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IKSonline - 2016

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Januar 2016

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Antwort an die Ex-Mitglieder unserer türkischen Sektion

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Im Januar 2015 kündigten die Mitglieder der IKS in der Türkei ihren Austritt aus unserer Organisation an. Die Begründung für ihren Abgang wurde einige Monate später unter dem Namen einer neuen Gruppe, die sich „Pale Blue Jadal“ nennt, unter der Überschrift „Über unser Ausscheiden aus der Internationalen Kommunistischen Strömung“ [1] veröffentlicht. Ziel des folgenden Artikels ist es, zu thematisieren, was unserer Ansicht nach die Hauptfragen sind, die sich angesichts des Weggangs dieser Ex-Genossen stellen.

Das Editorial der ersten Ausgabe unserer Internationalen Revue, die in englischer, französischer und spanischer Sprache 1975 veröffentlicht wurde, legt deutlich das Ziel dar, das sich die frischgebackene IKS selbst gesetzt hatte: „In dieser Periode der allgemeinen Krise, die schwanger geht mit Erschütterungen und sozialem Aufruhr, ist es eine der drängendsten und mühseligsten Aufgaben, denen sich die Revolutionäre gegenübersehen, die geringen revolutionären Kräfte zusammenzuschweißen, die gegenwärtig auf der ganzen Welt verstreut sind. Diese Aufgabe kann nur angegangen werden, indem sie geradewegs auf einer internationalen Ebene begonnen wird. Dies ist stets ein zentrales Anliegen unserer Strömung gewesen.“ Für solch eine Organisation ist der Verlust eines Mitstreiters ein Unglück. Eine ganze Sektion zu verlieren ist ein Versagen. Wir sind es daher uns selbst, all jenen, die sich mit der Tradition der Kommunistischen Linken identifizieren, und der Arbeiterklasse im Allgemeinen schuldig, dieses Versagen in einem schonungslosen, kritischen Geist zu untersuchen und unsere Schlüsse unseren LeserInnen darzulegen.

Dies ist umso dringlicher angesichts der Aussagen des von unseren Ex-Genossen aus der Türkei verfassten Textes, die wir von nun an „Pale Blue Jadal“ (PBJ) nennen müssen. Es gibt Punkte in diesem Text, mit denen wir uns einverstanden erklären können, und dennoch ist der Text im Großen und Ganzen ein solches Allerlei von Halbwahrheiten, Entstellungen, Schuldzuweisungen und einer allgemeinen Konfusion, die schon von jenen, die bei den Ereignissen dabei waren, die er zu schildern versucht, kaum zu durchschauen sind und für jeden außerhalb der IKS völlig unverständlich sein müssen. Dies heißt aber natürlich nicht, dass der Text von PBJ nicht gewisse Auswirkungen hat: Den Zaghaften wird er einen weiteren Anlass zu Zweifeln geben, und unsere Gegner (einige von ihnen hegen einen Hass gegen uns, der eher im Bereich des Pathologischen anzusiedeln ist als in der Politik)werden in ihm lesen, was sie schon immer lesen wollten.

Um auf jede Anschuldigung von PBJ zu antworten, müssten wir etwas Ähnliches unternehmen wie Lenins Sezieren des Parteitages der RSDLP von 1903 in Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, jedoch über einen Zeitraum von fast zehn Jahren: Wir müssten detailliert aus einer Menge Konferenz- und Kongressprotokollen zitieren, gar nicht zu reden über die Korrespondenz und Protokolle der Treffen und Konferenzen. Dies würde zu lange dauern, es würde die Geduld unserer LeserInnen überfordern, und darüber hinaus würde es das interne Arbeiten unserer Organisation dem öffentlichen Blick preisgeben, etwas, was kein Revolutionär bei vollem Verstand heute tun würde. Wir werden daher uns selbst darauf beschränken, unseren Standpunkt so klar wie möglich darzustellen und nebenbei einige der schlimmsten Irrtümer und Unterstellungen von PBJ richtigzustellen.

Organisatorischer Opportunismus

Fangen wir mit dem Punkt an, in dem wir mit PBJ übereinstimmen: dass die Integration der Gruppe EKS als türkische Sektion ein Prozess war, der vom Opportunismus befallen war. Wir wollen hier nicht in die Einzelheiten gehen; es reicht aus zu sagen, dass wir das Tempo der Geschichte beschleunigen wollten, ein klassisches Rezept für den Opportunismus.

„Das Tempo beschleunigen“ natürlich in unserem eigenen kleinen Rahmen; prinzipiell bedeutete es die Entscheidung, die Diskussionen mit der EKS, die unsere Sektion in der Türkei werden sollte, „auf der Schnellspur“ laufen zu lassen. Insbesondere beschlossen wir:

  1. den Zeitraum für die organisatorische Diskussion mit den Mitgliedern der EKS vor ihrer Integration drastisch zu reduzieren, mit der Begründung, die Kunst des Aufbaus einer Organisation werde im Wesentlichen aus der Erfahrung gelernt;
  2. die EKS als Gruppe, nicht die Individuen als solche zu integrieren. Obgleich dies im Rahmen unserer Statuten möglich ist, beinhaltet es die Gefahr, dass die neuen Militanten sich selbst nicht zuallererst als individuelle Mitglieder einer internationalen Organisation ansehen, sondern als Mitglieder ihrer ursprünglichen Gruppierung.

Im Nachhinein war unsere nachlässige Herangehensweise in der Organisationsfrage sowohl unentschuldbar als auch unglaublich. Wer war die EKS schließlich? Wie die PBJ sagt, war sie „lediglich eine Ansammlung politisierter Freundeskreise“ und zudem Zirkel, die im politisierten kleinbürgerlichen Studentenmilieu großgeworden sind. Mit anderen Worten, es war exakt die Art von Zirkel, die Lenin 1903 beschrieben hatte. Angesichts all unserer vergangenen Erfahrungen, ganz zu schweigen von unserem Bewusstsein über unsere eigenen Versäumnisse, die häufig aus den Ursprüngen der IKS in den Studentenbewegungen der 60er und 70er Jahre herrührten – wie konnten wir übersehen, dass eine der größten Fragen, denen wir uns bei der Integration der EKS gegenübersahen, eben die Weitergabe unseres eigenen organisatorischen Experiments ist? Wie konnten wir unsere eigene Kritik an der Zwecklosigkeit hastiger, opportunistischer Integration [2], wie sie in der Vergangenheit von der TCI praktiziert wurde, aus den Augen verlieren? Wie es aussieht, dient unsere Erfahrung mit der Sektion in der Türkei lediglich als weitere Bestätigung – falls sie denn notwendig ist – dafür, dass diese Kritik grundsätzlich richtig ist und genauso auf uns zutrifft wie auch auf Andere.

Der in Kürze erscheinende Artikel über unseren 21. Kongress gibt eine allgemeine Antwort auf diese Fragen: „Der Kongress unterstrich, dass die IKS stets von ihrer ‚Jugendsünde‘ der revolutionären Ungeduld beeinträchtigt war, die uns wiederholt dazu veranlasst hat, den historischen und langfristigen Rahmen aus den Augen zu verlieren, der das Umfeld der Funktion der Organisation ist.“ Solche Versäumnisse sind insoweit schwierig zu überwinden, als sie von Anfang an in der Organisation präsent waren.[1] Konkret machte es uns für die besonders unter einigen jungen Mitgliedern der EKS grassierende Illusion zugänglich, dass unsere Schwierigkeiten, unsere Positionen unter der neu politisierten jüngeren Generation rüberzubringen (besonders im relativ neuen Medium des Internet-Forums), hauptsächlich eine Frage der Darstellung sei[2] und dass wir daher unseren Einfluss vergrößern könnten, wenn wir in unserem Beharren auf Organisationsprinzipien nachgeben (dies meint PBJ mit der „Erkenntnis, dass unsere Traumas Probleme bereiteten“). Infolgedessen verloren wir die historischen, materialistischen Fundamente unserer Organisationspraxis aus den Augen, wie sie von unseren Statuten verkörpert werden, die allein historisch, als politische Prinzipien[3], und als das Ergebnis sowohl der vergangenen Arbeiterbewegung (Internationale und Fraktionen) als auch unserer eigenen Erfahrungen verstanden werden können. Wir behandelten die Statuten als bloße „Verhaltensregeln“; die „Diskussion“ über das Thema wurde an einem Tag durchgepeitscht (im Gegensatz zu der monatelangen Korrespondenz und Diskussion mit der EKS über die Positionen, die in der Plattform zum Ausdruck kommen). Es gab keine Diskussion über die „Kommentare zu den Statuten“ (ein Text, der unsere Statuten in den Kontext der historischen Erfahrung der Arbeiterbewegung und der IKS stellt) und auch keine über die elementaren organisatorischen Texte. Auch beharrten wir nicht darauf, dass diese Texte ins Türkische übersetzt werden.[4]

Für all dies trägt, um es nochmals zu sagen, die IKS – nicht die Mitglieder der EKS – die volle Verantwortung.[5]

Doch das Resultat war, dass die Haltung der türkischen Sektion zu den Statuten nicht dem von militanten Marxisten entsprach, die danach streben, die Prinzipien hinter ihnen zu begreifen und in die Praxis umzusetzen – oder, falls notwendig, dafür einzutreten, dass sie geändert werden, mit all den internationalen Debatten innerhalb der Organisation, die dies beinhalten würde: Es war eher die Haltung von Winkeladvokaten, deren einziges Interesse darin besteht, Wortklauberei zum eigenen Vorteil zu betreiben.[6]

„Wir mussten gehen“

Dies ist letztendlich die Rechtfertigung von PBJ für ihren Austritt: „Wir mussten gehen“. Doch was genau ist damit gemeint? Immerhin wurden die türkischen Mitglieder nicht hinausgeworfen, weder kollektiv noch individuell, noch wurden sie anderweitig sanktioniert. Ihre „Minderheitspositionen“ wurden nicht unterdrückt – im Gegenteil, sie wurden ständig dazu aufgefordert, ihre Positionen in Texten auszudrücken, so dass diese veröffentlicht und der gesamten Organisation zur Kenntnis gebracht werden können.

Wenn wir versuchen, die Hauptpunkte aus dem Text von PBJ zu ziehen, ergibt sich das immer gleiche Bild:

  • Die IKS leide unter einer „Konsenskultur“, die die Debatte erschwere. Zumindest damit können wir bis zu einem gewissen Grad übereinstimmen.[7] Wir werden später auf die „Konsenskultur“ in der türkischen Sektion selbst zurückkommen.
  • Die „alten“ Kämpen versuchten, eine „einseitige Übergabe“ von Erfahrungen an die Jungen durchzusetzen.
  • „Die Sektion war aufgelöst“.
  • Kurz: daher „mussten wir gehen“.

PBJ ist, um es zusammenzufassen, die „kritische Linke“ der IKS, und nicht die Jungen, die sich etwa weigern würden, den „einseitigen Transfer“, die „Diktatur“ der Alten zu akzeptieren, deren „Traumata Probleme bereiteten“.

In der Tat konfrontierte die Sektion nur Monate vor ihrem Austritt die Organisation mit einem hochtrabenden Positionspapier, indem sie erklärte, dass sie „die Linke“ in der Organisation sei. Nehmen wir sie beim Wort und betrachten für einen Moment, was das bedeutet: Was heißt es, „die Linke“ im Kontext der IKS zu sein?

Die IKS behauptet sehr bewusst, dass ihre Ursprünge in der Kommunistischen Linken und noch ausdrücklicher, soweit Organisationsfragen betroffen sind, in der Tradition der italienischen Linkskommunisten liegen. Was bedeutete es, eine „Linksfraktion“ in den Tagen der Italienischen Linken, zurzeit der Degeneration der Kommunistischen Internationalen zu sein? „Die Linksfraktion wird in einer proletarischen Partei gebildet, die unter dem Einfluss des Opportunismus dabei ist zu degenerieren, mit anderen Worten, die von der bürgerlichen Ideologie penetriert ist. Es liegt in der Verantwortung der Minderheit, die das revolutionäre Programm hochhält, einen organisierten Kampf für seinen Erfolg in der Partei zu führen (…) Es ist die Verantwortung der linken Fraktion, den Kampf in der Partei fortzuführen, solange die Hoffnung besteht, sie zur Umkehr zu bewegen: Daher haben Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre die linken Strömungen die Parteien der KI nicht verlassen, sondern wurden häufig mit den Mitteln schmutziger Manöver ausgeschlossen.“[8]

Kurz, die Linke kämpft bis zum Äußersten für ihre Organisation, um:

  1. die Organisation soweit wie möglich zu überzeugen, für sich zu gewinnen;
  2. so viele Militante wie möglich zu retten;
  3. für Klarheit über die Gründe des organisatorischen Niedergangs für sich selbst, für andere Militante und für die Zukunft zu sorgen.

Schließlich rennt die Linke nicht beim ersten Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten und Gegensätzen weg. Sie unternimmt alles Erdenkliche, um in der Organisation zu verbleiben und ihre Ideen zu verteidigen – und wird ausgeschlossen. Sie spielt nicht das Schaf im Wolfsfell, indem sie davonläuft.

Die italienische Linksfraktion wurde in Reaktion auf die Degeneration der Kommunistischen Internationalen, die Integration ihrer konstituierenden Parteien in den politischen Apparat der herrschenden Klasse, gebildet. Wie immer unsere Mängel aussehen mögen, die IKS befindet sich nicht in derselben Lage, und selbst die Mitglieder der türkischen Sektion haben solch eine Behauptung nicht aufgestellt. Es gab also keinen Grund, anzunehmen, dass die vielfältigen Meinungsverschiedenheiten, die durch die oder in der Sektion laut geworden sind, die Bildung einer „Fraktion“ in der IKS rechtfertigen könnten; im Gegenteil, wir konnten hoffen, dass offene Diskussionen in der Sektion es ermöglichen würden, diese Meinungsverschiedenheiten zu klären, was vielleicht zu einer klareren Position für die Organisation in ihrer Gesamtheit führen könnte.

Dennoch bleiben die dem zugrundeliegenden Punkte gültig. Es steht in der Verantwortung jeglicher Minderheiten in einer revolutionären Organisation, ihre Positionen so lange zu verteidigen, wie sie dazu in der Lage sind, bis zum Äußersten zu versuchen, den Rest der Organisation von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. Niemand gibt vor, dass dies leicht ist – aber es ist der einzige Weg, eine Organisation aufzubauen.

Warum scheiterten die türkischen Genossen in diesem Zusammenhang so eklatant? Wir können auf zwei Hauptfaktoren verweisen:

  • Den ersten haben wir bereits 2007 in einem Text über die „Debattenkultur“[9] beleuchtet, der die absolut lebenswichtige Notwendigkeit einer Debatte innerhalb der Organisation zu ihrem eigenen inneren Wohl betonte: „Der zweite bedeutende Impuls für die IKS, zur Frage der Diskussionskultur zurückzukommen, war unsere eigene interne Krise zu Beginn des neuen Jahrtausends, die von einem bösartigen Verhalten gekennzeichnet war, wie wir es in unseren Reihen noch nie erlebt hatten. (…) Eine der Schlussfolgerungen, zu denen wir gelang­ten, war, dass in all den Abspaltungen, die wir erlitten, die Tendenz zum Monolithismus eine wichtige Rolle spielte. Sobald Divergenzen auftraten, begannen gewisse Mitglieder zu be­haupten, dass sie nicht länger mit den anderen zusammenarbeiten könnten, dass die IKS zu einer stalinistischen Organisation geworden sei oder sich im Prozess der Degenerierung be­finde. Diese Krisen brachen anlässlich von Di­vergenzen aus, die in einer nicht-monolithi­schen Organisation größtenteils problemlos eingedämmt und in jedem Fall diskutiert und geklärt worden wären, ehe auch nur der Ge­danke an eine Trennung aufgekommen wäre.“ Die türkischen Genossen fielen diesem „Monolithismus der Minderheit“ zum Opfer.
  • Der zweite ist, dass eine Vorbedingung für die Akzeptanz der Forderung, dass die Linke bis zum Äußersten kämpfen sollte, statt die Organisation überstürzt zu verlassen, die Überzeugung ist, dass die Organisation selbst eine lebenswichtige Notwendigkeit ist. Dies ist exakt das Problem im politischen Milieu heute, das keine Erfahrung mit dem Parteileben (wie es zum Beispiel in der bolschewistischen Partei zu Lenins Zeiten existierte) hat, das keine Erfahrung mit der revolutionären Agitation durch eine Partei besitzt, die einen relevanten Einfluss auf den Klassenkampf ausübt, und das darüber hinaus nicht nur von der alten rätekommunistischen Opposition gegen die Partei befallen ist, sondern auch von einem viel breiteren, tiefen Misstrauen gegenüber jeglicher Form organisierter politischer Aktivitäten als solche, die über den Zirkel hinausgeht. In der Tat nimmt PBJ die Organisation nicht wirklich ernst. Daher ist PBJ so schockiert über „Positionen, die in der Organisation entwickelt wurden, wonach die Partei, wenn die IKS irgendwie zu existieren aufhört, nicht gegründet werden könnte, das Proletariat keine Revolution machen könnte und die Welt dem unvermeidlichen Ruin ausgeliefert ist [und] drückte die Hoffnung aus, dass wir nicht allein sind, um die kommunistischen Aktivitäten fortzusetzen im Fall, dass eine Situation wie diese stattfand“. Wir möchten die Genossen des PBJ fragen: Glaubt ihr (wie ihr es mutmaßlich getan habt, als ihr der IKS beigetreten wart), dass die Existenz einer internationalen, zentralisierten, politischen revolutionären Organisation entscheidend für den Erfolg jeglicher künftigen Revolution ist? Im Gegensatz zu Anderen haben wir nie vorgegeben, „die Partei“ zu sein oder auch nur die einzige Gruppierung in der Welt, die den proletarischen Internationalismus vertritt. Es gibt zu wenige Revolutionäre auf dieser Welt, aller Wahrscheinlichkeit wird dies noch lange Zeit der Fall sein, und das Proletariat muss all seine Kräfte bündeln: Die Existenz einer revolutionären Organisation ist keine Angelegenheit für Individuen, sondern die Frucht der historisch revolutionären Natur des Proletariats. Wie Bilan in der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs in den 1930er Jahren betont hatte: wenn es keine Partei gibt – keine politische Organisation, die von der Internationalen Arbeiterklasse als ihr Eigen anerkannt ist -, dann gibt es keine Revolution. Dabei wird eine solche Organisation nicht durch irgendeinen mystischen Prozess der Selbstentstehung zustande kommen. Eine Organisation aufzubauen ist immens schwierig, es bedarf Jahre mühevoller Anstrengungen, dabei wird sie stets so zerbrechlich sein, dass sie binnen Monate oder gar Wochen demoliert werden kann. Wenn die IKS, die heute die weitaus größte Organisation der Kommunistischen Linken[10] ist, am Ende scheitert, wer wird ihren Platz dann einnehmen? Wie und auf welcher Grundlage soll die internationale Organisation errichtet werden? Auf diese Fragen antwortet PBJ lediglich: „Wir hoffen, wir sind nicht allein.“ Die Hoffnung währet ewiglich, wie ein Sprichwort sagt, und in der Zwischenzeit herrscht uneingeschränkte Oberflächlichkeit.

Wir möchten diesen Punkt abschließen, indem wir auf die angebliche „Auflösung der türkischen Sektion“ antworten. Es gibt keinen Zweifel, dass auf beiden Seiten in dem Prozess, der zum Weggang der Sektion führte, Fehler begangen wurden; es gibt auch keinen Zweifel daran, dass sich ein gewisses Misstrauen breitgemacht hatte, das wir nicht zerstreuen konnten.[11] Es trifft jedoch nicht zu, wenn suggeriert wird, dass die Sektion aufgelöst wurde. Diese Behauptung stützt sich auf zwei Punkte:

  • Erstens wurde die Sektion in einer Resolution des Zentralorgans aufgefordert, zugunsten der Teilnahme all ihrer Mitglieder via Internet an den Diskussionen anderer IKS-Sektionen auf ihre eigenen Treffen zu verzichten.
  • Zweitens wurde die Sektion aufgefordert, all ihre Artikel ins Englische zu übersetzen und vor der Veröffentlichung dem IB vorzulegen.

Wir möchten dies klarstellen.

Wie der Text von PBJ besagt, war die Teilnahme ihrer Mitglieder an anderen Sektionstreffen ein Versuch, den Lokalismus aufzubrechen, hinter dem sich die Sektion verschanzt hatte – und den sie nicht leugnen können. Was sie nicht sagen, ist, dass dasselbe Mittel auch auf andere Sektionen im Vorfeld von Kongressen der IKS angewendet wurde. Ziel war es, das lokale Leben der Sektionen für internationale Diskussionen zu öffnen, zu versuchen, frische Luft hineinzulassen und allen GenossInnen zu erlauben, sich über ihre eigenen unmittelbaren Hauptbeschäftigungen hinaus ein Bild vom Leben der Gesamtorganisation zu machen, bevor die Delegationen auf dem Kongress eintrafen. Diese Maßnahme sollte ursprünglich nicht über den Kongress hinaus reichen. Nicht nur das; was die Genossen vom PBJ ihren Lesern nicht mitteilen, ist, dass diese Maßnahme vom Zentralorgan zurückgezogen wurde, nachdem klar geworden war, dass die türkische Sektion dem nicht zustimmte – weil sie es nicht verstanden hatte: Kommunistische Disziplin ist etwas, das man nicht bürokratisch erzwingen kann.

Was die Presse angeht, so stellen unsere Statuten unmissverständlich fest (und dies gilt ebenso in der Türkei): „Die territorialen Publikationen sind von der IKS den territorialen Sektionen und noch spezifischer ihren Zentralorganen anvertraut, die zu diesem Zweck Redaktionskomitees ernennen können. Jedoch sind diese Publikationen der Ausfluss der Gesamtheit der Strömung und nicht einzelner territorialer Sektionen. Daher hat das IB die Verantwortung, die Inhalte dieser Publikationen zu orientieren und zu verfolgen.“ Angesichts dessen, dass das IB in seiner Gesamtheit kein Türkisch spricht und dass die Sektion – was PBJ nur schwerlich abstreiten kann – sich nicht in vollständiger Übereinstimmung mit dem Rest der IKS in einer ganzen Reihe von Punkten befand (einschließlich beispielsweise die Analyse der „sozialen Revolten“ in Spanien, Ägypten, Türkei und Brasilien), war es sicherlich nicht unbegründet vom IB, darum zu bitten, dass Artikel vor ihrer Veröffentlichung vorgelegt werden; auf alle Fälle befand sich das IB völlig im Rahmen seiner statutenmäßigen Rechte, wenn es so verfuhr. Wie sehr sich das IB im Recht befand, können die LeserInnen auf der Grundlage eben jenes Artikel über das Bergwerksunglück in Soma selbst beurteilen, wegen dessen Nicht-Veröffentlichung die PBJ jetzt so viel Aufhebens macht. In diesem Artikel steht zum Beispiel, dass „der Tod der Arbeiter auf Schiffswerften, Baustellen und im Krieg geschieht, weil die Bourgeoisie ihn bewusst anstrebt; das Massaker in Soma, das ein Unfall genannt wurde, ist bewusst durchgeführt worden“, und weiter: „Im Krieg oder am Arbeitsplatz sind die ArbeiterInnen wertvoll, wenn sie für den Kapitalismus sterben.“ Selbst für die größten Vulgärmarxisten (und die Mitglieder der türkischen Sektion behaupteten damals, Marxisten zu sein; sie verwöhnten uns geradezu mit unverdaulichen Lehren über „das Wertgesetz“) ist dies kompletter Unfug: ArbeiterInnen sind für das Kapital wertvoll, wenn sie Mehrwert produzieren, etwas, was sie wohl kaum bewerkstelligen können, wenn sie tot sind.

Weit entfernt davon, die Sektion „aufzulösen“, hatte die Organisation jedes Interesse an ihrer Teilnahme am internationalen Leben der IKS, besonders an deren internationalen Kongressen. Man könnte erwarten, die „Linke“ würde die Gelegenheit beim Schopfe packen und sich auf dem Kongress ausdrücken, dies umso mehr, als unsere Statuten die Über-Repräsentierung von Minderheitspositionen ermöglichen. Nicht so PBJ: nicht nur dass sie überstürzt vor dem Kongress austraten, sie lehnten auch die Einladung unserer Organisation ab, als auswärtige Gruppe aufzutreten und zu sprechen. Sie hatten ja so viel „wichtige Arbeit“ zu tun – wir überlassen es unseren LeserInnen selbst, die Ergebnisse der „wichtigen Arbeit“ von PBJ auf deren eigener Website zu beurteilen. Probieren geht über Studieren.

Die Überlieferung von Erfahrungen

PBJ macht viel Aufhebens über die so genannten „konservativen Genossen“[12], die „betonten, dass die 68er Generation ihre Erfahrungen einseitig an die Jugend übermitteln muss. Diese Betonung setzte voraus, dass die jungen Genossen bar jeglicher Erfahrung in der Organisationsfrage sind“. Dass „die jungen Genossen bar jeglicher Erfahrung in der Organisationsfrage“ sind, ist nichts anderes als eine Tatsachenfeststellung[13], doch lohnt es sich, diese Frage etwas ausführlicher aufzugreifen als PBJ.

