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Dezember 2009

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Die zukünftigen Kämpfe vorbereiten

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Nachfolgend veröffentlichen wir ein Flugblatt des Kollektivs "Einheit an der Basis in Tours" (1). Diese Genossen, von denen die meisten junge Studenten sind, treffen sich, um sich an Vollversammlungen zu beteiligen, die für alle offen stehen. Sie lehnen die branchenspezifischen Abgrenzungen ab, in welche die Gewerkschaften die Kämpfe einzusperren versuchen. Sie waren lange Zeit sehr aktiv und haben versucht, mit Beschäftigten an deren Arbeitsplatz Kontakt aufzunehmen , um mit ihnen zu diskutieren und sie dazu aufzurufen, den Kampf auszudehnen. Dieses Flugblatt hat das große Verdienst, die Frage der revolutionären Perspektive aufzugreifen und die Notwendigkeit hervorzuheben, dass die gesamte kapitalistische Gesellschaft infrage gestellt werden muss.

Gleichzeitig versucht es Lehren zu ziehen und eine Bilanz der jüngsten Kämpfe zu erstellen. Aus unserer Sicht ist dies eine wichtige politische Herangehensweise, die unerlässlich ist für die Vorbereitung zukünftiger Kämpfe.

Nachfolgend veröffentlichen wir ein Flugblatt des Kollektivs "Einheit an der Basis in Tours" (1). Diese Genossen, von denen die meisten junge Studenten sind, treffen sich, um sich an Vollversammlungen zu beteiligen, die für alle offen stehen. Sie lehnen die branchenspezifischen Abgrenzungen ab, in welche die Gewerkschaften die Kämpfe einzusperren versuchen. Sie waren lange Zeit sehr aktiv und haben versucht, mit Beschäftigten an deren Arbeitsplatz Kontakt aufzunehmen , um mit ihnen zu diskutieren und sie dazu aufzurufen, den Kampf auszudehnen. Dieses Flugblatt hat das große Verdienst, die Frage der revolutionären Perspektive aufzugreifen und die Notwendigkeit hervorzuheben, dass die gesamte kapitalistische Gesellschaft infrage gestellt werden muss.

Gleichzeitig versucht es Lehren zu ziehen und eine Bilanz der jüngsten Kämpfe zu erstellen. Aus unserer Sicht ist dies eine wichtige politische Herangehensweise, die unerlässlich ist für die Vorbereitung zukünftiger Kämpfe.

 

Flugblatt des Kollektivs

Kann man unser Schicksal in die Hände von Privatinteressen legen?

Die Wirtschaftskrise verschärft sich. Vom der Finanzwelt ausgehend hat sie mittlerweile alle Bereiche der Wirtschaft erfasst. Standorte werden verlagert oder geschlossen. In der Bauindustrie zum Beispiel sind viele Projekte zum Erliegen gekommen. Aber die Betriebe in dieser Branche sind in der Regel keine Großbetriebe. Sie ziehen weniger die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, welche auf der Suche nach spektakulären Ereignissen sind und vieles entsprechend aufbauschen.

Gasflaschen

Die Rechnung für die Krise der Bourgeoisie (die Besitzer der Produktionsmittel und des Kapitals), die für diese verantwortlich ist, soll von den Arbeitern und den zukünftigen Beschäftigten aller Länder beglichen werden. Unendlich lange ist die Liste der Werksschließungen, Produktionsverlagerungen, Entlassungen, Kurzarbeit usw. geworden, deren Last die Arbeiter tragen sollen. Die Krise führt zu einer Zuspitzung der Gewalt bei den Beziehungen unter den Klassen. Dies hat einerseits zur Folge, dass immer mehr soziale Errungenschaften abgebaut oder ganz abgeschafft werden. Arbeitszeitverlängerungen ("länger arbeiten um mehr zu verdienen"…), Verzögerung des Renteneintrittalters (67 Jahre, gar 70 Jahre …), Verschlechterung der Arbeitszeitregelungen (Sonntagsarbeit…) usw. Damit wird nur ein Ziel verfolgt: Verschärfung der Ausbeutung! Andererseits nimmt die Entschlossenheit der Arbeiter, sich dagegen zu wehren, zu; die Kampfbereitschaft ist größer geworden. Manager werden von Beschäftigten festgesetzt (3M…), es gibt harte Streiks mit Betriebsbesetzungen (Continental…), auf nationaler und internationaler Ebene werden Beziehungen geknüpft, Beschäftigte aus mehreren Werken eines Konzerns treffen sich an einem Ort (Michelin, Caterpillar…) und es kommt zur Kontaktaufnahme mit Beschäftigten anderer Länder (Continental mit Deutschland…), einige haben sogar gedroht, ihre Fabrik in die Luft zu sprengen, um ordentliche Abfindungen zu erhalten (New Fabris….).

Aber diese Kämpfe scheinen nun eine neue Richtung einzuschlagen. Viele kämpferische Beschäftigte haben keine Hoffnung mehr, ihre Jobs zu behalten und damit den Produktionsstandort zu bewahren. Sie wollen, dass bei den Sozialplänen (die Technokratensprache für Massenentlassungen) möglichst viel herausspringt. So sind die Aktionäre gezwungen, mehr Geld herauszurücken als sie geplant hatten; andererseits können die Beschäftigten trotz der geringen Arbeitslosengeldzahlungen ein wenig länger durchhalten. Damit wird die Frage der Würde und der Lebensbedingungen aufgeworfen. Aber all das ändert nichts daran, dass sie – und wir auch – in einer Sackgasse stecken.

 

Und was folgt danach?

Wir stehen vor einer wirklichen Krise der Perspektive. Mit ihrer Politik der Krisenbegleitung bieten die Gewerkschaftsverbände keinen Ausweg aus dieser Sackgasse. Dies zeigt, dass wir uns unbedingt anders organisieren müssen, indem wir versuchen neue Perspektiven zu entwickeln, die einen Bruch mit dem Kapitalismus bedeuten würden. Dies zu tun ist dringend und entscheidend. Wie kann man den Reichtum der Gesellschaft egalitär verteilen? Wie kann man die Vorherrschaft der Aktionäre und anderer kleiner Chefs überwinden, die unseren Alltag zerstören? Letztendlich geht es um unser alltägliches Leben, aber auch um die Zukunft der Menschheit, die Zukunft der Erde – es geht um die Entscheidung für oder gegen eine ganze Gesellschaft! Können die Gewerkschaften einen Raum schaffen, um über unseren Alltag hinaus zu überlegen, wie wir diesen umwälzen? Kann man sich vorstellen, dass die Gewerkschaftsbürokratien die Vorstellungskraft und den Kampf für eine Zukunft begünstigen, in dem die gesellschaftlichen Verhältnisse zum zentralen Anliegen der gesellschaftlichen Organisation werden, und wo nicht mehr die Jagd nach Profiten für eine raffgierige Minderheit im Vordergrund steht?

Der Erfolg der großen Mobilisierungen vom 29. Januar und 19. März bot Anlass zu Hoffnung. Aber wir müssen uns eingestehen, dass all das, was die Gewerkschaften seitdem veranstaltet haben, überhaupt nicht unseren Erwartungen entspricht. Die meisten Gewerkschaftsführungen haben sich damit zufrieden gegeben, mit der Regierung zu reden, "Aktionstage" zu veranstalten. Konkret ist daraus nichts wirklich Positives hervorgegangen, um die Stellung der Arbeiter und aller Unterdrückten zu stärken und die Klassensolidarität zu entfalten. Das hat zu den Friedhofsprozessionen vom 26. Mai und 13. Juni geführt.

 

Viele von uns (Arbeiter, prekär Beschäftigte, Arbeitslose, Rentner, gewerkschaftlich Organisierte…) hofften, raunten oder grölten und wirkten hin auf den unbegrenzten Generalstreik. Aber nichts in diese Richtung wurde unternommen. Die Fesseln, die uns die gewerkschaftlichen Bürokratien angelegt haben, greifen noch. Wir müssen jetzt revolutionäre Perspektiven entfalten, um die kapitalistische Gesellschaft radikal umzuwälzen. Wir müssen uns an der Basis organisieren, Klassensolidarität entfalten, Kampfinstrumente entwickeln, um den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen und heute schon anfangen, eine andere Zukunft aufzubauen!

