In Zürich hat dieses Jahr am 1. Mai die demokratische Bourgeoisie das traditionelle „Nachdemonstrations-Ritual“, welches mit „Randale“ verbunden war, radikal verhindert. Man könnte darüber spekulieren, wieso gerade in diesem Jahr so ein rigoroser Schritt gegen die für den Staat keineswegs gefährlichen Nachdemonstranten beschlossen wurde.
Schon bei den Studentenunruhen im letzten Winter in England ging die „freundlichste“ Polizei der Welt maßlos repressiv gegen die meist jugendlichen Demonstranten vor. Nach den Unruhen in den arabischen Ländern, gibt es auch in den fortgeschrittensten demokratischen Ländern eine gewisse Angst vor der unbändigen Jugend, die in immer mehr Ländern sich gegen das menschenverachtende kapitalistische System wehrt. Der Hintergrund der ansteigenden Repressionsspirale ist die zunehmende Armut und Perspektivlosigkeit aufgrund der aktuellen Krise, vor allem der Jugendlichen, die keinen Eintritt in das Erwerbsleben finden.
Diese Situation birgt einen enormen Zündstoff für eine soziale Revolte. Darum reagiert die hiesige herrschende Klasse präventiv mit äußerst repressiven Mitteln, indem sie fast 600 willkürlich am Helvetiaplatz (Platz in Zürich) sich befindende Menschen festnahm und in eine sogenannte Haftstraße überführte, wo die Personalien aufgenommen und einige über Nacht verwahrt wurden. Dies geschah alles, bevor sich irgendetwas im Sinne des üblichen Katz-und-Maus-Spiels mit entsprechenden Sachbeschädigungen wie in den Vorjahren abzeichnete.
Es gebührt dem allerdemokratischsten Polizeivorsteher der Grünen, Leupi, solche weitgehende präventive Repressionsmaßnahmen umgesetzt zu haben. Auch die Gewerkschaften, die linken und linksextremen Gruppierungen rund um das 1.-Mai-Komitee hatten sich mit den Polizeikräften über die Repressionsmaßnahmen ‚verständigt‘. Mit dieser repressiven „Einheitsfront“ wird heute gegen die noch wenigen zornigen jungen und teilweise weniger jungen Leute vorgegangen. In Zukunft wird sich die repressive Einheitsfront auch gegen breitere Kreise und vor allem gegen die Arbeiterklasse richten.
Dabei verfolgt die demokratische Repression verschiedene Ziele. Zunächst einmal geht es der Polizei darum zu zeigen, dass sie sich auf den Ernstfall vorbereitet und handfest zuschlägt. Alle, die sich in einem bestimmten Gebiet aufhalten – egal welcher Gesinnung und mit welchen Motiven – werden mit Gewalt verhaftet, bis auf die Unterhosen kontrolliert und fichiert. Dazu gehört, dass man stundenlang massenhaft an einem bestimmten Ort festgehalten und später einzeln gedemütigt wird. Es ist eine Machtdemonstration, die abschrecken und einschüchtern soll. Und wehe dem, der nächstes Jahr ein zweites Mal unter den Festgenommenen ist! Er wird kaum damit rechnen können, nach 24 Stunden wieder auf freiem Fuß zu sein, selbst wenn er nichts anderes verbrochen hat, als sich am 1. Mai am falschen Ort aufzuhalten. Trotz Sparmaßnahmen bei allen kantonalen und städtischen Angestellten scheut die Polizei am 1. Mai keine Kosten; laut offiziellen Angaben kostete der Einsatz der Stadtpolizei allein rund 1 Million Franken, mehr als je zuvor – dazu kommen noch die Kosten der aufgebotenen Kantonspolizei. Die Ereignisse rund um den 1. Mai sind für die Polizei ein willkommenes Exerzierfeld für den Straßenkampf mit Einkesselungen von Hunderten von Leuten, Absperrung von Straßen und Plätzen, mit dem Einsatz von Helikoptern während des ganzen Nachmittags, Überwachungsdrohnen usw. Dabei setzt die Polizei auch zivile Trupps in den Reihen der Demonstranten und Gaffer ein, die als Teilnehmer erscheinen sollen und oft auch selber Sachbeschädigungen provozieren, um dann vermeintliche Bösewichte in flagranti festzunehmen.
Diese Machtdemonstration der Polizei darf uns aber nicht abschrecken. Sie zeigt, dass die demokratische herrschende Klasse selber weiß, dass ihre Macht weder ewig noch selbstverständlich ist. Wenn die Beherrschten die bestehende Ordnung nicht mehr akzeptieren, bleibt den Herrschenden nur noch die offene Gewalt. Deshalb trainiert sie ihre Repressionskräfte und versucht, diejenigen einzuschüchtern, die aufbegehren oder daran denken, es zu tun.
Auf der Ebene der offenen Gewalt hat die herrschende Klasse eine große Erfahrung, und die Arbeiterklasse hat auf dieser Ebene in nicht revolutionären Zeiten zumeist schlechte Karten.
Um ein besseres Kräfteverhältnis gegenüber der Unterdrückerklasse herzustellen, muss die Arbeiterklasse versuchen sich selbst zu organisieren, wie sie es z.B. in Frankreich gemacht hat, als sie in Millionen auf die Straße ging und die ArbeiterInnen dort auch Vollversammlungen abhielten. „Prinzipiell ist es enorm wichtig, dass die Streikenden, Schüler, Rentner, prekär Beschäftigten und Arbeiter ihre Kämpfe selbst organisieren. Nur so können sie zusammen kommen und ihre Forderungen in gemeinsamen Diskussionen herausfinden. Gerade für die Letztgenannten ist diese Einsicht wichtig, da die Gewerkschaften sich ja stets als Vertreter der Beschäftigten für die jeweiligen Branchen ausgeben. Doch gerade auf die Gewerkschaftspolitik ist man so sauer gewesen. Wenn man sich die Streiks und Demos der vergangenen Monate in Frankreich anschaut, würde ich sagen, dass wir erst am Anfang von selbst organisierten Kämpfen stehen. Es gab Ansätze von Eigeninitiativen, oft auch angeregt von politisch organisierten Leuten. Aber dies sind auf jeden Fall erste wichtige Erfahrungen von Selbstorganisierung.“ (Wo geht’s lang zum (selbstorganisierten) Klassenkampf https://de.internationalism.org/IKSonline2011_interviewfrankreich [1])
Nebst den Erfahrungen in Frankreich gibt es auch die Erfahrungen in Tunesien und Ägypten und an anderen Orten, wo auch Vollversammlungen gemacht wurden, von denen wir einiges lernen können, wie man Maßnahmen ergreifen kann, um das kapitalistische System wirksam in Frage zu stellen. Anfang Mai 2011, D+C
Dabei werden meist die oft zweistelligen Wachstumszahlen dieser Staaten als Beleg für den Erfolg und das Aufstreben dieser Staaten angeführt. In diesem Artikel wollen wir uns nicht näher mit der ökonomischen und desaströsen ökologischen Bilanz dieser Staaten befassen - wir sind in anderen Artikeln unserer Presse ausführlicher darauf eingegangen. Stattdessen wollen wir hier nur eine Frage behandeln: ist eine friedliche Entwicklung dieser neuen Staatengruppe denkbar? Ist der wirtschaftliche Aufschwung in diesen Staaten und deren Aufsteigen in der imperialistischen Hackordnung ohne militärische Konflikte möglich?
Die hohen Wachstumszahlen dieser Staaten - bei manchen mehrere Jahre lang fast zweistellig – dienen den Ökonomen als Argument für die Vitalität des Kapitalismus. Aber noch stärker als die Wachstumszahlen der Wirtschaft ragen die überaus hohen Steigerungen der Rüstungsausgaben heraus – denn diese sind in diesen Staaten überproportional und viel stärker als das BIP gewachsen:
- China hat seinen Militärhaushalt in den letzten 10 Jahren auf zuletzt 63 Mrd. USD verdreifacht (vermutlich beträgt er in Wirklichkeit das Doppelte).
- Seit 1998 hat Indien seinen Rüstungsetat jährlich zwischen 13-25% erhöht.
- Nach einem drastischen Rückgang der Militärausgaben in Russland nach 1989 sind diese aber seit 2001 um ca. 80%, im Vergleich zu 1998 inflationsbereinigt gar um nahezu 200% gestiegen.
- Während die Rüstungsausgaben in den letzten 10 Jahren in Lateinamerika insgesamt um 50% stiegen, will allein Brasilien seine Militärausgaben in den nächsten Jahren um über 20% erhöhen.
Wie kann man dieses enorme Anwachsen der Militärausgaben erklären? Was verheißen diese?
China – Vom „underdog“ zum Herausforderer
China, das in den letzten 100 Jahren immer wieder vom Militarismus verwüstet wurde, erhebt mittlerweile Großmachtansprüche. Weltweit liegt es bei den Rüstungsausgaben hinter den USA mittlerweile an zweiter Stelle.
In den 1920er und 1930er Jahren wurde das Land durch Auseinandersetzungen zwischen warlords zerrüttet; in den 1930er Jahren überzog der Krieg zwischen verschiedenen Flügeln der chinesischen Bourgeoisie (Kuomintang und den maoistisch-stalinistischen Truppen) weite Landesteile, gefolgt von einem Krieg mit dem japanischen Besatzer von 1937-45. Kaum war der Zweite Weltkrieg beendet, wütete erneut der Krieg zwischen den Truppen Maos und der Kuomintang. Kurz nach der Teilung des Landes in die Volksrepublik China und Taiwan 1949 trat die Volksrepublik an der Seite Russlands im Koreakrieg (1950-53) in die erste große Auseinandersetzung mit den USA ein. Ende der 1950er Jahre begann die Konfrontation mit der Sowjetunion, die zu großen Spannungen und Zusammenstößen entlang dem Ussuri-Fluss in den 1960er Jahre führte, mit der Gefahr eines Atomwaffenganges. Zwischendurch gab es 1962 erste Scharmützel mit Indien.
Aufgrund der skizzierten Geschichte Chinas im 20. Jahrhunderts wucherte ein gewaltiger Militärapparat, der zur Zeit des Maoismus aus einer waffentechnisch rückständigen Armee bestand, die jedoch über einen nahezu grenzenlosen Vorrat an „Kanonenfutter“ verfügte. Nachdem Ende der 1980er Jahre mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Umwälzung nicht nur auf ökonomischer Ebene eingeleitet wurde, sondern auch auf militärischer, hat China gewaltige Massen an Soldaten (seine Landstreitkräfte umfassen immer noch 1.4 Mio. Soldaten) „freigesetzt“, um mehr Ressourcen in die Erneuerung seiner Waffensysteme zu stecken. In allen Bereichen soll die Ausrüstung modernisiert werden. Zwar verpulvern weltweit die USA noch am meisten Geld für ihre Streitkräfte. Mit einem Militäretat in Höhe von 661 Milliarden Dollar waren sie 2009 für 43 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben verantwortlich, offiziell gab China 2008 63.6 Mrd. USD aus, d.h. ein Zehntel von dem, was die USA in die Rüstung steckten. Die Zunahme der Militärausgaben in China ist jedoch eine der stärksten Wachstumsraten weltweit, auch wenn China in Anbetracht des vorhandenen Abstands zu den USA diese vermutlich nie einholen wird. Aber das neue militärische Gewicht und die Ambitionen Chinas haben schon jetzt eine destabilisierende Wirkung, welche die Rüstungsspirale weltweit mit verschärft.
Zudem muss China durch seine Abhängigkeit von Rohstoffen (es ist zu mehr als 50% bei der Energieversorgung vom Ausland abhängig) insbesondere in Afrika, Südamerika und in Asien nach Einflussmöglichkeiten und Verbündeten suchen, womit es automatisch mit den USA und anderen Ländern in Konflikt gerät. Auch wenn China im Vergleich zu dem militärischen Riesen USA als ein Zwerg erscheint, hat dies dennoch besorgte Reaktionen der Nachbarn ausgelöst. So sehen sich nicht nur die USA zu entsprechenden Anstrengungen gezwungen, der Modernisierung der chinesischen Streitkräfte gegenzusteuern. Auch Japan, das sich durch Nordkorea bedroht sieht, versucht sich militärisch auf die Herausforderung durch China einzustellen. Aber vor allem Indien betrachtet China als einen Erzrivalen.
Der Aufstieg Chinas zur herausfordernden, nach mehr Einfluss und Selbständigkeit drängenden Macht muss notwendigerweise an der weltweiten imperialistischen Hackordnung rütteln und Gegenreaktionen der Rivalen auslösen.
Die Entwicklung Chinas ist ein deutliches Beispiel für den kapitalistischen Niedergang, wo ein zuvor quasi aufgeteiltes, besetztes, zersplittertes und vom Militarismus ausgeblutetes Land, das als „underdog“ galt, sich zum „eigenständigen“ Akteur gemausert hat, das nun Großmachtambitionen zeigt. Es kann keinen „Aufstieg“ einer neuen Großmacht geben, ohne dass dies als Bedrohung der imperialistischen Interessen der Rivalen angesehen wird.
Indien – im Rüstungswettlauf mit dem Erzrivalen China
Das Land, das 1947 bei seiner Unabhängigkeit von Großbritannien von der ehemaligen Kolonialmacht in Pakistan, (das damals noch aus dem Westteil, dem heutigen Pakistan und dem Ostteil, dem heutigen Bangladesch bestand) und Indien geteilt wurde, führte schon 1949 seinen ersten Krieg gegen Pakistan, 1965 erneut gegen Pakistan um Kaschmir. 1962 gerieten Indien und China das erste Mal direkt aneinander. Seitdem wird die indische Politik durch die Rivalität mit dem großen Nachbarn im Nordosten beherrscht. Erschwerend kommt hinzu, dass China in Pakistan einen Verbündeten gefunden hat, der – mittlerweile zur Atommacht geworden – Indien bereits in einen permanenten Rüstungswettlauf treibt. Die chronische Rückständigkeit und Verkrüppelung der indischen Wirtschaft, die durch die langjährige koloniale Fesselung entstand, wurde nach der Unabhängigkeit noch durch die nationalistische Abschottungspolitik verstärkt. Seit den 1990er Jahren hat auch Indien angefangen, sich den neuen Verhältnissen der „Globalisierung“ anzupassen. Das Land, einst eine „amputierte“ Kolonie, wird jetzt zur „herausfordernden“ Macht in der Region, die als Gegengewicht zum Aufsteiger China auftritt. Indien ist mittlerweile zum wichtigsten Kunden für die internationale Rüstungsindustrie geworden, in das neun Prozent aller weltweit gehandelten Waffen exportiert werden. Auf Rang zwei der wichtigsten Waffenkunden folgt China. Sechs Prozent aller weltweit gehandelten Waffen importiert China. Indien hat seinen Wehretat 2010 um gut ein Drittel erhöht. Mit 126 Kampfflugzeugen im Wert von umgerechnet 7,3 Milliarden Euro hat das Land einen der größten Einzelaufträge ausgeschrieben. Eine der technologisch wichtigsten Waffenlieferanten Indiens ist Israel. Die indische Marine will ihren Einfluss vom Persischen Golf bis zur Straße von Malakka geltend machen können sowie die Fähigkeit zu offensiven Operationen über die Landesgrenzen hinaus entwickeln. Indien ist besorgt wegen der Kette von Marinebasen, die Peking vom Chinesischen Meer über den Indischen Ozean bis zur afrikanischen Küste (Seychellen) aufzubauen versucht (Le Monde, 10/2009). So verkündete Indien 2008 das Ziel, bis 2022 eine mindestens 160 Schiffe umfassende Flotte um drei Flugzeugträgerkampfverbände, 20 U-Boote und 400 Flugzeuge mit Langstreckenpräzisionswaffen aufzubauen. Diese Programme spiegeln die Ambitionen Indiens wider. Zur Modernisierung seiner Armee hat Indien weiterhin 350 T-90S-Kampfpanzer aus Russland bestellt, das Land will selbst 1000 Panzer herstellen. Indien hat Pläne, von Russland in den nächsten zehn Jahren zwischen 250 bis 300 Kampfflugzeuge im Wert von 30 Milliarden US-Dollar zu kaufen. 2008 lief das erste indische Atom-U-Boot vom Stapel. Weil Indien bislang bei seinen Rüstungsprogrammen stark von Russland, von dem es 80% seiner modernen Waffen erhielt, abhängig war, will es eine eigenständige Rüstungsindustrie aufbauen. Das Land unterhält nach den China und den USA mit 1.3 Millionen Soldaten die drittgrößte Streitmacht der Erde.