„Jede Generation bildet ein Glied in der Kette der Menschheitsgeschichte. Jede von ihnen wird mit drei fundamentalen Aufgaben kon­frontiert: damit, das kollektive Erbe von der vorherigen Generation zu übernehmen; dieses Erbe auf der Grundlage ihrer eigenen Erfah­rung zu bereichern und es schließlich weiterzu­reichen, so dass die nächste Generation mehr erreichen kann, als eigentlich in ihrem Vermö­gen steht. Diese Aufgaben sind alles andere als leicht und stellen eine besondere Herausforderung dar. Dies trifft auch auf die Arbeiterbewegung zu. Die ältere Generation hat ihre Erfahrungen an­zubieten. Doch sie trägt auch an den Wunden und Traumata ihrer Kämpfe, musste lernen, Niederlagen, Enttäuschungen und der Tatsache ins Gesicht zu schauen, dass die Erringung von dauernden Errungenschaften des kollektiven Kampfes oftmals mehr als eine Lebensspanne erfordert. Es benötigt die Energie und den Elan der folgenden Generation, aber auch ihre neuen Fragen und ihre Fähigkeit, die Welt mit ande­ren Augen zu betrachten.

Doch so sehr sich die Generationen gegenseitig benötigen, ist ihre Fähigkeit, die nötige Einheit zu schmieden, nicht automatisch gegeben. Je mehr sich die Gesellschaft von der Naturalwirt­schaft entfernte, je unablässiger und schneller der Kapitalismus die Produktivkräfte und die gesamte Gesellschaft ‚revolutioniert‘, desto mehr unterscheiden sich die Erfahrungen der einen Generation von der nächsten. Der Kapi­talismus, das Konkurrenzsystem schlechthin, spielt die Generationen im Kampf einer gegen alle gegenseitig aus.“[14]

Schematisch können wir sagen, dass es drei mögliche Reaktionen auf dieses Bedürfnis nach Erfahrungstransfer gibt, das jeder menschlichen Gesellschaft innewohnt:

  1. Die Autorität des Herrn ist unangefochten, jede neue Generation muss sich bloß die Lehren der vorhergehenden aneignen und wiederholen. Dies ist die Haltung, die die alten asiatischen Gesellschaften ausgezeichnet und die die proletarische Bewegung in Gestalt der karikativen Anbetung der unantastbaren Werke des Meisters durch die Bordigisten infiziert hat.
  2. Die Anfechtung, die die Jugendbewegung der 1960er Jahre dominierte, die – weil sie daran scheitert, von ihren Vorgängern zu lernen – dazu verurteilt war, ihre Irrtümer bis ins Detail zu wiederholen.[15]
  3. Schließlich haben wir die wissenschaftliche – und marxistische – kritische Aneignung der vergangenen Erfahrungen. Wie ein früherer Artikel[16] hervorhob, ist es diese Fähigkeit, sich die Arbeit und das Denken vorhergehender Generationen anzueignen und sie kritisch weiterzuentwickeln, die das Auftauchen des wissenschaftlichen Denkens im antiken Griechenland auszeichnete.

Es mangelt nicht an Beispielen solcher kritischer Aneignungen durch eine neue Generation von Militanten in der Arbeiterbewegung. Wir könnten jene von Lenin in Bezug auf Plechanow oder, noch bemerkenswerter, von Rosa Luxemburg bezüglich Kautsky und der SPD im Allgemeinen zitieren, die sie genauso wie die Theorien von Marx in Die Akkumulation des Kapitals sowohl kritisierte als auch weiterentwickelte. Diese Beispiele zeigen uns, dass eine Vorbedingung zur Kritik eben die Aneignung der Ideen ihrer Vorgänger ist, mit anderen Worten, die Fähigkeit, sie zu begreifen – und die Fähigkeit zu begreifen ist abhängig von der Fähigkeit zu lesen (da die halbe Sektion keine andere Sprache als Türkisch las, war dies natürlich faktisch unmöglich). Vorausgesetzt, man hat die Ideen verstanden, kann man sie – besonders im Kontext einer Organisation, in der es das Ziel ist, die anderen GenossInnen zu überzeugen – nur kritisieren, indem man eingehend mit ihnen in Beziehung tritt, was die Mitglieder der türkischen Sektion auf eklatante Weise versäumt hatten. PBJ behauptet, dies sei unwahr.[17] Dennoch haben sie es schwer, auf einen einzigen Text über Organisationsfragen (anders als die „niederträchtige“ Position über den Parasitismus) zu verweisen, der sich mit irgendeinem der Grundsatzdokumente der IKS, ob externe oder interne, beschäftigt. Wenn sich unsere LeserInnen von den weißen Flecken im organisatorischen Verständnis von PBJ überzeugen wollen, können wir sie nur dazu einladen, sich einen Text von Jamal [3] (ein eifriger Mitwirkender im IKS-Forum) zu Gemüte zu ziehen, den PBJ auf ihrer Website ohne ein Wort des kritischen Kommentars veröffentlichte. Es liest sich wie eine Art Manager-Handbuch, das von einer Personalabteilung für ein neues Start-up produziert wurde.

Was bedeutet es, der IKS beizutreten?

An diesem Punkt wollen wir einen Schritt zurückgehen und zu den Worten zurückkehren, die wir eingangs des Artikels zitiert haben. „Eine der drängendsten und mühseligsten Aufgaben, denen sich Revolutionäre gegenübersehen, (ist) die kümmerlichen revolutionären Kräfte, die auf der ganzen Welt verstreut sind, zusammenzuschweißen.“ Konfrontiert mit den Versäumnissen der IKS (und niemand ist sich dessen bewusster als wir), ist es allzu leicht zu übersehen, wie schwierig, wie ambitiös solch eine Aufgabe ist. Mitstreiter aus allen Herren Ländern, aus äußerst unterschiedlichen Kulturen und Hintergründen in einer einzigen internationalen Organisation zusammenzubringen, die imstande ist, am Denkprozess eines Milliarden-starken Proletariats teilzunehmen und ihn zu stimulieren, Letzteres nicht in einer leblosen Homogenität, sondern in einem Ganzen zu vereinen, in dem die Einheit der Aktion sich auf der Diversität der Debatte innerhalb eines allgemein akzeptierten politischen Rahmens stützt – das ist ein gigantisches Unterfangen. Sicherlich bleiben wir hinter unseren eigenen Ansprüchen zurück – doch wir müssen sie nur aussprechen, um zu sehen, wie sehr sie sich von der Zirkelmentalität unterscheiden, die die EKS dominierte, wie ihre Mitglieder selbst einräumten.

Im Grunde haben die Mitglieder der türkischen Sektion den fundamentalen Unterschied zwischen einem Zirkel und dem Dasein eines Militanten in einer revolutionären Organisation, besonders in einer internationalen, nie begriffen. Dies ist nicht allein ihr Fehler, da wir scheiterten, ihnen unsere Organisationsauffassung zu vermitteln – zum Teil auch, weil wir selbst in gewisser Weise den Blick auf sie verloren hatten.

Wir haben uns bereits intensiv mit der Frage beschäftigt, die Lenin den „Zirkelgeist“ nannte.[18] Nun wollen wir einige der Hauptpunkte in Erinnerung rufen.

Erstens zeichnet sich der Zirkel durch eine auf eine Mischung aus persönlicher Freundschaft und politischer Übereinstimmung basierende Mitgliedschaft aus; infolgedessen verschmelzen persönliche Konflikt und politische Meinungsverschiedenheiten – ein sicheres Rezept für die Personalisierung politischer Argumente. Es ist wenig überraschend, dass das Leben der türkischen Sektion durch eine Reihe von bitteren persönlichen Animositäten gezeichnet war, die zu Spaltungen und Perioden der „Paralyse“ geführt hatten.

Um seinen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten, verschließt sich der Zirkel wie eine Auster vor der Außenwelt. Dies ist umgekehrt ein Rezept für personalisierte Antagonismen zwischen dem Zirkel und dem Rest der Organisation: „Im Namen der ‚Minderheit’ sammeln sich heterogene Elemente in der Partei, die, bewusst oder unbewusst, von dem Wunsch geeint sind, die Verhältnisse eines Zirkels, der Vorläufer der Organisationsform der Partei, aufrechtzuerhalten.“[19] Der Zirkelgeist in der Organisation führt zu einem „Wir und sie“-Verhalten, des Zirkels gegen die „Zentralorgane“; der Zirkel verliert völlig den Blick auf die Organisation als Ganzes und ist geradezu von den „Zentralorganen“ besessen. Ein Beispiel, das wir unter vielen anderen zitieren können, ist der Text eines Mitglieds der Sektion, der den Titel trug: „Gibt es eine Krise in der IKS?“. Die Kritik, die in diesem Text angestimmt wurde, wurde aufgegriffen und von einer anderen Sektion sowohl beantwortet als auch weiterentwickelt; jedoch wurde diese Antwort völlig ignoriert. Allein „die Zentralorgane“ wurden als wert erachtet, beachtet zu werden.

Der Zirkel erhält seinen Zusammenhalt aufrecht, indem er sich en bloc dem Rest der Organisation widersetzt, während er gleichzeitig jede Debatte innerhalb des Zirkels über seine eigenen Divergenzen vermeidet. Dies wurde offensichtlich in der Debatte über Ethik und Moralität innerhalb der IKS: Wo ein Genosse ein kritisches Argument entwickelte, das (vgl. die Bemerkung oben) bis zu einem gewissen Grad direkt von den eigenen Texten der Organisation inspiriert war, stellte ein anderer eine Position vor, die eher zu Hobbes neigt als zu Marx – und doch hörten wir nie ein Wort der Kritik von den türkischen Genossen.[20]

Ein noch eklatanterer Fall für dieses Verschließen gegenüber dem Rest der Organisation war die Debatte über die Ereignisse rund um die Massendemonstrationen für den Gezi-Park in Istanbul. PBJ äußerte: „Es wurde behauptet, dass die Sektion es versäumt hatte, die Organisation über ihre Meinungsverschiedenheiten während des Gezi-Prozesses aufzuklären, und dies, obwohl die Sektion in der Hitze der Ereignisse ein Treffen mit Genossen aus dem Sekretariat gehabt hatte, auf dem sie versucht hatte, ihre Meinungsverschiedenheiten zu erläutern.“ Es ist sicherlich richtig, dass es eine ausführliche Diskussion zwischen Mitgliedern des Internationalen Sekretariats und Mitgliedern der türkischen  Sektion über die redaktionellen Veränderungen in ihrem Artikel über die Ereignisse in Gezi gab. Es ist ebenfalls richtig, dass die Mitglieder des IS Schwierigkeiten hatten, aus diesen „Meinungsverschiedenheiten“ schlau zu werden, und dies aus gutem Grund: Auf der Konferenz der Sektion, die kurz darauf abgehalten wurde, gab es mindestens zwei, wenn nicht sogar drei verschiedene Positionen innerhalb der Sektion. Die Mitglieder der Sektion verpflichteten sich selbst, ihre unterschiedlichen Positionen niederzuschreiben, um die Diskussion in die gesamte Organisation zu tragen – unsere LeserInnen werden erstaunt sein, wenn sie hören, dass diese Dokumente bis heute nicht das Tageslicht erblickt haben.

Die Ex-Genosse aus der Türkei schweigen sich auch über eine weitere interne Meinungsverschiedenheit aus, über den „Tonfall“ unseres „Kommunique an unsere Leser: Die IKS unter Beschuss durch eine neue Agentur des bürgerlichen Staates“ [4] aus. So heißt es bei PBJ: „Nichtsdestotrotz versäumten es die Mitglieder unserer Sektion im Zentralorgan der IKS nicht, den äußerst zornigen Tonfall des Kommuniqués zu kritisieren, das als Antwort auf diese Angriffe geschrieben worden war.“ Völlig richtig. Doch der Text vergaß zu erwähnen, dass zwei andere Mitglieder der Sektion das Kommuniqué für vollkommen geeignet hielten und dies auch unmissverständlich auf einem Treffen äußerten, das im Juli 2014 mit Mitgliedern der Sektion aus Frankreich abgehalten wurde.

Wir haben bereits (in Fußnote 6) erwähnt, dass Leo und Devrim darauf bestanden, ihre Forumsdebatten ohne jegliche Einschränkungen fortzusetzen. Dies erinnert erneut an Lenins Worte: „Einige hervorragende Persönlichkeiten der einflußreichsten unter den früheren Zirkeln, die nicht gewöhnt sind an die organisatorischen Selbstbeschränkungen, welche die Parteidisziplin erfordert, neigen gewohnheitsmäßig dazu, die allgemeinen Parteiinteressen und ihre Zirkelinteressen zu vermengen, die zur Zeit des Zirkelwesens tatsächlich häufig zusammenfallen mochten“ die „... entrollen natürlich das Banner des Aufstands gegen die notwendigen organisatorischen Beschränkungen und erheben ihren spontanen Anarchismus zum Kampfprinzip“ das „... als Forderung nach „Duldsamkeit“ usw. bezeichnen.“[21]

Verwelkt PBJ?

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Dies trifft sicherlich auf PBJ zu. Dank der technischen Hexerei des Internet entdeckten wir, dass das Bild, das die Mitglieder von Pale Blue Jadal gewählt haben, um ihre Gruppe darzustellen, geradewegs aus der Welt des sentimentalen Hippietums stammt.[22]

Ihre „politischen Prinzipien“ sind bar jeglichen Bezugs zur Kommunistischen Linken, ja sogar zu jeglichem vergangenen Vermächtnis überhaupt. So erklärt sich PBJ selbst zu einer neuen Gruppe, die allein auf sich selbst ruht, auf Ignoranz und einer Ansammlung von Ressentiments, auf Missmut und persönliche Loyalitäten.[23]

Es gibt auch keine Erwähnung der Dekadenz des Kapitalismus, die für die IKS, die sie gerade verlassen haben, der materialistische Grundstein ihrer politischen Positionen ist. PBJ hat weder Kritik an diesem theoretischen Fundament noch irgendeine Alternative anzubieten. PBJ mag sich dessen unbewusst sein, doch indem diese Gruppe jeglichen Bezug zur Vergangenheit und jegliches Bemühen, ihren politischen Positionen eine materialistische Grundlage zu geben, eingestellt hat, ist diese Gruppe schon dabei, den Prozess der „politischen Diskussion“ zu torpedieren, zu der sie sich angeblich verpflichtet hat.[24] In der Liste der Diskussionsthemen, die im „Fahrplan“ von PBJ vorgeschlagen wurden (und die sie mindestens die nächsten 20 Jahre auf Trab halten werden) fällt die Anwesenheit des Punktes „Die nationale Frage im Mittleren Osten“… und das völlige Fehlen jeglicher Anmerkungen über die konkrete Situation in der Türkei, über das Wiederaufflammen von Erdoǧans Krieg gegen die Kurden, das Wiedererwachen des kurdischen Nationalismus und die syrische Flüchtlingskrise, den Bombenanschlag in Suruç, etc., etc. auf.

Wir haben oben gesagt, dass die Existenz einer internationalen revolutionären Organisation eine Vorbedingung für den erfolgreichen Sturz des Kapitalismus ist. Wenn das Proletariat eines Tages sich als fähig erweisen wird, „den Himmel zu stürmen“ (um Marx‘ Ausdruck zu benutzen), dann wegen seiner ausschlaggebenden Stärke in jenen Ländern mit einer starken Arbeiterklasse und einer gewissen historischen Erfahrung. Die Türkei, das Tor zu Asien, ist eines dieser Länder; eine aufstrebende proletarische Bewegung dort wird zwangsläufig einen politischen Ausdruck produzieren, der allein auf dem Vermächtnis der Kommunistischen Linken ruhen kann. Indem sie diesem Vermächtnis den Rücken zukehren, disqualifizieren sich die Mitglieder von PBJ selbst für die Beteiligung an einem solchen politischen Ausdruck, und dies ist ihre Tragödie.

Schließen wir jedoch mit einer optimistischen Bemerkung. All unsere vergangenen Erfahrungen zeigen, dass PBJ dazu verdammt ist, den Weg früherer Zirkel zu gehen – jene, die sich weigern, aus der Geschichte zu lernen (und man kann nicht aus der Geschichte lernen, wenn man nichts über sie weiß), sind dazu verurteilt, sie zu wiederholen. Doch wir sollten offen bleiben für die Möglichkeit, dass wir womöglich unrecht haben und dass PBJ trotz allen Anscheins noch etwas Lohnenswertes für das Proletariat und die Revolution bewegen kann. Damit dies geschieht, müssen sie den Weg zurück zum revolutionären theoretischen und organisatorischen Vermächtnis der Kommunistischen Linken finden.

IKS, November 2015

[1]Die TCI (Ex-IBRP) offeriert eine andere bemerkenswerte Veranschaulichung dieser großen Schwierigkeit, Versäumnisse nachzuholen, die sozusagen in den Genen der Organisation angelegt sind: Ihre Herkunft aus dem tief greifenden Opportunismus, der der Kreation des Partito Comunista Internazionalista 1943 voranging [5], liegt seither wie ein Schatten auf ihr.

[2]Natürlich ist es nicht zu bestreiten, dass wir in diesem Bereich ebenfalls Fehler gemacht haben, größtenteils in Folge unserer eigenen Neigung zum Schematismus.

[3]Deshalb bilden unsere Statuten einen Teil unserer Plattform und sind Bestandteil der Grundlage, auf die Militante in die Organisation integriert werden.

[4]Das Ausbleiben der türkischen Übersetzungen wurde kritisch, als die Sektion (ohne nach der Meinung anderer zu diesem Thema zu fragen) neue Mitglieder integrierte, die nicht in der Lage waren, Englisch zu lesen.

[5]Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben, dass unser Blick auf den organisatorischen Opportunismus der IKS ein ganz anderer ist als der von PBJ. Auch auf das Risiko, die Geduld unserer LeserInnen zu überstrapazieren, möchten wir kurz auf einen der kleinen Mythen von PBJ (um ihren Ausdruck zu benutzen) antworten: dass „das deutlichste Beispiel für den Opportunismus im Integrationsprozess der Sektion die Tatsache ist, dass Genossen, die nicht mit der Plattform und den Statuten übereinstimmten, in der Organisation akzeptiert wurden“. Worauf bezieht sich das? Tatsächlich traten zwei potenzielle Meinungsverschiedenheiten im Verlauf der Diskussion zutage. Die erste war Devrims Nicht-Zustimmung zum statutengemäßen Verbot der gewerkschaftlichen Mitgliedschaft (interessanterweise erblickt PBJ nichts Unehrenhaftes darin, eine Integration in eine Organisation zu akzeptieren, mit deren Positionen man nicht übereinstimmt…), die zweite bezieht sich auf den Dissens einer Genossin mit dem in den Statuten formulierten Verbot, irgendeiner anderen politischen Organisation anzugehören.

Das Verbot einer gewerkschaftlichen Mitgliedschaft richtet sich gegen jegliches Zugeständnis an den „Entrismus“ (die Idee, dass es möglich sei, Gewerkschaften positiv von innen zu beeinflussen oder gar dass man „wirksamer“ intervenieren könne, wenn man Gewerkschaftsmitglied ist) oder an die „roten Gewerkschaften“ der bordigistischen Variante oder an ihres Cousins, den revolutionären Syndikalismus. Die Statuten gestatten allerdings Ausnahmen im Falle „beruflicher Auflagen“. Diese Ausnahmeregelungen nehmen Rücksicht auf ArbeiterInnen in so genannten „closed-shop“-Betrieben, in denen die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft eine Bedingung für die Beschäftigung ist – eine Situation, die in Großbritannien der 1970er Jahre, aber auch in einigen Industrien in anderen Ländern (die französische Druckindustrie wurde zum Beispiel völlig beherrscht von der CGT) durchaus üblich war. Devrims Einwand bestand darin, dass ArbeiterInnen, auch wenn sie nicht in einem closed-shop-Betrieb beschäftigt sind, möglicherweise gezwungen sind, in die Gewerkschaft einzutreten, um Zugang zu Sozialhilfe, Versicherung oder anderen entscheidenden Beihilfen, wie z.B. eine legale Repräsentanz in Personalstreitigkeiten, zu erlangen; zu keiner Zeit, weder damals noch in der Zwischenzeit, hat (nach unserer Kenntnis) Devrim zugunsten des Entrismus oder des revolutionären Syndikalismus argumentiert, und wir meinten (wie wir ihm erklärten), dass die Fälle, die er zitierte, unter den Bedingungen der Nuller Jahre in die Kategorie „berufliche Auflagen“ fallen,

Im zweiten Fall nahm die fragliche Genossin an einer Frauengruppe teil und war nicht geneigt, dies aufzugeben. Wir fragten, was für eine Art von Gruppe dies sei. Sie erklärte, dass es eine Gruppe von Frauen sei, die sich treffen, um spezifische Frauenprobleme (sowohl sozialer als auch politischer Art) zu besprechen, und es vorzögen, dies ohne die Anwesenheit von Männern zu tun – völlig verständlich unter den Bedingungen eines Landes wie die Türkei. Diese Gruppe hatte – soweit wir verstehen konnten – keine politische Plattform, ja nicht einmal eine politische Agenda als solche; daraus schlossen wir, dass dies keine politische Gruppe, wie sie in den Statuten definiert ist, war, sondern eher eine Diskussionsgruppe und dass wir folglicherweise keinen Grund für einen Einwand erblicken konnten, sondern im Gegenteil es als Teil der Intervention der Organisation betrachteten.

[6]Wir werden uns auf ein Beispiel beschränken. Laut unseren Statuten werden Debatten innerhalb der Organisation erst öffentlich gemacht, wenn sie einen derartigen Reifegrad erreicht haben, dass erstens die gesamte Organisation sich der Debatte und ihrer Implikationen bewusst ist und zweitens es möglich ist, sie mit ausreichender Klarheit zum Ausdruck zu bringen, so dass sie zur Klärung und nicht zur Konfusion beiträgt. Diese Regelungen stehen, daran sei erinnert, in denselben Statuten, die die Mitglieder der EKS unterzeichnet haben. Zwei von ihnen setzten jedoch die Debatte untereinander in etlichen Internetforen, die sie aufzusuchen pflegen, in aller Öffentlichkeit fort, ohne auch nur daran zu denken, dass es notwendig ist, den Rest der Organisation auf dem Laufenden zu halten, sei es über ihre Interventionen, sei es über ihre Meinungsverschiedenheiten.  Als sie darauf angesprochen wurden, dass dies sowohl dem Wort als auch dem Geist der Statuten direkt widerspricht, antworteten sie, dass die Statuten vor der Existenz des Internets geschrieben worden seien, so dass sie lediglich auf die gedruckte Presse angewendet werden könnten.

Jetzt kann man dies natürlich sehr gut behaupten, doch was man nicht kann, ist, erst die Statuten einer Organisation wie die IKS zu akzeptieren und dann sie einfach zu ignorieren, wenn sie einem nicht in den Kram passen, sowie zu versuchen, sich zu rechtfertigen, indem man auf dem Unterschied zwischen der gedruckten und der elektronischen Presse herumreitet.

[7]Im Artikel über den Kongress wird über die „intellektuelle Dimension“ der Krise in der IKS und den notwendigen Kampf gegen „Routinismus, Oberflächlichkeit, intellektuelle Nachlässigkeit, Schematismus…“ gesprochen. Aber können die Mitglieder von PBJ ernsthaft behaupten, frei von diesen Defekten zu sein?

[8]Internationale Revue, Nr. 90 (engl., franz., span. Ausgabe, „Die Italienische Fraktion und die französische Linkskommunisten“ [6]. Siehe auch den „Bericht über die Fraktion“, adressiert an den 21. Kongress der IKS.

[9]Internationale Revue, Nr. 41, „Die Debattenkultur: Eine Waffe des Klassenkampfes“ [7].

[10]Zudem ist die IKS die einzige Organisation heute, deren Positionen aus einer Synthese die wichtigsten Fortschritte der unterschiedlichen Strömungen der Kommunistischen Linken bestehen; andere Gruppierungen identifizieren sich selbst entweder mit der deutsch-holländischen oder mit der italienischen Linken.

[11]PBJ erwähnt ein Treffen des Internationalen Büros, auf dem den Delegierten der türkischen Sektion von einer der anderen Sektionen das Recht abgesprochen wurde, diesem Treffen beizuwohnen. Dies war zweifellos ein schlimmer Fehler auf Seiten der Delegation und geradezu ein Indikator für jene Atmosphäre des Misstrauens, die sich innerhalb der Organisation breitgemacht hatte – doch wie PBJ selbst betont, wurde der Gedanke, dass die türkischen GenossInnen nicht zugelassen seien, entschieden vom IB als unseren Statuten und unserer Organisationsauffassung zuwiderlaufend abgelehnt.

[12]PBJ ist sehr besorgt über die „Personalisierung“, die angeblich unser Vorgehen auszeichnet. Doch in ihrem ganzen Text werden Militante als „expansionistisch“ oder „konservativ“ beschrieben, völlig ungeachtet der geäußerten politischen Argumente. Die Genossen von PBJ sollten sich daher um den Pfahl im eigenen Auge kümmern, bevor sie sich über den Splitter im fremden Auge Sorgen machen.

[13]Einige Mitstreiter der türkischen Sektion hatten schon vor ihrem Eintritt in die IKS viele organisatorische Erfahrungen… in linksextremistischen Sekten. Doch welche bewussten Absichten ihre Mitglieder auch gehabt haben mögen, diese Gruppen sind im Kern bürgerlicher Natur und als solche durchtränkt mit bürgerlicher Ideologie: Es ist unsere ständige Erfahrung (bekräftigt durch den Brief von PBJ), dass es für einen Ex-Linksextremisten, der Mitglied in einer kommunistischen Organisation werden will, zunächst heißt, all die Verhaltensweisen und Praktiken zu vergessen, die er sich im Linksextremismus erworben hat. Dies ist weitaus schwieriger, als ohne vorherige organisatorische Erfahrungen auf kommunistische Positionen zu stoßen.

[14]„Die Debattenkultur“, 2007, s.o.

[15]Im Lied „Les Bourgeois“ des belgischen Chansonniers Jacques Brel spotten drei Studenten über den Mief der provinziellen „Bourgeois“… bis sie sich selbst, älter geworden, bei der Polizei über die unerhörte Unverfrorenheit der jungen Studenten beschweren. Brel hätte dies auch für Joschka Fischer, Dany Cohn-Bendit und all die anderen ministerialen Ex-Führer der 68er Studentenbewegung schreiben können.

