franz. und span. Ausgabe) kurz erwähnt worden, in der wir aus einem unveröffentlichten Brief zitierten, worin er die Opposition einiger Bolschewiki gegenüber den Sowjets ablehnte, für „sowohl den Sowjet der Arbeiterdeputierten als auch die Partei“[xxxix] [49] stritt sowie das Argument ablehnte, dass der Sowjet irgendeiner Partei angeschlossen sein müsse. Nach der Revolution verteidigte Lenin beharrlich die Rolle der Sowjets bei der Organisierung und Vereinigung der Klasse. Noch vor dem Vereinigungskongress von 1906[xl] [50] entwarf er eine Resolution über die Sowjets der Arbeiterdeputierten, in der sie als ein Kennzeichen des revolutionären Kampfes anerkannt wurden und nicht als einmaliges Phänomen von 1905: „Sowjets der Arbeiterdeputierten (entstehen) auf dem Boden der politischen Massenstreiks als parteilose Organisationen der breiten Arbeitermassen (…); (sie sind) Keimformen der revolutionären Staatsmacht“[xli] [51] Die Resolution legte ferner die Haltung der Bolschewiki gegenüber den Sowjets dar und schloss, dass die Revolutionäre an ihnen teilnehmen und die Arbeiterklasse so wie auch Bauern, Soldaten und Seeleute dazu veranlassen sollten, sich ebenfalls an ihnen zu beteiligen. Doch warnte die Resolution davor, dass die Ausweitung der Aktivitäten und des Einflusses des Sowjets in sich zusammenbrechen würde, es sei denn, sie würde von einer Armee gestützt: „daher muss die Bewaffnung des Volkes und die Verstärkung der militärischen Organisation des Proletariats als eine Hauptaufgabe dieser Einrichtungen in jeder revolutionären Situation betrachtet werden“.[xlii] [52] In anderen Texten verteidigt Lenin die Rolle der Sowjets als Organe des allgemeinen revolutionären Kampfes, wobei er allerdings sagt, dass sie allein nicht ausreichten, um eine bewaffnete Erhebung zu organisieren. 1917 erkannte er, dass die Ereignisse über die bürgerliche Revolution hinaus auf die proletarische Revolution zusteuerten und dass in ihrem Zentrum die Sowjets stünden: „Keine parlamentarische Republik – von den Sowjets der Arbeiterdeputierten zu dieser zurückzukehren wäre ein Schritt rückwärts -, sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter-, Landarbeiter- und Bauerndeputierten im ganzen Lande, von unten bis oben.“[xliii] [53] Nun analysierte er in Worten, die denen Trotzkis auffallend ähnlich waren, den Charakter der Doppelmacht, die in Russland existierte: „Diese Doppelherrschaft kommt zum Ausdruck im Bestehen zweier Regierungen: der eigentlichen, wirklichen Hauptregierung, der Regierung der Bourgeoisie, der ‚Provisorischen Regierung’ Lwow und Co., die über alle Machtorgane verfügt, und der zusätzlichen, ‚kontrollierenden’ Nebenregierung in Gestalt des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten, die über keine Organe der Staatsmacht verfügt, sich aber unmittelbar auf die anerkannt absolute Mehrheit des Volkes, auf die bewaffneten Arbeiter und Soldaten stützt.“[xliv] [54]
Die Streitfragen, die die Revolution von 1905 provozierte, haben alle folgenden revolutionären Praktiken und Debatten geprägt. In diesem Sinn ziehen wir den Schluss, dass 1905 nicht einfach eine Generalprobe für 1917 war, wie gemeinhin gesagt wird, sondern der erste Akt in einem Drama, das noch nicht sein Finale erreicht hatte. Die Fragen von Theorie und Praxis, die wir in dieser Serie öfters erwähnt haben, wurden kontinuierlich weiterentwickelt. Eine Konstante bestand darin, dass es immer die Linke der Arbeiterbewegung war, die diese Arbeit leistete. Während der revolutionären Welle schlossen sich viele andere Lenin, Luxemburg, Trotzki und Pannekoek an. Im Gefolge ihrer Niederlage, als die Konterrevolution im Allgemeinen und der Stalinismus im Besonderen triumphierten, wurden ihre Reihen drastisch ausgedünnt. Der Stalinismus war die Negation der vielgestaltigen proletarischen Formen von 1905: Arbeiter wurden im Namen des „Arbeiterstaates“ abgeschlachtet, die Sowjets wurden zugunsten einer zentralen Bürokratie erstickt, und der Begriff der proletarischen Revolution wurde zu einer ideologischen Waffe der Außenpolitik des stalinistischen Staates pervertiert.