Neben den unmittelbaren Nachbarn Pakistan, von dem es sich ständig bedroht sieht (über 10 Milliarden Dollar wurden in die Grenzbefestigung zu Pakistan gesteckt), und Bangladesch (entlang der Grenze zum östlichen Nachbarn wurde ein 4000 km langer Stacheldrahtzaun errichtet) wird Indien aber vor allem von den USA umworben, um als Gegenmacht gegenüber China aufgebaut zu werden. Die USA haben deshalb 2008 Indien als „verantwortungsvolle“ Atommacht anerkannt. So gerät die ganze imperialistische Landschaft in Fernost und Südasien durch den Aufstieg Chinas und Indiens und die sich daraus ergebenden Folgen für die imperialistische Rangordnung in der Region in Umwälzung. In ganz Asien ist ein Rüstungswettlauf entbrannt.
Zum Beispiel hat selbst ein Land wie Malaysia zwischen 2005 und 2009 sieben Mal so viel Geld für Rüstungsimporte ausgegeben wie in den fünf Jahren zuvor.
Während wir also durch die phänomenalen Wachstumsraten der asiatischen Schwellenländer geblendet werden sollen, hat sich in Wirklichkeit dort auch das Krebsgeschwür des Militarismus festgefressen.
Und wie sieht es mit dem Shooting-Star Brasilien aus?
Der Krebs des Militarismus verschont auch Lateinamerika nicht
Lateinamerika blieb im 2. Weltkrieg und auch im Kalten Krieg eine Beteiligung an den Kampfhandlungen erspart. Zwar gibt es eine Reihe von Konflikten zwischen mehreren Nachbarstaaten (Venezuela u.a. mit russischen Waffenlieferungen – Kolumbien erhält Unterstützung durch die USA; Kolumbien – Ecuador, Chile-Peru-Bolivien); aber bislang haben diese bei weitem nicht die Schärfe erreicht wie im Mittleren Osten oder in Fernost oder in Südostasien. Aber auch in dieser Region, die bislang der Hinterhof der USA war, verschärfen sich die Rivalitäten. An erster Stelle drängt Brasilien, die neue Regionalmacht, auf eine Aufwertung seiner Position. Brasilien rüstet kräftig auf und stellt seinen Streitkräften gut 25 Prozent mehr Mittel zur Verfügung. Auf der Einkaufsliste der Militärs: Panzer, Kampfflugzeuge und Hubschrauber. „Das südamerikanische Land soll gemäß der nationalen Verteidigungsstrategie wieder ein großer weltweiter Rüstungslieferant werden, wie schon einmal vor 30 Jahren…. Zwar kürzte die neue Regierung unter Dilma Rousseff den Rüstungsetat. So stoppte sie den bereits vergebenen Auftrag an die französische Dassault für 36 Kampfflugzeuge des Typs Rafale im Wert von zehn Milliarden Euro. Auch strich sie einen Auftrag für zwölf russische Hubschrauber. Aber die Regierung verschonte die laufenden [nationalen] Entwicklungsprojekte. "Wir sparen beim Einkauf von Technologie, nicht bei der Entwicklung", sagte Verteidigungsminister Nelson Jobim dem Handelsblatt. "Oberste Priorität hat für uns der Aufbau einer eigenen Industrie. Für weltweite Aufmerksamkeit der Branche sorgt zudem die Entwicklung des militärischen Transportflugzeugs KC-390 durch den brasilianischen Flugzeugbauer Embraer I [4]ndustrie." „Nach dem nationalen Strategieplan sind Ausgaben in Höhe von rund 90 Milliarden Euro für die nächsten 30 Jahre notwendig. Dabei geht es nicht nur um Rüstung und Verteidigung im engeren Sinne, sondern auch um Überwachung und Sicherung von Grenzen und Küsten sowie den Ölplattformen im Meer.“ Die langfristigen militärischen Strategien vor Augen, lautete der Regierungsbeschluss: Mit der Entdeckung immenser Erdölvorkommen in der exklusiven Wirtschaftszone vor der Atlantikküste entsteht ein neuer „Verteidigungsbedarf“. „Truppen und Material werden künftig in Amazonien und im Südatlantik konzentriert, um einer militärischen Intervention der USA vorzubeugen“. 2010 wurden die Rüstungsausgaben um 10% erhöht.
Zwar ist Brasilien eine strategische Partnerschaft mit Frankreich eingegangen, aber Deutschland hat 2006 eine große Bestellung Brasiliens für 220 Leopard Panzer erhalten. Wie kann man erklären, dass ein Land, das unmittelbar nicht vor Kriegshandlungen mit seinen Nachbarn steht, so viele Panzer erwirbt? Vor allem fordert Brasilien zusammen mit anderen Staaten auf diplomatischer Ebene immer häufiger die USA heraus, will deren Schwächung nutzen und sich auf deren Kosten besser positionieren. D.h. selbst in Ländern wie Brasilien, die bislang nicht durch starke Rivalitäten in direkte Auseinandersetzungen getrieben wurden, frisst sich das Krebsgeschwür des Militarismus weiter ein.
Der letzte der BRIC-Staaten – Russland – kann eigentlich nur hohe Wachstumszahlen vorweisen, weil er dank seiner Erdöl- und Erdgasexporte sowie anderer Rohstoffe von deren hohen Preisen profitierte. An auf dem Weltmarkt konkurrenzfähigen Fertigwaren, vor allem im zivilen Bereich, hat die russische Industrie ohnehin nichts zu bieten. Stattdessen zeichnet sich Russland als niedergegangene Militärmacht noch immer als zweitgrößter Waffenexporteur aus. Sein Weltmarktanteil liegt bei 23 Prozent.
Wie stark sich das Krebsgeschwür des Militarismus in den letzten Jahren ausgedehnt hat, lässt sich auch anhand der Militärausgaben in einigen anderen Ländern verfolgen. Die sprudelnden Rohstoffeinnahmen (Erdöl, Erdgas, usw.), über die beispielsweise Angola oder Nigeria verfügen, haben dort zu keinem Wachstumsschub geführt, sondern deren Einnahmen gingen hauptsächlich in Waffenkäufe. Noch eklatanter fällt dies bei Saudi-Arabien aus. Waffen im Wert von mehr als 60 Milliarden Dollar wollen US-Firmen in den kommenden fünf bis zehn Jahren an Saudi-Arabien liefern, unter anderem 84 neue F-15-Kampfjets und 178 Hubschrauber. Anstatt die Öleinnahmen in zivile Projekte zu stecken, werden riesige Beträge für die Rüstung verpulvert. Die USA wollen dabei u.a. Saudi-Arabien unbedingt als Gegenpol zum Iran weiter hochrüsten.
Der ganze Nahe und Mittlere Osten, wie die jüngsten Proteste zeigen, ist ein einziges Armenhaus für die meisten Menschen, aber er erstickt gleichzeitig unter dem Gewicht des Militarismus.
Nach einem kurzen Rückgang zogen die Rüstungsausgaben wieder an
Zwischen 1989 und 2000 sind die weltweiten Militärausgaben um 43 Prozent gesunken. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ist jedoch vielerorts ein neuer Aufrüstungstrend zu beobachten. Weltweit sind die Militärausgaben seit 2000 um 49 Prozent gestiegen und haben 2009 mit 1572 Milliarden US-Dollar in konstanten Preisen einen neuen Höchststand erreicht. Maßgeblichen Anteil an den weltweiten Militärausgaben und der Zunahme der letzten Jahre hatten die USA. Im Jahr 2009 hatte das Land mit 663 Milliarden US-Dollar einen Anteil von 43 Prozent an den globalen Ausgaben, nachdem Washington seine Rüstungsausgaben seit 2001 um 81 Prozent gesteigert hat. Nun muss zwar auch Washington auf die Bremse treten. Auch haben einige europäische Staaten unter dem Druck der Wirtschafts- und Finanzkrise ihre Verteidigungsbudgets gesenkt und einige Rüstungsbeschaffungsprojekte ausgesetzt. Aber diese Entwicklung ist uneinheitlich. Denn während die Militärausgaben in Europa 2010 um 2,8 Prozent sanken, stiegen sie in Afrika im letzten Jahr um 5,2 Prozent. In Schwellenländern und zahlreichen erdölexportierenden Staaten ist hingegen ein
umgekehrter Trend zu beobachten: eine schier ungebremste konventionelle Aufrüstung.
Dv, 25.5.2011
Wer Enzo persönlich gekannt hat, weiß, dass er nicht nur als Mitglied unserer Organisation, sondern in seiner ganzen politischen Tätigkeit, mit seinen Beiträgen in den Diskussionen seine Leidenschaft und seinen Schmerz angesichts der Tortur, die der Kapitalismus der menschlichen Gattung auferlegt, zum Ausdruck gebracht hat – mitunter mit Tränen in den Augen. Enzo war ein junger Proletarier, der in seiner eigenen Haut die Ausbeutung erlebte, Kurzarbeit und schließlich die Entlassung, der aber gleichzeitig überzeugt war, dass man darauf reagieren , gegen diese Barbarei kämpfen und eine menschliche Gesellschaft aufbauen kann. Seine Mitgliedschaft in der IKS war immer von dieser Überzeugung und seiner Entschlossenheit geprägt, auch in schwierigen Zeiten und Situationen seinen Beitrag zu diesem Kampf zu leisten. Sein Tod ist ein Verlust für die IKS und die ganze Arbeiterklasse.
Wir werden zunächst in der italienischsprachigen Presse einen längeren Text schreiben, um unseres Genossen zu gedenken. Wir möchten aber schon hier den Angehörigen gegenüber unsere Solidarität ausdrücken, den Eltern und Freunden in einem Moment, der uns im Schmerz vereint, und möchten unsere Entschlossenheit unterstreichen, den Kampf für die lang und heiß ersehnte menschliche Gesellschaft voranzutreiben, für die Enzo zusammen mit uns gekämpft hat.
IKS, 19. Mai 2011
1. Die am letzten Kongress der IKS angenommene Resolution unterstrich zunächst, wie die Fakten die optimistischen Voraussagen der Führer der bürgerlichen Klasse zu Beginn des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts widerlegt hatten, insbesondere die Voraussagen nach dem Zusammenbruch des "Reichs des Bösen", als welches der so genannte "sozialistische" Block galt. Die Resolution zitierte die bereits berühmte Erklärung von George Bush sen. im März 1991, in der er die Geburt einer "neuen Weltordnung" ankündigte, die auf dem "Respekt vor dem Völkerrecht" beruhe, und sie hob hervor, wie surrealistisch solche Voraussagen angesichts des sich ausbreitenden Chaos in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft sind. Zwanzig Jahre nach dieser "prophetischen" Rede, insbesondere nach Beginn dieses neuen Jahrzehnts, bietet die Welt ein chaotischeres Bild als je seit dem Zweiten Weltkrieg. Innerhalb von einigen wenigen Wochen wurden wir Zeugen eines neuen Kriegs in Libyen, der die Liste all der blutigen Konflikte, die den Planeten in der letzten Zeit überzogen haben, verlängert, von weiteren Massakern an der Elfenbeinküste und der Tragödie, die eines der mächtigsten und modernsten Länder der Welt heimsuchte, nämlich Japan. Das Erdbeben, das einen Teil dieses Landes verwüstete, unterstrich einmal mehr, dass es nicht "Naturkatastrophen" gibt, sondern katastrophale Folgen von natürlichen Erscheinungen. Es zeigte, dass die Gesellschaft heute über die Mittel verfügt, Gebäude zu erstellen, die den Erschütterungen widerstehen, Mittel, die es erlauben würden, Tragödien wie diejenige vom letzten Jahr in Haiti zu vermeiden. Aber es zeigte ebenso, wie wenig selbst ein so fortgeschrittener Staat wie Japan Gefahren voraussieht: Das Erdbeben selber forderte nur wenige Opfer, aber der darauf folgende Tsunami tötete beinahe 30'000 Menschen in wenigen Minuten. Darüber hinaus offenbarte das neue Tschernobyl in Fukushima, dass es der herrschenden Klasse nicht nur an Voraussicht mangelt, sondern dass sie schlicht dem Zauberlehrling gleicht, der nicht in der Lage ist, die Geister zu bändigen, die er rief. Das Unternehmen Tepco, welches das Atomkraftwerk betreibt, ist nicht der hauptsächliche, und schon gar nicht der einzige Verantwortliche der Katastrophe. Vielmehr ist das kapitalistische System als ganzes, das auf dem unbändigen Streben konkurrierender nationaler Einheiten nach Profit, statt auf der Bedürfnisbefriedigung der Menschheit beruht, für die gegenwärtigen und noch kommenden Katastrophen, welche die menschliche Gattung erleiden muss, verantwortlich. In letzter Instanz ist das japanische Tschernobyl ein neuer Beweis für den endgültigen Bankrott der kapitalistischen Produktionsweise, eines Systems, dessen Überleben eine zunehmende Gefahr für das Überleben der Menschheit selber darstellt.