[16]Science and Marxism [8].

[17]PBJ schreibt: „Die Behauptung, dass ein interner Text, der von einem Mitglied der Sektion über die Frage der Ethik verfasst wurde, die Texte ignoriert habe, die von der Organisation zuvor über dieses Thema geschrieben wurden, ist eine weitere Legende, da der besagte Text tatsächlich als Antwort auf den Orientierungstext der Organisation über diese Frage geschrieben wurde.“ Um darauf zu erwidern, möchten wir aus der Antwort auf den fraglichen Text zitieren, den PBJ offensichtlich nur überflogen hat: „Eine Voraussetzung für die ‚Debattenkultur‘ besteht darin, dass es auch eine Debatte geben muss: Das heißt, dass gegensätzliche Positionen aufeinander antworten müssen. Obgleich L’s Text mit einem kurzen Zitat aus E&M [der Text über Ethik und Marxismus "Interne Debatte der IKS: Marxismus und Ethik" Teil I/a [9], Teil I/b [10] und Teil II [11]] über die Definition der Moralität und Ethik beginnt und uns mitteilt, dass ‚sich aus diesen Definitionen eine Reihe von Konfusionen, Überschätzungen, Rückfälle in den Idealismus, Divergenzen mit der marxistischen Methode und eine Menge Irrtümer ableiten‘, ist dies die einzige Stelle in seinem Text, wo er  überhaupt Bezug auf E&M nimmt; ansonsten werden wir im Dunkeln gelassen, worin exakt diese ‚Irrtümer und Konfusionen‘ bestehen und auf welche Weise sie das Resultat der in E&M vorgestellten Ideen sind. Darüber hinaus ist es für uns offensichtlich, dass Teile von L’s Text mit E&M übereinstimmen, wenn sie nicht gar direkt davon inspiriert wurden, und dennoch wurden diese Gemeinsamkeiten niemals deutlich gemacht.“

[18]Besonders in „Die Frage der organisatorischen Funktionsweise in der IKS“ [12], Internationale Revue, Nr. 30.

[19]Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, zitiert im Text über die organisatorische Funktionsweise.

[20]Damit man eine Vorstellung vom Hobbes’schen Geist dieses Textes bekommt, möchten wir diese kurze Passage zitieren: „Das Verhältnis zwischen den Menschen ist ein ungleiches. Diese Ungleichheit stammt vom Gebrauchs- und Tauschwert ab, der von den Menschen produziert wird [anscheinend ist sich der Autor hier im Unklaren, dass es Zehntausende von Jahren gab, in denen der Tauschwert nicht existierte]. Diese reale materielle Basis bestimmt die ganze Zeit und vollständig die menschlichen Beziehungen [der klassische bürgerliche Einwand gegen die Möglichkeit des Kommunismus]. Und diese Ungleichheit erzeugt eine Tendenz zum Herrschen. Diese Tendenz entsteht für die Menschen, um unter den natürlichen Bedingungen zu überleben. Es ist die primitive Neigung, das eigene Überleben zu sichern.“ Der Mensch ist des Menschen Wolf, die menschliche Gesellschaft ist der Krieg des Einen gegen den Anderen, wie bei Hobbes.

[21]Lenin, s.o. (Lenin Werke, Bd 7, S. 461/462)

[22]Interessierte finden das Original hier. Er wird ergänzt von folgendem erbaulichen Text: „Das epische Drama von Leben, Tod, Krieg, Frieden und vom unveräußerlichen Recht zu wählen wird in einem riesigen Panorama geschildert. Flüchtlinge befreien sich aus einer Kriegszone, ein Pionier kommt zu einer Graffiti-Wand, wo die Auswahlmöglichkeiten heraus gemeißelt sind. Wir wollen alle in Frieden leben, aber irgendwie werden viele von Werten angezogen, die so ungleich sind, dass der Krieg die einzige Option für eine rasend gewordene Menschheit zu sein scheint. Die Pioniere und Flüchtlinge werden in eine neue Welt des erwachten Bewusstseins einziehen.“

[23]Es ist beachtenswert, dass ein Genosse in seinem Rücktrittsbrief keinerlei politische Differenzen mit der Organisation zum Ausdruck gebracht hatte.

[24]Unsere LeserInnen können selbst urteilen, wie sehr sich PBJ der Diskussion und Klarheit verpflichtet fühlte, als sie unsere Einladung ausschlugen, den letzten Kongress der IKS zu besuchen, ob in oder außerhalb der Organisation.

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Pale Blue Jadal

Februar 2016

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Konferenz von Zimmerwald: Die zentristischen Strömungen innerhalb der Organisationen des Proletariats

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Der Artikel, den wir hier veröffentlichen, war ein Beitrag des Genossen MC für die interne Debatte der IKS in den 1980er Jahren, mit dem er die zentristischen Positionen in Richtung Rätismus bekämpfte, die in der IKS auftauchten. MC war das Kürzel für Marc Chirik (1907-1990), ein ehemaliger Mitstreiter der kommunistischen Linken und Hauptbegründer der IKS (siehe dazu Internationale Revue Nr. 65 und 66, engl., franz., span. Ausgabe)

Es mag erstaunen, dass ein Text, der sich auf die Konferenz von Zimmerwald im September 1915 gegen den imperialistischen Krieg bezieht, im Rahmen einer internen Debatte in der IKS über die Frage des Rätismus geschrieben wurde. In Wirklichkeit erweiterte sich, wie man bei der Lektüre erkennen kann, diese Debatte auf generellere Fragen, die sich schon vor hundert Jahren stellten, doch auch heute nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Eine Zusammenfassung dieser Debatte über den Zentrismus, der sich in Richtung Rätismus bewegt, hatten wir in den Nummern 40 bis 44 (1985/86, engl., franz., span. Ausgabe) der Internationalen Revue veröffentlicht. Wir empfehlen dem Leser vor allem die Nummer 42, in dem der Artikel „Das zentristische Abgleiten in den Rätismus“ die Ursprünge und Entwicklung dieser Debatte präsentiert. Wir fassen diese Präsentation der Debatte hier kurz zusammen, damit gewisse Aspekte in der Polemik von MC verständlicher werden.

Während des 5. Kongresses der IKS, vor allem aber danach machte sich in der Organisation eine Reihe von Konfusionen in der Analyse der internationalen Situation breit, im Besonderen aber eine Position, die bezüglich der Frage der Entwicklung des Klassenbewusstseins des Proletariats einen rätistischen Standpunkt einnahm. Diese Position wurde vor allem durch die Genossen der Sektion in Spanien vertreten (von MC in diesem Text als AP bezeichnet, nach dem Namen der Publikation dieser Sektion: Accion Proletaria):

„Die Genossen, die sich mit dieser Analyse identifizierten, meinten, sie befänden bezüglich des Kassenbewusstseins in Übereinkunft mit der klassischen Konzeption des Marxismus (und auch der IKS). Insbesondere lehnten sie nie explizit die Notwendigkeit einer revolutionären Organisation für die Entwicklung des Bewusstseins ab. Doch faktisch endeten sie bei einer rätistischen Sichtweise. Dies:

  • indem sie das Bewusstsein als bestimmten und niemals als bestimmenden Faktor im Klassenkampf darstellt;
  • indem sie behauptet, dass ‚alleiniger Schmelztiegel des Klassenbewusstseins der massive und offene Kampf‘ sei, was den revolutionären Organisationen keinen Platz lässt;
  • indem sie jegliche Möglichkeit für die revolutionären Organisationen verneint, das Werk der Weiterentwicklung und Vertiefung des Klassenbewusstseins in Zeiten des Rückgangs des Kampfes auszuführen.

Der einzige entscheidende Unterschied zwischen dieser Sichtweise und dem Rätismus ist, dass Letzterer bis zur letzten Konsequenz geht und ausdrücklich die Notwendigkeit kommunistischer Organisationen verwirft, während unsere Genossen nicht so weit gehen.“

Ein zentraler Punkt war die Ablehnung des Begriffs einer „unterirdischen Reifung des Bewusstseins“, was faktisch bedeutete, die Möglichkeit für revolutionäre Organisationen auszuschließen, das kommunistische Bewusstsein außerhalb offener Kämpfe der Arbeiterklasse weiterzuentwickeln und zu vertiefen.

Sobald der Genosse MC Kenntnis von den Dokumenten bekommen hatte, die eine solche Sichtweise ausdrückten, schrieb er einen Beitrag, um gegen sie anzugehen. Im Januar 1984 nahm die Vollversammlung des Zentralorgans der IKS eine Resolution an, in der Stellung zu den falschen Positionen bezogen wurde, vor allem zu den involvierten rätistischen Konzepten:

 „Als diese Resolution angenommen wurde, erkannten die IKS-Genossen, die zuvor die These der ‚Unmöglichkeit einer unterirdischen Reifung‘ mit all ihren rätistischen Konsequenzen entwickelt hatten, ihren Fehler. So sprachen sie sich nachdrücklich für diese Resolution aus, vor allem für den Punkt 7, der die spezielle Funktion hatte, die Analysen, die sie zuvor entwickelt hatten, zurückzuweisen. Doch nun erhoben andere Genossen Einspruch gegen Punkt 7, die ihn entweder in Bausch und Bogen ablehnten oder nur ‚unter Vorbehalt‘ für ihn stimmten, weil sie einige Formulierungen ablehnten. Man konnte in der Organisation das Umsichgreifen einer Vorgehensweise beobachten, die, ohne offen rätistische Ansichten zu unterstützen, als ein Schild oder Schirm für diese Thesen diente, indem sie deren klare Verurteilung durch die Organisation ablehnte und ihre Bedeutung herunterspielte. Angesichts dieses Vorgehens sah sich das Zentralorgan der IKS im März 1984 veranlasst, eine Resolution zu verabschieden, die an die Merkmale:

  1.  des Opportunismus als Manifestation der Penetrierung bürgerlicher Ideologie in die proletarischen Organisationen, der sich vor allem ausdrückt durch:
    • eine Ablehnung oder eine Verwischung der revolutionären Prinzipien und des generellen Rahmens der marxistischen Analyse;
    • einen Mangel an Entschlossenheit bei der Verteidigung dieser Prinzipien;
  2. und des Zentrismus als besondere Form des Opportunismus erinnert, die sich ausdrückt durch:
    • eine Phobie gegenüber klaren, genauen und kompromisslosen Positionen, welche sich vor ihren Konsequenzen nicht scheuen;
    • eine systematische Übernahme von vermittelnden Positionen zwischen antagonistischen Standpunkten;
    • eine Schlichtungshaltung zwischen diesen Positionen;
    • die Suche nach einer Schiedsrichterrolle;
    • die Suche nach der Einheit der Organisation um jeden Preis, auch zum Preis der Konfusion, des Mangels an Stringenz, Kohärenz und Kontinuität in den Analysen, sowie Konzessionen auf Kosten der Prinzipien.“

Und die Resolution kommt zum Schluss, „dass im Moment innerhalb der IKS eine Tendenz zum Zentrismus existiert – das heißt, zu einer Aussöhnung mit dem Rätismus und einem Mangel an Unnachgiebigkeit gegenüber dem Rätismus.“ (Internationale Revue, Nr. 42 [engl., franz., span. Ausgabe], „Zentristisches Abgleiten in den Rätismus“)

Angesichts dieser Analyse zog es eine Anzahl jener, die sich ihrer Stimme enthalten hatten, vor, statt ernsthaft und gründlich die Analysen der Organisation zu berücksichtigen, die wirklichen Fragen zu verschleiern, indem sie ebenso bedenkliche wie spektakuläre Verrenkungen vollzogen und damit eine klassische zentristische Richtung einschlugen. Der Text von McIntosh[1], auf den der Beitrag von MC, den wir hier veröffentlichen, antwortet, ist eine unverhohlene Demonstration dieser Winkelzüge, da er die simple (aber nie öffentlich geäußerte) These vertritt: Es kann keinen Zentrismus gegenüber dem Rätismus in der IKS geben, weil der Zentrismus in der Epoche der kapitalistischen Dekadenz nicht existieren kann.

„Indem er sich in seinem Artikel mit der Frage des Zentrismus nur allgemein und im Rahmen der Geschichte der Arbeiterbewegung auseinandersetzt, ohne sich auch nur einen Moment lang darauf zu beziehen, wie sich die Frage für die IKS stellt, vermeidet er es, den/die LeserIn zu informieren, dass diese Entdeckung der Unmöglichkeit des Zentrismus in der Periode der Dekadenz (deren Entdecker er ist) den GenossInnen gerade recht kam, die sich in der Abstimmung über die Resolution vom Januar 1984 enthalten oder nur unter Vorbehalt zugestimmt hatten. Die These von McIntosh, an die sie sich seit der Formierung einer ‚Tendenz‘ anlehnen, liefert ihnen neue Munition gegen die Analyse der IKS über die zentristischen Abschweifungen zum Rätismus, denen sie zum Opfer gefallen waren – eine Analyse, die sie unermüdlich bekämpften, indem sie vergeblich(nacheinander oder gleichzeitig) versuchten zu beweisen, dass ‚der Zentrismus die Bourgeoisie sei‘, dass es ‚eine zentristische Gefahr in den revolutionären Organisationen gebe, aber nicht in der IKS‘, dass ‚eine zentristische Gefahr für die IKS existiert, aber nicht gegenüber dem Rätismus‘. (Internationale Revue, Nr. 43, engl., franz., span. Ausgabe: „Die Ablehnung des Begriffs des Zentrismus: Eine offene Tür für den Verzicht auf die Klassenpositionen“).

Wie bereits oben erwähnt, weitete sich die Debatte von 1985, auch wenn anfangs die Frage des Rätismus als Strömung und politische Vision im Mittelpunkt stand, auf die allgemeinere Frage des Zentrismus aus, der dafür steht, wie die Organisationen der Arbeiterklasse dem Einfluss der dominierenden Ideologie in der bürgerlichen Gesellschaft ausgesetzt sind. Wie MC im folgenden Artikel zeigt, kann der Zentrismus als solcher nicht verschwinden, solange die Klassengesellschaft existiert.

Der Wert der heutigen Veröffentlichung dieses Diskussionsbeitrags als Artikels liegt vor allem darin, dass er auf der Geschichte des Ersten Weltkrieges (ein Thema, das wir seit 2014 unter verschiedenen Aspekten in der Internationalen Revue behandeln), und vor allem der Rolle der Revolutionäre und der Entwicklung des Bewusstseins innerhalb der Arbeiterklasse sowie ihrer Avantgarde angesichts dieses Ereignisses basiert. Die Konferenz von Zimmerwald, die im September 1915, also vor 100 Jahren abgehalten wurde, ist Teil unserer Geschichte. Doch sie illustriert auch auf eindrückliche Weise die Schwierigkeiten und Zweifel der Teilnehmer, nicht nur mit den Verräterparteien der Zweiten Internationalen zu brechen, sondern auch mit der gesamten versöhnlerischen und pazifistischen Ideologie, die den Krieg zu beenden hoffte, ohne in den revolutionären Kampf gegen die kapitalistische Gesellschaft, die diesen Krieg entfesselt hatte, treten zu müssen. Lenin stellte diese Situation 1917 folgendermaßen dar:

„Die internationale sozialistische Arbeiterbewegung hat in über zwei Kriegsjahren in allen Ländern drei Strömungen hervorgebracht (...) Die drei Strömungen sind folgende:

  1. Die Sozialchauvinisten, d.h., Sozialisten in Worten, Chauvinisten in der Tat (...). Diese Leute sind unsere Klassengegner. Sie sind auf die Seite der Bourgeoisie übergegangen (...)
  2. Die zweite Strömung – das so genannte ‚Zentrum‘ - besteht aus Leuten, die zwischen den Sozialchauvinisten und den wirklichen Internationalisten schwanken. (...) Das ‚Zentrum‘ ist das Reich der gefälligen kleinbürgerlichen Phrase, des Internationalismus in Worten, des feigen Opportunismus und der Liebedienerei gegenüber den Sozialchauvinisten in der Tat. Der Kern der Sache ist, dass das ‚Zentrum‘ von der Notwendigkeit der Revolution gegen die eigenen Regierungen nicht überzeugt ist, sie nicht propagiert, dass es keinen rückhaltlosen revolutionären Kampf führt, dass es gegen ihn die aller plattesten – und ‚erz-marxistisch‘ klingenden – Ausflüchte erfindet (…) Der wichtigste Führer und Repräsentant des ‚Zentrums‘ ist Karl Kautsky, die bedeutendste Autorität der II. Internationale (1889 – 1914), das Musterbeispiel einer vollständigen Aufgabe des Marxismus, ein Musterbeispiel unerhörter Charakterlosigkeit, jämmerlichster Schwankungen und Verrätereien seit August 1914 (…)
  3. Die dritte Strömung sind die wirklichen Internationalisten, denen die ‚Zimmerwalder Linke‘ am nächsten kommt.“[2]

Im Zusammenhang mit der Zimmerwalder Konferenz ist es korrekter zu sagen, dass die Rechte nicht durch die „Sozialchauvinisten“ vertreten war, um den Ausdruck von Lenin zu gebrauchen, sondern durch Kautsky und Konsorten  – die später die Rechte in der USPD[3] bildeten –, dass sich die Linke aus den Bolschewiki und das Zentrum aus Trotzki und den Spartakusbund von Rosa Luxemburg zusammensetzte. Der Prozess, der zur Revolution in Russland und Deutschland führte, war ja gerade dadurch gekennzeichnet, dass ein großer Teil des „Zentrums“ für die Positionen der Bolschewiki gewonnen werden konnte.

Später wurde der Begriff des Zentrismus nicht mehr von allen politischen Strömungen in gleicher Weise verwendet. Von den Bordigisten beispielsweise wurden Stalin und die Stalinisten der 1930er Jahre stets als „Zentristen“ bezeichnet, die Politik Stalins als das „Zentrum“ zwischen der Linken in der Internationalen (die wir heute als die kommunistische Linke vor allem rund um Bordiga und Pannekoek bezeichnen) und der Rechten Bucharins betrachtet. Bilan verwendete diesen Terminus bis zum Zweiten Weltkrieg. Für die IKS, die sich auf die Methode Lenins beruft, bedeutet der Begriff des Zentrismus das Schwanken zwischen der (revolutionären) Linken und der (opportunistischen, aber noch im Lager der Arbeiterklasse befindlichen) Rechten. Der Stalinismus jedoch mit seinem Programm des „Sozialismus in einem Land“ ist weder zentristisch noch opportunistisch, sondern Bestandteil des feindlichen Lagers – des Kapitalismus. Wie der folgende Artikel unterstreicht, ist der Zentrismus keine politische Strömung, die auf spezifischen Positionen basiert, sondern vielmehr eine permanente Tendenz innerhalb der politischen Organisationen der Arbeiterklasse, die auf der Suche nach dem „goldenen Mittelweg“ zwischen den kompromisslos revolutionären Positionen und jenen Positionen ist, die einen Konsens mit der herrschenden Klasse suchen.

Der Zentrismus aus der Sicht von McIntosh (MIC)

In meinem Artikel „Der Zentrismus und unsere informelle Tendenz“, der in der letzten Ausgabe unseres Internen Internationalen Bulletins erschienen ist, versuchte ich, die Inkonsequenz in den Behauptungen von McIntosh bezüglich der Definition des Zentrismus in der Zweiten Internationalen aufzuzeigen. Folgende Konfusionen von McIntosh konnten wir beobachten:

  • die Identifizierung des Zentrismus mit dem Reformismus;
  • die Reduzierung des Zentrismus auf eine „soziale Basis“, die von den „Funktionären und Offiziellen des sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparats“ (die Bürokratie) gebildet wird;
  • die Vorstellung, dass „ihre soziale Basis“ auf der Existenz eines „ausgearbeiteten Programms“ gründet;
  • die Behauptung, dass die Existenz des Zentrismus ausschließlich an eine bestimmte Periode des Kapitalismus gebunden ist, nämlich die aufsteigende Periode;
  • die absolute Negierung der Existenz von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideen und Mentalitäten innerhalb der Arbeiterklasse (die Unreife des Bewusstseins), von denen es sich nur mit größter Mühe lösen kann;
  • die Negierung des permanenten Eindringens der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologie in die Reihen der Arbeiterklasse;
  • das totale Ausweichen vor dem Problem einer möglichen Degenerierung einer proletarischen Organisation.

Wir rufen diese Punkte nicht nur in Erinnerung, um den vorangegangenen Artikel zusammenzufassen; darüber hinaus halten wir viele dieser Punkte für relevant,  um die neue Theorie von McIntosh über die angebliche Unmöglichkeit des Zentrismus innerhalb der Arbeiterbewegung während der Periode der Dekadenz des Kapitalismus zu zerlegen…

Der Zentrismus in der Periode der Dekadenz

McIntosh stützt seine Behauptung, es könne keine zentristischen Strömungen in der Dekadenz des Kapitalismus geben, auf die Tatsache, dass durch den Epochenwechsel der Platz, der (in der Periode des aufsteigenden Kapitalismus) noch vom Zentrismus besetzt wurde, nun vom Kapitalismus vereinnahmt wird - vor allem vom Staatskapitalismus. Dies ist nur teilweise der Fall. Es trifft auf gewisse politische Positionen zu, die unter anderem durch den Zentrismus vertreten wurden, aber es trifft nicht hinsichtlich des „Platzes“ zu, der das kommunistische Programm des Proletariats von der bürgerlichen Ideologie trennt. Dieser Platz (der ein Terrain für den Zentrismus bildet) und der durch die Unreife (oder die Reife) des Klassenbewusstseins sowie durch die Kraft bestimmt wird, mit der die bürgerliche und kleinbürgerliche Ideologie in die Reihen der Arbeiterklasse eindringt, neigt dazu, sich zu verkleinern, aber er verschwindet nicht, solange es soziale Klassen gibt, vor allem solange die Bourgeoisie die herrschende Klasse in der Gesellschaft bleibt. Dies bleibt auch nach einer erfolgreichen Revolution der Fall, denn wenn man vom Proletariat als eine Klasse spricht, so bedeutet dies, dass es auch andere Klassen in der Gesellschaft gibt, die folglich einen Einfluss auf die Arbeiterklasse ausüben und Letztere mit ihrer Ideologie penetrieren. Die ganze marxistische Theorie der Übergangsperiode beruht auf der Tatsache, dass anders als in anderen Revolutionen in der Geschichte die proletarische Revolution die Übergangsperiode nicht beendet, sondern eröffnet. Nur die Anarchisten (und ein Teil der Rätisten) nehmen an, man springe mit der Revolution direkt vom Kapitalismus in den Kommunismus. Für die Marxisten ist die Revolution lediglich die notwendige Vorbedingung, die die Möglichkeit zur Verwirklichung des kommunistischen Programms in einer Gesellschaft ohne Klassen bildet. Dieses kommunistische Programm wird von der als politische Partei organisierte revolutionäre Minderheit gegen die Positionen der anderen politischen Strömungen verteidigt, die sich innerhalb der Klasse befinden und auf ihrem Klassenterrain agieren, und dies vor, während und nach einer erfolgreichen Revolution.

Die Behauptung, dass die gesamte Arbeiterklasse schon ein kommunistisches Bewusstsein hat oder dies mit der Revolution erlangt, läuft darauf hinaus, die Existenz einer politischen Organisation innerhalb der Klasse für überflüssig, wenn nicht gar für schädlich zu halten (es sei denn, es handelt sich um einer Organisation mit rein pädagogischer Funktion, wie im Rätekommunismus von Pannekoek), oder zu dekretieren, dass die Klasse nur eine einzige Partei haben könne (wie es die engstirnigen Bordigisten sehen), während wir neben der Organisation der kommunistischen Partei die unvermeidliche Existenz von konfusen politischen Organisationen anerkennen, die kleinbürgerliche Ideen mit sich tragen und politische Konzessionen gegenüber den der Klasse fremden Ideologien machen.

Dies bedeutet die Anerkennung der Existenz von zentrischen Tendenzen innerhalb der Klasse in allen Perioden. Denn der Zentrismus ist nichts anderes als das Fortbestehen von politischen Strömungen in der Klasse mit konfusen, inkonsequenten und inkohärenten Programmen, die durchtränkt sind mit Positionen, die sich an die kleinbürgerliche Ideologie anlehnen, welche sie weitertragen, der gegenüber sie Zugeständnisse machen und die zwischen dieser Ideologie und dem historischen Bewusstsein der Klasse oszillieren, die sie unermüdlich zu versöhnen versuchen.

Eben weil der Zentrismus nicht als ein „definiertes Programm“ definiert werden kann, können wir seine Hartnäckigkeit begreifen, mit der er sich an jede spezifische Situation anpasst und die Position wechselt, wenn sich das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen verändert.

Es ist Unsinn, vom Zentrismus im Allgemeinen, im Abstrakten, in den Begriffen einer eigenen „sozialen Basis“ oder eines „spezifischen, präzisen Programms“ zu sprechen. Er muss vielmehr in ein Verhältnis zu anderen, stabileren politischen Strömungen gesetzt werden (in der aktuellen Debatte also zum Rätismus). Man kann jedoch von einer Konstante im politischen Verhalten sprechen, die den Zentrismus charakterisiert: hin und her schwanken, es vermeiden, eine klare und konsequente Position zu beziehen (…)

Nehmen wir (…) ein konkretes Beispiel (…) das Aufschluss gibt über zentristisches Verhalten: McIntosh bezieht sich in seinem Text mehrmals auf die Polemik zwischen Kautsky und Rosa Luxemburg im Jahr 1910. Wie begann diese Polemik? Sie begann mit einem Artikel von Rosa Luxemburg gegen die opportunistische Politik und Praxis der SPD-Führung und stellte dieser die revolutionäre Politik des Massenstreiks entgegen. Kautsky, als führender Redaktor der Neuen Zeit (dem theoretischen Organ der SPD), weigerte sich, diesen Artikel zu veröffentlichen, mit dem Argument, dass er die Grundidee des Massenstreiks zwar richtig finde, im Moment sie jedoch für unangebracht halte, da dies zwangsläufig eine Antwort seinerseits und somit eine Diskussion zwischen zwei Mitgliedern der radikal-marxistischen Tendenz zur Folge hätte, was aber angesichts der Rechten in der Partei bedauerlich wäre. Jedoch hatte Luxemburg bereits vor dieser Ablehnung ihren Artikel in der Dortmunder Arbeiterzeitung veröffentlicht, so dass Kautsky zu einer Antwort gezwungen wurde und sich an der Polemik beteiligte, die allen bekannt ist.