In den Betrieben, in den Stadtvierteln, in den Universitäten… müssen wir Komitees errichten, unsere Kollektive aufbauen und all die Kampfformen entfalten, die uns als nützlich erscheinen.

Überwinden wir die branchenspezifischen Gräben, die uns schwächen!

Solidarität unter allen Ausgebeuteten und Unterdrückten, egal ob sie in Gewerkschaften organisiert sind oder nicht!

Kämpfen wir für die Einheit unserer Klasse, indem wir klar zwischen Freund und Feind unterscheiden

Wir haben die Schnauze voll von den Krümeln, nehmen wir uns die ganze Bäckerei!

Kollektiv – Einheit an der Basis aus Tours (Sommer 2009)

 

 

Ein Kommentar der IKS

 

Dieses Flugblatt zeigt sehr gut auf, dass eine Minderheit der Arbeiterklasse nicht in Passivität versinken möchte und nicht bereit ist, die Ausbeutungsbedingungen dieser Gesellschaft hinzunehmen.

Auch wenn wir nicht mit allen Formulierungen des Flugblattes einverstanden sind, erscheint uns eine Frage ein zentrales Anliegen zu sein: „Wir müssen jetzt revolutionäre Perspektiven entfalten, um die kapitalistische Gesellschaft radikal umzuwälzen“ (…) Dies wirft die Frage nach einer neuen Gesellschaft auf; und wir teilen voll dieses Anliegen.

(…)

Wir meinen, dass es sich um zentrale Fragen handelt, die in der Tat in der Arbeiterklasse diskutiert und die weiter geklärt werden müssen, um so das allgemeine Nachdenken voranzubringen.

Wir meinen, auf dem Hintergrund der heftigen Angriffe gegen die Arbeiterklasse infolge der Krise, müssen diejenigen, die nach einer Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus suchen, notwendigerweise die Rolle einer Minderheit bei der politischen Vorbereitung der Aktionen und der Interventionen in den zukünftigen Kämpfen ausüben werden. Nach den ersten Keulenschlägen durch die Wirtschaftskrise, die noch lange andauern wird, wird die Arbeiterklasse, sobald sie den Kampf wieder aufnehmen wird, ihre Kämpfe in die eigenen Hände nehmen, die Initiative selbst ergreifen müssen, um einen wirklich kollektiven Kampf zu führen, in denen die Entscheidungen aus echten Vollversammlungen hervorgehen, die allen offen stehen und souverän sind. Die zukünftigen Vollversammlungen, die wirklich lebendig sein müssen, werden das einzige Mittel sein, um den Kampf wirksam und selbständig zu führen. Es wird die Aufgabe der Beteiligten selbst und nicht der Gewerkschaften sein, Entscheidungen zu treffen, was getan werden soll, weil die Gewerkschaften die Kämpfe nur lähmen und sabotieren. Die Arbeiter selbst müssen ihre Solidarität im und durch den Kampf zeigen, kollektiv handeln, indem sie zum Beispiel massive Delegationen zu anderen Betrieben schicken, um sich mit den anderen Beschäftigten in einem gemeinsamen Kampf zusammenzuschließen. Das Herz des Kampfes schlägt durch Initiativen für gemeinsame, branchenübergreifende, offene Vollsammlungen. Nur wenn die Arbeiter den Kampf selbst in die Hand nehmen, wird eine aktive, wirkliche Solidarität möglich sein, die die anderen Klassenbrüder und –schwestern mit einbezieht. Jedoch stößt die Umsetzung dieses Schrittes auf eine Reihe von Hindernissen. Diese können nur aus dem Weg geräumt werden, wenn die Arbeiter selbst, in den Vollversammlungen darüber diskutieren und nach einem Weg suchen, sie gemeinsam zu überwinden. Es besteht kein Zweifel, die Vollversammlungen bleiben eine wirklich proletarische Organisationsform , die eine echte kollektive Kontrolle über den Kampf ausüben können. Sie stellen gewissermaßen Embryonen der späteren Arbeiterräte dar. Diese Organe, in welchen die Arbeiter massenhaft zusammen kommen können, ermöglichen die Vereinigung der Klasse und können zu einer revolutionären Kraft für die Überwindung des Kapitalismus werden. Sie werden die Überwindung der gesellschaftlichen Ausbeutungsverhältnisse mit dem Ziel der Schaffung einer neuen Gesellschaft ermöglichen.

Zusammenfassend möchten wir hervorheben, dass wir uns erlaubt haben, diese Kommentare mit der Sorge zu verfassen, zum Nachdenken beizutragen. IKS (Oktober 2009)

Aktuelles und Laufendes: 

  • Studentenproteste [1]
  • Studentenproteste Frankreich [2]

Ein kurzer Kommentar zum Ablauf des Klimagipfels in Kopenhagen: Das Schicksal des Planeten in den Händen von…

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Wir sind an anderer Stelle schon auf die Ursachen der Umweltzerstörung im Kapitalismus, seine Mittel und Möglichkeiten des Umweltschutzes eingegangen. Auch wollen wir auf die „Ergebnisse“ der Konferenz und die zu erwartende weitere Entwicklung später ausführlicher in unserer Presse eingehen. An dieser Stelle möchten wir nur einige Eindrücke von bürgerlichen Pressebeobachtern mit einigen Kommentaren von uns widergeben.

Nach jahrelangen Vorbereitungen, bei denen keine Einigung über die konkreten Schritte erreicht werden konnte, begann Anfang Dezember 2009 der Verhandlungsmarathon mit Delegierten aus mehr als 192 Staaten. Zum Schluss trafen immer mehr Staatschefs ein, um dem Gipfel doch noch zu einem „erfolgreichen Abschluss“ zu verhelfen. Mit großem Pomp ließ sich US-Präsident Obama einfliegen und bilanzierte in seiner Rede nach seiner Ankunft: „Vierzehn Tage dauere diese Konferenz, zwanzig Jahre dauern schon die Klimaverhandlungen, und man habe doch wenig vorzuweisen außer einer drastischen Beschleunigung der Klimawandeleffekte“ (www.faz.net [3]). Schauen wir uns an, wie Beobachter bürgerlicher Medien den Verlauf der Konferenz wahrnahmen und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen.

 

Wir sind an anderer Stelle schon auf die Ursachen der Umweltzerstörung im Kapitalismus, seine Mittel und Möglichkeiten des Umweltschutzes eingegangen. Auch wollen wir auf die „Ergebnisse“ der Konferenz und die zu erwartende weitere Entwicklung später ausführlicher in unserer Presse eingehen. An dieser Stelle möchten wir nur einige Eindrücke von bürgerlichen Pressebeobachtern mit einigen Kommentaren von uns widergeben.

Nach jahrelangen Vorbereitungen, bei denen keine Einigung über die konkreten Schritte erreicht werden konnte, begann Anfang Dezember 2009 der Verhandlungsmarathon mit Delegierten aus mehr als 192 Staaten. Zum Schluss trafen immer mehr Staatschefs ein, um dem Gipfel doch noch zu einem „erfolgreichen Abschluss“ zu verhelfen. Mit großem Pomp ließ sich US-Präsident Obama einfliegen und bilanzierte in seiner Rede nach seiner Ankunft: „Vierzehn Tage dauere diese Konferenz, zwanzig Jahre dauern schon die Klimaverhandlungen, und man habe doch wenig vorzuweisen außer einer drastischen Beschleunigung der Klimawandeleffekte“ (www.faz.net [3]). Schauen wir uns an, wie Beobachter bürgerlicher Medien den Verlauf der Konferenz wahrnahmen und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen.

Zunächst zwei Journalisten der „Welt“:

https://www.welt.de/politik/ausland/article5581658/US-Praesident-Obama-stuerzt-vom-Klima-Gipfel.html [4]

Kopenhagen gescheitert

US-Präsident Obama stürzt vom Klima-Gipfel

Von D. Wetzel und G. Lachmann 19. Dezember 2009, 13:17 Uhr

Das faktische Scheitern der Klimaverhandlungen in Kopenhagen ist eine schwere Niederlage für US-Präsident Barack Obama auf internationaler Ebene. Nicht nur, dass er und Bundeskanzlerin Angela Merkel vorzeitig abreisten, ohne ein sicheres Ergebnis erzielt zu haben. Er ließ sich zudem von den Chinesen vorführen.