Die Wirtschaftskrise - Grenzen der Hilfsmittel
2. Offensichtlich drückt die Krise, die gegenwärtig der Weltkapitalismus durchmacht, am unmittelbarsten die geschichtliche Hinfälligkeit dieser Produktionsweise aus. Vor zwei Jahren ergriff eine helle Panik die Bourgeoisie aller Länder angesichts der Ernsthaftigkeit der wirtschaftlichen Lage. Die OECD schrieb unverblümt: "Die Weltwirtschaft befindet sich inmitten der tiefgreifendsten Rezession, die wir zu unseren Lebzeiten je gesehen haben" (Zwischenbericht März 2009). Wenn man weiß, mit welcher Zurückhaltung sich diese hochehrwürdige Institution normalerweise ausdrückt, kann man ermessen, wie sehr die herrschende Klasse vom Schrecken gepackt war angesichts des möglichen Bankrotts des internationalen Finanzsystems, des brutalen Einbruchs des Welthandels (im Jahre 2009 mehr als 13%), der Gewalt der Rezession in den wichtigsten Ländern, der Welle von Pleiten, die Vorzeigeunternehmen der Industrie wie General Motors oder Chrysler erfasste oder bedrohte. Dieser Schrecken der Bourgeoisie veranlasste sie, Gipfeltreffen der G20 einzuberufen, wobei derjenige vom März 2009 in London die Verdoppelung der Reserven des Weltwährungsfonds und die massive Einschießung von Liquidität in die Wirtschaft durch die Staaten beschloss, um das Bankensystem vor dem Absturz zu bewahren und die Produktion wieder anzukurbeln. Das Gespenst der "Großen Depression der 1930er Jahre" ging um, was die gleiche OECD veranlasste, solche Dämonen mit den Worten zu beschwören: "Obwohl dieser schwere weltweite Konjunkturabschwung von einigen bereits als ‚Große Rezession' bezeichnet wurde, sind wir weit davon entfernt, eine Wiederholung der Großen Depression der 1930er Jahre zu erleben, was der Qualität und der Intensität der gegenwärtig getroffenen staatlichen Maßnahmen zu verdanken ist" (a.a.O.). Doch wie die Resolution des 18. Kongresses sagte, besteht "ein Wesensmerkmal der offiziellen Reden der herrschenden Klasse heute darin, die Reden von gestern in Vergessenheit geraten zu lassen", und der gleiche Zwischenbericht der OECD vom Frühjahr 2011 verleiht einer wahren Erleichterung Ausdruck angesichts der Wiederherstellung des Bankensystems und des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die herrschende Klasse kann nicht anders. Unfähig zu einer klaren, umfassenden und historischen Sicht auf die Schwierigkeiten, in denen ihr System steckt - da umgekehrt eine solche Klarsicht sie dazu führen würde, die endgültige Sackgasse des Systems zu entdecken -, ist sie dazu verdammt, die Wechsel der unmittelbaren Lage von Tag zu Tag zu kommentieren und zu versuchen, darin Momente des Trostes zu finden. Bei diesem Unterfangen unterschätzt sie immer wieder die Bedeutung des Hauptphänomens der letzten beiden Jahre: die Krise der Staatsanleihen in gewissen europäischen Ländern - auch wenn die Medien manchmal bei diesem Thema einen alarmierten Ton anschlagen. In der Tat stellt diese potentielle Pleite einer wachsenden Reihe von Staaten eine neue Phase im Versinken des Kapitalismus in der unüberwindlichen Krise dar. Sie verdeutlicht die Grenzen der Maßnahmen, mit denen es der Bourgeoisie gelungen ist, den Fortgang der kapitalistischen Krise seit mehreren Jahrzehnten zu bremsen.
3. Seit mittlerweile mehr als 40 Jahren steht das kapitalistische System der Krise gegenüber. Der Mai 68 in Frankreich und die Gesamtheit der proletarischen Kämpfe, die weltweit darauf folgten, breiteten sich nur deshalb so aus, weil sie genährt wurden durch eine globale Verschärfung der Lebensbedingungen, die ihrerseits auf den Auswirkungen der kapitalistischen Krise beruhte, insbesondere der Anstieg der Arbeitslosigkeit. Diese Krise verschärfte sich 1973-75 brutal mit der ersten großen internationalen Nachkriegs-Rezession. Seither folgten neue Rezessionen, welche die Weltwirtschaft jedes Mal tiefer und weiterreichender trafen und schließlich in der derjenigen von 2008-2009 einen vorläufigen Tiefpunkt erreichten, der das Gespenst der 1930er Jahre hervorrief. Die Maßnahmen, die der G20 im März 2009 zur Vermeidung einer neuen "Großen Depression" ergriffen, zeigen die Politik auf, welche die herrschende Klasse seit einigen Jahrzehnten anwendet: Sie lässt sich zusammenfassen als Einschießung von beträchtlichen Kreditmassen in die Wirtschaft. Solche Maßnahmen sind nicht neu. Tatsächlich stellen sie seit 35 Jahren den Kern der Wirtschaftspolitik der herrschenden Klasse dar beim Versuch, dem großen Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise zu entgehen: der Unfähigkeit, zahlungsfähige Märkte zu finden, die ihre Produktion aufnehmen. Die Rezession von 1973-75 wurde durch massive Kredite an die Länder der Dritten Welt überwunden, doch ab Beginn der 1980er Jahre, mit der Schuldenkrise dieser Länder, musste die Bourgeoisie der am meisten entwickelten Länder auf diese Lunge für ihre Wirtschaft verzichten. Die Staaten der am weitesten entwickelten Länder, allen voran die USA, übernahmen nun die Rolle der "Lokomotive" der Weltwirtschaft. Die "Reaganomics" (neoliberale Politik der Reagan-Administration) zu Beginn der 80er Jahre, die einen bedeutenden Aufschwung der Wirtschaft dieses Landes erlaubten, beruhten auf einer noch nie dagewesenen Ausschöpfung der Budgetdefizite, während Ronald Reagan gleichzeitig erklärte: "Der Staat ist nicht die Lösung, sondern das Problem." Zugleich ermöglichten es die ebenfalls beträchtlichen Handelsdefizite dieser Großmacht, dass die in anderen Ländern produzierten Waren hier einen Absatz fanden. In den 1990er Jahren standen die asiatischen "Tiger" und "Drachen" (Singapur, Taiwan, Südkorea usw.) eine Weile den USA in dieser Rolle als "Lokomotive" bei: Ihre spektakulären Wachstumsraten verwandelten jene in wichtige Absatzmärkte für die Waren der am meisten industrialisierten Länder. Aber diese "Erfolgsgeschichte" hatte den Preis einer beträchtlichen Verschuldung, die jene Länder 1997 in große Schwierigkeiten führte vergleichbar mit denen des "neuen" und "demokratischen" Russland, das vor der Zahlungsunfähigkeit stand und grausam diejenigen enttäuschte, die auf das "Ende des Kommunismus" setzten, um einen dauerhaften Aufschwung der Weltwirtschaft vorauszusagen. Zu Beginn der 2000er Jahre erfuhr die Verschuldung eine neue Beschleunigung, insbesondere dank der enormen Wucherung der Hypothekardarlehen im Bausektor von mehreren Ländern, vor allem in den USA. Dieses Land trieb seine Rolle als "Lokomotive der Weltwirtschaft" auf die Spitze, aber zum Preis eines schwindelerregenden Wachstums der Schulden - insbesondere der US-amerikanischen Bevölkerung -, die auf allen möglichen "Finanzprodukten" beruhten, die angeblich die Risiken einer Zahlungsunfähigkeit vermindern sollten. In Tat und Wahrheit führte die Verteilung von zweifelhaften Krediten keineswegs dazu, das über der amerikanischen Wirtschaft und derjenigen der Welt hängende Damoklesschwert in Sicherheit zu bringen. Im Gegenteil häuften sich im Kapital der Banken "toxische Guthaben" an, die schließlich 2007 zu ihrem Zusammenbruch und 2008-2009 zur brutalen Weltrezession führten.
4. Die vom letzten Kongress angenommene Resolution sagte: "So ist die Finanzkrise nicht die Wurzel der gegenwärtigen Rezession. Im Gegenteil, die Finanzkrise verdeutlicht nur die Tatsache, dass die Flucht nach vorne in die Verschuldung, welche die Überwindung der Überproduktion ermöglicht hatte, nicht endlos lange fortgesetzt werden kann. Früher oder später rächt sich die " reale Wirtschaft ", d.h. was die Grundlagen der Widersprüche des Kapitalismus darstellt - die Überproduktion, die Unfähigkeit der Märkte, die Gesamtheit der produzierten Waren aufzusaugen. Diese Widersprüche treten dann wieder deutlich in Erscheinung." Und die gleiche Resolution präzisierte nach dem Gipfel des G20 vom März 2009, dass "die Flucht in die Verschuldung (…) eines der Merkmale der Brutalität der gegenwärtigen Rezession (ist). Die einzige " Lösung ", die die herrschende Klasse umsetzen kann, ist eine erneute Flucht in die Verschuldung. Der G20 konnte keine Lösung für die Krise erfinden, ganz einfach, weil es keine Lösung für die Krise gibt."
Die Krise der Staatsanleihen, die sich heute ausweitet, die Tatsache, dass die Staaten unfähig werden, den Schuldendienst zu leisten, illustriert drastisch diese Realität. Der mögliche Zusammenbruch des Bankensystems und die Rezession zwangen alle Staaten, beträchtliche Summen in ihre Wirtschaft einzuschießen, während umgekehrt die Einnahmen sich im freien Fall befinden, weil die Produktion zurückgeht. Aus diesem Grund nahmen die Staatsdefizite in den meisten Ländern beträchtlich zu. Für die am meisten gefährdeten unter ihnen wie Irland, Griechenland oder Portugal bedeutete dies der potentielle Bankrott, die Unfähigkeit, die Staatsangestellten zu bezahlen und die Schulden zu begleichen. Seither weigern sich die Banken, ihnen neue Darlehen zu geben, außer gegen exorbitant hohe Zinsen, da diese Länder keine Gewähr bieten, die Darlehen wieder zurück zu zahlen. Die "Rettungspläne", welche die Europäische Bank und der Weltwährungsfond für sie ausarbeiteten, stellen lediglich neue Schulden dar, die ebenso wie die früheren zurück bezahlt werden müssen. Es ist mehr als ein Teufelskreis, es ist eine Höllenspirale. Die einzige "Effizienz" dieser Pläne besteht in den noch nie dagewesenen Angriffen gegen die ArbeiterInnen, gegen die Staatsangestellten, deren Löhne und Stellen drastisch abgebaut wurden, aber auch gegen die Gesamtheit der Arbeiterklasse durch die Kürzungen von Ausgaben bei den Schulen, der Gesundheit und den Altersrenten wie auch durch starke Steuererhöhungen. Doch all diese Angriffe gegen die Arbeiterklasse beschneiden einmal mehr die Kaufkraft der ArbeiterInnen und leisten so einen weiteren Beitrag zur nächsten Rezession.
Krise der Staatsschulden
5. Die Krise der Staatsschulden in den PIIGS (Portugal, Island, Irland, Griechenland und Spanien) ist nur ein kleiner Teil des Erdbebens, das die Weltwirtschaft bedroht. Nur weil die großen Industriemächte gegenwärtig noch über die Note AAA auf der Bewertungsskala der Rating-Agenturen verfügen (der gleichen Agenturen, die am Vorabend des Debakels der Banken von 2008 diesen ebenfalls die Bestnote erteilt haben), heißt nicht, dass sich jene besser aus der Affäre ziehen würden. Ende April 2011 äußerte sich die Agentur Standard and Poor's negativ über ein bevorstehendes Quantitative Easing Nr. 3, das heißt einen 3. Aufschwungsplan des amerikanischen Staats zur Ankurbelung der Wirtschaft. Mit anderen Worten läuft die größte Weltmacht Gefahr, dass ihr das "offizielle" Vertrauen in ihre Fähigkeit zur Bezahlung der Schulden entzogen wird - mindestens mit Dollars, die noch etwas wert sind. Tatsächlich hat dieses Vertrauen halb-offiziell schon zu schwinden begonnen mit dem Entscheid Chinas und Japans seit dem letzten Herbst, massiv Gold und Rohstoffe zu kaufen an Stelle von amerikanischen Staatsanleihen, was die Amerikanische Zentralbank dazu zwang, jetzt 70% bis 90% der ausgegebenen Anleihen selber zu kaufen. Und dieser Vertrauensverlust ist vollkommen gerechtfertigt, wenn man das unglaubliche Ausmaß der Verschuldung der amerikanischen Wirtschaft betrachtet: Im Januar 2010 betrug die öffentliche Verschuldung (Bundesstaat, Gliedstaaten, Gemeinden usw.) schon fast 100% des BIP, was aber nur einen Teil der Gesamtverschuldung des Landes im Umfang von 300% des BIP ausmachte (die auch die Schulden der Haushalte und der nicht im Finanzsektor tätigen Unternehmen beinhaltet). Und die Lage in den anderen großen Ländern ist nicht besser, in denen die Gesamtschuld im gleichen Zeitpunkt für Deutschland 280% des BIP ausmachte, für Frankreich 320%, für Großbritannien und Japan 470%. In Japan erreichte die öffentliche Schuld allein 200% des BIP. Und seither hat sich die Lage in allen Ländern mit den verschiedenen Aufschwungplänen nur noch verschlimmert.
So stellt der Bankrott der PIIGS nur die Spitze des Eisbergs des Bankrotts einer Weltwirtschaft dar, die ihr Überleben seit Jahrzehnten nur der verzweifelten Flucht nach vorn in die Verschuldung verdankt. Die Staaten, die über ihre eigene Währung verfügen wie Großbritannien, Japan und natürlich die USA, konnten diesen Bankrott verstecken, indem sie die Notenpresse heiß laufen ließen (im Gegensatz zu denjenigen der Euro-Zone wie Griechenland, Irland oder Portugal, die nicht über diese Möglichkeit verfügen). Aber diese ständigen Betrügereien der Staaten, die tatsächlich zu wahrhaften Falschmünzern mit dem Bandenboss USA wurden, können nicht endlos auf gleiche Art fortgesetzt werden, so wie auch die Betrügereien im Zusammenhang mit dem Finanzsystem mit dem Ausbruch der Krise von 2008 Schiffbruch erlitten haben und es fast ganz in den Abgrund getrieben hätten. Eines der sichtbaren Zeichen dieser Realität ist die gegenwärtige Beschleunigung der weltweiten Inflation. Die Krise der Verschuldung verschob sich von der Bankensphäre in diejenige der Staaten, wodurch die kapitalistische Produktionsweise in eine neue Phase ihrer zugespitzten Krise eingetreten ist, in der sich die Gewalt und die Ausdehnung ihrer Erschütterungen noch einmal beträchtlich verschärfen werden. Es gibt für den Kapitalismus keinen "Ausgang aus dem Tunnel". Dieses System kann die Gesellschaft nur noch in eine ständig wachsende Barbarei ziehen.
Flucht nach vorn in die Kriegspolitik
6. Der imperialistische Krieg ist der wichtige Ausdruck der Barbarei, in welche der dekadente Kapitalismus die menschliche Gesellschaft stößt. Die tragische Geschichte des 20. Jahrhunderts ist der schlagendste Beweis dafür: Angesichts der historischen Sackgasse, in der sich ihre Produktionsweise befindet, angesichts der Zuspitzung der Handelskonkurrenz zwischen Staaten, ist die herrschende Klasse zu einer Flucht nach vorn in ihrer Kriegspolitik gezwungen, zu militärischen Konfrontationen. Für die meisten Historiker - auch solche, die sich nicht auf den Marxismus berufen - ist klar, dass der Zweite Weltkrieg ein Abkömmling der Großen Depression der 1930er Jahre war. Ebenso hatte die Zuspitzung der imperialistischen Spannungen Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre zwischen den damaligen Blöcken, dem amerikanischen und dem russischen (Invasion der UdSSR in Afghanistan 1979, Kreuzzug der Reagan-Regierung gegen das "Reich des Bösen"), ihre Beweggründe zu einem wesentlichen Teil in der Rückkehr der offenen Wirtschaftskrise Ende der 1960er Jahre. Doch hat die Geschichte gezeigt, dass diese Verbindung zwischen der Zuspitzung der imperialistischen Zusammenstöße und der wirtschaftlichen Krise des Kapitalismus nicht direkt oder unmittelbar ist. Die Intensivierung des "Kalten Krieges" führte schließlich zum Sieg des westlichen Blocks durch die Implosion des Gegners, was wiederum die Auflösung des ersteren zur Folge hatte. Die Welt entging zwar der Gefahr eines neuen verallgemeinerten Krieges, der zur Vernichtung der menschlichen Gattung hätte führen können, aber dafür explodierten überall militärische Spannungen und offene Zusammenstöße: Das Ende der rivalisierenden Blöcke bedeutete auch das Ende der Disziplin, die sie zuvor noch in ihren jeweiligen Gebieten hatten durchsetzen können. Seither wird die globale imperialistische Bühne durch den Versuch der größten Weltmacht beherrscht, ihre Führerrolle über den Rest der Welt und insbesondere über ihre früheren Bündnispartner aufrecht zu erhalten. Der erste Golfkrieg von 1991 offenbarte bereits diese Zielsetzung, aber die Geschichte der 1990er Jahre zeigte insbesondere mit dem Krieg in Jugoslawien, dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt ist. Der "Krieg gegen den Weltterrorismus", den die USA nach den Attentaten des 11. September 2001 erklärten, hatte den Anspruch, diese Führerrolle erneut zu behaupten, aber die festgefahrene Situation in Afghanistan und im Irak haben verdeutlicht, dass sie diese Rolle nicht mehr zurück erobern können.