Als ich im September 1984 im Internationalen Sekretariat[4] meine Absicht erläuterte, einen Diskussionsbeitrag zu schreiben, in dem ein Licht auf die rätistische Ausrichtung der Artikel von Accion Proletaria (Zeitung der IKS-Sektion in Spanien) geworfen werden sollte, verlangte die Genossin JA[5] eine Erklärung des Inhalts und der Argumente dieses Artikels. Nachdem  diese Erklärung gegeben worden war, befand JA diesen Artikel als unangebracht und schlug vor zu warten, bis das Internationale Sekretariat sich geeinigt habe, das heißt, den Text vor der Veröffentlichung so zu „korrigieren“, dass das Sekretariat in seiner Gesamtheit ihm zustimmt. Entgegen einer solchen Art von Korrektur, mit der dem Text die Flügel gestutzt und Verwirrung gestiftet werden sollte, zog ich es vor, ihn in meinem eigenen Namen zu publizieren. Einmal publiziert, befand JA den Text als absolut bedauerlich, da er lediglich Unruhe in der Organisation verbreite. Glücklicherweise war JA nicht die Redakteurin (des Internen Bulletins), wie es Kautsky (für die Neue Zeit) gewesen war, und verfügte nicht über seine Autorität, denn dann hätte der Text nie das Licht der Welt erblickt. In den 75 Jahren, die zwischen beiden Vorkommnissen liegen, hat der Zentrismus trotz des Epochenwechsels (Aufstieg und Dekadenz) zwar sein Gesicht und seine Positionen verändert, aber seinen Geist und seine Vorgehensweise beibehalten: das Vermeiden von aufkommenden Debatten, um die Organisation nicht in „Unruhe“ zu versetzen.

In einem meiner ersten polemischen Artikel gegen jene GenossInnen, die unter Vorbehalt zugestimmt hatten, schrieb ich, dass die Dekadenzperiode das Zeitalter des manifesten Zentrismus par excellence ist. Ein simpler Blick auf die Geschichte der vergangenen 70 Jahre macht sofort deutlich, das sich in keiner anderen Periode der Geschichte der Arbeiterbewegung der Zentrismus mit so viel Kraft und in so vielen Varianten manifestiert und so viele Schäden angerichtet hat wie in der Periode des dekadenten Kapitalismus. Man kann der Definition von Bilan nur zustimmen, dass eine Internationale als solche nicht Verrat begeht, sondern stirbt, verschwindet, zu existieren aufhört und dass es ihre „national“ gewordenen Parteien sind, die eine nach der anderen ins Lager der nationalen Bourgeoisie überlaufen. So begannen sich einen Tag nach dem 4. August 1914, als die sozialistischen Parteien in den kriegführenden Ländern ihren Verrat mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten besiegelten, in jedem Land kleine Minderheiten in ihrem Schatten, eine immer größere Opposition in den sozialistischen Parteien und der Gewerkschaften gegen den Krieg und die Politik der nationalen Verteidigung zu entwickeln, die treu am Internationalismus festhielten. Dies war in Russland der Fall mit den Internationalistischen Menschewiki von Martow und der Gruppe von Trotzki. Dies war der Fall in Deutschland mit der Herausbildung einer Opposition gegen den Krieg, die aus der SPD ausgeschlossen wurde und die USPD gründete, sowie in Frankreich mit der revolutionär-syndikalistischen Gruppe La Vie Ouvriere von Monatte, Rosmer und Merrheim, in Italien mit der Mehrheit der Sozialistischen Partei, in der Schweiz, usw. All das bildete eine inkonsequente, pazifistisch-zentristische Strömung verschiedenster Couleur, welche sich dem Krieg im Namen des Friedens, aber nicht im Namen des revolutionären Defätismus und der Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg widersetzte. Diese zentristische Strömung organisierte 1915 die sozialistische Konferenz von Zimmerwald gegen den Krieg (auf der die konsequente und kompromisslose revolutionäre Linke eine kleine Minderheit darstellte, die sich auf die russischen Bolschewiki, die holländischen Tribunisten und die Bremer Linke aus Deutschland beschränkte) sowie die Konferenz von Kienthal 1916, die auch noch vom Zentrismus dominiert war (und auf der die Spartakisten um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sich endlich der revolutionären Linken anschlossen). Diese zentristische Strömung warf keineswegs die Frage nach dem sofortigen Bruch mit den sozialistischen Parteien auf, die sozialchauvinistisch bis zum Gehtnichtmehr geworden waren, sondern plädierte für deren Stärkung in einer organisatorischen Einheit[6]. Die Revolution, die im Februar 1917 in Russland begann, fand eine bolschewistische Partei (und Arbeiter- und Soldatenräte, die fast einhellig die Kerenski-Miljukow-Regierung unterstützten) vor, die eine Politik der bedingten Unterstützung der bürgerlichen Kerenski-Regierung betrieb.

Die allgemeine Begeisterung in der Arbeiterklasse der gesamten Welt nach dem Triumph der Oktoberrevolution führte nicht weiter als zur Bildung einer enormen, grundlegend zentristischen Strömung. Die Parteien und Gruppen, die die Kommunistische Internationale bilden und ihr angehören sollten, waren in ihrer großen Mehrheit noch durch den Zentrismus geprägt. Seit 1920 spürte man die ersten Anzeichen der Erschöpfung der ersten revolutionären Welle, die immer schneller abebbte. All das spiegelte sich auf der politischen Ebene in einem zentristischen Abgleiten wider, das sich schon auf dem 2. Kongress der Kommunistischen Internationale durch zweideutige und falsche Positionen zu wichtigen Fragen wie den Syndikalismus, den Parlamentarismus, die nationale Unabhängigkeit und das Selbstbestimmungsrecht ausgedrückt hatte. Von Jahr zu Jahr zeigte sich die Kommunistische Internationale und ihre kommunistischen Parteien immer anfälliger gegenüber zentristischen Positionen und der Degeneration; die kompromisslos revolutionären Tendenzen, die in den kommunistischen Parteien schnell in die Minderheit gerieten, wurden nach und nach aus diesen Parteien ausgeschlossen oder fielen selbst dem zentristischen Geschwür zum Opfer, wie es bei verschiedenen oppositionellen Strömungen, die aus der Kommunistischen Internationalen hervorgingen, und besonders bei der Linksopposition um Trotzki der Fall war, die mit ihrem Engagement im spanischen Bürgerkrieg 1936-38 und im Zweiten Weltkrieg im Namen des Antifaschismus und der Verteidigung des degenerierten Arbeiterstaates Russland schlussendlich die Klassengrenze überschritt. Die winzige Minderheit, die fest auf dem Klassenterrain und auf kommunistischen Positionen verblieb, wie die italienische Kommunistische Linke und die holländische Linke, erlitt ebenfalls den Schock des Rückfalls in die dunkle Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die einen, die Bordigisten, verknöcherten und bildeten sich politisch in erheblichem Maße zurück, die Anderen, wie die Holländische Linke, zerfielen in einen völlig degenerierten Rätismus. Erst Ende der 1960er Jahre tauchten mit der sich ankündigenden offenen Krise und den ersten Anzeichen eines wiederauflebenden Klassenkampfes wieder kleine revolutionäre Gruppen auf, die sich von den enormen Konfusionen von `68 freizumachen versuchten und sich bemühten, wieder an den historischen revolutionär-marxistischen Faden anzuknüpfen.

(…) Man muss mit einer geradezu universellen Blindheit geschlagen sein, um diese Wirklichkeit nicht zu sehen. Es bedarf einer völligen Ignoranz gegenüber der Geschichte der Arbeiterbewegung in den letzten 70 Jahren seit 1914, um, wie McIntosh, kategorisch zu behaupten, dass der Zentrismus nicht existiert und in der Periode der Dekadenz nicht existieren kann. Der hochtrabende Verbalradikalismus, die empörten Finten sind kein Ersatz für seriöse Argumente.

Es ist sicher bequemer, eine Vogel-Strauß-Politik zu betreiben, also die Augen vor der Realität und ihren Gefahren zu verschließen, um sie besser negieren zu können. Es beruhigt und erspart das Nachdenken. Dies ist nicht die Methode von Marx, der sinngemäß sagte, dass die Kommunisten nicht da seien, um die Klasse zu trösten; ihre Funktion sei es vielmehr, alles noch schlimmer zu machen, um das Bewusstsein der Klasse über ihr Elend zu wecken. McIntosh geht den ersten Weg, indem er zu seiner Beruhigung und entgegen aller Tatsachen die Existenz des Zentrismus in der Periode der Dekadenz schlichtweg leugnet. Für uns, die wir Marxisten sein wollen, gibt es nur den anderen Weg: die Augen weit zu öffnen, um die Wirklichkeit zu erkennen, sie zu verstehen und sie in ihrer Bewegung und Komplexität zu begreifen. Es liegt also an uns, die Gründe für die unbestreitbare Tatsache zu erklären zu versuchen, dass gerade die Periode der Dekadenz eine Blütezeit des Zentrismus ist.

Die Periode der Dekadenz des Kapitalismus und das Proletariat

(…) Die Periode der Dekadenz ist der Eintritt in eine historische, permanente und objektive Krise des kapitalistischen Systems, das so vor dem historischen Dilemma steht: seine Selbstzerstörung, die die Zerstörung der gesamten Gesellschaft bedeutet, oder die Überwindung dieses Systems, um einer neuen Gesellschaft ohne Klassen, der kommunistischen Gesellschaft, Platz zu schaffen. Die einzige Klasse, die dieses grandiose Projekt zur Rettung der Menschheit verwirklichen kann, ist das Proletariat, dessen Interesse, sich von der Ausbeutung zu befreien, es in einen Kampf auf Messers Schneide gegen dieses kapitalistische System der Lohnsklaverei treibt und das sich zudem nicht emanzipieren kann, ohne die gesamte Menschheit zu emanzipieren.

Im Gegensatz zur:

  • Theorie, dass es der Kampf der Arbeiterklasse ist, der die ökonomische Krise des kapitalistischen Systems verursacht (GLAT = Groupe de Liaison et d`Action des Travailleurs);
  • Theorie, die die permanente historische Krise ignoriert und nur konjunkturelle und zyklische Krisen kennt, welche die Revolution ermöglichen, und die, wenn ihr Sieg ausbleibt, einen neuen Entwicklungszyklus des Kapitalismus erlaubt, und dies bis in alle Ewigkeit (Amadeo Bordiga);
  • pädagogischen Theorie, nach der die Revolution nicht an die Frage der Krise des Kapitalismus gebunden ist, sondern von der Intelligenz der Arbeiter abhängt, die sie im Verlaufe ihres Kampfes erwerben (Pannekoek),

stimmen wir Marx‘ Standpunkt zu, dass eine Gesellschaft nur dann von der Bildfläche verschwindet, wenn sie alle Möglichkeiten, die sie in sich birgt, ausgeschöpft hat. Wir stimmen mit Rosa Luxemburg darin überein, dass es die Reifung der inneren Widersprüche des Kapitals ist, die seine historische Krise bestimmt, eine objektive Bedingung für die Notwendigkeit der Revolution. Wir stimmen Lenin zu, wenn er sagt, dass es nicht ausreicht, wenn das Proletariat nicht mehr ausgebeutet werden möchte, sondern dass darüber hinaus der Kapitalismus nicht mehr wie zuvor weitermachen kann.

Die Dekadenz führt zum Zusammenbruch des kapitalistischen Systems unter dem Gewicht seiner eigenen inneren Widersprüche. Das Verständnis dieser Theorie ist unabdingbar, um die Bedingungen zu verstehen, unter denen sich die proletarische Revolution abspielt und abspielen wird.

Auf diesen Eintritt in die Dekadenz seines ökonomischen Systems, den die bürgerliche ökonomische Wissenschaft weder vorausgesehen noch verstanden hat, hat der Kapitalismus – ohne diese objektive Entwicklung je meistern zu können – mit einer enormen Konzentration seiner politischen, ökonomischen und militärischen Kräfte reagiert, d.h. mit dem Staatskapitalismus, um gleichzeitig der extremen Zuspitzung der imperialistischen Spannungen und vor allem der Gefahr eines Ausbruchs der proletarischen Revolution die Stirn zu bieten, derer sich die Bourgeoisie mit dem Ausbruch der proletarischen Revolution in Russland 1917 gewahr geworden ist.

Wenn der Eintritt in die Dekadenz die objektive historische Reife für den Untergang des Kapitalismus bedeutet, so verhält es sich mit der Reifung der subjektiven Bedingung dafür (das Bewusstsein im Proletariat) anders. Diese Bedingung ist unverzichtbar, denn wie Marx und Engels schon schrieben: Die Geschichte unternimmt nichts von sich aus, es sind die Menschen (die gesellschaftlichen Klassen), die Geschichte schreiben.

Wir wissen, dass im Gegensatz zu allen vergangenen Revolutionen in der Geschichte, in denen das Bewusstsein der ausführenden Klassen eine zweitrangige Rolle spielte, weil es nur um den Übergang eines Ausbeutungssystems in ein anderes Ausbeutungssystem ging, die sozialistische Revolution, die das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und der Klassengesellschaften bedeutet, die bewusste Tat der revolutionären Klasse zur Grundlage hat. Und das Proletariat ist nicht nur die einzige Klasse, der von der Geschichte die größten Anforderungen abverlangt werden, die sich bis dahin weder einer Klasse noch der Menschheit an sich gestellt hatten, eine Aufgabe, die alle Aufgaben übertrifft, die sich bisher der Menschheit gestellt haben, der Sprung vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit; darüber hinaus sieht sie sich auch mit den größten Schwierigkeiten konfrontiert. Als letzte ausgebeutete Klasse repräsentiert sie alle ausgebeuteten Klassen der Geschichte gegenüber den ausbeutenden Klassen, die durch den Kapitalismus repräsentiert werden.

Zum ersten Mal in der Geschichte sieht sich eine ausgebeutete Klasse dazu veranlasst, die gesellschaftliche Transformation zu übernehmen, eine Transformation dazu, an deren Gelingen das Schicksal und die Zukunft der gesamten Menschheit hängen. Angesichts dieser Herkulesaufgabe präsentiert sich das Proletariat zunächst in einem Zustand der Schwäche, der typischen Haltung aller ausgebeuteten Klassen, die sich durch das Gewicht der Schwächen all der vergangenen Generationen der ausgebeuteten Klassen, das auf ihr lastet, verschärft hat: ein Mangel an Bewusstsein, an Überzeugung, an Selbstvertrauen, von Angst gepeinigt vor dem, was sie zu denken und zu unternehmen wagen muss, die uralte Haltung der Unterwürfigkeit  gegenüber der Macht und der Ideologie der herrschenden Klassen. Deshalb ist im Gegenteil zu den anderen Klassen, die von Erfolg zu Erfolg eilten, der Kampf der Arbeiterklasse durch Erfolge und Niederlagen gekennzeichnet; sie erreicht ihren endgültigen Sieg erst nach einer langen Serie von Niederlagen.

(…) Diese Abfolge von Erfolgen und Niederlagen im Kampf der Arbeiterklasse, von der Marx bereits nach den revolutionären Ereignissen von 1848 gesprochen hatte, kann sich in der Dekadenzperiode nur beschleunigen, allein schon aufgrund der Barbarei dieser Periode, die dem Proletariat die Frage der Revolution viel konkreter, viel praktischer und viel dramatischer stellt, was sich auf der Ebene des Klassenbewusstseins des Proletariats in einer zunehmenden und turbulenten Bewegung wie die Brandung der Wellen eines wogenden Meeres ausdrückt.

Es sind diese Bedingungen (einer Realität von reifen objektiven und unreifen subjektiven Bedingungen), die diesen Wirbel in der Klasse verursachen und eine Vielzahl von verschiedenen und widersprüchlichen politischen Strömungen hervorbringen, mit Übereinstimmungen und Divergenzen, mit Fortschritten und Rückschlägen und vor allem mit den verschiedenen Variationen des Zentrismus.

Der Kampf gegen den Kapitalismus ist gleichzeitig Kampf und politischer Klärungsprozess, ein Mühen der Klasse, sich ein Klassenbewusstsein anzueignen. Dieser Prozess ist umso gewaltsamer und verschlungener, findet er doch unter dem Kugelhagel des Klassenfeindes statt.

Die einzigen Waffen, die die Arbeiterklasse in diesem Kampf bis aufs Messer gegen den Kapitalismus besitzt, und die sie zum Erfolg führen können, sind ihr Bewusstsein und ihre Organisation. Nur in diesem Sinne kann der folgenden Satz von Marx verstanden werden: „Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es seinem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird.“ (Die heilige Familie, MEW Bd. 2, S. 38)    

(…) die Rätisten interpretieren diesen Satz von Marx in dem Sinn, dass jeder Kampf der Arbeiterklasse automatisch Klassenbewusstsein kreieren würde, und leugnen die Notwendigkeit eines unablässigen theoretisch-politischen Kampfes innerhalb der Klasse (die Existenz einer politisch-revolutionären Organisation). Unsere nur unter Vorbehalt zustimmenden Genossen sind in den Debatten auf dem IB-Plenum im Januar 1984 und in der Abstimmung über Punkt 7 der Resolution auf dieselbe Weise ausgerutscht. Indem sie sich heute (um dieses erste Ausrutschen zu verstecken) der abwegigen These von McIntosh über die Unmöglichkeit der Existenz von zentristischen Strömungen innerhalb der Klasse im dekadenten Kapitalismus anschließen, begeben sie sich nur auf dasselbe Glatteis und begnügen sich damit, dieselbe Münze einfach nur umzudrehen.

Wenn man behauptet, es könne in dieser Periode (der Dekadenz des Kapitalismus) weder vor, während und nach der Revolution irgendeine Form des Zentrismus in der Klasse existieren, dann idealisiert man die Klasse als einheitlich bewusste, absolut homogene und völlig kommunistische Einheit (was die Existenz eine kommunistischen Partei überflüssig macht, wie es die konsequenten Rätisten tun), oder man verfügt, dass nur eine einheitliche Partei in der Klasse existieren kann, außerhalb derer jede Strömung per Definition konterrevolutionär und bürgerlich ist, womit man über auf einen seltsamen Umweg bei den schlimmsten Manifestationen des bordigistischen Größenwahns gelandet ist.

Die beiden Haupttendenzen der zentristischen Strömung

Wie wir bereits gesehen haben, präsentiert sich die zentristische Strömung nicht als eine homogene Strömung mit „einem spezifischen, präzisen Programm“. Es ist eine wenig stabile, inkohärente politische Strömung, die durch den Einfluss zerrissen wird, den der Einfluss des kommunistischen Programms einerseits und die kleinbürgerliche Ideologie andererseits auf sie ausüben. Dies ist zwei Wurzeln (gleichzeitig existierend und wachsend) geschuldet, die sie zum Leben verhelfen und nähren:

  1. die Unreife der Klasse in ihrer Bewusstwerdung;
  2. das konstante Eindringen der kleinbürgerlichen Ideologie in die Klasse.  

Diese Wurzeln lassen die zentristischen Strömungen in zwei diametral entgegengesetzte Richtungen wachsen.

Im Allgemeinen ist es das Kräfteverhältnis, das in den verschiedenen Perioden zwischen den Klassen herrscht, Flut und Ebbe des Klassenkampfes, das über Vormarsch oder Rückzug der zentristischen Organisationen bestimmt. (…) McIntosh sieht in seiner angeborenen Kurzsichtigkeit lediglich die zweite Wurzel und ignoriert die erste völlig, so wie er auch die entgegengesetzten Zwänge, die auf den Zentrismus wirken, verkennt. Er kennt den Zentrismus lediglich als „Abstraktion“ und nicht in der Realität seiner Bewegung. Wenn McIntosh den Zentrismus anerkennt, dann nur in dem Moment, wenn dieser sich definitiv in das Lager der Bourgeoisie einreiht, das heißt, wenn der Zentrismus also aufgehört hat, Zentrismus zu sein. Dann aber wird unser Genosse umso erzürnter sein und große Empörung über eben jenen Zentrismus äußern, den er zuvor weder gekannt noch anerkannt hatte.

Es ist ganz im Sinne unserer Minderheit, sich auf den Kadaver eine wilden Bestie zu stürzen, die sie verpasst hat zu bekämpfen, als diese noch am Leben war und die sie heute zu erkennen und zu bekämpfen sich hütet.

Schauen wir uns nun an, wie der Zentrismus von der zweiten Wurzel genährt wird, das heißt, von der Unreife in der Bewusstwerdung von Klassenpositionen. Nehmen wir zum Beispiel die USPD, die neu entdeckte Reizfigur und das schwarze Schaf unserer Minderheit.

Die persische Mythologie besagt, dass der Teufel, seiner Misserfolge im Kampf gegen das Gute müde geworden, eines schönen Tages beschloss, seine Taktik zu ändern und noch besser zu sein als das Gute. Wenn also Gott den Männern Gutes in Form der Liebe und der fleischlichen Begierde gab, dann verstärkte und überhöhte der Teufel dies und brachte die Menschen dazu, sich in Luxus und Vergewaltigung wälzen. Wenn Gott Gutes gab in Form von Wein, dann verstärkte der Teufel die Freuden des Weines in der Form des Alkoholismus. Man kennt das Sprichwort: „Genieße ein Glas Wein, drei Gläser lasse sein!“.

Unsere Minderheit macht heute exakt dasselbe. In ihrer Unfähigkeit, ihr zentristisches Abgleiten Richtung Rätismus zu verteidigen, wechseln sie einfach ihre Taktik. „Ihr sagt Zentrismus, doch der Zentrismus ist die Bourgeoisie! Indem ihr vorgebt, den Zentrismus zu bekämpfen, macht ihr nichts anderes, als ihn zu rehabilitieren, indem ihr ihn in der Klasse verortet und ihm Klassencharakter bescheinigt. Indem ihr ihn innerhalb der Klasse positioniert, macht ihr euch zu seinem Verteidigern und Apologeten.“

Die alte Taktik des Rollenwechsels. Sie ist absolut hilfreich in den Händen des Teufels. Leider ist unsere Minderheit nicht der Teufel, so dass diese raffinierte Taktik in ihren Händen scheitert. Welcher Genosse glaubt schon im Ernst an die Absurdität, dass die Mehrheit des IB-Plenums vom Januar 1984, die die Existenz eines zentristischen Abgleitens in den Rätismus in unseren Reihen erkannt hat und dies seit einem Jahr bekämpft, in Wirklichkeit lediglich Verteidiger und Apologet des Zentrismus Kautskys vor 70 Jahren ist? Selbst unsere Minderheit glaubt dies nicht. Sie versucht lieber, die Debatte über die Gegenwart durch eine Debatte über die Vergangenheit zu verwirren.

Kommen wir zur Geschichte der USPD zurück. Es gilt zunächst an die Entwicklung der Opposition in der Sozialdemokratie gegen den Krieg zu erinnern. Der Burgfriede, besiegelt durch die von der parlamentarischen Fraktion einstimmig (mit Ausnahme von Otto Rühle) angenommenen Kriegskredite in Deutschland, verblüffte viele Mitglieder dieser Partei bis hin zur Schockstarre. Die Linke, welche den Spartakusbund gründete, war zu diesem Zeitpunkt derart reduziert worden, dass die kleine Wohnung Rosa Luxemburgs genug Platz für ihr Treffen nach dem 4. August 1914 bot.

Die Linke war nicht nur reduziert, sondern auch in verschiedene Gruppen gespalten:

  • die „Bremer Linke“, die, von den Bolschewiki beeinflusst, den sofortigen Austritt aus der Sozialdemokratie vertrat;
  • ein Kreis von Leuten rund um kleine Zeitschriften und Bulletins wie die von Julian Borchardt (sie standen der Bremer Linken nahe);
  • die Revolutionären Obleute (die wichtigste dieser Gruppen), die Vertreter der Gewerkschaften aus den Metallbetrieben Berlins zusammenfassten und die sich politisch zwischen dem Zentrum und dem Spartakusbund positionierten;
  • der Spartakusbund
  • und schlussendlich das Zentrum, das die USPD gründete.

Keine dieser Gruppen war homogen, sondern in verschiedene Tendenzen unterteilt, welche sich unaufhörlich überschnitten und kreuzten, sich annäherten und entfernten. Gleichwohl waren die Hauptachsen der Trennungen immer der Rückzug nach rechts und die Weiterentwicklung nach links. All das gibt uns einen Eindruck vom Gären innerhalb der Arbeiterklasse in Deutschland seit Kriegsbeginn (dem kritischen Punkt der Dekadenzperiode) wieder,  das sich im Verlauf des Krieges beschleunigte. Es ist unmöglich, im Rahmen dieses Artikels in die Details der Entwicklung der zahlreichen Streiks und Demonstrationen gegen den Krieg in Deutschland zu gehen. Kein anderes kriegführendes Land erlebte eine solche Entwicklung, nicht einmal Russland. Wir begnügen uns damit, einige Referenzpunkte zu geben, unter anderen die politische Rückwirkung dieses Gärungsprozesses auf die am weitesten rechts stehende Fraktion der SPD, die parlamentarische Fraktion.