Seiner Ankunft folgte sogleich ein markiger Auftritt. Kaum hatte US-Präsident Barack Obama das Konferenzzentrum betreten, ließ er die Anwesenden wissen: „Die Zeit für Reden ist vorbei.“ Ab jetzt wollte er die Verhandlungsführung übernehmen.

Zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, den „Chefs“ aus Russland, Brasilien, Japan, der Europäischen Union und anderer wichtiger Länder machte sich Obama an die Arbeit. Doch es lief nicht so, wie der Friedensnobelpreisträger es sich vorgestellt hatte. […]

Stattdessen bahnte sich ein Fiasko an. Es begann in der Nacht von Freitag auf Samstag. Ein enger Verhandlungskreis von 30 wichtigen und repräsentativ ausgewählten Staaten, darunter Deutschland, diskutierten noch immer die Grundzüge eines Zwölf-Punkte-Papiers. Es trug den Titel „Copenhagen Accord“ und bestand aus einer dreiseitigen Sammlung vager politischer Absichtserklärungen ohne fest definierte Ziele oder rechtliche Bindung.

Obwohl China zu den größten Klimaverschmutzern zählt und längst zu einer ernst zu nehmenden Industriemacht aufgestiegen ist, fehlte Premier Wen Jiabao bei den Gesprächen. Nicht, dass man ihn nicht hätte dabeihaben wollen. Im Gegenteil.

Nach Gerüchten aus dem Bella Center soll US-Präsident Barack Obama gegen 21 Uhr ungeduldig um ein Gespräch mit Wen Jiabao gebeten haben, um die Dinge voranzubringen. Doch Obama musste warten. Wen, der Gerüchten zufolge sein Hotelzimmer während des gesamten Kongresses kaum je verlassen hatte, war lange Zeit unauffindbar. Schließlich gelang es der US-Delegation, den chinesischen Premier in einem Verhandlungszimmer ausfindig zu machen. Ein offenbar zornentbrannter Obama soll daraufhin in das Zimmer gestürmt sein. „Sind Sie jetzt bereit mit mir zu reden, Herr Premier?“, soll er gerufen haben. „Sind Sie jetzt bereit? Herr Premier, sind Sie bereit mit mir zu reden?“ Welch ein Auftritt eines US-Präsidenten.

Wen war zudem nicht allein im Zimmer, als Obama buchstäblich hereingeplatzt kam, wie es aus Kongresskreisen hieß. Der Chinese befand sich in Gesprächen mit Indiens Staatschef Mammohan Singh und dem Süd-Afrikanischen Präsidenten Jacob Zuma. Urplötzlich sah sich die Gruppe zu einem Gespräch mit dem US-Präsidenten genötigt.

Auf Drängen des ungeduldigen Obama einigte sich diese rein zufällig besetzte Runde schließlich auf einen Minimalkompromiss.

Diesen hätte Obama nun eigentlich mit seinen engsten Partnern, etwa der Europäischen Union oder der G77-Gruppe der Entwicklungsländer abstimmen müssen. Das jedoch habe er unterlassen, so heißt es, und rief stattdessen gegen 22.25 Uhr einige US-Journalisten zu einer improvisierten Pressekonferenz zusammen. Dort verkündete Obama den „Kopenhagen Akkord“ als Abschluss der zweiwöchigen Konferenz. Er sei sich bewusst, dass viele Länder das Ergebnis für ungenügend halten werden, sagte der US-Präsident. Mehr sei aber nicht zu erreichen gewesen.

Er wertete es als Erfolg, dass sich große Schwellenländer wie Indien und China überhaupt erstmals zur Notwendigkeit der Emissionsminderung bekannt hätten und das Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, akzeptiert hätten.

Sodann packte er seine Koffer und flog heim. Auch Kanzlerin Angela Merkel machte sich auf den Weg zurück nach Berlin. Beide verließen Kopenhagen, ohne ein klares Ergebnis erzielt zu haben. Und, was noch schwerer wiegt, ohne sich um den weiteren Verlauf der als historisch geplanten Konferenz zu kümmern. Sie überließen das Klima den anderen. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich bald zeigen sollte.

Während Obama und Merkel auf dem Heimweg waren, erklärte sich die EU-Kommission spät in der Nacht zähneknirschend bereit, Obamas Minimalkompromiss anzunehmen. Anders als die Europäer waren viele afrikanische Staaten dazu nicht bereit. Als in den frühen Morgenstunden das Plenum zusammentrat, geriet Sudans Staatschef Lumumba Di-Aping geradezu außer sich. Niemand habe das Mandat zur Zerstörung Afrikas, sagte der Sudanese als Sprecher der G77-Entwicklungsländer. Das vorgelegte Dokument töte Millionen Menschen. Schließlich sorgte Di-Aping dann noch mit einem Holocaust-Vergleich für Empörung im Versammlungssaal.“

Kommentar der IKS:

Wir zitieren diese Darstellung aus Welt.de so ausführlich, weil sie – auch wenn diese Schilderung sich nur „auf Gerüchte“ stützt - ein grelles Licht auf die Haltung und den Charakter der Herrschenden wirft.

Zunächst wertet der Artikel den Kopenhagener Gipfel als „schwere Niederlage für US-Präsident Barack Obama auf internationaler Ebene“. Aus der Sicht der Bürgerlichen gibt es meist Gewinner und Verlierer. Dass das Schicksal des Planeten und damit der Menschheit in Kopenhagen in den Hintergrund getreten sind, weil sich die dort versammelten Delegierten und Staatschefs nicht auf entscheidende Schritte einigen konnten, stellt nicht den Fokus der Beobachtungen dar. Stattdessen erhalten wir einen Einblick in die Art und Weise, wie der US-Präsident mit dem chinesischen Staatschef einen Deal auszuhandeln sucht, dieser in Hinterzimmermanier mit Hilfe einiger (zufällig) Anwesender aus der Sicht des US-Präsidenten als akzeptiert betrachteet wird – ohne Abstimmung selbst mit anderen „gewichtigen“ Staaten (wie z.B. europäischen Staaten oder Japan), um dann den restlichen Delegierten der Welt zur Annahme vor die Füße geworfen zu werden…

Dies spricht Bände von der Ernsthaftigkeit und dem Umgang der dort versammelten Führer. Es wirft ein typisches Bild auf die Ruchlosigkeit einer besitzenden und ausbeutenden Klasse.

 

Der Korrespondent des Spiegel lieferte folgende Eindrücke, von denen wir einige zitieren möchten.

https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,668098,00.html [5]
Eskalation beim Gipfel

So lief das Chaos von Kopenhagen

Aus Kopenhagen berichtet Christian Schwägerl

Sie kamen, sahen - und siegten nicht: Barack Obama, Wen Jiabao und andere mächtige Staatschefs wollten der Welt einen Mini-Klimakompromiss diktieren. Doch in stundenlangen Nachtsitzungen geriet die Uno-Beratung darüber zum Fiasko. SPIEGEL ONLINE dokumentiert die dramatische Nacht.

Nachdem die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Länder, von denen einige schon abgereist waren, ohne Konsultation der Führer des Rests der Welt diesen Entscheidung aufzwingen wollten, geschah folgendes:

 

„Es ist 3.15 Uhr am Samstagmorgen, als Ian Fry aus Tuvalu [nördlich von Neuseeland gelegene pazifische Inselgruppe] im großen Plenarsaal mit zitternder Stimme das Wort erhebt. Der Vertreter eines 26 Quadratkilometer großen Landes mit 12.100 Einwohnen lehnt sich gegen die USA auf, gegen China, Indien, Brasilien - gegen all jene Staatschefs, die am Abend angeführt von US-Präsident Barack Obama einen "Deal" abgeschlossen haben wollen. Und abreisten, bevor sich das Plenum der Uno-Klimakonferenz in Kopenhagen überhaupt mit ihren Vorschlägen befassen konnte.