Die Misserfolge der USA
7. Die Misserfolge der USA haben diese Macht nicht davon abgebracht, ihre Offensivpolitik, die sie seit Beginn der 1990er Jahre führte und sie zum wichtigsten destabilisierenden Faktor im Weltmaßstab machte, fortzusetzen. Die Resolution des letzten Kongresses sagte dazu: "Angesichts dieser Lage werden Obama und seine Administration nichts anderes tun können, als die kriegstreiberische Politik ihrer Vorgänger fortzusetzen" (…) "So verfolgt Obama mit dem Rückzug der Truppen aus dem Irak lediglich den Zweck, sie dafür in Afghanistan und Pakistan einzusetzen." Dies hat sich kürzlich mit der Exekution Bin Ladens durch ein amerikanisches Kommando auf pakistanischem Gebiet bewahrheitet. Diese "heldenhafte" Operation ist natürlich im Rahmen der Vorbereitung auf die nächsten Wahlen, die in anderthalb Jahren stattfinden, zu sehen. Sie zielte insbesondere darauf ab, den republikanischen Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen, da sie ihm vorwarfen, er sei zu weich bei der Bekräftigung der Vorreiterrolle der USA auf militärischer Ebene, wobei diese Kritiken anlässlich der Intervention in Libyen lauter wurden, als die Führerrolle bei dieser Operation dem französisch-britischen Tandem überlassen wurde. Sie bedeutete auch, dass es nach 10 Jahren, in denen Bin Laden als der Böse schlechthin herhalten musste, Zeit wurde, sich seiner zu entledigen, wenn man nicht als ohnmächtig dastehen wollte. Mit dieser Kommandoaktion stellten die USA unter Beweis, dass sie die einzige Macht sind, die die Mittel hat, eine solche Operation in militärischer, technologischer und logistischer Hinsicht durchzuführen, und zwar genau zu der Zeit, als Frankreich und Großbritannien Mühe mit ihrer Operation gegen Ghaddafi bekunden. Sie zeigte aller Welt, dass die USA nicht zögern, die "nationale Souveränität" eines "Bündnispartners" zu verletzen, dass sie die Spielregeln bestimmen, wenn immer sie es für nötig erachten. Schließlich zwang diese Aktion die meisten Regierungen der Welt dazu, ihren erfolgreichen Ausgang zu begrüßen, obwohl dies vielen gegen den Strich ging.
8. Trotzdem ist dieser Schlag Obamas in Pakistan keineswegs geeignet, die Lage in der Region, insbesondere in Pakistan selber zu stabilisieren; vielmehr besteht gerade hier die Gefahr, dass diese Ohrfeige für den "nationalen Stolz" alte Konflikte zwischen verschiedenen Sektoren der Bourgeoisie und dem Staatsapparat schürt. Weiter wird der Tod Bin Ladens nicht dazu führen, dass nun die USA und die anderen in Afghanistan engagierten Staaten die Kontrolle in diesem Land zurück gewinnen und die Autorität eines Karzai-Regimes konsolidieren könnten, das durch Korruption und Stammesfehden vollständig untergraben ist. Allgemeiner gesagt, wird der Tod Bin Ladens die Tendenzen des "Jeder-für-sich" nicht bremsen, ebenso wenig wie den Widerstand gegen die Autorität der ersten Weltmacht, wie er weiterhin beispielsweise in erstaunlichen punktuellen Allianzen zum Ausdruck kommt: in der Annäherung zwischen der Türkei und dem Iran; in den Allianzen zwischen dem Iran, Brasilien und Venezuela (strategisch und gegen die USA gerichtet); zwischen Indien und Israel (militärisch und zum Aufbrechen der Isolation); zwischen China und Saudi-Arabien (militärisch und strategisch); usw. Insbesondere wird er China nicht davon abhalten, seine imperialistischen Ansprüche zur Geltung zu bringen, die ihm sein neuer Status als industrielle Großmacht zu haben erlaubt. Es ist klar, dass dieses Land trotz seiner demographischen und wirtschaftlichen Stärke überhaupt nicht die militärischen oder technologischen Mittel hat und in absehbarer Zeit nicht haben wird, um selber ein Blockführer zu werden. Doch hat es die Mittel, um die amerikanischen Ansprüche noch mehr zu durchkreuzen - sei dies in Afrika, im Iran, in Nordkorea, Burma - und seinen Teil zur wachsenden Instabilität beizutragen, welche die imperialistischen Beziehungen prägen. Die "neue Weltordnung", die Vater George Bush vor 20 Jahren prognostizierte und die er sich unter der Vorherrschaft der USA erträumte, entlarven sich je länger je mehr als ein "Weltchaos" - ein Chaos, das die Konvulsionen der kapitalistischen Wirtschaft nur noch verschlimmern werden.
Die Schlüsselstellung der Arbeiterklasse
9. Angesichts des Chaos das die bürgerliche Gesellschaft auf allen Ebenen, der Ökonomie, des Krieges und auch auf der Ebene der Umwelt, so wie wir es kürzlich in Japan erlebt haben, ergriffen hat, hat nur die Arbeiterklasse eine Lösung anzubieten. Ihre Lösung ist die kommunistische Revolution. Die unüberwindbare Krise der kapitalistischen Wirtschaft, die Erschütterungen, welche sie in immer schärferer Form kennt, bilden die objektiven Bedingungen dafür. Einerseits ist die Arbeiterklasse gezwungen, ihre Kämpfe gegen die dramatischen Angriffe von Seiten der ausbeutenden Klasse zu verstärken. Andererseits erlaubt dies der Arbeiterklasse zu verstehen, dass ihre Kämpfe eine große Bedeutung haben, als Vorbereitung zur entscheidenden Auseinandersetzung mit einer Produktionsweise, dem Kapitalismus, der von der Geschichte verdammt ist unterzugehen. Wie in der Resolution des letzten internationalen Kongress beschrieben: "Der Weg, der uns zu revolutionären Kämpfen und zum Umsturz des Kapitalismus führt, ist lang und schwierig. (…) Damit das Bewusstsein über die Möglichkeit der kommunistischen Revolution in der Arbeiterklasse wirklich Wurzeln schlagen kann, muss Letztere Vertrauen in ihre eigenen Kräfte gewinnen, und dies geschieht in massenhaften Kämpfen. Der gewaltige Angriff, der schon jetzt auf Weltebene gegen sie geführt wird, bildet eine objektive Grundlage für solche Kämpfe." Zum Unmittelbaren stellte die damalige Resolution fest: "Doch die wichtigste Form, in der diese Angriffe stattfinden - Massenentlassungen, läuft der Entwicklung solcher Kämpfe zunächst zuwider. (…) Erst in einer zweiten Phase, wenn sie in der Lage sein wird, den Erpressungen der Bourgeoisie zu widerstehen, wenn sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass nur der vereinte und solidarische Kampf die brutalen Angriffe der herrschenden Klasse bremsen kann - namentlich wenn diese versuchen wird, die gewaltigen Budgetdefizite, die gegenwärtig durch die Rettungspläne zugunsten der Banken und durch die "Konjunkturprogramme" angehäuft werden, von allen ArbeiterInnen bezahlen zulassen -, erst dann werden sich Arbeiterkämpfe in größerem Ausmaß entwickeln können."
10. Die zwei Jahre, die uns vom letzten Kongress trennen, haben dies vollauf bestätigt. Diese Periode war nicht gezeichnet von verbreiteten Kämpfen gegen die massiven Entlassungen oder gegen die steigende Arbeitslosigkeit, welche die Arbeiterklasse in den am meisten fortgeschrittenen Ländern über sich ergehen lassen muss. Gleichzeitig gibt es aber bedeutende Kämpfe gegen die "notwendigen Kürzungen der Sozialausgaben". Doch diese Antwort ist immer noch schüchtern, vor allem dort, wo die Sparmaßnahmen die brutalsten Formen angenommen haben, in Ländern wie z.B. Griechenland oder Spanien, auch wenn die Arbeiterklasse dort in letzter Zeit ein bedeutendes Niveau an Kampfbereitschaft gezeigt hat. In gewisser Weise scheint die Brutalität der Angriffe in den Reihen der Arbeiterklasse ein Gefühl der Machtlosigkeit ausgelöst zu haben, vor allem auch, weil sie durch "linke" Regierungen durchgesetzt wurden. Paradoxerweise hat sich dort, wo die Angriffe am wenigsten stark waren, wie z.B. in Frankreich, die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse am massivsten manifestiert - mit der Bewegung gegen die Rentenreform im Herbst 2010.
Eine neue Dynamik in der “Peripherie”
11. Die massivsten Bewegungen, die wir in der letzten Zeit erlebt haben, entfalteten sich nicht in den am höchsten industrialisierten Ländern, sondern in Ländern der Peripherie des Kapitalismus, vor allem in einigen Ländern der arabischen Welt wie in Tunesien und Ägypten. Dort war die herrschende Klasse, nachdem sie erst mit einer brutalen Repression geantwortete hatte, gezwungen, die Diktatoren abzusetzen. Diese Bewegungen waren nicht klassische Arbeiterkämpfe, wie sie sich in diesen Ländern kurz zuvor ereignet hatten (z.B. die Arbeitskämpfe in Gafsa in Tunesien 2009 oder die massiven Streiks in der ägyptischen Textilindustrie während des Sommers 2007, die eine große Solidarität von anderen Sektoren erhielten). Sie haben oft die Form sozialer Revolten angenommen, in denen sich verschiedenste Teile der Gesellschaft wiederfanden: Beschäftigte des Staates und der Privatwirtschaft, Arbeitslose, aber auch Kleinhändler und Bauern und Freiberufliche, die Jugend usw. Aus diesem Grund ist die Arbeiterklasse über die meiste Zeit hinweg nicht direkt als solche erkennbar aufgetreten (wie zum Beispiel in den Streiks in Ägypten in der Endphase der Revolte) und konnte noch weniger eine führende Rolle einnehmen. Dennoch ist der Ursprung dieser Revolten (was sich in vielen Forderungen widerspiegelte) derselbe wie derjenige von Arbeiterkämpfen in anderen Ländern: die dramatische Zuspitzung der Krise und die zunehmende Misere, welche innerhalb der gesamten nichtausbeutenden Bevölkerung um sich greift. Wenn die Arbeiterklasse in diesen Kämpfen im arabischen Raum im Allgemeinen nicht als Klasse aufgetreten ist, so war ihr Einfluss in den Ländern, in denen sie ein stärkeres Gewicht hat, dennoch spürbar. Dies vor allem durch die Atmosphäre einer großen Solidarität in den Revolten und die Fähigkeit, Fallen von blinder und verzweifelter Gewalt zu vermeiden, auch dann, wenn sie mit einer starken Repression konfrontiert waren. Wenn schlussendlich die herrschende Klasse in Tunesien und Ägypten auf den Ratschlag der USA hin die alten Diktatoren über die Klinge springen ließ, so geschah dies weitgehend wegen der starken Präsenz der Arbeiterklasse in diesen Bewegungen. Beweis dafür ist die Entwicklung der Bewegung in Libyen: nicht die Absetzung des alten Diktators Ghaddafi, sondern eine militärische Konfrontation zwischen bürgerlichen Cliquen, in der die Ausgebeuteten als Kanonenfutter dienen. In Libyen ist ein großer Teil der Arbeiterklasse aus eingewanderten Arbeitern zusammengesetzt (aus Ägypten, Tunesien, China, Schwarzafrika, Bengalen), deren überwiegende Reaktion die Flucht vor der blindwütigen Repression war, welche in den ersten Tagen entfesselt wurde.
Das Gewicht der Illusionen
12. Das militärische Resultat der Ereignisse in Libyen durch das Eingreifen der NATO in den Konflikt erlaubte es der herrschenden Klasse, Kampagnen der Verschleierung gegenüber der Arbeiterklasse der fortgeschrittenen Länder vom Stapel zu reißen, deren spontane Reaktion die Solidarität und das Begrüßen des Mutes und der Entschlossenheit der Demonstranten in Tunis und Kairo war. Vor allem die massive Präsenz der gut ausgebildeten Jugend, welche mit einer Zukunft in Arbeitslosigkeit und Armut konfrontiert ist, ist ein Echo auf die kürzlich erfolgten Bewegungen der jungen Generation in verschiedenen europäischen Ländern: die Bewegung gegen das CPE-Gesetz in Frankreich im Frühling 2006, Revolten und Streiks in Griechenland Ende 2008, Demonstrationen und Streiks in den Hochschulen und Universitäten in Großbritannien Ende 2010, Studentenbewegungen in Italien und in den USA 2009-2010, usw. Die Kampagnen der herrschenden Klasse, welche darauf abzielen, die Bedeutung der Revolten in Tunesien und Ägypten zu verwischen, werden erleichtert durch die großen demokratischen Illusionen, die tatsächlich noch auf der Arbeiterklasse in diesen Ländern lasten: Nationalismus, demokratische und vor allem gewerkschaftliche Illusionen, ähnlich wie es 1980-81 im Kampf der Arbeiterklasse in Polen der Fall war.
Die Rolle des Proletariats in Europa und den USA
13. Vor 30 Jahren sah sich die IKS angesichts dieser Bewegung in Polen gezwungen, eine kritische Analyse gegenüber der Theorie des "Schwächsten Gliedes", welche vor allem von Lenin in der Zeit der Russischen Revolution vertreten wurde, zu formulieren. Damals argumentierte die IKS auf der Basis der Positionen, die von Marx und Engels entwickelt wurden, dass der Funke zur proletarischen Revolution vor allem in den zentralen Ländern des Kapitalismus entspringen wird. Dies aufgrund der großen Konzentration der Arbeiterklasse in diesen Ländern und vor allem aufgrund ihrer historischen Erfahrung, welche sie eher in die Lage versetzt, von der herrschenden Klasse gestellte ideologische Fallen zu durchschauen. Einer der wichtigsten Schritte für die weltweite Arbeiterklasse in der Zukunft wird nicht nur die Entfaltung massiver Kämpfe in den zentralen Ländern Westeuropas sein, sondern auch die Fähigkeit, die demokratischen und gewerkschaftlichen Fallen zu vermeiden, indem sie den Kampf in die eigenen Hände nimmt. Diese Bewegungen werden für die weltweite Arbeiterklasse ein Orientierungspunkt sein, einschließlich für die Arbeiterklasse im mächtigsten kapitalistischen Land, den USA, wo das Abgleiten in die zunehmende Armut, das schon heute Millionen von Beschäftigten betrifft, den "amerikanischen Traum" in einen Albtraum verwandelt hat.