Am 4. August 1914 stimmten 94 von 95 Delegierten für die Kriegskredite. Nur ein Delegierter stimmte dagegen: Otto Rühle. Karl Liebknecht unterwarf sich der Fraktionsdisziplin und stimmte dafür. Im Dezember 1914 brach Liebknecht anlässlich einer weiteren Abstimmung über die Kriegskredite mit der Fraktionsdisziplin und stimmte dagegen.

Im März 1915 fand erneut eine Abstimmung über das Budget statt, die auch neue Kriegskredite beinhaltete. „In der Budget-Abstimmung stimmten schließlich nur Liebknecht und Rühle dagegen, nachdem sich 30 Abgeordnete, mit Haase und Ledebour an der Spitze (zwei zukünftige Führer der USPD), vorher aus dem Saal entfernt hatten.“ (Ossip Flechtheim: Die Kommunistische Partei Deutschlands in der Weimarer Republik). Am 21. Dezember 1915 erfolgte erneut eine Abstimmung über Kriegskredite in Reichstag. F. Geyer erklärte im Namen von 20 Mitgliedern der SPD: „Wir lehnen die Kredite ab“. „Bei dieser Abstimmung stimmten 20 Abgeordnete gegen die Kredite, etwa 22 weitere verließen den Saal“ (ebenda).

Am 6. Januar 1916 schloss die sozialchauvinistische Mehrheit der Parlamentsfraktion Liebknecht aus, Rühle solidarisierte sich mit ihm und wurde ebenfalls ausgeschlossen. Am 24. März 1916 lehnte Haase im Namen der Minderheit der parlamentarischen Reichstags-Fraktion der SPD das zur Abstimmung stehende Budget ab. Nach der Sitzung veröffentlichte die Minderheit der SPD-Fraktion folgende Erklärung: „Die sozialdemokratische parlamentarische Fraktion hat uns heute mit 58 gegen 33 Stimmen, bei vier Enthaltungen, der aus der Fraktionszugehörigkeit entspringende Rechte beraubt… sind wir genötigt, uns zu einer sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschließen“.

Unter den Unterzeichnern dieser Erklärung findet man die meisten der zukünftigen USPD-Führer, sogar Eduard Bernstein. Die Spaltung und die daraus resultierende Existenz von zwei Gruppen der SPD im Reichstag, eine sozialchauvinistische und eine gegen den Krieg, repräsentierte mit ihren Spaltungen und den verbissenen Kämpfen in etwa das, was innerhalb der sozialdemokratischen Partei insgesamt wie auch innerhalb der Arbeiterklasse vor sich ging.

Spätestens ab Juni 1915 begann sich ein gemeinsames Vorgehen der gesamten Opposition gegen das Zentralkomitee der Partei abzuzeichnen. Es wurde ein Text in Form eines Flugblatts verbreitet, unterzeichnet von Hunderten von Mitgliedern. Es schloss mit den folgenden Worten: „... wir fordern, dass Fraktion und Parteivorstand endlich den Burgfrieden aufsagen und auf der ganzen Linie den Klassenkampf nach der Grundlinie des Programms und der Parteibeschlüsse, den sozialistischen Kampf für den Frieden eröffnen“ (ob.zit.). Kurz darauf erschien ein Manifest, das von Bernstein, Haase und Kautsky unterzeichnet war und den Titel „Das Gebot der Stunde“ trug, „in dem sie unter Berufung auf die Annexionskundgebungen eine Abkehr von der Politik der Kreditbewilligung forderten“ (ebenda).

In Folge des Ausschlusses von Liebknecht aus der Parlamentsfraktion „billigte (der Zentralvorstand der Groß-Berliner Parteiorganisationen) mit 41 gegen 17 Stimmen die von der Fraktionsminderheit abgegebene Erklärung. Eine von 320 Funktionären besuchte Kreiskonferenz des 6. Berliner Wahlkreises sprach Ledebour ihre Billigung aus“ (ebenda).

Auf der Ebene des Kampfes der Arbeiter sei an folgende Ereignisse erinnert:

  • 1915 fanden mehrere Antikriegs-Demonstrationen in Berlin mit mindestens 1.000 Teilnehmern statt;
  • anlässlich des 1. Mai 1916 organisierte der Spartakusbund eine Demonstration, an der sich 10.000 Fabrikarbeiter beteiligten;
  • im August 1916 traten nach der Verhaftung und Verurteilung Liebknechts wegen seines Auftretens gegen den Krieg 55.000 Metallarbeiter in Berlin in den Streik. Es gab auch Streiks in anderen Städten.

Diese Bewegung gegen den Krieg und gegen die sozialchauvinistische Politik, die andauerte, verstärkte sich während des gesamten Krieges und gewann nach und nach die Arbeitermassen. Mittendrin eine kleine Minderheit von Revolutionären (auch sie tastend) und eine große Mehrheit einer zaudernden zentristischen Strömung, die sich zusehends radikalisierte. So erklärten auf der nationalen Konferenz der SPD im September 1916, an der die Zentristen und der Spartakusbund als Minderheit teilnahmen, viele Redner: „Nicht die Einheit der Partei sei das Wichtigste, sondern die Einheit in den Grundsätzen. Die Massen müssten aufgerufen werden zum machtvollen Kampf gegen Imperialismus und Krieg. Der Frieden müsse erkämpft werden unter Anwendung aller Machtmittel des Proletariats.“ (ebenda).

Am 7. Januar 1917 fand eine nationale Konferenz statt, auf der sich alle Oppositionsströmungen gegen den Krieg versammelten. Von 187 Delegierten repräsentierten 35 den Spartakusbund. Eine Konferenz, die einstimmig ein Manifest annahm… verfasst von Kautsky, und eine Resolution aus der Feder von Kurt Eisner. In beiden Texten stand: „Was sie (die Opposition) forderte, war die Bereitschaft zu einem Frieden, in dem es weder Sieger noch Besiegte gibt, zu einem Frieden der Verständigung ohne Vergewaltigung“.

Wie kann man sich erklären, dass der Spartakusbund für eine solche Resolution stimmte, die total opportunistisch und pazifistisch war, jener Spartakusbund also, der durch die Stimme seines Repräsentanten Kurt Meyer „die Frage der Beitragssperre“ stellte?

Für McIntosh in seiner Vereinfachung macht eine solche Frage gar keinen Sinn: Die Mehrheit der SPD war bürgerlich geworden, also ist der Zentrismus auch bürgerlich und der Spartakusbund gleichermaßen.

(…) Hier kann man sich fragen, was die Bolschewiki und die Tribunisten in Holland auf den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal machten, wo sie, obwohl sie eine eigene Resolution vorschlugen, die die Verwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg forderte, letztendlich doch für das Manifest und die Resolution stimmten, die gleichermaßen für einen Frieden ohne Annexionen und ohne Kriegsschulden war? In der Logik von McIntosh sind die Dinge entweder schwarz oder weiß, und dies in alle Ewigkeit. Er sieht die Bewegung nicht und noch weniger sieht er die Richtung, in die die Bewegung geht. Glücklicherweise ist McIntosh kein Arzt, denn er wäre ein Unglück für jeden Kranken, wäre dieser doch von vornherein zum Sterben verdammt und würde von ihm bereits als Leichnam betrachtet.

Wir müssen hier an die Tatsache erinnern, dass, was schon auf ein Menschenleben nicht zutrifft, auf der Ebene einer historischen Bewegung wie dem Proletariat eine völlige Absurdität darstellt. Hier spielt sich der Übergang vom Leben in den Tod nicht in Sekunden, nicht in Minuten, sondern in Jahren ab. Der Moment, in dem eine Arbeiterpartei die ersten Anzeichen ihres Todes zeigt, und der Moment ihres tatsächlichen Todes sind nicht dasselbe. All das ist für einen radikalen Phrasendrescher vermutlich schwer zu verstehen, aber für Marxisten, die nicht die Gewohnheit haben, wie die Ratten das Boot zu verlassen, sobald es leckt, eine Selbstverständlichkeit. Die Revolutionäre wissen, dass sie für eine Organisation, der die Klasse das Leben geschenkt hat, kämpfen müssen, um sie zu retten, um sie für die Klasse zu behüten, solange in ihr noch ein Hauch von proletarischem Leben existiert. Vor einigen Jahren existierte eine solche Frage für die CWO noch nicht, sie existierte nicht für Guy Sabatier oder andere Phrasendrescher, für die die Kommunistische Internationale oder die Bolschewiki stets die Bourgeoisie waren. Sie existiert auch nicht für McIntosh. Revolutionäre können sich in bestimmten Momenten täuschen, doch ist für sie die hier gestellte Frage von höchster Bedeutung. Und warum? Weil die Revolutionäre keine Sekte von Suchenden sind, sondern ein lebender Teil eines lebenden Körpers, den die Arbeiterbewegung mit all ihren Höhen und Tiefen eben darstellt.

Die sozial-chauvinistische Mehrheit der SPD begriff klarer als McIntosh, welche Gefahr diese Oppositionsströmung gegen den Burgfrieden und gegen den Krieg darstellte, und schritt in großer Eile zu massiven Parteiausschlüssen. In Folge dieser Ausschlüsse erfolgte am 8. April 1917 die Gründung der USPD. Mit großen Vorbehalten und nach vielen Zweifeln schloss sich der Spartakusbund dieser neuen Partei an, stellte aber die Bedingung, dass ihm „völlige Freiheit der Kritik und Handlungsunabhängigkeit“ eingeräumt werde. Liebknecht beschrieb später das Verhältnis zwischen dem Spartakusbund und der USPD folgendermaßen: „Wir schlossen uns der USPD an, um sie vorwärtszutreiben, um sie in Reichweite zu haben und um ihr die besten Elemente zu entreißen“ (eigene Übersetzung). Ob diese Strategie in dem Moment richtig war, ist mehr als zweifelhaft, doch Eines ist klar: Eine solche Frage musste sich für Luxemburg und Liebknecht stellen, weil sie die USPD zu Recht als eine zentristische Bewegung innerhalb der Arbeiterklasse und nicht als eine Partei der Bourgeoisie betrachteten.

Es darf auch nicht vergessen werden, dass von den 38 Delegierten, die in Zimmerwald teilnahmen, die deutsche Delegation unter der Führung von Ledebour aus zehn Mitgliedern bestand, die sich wiederum aus sieben Mitgliedern der zentristischen Opposition, zwei vom Spartakusbund und einem Delegierten von der Bremer Linken zusammensetzten, und dass auf der Konferenz in Kienthal von 43 Teilnehmern sieben aus Deutschland kamen, darunter vier Zentristen, zwei vom Spartakusbund und einen Mitstreiter von der Bremer Linken. Der Spartakusbund behielt innerhalb der USPD seine volle Unabhängigkeit und verhielt sich auf den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal ähnlich wie die Bolschewiki.

Man kann nicht verstehen, was die zentristische USPD wirklich war, ohne sie in den Kontext der gewaltigen, im Kampf befindlichen Massenbewegung zu stellen. Im April 1917 brach ein Massenstreik aus, der mindestens 300.000 Arbeiter allein Berlin erfasste. Gleichzeitig brach die erste Meuterei von Matrosen aus. Im Januar 1918 gab es anlässlich der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk eine Streikwelle, an der sich ungefähr eine Million Arbeiter beteiligten. Die Organisation des Streiks war in den Händen von Revolutionären Obleuten, die der USPD nahe standen (erstaunlicherweise nahmen auch Ebert und Scheidemann an diesem Streikkomitee teil). Zum Zeitpunkt der Spaltung zählte die SPD ungefähr 248.000, die USPD 100.000 Mitglieder. 1919 zählte die USPD fast eine Million Mitglieder, dies vor allem in den großen Industriezentren. Es ist unmöglich, hier auf alle revolutionären Ereignisse in Deutschland 1918 einzugehen. Erinnern wir uns nur daran, dass am 7. Oktober der Zusammenschluss zwischen dem Spartakusbund und der Bremer Linken beschlossen wurde. Liebknecht, der aus der Haft befreit worden war, trat in die Organisation der Revolutionären Obleute ein, die Vorbereitungen für den Aufstand am 9. November trafen. Doch in der Zwischenzeit, am 30. Oktober, ereignete sich der Aufstand in Kiel. In vielen Belangen erinnert der Beginn der Revolution in Deutschland an die Februarrevolution 1917 in Russland. Vor allen was die Unreife des subjektiven Faktors, die Unreife des Bewusstseins in der Klasse angeht. Ganz wie in Russland schenkten die Rätekongresse ihr Vertrauen jenen „Vertretern“, die die schlimmsten Durchhaltepolitiker im Krieg gewesen waren: Ebert, Scheidemann, Landsberg, zu denen sich drei Mitglieder der USPD gesellten: Haase, Dittmann und Barth. Letztere waren Teil der Rechten innerhalb der Zentristen mit allem, was dazugehört wie Verlogenheit, Feigheit, Zaudern, und dienten Ebert-Scheidemann als „revolutionäre“ Bürgen zwar nur für eine sehr kurze Zeit (vom 20. 12. bis zum 29. 12. 1919), doch lange genug, um ihnen zu gestatten, mit Hilfe der Junker und Freikorps die konterrevolutionären Massaker zu organisieren.

Die halb auf Vertrauen bauende, halb auf Misstrauen sich gründende Politik gegenüber dieser Regierung, die die Führung der USPD praktizierte, erinnert eigenartigerweise an die bedingte Unterstützung der Kerensky-Regierung, die ihr von der Führung der bolschewistischen Partei bis zum Mai 1917, bis zum Triumph der Aprilthesen von Lenin, zuteilwurde. Der große Unterschied jedoch war nicht allein die Entschlossenheit der bolschewistischen Partei unter der Führung von Lenin und Trotzki, sondern auch die Macht und Intelligenz einer erfahrenen Klasse wie der deutschen Bourgeoisie, die fähig war, alle ihre Kräfte gegen das Proletariat zu sammeln, und die extreme Senilität der russischen Bourgeoisie.

Was die USPD betrifft, so teilte sie sich wie jede zentristische Strömung in eine rechte Tendenz, die sich wieder in die alte Partei einzugliedern versuchte, welche ins Lager der Bourgeoisie übergegangen war, und in eine Tendenz auf, die immer stärker ins Lager der Revolution strebte. Man traf die USPD während der blutigen Tage der Konterrevolution in Berlin und im Januar 1919 an der Seite des Spartakusbundes an, so wie man auch in den verschiedenen Konfrontationen in anderen Städten wie z.B. in München auf sie stößt. Die USPD konnte sich, wie jede andere zentristische Strömung, in den entscheidenden Prüfungen der Revolution nicht behaupten. Sie war dazu verdammt zu zerfallen, sie zerfiel.

Ab ihrem 2. Kongress (am 6. März 1919) stritten sich die beiden Richtungen gleich in mehreren Fragen (Gewerkschaften, Parlamentarismus), vor allem aber in der Frage, ob sie sich der Kommunistischen Internationalen anschließen sollen. Die Mehrheit lehnte den Eintritt ab. Die Minderheit wurde jedoch stärker, obwohl es ihr auf der nationalen Konferenz im September noch nicht gelang, die Mehrheit zu erobern. Auf dem Leipziger Kongress am 30. November desselben Jahres setzte sich die Minderheit in der Frage des Aktionsprogramms, das einstimmig angenommen wurde, bezüglich des Prinzips der Rätediktatur durch, und es wurde beschlossen, mit der Kommunistischen Internationalen in Gespräche zu treten. Im Juni 1920 begab sich eine Delegation nach Moskau, um die Verhandlungen darüber einzuleiten und am 2. Kongress der Komintern teilzunehmen.

Das Exekutivkomitee der Komintern hatte dazu einen Text vorbereitet, der ursprünglich 18 Bedingungen enthielt und nun um drei weitere ergänzt wurde. Dies sind die 21 Aufnahmebedingungen der Kommunistischen Internationalen. Nach heftigen internen Diskussionen sprach sich der außerordentliche Parteitag der USPD vom Oktober 1920 mit einer Mehrheit von 237 gegen 156 Stimmen für die Annahme dieser 21 Bedingungen und den Anschluss an die Komintern aus.

McIntosh, und hinter ihm JA, entdeckten im August 1984 die Kritik, die von Anbeginn von der Linken der Komintern daran geübt worden war, dass es zu viele Schlupflöcher für den Eintritt in die Komintern gebe. Doch wie immer ist die sehr späte Entdeckung durch unsere Minderheit nichts anderes als eine Karikatur, die ins Absurde geht. Zweifellos enthielten die 21 Aufnahmebedingungen als solche falsche Positionen, die nicht erst 1984 gesehen wurden, sondern schon damals und die von der Linken kritisiert worden waren. Doch was beweist dies? Dass die Komintern bürgerlich war? Oder nicht vielmehr, dass die Komintern in vielen Fragen von Anfang an von zentristischen Positionen durchdrungen war? Die plötzliche Empörung unserer Minderheit kann ihre Ignoranz gegenüber der Geschichte, die sie heute zu entdecken scheint, und die Absurdität ihrer Schlussfolgerung, dass der Zentrismus in der gegenwärtigen Dekadenzperiode nicht existieren könne, nur schwerlich verbergen.

Also macht sich unsere Minderheit, die Konzessionen an die Rätisten macht, zu Puristen. Offenbar scheut sie nicht, sich durch ihre Forderung nach einer reinen, jungfräulichen Partei lächerlich zu machen, eine Partei, die entweder vom Himmel fällt oder als Gottesgabe voll ausgerüstet auf die Bühne tritt. Auch wenn sie kurzsichtig ist und nicht sehr weit zurückschaut, so sollte sie doch wenigstens die kurze Geschichte der IKS betrachten und begreifen können. Woher kommen denn die Gruppen, die sich schlussendlich in der IKS zusammengefunden haben? Unsere Minderheit sollte im Übrigen damit beginnen, sich selbst und ihren eigenen politischen Werdegang anzuschauen. Woher kommen Revolution Internationale oder World Revolution oder die Sektionen in Belgien, den USA, Spanien, Italien und Schweden? Kommen sie nicht eben genau aus jenem konfusen, Anarchie-haften und oppositionellen Sumpf?

Es wird niemals ein Netz geben, das engmaschig genug wäre, um uns eine Garantie gegen das Eindringen zentristischer Elemente oder ihre Entstehung inmitten der Organisation zu geben. Ohne auf die Geschichte der gesamten Arbeiterbewegung einzugehen, zeigt uns allein die Geschichte der IKS, dass die revolutionäre Bewegung ein unaufhörlicher Klärungsprozess ist. Es reicht aus, einen Blick auf unsere Minderheit zu werfen, um sich der Summe von Konfusionen bewusst zu werden, die sie binnen eines Jahres zu leisten imstande war.

Jetzt hat McIntosh entdeckt, dass die Flut der ersten revolutionären Welle auch die Smerals, die Cachins, die Frossards und die Serratis  vor sich her getrieben hat. Hat McIntosh je von Fenster seiner Universität aus erblickt, was eine revolutionäre Flut ist?

Was die KPF angeht, so schreibt McIntosh die Geschichte ebenfalls nach seinem Geschmack um und sagt zum Beispiel, dass die Partei, die der Komintern beitrat, um Cachin-Frossard herum gruppiert war. Weiß er nichts über die Existenz des Komitees der 3. Internationalen rund um Loriot und Souvarine, die in Opposition zum Wiederaufbaukomitee von Faure und Longuet stand? Cachin und Frossard fuhren einen Zickzack-Kurs zwischen diesen beiden Komitees, um sich schlussendlich der Resolution des Komitees für die 3. Internationale zum Eintritt in die Komintern anzuschließen. Auf dem Kongress von Straßburg im Februar 1920 war die Mehrheit immer noch gegen den Eintritt. Auf dem Kongress in Tours im Dezember 1920 erhielt der Antrag für den Eintritt in die Komintern 3208 Mandate, der Antrag von Longuet für den „Eintritt unter Vorbehalten“ 1022 Mandate, und 397 Mandate enthielten sich der Stimme (die Gruppe um Blum-Renaudel).

Waren die Maschen nicht eng genug geknüpft worden? Sicherlich. Doch das hindert uns nicht daran zu verstehen, was eine ansteigende Flut der Revolution ist. Wir diskutieren darüber, ob die bolschewistische Partei, der Spartakusbund und die sozialistischen Parteien, die die Komintern gegründet oder sich ihr angeschlossen hatten, Arbeiterparteien oder bürgerliche Parteien waren. Wir diskutieren nicht über ihre Fehler, sondern über ihren Klassencharakter, und der Wirrwarr von McIntosh ist für uns dabei nicht hilfreich. So wie McIntosh nicht versteht, was eine heranreifende Bewegung ist, die sich von der bürgerlichen Ideologie zu einem Klassenbewusstsein bewegt, so wenig weiß er auch darüber, worin ihr Unterschied zu einer degenerierenden Bewegung besteht, d.h. zu einer Bewegung, die sich von der Klassenposition in Richtung bürgerlicher Ideologie entfernt.

In seiner Vorstellung von einer fixen Welt hat der Begriff der Bewegung keinen Platz. Deshalb versteht er nicht, was es heißt, eine sich annähernde Tendenz durch Kritik zu unterstützen und eine sich entfernende Tendenz kompromisslos zu bekämpfen. Vor allem aber weiß er nicht, wann der Degenerierungsprozess einer proletarischen Partei definitiv abgeschlossen ist. Ohne die ganze Geschichte der Arbeiterbewegung aufzurollen, wollen wir ihm hier einen Anhaltspunkt geben: Eine Partei ist für die Arbeiterklasse definitiv verloren, wenn aus ihrem Schoß keine  lebendige Tendenz, kein lebendiger (proletarischer) Körper mehr hervorgeht. Dies war nach 1921 bei den sozialistischen Parteien der Fall, und es war zu Beginn der 1930er Jahre bei den kommunistischen Parteien der Fall. Dies ist der Grund, warum man bis zu diesem Datum von ihnen in den Begriffen des Zentrismus sprechen konnte.

Und um abzuschließen, sollte daran erinnert werden, dass die neue Theorie von McIntosh, die die Existenz des Zentrismus in der Periode der Dekadenz ignorieren will, stark an jene Menschen erinnert, die, statt eine „peinliche Krankheit“ behandeln zu lassen, diese schlichtweg ignorieren. Man bekämpft den Zentrismus nicht, indem man ihn negiert und ignoriert. Dem Zentrismus kann, wie allen anderen Seuchen, die die Arbeiterklasse heimsuchen können, nicht begegnet werden, indem man ihn versteckt, sondern indem man ihn ins volle Licht rückt, wie Rosa Luxemburg hervorhob. Die neue Theorie von McIntosh stützt sich auf den Aberglauben der Macht der bösen Worte: Je weniger man vom Zentrismus spricht, umso besser offenbar. Für uns gilt das Gegenteil: Man muss den Zentrismus kennen und erkennen können, wissen, in welcher Periode, des Aufstiegs oder des Niedergangs, er sich befindet, und verstehen, in welche Richtung er sich bewegt. Den Zentrismus zu überwinden und zu bekämpfen ist in letzter Instanz eine Frage der Reifung des subjektiven Faktors, der Bewusstwerdung der Klasse.

MC, Dezember 1984

[1]Dieser Text wurde als Diskussionsbeitrag im Internationalen Internen Bulletin der IKS publiziert, wurde aber dann auch in der Internationale Revue Nr. 43 (engl., franz., span.) unter dem Titel „Das Konzept des „Zentrismus: Der Weg zum Verlassen der Klassenpositionen“ als Position der „Tendenz“ die sich im Januar 1985 gebildet hatte abgedruckt. In derselben Nummer gibt es auch eine Antwort auf diesen Text, mit dem Titel: „Die Zurückweisung des Begriffs Zentrismus: eine offene Türe zum Verlassen der Klassenpositionen“.      

[2]Lenin: „Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution“, Ges. Werke, Bd. 24, auch zitiert im Artikel: „Die Zurückweisung des Begriffs Zentrismus: eine offene Tür zum Verlassen der Klassenpositionen“, Internationale Revue, Nr. 43)  

[3]Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Sie wurde 1917 von der SPD-Minderheit in der SPD, die sich dem Krieg entgegengestellt hatte und 1916 aus der SPD ausgeschlossen worden war. 

[4]Das Internationale Sekretariat ist die permanente Kommission des Internationalen Büros, des Zentralorgans der IKS.

[5]JA (Judith Allen) war eine der GenossInnen, die Vorbehalte gegen die Resolution geäußert hatte, die im Januar 1984 vom Zentralorgan der IKS angenommen worden war, und den Begriff des Zentrismus im Zusammenhang mit dem Rätismus ablehnten. Sie rutschten jedoch selbst in rätistische Ansichten ab; die Mehrheit von ihnen verließ die IKS, noch bevor die Debatte beendet war, und gründeten die „Externe Fraktion der IKS“ (EFIKS), die die Zeitschrift Internationalist Perspective publizierte. Anfangs präsentierte sich diese Gruppe als „tatsächlicher Vertreter der IKS-Plattform“, sie gab jedoch Schritt für Schritt den Bezug auf unserer Plattform auf.    

[6]Im Originaltext von MC gibt es folgende Anmerkung: „Wir kommen später auf die Analyse der Natur des Zentrismus zurück, der in der Periode zwischen Kriegsende und Gründung der Kommunistischen Internationale existierte.“

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Zimmerwalder Bewegung [13]

Rubric: 

Verteidigung des internationalistischen und organisatorischen Erbes

Juli 2016

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Was steckt wirklich hinter der Nuit-debout-Bewegung?