Jedoch widerstanden überall auf der Welt Minderheiten der Konterrevolution. Die entschlossensten und gründlichsten unter ihnen waren jene Organisationen, die wir als der Kommunistischen Linken angehörig betrachten und die das Thema zahlreicher Studien der IKS gewesen sind.[xlv] [55] Die Fragen des Ziels, der Methode und der Form der Revolution standen im Mittelpunkt ihrer Arbeit, und dank ihren Bemühungen und ihrer Selbstaufopferung sind viele der Lehren von 1905 vertieft und geklärt worden.
Was die zentrale Frage der proletarischen Revolution selbst angeht, so bestand der größte Schritt vorwärts in der Erkenntnis, dass die materiellen Bedingungen für die kommunistische Weltrevolution seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts existierten. Dies wurde auf dem ersten Kongress der Dritten Internationale vertreten und von der Italienischen Kommunistischen Linken mit der Erarbeitung der Theorie der kapitalistischen Dekadenz weiterentwickelt. Sie machte deutlich, dass die Ära der bürgerlichen Revolutionen zu Ende war und dass die Diskussion in Russland über die Rolle des Proletariats nicht faktisch eine Widerspiegelung der Verspätung der bürgerlichen Revolution in diesem Land war, sondern ein Indikator dafür, dass die ganze Welt in eine neue Periode eingetreten war, in der die Aufgabe die weltweite kommunistische Revolution war und bleibt. Diese Klärung schuf den einzigen Rahmen, innerhalb dessen alle anderen Fragen verstanden werden konnten.
Die Anerkennung der unersetzlichen Rolle des Massenstreiks bedeutete ein Wiederaufgreifen der fundamentalen marxistischen Position, dass die Revolution durch eine Klassenschlacht zwischen Proletariat und Bourgeoisie erfolgt. Der parlamentarische Weg war niemals eine Option; genauso wenig würde der Kommunismus das Resultat einer Anhäufung von Reformen durch die Teilkämpfe sein. Die Massenaktion stellt Klasse gegen Klasse. Sie ist auch das Mittel, womit das Proletariat sein Bewusstsein und seine praktische Erfahrung entwickelt. Wie Pannekoek und Luxemburg erkannten, zog sie in immer höherem Tempo Arbeiter an, bildete sie und trainierte sie für den Kampf. Sie ist eine ungleichförmige Bewegung, die aus der Arbeiterklasse entsteht und innerhalb derer die revolutionären Minderheiten eine dynamische Rolle spielen. Ihre Wirklichkeit bestätigt den grundlegenden marxistischen Standpunkt über die Wechselbeziehung zwischen Bewusstsein und Aktion.
Die Diskussion über die Rolle der Sowjets bzw. die Arbeiterräte führte zur Klarheit über die Rolle der Gewerkschaften, über das Verhältnis zwischen revolutionärer Organisation und den Räten und über die ganze Frage der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus.
North, 2.2.06
[i] [56] siehe L. Trotzki, 1905, Kap. 10, Die neue Macht.
[ii] [57] Diese Artikel ist Teil der Serie Die Dekadenztheorie im Zentrum des historischen Materialismus und wird voraussichtlich in der Internationalen Revue Nr. 39 auf Deutsch erscheinen.