14. Die Bewegung im Herbst 2010 gegen die Rentenreform in Frankreich, in einem Land, in dem das Proletariat seit dem Mai 1968 als eine Art Bezugspunkt für viele Arbeiter in anderen europäischen Ländern gilt, hat gezeigt, dass wir noch ein weites Stück entfernt sind von einer Überwindung der gewerkschaftlichen Kontrolle und dem eigenen in die Hände Nehmen der Kämpfe. Dies wurde noch deutlicher ersichtlich während den massiven „Mobilisierungen“ der britischen Gewerkschaften gegen die Sparpläne der Cameron-Regierung im März 2011. Dennoch, die Tatsache, dass innerhalb dieser Bewegungen gegen die Rentenreform in Frankreich trotz des allgegenwärtigen Klammergriffs von Intersyndical sich in verschiedenen Städten eine Anzahl von „überberuflichen Vollversammlungen“ bildete, ist Ausdruck des Willens der Arbeiterklasse, auf die gewerkschaftliche Umklammerung zu reagieren und selbst eine direkte Kontrolle mittels für alle offenstehende Vollversammlungen zu suchen und damit die berufliche Aufsplitterung zu überwinden. Es ist ein Anzeichen, dass die Arbeiterklasse beginnt, den Weg in Richtung dieser wesentlichen Etappe einzuschlagen. Überdies sind die in der letzten Zeit ausgebrochenen Kämpfe in peripheren Ländern Zeichen für die Entwicklung einer Situation, in der in der Zukunft entscheidende Kämpfe in den zentralen Ländern sofort Signal für die weltweite Ausbreitung der Bewegung der Arbeiterklasse sein können. Die Krise erschüttert die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt mit enormer Brutalität. Wie auch immer die Fallen der herrschenden Klasse aussehen werden, wie heftig auch immer das Zögern der Arbeiterklasse angesichts der bevorstehenden Aufgaben sein wird, das Proletariat ist gezwungen, immer massiver und bewusster zu kämpfen - und es ist die Aufgabe der Revolutionäre, sich an diesen Kämpfen in entschlossener Art und Weise zu beteiligen. Das Proletariat soll fähig werden, seine historische Aufgabe zu erfüllen: die Überwindung des Kapitalismus mit all seiner Barbarei, der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft, der Weg der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in dasjenige der Freiheit.
Mai 2011
Als entscheidendes Argument zur Begründung optimistischer Zahlen werden immer wieder die Aktien genannt, deren Kurse steigen und steigen… Aber kündigt dieses berühmte Licht am Ende des Tunnels wirklich einen Aufschwung an? Ist es nicht viel mehr die klassische Halluzination eines Dahinsiechenden?
Misere, Misere
In den USA, so wird behauptet, gehe es langsam wieder aufwärts. Das Schreckgespenst des Krachs von 1929 sei verschwunden. Die endlos langen Warteschlangen vor den Arbeitsämtern in den scheußlichen Zeiten der großen Depression der 1930er Jahre werde man nicht mehr antreffen. Ende März kündigte McDonals gar die außergewöhnliche Neueinstellung von 50.000 Leuten an einem Tag an. Am 19. April, dem schicksalhaften Tag, standen dann ca. Drei Millionen Jobbewerber Schlange vor den Restaurants, um einen der Jobs zu ergattern!
Die Wirklichkeit der gegenwärtigen Krise wird so anhand des Leidens, das der Arbeiterklasse zugefügt wird, deutlich. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist zwar offiziell rückläufig, aber die staatlichen Statistiken sind ohnehin nur ein gewaltiges Täuschungsmanöver. So berücksichtigt man beispielsweise bei der Arbeitslosenstatistik gar nicht mehr die sogenannten NLF („Not in the Labor Force“, die Nichtaktiven). Dabei handelt es sich um ältere Arbeitslose Beschäftigte, entmutigte Arbeitslose, Studenten und Jugendliche, Arbeitslose, die selbst nach einem Job suchen… im Januar betrug diese Zahl 85.2 Millionen! Der Staat selbst muss eingestehen, dass die Zahl der Armen, die mittlerweile mit 15% der Bevölkerung angegeben wird, ständig steigt.
Die Explosion der Verarmung in der weltweiten führenden Macht wirft ein entsprechendes Licht auf die Weltwirtschaft. In allen Kontinenten werden die Lebensbedingungen immer unmenschlicher. Schätzungen der Weltbank zufolge leben jetzt schon 1,2 Milliarden Menschen unter der Armutsgrenze (1,25 Dollar pro Tag). Aber die Zukunft sieht noch düsterer aus. Für einen wachsenden Teil der Bevölkerung bedeutet die steigende Inflation, dass es immer schwieriger für sie wird, ein Dach über dem Kopf zu finden oder sich zu ernähren. Die Lebensmittelpreise sind im Vergleich zum Vorjahr um 36% gestiegen. Dabei lässt den Aussagen von Food Price Watch zufolge, einem Institut der Weltbank, eine 10%ige Preiserhöhung mindestens 10 Millionen Menschen zusätzlich unter die extreme Armutsgrenze sinken. So sind diesen Berechnungen zufolge allein seit Juni 2010 ca. 44 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut gerutscht. Konkret werden immer mehr lebenswichtige Güter unerschwinglich: innerhalb eines Jahres ist der Maispreis um 74%, der Weizenpreis um 69% gestiegen, der für Soja um 36%, Zucker um 21% usw.
Ein neues Kapitel der historischen Krise des Kapitalismus hat angefangen
Seit dem Sommer 2007 und dem Platzen der sog. Immobilienblase in den USA hat sich die Weltwirtschaftskrise weiter zugespitzt; ihr Rhythmus hat sich beschleunigt, ohne dass die Herrschenden auch nur einen Lösungsansatz gefunden hätten. Schlimmer noch, ihre verzweifelten Versuche der Begrenzung des Übels bereiten in Wirklichkeit nur neue Beben vor. Die Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren sieht wie eine endlose Spirale aus, ein Strudel, der alles nach unten zieht. Dieses Drama hat sich in den letzten 40 Jahren angebahnt. Seit dem Ende der 1960 Jahre bis zum berühmt berüchtigten Sommer 2007 hat die Weltwirtschaft nur überlebt dank der systematischen und wachsenden Verschuldung. Warum? Wir müssen einen kurzen theoretischen Schwenk machen.
Der Kapitalismus produziert immer mehr Waren als der Markt absorbieren kann. Es handelt sich fast um eine Tautologie: Das Kapital beutet seine ArbeiterInnen aus (oder anders gesagt, ihre Löhne liegen unter dem Wert dessen, was sie durch ihre Arbeit schaffen). Somit kann das Kapital die hergestellten Waren mit Gewinn verkaufen. Aber die Frage lautet: an wen kann es verkaufen? Natürlich kaufen die ArbeiterInnen diese Waren – in dem Umfang der ihnen zur Verfügung stehenden Kaufkraft. Aber sie alleine können nicht all die Waren kaufen, die den erzeugten Mehrwert verkörpern. Das würde keinen Sinn machen. Das Kapital kann nicht, um Profit zu machen, seine eigenen Waren aufkaufen; so als ob man Geld aus der linken Tasche nähme, um es in die rechte Tasche zu stecken. So könnte sich niemand bereichern, die Armen können das bestätigen.
Um zu akkumulieren, um sich zu entfalten muss das Kapital also andere Käufer finden als die ArbeiterInnen und die Kapitalisten. Mit anderen Worten - es muss Absatzmärkte außerhalb seines Systems finden, sonst steht es vor einem Berg unverkäuflicher Waren, die den Markt überfüllen – dann entsteht die berühmte „Überproduktionskrise“!
Dieser innere Widerspruch (die natürliche Tendenz zur Überproduktion und der Zwang, unaufhörlich äußere Absatzmärkte zu finden), ist auch eine der Wurzeln dieser unglaublichen Dynamik dieses Systems. Der Kapitalismus musste deshalb den Handel mit allen Wirtschaftsbereichen aufnehmen: den alten herrschenden Klassen, den Bauern und Handwerkern auf der ganzen Welt. Die Geschichte des ausklingenden 18. Jahrhunderts und des 19. Jahrhunderts war die der Kolonisierung, der Eroberung der Welt durch den Kapitalismus! Die herrschende Klasse dürstete nach neuen Gebieten, in denen sie die Bevölkerung mit verschiedenen Mitteln zwang, ihre Produkte zu erwerben. Aber dadurch verwandelte sie auch diese Naturalwirtschaften; sie integrierte sie schrittweise in ihr System. Die Kolonien wurden langsam auch zu kapitalistisch dominierten Gebieten, die anfingen, nach den Gesetzen dieses Systems zu produzieren. Somit war die Wirtschaft in diesen Ländern immer weniger in der Lage, die Waren Europas und der USA aufzunehmen, sondern dort entstand selbst eine Überproduktion. Das Kapital musste für seine Entwicklung unaufhörlich immer neue Absatzmärkte entdecken.
Das hätte zu einer endlosen Geschichte werden können, aber unsere Erde ist halt eine runde Kugel. Pech für das Kapital, dass es den Erdball innerhalb von 150 Jahren erobert hat. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren alle Gebiete erobert; die großen Mächte des Kapitalismus haben die Welt unter sich aufgeteilt. Dann war es nicht mehr möglich, neue Gebiete zu entdecken, sondern jetzt ging es darum, den Konkurrenten deren Gebiete mit Gewalt zu entreißen. Deutschland, das Land mit den wenigsten Kolonien, musste die aggressivste Rolle einnehmen und den Ersten Weltkrieg auslösen aufgrund der Notwendigkeit, die Hitler später bei der Vorbereitung des 2. Weltkrieges deutlich formulierte : Exportieren oder krepieren! Nach 150 Jahren Expansion trat das System in seinen Niedergang ein. Der Horror der beiden Weltkriege und der großen Depression der 1930er Jahre waren unwiderlegbare, dramatische Beweise dieses Niedergangs.
Aber selbst nach der Zerstörung der noch vorhandenen außerkapitalistischen Märkte in den 1950er Jahren (wie z.B. die Bauernschaft in Frankreich) versank der Kapitalismus nicht in einer tödlichen Überproduktionskrise. Warum? Damit kehren wir zu unserem Anfangsgedanken zurück, den wir erläutern wollten: „Der Kapitalismus produziert immer mehr Waren als der Markt absorbieren kann.“ Er musste einen künstlichen Markt schaffen: Von Ende der 1960er Jahre an bis zum berüchtigten Jahr 2007 hat die Weltwirtschaft nur dank des systematischen und wachsenden Rückgriffs auf die Verschuldung überleben können.
So kann man die letzten 40 Jahre als eine Reihe von Rezessionen und Wiederankurbelungen zusammenfassen, die durch Schuldenaufnahme finanziert wurden. Bei jeder offenen Krise musste das Kapital immer massiver auf die Verschuldung zurückgreifen. Dabei geht es nicht nur um die Verschuldung der Privathaushalte mittels staatlicher Kreditspritzen; nein die Staaten selbst haben sich verschuldet, um die Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen nationalen Kapitals gegen die Rivalen künstlich aufrechtzuerhalten (indem z.B. direkt in die Infrastruktur investiert wurde, Banken zu niedrigen Zinsen Kredite aufnehmen konnten, damit diese wiederum den Unternehmen und Privathaushalten günstig Kredite einräumen konnten…). Kurzum indem der Kredithahn weit aufgedreht wurde, floss das Geld in Strömen; Schritt für Schritt standen dann aber alle Branchen der Wirtschaft vor der klassischen Überverschuldung. Jeden Tag mussten mehr Schulden aufgenommen werden… um die Altschulden zu begleichen. Diese Dynamik führte notwendigerweise in eine Sackgasse.
Im Sommer 2007 begann ein neues Kapitel der Geschichte des Niedergangs. Die Herrschenden auf der Welt sind nicht mehr dazu in der Lage, die Zuspitzung der Krise zu verlangsamen, indem man immer massiver zur Kreditspritze greift. Heute kommt es zu immer mehr Erschütterungen, ohne eine wirkliche Atempause oder einen Aufschwung in den Zwischenphasen. Die Unfähigkeit der Herrschenden gegenüber der neuen Lage sticht immer mehr ins Auge. Nach dem Platzen der Blase der „Subprimes“ 2007 und 2008 mit dem Bankrott des Bankenriesens Lehman Brothers konnten alle Staaten der Welt nur eins tun: die Finanzwelt mit Liquidität versorgen, auch wenn dadurch die öffentliche Verschuldung explodierte. Aber das war kein einmaliges, begrenztes Einschreiten. Seit 2007 überleben die Weltwirtschaft, die Banken und die Börsen nur dank der ständigen Transfusion von öffentlichen Geldern, die durch Neuverschuldung oder das Ankurbeln der Notenpresse zur Verfügung gestellt werden. Nur ein Beispiel: die USA. Um 2008 den Bankensektor vor dem allgemeinen Bankrott zu retten, beschloss die Fed einen ersten Plan zum Aufkauf von Aktivvermögen (QE 1 = Quantitative Easing1); er hatte einen Umfang von mehr als 1400 Milliarden Dollar. Zwei Jahre später, im Januar 2010, musste ein zweiter Rettungsplan erstellt werden – QE 2: Ca. 600 Milliarden Dollar wurden in die Wirtschaft gepumpt, indem man einfach mehr Geldscheine druckte. Aber das reichte immer noch nicht. Kaum sechs Monate später, im Sommer 2010, musste die Fed erneut fällige Schuldtitel zum Preis von 35 Milliarden Dollar pro Monat aufkaufen. Damit hat die Fed seit dem Beginn der Krise ca. 2300 Milliarden Dollar ausgegeben. Dies entspricht dem BIP eines Landes wie Brasilien oder Italien! Aber damit war die Sache nicht ausgestanden. Im Sommer 2011 muss die Fed einen neuen Plan, QE3 verabschieden, dem ein QE4 folgen wird[1]...
Die Wirtschaft ist zu einem Fass ohne Boden geworden, oder eher ein schwarzes Loch. Sie saugt immer astronomische Massen an Schulden auf…
Die Zukunft : Inflation und Rezession!
Aber es wäre falsch zu behaupten, dass die gewaltigen Kreditspritzen, die heute von allen Staaten verwendet werden, keine Wirkung zeigen würden. Sie haben eine doppelte Wirkung. Ohne sie würde die Wirtschaft sprichwörtlich zusammenbrechen. Aber gleichzeitig bewirkt die bislang nie dagewesene Zunahme der Geldmenge weltweit, insbesondere das Aufblähen der Dollarmengen, eine Untergrabung des Systems; sie wirkt wie ein Gift. Der Kapitalismus ist wie ein todgeweihter Kranker, der von seiner Morphinspritze abhängt. Ohne diese stirbt er; aber jede neue Dosis schwächt ihn noch ein wenig mehr. Während die Kreditspritzen von 1967-2007 der Wirtschaft ermöglicht haben, sich über Wasser zu halten, beschleunigen dagegen die jetzt notwendigen Dosen ihren Zusammenbruch.