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Allabendlich versammeln sich Tausende von Menschen insbesondere auf der Place de la République in Paris: Seit dem 31. März ist die Nuit-debout-Bewegung in den Schlagzeilen. Es handelt sich um Zusammenkünfte von Menschen unterschiedlichster Herkunft - SekundarschülerInnen und StudentInnen, ArbeiterInnen und prekär Beschäftigte, alle vom Wunsch beseelt, zusammenzukommen, zu diskutieren, die Reihen zu schließen gegen alle Unbill dieses Systems. Die Ernsthaftigkeit vieler TeilnehmerInnen ist unbestreitbar; sie sind empört über all die Ungerechtigkeit und sehnen sich im Grunde nach einer anderen Welt, einer humaneren Welt, gegründet auf Solidarität. Jedoch findet keine Weiterentwicklung des Kampfes und des Bewusstseins der Nuit- debout-Bewegung statt. Im Gegenteil, diese Bewegung führt ihre Protagonisten in eine Sackgasse und stärkt die konformistischsten Zukunftsperspektiven. Schlimmer noch, Nuit debout ist ein Vehikel der widerlichsten Ideen, wie z.B. die Personalisierung der Übel dieses Systems, indem ein paar Repräsentanten, wie die Banker und Oligarchen, an den Pranger gestellt werden. Auf diese Weise führt Nuit debout nicht nur jene in die Irre, die aus ehrlichen Motiven an ihr teilnehmen, sondern ist auch ein Schlag der Bourgeoisie gegen das Bewusstsein der gesamten Arbeiterklasse.

Die sozialistische Regierung und die Gewerkschaften Hand in Hand gegen die Arbeiterklasse

Das neue Arbeitsgesetz (bekannt als "El Khomri"-Gesetz, nach dem Namen der aktuellen Arbeitsministerin Myriam El Khomri) symbolisiert für sich genommen den bürgerlichen, anti-proletarischen Charakter der Sozialistischen Partei. Diese "Reform" wird den Lebensstandard weiter senken und die Spaltungen unter den Lohnabhängigen vergrößern, indem es sie in Konkurrenz zueinander versetzt. Das ganze Projekt ist ein Versuch, die Idee zu verbreiten, dass man über Arbeitszeiten, Tariflöhne und Entlassungen getrennt verhandeln solle...

Um diesem neue Gesetzes zur allgemeinen Akzeptanz zu verhelfen, haben die Gewerkschaften die übliche Rolle gespielt: Sie schrien Zeter und Mordio, verlangten Änderungen oder gar die Rücknahme einiger Teile des ersten Gesetzentwurfs und täuschten vor, "Druck auszuüben" auf die sozialistische Regierung, indem sie zahllose Aktionstage und Demonstrationen organisierten. Diese Gewerkschaftsumzüge, die aus Leuten bestehen, die die Straßen auf- und ablaufen und von Losungen wie: "Die Arbeiter sind auf der Straße, El Khomri, du bist im Arsch" oder "Streik, Streik, Generalstreik!" traktiert werden, ohne in der Lage zu sein, zu diskutieren und irgendetwas zu erreichen, dienen lediglich dazu, die Menschen zu demoralisieren und Gefühle der Machtlosigkeit zu verbreiten.

In den Jahren 2010 und 2011 gab es in Reaktion auf die Rentenreformen dasselbe: ein gewerkschaftlicher Aktionstag folgte dem anderen, von denen manche etliche Millionen mobilisierten, aber alle letztendlich ermöglichten, dass der Angriff durchging, und, schlimmer noch, eine Art moralische Erschöpfung verursachten, die schwer auf der gesamten Arbeiterklasse lastet. Es gibt jedoch einen beachtlichen Unterschied zu den Bewegungen von 2010 und 2011: Das Phänomen von Nuit debout profitiert von einer medialen und politischen Berichterstattung, die weitaus breiter ist und Nuit debout mit weitaus mehr Sympathie darstellt, als es üblich ist bei einer sozialen Bewegung, die behauptet, den gegenwärtigen Zustand zu bekämpfen.

Nuit debout: entstanden aus einem Plebiszit... der Bourgeoisie

"Nuit debout - das Lager des Möglichen"[1] oder "Nuit debout: die Wiedererweckung des imaginären Bürgers", wie die Zeitschrift LIBERATION formulierte. Sie schrieb auch: „Es ist von geringer Bedeutung, wie sie sich politisch entwickelt... was zählt, ist, dass wir uns auf den öffentlichen Plätzen und anderswo in Richtung einer würdigeren Tagespolitik vorwärtstasten“[2]. Diese Unterstützung ist auch auf der internationalen Ebene zu beobachten. Zahllose Medien überall auf der Welt haben den Vollversammlungen von Nuit debout ihre Aufmerksamkeit gewidmet, die ihnen zufolge die Politik und die Welt neu erfinden. Einige politische Figuren unter den gemäßigten und den extremen Linken, von denen viele den Versammlungen wohlwollend gegenüberstehen, sind geradezu lyrisch geworden. Jean-Luc Mélenchon, der Mitbegründer der Partei der Linken wie auch der Generalsekretär (neuerdings: "secrétaire national") der Kommunistischen Partei Frankreichs, Pierre Laurent, frohlockten über diese Treffen. Für Julien Bayou (EELF, die französischen Grünen) ist Nuit debout "eine Übung in Radikaldemokratie in Echtzeit". Selbst Nathalie Kosciusko-Morizet, die Vorwahl-Kandidatin der Rechten, sagt, sie habe "interessante" Slogans auf dem Platz vernommen, wie: "Wir sind nicht nur Wähler, sondern auch Bürger". Der Präsident der Republik, François Hollande, gab ebenfalls seinen Segen: "Ich finde es legitim, dass die Jugend über die Welt, wie sie heute ist, mitreden will, auch über die Politik, wie sie heute ist... Ich werde mich nicht darüber beschweren, dass Teile der Jugend die Welt von morgen erfinden möchten". Derselbe Tenor auf internationaler Ebene: für Yanis Varoufakis, dem ehemaligen Finanzminister Griechenlands, sind "diese Bewegungen (...) großartige Lichtblicke inmitten eines dunklen Himmels".

Reformismus und Demokratismus: die beiden ideologischen Pfeiler von Nuit debout

Was bedeuten diese Jubelarien von wichtigen internationalen Medien und Politikern? Die Antwort befindet sich in den beiden Gründungsdokumenten der Bewegung. Das Flugblatt, das von der Convergence des Luttes collectives am 31. März in Paris verteilt wurde und das die erste Versammlung auf der Place de la Rèpublique[3] aus der Taufe gehoben hatte, formuliert es so: "Unsere Regierungen sind der Obsession verfallen, das System bis zum Gehtnichtmehr fortbestehen zu lassen, und zwar um den Preis von 'Reformen', die immer rückschrittlicher und konformer mit der Logik eines Neoliberalismus sind, der seit 30 Jahren am Werk ist: Alle Macht gehört den Aktionären und Bossen, den privilegierten Wenigen, die sich den kollektiven Reichtum aneignen." Das Manifest hat denselben Zungenschlag: "Das Menschliche müsste im Mittelpunkt der Sorgen unserer Führer sein"[4].

Die Orientierung ist klar: Es geht darum, eine Bewegung zu organisieren, die "Druck ausübt" auf die "Führer" und die staatlichen Institutionen, um einen demokratischeren und humaneren Kapitalismus zu fördern. Dies ist die Art von Politik, die das ganze Dasein von Nuit debout kennzeichnet. Es reicht aus, die Aktionen zu betrachten, die aus den Versammlungen und Kommissionen resultieren: "ein Aperitif mit Valls" (einige Hundert Demonstranten wollten am 9. April einen Aperitif mit dem Premier haben); Demonstrationen am Élysée am 14. April im Anschluss an eine Fernsehsendung mit François Hollande; die Besetzung der Bankfiliale von BNP Paribas in Toulouse; Picknick in einem Großmarkt in Grenoble; Störung der regionalen Ratssitzung in Boulogne-Franche-Comté und der Gemeinderäte von Clermont-Ferrand und Poitiers; Errichtung einer ZAD (geschützten Zone) in Montpellier; Besetzung einer MacDonald's-Filiale in Toulouse; tags auf den Schaufenstern von Banken; Abstellen von Müll vor den Türen einiger Pariser Rathäuser, etc.

Die beliebtesten Vorschläge auf der Pariser Generalversammlung sind ebenfalls aufschlussreich hinsichtlich der politischen Orientierung auf einige oberflächliche oder scheinradikale Modifikationen des kapitalistischen Systems: Demonstrationen für eine "ökologische Demokratie", für einen lebenslangen Lohn, einen Minimallohn, für die Kürzung hoher Einkommen, für Vollbeschäftigung, organische Landwirtschaft, bessere Behandlung von Minderheiten, für Demokratie durch Verlosung, mehr Einsatz des Staates für die Bildung, insbesondere in den verarmten Vorstädten, transatlantische Partnerschaft in Handel und Investitionen, etc.

Bezüglich der Gewerkschaften schrieb Marx 1865: "Statt des konservativen Mottos: 'Ein gerechter Tageslohn für ein gerechtes Tageswerk!' sollte sie auf ihren Banner die revolutionäre Losung schreiben: 'Nieder mit dem Lohnsystem!'." (Lohn, Preis und Profit) Genau diese revolutionäre Logik wird von jenen, die die Fäden  hinter Nuit debout spinnen, bewusst verneint, um die junge Generation, die Fragen zu dieser Gesellschaft stellt, auf ein vermintes Terrain zu führen: den Reformismus und die Wahlurne.

Die Forderung, die dies am deutlichsten versinnbildlicht, ist zweifellos der Ruf nach einer neuen Verfassung, die eine "soziale Republik" etablieren soll. So ist laut dem Ökonomen Frédéric Lordon, einem der Initiatoren von Nuit debout, "der erste Akt der Wiederaneignung (...) die Neuschreibung der Verfassung... was ist die soziale Republik? Sie nimmt die demokratische Idee, die 1789 gestellt wurde, ernst"[5].

Dies bringt es auf den Punkt: Das zentrale Anliegen all jener, die Nuit debout auf die Beine gestellt haben, ist es, eine "wahre Demokratie" zu errichten, wie sie von der Französischen Revolution 1789 verheißen wurde. Doch was zweieinhalb Jahrhunderte zuvor revolutionär gewesen war, nämlich die Installierung der politischen Macht der Bourgeoisie in Frankreich, die Überwindung des Feudalismus durch die Entwicklung des Kapitalismus, das nation building - all dies ist heute hoffnungslos reaktionär geworden. Dieses Ausbeutungssystem ist dekadent. Es geht nicht darum, es besser zu machen, denn dies ist unmöglich geworden, sondern darum, darüber hinauszugehen, es durch eine internationale proletarische Revolution zu überwinden. Doch hier wird die Illusion verbreitet, dass der Staat ein neutraler Mittler ist, auf den wir Druck ausüben müssen oder den wir gar vor den Aktionären, den korrupten Politikern, den gierigen Bankern, den Oligarchen schützen müssen, wo doch in Wirklichkeit der Staat der höchste Repräsentant der herrschenden Klasse und der schlimmste Feind der Ausgebeuteten ist.

Vor allem dürfen wir nicht die Gefahr unterschätzen, wenn wir uns auf die Banker, Aktionäre, korrupten Politiker einschießen. Diese Methode, diese oder jene Person statt das Ausbeutungssystem als Ganzes zu beschuldigen, hat keine andere Bedeutung als den Schutz der gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus. Sie ersetzt den Klassenkampf, den Kampf gegen den Kapitalismus und für eine andere Welt durch den Hass, der sich gegen Individuen richtet, die lediglich von der Macht entfernt werden müssten, damit angeblich alle Übel der Gesellschaft wie durch Zauberhand verschwänden.[6]

Nuit debout - die Anti-Indignados

Nuit debout behauptet, die Fackel der Bewegungen von 2006 und 2011 aufgenommen zu haben. Doch in Wahrheit macht sie ein Zerrbild aus ihnen, indem sie völlig deformiert, was die Stärke der Bewegung gegen den CPE und der Indignados war, alle Diskussionen nach der Optik der Bürgerrechte und der republikanischen Werte gestaltet und Denkprozesse auf das Problem einengt, wie man den Kapitalismus menschlicher und demokratischer machen könne.

2006 debattierten die Studenten in Frankreich in wirklich souveränen Vollversammlungen, die zur freien Rede ermutigten. Sie hatten auch das Anliegen, die Bewegung auf die Beschäftigten, auf die Ruheständler[7], auf die Arbeitslosen auszuweiten, in erster Linie indem sie ihnen ihre Vollversammlungen öffneten, indem sie Forderungen aufstellten, die über den einfachen Rahmen der CPE hinausgingen[8], und alle spezifisch studentischen Forderungen beiseite stellten. Fünf Jahre später, 2011, erlebten wir mit den Indignados in Spanien und der Occupy-Bewegung in den USA und Israel Ausdrücke derselben vitalen Notwendigkeit, zusammenzukommen und über die Übel dieses kapitalistischen Systems, das auf Ausbeutung basiert, über Ausgrenzung und anderes Leid zu diskutieren. Diesmal fanden die Versammlungen nicht in Lesesälen und Theatern, sondern auf den Straßen und Plätzen statt.[9]

Auch wenn der Kontext ein anderer ist, haben wir in der Indignados-Bewegung dieselben Drahtzieher erlebt wie in der Nuit-debout-Bewegung. Die "alternativen Drittweltler" von DRY (Wirkliche Demokratie Jetzt) versteckten sich hinter der Maske der "Anti-Politik", um jegliche wirkliche Diskussion zu sabotieren. Sie versuchten damals auch, die Energien zum Nachteil der Debatten in den Vollversammlungen in "Kommissionen" und in der Frage zu kanalisieren, die "richtige Wahl" bei den Urnengängen zu treffen (Podemos war/ist der Höhepunkt dieser Herangehensweise). Doch damals war die soziale Bewegung tiefer. Ihre Teilnehmer besaßen oft die Stärke, den Kampf in ihre eigenen Hände zu nehmen; parallel zur DRY wurden wirkliche Vollversammlungen, angeregt durch ersthafte Debatten und Denkprozesse über die Gesellschaft, abgehalten, wobei dies von den Medien völlig ausgeblendet wurde. Damals schrieben wir:

"Am Sonntag, den 22., Wahltag, proklamierte DRY (statt eines weiteren Versuchs, die Versammlungen zu beenden), dass 'wir unsere Ziele erreicht haben' und dass die Bewegung beendet werden müsse. Die Antwort war eindeutig: 'Wir sind nicht hier, um zu wählen'. Am Montag, den 24., erreichten die Versammlungen sowohl in der Anzahl ihrer TeilnehmerInnen als auch, was den Reichtum ihrer Debatten angeht, ihren Höhepunkt. Interventionen, Losungen, Plakate nahmen stark zu und brachten einen tiefen Denkprozess zum Ausdruck: 'Wo ist die Linke? Sie ist hinter der Rechten', 'Die Umfragen können unsere Träume nicht zurückhalten', '600 Euros im Monat, das ist ziemlich gewalttätig', 'Wenn ihr uns nicht träumen lasst, dann werden wir euch am Schlafen hindern', 'Keine Arbeit, kein Zuhause, keine Angst', 'Sie täuschten unsere Großeltern, sie täuschten unsere Kinder, sie werden nicht unsere Enkel täuschen'. Sie zeigten auch ein Bewusstsein für die Perspektiven: 'Wir sind die Zukunft, der Kapitalismus ist die Vergangenheit', 'Alle Macht den Versammlungen', 'Es gibt keine Evolution ohne Revolution', 'Die Zukunft beginnt jetzt', 'Glaubt ihr immer noch, dass dies eine Utopie ist?' Es war jedoch vor allem die Demonstration in Madrid, die ab dem 19. Juni ein Hauptaugenmerk auf die Perspektiven für die Zukunft legte. Zu dieser Demonstration aufgerufen hatte eine Organisation, die aus der Arbeiterklasse und ihren aktivsten Minderheiten stammte. Der Leitgedanke dieser Zusammenkunft war: 'Demonstration und Einheit gegen Krise und Kapital'. Es wurde erklärt: 'Nein zu Lohnkürzungen und Rentenkürzungen; gegen Arbeitslosigkeit der Arbeiterkampf; Nein zu Preiserhöhungen, Ja zu Lohnerhöhungen, Steuererhöhung für jene, die am meisten verdienen, Schutz unseres öffentlichen Dienstes, Nein zur Privatisierung von Gesundheit und Bildung... Lang lebe die Arbeitereinheit'."[10]

Wir teilen nicht sämtliche, von den Indignados erhobenen Forderungen. Auch unter ihnen waren Schwächen, Illusionen über die bürgerliche Demokratie sehr präsent. Doch die Bewegung wurde von einer proletarischen Dynamik angetrieben und schloss eine tiefreichende Kritik am System, am Staat, an den Wahlen mit ein. Sie begann einen Kampf gegen die Organisationen der Linken und Linksextremen, die alle ihre politischen Kräfte aufwandten, um das Nachdenken einzuschränken und es hinter die Grenzen dessen zu drängen, was für den Kapitalismus noch akzeptabel ist.

Die gegenwärtige Schwäche unserer Klasse hat bedeutet, dass es solcher proletarischer Kritik nicht möglich gewesen ist, sich aus Nuit debout heraus zu entwickeln, und dass der Wunsch, zusammenzukommen und zu diskutieren, keine weiteren Früchte getragen hat. Die Bourgeoisie hat ihre Lehren aus den früheren Bewegungen gezogen; sie hat sich gut vorbereitet und manövriert sehr intelligent, indem sie Nutzen zieht aus der gegenwärtigen Schwäche des Proletariats. Heute sind es Attac, die Neue Antikapitalistische Partei, die Linksfront und all die Experten des Reformismus und der so genannten "Wirklichen Demokratie jetzt" (DRY), die die Kontrolle über Nuit debout ausüben und sich an der Verwirrung des Proletariats, seinem Mangel an Perspektiven, seiner Schwierigkeit, sich selbst als Klasse anzuerkennen, schadlos halten. Diese Gruppen besetzen das soziale Terrain und handeln auf diese Weise am effektivsten für den Kapitalismus.

Der wirkliche Charakter von Nuit debout

Über eins müssen wir uns im Klaren sein: Es gab nichts Spontanes an Nuit debout. Sie ist über einen langen Zeitraum von den radikalen Vertretern des Kapitalismus vorbereitet und organisiert worden. Hinter dieser "spontanen" und "apolitischen" Bewegung lauern die Fachleute, die linken und linksextremen Gruppierungen, die die "Anti-Politik" als Mittel zur Kontrolle nutzen. Der Appell vom 31. März hatte bereits diese professionelle Dimension:

"Im Programm: Animationen, Entspannung, Konzerte, Informationsbörse, eine Permanente Bürgerversammlung und alle Arten von Überraschungen." Nuit debout hatte ihren Ursprung in einer öffentlichen Versammlung, die am 23. Februar in der Pariser Bourse de Travail  organisiert wurde. Dieses Treffen, auf den Namen "Macht ihnen Angst!" getauft, wurde von den enthusiastischen Reaktionen auf den Film von  François Ruffin, "Merci Patron!", angeregt. Es wurde beschlossen, die Place de la République nach dem Ende der Demonstration vom 31. März zu besetzen.

"Es traf sich ein 'Pilot'-Kollektiv von 15 Leuten: Johanna Silva von der Zeitschrift FAKIR, Loïc Canitrot vom Ensemble Jolie Môme, Leila Chaibi vom Kollektiv Schwarzer Dienstag, ein Mitglied vom Verein Les Engraineurs und ein Student von der Sciences Po, der Ökonom Thomas Couttrot und Nicolas Galepides von der Sud-PTT... Der Verein Droit au Logement bot seine rechtliche und praktische Unterstützung an, auch die 'alternativen Drittweltler' von Attac sowie der Gewerkschaftsbund Solidaire traten dem Kollektiv bei. Das anfängliche Kollektiv trat an den Ökonomen Frédéric Lordon mit der Bitte heran, die erste Pariser Nacht am 31. März zu eröffnen. Seine Idee, 'Für die soziale Republik', würde ein Echo in den Werkstätten finden, die gebildet wurden, um eine neue Verfassung in Paris und Lyon zu schreiben..." Diese wenigen Zeilen von Wikipedia (von uns aus dem Französischen übersetzt) zeigen, wieviel die offiziellen politischen Kräfte, Gewerkschaften, linke Vereinigungen, etc. dazu beitrugen, die Nuit-debout-Bewegung aufzubauen und die Regie in ihr zu übernehmen.

Wer ist namentlich François Ruffin? Als Chefredakteur der linken Zeitung FAKIR steht er der Linksfront und der CGT nahe. Sein Ziel ist es, Druck auf den Staat und seine Repräsentanten auszuüben oder, um seine eigenen Worte zu benutzen, "ihnen Angst zu machen". Damit eine Bewegung erfolgreich ist, muss sie sich ihm zufolge vergewissern, dass "die Straßenschlacht und die Ausdrucksform durch die Wahlurne zusammenkommen", wie 1936 oder "gar 1981". Dies ist ein Versuch, uns vergessen zu machen, dass 1936 die Mobilisierung der Arbeiterklasse für den Zweiten Weltkrieg vorbereitete; was 1981 angeht, so versetzte diese so genannte "soziale Bewegung" die Sozialistische Partei in die Lage, an die Macht zu gelangen und eine höchst wirksame, seit Jahrzehnten ungekannte gegen die Arbeiterklasse gerichtete Politik auszuführen! Dies ist die wahre Agenda von Nuit debout: ein Unternehmen, das darauf abzielt, all seine Mitglieder, die in gutem Glauben und voller Hoffnung sind, glauben zu machen, dass die kapitalistische Gesellschaft menschlicher gestaltet werden kann, wenn man den richtigen Parteien, d.h. der Sozialistischen Partei oder den Linksextremen, seine Stimme gibt.[11]

Diese Initiative ist von der Linken in der Sozialistischen Partei und den Linksextremen aus Sicht der Bourgeoisie zu einem höchst willkommenen Zeitpunkt ergriffen worden: in einem Jahr der Präsidentschaftswahlen, als sich die Glaubwürdigkeit der SP im Keller befand. Darum geht es kurz- und mittelfristig: um die Fähigkeit der Bourgeoisie, eine neue Linke zu schaffen, die etwas Glaubwürdigkeit in der Arbeiterklasse besitzt, eine "radikale, alternative, demokratische" Linke. Wir erleben dieselbe Dynamik in einer Reihe von anderen Ländern, mit Podemos in Spanien und Sanders in den USA. Es ist nicht ausgemacht, dass dieser Teil des Manövers, seine parlamentarische Dimension, erfolgreich für die Bourgeoisie ausgehen wird, d.h. dass es zu einer Mobilisierung für die Wahlen führen wird, weil die Arbeiterklasse von allen politischen Parteien zutiefst angewidert ist. Gleichzeitig sind die Versuche von François Ruffin, die Teilnehmer von Nuit debout in die Gewerkschaften[12], insbesondere in die CGT, zu drängen, bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt. Andererseits ist die Ideologie, die von dieser Bewegung transportiert wird, die Idee der Bürgerrechte, die dazu dient, die Klassenidentität des Proletariats zu verwässern, und die Tendenz zur Personalisierung statt zur Schlacht gegen das kapitalistische System ein besonders tückisches und wirksames Gift für die Zukunft.

Nuit debout ist, noch mehr als das Produkt eines neuen Manövers der Linken und Linksextremen, das Symbol für die wirklichen Schwierigkeiten der ArbeiterInnen, sich selbst als eine Klasse zu betrachten, als gesellschaftliche Kraft, die in sich die Zukunft der gesamten Menschheit trägt. Und diese Schwierigkeiten sind nicht nur vorübergehend; sie sind Teil eines tiefen historischen Prozesses, der in der Gesellschaft abläuft. Die Saat aus den Bewegungen wie dem Kampf gegen den CPE oder der Indignados, die Ausdruck eines realen Bedürfnisses des Proletariats waren, seinen Kampf weiterzuentwickeln, schlummert heute gewissermaßen im Permafrost. Was die alten Bewegungen angeht, wie jene, die 1871 zur Pariser Kommune und 1917 zur Oktoberrevolution führten, so sind sie vergessen und begraben unter einem Wust von Lügen.

Doch wenn sich die gesellschaftliche Atmosphäre unter den Schlägen der Krise und der unvermeidlichen Zuspitzung der Attacken gegen unsere Lebensbedingungen aufheizt, dann können einige Blumen zu blühen beginnen. Dieses Vertrauen in die Zukunft stützt sich auf das Bewusstsein, dass das Proletariat eine historische Klasse ist, die in sich eine andere Welt trägt, welche frei von Ausbeutungsverhältnissen sowie notwendig und möglich für die Menschheit ist.

Germain, 15.5.16

[1] https://www.liberation.fr/france/2016/04/03/nuit-debout-le-camp-des-possibles_1443749 [14]

[2] https://www.liberation.fr/debats/2016/04/13/debout-ranimons-l-imaginaire-citoyen_1445937 [15]

[3] www.convergence-des-luttes.org/communiques-de-presse/communique-31-mars-2016/ [16]

[4] https://www.nuitdebout.fr/#header [17]

[5] https://www.monde-diplomatique.fr/2016/03/LORDON/54925 [18]

[6] Dieses Anprangern der Oligarchie ähnelt stark der Fixierung Donald Trumps auf das US-Establishment. Unterschiedlich im Auftreten, basiert beides auf derselben Ideologie, nämlich der der Personalisierung.

[7] Eines der beliebtesten Banner lautete "Vieux croûtons, jeunes lardons, la même salade", was wir etwa mit "Alte Gurken, junges Gemüse - derselbe Salat" übersetzen könnten.

[8] Über den CPE siehe "Thesen über die Studentenbewegung in Frankreich im Frühling 2006", /content/876/thesen-ueber-die-studentenbewegung-frankreich-im-fruehling-2006 [19].