[iii] [58] Gegen die Auffassung vom ‚genialen Chef‘, Internationale Revue Nr. 33 (engl., franz. und span. Ausgabe).
[iv] [59] s. R. Luxemburg, Die Theorie und die Praxis,https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1910/theoprax/index.htm [60].
[v] [61] s. L. Trotzki, Ergebnisse und Perspektiven, Kap. 7, Die Voraussetzungen des Sozialismus, http://www.marxists.org/ [62]
deutsch/archiv/trotzki/1906/erg-pers/index.htm
[vi] [63] a.a.O., Kap. 8, Die Arbeiterregierung in Russland und der Sozialismus.
[vii] [64] a.a.O., Kap. 6, Das proletarische Regime.
[viii] [65] a.a.O., Kap. 4, Revolution und Proletariat.
[ix] [66] Wperjod (Vorwärts) wurde von den Bolschewiki gegründet, nachdem die Menschewiki 1903 im Anschluss an den Zweiten Kongress der russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei die Kontrolle über die Iskra (Der Funke) übernommen hatten.
[x] [67] s. W. I. Lenin, Ges. Werke, Band 9, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, Kap. 10, Die ‚revolutionären Kommunen‘ und die revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft.
[xi] [68] Im April 1905 beriefen die Bolschewiki den Dritten Kongress der RSDAP ein. Die Menschewiki verweigerten ihre Teilnahme und hielten ihre eigene Konferenz ab.
[xii] [69] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 9, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, Kap. 4, Die Liquidierung der monarchischen Staatsordnung und die Republik.
[xiii] [70] s. W. I. Lenin, Ges. Werke, Bd. 10, Bericht über den Vereinigungsparteitag der SDAPR, Kap. VIII, Die Ergebnisse des Parteitags.
[xiv] [71] s. W. I. Lenin, Ges. Werke, Bd. 10 S. 428, Der Wahlsieg der Sozialdemokratie in Tiflis, 1906.
[xv] [72] „Der Grad der ökonomischen Entwicklung Russlands (die objektive Bedingung) und der Grad des Klassenbewusstseins und der Organisiertheit der breiten Massen des Proletariats (die subjektive Bedingung, die mit der objektiven unlöslich verbunden ist) machen eine sofortige vollständige Befreiung der Arbeiterklasse unmöglich. Nur ganz unwissende Leute können den bürgerlichen Charakter der vor sich gehenden demokratischen Umwälzung ignorieren ...“ (aus: Zwei Taktiken der Sozialdemokratie ..., Kap. 2, „Was sagt die Resolution des III. Parteitags der SDAPR über die provisorische revolutionäre Regierung?“
[xvi] [73] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 24 S. 4, Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution (Die Aprilthesen)
[xvii] [74] ) s. R. Luxemburg, Der Massenstreik, die Partei und die Gewerkschaften, Kap. IV
[xviii] [75] s. R. Luxemburg, Die Revolution in Russland, Gesammelte Werke Bd. 1 /2 S. 492 ff.
[xix] [76] s. R. Luxemburg, Der Massenstreik, die Partei und die Gewerkschaften, Kap. VII.
[xx] [77] Ebenda.
[xxi] [78] Es wurde geschrieben, als Luxemburg nach ihrer Entlassung aus polnischer Haft in Finnland war, wo sie sich an der revolutionären Bewegung beteiligt hatte. Es ist möglicherweise aufschlussreich, dass sie viel Zeit in Finnland mit führenden Bolschewiki, einschließlich Lenin, verbrachte.
[xxii] [79] s. R. Luxemburg, Der Massenstreik, die Partei und die Gewerkschaften, Kap. IV.
[xxiii] [80] Ebenda.
[xxiv] [81] Ebenda.
[xxv] [82] Ebenda.
[xxvi] [83] Ebenda.
[xxvii] [84] Ebenda.
[xxviii] [85] Ebenda
[xxix] [86] Ebenda.
[xxx] [87] s.o.; Kap. I.