Indem die Notenpresse angekurbelt wird, produzieren die verschiedenen Zentralbanken das, was die Ökonomen wertloses Geld nennen. Wenn die Geldmenge schneller wächst als die Wirtschaft, verliert diese an Wert. Infolge dessen steigen die Preise; die Inflation zieht an[2]… Natürlich sind die USA in diesem Bereich Sieger aller Klassen! Sie wissen, dass ihre Währung der Pfeiler der wirtschaftlichen Stabilität seit dem Ende des 2. Weltkriegs ist. Auch heute noch kann niemand ohne Dollars auskommen. Deshalb haben die USA seit 2007 die größte bislang dagewesene Geldmenge in Umlauf gebracht, um ihre Wirtschaft zu stützen. Der Dollar ist deshalb noch nicht zusammengebrochen, weil China, Japan usw. gegen ihren Willen dazu gezwungen waren, Dollars zu erwerben. Aber dieses prekäre Gleichgewicht neigt auch seinem Ende zu. Es gibt immer weniger Käufer für US-Staatsanleihen (T-Bonds), denn jeder weiß, dass diese in Wirklichkeit nichts wert sind. Seit 2010 kauft die Fed selbst ihre eigenen T-Bonds auf, um deren Wert künstlich hochzuhalten! Und in den USA hat die Inflation auch stark angezogen (je nach Quelle zwischen 2% und 10%; der höhere Wert ist der wahrscheinlichere, jedenfalls ist es die von den ArbeiternInnen beim Einkaufen gefühlte Inflation). Der Präsident der Fed in Dallas, Richard Fisher, der dieses Jahr Mitglied im Komitee der Währungspolitik ist, warnte jüngst vor der Gefahr der Hyperinflation, die ein Ausmaß wie die Inflation 1923 in der Weimarer Republik annehmen könnte.
Hierbei handelt es sich nur um eine grundlegende Tendenz; die Inflation breitet sich mittlerweile in allen Ländern aus. Und das Misstrauen der Kapitalisten gegenüber allen Währungen nimmt immer mehr zu. Die zukünftigen Erschütterungen, die wahrscheinlichen Pleiten von großen Unternehmen, Banken, gar Staaten rufen große Unsicherheit hervor hinsichtlich des Verhaltens der internationalen Währungsmärkte. Die Konsequenzen werden ersichtlich: Die Goldpreise explodieren. Nach einem Anstieg des Goldpreises von 29% 2010 steigt dessen Preis immer weiter an, zum ersten Mal wird die magische Marke von 1500 Dollar übertroffen; dies ist fünfmal mehr als vor 10 Jahren. Und auch der Silberpreis hat den höchsten Preis seit 31 Jahren erreicht. Die Universität von Texas, an der Ökonomen ausgebildet werden, hat neulich ihre Reserven (es soll sich um eine Milliarde Dollar handeln) in Gold angelegt. Hier kann man erkennen, wie viel Vertrauen die Herrschenden in den USA in ihrer eigenen Währung haben! Und dies ist keine Begleiterscheinung…. Die Zentralbanken selbst haben 2010 mehr Gold gekauft als sie verkauften; dies geschah zum ersten Mal seit 1988. Dies ist der jüngste Schritt bei der Beerdigung des Abkommens von Bretton Woods (nicht offiziell aber in Wirklichkeit), in dem nach dem 2. Weltkrieg ein an die Stabilität des Dollars gebundenes internationales Währungssystem beschlossen worden war.
Die Herrschenden sind sich natürlich dieser Gefahren bewusst. Unfähig, den Kredithahn zuzudrehen und die Notenpresse anzuhalten, versuchen sie eine Schadens- und Schuldenbegrenzung, indem sie drastische Sparmaßnahmen auf Kosten der Arbeiterklasse durchzusetzen versuchen. Fast überall werden die Löhne der Beschäftigen in der Privatindustrie und der Staatsangestellten eingefroren oder gekürzt; die Sozialhilfen oder Ausgaben im Gesundheitswesen werden gekürzt, kurzum die Armut nimmt weiter zu. In den USA hat Obama einen Kürzungsplan von 4000 Milliarden Dollar für die nächsten 12 Jahre angekündigt. Die damit verbundenen Opfer für die Bevölkerung sind unvorstellbar. Aber dies stellt in Wirklichkeit gar keine Lösung dar. In Griechenland, Portugal, Irland, Spanien usw. wird ein Sparpaket nach dem anderen verabschiedet, aber die Defizite steigen weiter an. Die einzige Wirkung dieser Politik besteht darin, dass die Wirtschaft noch mehr in die Rezession rutscht. Für diese Dynamik gibt es nur einen Ausweg: nach dem Bankrott der US-Haushalte 2007, der Banken 2008 rutschen die Staaten immer mehr in den Staatsbankrott ab. Man darf sich keine Illusionen machen; die Zahlungsunfähigkeit z.B. Griechenlands lässt sich nicht ewig weiter aufschieben. Aber selbst amerikanische Bundesstaaten wie Kalifornien werden davon nicht verschont bleiben.
Es ist unmöglich irgendwelche Daten ins Auge zu fassen und genau zu wissen, wo und wann die Weltwirtschaft platzen wird. Könnte die Katastrophe, von der Japan erfasst worden ist (die Wirtschaftsleistung der drittgrößten Wirtschaftsmacht der Erde ist im März um 15% gesunken), der Auslöser sein? Oder welche Rolle spielen die Erschütterungen im Nahen und Mittleren Osten? Was ist mit dem Zusammenbruch des Dollars oder dem Staatsbankrott Griechenlands oder Spaniens? Niemand kann dies vorhersehen. Nur eins ist sicher: Wir stehen vor einer Reihe von äußerst brutalen Rezessionen! Nach der langsamen Entwicklung der Weltwirtschaftskrise von 1967-2007 stehen wir heute vor einem neuen Kapitel des Niedergangs des Kapitalismus, das von neuen, endlosen Erschütterungen des Systems und explodierender Armut gekennzeichnet sein wird. Pawel, 30.04.2011.
[1] Aber sie werden es dieses Mal sicher tun, ohne es offiziell zu verkünden, um nicht das Scheitern all der vorherigen Maßnahmen einzugestehen!
[2] Pedantische Leser werden sagen: „aber die Geldmenge ist zwischen 1990-2000 auch gewaltig gewachsen, ohne dass es zu einem Inflationsschub kam“. Das stimmt, der Grund dafür liegt darin: die Sättigung der wirklichen Märkte hat das Kapital dazu gezwungen, in die virtuelle Wirtschaft zu flüchten (Aktien). Mit anderen Worten: die Geldmenge stieg beträchtlich an, vor allem im Finanzsektor; nicht die Preise der produzierten Güter sind so stark gestiegen, sondern vor allem die Aktienkurse. Aber diese Spekulation, so verrückt und losgelöst sie auch von der Wirklichkeit ist, fußt letzten Endes auf Betriebe, die einen echten Wert herstellen. Wenn diese massiv von Pleiten bedroht sind (insbesondere die Banken), wird diese Sache brenzlig. So war es beim Krach 2008, und so wird es in Zukunft sein. Deshalb flüchten übrigens die Anleger jetzt ins Gold und in die Spekulation mit Lebensmitteln; sie suchen Fluchtanlagen.
Wie immer die Ereignisse in Spanien sich letzten Endes entwickeln werden und ungeachtet der Konfusionen oder Illusionen der Beteiligten, diese Ereignisse sind von historischer Bedeutung; sie stellen eine wichtige Stufe der Entwicklung des Klassenkampfes dar.
Ein Glied in der internationalen Kette von Klassenkämpfen
Es wird behauptet, die Ereignisse könnten anhand von vermeintlich nationalen Faktoren erklärt werden, die man als die berühmte „Spanische Revolution" umreißen könnte. Aber nichts ist falscher und irreführender als das. Die Enttäuschung über die sogenannte „politische Klasse" ist weltweit zu beobachten; es gibt kaum ein Land auf der Welt, wo die Menschen noch Vertrauen in ihre „Repräsentanten" haben; das triff sowohl auf die im Wahlzirkus „gewählten" als auch auf die diktatorisch auferzwungenen zu. Die als weitere mögliche Erklärung angeführte Korruption[1] ist ebenso auf der ganzen Welt anzutreffen; sie ist mehr oder weniger stark in allen Ländern vorhanden. Aber diese Unterschiede sind der Baum, der uns daran hindert, den Wald zu sehen, nämlich das Phänomen des weltweiten und historischen Niedergangs und der Fäulnis des Kapitalismus.
Ein anderes, oft zu hörendes Argument ist die in Spanien massive, unter den Jugendlichen besonders hohe Arbeitslosigkeit. Ebenso wird immer auf die prekären Arbeitsverhältnisse verwiesen, auf die tiefen sozialen Einschnitte, die schon eingeleitet wurden oder für nach den Wahlen angesagt sind.
All das ist aber nicht typisch Spanisch. Wir sehen das Gleiche nicht nur in Griechenland, Irland oder Portugal, sondern auch in den USA und Großbritannien. Auch wenn es stimmt, dass diese Angriffe gegen die Arbeiterklasse und die große Mehrheit der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern in unterschiedlichem Maße durchgeführt werden, verschärft der Kapitalismus ständig die Ungleichheit und schafft unaufhörlich Neid. Es ist eine Sackgasse, sich auf Vergleiche einzulassen wie „X ist weniger arm als Y", denn in Wirklichkeit werden wir alle immer ärmer.
Die finstere Fratze der Arbeitslosigkeit - sie ist sowohl in Madrid als auch in Kairo, in London wie in Paris, in Athen wie in Buenos Aires zu sehen. Deshalb ist es absurd und sinnlos, unaufhörlich nach Unterschieden zu suchen; in Wirklichkeit geht es darum das zu sehen, was uns vereint und was wir generalisieren können. Jetzt sieht man immer offensichtlicher, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen aller Ausgebeuteten auf der Welt verschlechtern. Wir sind alle mit dem Problem konfrontiert, dass das System uns in den Abgrund stürzt; dies wird ersichtlich anhand der Arbeitslosigkeit, Inflation, Prekarität, der Abschaffung von Sozialleistungen, der Zunahme von Nuklearkatastrophen, Kriegen und der Auflösung gesellschaftlicher Beziehungen, verbunden mit einer zunehmenden moralischen Barbarei.
Es ist offensichtlich, dass der Druck der herrschenden Ideologie versucht, die gegenwärtige Bewegung auf die „Spanische Revolution" auszurichten. Es stimmt, dass die Schwierigkeiten der Bewusstseinsentwicklung dazu führen, dass viele Beteiligte die Ereignisse durch diese Brille betrachten. Deshalb spürt man in den Versammlungen nur sehr selten ein Nachdenken über die weltweite Lage oder über die Lebensbedingungen des Großteils der ArbeiterInnen, der gewaltigen Mehrheit der Beschäftigten[2]....
Aber wie kann man von einem Glied in der internationalen Bewegung der Arbeiterklasse sprechen, wenn die meisten Beteiligten sich nicht als zugehörig zur Arbeiterklasse betrachten, obwohl sie ihr angehören, und der Begriff Arbeiterklasse in den Versammlungen kaum erwähnt wird?[3]
Verschiedene Faktoren sind für diese Schwierigkeit verantwortlich: die Arbeiterklasse leidet an einem Identitätsproblem und einem Mangel an Selbstvertrauen. Gleichzeitig beschränkt sich die allgemeine Unzufriedenheit nicht nur auf die Arbeiterklasse, sondern auf breite Schichten der unterdrückten und ausgebeuteten Bevölkerung, was sich in einer Proletarisierung kleinbürgerlicher und freiberuflicher gesellschaftlicher Schichten äußert.[4] All das führt dazu, dass die Bewegung bei oberflächlichem Betrachten als interklassistisch (zwischen den Klassen) erscheint, die sich chaotisch in einer Reihe von Fragestellungen verzettelt und sehr anfällig ist für demokratische Anbändelungsversuche.... Aber wenn man näher hinschaut, wird offensichtlich, dass die Bewegung ein Teil des internationalen Kampfes der Arbeiterklasse ist. Wir befinden uns in einem Prozess hin zu massiven Kämpfen, die dazu führen werden, dass die Arbeiterklasse wieder Selbstvertrauen in ihre eigene Kraft schöpft und sich als eigenständige gesellschaftliche Klasse auffassen wird, die dazu in der Lage ist, eine Alternative gegenüber dieser Gesellschaft aufzubauen, die sich immer mehr dem Abgrund nähert. Der tektonische Bruch, der sich von Frankreich 2006[5] nach Griechenland 2008[6] zog, um erneut 2010 in Frankreich[7] aufzutauchen, sich dann in Großbritannien 2010 und 2011 in Tunesien-Ägypten[8] fortsetzte, hat jetzt auch das Beben in Spanien ausgelöst. Die Grundlagen für große soziale Beben reifen heran, welche langfristig den schmerzhaften Weg freilegen werden für die Befreiung der Menschheit.
Die unmittelbaren Auslöser der Bewegung
Eine internationale und historische Analyse wird viel genauer, wenn wir die besonderen nationalen oder vorübergehenden Faktoren berücksichtigen. Gleichzeitig können wir niemals die Lage verstehen, wenn wir von diesen spezifischen Faktoren ausgehen. Die jüngste Bewegung wurde ausgelöst durch einen Protest „gegen die Politiker", sie wurde organisiert durch „Ja zur echten Demokratie". Die Demonstrationen am 15. Mai wurden zu einem spektakulären Erfolg: die allgemeine Unzufriedenheit, die Sorge über die fehlenden Perspektiven kamen in diesen Protesten zum Ausdruck.
Scheinbar war mit dem Ende des Protesttages alles vorbei, aber in Madrid und Granada ging die Polizei brutal gewalttätig gegen die Demonstranten vor; mehr als 20 Leute wurden verhaftet und auf den Polizeiwachen misshandelt. Die Verhafteten kamen schließlich in einer Versammlung zusammen und verfassten ein Kommuniqué[9], dessen Verbreitung einen großen Eindruck hinterließ und für gewaltige Empörung und Solidarität sorgte. Eine Gruppe Jugendlicher beschloss ein Zeltlager auf dem zentralen Platz Puerta del Sol in Madrid zu errichten. Ab dem darauffolgenden Montag wurde das Beispiel in Barcelona, Granada und Valencia aufgegriffen. Ein weiteres gewalttätiges Vorgehen der Repressionskräfte entzündete erneut die Gemüter; seitdem haben sich die Zeltlager auf mehr als 70 Städte ausgedehnt, der Zustrom von Leuten ist seitdem ständig gestiegen.
Der Dienstagnachmittag war ein entscheidender Moment. Die Organisatoren hatten Schweigeminuten oder sinnlose Spielszenen (die sogenannten „performances") vorgesehen, aber die Teilnehmer forderten lautstark die Abhaltung von Versammlungen. Am Dienstagabend um 20.00 h fanden schließlich Versammlungen in Madrid, Barcelona, Valencia und anderen Städten statt; ab Mittwoch kam es zu einer richtigen Lawine; das ganze verwandelte sich in offene Versammlungen.
Um auf ein Symbol verweisen zu können, nannte sich die Bewegung 15D (der demokratische 15. Mai). Aber in Wirklichkeit stellt dieser Bezug eine gewisse Fesselung dar, denn damit wird ein utopisches und mystifizierendes Ziel vorgegeben: die „demokratische Erneuerung" des spanischen Staates[10]. Die gewaltige soziale Unzufriedenheit soll in eine sogenannte „zweite Übergangszeit" kanalisiert werden. Nach 34 Jahren Demokratie ist der Großteil der Bevölkerung zutiefst enttäuscht; aber das „könne man erklären, denn wir haben bislang nur eine unvollkommene und begrenzte Demokratie erfahren", weil man einen Pakt mit den „intelligenten Teilen" des Franquismus eingehen musste; jetzt sei eine „zweite Übergangszeit" erforderlich, die uns eine „richtige Demokratie" bescheren werde.