[9] https://de.internationalism.org/bilanzspangriechisrael [20]

[10] Aus unserem Artikel "Die Proteste in Spanien - eine Bewegung, die die Zukunft ankündigt", https://en.internationalism.org/ir/146/editorial-protests-in-spain [21].

[11] Um zu verstehen, wie Ruffin und die anderen Urheber von Nuit debout ticken, siehe unseren Artikel auf der französischen Website über den Film "Merci Patron!": https://fr.internationalism.org/revolution-internationale/201605/9374/merci-patron-denaturation-ce-qu-lutte-classe [22]. Siehe auch: www.liberation.fr/france/2016/02/24/qui-est-francois-ruffin-le-realisateur-de-merci-patron_1435301 [23].

[12] "Ich hoffe, dass wir einen sehr großen 1. Mai haben, dass die Demonstration auf der Place de la République endet und dass wir mit den Gewerkschaften, die gegen das Arbeitsgesetz sind, eine Massenkundgebung abhalten."

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Klassenkampf in Frankreich

September 2016

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Die Repression zeigt das wahre Gesicht der Demokratie

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Frankreich: Die Bewegung gegen das El Khomri-Gesetz

Eine Szene, die am 24. März von einem Mobiltelefon gefilmt wurde, machte in den sozialen Medien die Runde: Drei Polizisten drücken einen Schuljungen zu Boden; als der Junge aufsteht, schlägt ihm ein Polizist ins Gesicht. Und dies ist nur ein Beispiel unter anderen. Die Polizeirepression war während der Bewegung gegen das El Khomri-Gesetz extrem. Mit der Zustimmung der Regierung, die "sozialistisch" zu sein vorgibt, doch seit einigen Monaten ein Klima der außerordentlichen Sicherheit erzeugt, wurde jede Blockade von Schulen, Universitäten oder Raffinerien zum Schauplatz der Brutalität durch die Ordnungskräfte. Vor allem die junge Generation zahlt den Preis für diese Muskelspiele, Schlägereien und Provokationen. Als ob es notwendig geworden ist, die Kinder von ArbeiterInnen von klein auf mit den Kräften der bürgerlichen Ordnung zu beeindrucken.

Der Staat hat den Boden für die Repression sehr gut vorbereitet. Wie wir in unseren Artikeln über die terroristischen Angriffe in Paris im Januar und November 2015 geschrieben haben, schuf der unerhörte Ausbau des Netzes von Polizeikontrollen und der Ausnahmezustand, der ausgerufen worden war, auf materieller wie auf ideologischer Ebene eine Situation, in der Repression und Polizeiprovokationen leichter ausgeübt werden können, besonders indem das Phänomen der "casseur" (Randalierer) als wichtiges Alibi für Polizeieinsätze ausgenutzt wird.

Der repressive Charakter des bürgerlichen Staates

Der Staat und seine Repressionskräfte sind das Produkt unversöhnlicher Klassengegensätze und das Instrument für die Ausbeutung der Unterdrückten ausschließlich zu Diensten der Bourgeoisie. Wie wird die "Ordnung" aufrechterhalten? "'Damit aber diese Gegensätze, Klassen mit widerstreitenden Interessen, nicht sich und die Gesellschaft in fruchtlosem Kampf verzehren, ist eine scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht nötig geworden, die den Konflikt dämpfen, innerhalb der Schranken der 'Ordnung' halten soll; und diese, aus der Gesellschaft hervorgegangne, aber sich über sie stellende, sich ihr mehr und mehr entfremdende Macht ist der Staat (...) Diese öffentliche Gewalt existiert in jedem Staat; sie besteht nicht bloß aus bewaffneten Menschen, sondern auch aus sachlichen Anhängseln, Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art (...)' Das stehende Heer und die Polizei sind die Hauptwerkzeuge der Gewaltausübung der Staatsmacht..." [1] Die Realität der Polizeigewalt ist also weder neu, noch ein Unfall der Geschichte, noch das Produkt einer nicht perfekten Verwirklichung der Demokratie; sie ist ein klarer Ausdruck des zutiefst unterdrückerischen Charakters des Staates. Die herrschende Klasse ist angesichts eines jeglichen Ausdrucks, der ihre gesellschaftliche Ordnung in Frage stellt, stets außerordentlich brutal gewesen. Die Bourgeoisie hat versucht, jede Herausforderung durch das Proletariat mit Feuer und Schwert zu ersticken. So setzt die Polizei heute auf denselben Bürgersteigen den Schlagstock gegen die Arbeiterjugend ein, auf denen 1871 die Versailler Armeen die Pariser Kommune in ihrem Blut ertränkt hatten.

Von Anbeginn der Arbeiterbewegung wurden die revolutionären Organisationen nicht nur mit der Staatsgewalt konfrontiert, sondern auch mit der Frage der Zufluchtnahme zur Gewalt in den Reihen des Proletariats. Gewalttätige Aktionen sind nie als ein Ausdruck der politischen Stärke der Bewegung betrachtet worden, sondern müssen in einem allgemeineren Kontext gesehen werden. Selbst wenn sie sich gegen die Ordnungskräfte richten, sind sie häufig nicht mehr als individuelle Antworten, die die Gefahr der Unterminierung der Klasseneinheit enthalten. Dies bedeutet nicht, dass die Arbeiterbewegung "pazifistisch" ist. Sie benutzt zwangsläufig eine bestimmte Form der Gewalt: die Gewalt des Klassenkampfes gegen den bürgerlichen Staat. Doch hier handelt es sich um eine unterschiedliche, befreiende Form, die von einem bewussten Schritt begleitet ist, der nichts mit der Gewalt und Brutalität der herrschenden Klassen zu tun hat, deren Macht durch Terror und Repression aufrechterhalten wird. So gestattete die Erfahrung eines Proletariats, das sich Stück für Stück als eine gesondert organisierte und bewusste Klasse konstituiert hatte, ihm, sich allmählich gegen die unvermittelte Versuchung einer blinden Gewalt zur Wehr zu setzen, die eines der Kennzeichen der ersten ArbeiterInnenunruhen gewesen war. So erhoben sich im 18. Jahrhundert nahezu überall in Europa zahllose ArbeiterInnen äußerst gewaltsam gegen die Einführung der Webmaschinen, indem sie sie zerstörten. Diese gewaltsamen Aktionen ausschließlich gegen die Maschinen waren das Produkt eines Mangels an Erfahrung und Organisation in der Kindheit der Arbeiterbewegung. Wie Marx betonte: "Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Exploitationsform übertragen lernt." [2]

Die "Randalierer" - ein vom Zerfall begünstigtes Phänomen

Andererseits gibt es eine Reihe von politischen Ausdrücken, die im 20. Jahrhundert auftauchten und die der binden Gewalt auf mannigfaltige Weise nachgegeben hatten. Dies war besonders nach 1968 der Fall, zum Beispiel in Italien, angeregt von "operaistischen" Ideologien [3], oder in Deutschland unter den vielen "autonomen" Tendenzen. Diese Strömungen drückten einen Mangel an Reflexion und Orientierung über die Mittel aus, die für eine politische Konfrontation des Kapitalismus nötig sind. In Berlin zum Beispiel sind seit den 1980er Jahren die Konfrontationen zwischen Polizei und allen Arten von "Randalierern" zu einem Ritual geworden, in dem Letztgenannte die Konfrontation mit der Polizei suchen, dabei Geschäfte und Autos zerstören und dies fäschlicherweise mit der "revolutionären" Tat identifizieren.

Heute drücken diese "autonomen" Kräfte, die seitens des Staates immer mehr mit dem "Terrorismus" gleichgesetzt werden, das Unvermögen und den politischen Leeraum aus, der von der großen Schwäche  einer Arbeiterklasse hinterlassen wurde, welcher es, auch wenn sie in der Lage gewesen war, aus Jahrzehnten einer traumatischen stalinistischen Konterrevolution hervorzutreten, bis dato nicht gelungen ist, sich selbst als gesellschaftliche Klasse zu erkennen, indem sie sich ihrer authentischen Kampfmittel und somit ihrer kommunistischen Perspektive vergewissert. Desorientiert, ohne jegliches Vertrauen in die eigene Stärke ist es dem Proletariat nicht gelungen, seine eigene Identität und noch weniger seine historische Macht anzuerkennen. So überlässt es das Feld all den unduldsamen, aufgebrachten Jungen, die bar jeder politischen Erfahrung und - momentan - jeder Zukunftsperspektive sind.

Dies erklärt größtenteils die Anziehungskraft, die die Methoden der "Autonomen" und "Randalierer" auf junge Menschen ausüben, oder den Erfolg nebulöser Theorien wie jene, die von einem gewissen "Unsichtbaren Komitee" in der Broschüre "Der kommende Aufstand" [4] artikuliert wird. Hier lesen wir: "Die Offensive, die den Zweck hat, das Territorium von der polizeilichen Besatzung zu befreien, ist bereits im Gang und kann auf die unerschöpflichen Reservoirs der Verbitterung zählen, die diese Kräfte gegen sie selbst vereint hat. Die 'sozialen Bewegungen' sind nach und nach für die Randale gewonnen worden." Diese Art von Diskurs, der von einer erklecklichen Anzahl von Autonomen, die sich unter etlichen Bannern sammeln (Schwarze Blöcke, Verteidiger von "autonomen Zonen", einige Antifaschisten), mehr oder weniger geteilt wird, hat sie immer mehr in den Vordergrund der gesellschaftlichen Bühne gerückt. Seit einigen Jahren drücken immer größere Teile der Jugend, die unter der gesellschaftlichen Gewalt des Kapitalismus, der Prekarität und Arbeitslosigkeit leiden, ihre Wut und Verzweiflung in mitunter gewaltsamen Revolten aus. Ihr Hass auf den ganzen Scheiß verleitet sie auf Demonstrationen schnell dazu, die Ordnungskräfte zu konfrontieren. Einige von den Jungen sind den Einflüssen und Taten der "Randalierer" oder "autonomer" Gruppen ausgesetzt, die sich selbst durch unfruchtbare Aktionen wie das Demolieren von Eigentum, das Zerschlagen von Fensterscheiben, etc. auszeichnen, welche leider eine gewisse Faszination auf die Verzweifelten ausüben.

Es geht nicht darum, eine Parallele zu ziehen zwischen der Staatsgewalt in Gestalt einer erheblich aufrüsteten Polizei, und der Gewalt einiger Demonstranten, die mit ein paar schwachen Wurfgeschossen bewaffnet sind, als sei Erstere die "legitime" Konsequenz aus Letzterem. Die bürgerliche Presse macht genau dies auf schamlose Weise. Doch das Problem dieser fruchtlosen Gewalt, dieser Prügeleien mit der Polizei ist, dass der Staat sie perfekt zu seinem Vorteil nutzen kann. So hat die Regierung all diese "Randalierer" und "Autonomen" mutwillig in eine Falle gelockt, um den Proletariern in ihrer Gesamtheit "die Tatsache zu demonstrieren", dass Gewalt und Revolte zwangsläufig ins Chaos führen. Die Schäden am Necker-Krankenhaus in Paris veranschaulichen dies perfekt. Am 14. Juni griff die Polizei mit ungewöhnlicher Härte eine Demonstration an, die an einem Kinderkrankenhaus vorbeiführte. Gruppen von Randalierern hatten zuvor, wahrscheinlich von Agents provocateurs angestiftet [5] und unter den Augen von etlichen, passiv bleibenden Kompanien der CRS-Bereitschaftspolizei, einige Krankenhausfenster zerschlagen. An diesem Abend hatte die bürgerliche Presse ihren großen Tag; man wurde mit den empörten Erklärungen der Regierung traktiert, die es nicht versäumten, die Gelegenheit zu nutzen, um die "Radikalen" gegen die kranken Kinder auszuspielen. So lenkt die Bourgeoisie die Aufmerksamkeit auf die gewalttätigsten Elemente an den Rändern einer gebeutelten Jugend, dem Opfer der bürgerlichen Ordnung, um die Brutalität der Polizeirepression zu legitimieren. Um den Staat und seine Institutionen nachdrücklich als letztes Bollwerk gegen jene darzustellen, die die "öffentliche Ordnung" und die Demokratie bedrohen, lenken die Medien die Aufmerksamkeit auf die geradezu symbolhafte Zerstörung, die von den "Randalierern" verübt worden sei. Dies hat auch den Effekt, die Demonstranten zu spalten, um Misstrauen innerhalb der Arbeiterklasse zu säen und vor allem um den leisesten Hauch von Solidarität und einer revolutionären Perspektive zu ersticken. Weit entfernt davon, das System zu erschüttern, gestatten diese Phänomene  der Bourgeoisie, alle Formen des Kampfes gegen den Staat zu verunglimpfen, vor allem aber die revolutionäre Perspektive wirksamer zu deformieren. Die Gewaltmanifestationen von heute sind sowohl die Widerspiegelung der Schwächen des Klassenkampfes als auch das Produkt des gesellschaftlichen Zerfalls, einer allgemeinen Atmosphäre, die Verhaltensweisen freien Lauf lässt, die typisch sind für Gesellschaftsschichten, die keine Zukunft haben, die unfähig sind, der Barbarei des Kapitalismus eine andere Perspektive entgegenzusetzen, abseits der blinden und nihilistischen Wut. Andere Aktionen von rebellischen Minderheiten (wie die Molotowattacke am 18. Mai gegen zwei Polizeibeamte in ihrem Wagen am Rande einer Versammlung), die offensichtlich Produkte eines Rachegeistes sind, werden ebenfalls bis zum Gehtnichtmehr vom Staat und seiner Presse ausgenutzt, um den "Hass auf die Polizei" anzuprangern.

Die ganze Existenz der Arbeiterbewegung hindurch ist deutlich worden, dass die Entwicklung des Kräfteverhältnisses gegenüber ihrem Klassenfeind einen völlig anderen Verlauf nimmt und unter Verwendung radikal andere Methoden stattfindet. Um einige Beispiele zu nennen: Im Sommer 1980 mobilisierten sich die Arbeiter in Polen angesichts der drohenden Repression in den Städten Gdansk, Gdynia und Sopot massiv über alle Bereiche hinweg, so dass die Regierung einlenken musste. Als der Staat drohte, militärisch zu intervenieren, um sie zu unterdrücken, drohten die ArbeiterInnen von Lublin aus Solidarität mit den Betroffenen umgekehrt damit, die Eisenbahnen lahmzulegen, die die russischen Kasernen in der DDR mit der Sowjetunion verbanden. Der polnische Staat trat letztendlich den Rückzug an. Angesichts der vergangenen Repression 1970 und 1976 gründete sich die Antwort der ArbeiterInnen nicht auf Rache, sondern auf das Gedenken und die Solidarität.[6] In jüngerer Zeit und in einem anderen Kontext übernahm in Frankreich zurzeit der Kämpfe gegen den CPE 2006 die proletarisierte Jugend der Universitäten die Kontrolle über ihre Kämpfe, indem sie sich selbst in Vollversammlungen organisierte, die allen offenstanden, um ihre Bewegung auszuweiten. Die Villepin-Regierung, die eine Ausweitung befürchtete, musste den Rückzug antreten. 2011, zurzeit der Indignados-Bewegung in Spanien, trafen sich die Menschen in Straßenversammlungen, um zu diskutieren, Erfahrungen auszutauschen und so einen gemeinsamen Willen zum Kampf zu schmieden. Die spanische Bourgeoisie versuchte, diese Dynamik zu brechen, indem sie Konfrontationen mit der Polizei provozierte und indem sie eine Medienkampagne gegen die "Randalierer" entfachte. Doch die Stärke und das Vertrauen, das sich in offenen Versammlungen artikulierte, erlaubte dem Proletariat, mit Massendemonstrationen zu antworten, besonders in Barcelona, wo Tausende von Menschen in der Lage waren, den Polizeiattacken etliche Male mutig zu trotzen.

So ist es nicht die Gewalt an sich, der Rachedurst, die isolierte und minoritäre Tat, die die Macht einer Bewegung gegen einen kapitalistischen Staat ausmacht, sondern im Gegenteil die Dynamik der bewussten Aktion mit der Perspektive, den Kapitalismus zu stürzen und zu zerstören.

Die Stärke unserer Klasse liegt genau in ihrer Fähigkeit, der Polizeiprovokation massiv und bewusst die Stirn zu bieten.

Der am lebendigen Leib verrottende Kapitalismus generiert eine Tendenz zur Fragmentierung der sozialen Bande und entwertet alle Bemühungen um ein kohärentes Denken, indem er zu "Aktionen um der Aktion willen" und zu simplen Sofortlösungen drängt[7], genährt von einer wachsenden Unzufriedenheit und Verbitterung, einem Rachegeist, der zum Aufkommen winziger Gruppen ermutigt, die das dankbare Opfer der Polizeiprovokationen und der Manipulationen sind. Häufig kommen die gewalttätigsten Elemente aus zerfallenden kleinbürgerlichen Schichten oder aus einer deklassierten Intelligentsia, die sich im Aufruhr gegen die Barbarei des kapitalistischen Systems befindet. Ihre Taten, die sich durch den Individualismus auszeichnen und blind vor Hass und Ungeduld sind, sind Ausdrücke eines unmittelbaren Antriebs und oftmals ohne jegliches reale Ziel. Es sind dieselben nihilistischen Wurzeln, die andere junge Menschen wiederum dazu veranlassen, in den Dschihad zu ziehen.

Die Bourgeoisie nutzt auch die Gewalt und Zerstörung, die viele Demonstrationen begleiten, um die ArbeiterInnen zurück in die Gewerkschaften zu drängen, die trotz des Misstrauens gegen sie als die einzige Kraft erscheinen, die in der Lage ist, den Kampf zu organisieren und anzuführen. Solch eine Situation kann das Bewusstsein nur weiter schwächen, wird den Hauptsaboteuren des Kampfes doch damit ein neues Image verpasst wird.

Was ist eine revolutionäre Perspektive?

Eine authentische Arbeiterbewegung hat nichts zu tun mit der falschen Alternative zwischen ihrer Einhegung durch die offiziellen Gewerkschaften und "aufrührerischen" Aktionen, die all jene, die ehrlich kämpfen wollen, namentlich die Jugend in den Demonstrationen, nur in das politische Nichts und in die Repression führen. Im Gegenteil, was den wirklichen Arbeiterkampf auszeichnet, ist die Solidarität, das Trachten nach Einheit im Kampf, der Wille, so massiv wie möglich gegen die kapitalistische Ausbeutung zu kämpfen. Die Essenz dieses Kampfes ist die Vereinigung der Kämpfe, die alle, Arbeitslose, Beschäftigte, Junge, Alte, RentnerInnen, etc. vereinigt. Und wenn die Arbeiterklasse in der Lage ist, sich selbst in solch einem Umfang zu mobilisieren, dann ist sie auch im Stande, alle anderen Schichten dieser Gesellschaft, die Opfer des vom Kapitalismus verursachten Leids sind, hinter sich zu scharen. Nur diese massive Mobilisierung, die tatsächlich von den ArbeiterInnen selbst kontrolliert wird, hat die Kapazität, Staat und Bourgeoisie zurückzudrängen. Daher ist die Arbeiterklasse nicht darum bestrebt, sich den Orden für Gewalttätigkeit ans Revers zu heften, um das Kräftegleichgewicht zuungunsten der herrschenden Klasse zu verschieben, sondern stützt sich zuallererst auf ihre schiere Anzahl und ihre Einheit. Der proletarische Kampf hat nichts mit den von Journalisten gefilmten Scharmützeln zu tun. Weit entfernt von der Instrumentalisierung der Gewalt, wie wir sie heute erleben, beruht die historische und internationale Schlacht der Arbeiterklasse auf der bewussten und massenhaften Aktion. Sie besteht aus einem gewaltigen Vorhaben, dessen kulturelle und moralische Dimension den Keim der Emanzipation der gesamten Menschheit enthält. Als eine ausgebeutete Klasse hat das Proletariat keine Privilegien zu verteidigen und nur seine Ketten zu verlieren. Aus diesem Grunde sagt das Programm des Spartakusbundes, das von Rosa Luxemburg verfasst wurde, in Punkt 3: "Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors , sie hasst und verabscheut Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmitteln nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutionen bekämpft".[8] Mit seinem Geist der Assoziation und Solidarität nimmt der Arbeiterkampf die eigentliche menschliche Gemeinschaft der Zukunft vorweg. Seine Organisationsweise entspricht nicht einem Generalstab, der vom Feldherrenhügel die Schlacht leitet, sondern nimmt die Form eines bewussten, kollektiven Widerstandes an, der zahllose kreative Initiativen zur Welt bringt: "Der Massenstreik (...) flutet bald wie eine breite Meereswoge über das ganze Reich, bald zerteilt er sich in ein Riesennetz dünner Ströme; bald sprudelt er aus dem Untergrunde wie ein frischer Quell, bald versickert er ganz im Boden. Politische und ökonomische Streiks, Massenstreiks und partielle Streiks, Demonstrationsstreiks und Kampfstreiks, Generalstreiks einzelner Branchen und Generalstreiks einzelner Städte, ruhige Lohnkämpfe und Straßenschlachten, Barrikadenkämpfe - alles das läuft durcheinander, nebeneinander, durchkreuzt sich, flutet ineinander über; es ist ein ewig bewegliches, wechselndes Meer von Erscheinungen".[9]  Dieses lebendige, befreiende Momentum kommt erst  im Massenstreik, schließlich in der Bildung von ArbeiterInnenräten zum Ausdruck, ehe es zum Aufstand und zur weltweiten Machtübernahme durch das Proletariat führt. Im Moment ist diese Perspektive für das Proletariat, das viel zu schwach ist, nicht in Reichweite. Wenngleich nicht geschlagen, so hat es nicht ausreichend Macht, um sich selbst zu behaupten, und muss zunächst sich seiner selbst wieder bewusst werden, sich mit seiner eigenen Erfahrung und Geschichte wieder in Einklang bringen. Die Revolution steht weder unmittelbar vor der Tür, noch ist sie unvermeidlich. Es bleibt immer noch ein langer und schwieriger, mit Fallstricken übersäter Weg zu gehen. Erst muss es zu einer wahrhaftigen und tiefgehenden Umwälzung im Denken kommen, ehe es möglich ist, sich ein Bekenntnis zur revolutionären Perspektive vorzustellen.

EG/WH,   26.6.2016

[1] Lenin, Staat und Revolution, einschließlich des Zitats aus Engels' Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates.

[2] Marx, Das Kapital, Bd. 1, Kap. 13.5 "Kampf zwischen Arbeiter und Maschine".

[3] Der Operaismus ist eine "arbeitertümlerische" Strömung, die 1961 rund um die Zeitschrift Quaderni Rossi entstand, mit Mario Tronti und Toni Negri als wichtigste Theoretiker. 1969 spaltete sich die operaistische Strömung in zwei miteinander rivalisierende Organisationen: Potere Operaio und Lotta Continua. Nach 1972 wurden die Operaisten in die autonome Bewegung verwickelt, die Randale und gewaltsame, so genannte "exemplarische Aktionen" pries.

[4] Von dieser Broschüre wurden in Frankreich mehr als 40.000 Exemplare verkauft.

[5] Zum Beispiel war dies in Spanien der Fall, wo in der Indignado-Bewegung Polizisten von Demonstranten enttarnt wurden. In Frankreich ist die Infiltration von Demonstrationen durch Polizisten der BAC (anti-kriminelle Brigaden), die die Aufgabe haben, die Mengen aufzuwiegeln, allseits bekannt.

[6] Eine der Arbeiterforderungen war die Errichtung eines Denkmals, das ihrer Toten, den Opfern der blutigen Repression der früheren Bewegungen 1970/71 und 1976, gedenken wollte.

[7] Wie die Slogans und Sprechchöre: "Wir hassen die Polizei" oder "All cops are bastards".

[8] Rosa Luxemburg, Was will der Spartakusbund?

[9] Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften

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Nationale Lage in Frankreich

November 2016

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Präsident Trump: Symbol eines sterbenden Gesellschaftssystems

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In der Abenddämmerung des antiken Roms war der Wahnsinn der Herrscher eher die Regel denn die Ausnahme. Einige Historiker bezweifeln, dass dies ein Anzeichen für die Hinfälligkeit Roms war.  Heute ist ein beängstigender Clown zum König des weltweit mächtigsten Nationalstaates gemacht worden, und dennoch wird dies nicht allgemein als ein Hinweis dafür betrachtet, dass die kapitalistische Zivilisation sich im fortgeschrittenen Stadium ihrer eigenen Dekadenz befindet. Die Woge des Populismus in den Epizentren des Systems, die in schneller Folge erst den Brexit und den Triumph von Donald Trump mit sich gebracht hat, ist ein Ausdruck für die Tatsache, dass die herrschende Klasse ihren Zugriff auf den politische Apparat verliert, der seit vielen Jahrzehnten benutzt worden war, um die dem Kapitalismus innewohnende Tendenz zum Kollaps zurückzuhalten. Wir sind Zeuge einer enormen politischen Krise, die von einem sich beschleunigenden Zerfall der Gesellschaftsordnung, von der völligen Unfähigkeit der herrschenden Klasse hervorgerufen wurde, der Menschheit eine Perspektive für die Zukunft anzubieten. Doch der Populismus ist auch die Frucht des Unvermögens der ausgebeuteten Klasse, des Proletariats, eine revolutionäre Alternative vorzustellen, mit dem Resultat, dass es sich in in der großen Gefahr befindet, in ein Reaktionsmuster gedrängt zu werden, das auf ohnmächtiger Wut, der Suche nach einem Sündenbock unter den Minderheiten und der wahnhaften Sehnsucht nach einer Vergangenheit beruht, die so nie existiert hatte. Die Analyse des Populismus als ein globales Phänomen ist ausführlich in dem Beitrag "Über die Frage des Populismus [24]" entwickelt worden, und wir möchten unseren LeserInnen empfehlen, den allgemeinen Rahmen, den sie anbietet, zusammen mit unserer ersten spezifischeren Antwort auf das Brexit-Resultat und den Aufschwung von Trumps Präsidentschaftskandidatur, "Brexit, Trump: Rückschläge für die herrschende Klasse, nichts Gutes für das Proletariat [25]", zu begutachten. Beide Texte sind online veröffentlicht worden.