[xxxi] [88] Siehe unser Buch The Dutch and the German Communist Left für eine breitere Diskussion darüber.
[xxxii] [89] Prussia in Revolt, in: Internationalist Socialist Review“, Band 10, Nr. 11, Mai 1910, www.marxists.org/archive/pannekoe/1910/prussia.htm [90]
[xxxiii] [91] s. A. Pannekoek, Marxistische Theorie und revolutionäre Taktik, in: Die Neue Zeit, XXXI, Nr. 1, 1912, www.marxists.org/archive/pannekoe/1912/tactics.htm [92]
[xxxiv] [93] Ebenda.
[xxxv] [94] Ebenda.
[xxxvi] [95] s. L. Trotzki, 1905, Kap. 22, „Die Bilanz der Revolution“, www.marxists.org/archive/trotsky/1907/1905/ch22.htm [96].
[xxxvii] [97] Aus einem Beitrag zur Geschichte des Sowjets, zitiert nach Isaac Deutscher, Trotzki – Der bewaffnete Prophet 1879–1921, Kap. VI, Die ‚Permanente Revolution’
[xxxviii] [98] Trotzki, Ergebnisse und Perspektiven; Kapitel 3 1789 – 1848 – 1905.
[xxxix] [99] s. W. I. Lenin, Ges. Werke, Bd. 10, Unsere Aufgaben und der Sowjet der Arbeiterdeputierten.
[xl] [100] Der Einheitskongress der SDAPR wurde im April 1906 abgehalten und führte zur Wiedervereinigung der Bolschewiki mit den Menschewiki, was eine Folge der Dynamik der Revolution war.
[xli] [101] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 10 S. 148 f., Taktische Plattform zum Vereinigungsparteitag der SDAPR
[xlii] [102] Ebenda. Es gab keine Diskussion über die Sowjets auf dem Kongress, der von den Menschewiki dominiert war.
[xliii] [103] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 24, Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution (Aprilthesen).
[xliv] [104] s. W. I. Lenin, Ges. Werke Bd. 24 S. 45, Über die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, Die eigenartige Doppelherrschaft und ihre klassenmäßige Bedeutung.
[xlv] [105] siehe unsere Bücher The Italian Left 1926-45, The Dutch and German Communist Left, The Russian Communist Left und The British Communist Left (sie sind auch in anderen Sprachen erschienen, auszugsweise auch auf Deutsch).
Links
[1] https://de.internationalism.org/content/1170/1936-die-volksfronten-spanien-und-frankreich
[2] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/spanien-1936
[3] https://de.internationalism.org/content/1168/die-dekadenztheorie-im-zentrum-des-historischen-materialismus-teil-4
[4] https://de.internationalism.org/tag/2/25/dekadenz-des-kapitalismus
[5] https://de.internationalism.org/content/1169/die-internationalen-konferenzen-der-kommunistischen-linken-1976-1980
[6] https://de.internationalism.org/tag/politische-stromungen-und-verweise/kommunistische-linke
[7] https://de.internationalism.org/tag/3/44/internationalismus
[8] https://de.internationalism.org/content/1172/krieg-im-libanon-im-mittleren-osten-im-irak
[9] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/naher-osten
[10] https://de.internationalism.org/tag/3/46/krieg
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[57] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref2
[58] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref3
[59] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref4
[60] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1910/theoprax/index.htm
[61] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref5
[62] http://www.marxists.org/
[63] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref6
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[89] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref32
[90] https://www.marxists.org/archive/pannekoe/1910/prussia.htm
[91] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref33
[92] https://www.marxists.org/archive/pannekoe/1912/tactics.htm
[93] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref34
[94] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref35
[95] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref36
[96] https://www.marxists.org/archive/trotsky/1907/1905/ch22.htm
[97] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref37
[98] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref38
[99] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref39
[100] https://de.internationalism.org/russrev/38#_ednref40
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[106] https://de.internationalism.org/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/1905-revolution-russland