Die Arbeiterklasse in Spanien ist gegenüber solchen Mystifikationen anfällig, da die Rechte in Spanien sehr autoritär, arrogant und unverantwortlich auftritt, womit die Glaubwürdigkeit der „wirklich existierenden Demokratie" untergraben wird. Aber indem das „Volk" aufgefordert wird, „gegen die Politiker zu rebellieren" und ein „Ja zur echten Demokratie" zu fordern, versuchen die Herrschenden zu verschleiern, dass dies die einzig mögliche Demokratie ist und es keine andere gibt.
Die Zapatero-Regierung ist nicht mit großem Fingerspitzengefühl gegenüber dieser explosiven Lage vorgegangen, wo mehr als 40% Jugendliche arbeitslos sind. Zapatero bezeichnete diejenigen, die es wagten, die „großen sozialen Errungenschaften" seiner Regierung infragezustellen, als „Schurken", was wiederum die Entschlossenheit vieler Jugendlicher verstärkt hat. Aber dahinter verbirgt sich etwas viel Tiefergehendes: die demokratische Trickkiste schlug als Alternative zur PSOE die PP vor, vor der sich jeder fürchtet, weil deren Arroganz, Brutalität und deren autoritären Reflexe wohl bekannt sind. Spanien ist nicht Großbritannien, wo Cameron - von den liberalen „Erneuerern" hofiert, vorher über einen viel besseren Ruf verfügte. In Spanien hat die PSOE immer die schlimmsten Angriffe gegen die Arbeiter in die Hand genommen; die Rechte hat zurecht den Ruf, der Feind der Arbeiterklasse und ein wilder Haufen korrupter Persönlichkeiten zu sein.[11]
Die große Mehrheit der Bevölkerung sieht mit Schrecken die Möglichkeit auf sich zukommen, dass den Schweinereien der sozialistischen "Freunde" nun noch größere Schweinereien - wenn überhaupt möglich - folgen werden, diesmal von den erklärten Feinden, der PP, ausgeheckt. Soweit zum Vertrauen in das Spiel der Demokratie und deren Wahlergebnisse. In Anbetracht solch unhaltbarer Verhältnisse und einer deprimierenden Zukunft sind die Leute auf die Straße gezogen. Ihre eigenen Konfusionen und Illusionen und das Gewicht der demokratischen Propaganda haben dazu geführt, dass der Vorschlag der Überwindung des Zweiparteiensystems in den Versammlungen auf großes Interesse stößt. Aber es handelt sich um eine unrealistische und rein verschleiernde Idee. Die spanische Parteienlandschaft ist streng auf ein Zweiparteiensystem aufgebaut; sie ist eine Fortsetzung des langen Zeitraums der Zweiparteienherrschaft Cánovas,[12] und wie die jüngsten Ergebnisse bei den Kommumal- und Gemeindewahlen zeigen, verstärkt sich diese Konstellation noch.[13]
Die Versammlungen - eine Waffe für die Zukunft
Aber gegenüber dieser Demokratie, die die „Beteiligung" darauf beschränkt, dass alle vier Jahre ein Politiker gewählt wird, welcher nie die Wahlversprechen einhält und immer ein „okultes" Programm ausführt, von dem vorher nie gesprochen wurde, hat die Bewegung in Spanien eine mächtige Waffe entdeckt, mit deren Hilfe die große Mehrheit der Bevölkerung sich vereinigen, denken und entscheiden kann: die verschiedenen Versammlungen in den Städten.
In der bürgerlichen Demokratie wird die Entscheidungsbefugnis einem bürokratischen Körper von Berufspolitikern übertragen, die wiederum den Befehlen ihrer Partei folgen, welche zu Verteidigern und Ausführenden der Interessen des Kapitals geworden sind. Im Gegensatz dazu wird die Entscheidungsbefugnis in den Versammlungen direkt durch die Beteiligten ausgeübt, die gemeinsam nachdenken, diskutieren und entscheiden. Sie organisieren sich selbst, um die Entscheidungen in die Praxis umzusetzen.
In der bürgerlichen Demokratie wird die Atomisierung des Einzelnen verfestigt, die Konkurrenz institutionalisiert und eine Haltung des Rückzugs des "jeder für sich" begünstigt. In den Versammlungen dagegen kann ein gemeinsames Nachdenken entstehen; alle können ihr bestmögliches beitragen, alle können die Stärke und die gemeinsame Solidarität fühlen. Es entsteht ein Raum, wo man einen Gegenpol gegen die Spaltung und die Auswirkungen der kapitalistischen Gesellschaft schafft und die Grundlagen einer neuen Gesellschaft legt, die sich auf die Abschaffung der Ausbeutung und der Klassen stützen wird und aus der schließlich eine neue menschliche Weltgemeinschaft hervorgehen wird.
Während die bürgerliche Demokratie sicherlich einen unleugbaren Fortschritt gegenüber der absoluten Macht der Monarchen darstellte, hat die Entwicklung des Staates seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts bewirkt, dass die Macht in den Händen eines Zusammenschlusses zwischen dem, was man politische Klasse nennt, und den großen führenden wirtschaftlichen und Finanzmächten, d.h. dem Kapital ingesamt, gehalten wird. Auch wenn noch so viele offene Listen aufgestellt und das Zweiparteiensystem geschminkt wird, die Macht liegt immer in den Händen dieser privilegierten Minderheit. Sie wird dabei noch absoluter und diktatorischer ausgeübt als es der absolutistischste der feudalen Monarchen tun könnte. Aber im Gegensatz zu diesen wird die Diktatur des Kapitals regelmäßig durch das Wahlspektaktel abgesegnet.
Die Versammlungen kreuzen sich mit der Arbeitertradition der Arbeiterräte 1905 und 1917,[14] die sich damals während der revolutionären Welle von Kämpfen 1917-23 auf Deutschland und andere Länder ausdehnten. Später sind diese oder ähnliche Strukturen dann in Ungarn 1956 oder in Polen 1980 aufgetaucht. Wie unerträglich ist dagegen die Atmosphäre in einem Wahllokal, wo die „Bürger" schweigsam zusammenkommen, ihre Pflicht der Stimmenabgabe erfüllen, ohne davon überzeugt zu sein; man empfindet ein gewisses Schuldgefühl, weil man immer für den „Falschen" stimmt. Und wie erregend anders ist dagegen die Atmosphäre, die man in diesen Tagen in den Versammlungen erleben konnte! Man spürt einen großen Enthusiasmus und eine enorme Lust, sich an den Aktivitäten zu beteiligen. Viele Leute ergreifen das Wort und werfen alle möglichen Fragen auf. Sobald die Versammlungen zu Ende gegangen sind, trifft man sich in Kommissionen, die sich oft den ganzen Tag lang treffen. Man stellt Kontakte her, lernt Leute kennen, denkt laut nach, überprüft von neuem alle Aspekte des politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens. Man merkt, dass man sprechen kann, dass alle Fragen gemeinsam angegangen werden... Auf den besetzten Plätzen werden Bibliotheken errichtet. Ein besonderer Ort wird geschaffen, wo man Referate hält zu allen möglichen Themen - wissenschaftliche wie kulturelle, künstlichere, politische oder wirtschaftliche. Es werde Solidaritätsgefühle geäußert, man hört einander aufmerksam zu, ohne dass irgendjemand irgendwelchen Unfug faselt; ein Raum wird geschaffen für allgemeine Empathie. Auch wenn noch schüchtern, es entsteht dennoch eine massive Debattenkultur;[15] man denkt über viele Themen nach, greift verschiedene Ideen auf. Man hat den Eindruck, als ob die Teilnehmer ihre Gedanken, ihre Gefühle der Öffentlichkeit vortragen wollen, die sie zuvor lange Zeit in der Einsamkeit der Atomisierung durchgekaut haben. Auf den Plätzen strömt eine gewaltige und kollketive Flut von Ideen zusammen; der Masse gelingt es, ihr Bestes und Tiefstes zum Ausdruck zu bringen. Diese anonyme Masse von Leuten, die angeblich die Verlierer dieser Gesellschaft sind, birgt in sich intellektuelle Fähigkeiten, aktive Gefühle, unerwartete gewaltige und tiefgreifende soziale Emotionen.
Die Leute fühlen sich befreit und genießen leidenschaftlich das große Vergnügen, gemeinsam diskutieren zu können. Allem Anschein nach scheint der Strom an Gedanken zu keinem konkreten Punkt zu gelangen. Es werden keine konkreten Vorschläge gemacht. Aber das ist nicht unbedingt eine Schwäche. Nach vielen Jahren erdrückenden kapitalistischen Alltags, in dem der Großteil der Menschen unter der Diktatur der Verachtung, den höchst entfremdeten Routinen, den schädlichsten Schuldgefühlen, der Frustration und Atomisierung gelitten hat, ist eine erste Etappe der chaotischen Explosion unvermeidlich.
Es gibt keine andere Art, keine anderen Mittel, damit sich die Gedanken des Großteils der Bevölkerung äußern. Dieser Weg ist unerlässlich. Auf den ersten Blick scheint er nirgendwohin zu führen, bevor alles sich selbst umwälzt und das gesellschaftliche Panorama insgesamt umgewälzt wird.
Die Organisatoren haben immer wieder demokratische und nationalistische Orientierungen eingebracht. Zum Teil spiegeln diese die Illusionen und Verwirrungen wider, die noch in den Köpfen der meisten Menschen stecken, aber gleichzeitig merkt man anhand der Gedanken vieler Teilnehmer, dass sie in anderen Richtungen suchen. So ist zum Beispiel in Madrid ein Slogan ziemlich populär geworden: „Alle Macht den Versammlungen", oder „Arbeitslos, obdachlos, furchtlos", „Das Problem ist nicht die Demokratie, das Problem ist der Kapitalismus". „ArbeiterInnen - wacht auf!". In Valencia sagten einige Frauen: „Unsere Großeltern wurden getäuscht, unsere Kinder wurden in die Irre geführt, unsere Enkel dürfen sich nicht verarschen lassen!" Oder „600 Euro pro Monat, das ist ein Gewaltverhältnis!"
In den Versammlungen hat es Debatten gegeben, die eine Art Spannungsverhältnis zwischen drei verschiedenen Betonungen zum Ausdruck brachten:
1. Soll man sich auf die demokratische Erneuerung beschränken,[16] oder sind die Probleme nicht im Kapitalismus verwurzelt, der keine Reformen mehr zulässt und deshalb überwunden werden muss?
2. Soll die Bewegung mit dem 22. Mai beendet werden, d.h. dem Wahltag, oder soll sie nicht im Gegenteil fortgesetzt werden, um massiv gegen die Kürzungspläne, die Arbeitslosigkeit, die prekären Verhältnisse, die Verzweiflung über die Perspektivlosigkeit anzukämpfen?
3. Sollten die Versammlungen nicht auf die Arbeitsplätze, die Betriebe, die Stadtviertel, die Arbeitsämter, Schulen und Universitäten ausgedehnt werden, damit sich die Bewegung in der Arbeiterklasse verwurzelt, die als einzige die Kraft und die Grundlagen besetzt, um einen generalisierten Kampf zu führen?
In den Versammlungen spürt man zwei "Stimmen": die demokratische Stimme, die eine konservative Bremse darstellte, und die proletarische Stimme, die danach strebt, die Probleme auf einer klassenmäßigen Ebene zu stellen.
Zuversichtlich in die Zukunft schauen
Die Versammlungen vom 22. Mai beschlossen hinsichtlich des zweiten Punktes die Fortsetzung der Bewegung. Viele Wortmeldungen sagten: „Wir sind nicht hier wegen der Wahlen, obgleich sie ein auslösender Faktor waren." Hinsichtlich des dritten Punktes äußerten sich mehrere: „Wir müssen zu den ArbeiternInnen gehen". Sie schlagen Forderungen vor, um gegen die Arbeitslosigkeit, die prekären Verhältnisse, die sozialen Einschnitte vorzugehen. Ebenso wurde beschlossen, die Versammlungen auf die Stadtviertel auszudehnen. Es werden schon Stimmen laut, die deren Ausdehnung auf die Betriebe, Universitäten und Arbeitsagenturen fordern... In Malaga, Barcelona und Valencia sind Demonstrationen gegen Sozialkürzungen vorgesehen, an einen neuen Generalstreik wird gedacht, der diesesmal ein „richtiger" sein soll, wie ein Redner meinte. Die Anfangsphase ist schon ein großer Erfolg der Bewegung. Sie zeigt, dass viele Ausgebeutete angefangen haben, Widerstand zu zeigen. Sie wollen „nicht mehr leben wie bislang". Die Empörung macht eine moralische Erneuerung nötig, einen kulturellen Wandel. Auch wenn manche Vorschläge ein wenig blauäugig oder seltsam erscheinen, sie spiegeln eine Begierde wider, die noch schüchtern und konfus zum Ausdruck kommt, „anders leben zu wollen".
Aber kann die Bewegung gleichzeitig auf dieser Ebene stehen bleiben, ohne konkrete Ziele zu formulieren?
Es ist schwierig darauf zu antworten. Zwei Bestrebungen ringen „geräuschlos" miteinander; sie sind ein Ausdruck der beiden erwähnten „Stimmen" der Demokratie und der Arbeiterklasse. Die Demokratie hat ihre Wurzeln in dem mangelnden Selbstvertrauen der Arbeiterklasse in ihre eigenen Fähigkeiten, in dem Gewicht der nicht-proletarischen, nicht ausbeutenden Schichten, in den Auswirkungen des gesellschaftlichen Zerfalls,[17] wodurch man sich an das Eingreifen eines „gerechtigkeitsliebenden" und „rechtstreuen" Staates klammert.
Der andere Weg, nämlich die Ausdehnung der Versammlungen auf die Betriebe, Arbeitsagenturen, Stadtviertel, der zu einer Polarisierung des Kampfes gegen die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit und die prekären Verhältnisse als Reaktion auf die unzähligen Angriffe gegen unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen führen würde, wird durch einen besonders kämpferischenTeil verkörpert. In Barcelona haben sich Beschäftigte der Telefongesellschaften, des Gesundheitswesens, Feuerwehrleute, Studenten, die alle gegen die Sozialkürzungen protestieren wollen, versammelt. Sie haben angefangen, eine andere Tonart anzuschlagen. Die zentrale Versammlung von Barcelona scheint dem Anliegen der demokratischen Erneuerung am weitesten entfernt gegenüberzustehen. Die zentrale Versammlung in Madrid hat zu Versammlungen in allen Stadtvierteln aufgerufen. In Valencia gab es einen Zusammenschluss mit einem Protestzug von Busfahrern sowie mit einer Demonstration von Bewohnern eines Stadtviertels, wo man Kürzungen im Bildungswesen vornehmen will. In Zaragoza haben sich die Busfahrer den Versammlungen mit großem Enthusiasmus angeschlossen.
Dieser zweite Weg bringt eine weitere Schwierigkeit mit sich. Die Gefahr, dass der Versuch der „Ausdehnung" der Bewegung zu ihrer Zersplitterung und zum Versickern in Forderungen für bestimmte Branchen oder Teile führt, ist real. Es handelt sich um einen wirklichen Widerspruch. Einerseits kann die Bewegung sich nur weiter entwickeln, wenn es ihr gelingt, die Arbeiterklasse als solche zumindest wachzurütteln oder sie gar zur Beteiligung an ihr zu gewinnen. Gleichzeitig wird solch eine Ausdehnung den Gewerkschaften die Gelegenheit bieten, auf den fahrenden Zug aufzuspringen und für Forderungen einzutreten, die die Bewegung auf Teilbereiche, auf Stadtviertel oder lokalistische Belange usw. begrenzen. Ohne diese Gefahr zu leugnen, muss man die Frage stellen: Bietet der Versuch - selbst wenn er scheitert - nicht die Möglichkeit, die Grundlagen für einen gemeinsamen Kampf zu schaffen, der uns später große Kraft verleiht?