"Wir führen unsere Verhandlungen nicht über die Medien, sondern hier im Plenum", sagt Ian Fry. Und dann beschreibt er, was der Konsens von rund 30 Staaten, an dem auch Entwicklungsländer beteiligt waren, für seine Nation bedeuten würde: "Den Tod."

Tuvalu fürchtet unterzugehen, wenn die Erderwärmung zwei Grad erreicht, wie es im Mini-Kompromissentwurf der 30 als Obergrenze steht. "1,5 Grad Celsius sind das Maximale", sagt Fry. Dann weist er das Geld zurück, das die Industrieländer für den Klimaschutz in ärmeren Ländern angeboten haben - 30 Milliarden Dollar zwischen 2010 und 2012 und immerhin 100 Milliarden Dollar jährlich ab 2020. (…)

Mit diesem Eklat beginnt die Abschlusssitzung der Weltklimakonferenz.

Und plötzlich steht selbst der dürftige Minimalkompromiss vom Abend zur Disposition. Weil es auf Klimakonferenzen üblich ist, dass Beschlüsse einvernehmlich gefällt werden, droht (…) nun das absolute Fiasko - das komplette Scheitern des Gipfeltreffens ohne jede Abschlusserklärung.

[Die Vertreter Boliviens, Venezuelas und Nicaraguas ergreifen das Wort]. (Nicaraguas Vertreter) … erhebt den Vorwurf, es gebe einen "Übernahmeversuch" einer G-22, also der Gruppe der führenden Staaten bei dem Kompromissentwurf, gegen die G-192, also die Vereinten Nationen. Dann fordert er im Namen von acht Staaten, darunter Kuba und Ecuador, einen vorläufigen Abbruch der Konferenz. (…) Die Debatte im Plenum der Weltklimakonferenz, die viele Staatenvertreter als "beispiellos" in der Geschichte der Vereinten Nationen bezeichnen, kehrt um 7.06 Uhr zu Ian Fry zurück, dem Mann aus Tuvalu. Alle seien müde und emotional, es fielen Worte, die unter anderen Umständen nicht fallen würden. Die Klimakonferenz sei von innenpolitischen Schwierigkeiten eines Landes gefesselt gewesen, deshalb sei es angebracht, die Schwächen des Textes der Gruppe um die USA anzuerkennen. Er dürfe nicht beschlossen werden, vielmehr solle man versuchen, die Verhandlungen später fortzusetzen und "etwas zu erreichen, auf das wir stolz sein können".

Die Blockade löst Verzweiflung aus. "Das ist das fürchterlichste Klimagipfelplenum, das ich je erlebt habe", sagt der Unterhändler Saudi-Arabiens, "nichts ist richtig gelaufen." (…) Das Deal-Dokument könne deshalb "nicht beschlossen werden, jedenfalls nicht hier." Sein Handywecker gehe gerade zum zweiten Mal los, er sei seit 48 Stunden wach und wolle jetzt nach Hause.

Hinter all den Verfahrensvorschlägen verstärken sich knallharte Positionen: Die Länder, die das von Barack Obama ausgehandelte Papier zum Infodokument herabstufen wollen, trachten danach, sich nicht von einem Club der Mächtigen bevormunden zu lassen. Inselstaaten wie Tuvalu fürchten um ihre Existenz.

Um 8 Uhr platzt die Bombe. Nach Beratung mit Rechtsexperten der Vereinten Nationen sagt Rasmussen: "Wir können dieses Papier heute nicht beschließen." Man könne nur ein Register anlegen, in dem die Staaten in den kommenden Monaten ihre Unterstützung für das Papier hinterlegen könnten. Entsetzt beantragt der britische Unterhändler eine Unterbrechung.

Doch die dauert eineinhalb Stunden. Es geht nun um alles. Besonders Präsident Obama hat viel zu verlieren. "Wie ein Kaiser" sei der US-Präsident nach Kopenhagen gekommen, hat die Unterhändlerin von Venezuela kritisiert.

Um 10.30 Uhr sitzt Ministerpräsident Rasmussen nicht mehr auf dem Podium, er wurde durch einen unbekannten Delegierten als Präsident ausgetauscht, der sich nicht vorstellt und keinen Grund für die Ablösung nennt. "Wir versuchen drei Sachen schnell hinzubekommen", sagt der Mann und liest vor: "Die COP nimmt Kenntnis vom Kopenhagen-Akkord vom 18. Dezember. Das ist jetzt so beschlossen", fügt er sekundenschnell hinzu und haut mit seinem Hammer auf den Tisch. Es gibt Applaus, und der neue Chef nutzt den Rückenwind, rattert einen anderen Kurzbeschluss herunter und schlägt wieder mit dem Hammer zu.

Der Gipfel wird zur Farce.

Jetzt geht es nur noch darum, dass die Konferenz nicht in totalem Chaos endet, sondern wenigstens mit einem formalen Beschluss, dass nichts beschlossen worden ist - und mit der Chance, irgendwie weiterzumachen. Die Stakkato-Strategie des Neuen geht nicht auf. Es gibt noch eine Nachfrage des Sudan. Der Präsident versteht sie nicht und bittet um Wiederholung. China meldet sich zu Wort und erhebt Einspruch dagegen, dass der Vorstand der Konferenz eigenmächtig handelt.

"Ladies and Gentlemen, ich fahre jetzt nach Hause"

Indien, Saudi-Arabien, Sudan machen Einwürfe. Um 11.30 Uhr betritt Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon die Bühne. Er hält die Rede, die er hätte halten sollen, wenn die Konferenz gelungen wäre: "Es ist ein großes Vergnügen, mit Ihnen an der Bekämpfung des Klimawandels zu arbeiten... Es war sehr schwierig, es gab dramatische und emotionale Momente... Ich hoffe, unsere erhitzte Diskussion hat nicht nur Erderwärmung beigetragen. Sie haben gezeigt, was globale Führungskraft bedeutet... Wir haben uns auf viele wichtige Punkte geeinigt, auf das Zwei-Grad-Ziel, auf den Schutz der Wälder, auf einen Sofortfonds von 30 Milliarden Dollar und einen Grünen Fonds von 100 Milliarden Dollar im Jahr 2020... Eine sofortige Umsetzung ist nötig und eine Transformation dieses Akkords in ein rechtsverbindliches Abkommens im kommenden Jahr... Sie waren der Herausforderung gewachsen während dieser Konferenz. Heute sind wir einen entscheidenden Schritt nach vorne getreten."

Ban Ki Moon sagt vor der Presse, er habe nur zwei Stunden geschlafen. Vielleicht hat er nach dem Aufwachen das Manuskript verwechselt. Seine Abschlussrede ist höchstens ein Ausdruck verzweifelter Hoffnung, wenn nicht von Wirklichkeitsverlust. Denn inhaltlich beschlossen wurde in Kopenhagen nichts. Die Ziele im "Akkord", die in fast jedermanns Urteil weder ausreichend noch verbindlich waren, wurden lediglich "zur Kenntnis genommen."

Um 12 Uhr enthüllt der Konferenzpräsident, woher er kommt: "Ladies and Gentlemen, ich räume diesen Posten und werde durch jemanden ersetzt, denn ich fahre jetzt nach Hause nach Nassau, wo es soweit ich weiß 25 Grad Celsius warm ist."

Der neue Veranstaltungsleiter hat ein Problem: "Ich hoffe, die Übersetzer sind nicht zu müde, um noch arbeiten zu können." Sie halten durch. Die Sprecherin der kleinen Inselstaaten zieht eine vernichtende Bilanz: Kein verbindliches Ergebnis, keine Ziele, die sich an der Wissenschaft orientieren. "Wir entschuldigen uns bei jedem Delegierten, der sich verletzt oder betrogen fühlt. Das genaue Gegenteil war unser Ziel."

Eine rührende Geste.

Noch rührender ist nur, dass die Dame neun Stunden nach Beginn dieser Plenardebatte wieder das 1,5-Grad-Ziel ins Spiel bringt, das die Großmächte doch so effektiv versenkt hatten. Zahlreiche Sprecher geben zu, wegen Müdigkeit nicht mehr ganz im Besitz ihrer Kräfte zu sein.