Wir haben ebenfalls einen Artikel eines Sympathisanten aus den USA, Henk, in unserer englischsprachigen Presse veröffentlicht, "Trump vs. Clinton: nichts anderes als zwei schlechte Alternativen für die Bourgeoisie und das Proletariat [26]". Dieser Artikel, der im Oktober verfasst worden war, befasste sich mit den geradezu fieberhaften Bemühungen der etwas "verantwortungsvolleren" Fraktionen der US-Bourgeoisie, sowohl Demokraten als auch Republikaner, Trump davon abzuhalten, in das Weiße Haus einzuziehen.[1] Diese Bemühungen schlugen augenscheinlich fehl, und einer der direkteren Faktoren, die dieses Versagen verursachten, war die haarsträubende Intervention des Chefs des FBI, James Comey, just in dem Augenblick, als Clinton in den Wählerumfragen an die Spitze preschte. Das FBI, das eigentliche Herzstück des US-Sicherheitsapparates, schränkte Clintons Chancen ernsthaft ein, indem es verkündete, dass sie möglicherweise in einer Strafsache vernommen werden müsse, nachdem es ihren Gebrauch eines privaten E-Mail-Servers, was gegen grundlegende Regeln der staatlichen Sicherheit verstieß, weiter untersucht hatte. Knapp eine Woche später versuchte Comey zurückzurudern, indem er verkündete, dass es im Grunde nichts Anstößiges in all dem vom FBI untersuchten Material gab. Doch der Schaden war angerichtet, und das FBI hat einen wichtigen Beitrag für Trumps Kampagne geleistet, auf dessen Wahlkampfveranstaltungen pausenlos "Sperrt sie ein!" skandiert wurde. Die Intervention des FBI war so ein weiterer Ausdruck des wachsenden Kontrollverlustes im Herzen des Staatsapparates.

Kommunisten kämpfen nicht für ein geringeres Übel

Der Artikel "Trump vs. Clinton" beginnt mit einer klaren Darlegung der kommunistischen Position zur bürgerlichen Demokratie und zu Wahlen in dieser Geschichtsepoche: dass sie ein gigantischer Schwindel sind und der Arbeiterklasse keine Wahl lassen. Diese fehlende Auswahl war in dieser Wahl vielleicht so ausgeprägt wie nie zuvor, in einem Kampf zwischen dem arroganten Showman Trump, mit seiner unverhohlen rassistischen und frauenfeindlichen Agenda, und Clinton, die die "neoliberale" Herrschaft verkörpert, welche in den letzten drei Jahrzehnten die vorherrschende Form des Staatskapitalismus gewesen ist. Angesichts einer Wahl zwischen zwei Übeln gab ein beträchtlicher Teil des Wahlvolkes, wie immer in US-Wahlen, erst gar nicht seine Stimme ab - eine erste Schätzung gibt die Wahlbeteiligung mit knapp unter 57 Prozent an, niedriger als 2012 [27], und dies trotz allen Drucks, wählen zu gehen. Gleichzeitig entschieden sich viele, kritisch gegenüber beiden Lagern, aber besonders gegenüber Trump, für Hillary als das geringere zweier Übel zu stimmen. Unsererseits wissen wir, dass die Enthaltung bei bürgerlichen Wahlen aus Desillusionierung gegenüber dem, was angeboten wird, nur der Anfang aller Weisheit ist: Es ist wichtig - auch wenn äußerst schwierig, sofern die Arbeiterklasse nicht als Klasse handelt - zu zeigen, dass es einen anderen Weg gibt, die Gesellschaft zu organisieren, die über eine Demontage des kapitalistischen Staates gehen wird. Und in der Zeit nach den Wahlen wird diese Ablehnung der herrschenden politischen und sozialen Ordnung, dieses Beharren auf die Notwendigkeit für die Arbeiterklasse, für ihre eigenen Interessen und gegen das Gefängnis des bürgerlichen Staates zu kämpfen, nicht weniger relevant sein, werden doch viele in den Bann eines simplen Anti-Trumpismus gezogen werden, einer Art von umgearbeiteten Antifaschismus,[2] der sich mit "demokratischeren" Fraktionen der Bourgeoisie verbünden wird - am wahrscheinlichsten mit jenen, die die Sprache der Arbeiterklasse und des Sozialismus sprechen, wie Bernie Sanders während der Vorwahlen der Demokraten.[3]

Trumps soziale Basis

Dies ist nicht der Platz, um im Detail die Motive und soziale Zusammensetzung der Trump-Wähler zu analysieren. Zweifellos spielte die Frauenfeindlichkeit, diese gegen Frauen gerichtete Rhetorik, die in der Trump-Kampagne so zentral war, eine gewichtige Rolle; und sie muss untersucht werden, besonders da sie Teil eines viel globaleren "männlichen Gegenschlags" gegen die gesellschaftlichen und ideologischen Veränderungen im Geschlechterverhältnis in den letzten Jahrzehnten ist. Ebenso hat es in allen zentralen kapitalistischen Ländern einen unheilvollen Anstieg des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit gegeben, die auch in Trumps Kampagne eine Schlüsselrolle spielten. Es gibt in Amerika auch spezifische Elemente des Rassismus, die berücksichtigt werden müssen: kurzfristig die Reaktion auf Obamas Präsidentschaft und auf die amerikanische Version der "Flüchtlingskrise"; langfristig das ganze Erbe der Sklaverei und Ausgrenzung. Schon die ersten Zahlen machen deutlich, dass die lange Geschichte der Rassentrennung in Amerika auch in diesen Wahlen durchscheint: Die Trump-Wähler waren mit großer Mehrheit weiß (obwohl er auch eine recht große Anzahl von "Hispanics" mobilisieren konnte), während rund 88 Prozent der schwarzen Wähler das Clinton-Lager wählten. Wir werden auf diese Fragen in einem späteren Artikel eingehen.

Doch wie wir im Beitrag über den Populismus argumentiert haben, denken wir, dass das vielleicht wichtigste Element im Trump-Triumph die Wut gegen die neoliberalen "Eliten" war, die sich selbst mit der Globalisierung und Finanzialisierung der Wirtschaft identifizieren - mit makro-ökonomischen Prozessen, die eine kleine Minderheit auf Kosten der Mehrheit und vor allem zu Lasten der Arbeiterklasse im alten produzierenden Gewerbe und in der alten Rohstoffindustrie reich gemacht haben. "Globalisierung" bedeutete die umfassende Demontage des produzierenden Gewerbes und seinen Transfer in Länder wie China, wo die Arbeitskraft weitaus billiger ist und die Profite viel höher sind. Sie bedeutete auch die "freie Bewegung der Arbeit", was für den Kapitalismus ein weiteres Mittel ist, um die Arbeitskraft durch Migration von den "armen" in die "reichen" Länder zu verbilligen. Finanzialisierung bedeutete für die Mehrheit die Vorherrschaft des Wirtschaftslebens durch die immer mysteriöseren Marktgesetze. Konkret bedeutete sie den Crash von 2008, der so viele kleine Anleger und aufstrebende Hausbesitzer ruinierte.

Auch hier sind detailliertere statistische Untersuchung erforderlich, aber es hat den Anschein, dass eine Kerngröße der Trump-Kampagne die Unterstützung war, die sie von nicht akademisch gebildeten Weißen und insbesondere von ArbeiterInnen aus dem "Rust Belt" erhalten hat - den heutigen Industriewüsten, deren Bewohner aus Protest gegen die herrschende Ordnung, welche von der so genannten "urbanen liberalen Elite" verkörpert wird, für Trump stimmten. Viele dieser ArbeiterInnen aus diesen Regionen haben bei den letzten Wahlen für Obama gestimmt, und einige unterstützten Bernie Sanders in den Vorwahlen der Demokraten. Ihre Stimme war vor allem eine Stimme dagegen - gegen die wachsende Ungleichheit im Wohlstand, gegen ein System, das sie und ihre Kinder um ihre Zukunft gebracht hat. Doch diese Opposition artikulierte sich bei völliger Abwesenheit einer realen Arbeiterbewegung und war somit Futter für die populistische Weltsicht, in der die Eliten angeklagt werden, das Land an fremde Investoren zu verkaufen, Migranten, Flüchtlingen und ethnischen Minderheiten besondere Privilegien auf Kosten der "eingeborenen" Arbeiterklasse - und Arbeiterinnen zu Lasten der männlichen Arbeiter - zu gewähren. Die rassistischen und frauenfeindlichen Elemente des Trumpismus gehen so Hand in Hand mit den rhetorischen Attacken gegen die "Eliten".

Trump an der Macht: kein ruhiges Fahrwasser

Wir möchten hier nicht darüber spekulieren, wie Trumps Präsidentschaft aussehen wird oder welche Politik er zu implementieren versuchen wird. Was Trump vor allem auszeichnet, ist seine Unberechenbarkeit; es wird also nicht leicht sein, die Konsequenzen seiner Regierungszeit vorauszusehen. Da ist auch die Tatsache, dass das, was in der Wahlkampagne funktionierte - nämlich dass Trump schon vor dem Frühstück ein Dutzend sich einander widersprechender Dinge äußern konnte, ohne dass dies die Unterstützung für seine Wahlkampagne beeinträchtigte -, möglicherweise nicht so gut im Amt funktioniert. So präsentiert sich Trump als archetypischen Selfmade-Unternehmer und spricht davon, den amerikanischen Geschäftsmann von der Bürokratie zu befreien. Doch er spricht auch über ein massives Wiederaufbauprogramm für die Infrastruktur in den Innenstädten, für den Straßenbau, für Schulen und Krankenhäuser, für die Wiederbelebung der fossilen Brennstoffindustrie durch die Abschaffung von Umweltschutzgrenzen, was alles zusammen eine erhebliche staatskapitalistische Intervention in die Wirtschaft beinhaltet. Er hat versprochen, Millionen von illegalen Immigranten auszuweisen, und dennoch hängt ein Großteil der US-Wirtschaft von ihrer billigen Arbeitskraft ab. In der Außenpolitik kombiniert er die Sprache des Isolationismus und des Rückzugs (wie bei seiner Androhung, das US-Engagement in der NATO zurückzufahren) mit der Sprache des Interventionismus, wie bei seinem Wutgeheul, "die Scheiße aus dem IS herauszubomben", und verspricht, den Rüstungsetat zu steigern.

Was sicher scheint, ist, dass Trumps Präsidentschaft von Konflikten sowohl innerhalb der herrschenden Klasse als auch zwischen Staat und Gesellschaft geprägt sein wird. Es trifft zu, dass Trumps Siegesrede ein Vorbild an Versöhnung war - er werde ein "Präsident für alle Amerikaner" sein. Und bevor er Trump im Weißen Haus empfing, äußerte Obama, dass er sicherstellen wolle, dass der Übergang so reibungslos wie möglich vonstatten geht. Darüber hinaus könnte die Tatsache, dass es nun eine große republikanischen Mehrheit im Senat und im Kongress gibt, bedeuten, dass er - sofern das republikanische Establishment seine Antipathie gegen Trump überwindet - mit ihrem Rückhalt durchregieren kann, wobei die demagogischeren Teile auf Eis gelegt werden könnten. Doch die Zeichen für künftige Spannungen und Zusammenstöße sind unschwer zu erkennen. Beispielsweise stehen Teile der militärischen Hierarchie einigen seiner außenpolitischen Optionen sehr feindselig gegenüber, so wenn er weiterhin skeptisch gegenüber der NATO bleibt oder wenn seine Bewunderung Putins als starken Führer zur Untergrabung der US-Versuche führt, dem gefährlichen Wiederaufleben des russischen Imperialismus in Osteuropa und im Mittleren Osten Einhalt zu gebieten. Auch in seiner Innenpolitik könnte sich innerhalb des Sicherheitsapparates, der Bundesbehörden und der großen Geschäftsinteressen Widerstand regen; möglicherweise werden diese es als ihre Aufgabe ansehen, sicherzustellen, dass es Trump nicht ermöglicht wird, Amok zu laufen. Unterdessen wird der politische Niedergang der "Clinton-Dynastie" möglicherweise auch in der Demokratischen Partei neue Gegensätze und vielleicht sogar Spaltungen  hervorrufen, mit dem wahrscheinlichen Aufstieg eines linken Flügels unter Leuten wie Bernie Sanders, in der Hoffnung, dass sich die feindselige Stimmung gegen das ökonomische und politische Establishment für sie auszahlen wird.

Auf gesellschaftlichen Ebene werden wir wahrscheinlich, wie man nach dem Brexit in Großbritannien sehen kann, ein furchteinflößendes Aufblühen der Fremdenfeindlichkeit des "Volkes" erleben, sodass offen rassistische Gruppen sich nun ermächtigt sehen, ihre Fantasien von Gewalt und Dominanz zu verwirklichen; gleichzeitig wird die Polizeirepression gegen ethnische Minderheiten wahrscheinlich neue Höhen erklimmen. Und wenn Trump ernsthaft mit seinem Programm der Inhaftierung und Ausweisung der "Illegalen" beginnt, werden all diese Entwicklungen Widerstand auf den Straßen provozieren, in Kontinuität mit einigen Bewegungen, die wir in den vergangenen Jahren nach den Ermordungen von Schwarzen durch die Polizei erlebt haben. In der Tat hat es, kaum war das Wahlergebnis verkündet, eine Reihe sehr wütender Demonstrationen in vielen Städten der USA gegeben, an denen sich im Allgemeinen junge Leute beteiligten, die sich von der Aussicht auf eine Trump-Regierung angewidert fühlen.

Die internationalen Auswirkungen

Auf internationaler Ebene ist Trumps Triumph so etwas wie ein "Brexit plus plus plus", um es in seinen Worten zu sagen. Er hat den rechspopulistischen Parteien in Westeuropa bereits mächtigen Auftrieb gegeben, nicht zuletzt dem Front National in Frankreich, wo die Präsidentschaftswahlen für 2017 angesetzt sind. Es sind Parteien, die aus den multinationalen Handelsorganisationen austreten wollen und den wirtschaftlichen Protektionismus bevorzugen. Angesichts Trumps aggressiven Stellungnahmen gegen die wirtschaftliche Konkurrenz Chinas könnte dies bedeuten, dass wir auf einen Handelskrieg zusteuern, der, wie in den 1930er Jahren, einen bereits blockierten Weltmarkt noch weiter einschnüren könnte. Das neoliberale Modell hatte dem Weltkapitalismus in den beiden vergangenen Jahrzehnten große Dienste erwiesen, doch nun erreicht es seine Grenzen, und vor uns liegt die Gefahr, dass die Tendenz des "Jeder-für-sich-selbst", die wir auf der imperialistischen Ebene schon seit längerem erleben, nun auch auf die ökonomische Sphäre überspringt, wo sie bis jetzt mehr oder weniger in Schach gehalten wurde. Trump hat ebenfalls erklärt, dass die globale Erderwärmung ein Schwindel sei, der von den Chinesen erfunden worden sei, um ihren Exporthunger zu stillen; ferner sagte er, er werde sich aus allen internationalen Vereinbarungen über den Klimawandel zurückziehen. Wir wissen, wie begrenzt ohnehin diese Vereinbarungen  sind, doch sie fallenzulassen würde uns voraussichtlich noch tiefer in die ökologische Weltkatastrophe stürzen.

Wir wiederholen: Trump symbolisiert eine Bourgeoisie, die wirklich jegliche Perspektive verloren hat, um die Gesellschaft am Laufen zu halten. Trotz all seiner Selbstgefälligkeit und seines Narzismus ist er selbst nicht verrückt; er verkörpert vielmehr die Verrücktheit eines Systems, dem die Optionen ausgehen, selbst jene des Weltkrieges. Trotz ihrer Dekadenz war die herrschende Klasse über ein Jahrhundert lang in der Lage, ihren eigenen politischen und militärischen Apparat - mit anderen Worten: ihre bewusste Intervention als eine Klasse - zu nutzen, um einen völligen Kontrollverlust, einen letzten Anstoß des dem Kapitalismus innewohnenden Strebens ins Chaos zu verhindern. Wir beginnen allmählich die Grenzen dieser Kontrolle zu erkennen, auch wenn wir nicht die Fähigkeit unseres Feindes unterschätzen dürfen, mit neuen, vorübergehenden Scheinlösungen aufzuwarten. Das Problem für unsere Klasse ist, dass mit Ausnahme einer kleinen Minderheit der offenkundige Bankrott der Bourgeoisie auf allen Ebenen - wirtschaftlich, politisch, moralisch - nicht eine revolutionäre Kritik des Systems generiert hat, sondern eine fehlgeleitete Wut und giftige Spaltungen in unseren Reihen. Dies stellt eine ernste Bedrohung der künftigen Möglichkeit dar, den Kapitalismus durch eine menschliche Geselllschaft zu ersetzen.

Und dennoch besteht einer der Gründe, warum der Weltkrieg heute trotz des Ausmaßes der Krise des Kapitalismus nicht auf der Agenda steht, darin, dass die Arbeiterklasse nicht in einer offenen Schlacht besiegt worden ist und immer noch ungenutzte Kapazitäten für den Widerstand beherbergt, wie wir in den etlichen Massenbewegungen während des vergangenen Jahrzehnts gesehen haben, wie der Kampf der StudentInnen in Frankreich 2006 oder die Revolte der Indignados in Spanien 2011 und die Occupy-Bewegung in den USA im gleichen Jahr. In Amerika können diese Vorboten des Widerstandes in den Protesten gegen die Polizeimorde und in den Demonstrationen nach der Wahl gegen Trump wahrgenommen werden, obgleich diese Bewegungen keinen klaren proletarischen Klassencharakter angenommen haben und verwundbar bleiben gegenüber der Vereinnahmung durch Berufspolitiker der Linken, durch die verschiedenen Variationen der nationalistischen oder demokratischen Ideologie. Damit die Arbeiterklasse sowohl die populistische Gefahr als auch die falschen Alternativen überwindet, die von der Linken des Kapitals verkauft werden, ist etwas viel Tieferes erforderlich, eine Bewegung für die proletarische Unabhängigkeit, die imstande ist, sich selbst als politisch zu begreifen und wieder an die kommunistischen Traditionen unserer Klasse anzuknüpfen. Dies gilt nicht unmittelbar, doch Revolutionäre haben heute die Aufgabe, solch eine Bewegung vorzubereiten, vor allem indem sie für die politische und theoretische Klarheit kämpfen, die den Weg durch den herrschenden Smog der kapitalistischen Ideologie in all ihren Erscheinungen ausleuchtet.

Amos, 13.11.2016

 

[1] Ein Anzeichen, wie weit verbreitet die republikanische Opposition gegen Trump ist: der frühere Präsident Bush, mitnichten Teil des linken Flügels der Partei, kündigte an, dass er eher einen leeren Stimmzettel abgibt, als für Trump zu stimmen.

[2] Unsere Ablehnung einer Politik der "antifaschistischen" Bündnisse mit einem Sektor der herrschenden Klasse gegen einen anderen ist vor allem ein Vermächtnis der italienischen Kommunistischen Linken, die richtigerweise den Antifaschismus als ein Mittel betrachtete, um die Arbeiterklasse für den Krieg zu mobilisieren. Siehe "Der Antifaschismus – eine Anleitung zur Konfusion [28]", einem Text von Bilan, der in der Internationalen Revue, Nr. 26 veröffentlicht wurde.

[3] Mehr zu Sanders siehe den Artikel "Trump v. Clinton [26]".

Geographisch: 

  • Nordamerika [29]

Aktuelles und Laufendes: 

  • Populismus [30]
  • Zerfall [31]
  • Trump [32]
  • Wahlen in den USA [33]

Rubric: 

Populismus und Zerfall

Solidaritätsbrief an die GenossInnen von Soziale Befreiung und Sozialer Widerstand

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Am 4. bis 6. November 2016 hat in Nürnberg eine „Linke Literaturmesse“ stattgefunden. Teile der Gruppe VVN-Bda Nürnberg mit anderen VertreterInnen des Volksfrontantifaschismus haben die Vorstellung des Buches von Soziale Befreiung Der spanische BürgerInnenkrieg verhindert. Vorab hatten wir den Gruppen Soziale Befreiung und Sozialer Widerstand unten stehenden Solidaritätsbrief zu geschickt. Wir sind empört, wie die beiden Gruppierungen Opfer der Stalinisten und deren Unterstützer durch ihre alt bekannten repressiven Methoden wurden. Wir erneuern unsere Solidaritätsbekundung und hoffen, dass weitere Menschen und Gruppierungen, die dem revolutionären Proletariat nahe stehen, ihre Verabscheuung gegenüber solchen Methoden bekunden.

Solidaritätsbrief

An die GenossInnen der Gruppe Soziale Befreiung und der Gruppe Sozialer
Widerstand.

Wie wir erfahren haben, plant Ihr auf der „Linken Literaturmesse“ in Nürnberg im Rahmen einer Veranstaltung am 5.11. 2016 Eure Broschüre zum „Spanischen Bürgerkrieg“ vorzustellen. Wir begrüßen die proletarische, internationalistische Klassenposition der angekündigten Veranstaltung außerordentlich.

Ihr schreibt in Eurer Vorankündigung völlig richtig: “Die antifaschistische Volksfront war ein Klassenfeind des Proletariats…..Sowohl der Franquismus wie die Volksfront waren sozialreaktionäre Fraktionen des Kapitals, zwischen denen das Proletariat blutig aufgerieben wurde.“

Wir begrüßen darüber hinaus die Demaskierung und Verurteilung der sogenannten „antifaschistischen“ Kräfte, die sich nun für ein Verbot Eurer Veranstaltung aussprechen und sich auch heute noch hinter den Massenmord an den Arbeitern während des Spanienkrieges stellen, indem sie die Wahrheit über den spanischen Bürgerkrieg mundtot machen wollen.

Der Prozess der Bewusstwerdung der Klasse muss seine Entsprechung in der kritischen Solidarität und Unterstützung der Revolutionäre finden. In diesem Sinne mit solidarischen Grüßen und den besten Wünschen für eine gute Veranstaltung mit lebendigen, tiefen und vorwärts gerichteten Diskussionen

die IKS im November 2016

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Rätismus [34]

Historische Ereignisse: 

  • Antifaschismus [35]

Rubric: 

Repressiver Antifaschismus

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/iksonline-2016

Links
[1] https://palebluejadal.tumblr.com/post/114780772253/on-our-departure-from-the-international-communist [2] https://en.internationalism.org/ir/121_ibrp [3] https://palebluejadal.tumblr.com/post/124829023413/on-functioning-and-communication [4] https://de.internationalism.org/die-iks-unter-beschuss-durch-eine-neue-agentur-des-buergerlichen-staates [5] https://de.internationalism.org/content/1071/polemik-die-wurzeln-der-iks-und-des-ibrp-teil-ii-die-gruendung-des-partito-comunista [6] https://de.internationalism.org/content/1086/polemik-die-wurzeln-der-iks-und-des-ibrp-die-italienische-fraktion-und-die [7] https://de.internationalism.org/content/1654/die-debattenkultur-eine-waffe-des-klassenkampfes [8] https://en.internationalism.org/icconline/201203/4739/reading-notes-science-and-marxism [9] https://de.internationalism.org/en/ethik_39a [10] https://de.internationalism.org/content/1445/interne-debatte-der-iks-marxismus-und-ethik-teil-ib [11] https://de.internationalism.org/content/1561/interne-debatte-der-iks-marxismus-und-ethik-teil-ii [12] https://de.internationalism.org/content/745/die-funktion-der-revolutionaeren-organisation [13] https://de.internationalism.org/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/zimmerwalder-bewegung [14] https://www.liberation.fr/france/2016/04/03/nuit-debout-le-camp-des-possibles_1443749 [15] https://www.liberation.fr/debats/2016/04/13/debout-ranimons-l-imaginaire-citoyen_1445937 [16] https://www.convergence-des-luttes.org/communiques-de-presse/communique-31-mars-2016/ [17] https://www.nuitdebout.fr/#header [18] https://www.monde-diplomatique.fr/2016/03/LORDON/54925 [19] https://de.internationalism.org/content/876/thesen-ueber-die-studentenbewegung-frankreich-im-fruehling-2006 [20] https://de.internationalism.org/bilanzspangriechisrael [21] https://en.internationalism.org/ir/146/editorial-protests-in-spain [22] https://fr.internationalism.org/revolution-internationale/201605/9374/merci-patron-denaturation-ce-qu-lutte-classe [23] https://www.liberation.fr/france/2016/02/24/qui-est-francois-ruffin-le-realisateur-de-merci-patron_1435301 [24] https://de.internationalism.org/content/2715/ueber-das-problem-des-populismus [25] https://en.internationalism.org/international-review/201608/14087/brexit-trump-setbacks-ruling-class-nothing-good-proletariat [26] https://en.internationalism.org/icconline/201610/14149/trump-v-clinton-nothing-bad-choices-bourgeoisie-and-proletariat [27] https://www.vox.com/policy-and-politics/2016/11/9/13573904/voter-turnout-2016-donald-trump [28] https://de.internationalism.org/content/873/geschichte-der-arbeiterbewegung-der-antifaschismus-eine-anleitung-zur-konfusion [29] https://de.internationalism.org/tag/geographisch/nordamerika [30] https://de.internationalism.org/tag/aktuelles-und-laufendes/populismus [31] https://de.internationalism.org/tag/6/1233/zerfall [32] https://de.internationalism.org/tag/6/1292/trump [33] https://de.internationalism.org/tag/6/1293/wahlen-den-usa [34] https://de.internationalism.org/tag/politische-stromungen-und-verweise/ratismus [35] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/antifaschismus