Welchen Weg auch immer die Bewegung einschlagen wird, jetzt schon ist ihr Beitrag zum internationalen Kampf der Arbeiterklasse unleugbar:
Um die Ereignisse zu begreifen, müssen wir alte Schemen über Bord werfen. Die Russische Revolution 1905 brachte eine neue Art des Handelns der Massen zum Vorschein. Dies rief unter vielen Gewerkschaftsführern und sozialdemokratischen Führern Ratlosigkeit hervor und führte später gar zum Verrat einiger so wichtiger Theorektiker wie Kautsky und Plechanow, die sich verzweifelt an den alten Schemen des „systematischen Aufbaus eines Kräfteverhältnis mittels einer Gewerkschafts- und Parlamentsarbeit" festklammern wollten.[19]
Wir müssen solch eine Falle vermeiden. Die Ereignisse entwickeln sich aber nicht auf diese Weise; auch dürfen wir uns nicht an das Schema der Entwicklung der Kämpfe in den 1970er und 80er Jahren klammern. Sicherlich tritt ein Proletariat, das Schwierigkeiten mit seiner eigenen Identität hat und unter mangelndem Selbstvertrauen leidet, nicht „lautstark" auf. Gleichzeitig treten neben der Arbeiterklasse nicht-ausbeutende Schichten auf den Plan. Der Drang zu massiven Kämpfen, zu einem revolutionären Kampf verläuft nicht über vorher genau festgelegte Wege, in denen das Klassenterrain klar erkennbar ist. Dies birgt Risiken: ein noch schwaches Proletariat kann sich orientierungslos und verwirrt fühlen trotz einer breiten sozialen Bewegung. Es könnte auch sein, dass es vollkommen verloren dasteht wie bei den Ereignissen in Argentinien 2001.
All dies ändert nichts an dem Potenzial der gegenwärtigen Bewegung.
IKS - 25.5.2011
[1] Die Korruption ist zutiefst im Kapitalismus verwurzelt, da seine "Moral" darin besteht, alles zu verwerten, was einen größtmöglichen Profit abwirft. Mit diesem „Geburtsfehler" behaftet und auf dem Hintergrund der Zuspitzung der Wirtschaftskrise, die das verantwortungslose Handeln der Unternehmer und Politiker nur noch verschärft, wird die Korruption in jedem Staat unvermeidlich, egal welche Gesetze dazu bestehen.
[2] Aber in den Versammlungen gibt es Ansätze, dass die Fragen auf internationaler Ebene gestellt werden. In Valencia bezeichnete sich am Sonntag ein Redner als „Weltbürger", er betonte, wir könnten den Blick nicht auf Spanien beschränken. Anstrengungen werden unternommen, um die Kommuniqués der Versammlungen in alle möglichen Sprachen der Welt zu übersetzen; dies steht in starkem Gegensatz zu der anfänglichen spanischen Brille. Während die Versammlungen in vielen Ländern außerhalb Spaniens sich als eine „Angelegenheit der Spanier auf der ganzen Welt" darstellten, scheinen einige Versammlungen eine andere Botschaft aussenden zu wollen.
[3] Obwohl sich dies von den Versammlungen am Sonntag, den 22. Mai, an wiederholte.
[4] Nicht nur in den Ländern der "Dritten Welt" (welch anachronistischer Begriff), sondern auch in den zentralen Ländern. Selbst hochqualifizierte Informatiker, Rechtsanwälte, Redakteure usw. überleben immer mehr unter prekären Bedingungen oder als freelance. Kleine Selbständige arbeiten oft länger als die Uhr Stunden hat...
[5] Siehe unsere Thesen zu den Kämpfen gegen den CPE in Frankreich: /content/876/thesen-ueber-die-studentenbewegung-frankreich-im-fruehling-2006 [26]
[6] Siehe „Der Aufstand der Jugend in Griechenland bestätigt die Entwicklung des Klassenkampfs": https://de.internationalism.org/node/1810 [27]
[7] Siehe das Editorial der Internationalen Revue Nr. 144 - "Frankreich, Großbritannien, Tunesien - die Zukunft liegt in der Entfaltung des internationalen selbständigen Klassenkampfes [28]".
[8] "Was ist los in Nordafrika, im Nahen & Mittleren Osten? [29]"
[9] Siehe das Kommuniqué madrid.indymedia.org/node/17370, wo die Verhafteten die Misshandlungen durch die Polizei beschreiben.
[10] Der Staat ist das Organ der herrschenden Klasse. Auch wenn er unter demokratischem Deckmantel auftritt, stützt sich seine Struktur auf die Delegierung der Macht, was für die ausbeutende Minderheit kein Problem darstellt, die durch den Besitz an Produktionsmitteln das Heft in der Hand behält und den Berufspolitikern die Verwaltung ihrer Interessen überlassen kann. Aber für die Arbeiterklasse und die gewaltige Mehrheit der Bevölkerung sieht es anders aus: ihre Beteiligung besteht darin, dass sie diesen Herrschaften einen Blankoscheck ausstellen, die sich dann - auch wenn sie noch mit größter Ehrlichkeit handeln und auf die Verteidigung persönlicher Interessen verzichten - im bürokratischen Spinnengewebe des Staates verstricken.
[11] Es spricht Bände, dass die von dem Kandidaten der PP, Rajoy, eingeschlagene Strategie darin besteht, überhaupt keine Aussagen zu machen. Er redet nur sehr vage, mit sehr vielen Allgemeinplätzen. Dadurch will er verhindern, dass mögliche Linkswähler gegen ihn stimmen.
[12] Nach der Revolution von 1868 - die als „glorreich" bezeichnet wird, - und den nachfolgenden umwälzungsreichen Jahren, gelangen 1876 die konservative Partei Cánovas und die liberale Partei Sagastas an die Macht. Sie behielten sie bis 1900.
[13] Die kleinen Parteien, auf welche viele Leute bei den Versammlungen hoffen, treten nicht nur für ein Programm zur Verteidigung des Kapitalismus ein, das dem der großen Parteien in nichts nachsteht; sie haben auch Strukturen entwickelt, die ebenso bürokratisch und diktatorisch sind wie diese. Sie spielen keine eigenständige Rolle. Sie dienen als Auffangbecken für mit der Regierung und Opposition Unzufriedene.
[14] Siehe unsere Serie "Was sind die Arbeiterräte? [30]".
[15] Siehe "Die Debattenkultur, eine Waffe im Klassenkampf": /content/1654/die-debattenkultur-eine-waffe-des-klassenkampfes [31]
[16] Dies wurde in dem Forderungskatalog aufgeführt, der von der Madrider Versammlung erstellt wurde: offene Listen, Wahlreform...
[17] Siehe "Der Zerfall - letzte Phase des kapitalistischen Niedergangs": /content/1384/der-zerfall-der-kapitalistischen-gesellschaft [32]
[18] Im Unterschied zu den Ereignissen in Frankreich und Großbritannien, wo die Mobilisierungen sich um die Reaktion auf viel härtere Angriffe der Regierungen drehten.
[19] Im Gegensatz dazu gelang es Rosa Luxemburg mit "Massenstreik, Partei und Gewerkschaften" oder Trotzki mit "Bilanz und Perspektiven 1905" die Charakteristiken und die Dynamik der neuen Epoche des Klassenkampfes herauszuarbeiten.
Seit dem Beginn des militärischen Eingreifens am 19. März in Libyen unter den Fahnen der UNO und der NATO hat sich die Lage nicht entspannt. Aber seien wir beruhigt! Der letzte G8 Gipfel hat bekräftigt, dass die Koalitionäre ungeachtet ihrer Divergenzen « entschlossen sind, zum Ziel zu gelangen ». Sie riefen den libyschen Führer zur Abdankung auf, weil er « jede Legitimität » verloren habe. Russland hat sich dem Lager der Gaddafi-Gegner angeschlossen und seine Unterstützung bei einer Vermittlung angeboten. Als Zeichen der Unterstützung der « arabischen Revolutionen » und mit Blick auf die libysche Bevölkerung haben die Führer des Westens den « arabischen Revolutionen » ein Geschenk von 45 Milliarden Dollar gemacht (dabei haben sie Saudi-Arabien dazu gedrängt, auch in die Tasche zu greifen).
Diese « Solidarität » mit den Gaddafi-Gegnern, die sich im libyschen Übergangsrat zusammengeschlossen haben, macht aber den Krieg, der immer mehr ins Stocken gerät, nicht populärer. Die Truppen Gaddafis, gegen die mehr als 3000 Luftangriffe durchgeführt wurden, ballern weiterhin wild auf die Rebellen – sowohl in Bengasi als in Misrata. Man ist weit davon entfernt, den libyschen Führer von der Macht zu verdrängen, der jüngst von der « internationalen Gemeinschaft » wegen seiner Gräueltaten angeprangert wurde. Die Einführung der Demokratie, die als Vorwand für dieses neue imperialistische Abenteuer diente, ist nicht in Reichweite. Denn der Führer der « grünen Revolution » klebt weiterhin verzweifelt an der Macht. Das Land bietet ein Bild der Verwüstung; nichts von der Hoffnung und dem Enthusiasmus, den die Bewegungen in Tunesien und Ägypten auslösten. Jeden Tag gibt es Dutzende Tote in Misrata. Überall findet man entlang der Straßen Wracks von Panzern und anderen Militärfahrzeugen, während die Städte immer mehr zu Ruinen werden – sie erinnern an Beirut in den 1970er und 1980er Jahren oder an Grosny (Tschetschenien). Natürlich klagen die westlichen Führer weiterhin die libysche Regierung an und fordern, dass die Verantwortlichen der libyschen Regierung zur Rechenschaft gezogen werden. Der Internationale Gerichtshof wird eingeschaltet, um die « Verbrechen » zu verfolgen. Aber ihre Reden sind nichts als Heuchelei. In Wirklichkeit sind auch sie schuldig für die Toten und Verletzten unter den libyschen Zivilisten. Die Luftangriffe verschonen nämlich nicht die Zivilisten. Die Luftangriffe der beiden Kriege im Irak und in Afghanistan haben Hunderttausende Tote hinterlassen, ganze Dörfer wurden ausgelöscht – alles wurde als Kollateralschäden entschuldigt. Die Liste der Verbrechen, die die Großmächte bei ihren Kriegen an Zivilisten begangen haben, schmälert nicht die Verbrechen der kleineren Staaten. Und die Großmächte haben jeweils ein riesiges kriegerisches Chaos hinterlassen.
Die Erklärung des letzten G8 Gipfels, wonach der militärische Druck auf Gaddafi erhöht und Hubschrauberangriffe mit französischen und britischen Hubschraubern durchgeführt werden sollen, bedeutet, dass man sich immer mehr in Richtung eines Bodenkrieges begibt. Von Anfang an fußte die militärische Intervention auf unklaren, schwammigen und instabilen Grundlagen. Die USA und Italien zögerten, Russland hatte sich dagegen ausgesprochen; heute dagegen scheint immer mehr der Kurs zu sein: Beutejagd zu betreiben. Die libysche Bevölkerung, die von den Missionaren der westlichen Demokratie « gerettet » werden soll, wird nun auf den gleichen Leidensweg geschickt wie die Bevölkerung anderer Länder, die unter Diktatoren oder dem internationalen Terrorismus schmachten. Wenn Gaddafi tatsächlich eines Tages ausgeschaltet sein sollte, werden die Stammesrivalitäten nur noch zunehmen, wobei die verschiedenen Mächte vor Ort kräftig mitmischen werden; mit anderen Worten – jeder für sich und jeder gegen jeden.
Die Frage muss aufgeworfen werden, ob die syrische Bevölkerung das gleiche Schicksal erleiden wird. Seit dem Beginn der Proteste gegen Assad wurden mindestens Tausend Menschen getötet, Zehntausende ins Gefängnis geworfen oder gefoltert. Folter, Prügel, Exekutionen – gehören heute zum Alltag in Syrien. Unter den Regierungen in Europa das gleiche Maulen, man akzeptiere nicht mehr das Vorgehen der syrischen Regierung. Die Regierungen des Westens haben dem syrischen Regime internationale Sanktionen angedroht, die diesem natürlich nicht weh tun.
Im Gegensatz zum Verlauf der Ereignisse in Libyen ist die UNO weit davon entfernt, eine Übereinkunft zu erzielen und eine Resolution zu beschließen, die ein militärisches Eingreifen in Syrien legitimieren würde. Zunächst, weil der syrische Staat militärisch besser gerüstet ist als die Truppen Gaddafis, dann weil die Region strategisch wichtiger ist als Libyen. Dies zeigt wiederum die mangelnde Glaubwürdigkeit der westlichen Staaten, die vorgeben die « arabischen demokratischen Revolutionen » zu unterstützen. Auch im Falle Syriens haben die westlichen Regierungen diesen Henker und seinen Clan seit Jahrzehnten unterstützt. Syrien ist ein zentrales Land auf dem imperialistischen Schachbrett. Als Nachbar und Verbündeter Iraks, wo die USA immer noch versuchen, einen « ehrenwerten » Rückzug für ihre Truppen zu finden, hat Syrien auch stetig mehr Hilfe von Iran erhalten. So hat der Iran erfahrene Repressionstruppen nach Syrien entsandt, die sich mit allen möglichen Misshandlungen und den Erfordernissen einer massiven Repression gegen die Bevölkerung auskennen.
Die USA können es sich nicht leisten, in Syrien in einen neuen Sumpf zu geraten. Dies würde ihr Ansehen in den arabischen Ländern noch mehr schwächen, nachdem die USA jetzt schon immer mehr Schwierigkeiten haben, die israelisch-palästinensischen Spannungen abzuschwächen, die gerade von Israel und Syrien weiter angefacht werden. Und der momentane US-Erfolg auf Weltebene, den sie durch die Exekution Bin Ladens erzielen konnten, der in den Medien als eine « Wiedergutmachung » des 11. Septembers 2001 dargestellt wurde, bedeutet überhaupt nicht, dass der Terrorismus ausgeschaltet worden wäre – ein Ziel, das die USA seit 20 Jahren als Begründung für ihr kriegerisches Vorgehen angegeben haben. Im Gegenteil – dadurch werden mörderische Attentate nur noch zunehmen – wie die jüngsten Anschläge in Pakistan und in Marokko belegen. Überall breiten sich die Kriegsschauplätze aus, man tritt immer mehr die Flucht nach vorn in den Militarismus an. Vor uns steht eine noch größere Destabilisierung und Barbarei. Mulan, 28.5.2011
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[27] https://de.internationalism.org/content/1810/griechenland-der-aufstand-der-jugend-griechenland-bestaetigt-die-entwicklung-des
[28] https://es.internationalism.org/en/revista-internacional/201102/3054/francia-gran-bretana-tunez-el-porvenir-es-que-la-clase-obrera-desa
[29] https://de.internationalism.org/content/2096/was-ist-los-nordafrika-im-nahen-mittleren-osten
[30] https://es.internationalism.org/en/revista-internacional/201104/3086/que-son-los-consejos-obreros-v-los-soviets-ante-la-cuestion-del-es
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