Alles liegt in Trümmern

Um 12.50 Uhr leeren sich die Reihen. Das Großereignis verliert sich in Bürokratismen: "Wir brauchen eine Fußnote, um diesen Klärungsversuch zu klären." Ein neuer Vertreter des Sudan, Antreiber des Großkonflikts im Saal, dankt für das "wunderbare Ergebnis dieser Sitzung". Das nutzt der Chef-Chinese dazu, sich von dem Dokument zu distanzieren, das sein Ministerpräsident Wen Jiabao erst am Vortag mit Barack Obama abgeschlossen hatte. Es werde nicht akzeptiert oder unterstützt, sondern nur zur Kenntnis genommen, das sei sehr wichtig. Konkrete Verpflichtungen ergäben sich darauf nicht. Irgendwo werde sich schon eine Fußnote finden lassen, wo es sich unterbringen lasse, dass jeder Staat dieses Dokument unterzeichnen könne oder auch nicht.

Die Forderung der USA, den Akkord rechtlich zu stärken, wies China zurück. Selbst die amerikanisch-chinesische Achse, die in Kopenhagen jeden Erfolg verhindert hatte, ist brüchig.

Auch Indien distanziert sich deutlich von dem Akkord, dem Deal-Dokument. Und der Konferenzpräsident muss immer und immer wieder betonen, dass der Text weder beschlossen wurde noch konkrete Verpflichtungen mit sich bringt. "Wir könnten seine Existenz anerkennen, ohne zu sagen, was er ist und was er bedeutet", ergänzt der Unterhändler Russlands.

Um 14 Uhr bringt Jonathan Pershing, stellvertretender Delegationsleiter, Verzweiflung über diese Entwicklung zum Ausdruck: "Wir dachten, dass die Führer dieser Nationen gestern dem Text zugestimmt haben, deshalb sind wir nun ein bisschen überrascht, dass dies wieder in Frage gestellt wird. Ich möchte betonen, dass wir uns selbst an das Dokument binden, es aber nicht mehr verändert werden darf, da es von den Staats-und Regierungschefs vereinbart wurde."

Jetzt liegt endgültig alles in Trümmern: Der Text des großen Führertreffens vom Freitag, der im Plenum des Gipfels an einer kleinen Gruppe Länder scheiterte, wird nicht einmal von seinen Initiatoren respektiert. Ein Uno-Polizist fragt, wann die Konferenz zu Ende ist. Als er hört, dass es noch lange dauert, sagt er: "Fuck."

Der Gipfel des Versagens endet absurd und bitter.

Mitarbeit: Christoph Seidler 19.12.2009

Kommentar der IKS

Wenn man diese Beobachtungen über den Ablauf des Gipfels liest, kann man eigentlich nicht genügend Abscheu vor den dort versammelten Führern finden.

Während sich immer mehr besorgniserregende Nachrichten über die zunehmende Umweltzerstörung häufen und es klar wird, dass die Zeit abzulaufen droht, haben diese Leute nichts anderes im Sinn gehabt, als ihre nationalen Wirtschaftsinteressen auf höchster Ebene zu vertreten. Hinter den üblichen Festungsmauern, um sich vor den Demonstranten zu schützen, für die man genügend Repressionsmittel bereit hielt, fetzten die Führer der Welt sich um die Kostenübernahme der ohnehin schon völlig unzureichenden Reduktionsmaßnahmen. Was kann man von den Vertretern der Kapitalistenklasse anders erwarten?

Das Anliegen der Staatschefs der „armen“ und Schwellenländer war angeblich die Verteidigung ihrer nationalen Souveränität. Man wolle sich von den „reichen“ Ländern, den Industriestaaten nichts aufzwingen lassen, sondern selbstbestimmt handeln. Ob den Führern der großen oder kleinen, reichen oder armen Staaten, ihnen allen ging es tatsächlich nur ums nationale Interesse. Anstatt sich um den Fortbestand des Planeten zu kümmern, haben die Führer dort ein plastisches Beispiel der Art und Weise gezeigt, wie Konkurrenz und nationalstaatliche Interessensvertretung dazu führen, den Planeten und die Menschheit auf dem Altar des Profits zu opfern.

Und während der US-Präsident nach seinem Coup schon wieder Richtung Washington düste, wurde dort am gleichen Tag der US-Verteidigungshaushalt vorgelegt.

 

„Der US-Senat hat grünes Licht für den größten Verteidigungshaushalt der Geschichte der Vereinigten Staaten gegeben. Mit 88 zu zehn Stimmen verabschiedeten die Senatoren am Samstag (19.12.) den Etat in Höhe von 626 Milliarden Dollar für das bereits vor drei Monaten angelaufene Haushaltsjahr. Der Etat sieht Ausgaben von 128,3 Milliarden Dollar für die Kriege im Irak und in Afghanistan vor. Die US-Regierung hat bereits signalisiert, dass sie schätzungsweise weitere 30 Milliarden Dollar benötigen wird, nachdem Obama kürzlich die Entsendung 30 000 zusätzlicher Soldaten nach Afghanistan.“

Damit wir uns der Proportionen und Prioritäten bewusst sind: Während die ganze Staatengemeinschaft gerade mal 30 Milliarden Dollar als Sofortfonds und 100 Milliarden Dollar im Jahre 2020 bereitstellen will, absorbiert das Krebsgeschwür Militarismus in Afghanistan allein in einem Jahr für die Entsendung von 30.000 zusätzlicher Soldaten nach Afghanistan 30 Milliarden Dollar…

Wir werden in kürze näher auf die Ergebnisse des Kopenhagener Gipfels eingehen. Weltrevolution 20.12.09

Aktuelles und Laufendes: 

  • Ökologie [6]
  • Kopenhagen Klimagipfel [7]
  • Umweltpolitik [8]

Internationalisme 1947: Was die Revolutionäre von den Trotzkisten unterscheidet

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Nachfolgend veröffentlichen wir zwei Artikel aus dem Jahr 1947 aus der Zeitschrift Internationalisme, Organ der Kommunistischen Linken Frankreichs (GCF)[1], die sich mit der Frage des Trotzkismus befassen. Damals schon hatte sich der Trotzkismus durch seine Aufgabe des proletarischen Internationalismus hervorgetan, als er sich im Gegensatz zu den Gruppen der Kommunistischen Linken[2] am 2. Weltkrieg beteiligte. In den 1930er Jahren hatte die Kommunistische Linke der opportunistischen Welle widerstanden, welche durch die Niederlage der weltweiten Welle revolutionärer Kämpfe von 1917-23 entstanden war. Unter diesen Gruppen definierte die Italienische Linke um die Zeitschrift Bilan (sie wurde 1933 gegründet) die Aufgaben der Stunde richtig. Gegenüber dem Weg in den Krieg darf man nicht die Grundprinzipien des Internationalismus verraten, man muss die 'Bilanz' des Scheiterns der revolutionären Welle und der russischen Revolution insbesondere erstellen. Die Kommunistische Linke bekämpfte die von der degenerierenden Dritten Internationalen verbreiteten opportunistischen Positionen, insbesondere die von Trotzki vertretene Politik der Einheitsfront mit den sozialistischen Parteien, die jegliche zuvor gewonnene Klarheit hinsichtlich der ins Lager des Kapitalismus übergewechselten Parteien über Bord warf. Mehrfach musste sie ihre politische Herangehensweise mit der Methode der damals noch proletarischen Strömung um Trotzki direkt gegenüberstellen, insbesondere als versucht wurde, die verschiedenen politischen Gruppen, die sich der Politik der Komintern und der stalinisierten Parteien entgegenstellten, zu vereinigen.[3] 

Mit der gleichen Methode, die Bilan angewandt hatte, analysierte die Kommunistische Linke Frankreichs die Politik des Trotzkismus, die sich nicht so sehr durch ihre "Verteidigung der UdSSR" auszeichnet, auch wenn diese Frage am klarsten ihre Verirrung zum Ausdruck bringt,  sondern durch ihre Haltung gegenüber der Frage des imperialistischen Krieges. Wie der erste Artikel "Die Funktion des Trotzkismus" zeigt, wurde die Beteiligung am Krieg seitens dieser Strömung nicht an erster Stelle bestimmt durch deren Willen zur Verteidigung der UdSSR, wie die Tatsache belegt, dass einige ihrer Tendenzen, welche die These vom "entarteten Arbeiterstaat" verwarfen, sich dennoch am imperialistischen Krieg beteiligten.  Noch entscheidender war die Idee des „geringeren Übels“, der Beteiligung am Kampf gegen „die ausländische Besatzung“ und der „Antifaschismus“.  Dieses Merkmal des Trotzkismus tritt besonders deutlich im zweiten Artikel "Bravo Abd-al-Krim oder die kurze Geschichte des Trotzkismus" zum Vorschein, in der festgestellt wird, dass die "gesamte trotzkistische Geschichte sich um die Frage der "Verteidigung" von irgendetwas dreht", die im Namen des geringeren Übels erfolgt. Dieses "irgendetwas" war alles andere als etwas Proletarisches. Dieses Markenzeichen des Trotzkismus hat sich seitdem nicht geändert, wie die verschiedenen aktivistischen Illustrationen des gegenwärtigen Trotzkismus belegen, wie auch sein Drängen, für ein Lager gegen ein anderes in den zahlreichen Konflikten, die den Planeten auch seit der Auflösung der UdSSR übersäen, Stellung zu beziehen.

An der Wurzel dieser Irrfahrt des Trotzkismus findet man, wie der erste Artikel betont, die Zuweisung einer fortschrittlichen Rolle "bestimmter Fraktionen des Kapitalismus, bestimmter kapitalistischer Länder (und wie das Übergangsprogramm ausdrücklich sagt, der meisten Länder).

Dieser Auffassung zufolge "ist die Befreiung des Proletariats nicht das Ergebnis des Kampfes, bei dem das Proletariat als Klasse gegenüber dem gesamten Kapitalismus auftritt, sondern diese wird das Ergebnis einer Reihe von politischen Kämpfen sein, im engen Sinne des Wortes und bei denen dieses durch schrittweise Bündnisse mit verschiedenen politischen Fraktionen der Bourgeoisie gewisse Fraktionen eliminieren wird und es somit schrittweise schaffen wird, die Bourgeoisie zu schwächen, sie zu besiegen, indem sie gespalten und scheibchenweise geschlagen wird.“    Da gibt es nichts mehr revolutionär Marxistisches.  

Die Funktion des Trotzkismus

(Internationalisme n° 26 – September 1947)

Es ist ein großer, weit verbreiteter Fehler zu meinen, was die Revolutionäre von den Trotzkisten unterscheidet, sei die Frage der "Verteidigung der UdSSR".

Es ist selbstverständlich, dass die revolutionären Gruppen,  welche die Trotzkisten gerne mit ein wenig Verachtung als "extreme Linke" bezeichnen (eine verächtliche Einschätzung der Trotzkisten gegenüber den Revolutionären,  die dem gleichen Geist entspricht wie dem der "Hitler-Trotzkisten", welchen die Stalinisten verwenden); es ist selbstverständlich, dass die Revolutionäre jede Art Verteidigung des russischen kapitalistischen Staates (Staatskapitalismus) verwerfen. Aber den russischen Staat nicht zu verteidigen, ist keineswegs die theoretische und programmatische Grundlage revolutionärer Gruppen. Und es ist nur eine politische Konsequenz, die ganz normal in ihren allgemeinen Auffassungen, ihrer revolutionären Plattform enthalten ist und aus diesen hervorgeht. Umgekehrt stellt die "Verteidigung  der UdSSR" keineswegs die Besonderheit des Trotzkismus dar.

Wenn von allen politischen Positionen, die sein Programm darstellen, die "Verteidigung der UdSSR" wirklich am stärksten hervorsticht und ihre Verirrung und Blindheit am deutlichsten zum Ausdruck bringt, würde man trotzdem einen großen Fehler begehen, wenn man den Trotzkismus nur aus diesem Blickwinkel betrachtet. Im äußersten Fall spiegelt diese Verteidigung die typischste und klarste abszessartige Fixierung des Trotzkismus wider. Dieser Abszess ist so offensichtlich, dass sein Anblick immer mehr Mitglieder der Vierten Internationale anekelt, und wahrscheinlich ist es eine der Ursachen dafür, dass einige ihrer Sympathisanten davor zurückschrecken, in diese Organisation einzutreten. Aber dieser Abszess ist nicht die Krankheit,  sondern nur die Stelle, wo diese in Erscheinung tritt.

Wenn wir so sehr auf diesem Punkt bestehen, geschieht dies, weil beim Anblick der äußeren Erscheinungen einer Krankheit so viele Leute sich erschrecken, aber diese dann auch sehr leicht dazu neigen, sich schnell zu beruhigen, sobald die äußeren, erkennbaren Zeichen aus dem Blick geraten. Sie vergessen, dass eine "weißgewaschene Krankheit" keine geheilte Krankheit ist. Diese Art Leute sind sicherlich ebenso gefährlich, ebenso anfällig, wenn nicht noch mehr für die Verbreitung von Korruption wie diejenigen, die aufrichtig meinen, davon geheilt zu sein.

Die "Workers' Party" in den USA (eine dissidente trotzkistische Organisation, die durch den Namen ihres Führers, Shachtman bekannt ist), die Tendenz G. Munis in Mexiko[4], die Minderheiten um Gallien und Chaulieu in Frankreich, all diese Minderheitentendenzen der IV. Internationale, die aufgrund der Tatsache, dass sie die traditionelle Verteidigung Russlands verwerfen, glauben vom "Opportunismus" der trotzkistischen Bewegung geheilt zu sein (jedenfalls behaupten sie dies). In Wirklichkeit bleiben sie weiterhin von dieser Ideologie stark geprägt und von ihr total eingenommen.

Das wird dadurch offensichtlich, wenn man die brennendste Frage anschaut, nämlich diejenige, die am wenigsten Ausflüchte offen lässt, welche am unnachgiebigsten die Klassenpositionen des Proletariats und der Bourgeoisie aufeinander prallen lässt, d.h. die Frage der Haltung gegenüber dem imperialistischen Krieg. Was sehen wir?

Die einen wie die anderen, Mehrheiten und Minderheiten, beteiligen sich alle mit unterschiedlichen Slogans am imperialistischen Krieg.

Man möge jetzt nicht die mündlichen Erklärungen der Trotzkisten gegen den Krieg zitieren, um dies zu widerlegen. Wir kennen diese sehr gut. Worauf es ankommt, sind nicht die Erklärungen, sondern die praktische Politik, die aus all den theoretischen Positionen hervorgeht und die in der ideologischen und praktischen Unterstützung der kriegstreibenden Kräfte konkretisiert wird. Es zählt hier nicht, mit welchem Argument diese Beteiligung gerechtfertigt wurde. Die Verteidigung der UdSSR ist sicherlich eine der wichtigsten Kernfragen, durch die das Proletariat an den imperialistischen Krieg gefesselt und in diesen getrieben wird. Aber dies ist nicht der einzige Schlüssel. Die trotzkistischen Minderheiten, welche die Verteidigung der UdSSR verwarfen, haben genau wie die Linkssozialisten und die Anarchisten andere Gründe gefunden, die nicht weniger gültig und nicht weniger von einer bürgerlichen Ideologie inspiriert waren, um ihre Beteiligung am imperialistischen Krieg zu begründen. Aus der Sicht der einen war es die Verteidigung der « Demokratie », aus der Sicht der anderen der « Kampf gegen den Faschismus » oder die Unterstützung der « nationalen Befreiung » oder des « Selbstbestimmungsrechts der Völker ».

Für alle war es eine Frage des "geringeren Übels", welche sie zur Kriegsbeteiligung oder in die Résistance auf Seiten eines imperialistischen Blocks gegen einen anderen trieb.

Die Partei Shachtmans hatte völlig recht, den offiziellen Trotzkisten vorzuwerfen, dass sie den russischen Imperialismus unterstützten, welcher aus ihrer  Sicht kein "Arbeiterstaat" mehr war; aber damit wurde Shachtman noch lange nicht zu einem Revolutionär, denn er erhob diesen Vorwurf nicht ausgehend von einer Klassenposition des Proletariats gegen den imperialistischen Krieg, sondern aufgrund der Tatsache, dass Russland ein totalitäres Land ist, wo es weniger "Demokratie" als anderswo gibt. Seiner Ansicht nach musste man konsequenterweise Finnland gegen den russischen Aggressor unterstützen, das weniger "totalitär" und demokratischer sei[5].  

Um das Wesen seiner Ideologie zu zeigen, insbesondere hinsichtlich der zentralen Frage des imperialistischen Kriegs, braucht der Trotzkismus keineswegs, wie wir eben gesehen haben, auf die Position der Verteidigung der UdSSR zurückzugreifen. Diese Verteidigung der UdSSR erleichtert natürlich seine Position der Kriegsbeteiligung, wodurch er diese hinter einer pseudo-revolutionären Phrase verbergen kann, aber von sich aus vertuscht er sein tieferes Wesen  und verhindert, die Frage des Wesens der trotzkistischen Ideologie in aller Deutlichkeit zu stellen.

Lassen wir einmal zur Erreichung einer größeren Klarheit die Existenz Russlands außer Acht, oder besser gesagt all die Spitzfindigkeit hinsichtlich des sozialistischen Wesens des russischen Staates, mit Hilfe derer die Trotzkisten das eigentliche Problem des imperialistischen Krieges und der Haltung des Proletariats vernebeln. Stellen wir deutlich die Frage der Haltung der Trotzkisten im Krieg. Die Trotzkisten werden natürlich mit einer allgemeinen Antwort gegen den Krieg reagieren.

Aber sobald die Litanei vom "revolutionären Defätismus" im Abstrakten korrekt heruntergeleiert worden ist, fangen sie sofort konkret an, mit spitzfindigen "Unterscheidungen" Einschränkungen zu machen, sie sagen "aber"… usw., was sie in der Praxis dazu führt, dass sie Partei für einen Kriegsteilnehmer ergreifen und die Arbeiter dazu aufrufen, sich am imperialistischen Abschlachten zu beteiligen.

Wer mit dem trotzkistischen Milieu in Frankreich während der Jahre 1939-45 irgendwie in Kontakt stand, kann Zeugnis davon ablegen, dass die bei ihnen vorherrschenden Gefühle nicht so sehr von der Position der Verteidigung Russlands bestimmt waren, sondern von der Wahl des "geringeren Übels", der Wahl des Kampfes gegen die "ausländische Besatzung" und den "Antifaschismus".

Dies erklärt ihre Beteiligung an der ‘Résistance’[6], an der F.F.I.[7] und bei der Befreiung. Und wenn die PCI[8] Frankreichs von den Sektionen anderer Länder gelobt wurde für die Rolle, die sie bei dem, die wie sie es nannten « Volksaufstand » der Befreiung spielte, lassen wir ihnen die Befriedigung, die sie durch den Bluff der Bedeutung ihrer Beteiligung empfinden (welch große Bedeutung mögen die wenigen Dutzenden Trotzkisten bei der « großen Volkserhebung » gehabt haben !). Aber wir wollen vor allem den politischen Inhalt solch eines Lobs im Kopf behalten.

Welches Kriterium für die revolutionäre Haltung im imperialistischen Krieg ?

Die Revolutionäre gehen von der Feststellung des imperialistischen Stadiums aus, das von der Weltwirtschaft erreicht worden ist. Der Imperialismus ist kein nationales Phänomen. Die Gewalt der kapitalistischen Widersprüche zwischen dem Grad der Entwicklung der Produktivkräfte – des gesamten gesellschaftlichen Kapitals – und der Entwicklung des Marktes bestimmt die Gewalt der Widersprüche unter den Imperialisten. Auf dieser Stufe gibt es keine nationalen Kriege mehr. Die imperialistische Weltstruktur bestimmt die Struktur aller Kriege. Im Zeitalter des Imperialismus gibt es keine « fortschrittlichen » Kriege. Der einzige Fortschritt besteht nur in der gesellschaftlichen Revolution. Die historische Alternative, vor der die Menschheit steht, ist die sozialistische Revolution oder der Niedergang, das Versinken in der Barbarei durch die Zerstörung des durch die Menschheit angehäuften Reichtums, die Zerstörung der Produktivkräfte und die ständigen Massaker des Proletariats in einer unendlichen Reihe von lokalen und generalisierten Kriegen. Es handelt sich also um ein Klassenkriterium gegenüber der Analyse der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft, das durch die Revolutionäre aufgeworfen wird.

 « Aber nicht alle Länder der Welt sind imperialistisch. Im Gegenteil. Die Mehrheit der Länder sind Opfer des Imperialismus. Einige Kolonialländer oder Halbkolonialländer versuchen zweifelsohne den Krieg auszunutzen, um die Geissel der Versklavung abzuschütteln. Was diese Länder betrifft,  ist der Krieg kein imperialistischer, sondern ein Befreiungskrieg. Die Aufgabe des internationalen Proletariats besteht darin, den im Krieg unterdrückten Ländern gegen die Unterdrücker zu helfen » (Das Übergangsprogramm, Kapitel : Der Kampf gegen Imperialismus und Krieg).

So bezieht sich das trotzkistische Kriterium nicht auf die historische Periode, in der wir leben, sondern es schafft und bezieht sich auf einen abstrakten und falschen Begriff des Imperialismus. Nur die Bourgeoisie eines dominierenden Landes sei imperialistisch. Der Imperialismus ist keine politisch-ökonomische Stufe des Weltkapitalismus, sondern nur des Kapitalismus in einigen Ländern, während die anderen kapitalistischen Länder, welche die Mehrheit ausmachen, nicht imperialistisch sind.  Wenn man dies rein formell betrachtet, werden heute alle Länder der Welt ökonomisch von zwei Ländern beherrscht: den USA und Russland. Kann man daraus schlussfolgern, dass ausschließlich die Bourgeoisie dieser beiden Länder imperialistisch ist und die Gegnerschaft des Proletariats gegenüber dem Krieg nur in diesen beiden Ländern zum Tragen kommt?

Besser noch, wenn man der trotzkistischen Argumentation folgt und Russland dabei herausnimmt, da das Land per Definition „nicht imperialistisch“ ist, gelangt man zu der absurden Schlussfolgerung, dass nur ein Land auf der Welt imperialistisch ist: die USA. Damit kommen wir zu der tröstlichen Schlussfolgerung, dass das Proletariat allen anderen Ländern der Welt helfen muss, da sie alle ‚nicht-imperialistisch und unterdrückt sind’.  Schauen wir konkret, wie diese trotzkistische Unterscheidung sich in der Praxis äußert.  

1939 ist Frankreich ein imperialistisches Land: revolutionärer Defätismus

1940-45 war Frankreich besetzt: Von einem imperialistischen Land wurde es zu einem unterdrückten Land. Sein Krieg wurde ein "Befreiungskrieg", "Es ist Aufgabe des Proletariats diesen Kampf zu unterstützen". Perfekt! Aber plötzlich wurde Deutschland 1945 zu einem besetzten und 'unterdrückten' Land. Damit wurde es zur Aufgabe des Proletariats, eine eventuelle Befreiung Deutschlands gegen Frankreich zu unterstützen. Was für Frankreich  und Deutschland zutrifft, gilt ebenso für irgendein anderes Land: Japan, Italien, Belgien usw.  Man braucht jetzt nicht die Kolonien und halb-kolonialen Länder zu erwähnen.  Im Zeitalter des Imperialismus wird jedes Land, das beim rücksichtslosen Konkurrenzkampf zwischen den Kapitalisten nicht das Glück oder die Kraft hat Sieger zu werden, de facto zu einem "unterdrückten" Land. Beispiel: Deutschland und Japan, und im entgegengesetzten Sinn – China.

Das Proletariat hätte somit zur Aufgabe, seine Zeit damit zu verbringen, auf der imperialistischen Waagschale hin-und her zu hüpfen, je nach dem, welche Anweisungen von den Trotzkisten erteilt werden. Es sollte sich dabei abschlachten lassen im Namen dessen, was die Trotzkisten folgendermaßen umschreiben: "Einen gerechten und fortschrittlichen  Krieg zu unterstützen…" (siehe das Übergangsprogramm – gleiches Kapitel).

Dies ist der grundsätzliche Charakter des Trotzkismus, der jeweils in allen Situationen und allen seinen Positionen dem Proletariat eine Alternative anbietet, die einen echten Gegensatz und eine Lösung als Klasse gegen die Bourgeoisie darstellt,  aber in Wirklichkeit nur eine Wahl zwischen zwei "unterdrückten" kapitalistischen Kräften bedeutet: zwischen einer faschistischen und antifaschistischen Bourgeoisie, zwischen "Reaktionären " und "Demokraten", zwischen Monarchie und Republik, zwischen imperialistischen Krieg und "gerechten und fortschrittlichen" Kriegen.

Ausgehend von dieser ewigen Wahl zwischen dem "geringeren Übel" haben sich die Trotzkisten am imperialistischen Krieg beteiligt. Die Notwendigkeit der Verteidigung der UdSSR stand keineswegs im Vordergrund. Bevor diese verteidigt wurde, hatten sie sich schon am Spanienkrieg (1936-1938) im Namen der Verteidigung des republikanischen Spaniens gegen Franco beteiligt. Dann verteidigten sie das China Chiang Kai-Sheks gegen Japan.

Die Verteidigung der UdSSR erscheint somit nicht mehr  als Ausgangs-  sondern als Endpunkt ihrer Positionen. Sie spiegelt unter anderem ihre Grundprinzipien wider. Diese Grundprinzipien verlangen nicht, dass die Arbeiterklasse eine eigenständige Klassenposition gegenüber dem imperialistischen Krieg hat, sondern dass sie eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen nationalen kapitalistischen Gruppierungen treffen kann und muss, die sich zu einem gewissen Zeitpunkt gegenüberstehen. Sie müssen als „fortschrittlich“ erachtet werden und ihre Hilfe erhalten; d.h. in der Regel soll der schwächere, rückständigere, der ‚unterdrückte’ Flügel der Bourgeoisie unterstützt werden.

Diese Position zu einer so grundsätzlichen, zentralen Frage wie der des Krieges stellt die Trotzkisten von vornherein als politische Strömung außerhalb des Proletariats und rechtfertig als solche schon die Notwendigkeit eines totalen Bruchs der proletarischen revolutionären Kräfte mit ihnen.

Die Trotzkisten machen die Arbeiterklasse zum Anhängsel der für „fortschrittlich“ erklärten Bourgeoisie

Aber wir haben nur eine Wurzel des Trotzkismus aufgegriffen. Im Allgemeinen stützt sich die trotzkistische Auffassung auf die Idee, dass die Befreiung des Proletariats nicht das Ergebnis eines „reinen“ Kampfes sei, bei dem das Proletariat als Klasse gegenüber dem gesamten Kapitalismus reagiert, sondern das Ergebnis einer Reihe von politischen Kämpfen in einem engeren Sinne, bei dem nach schrittweisen Bündnissen mit verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie einige ausgelöscht werden sollten, wodurch es dem Proletariat stufenweise gelingen würde, die Bourgeoisie zu schwächen, sie mittels Spaltung zu besiegen und sie scheibchenweise zu schlagen.

Dies ist sicherlich eine strategisch sehr weitsichtige, subtile und maliziöse  Sicht, die sich in dem Slogan „getrennt marschieren, gemeinsam schlagen….“ spiegelt. Es handelt sich um eine der Grundlagen der trotzkistischen Auffassung, die auch in der Theorie der „permanenten Revolution“ bestätigt wird (eine neue Art). Der zufolge meint die permanente Revolution, dass die Revolution selbst als eine ständige Abfolge von politischen Ereignissen als eines von vielen anderen Ereignissen gesehen wird. Dieser Auffassung zufolge ist die Revolution kein Prozess der ökonomischen und politischen Überwindung einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft. Der Aufbau des Sozialismus aber ist nur möglich und kann erst begonnen werden, nachdem das Proletariat die Macht ergriffen hat.

Es stimmt, dass diese Auffassung von der Revolution zum Teil dem Schema Marxens « treu » bleibt. Aber dies ist nur eine Treue gegenüber dem Wort. Marx vertrat dieses Schema 1848, als die Bourgeoisie noch eine historisch revolutionäre Klasse darstellte. In der Hitze der bürgerlichen Revolutionen, die über eine Reihe von Ländern Europas hinweg zogen, hoffte Marx, dass diese nicht auf der Stufe einer bürgerlichen Revolution stehen bleiben würden, sondern von dem Proletariat weiter bis zur sozialistischen Revolution getragen würden.

Auch wenn die Wirklichkeit Marx nicht bestätigt hat, handelte es sich bei ihm um eine sehr gewagte revolutionäre Auffassung, die den historischen Möglichkeiten voraus war.  Die permanente Revolution der Trotzkisten ist aber eine völlig andere Sache. Den Worten Marxens bleibt sie schon treu, aber sie bleibt dem Geist nicht treu. Ein Jahrhundert nach dem Ende der bürgerlichen Revolutionen, zur Zeit des Weltimperialismus, während die kapitalistische Gesellschaft insgesamt in ihren Niedergang eingetreten ist, meint der Trotzkismus, dass bestimmte Fraktionen des Kapitalismus in einigen kapitalistischen Ländern (und wie es das Übergangsprogramm ausdrücklich sagt, in den meisten Ländern) eine fortschrittliche Rolle spielen können.

Marx wollte das Proletariat 1848 an die Spitze der Gesellschaft treten lassen; aber die Trotzkisten lassen die Arbeiterklasse 1947 zu einem Anhängsel der als « fortschrittlich » ernannten Bourgeoisie werden. Man kann sich kaum eine groteskere Karikatur, eine gröbere Verzerrung des Schemas der permanenten Revolution von Marx als die der Trotzkisten vorstellen.

So wie Trotzki dies im Jahre 1905 wieder aufgegriffen und formuliert hatte, behielt dieses Schema der permanenten Revolution seine revolutionäre Bedeutung. 1905, zu Beginn des Zeitraums des Imperialismus, als der Kapitalismus noch viele Jahre Wohlstand vor sich zu haben schien, kam Trotzki in dem Land, das in Europa mit am rückständigsten war, und wo weiterhin noch eine politisch feudale Infrastruktur bestand, wo die Arbeiterbewegung ihre ersten Schritte machte, gegenüber all den Fraktionen der russischen Sozialdemokratie, die den Eintritt der bürgerlichen Revolution ankündigten, gegenüber Lenin, der aufgrund vieler Einschränkungen nicht wagte weiter zu gehen, als der zukünftigen Revolution bürgerliche Reformen unter einer demokratisch revolutionären Führung durch Arbeiter und Bauern zuzuschreiben, in dieser Situation kam Trotzki unzweifelhaft das Verdienst zu, verkündet zu haben, dass die Revolution entweder eine sozialistische sein werde, die der Diktatur des Proletariats, oder dass sie keine Revolution sein werde. 

Die Betonung der Theorie der permanenten Revolution lag auf der Rolle des Proletariats, das damals zur einzig revolutionären Klasse geworden war.  Diese war eine sehr kühne revolutionäre Verkündung, die sich ganz gegen die kleinbürgerlichen, verängstigten und skeptischen sozialistischen Theoretiker richtete sowie gegen die zögernden Revolutionäre, denen es an Vertrauen in die Arbeiterklasse mangelte.

Während heute die Erfahrung von mehr als 40 Jahren diese theoretischen Elemente vollauf bestätigt hat, ist die Theorie der permanenten Revolution "neuen Verschnitts" in einer kapitalistischen Welt, die ihren Höhepunkt überschritten hat und schon in ihren Niedergang eingetreten  ist, nur gegen die revolutionären "Illusionen" dieser Tollköpfe der extremen Linke, dieser Sündenböcke des Trotzkismus, gerichtet.

Heute wird die Betonung auf die rückständigen Illusionen der Proletarier gelegt, auf die Unvermeidbarkeit der Zwischenstufen, auf die Notwendigkeit einer realistischen und positiven Politik, auf die Arbeiter- und Bauernregierungen, auf die gerechten Kriege und fortschrittlich nationalen Revolutionen der Befreiung.

Dies ist heute das Schicksal der permanenten Revolution, sie liegt in den Händen der Jüngeren, die nur die Schwächen aufrechterhalten haben, aber nichts von der Größe, der Stärke und der revolutionären Tugend des Meisters übernommen haben.

Die "fortschrittlichen" Tendenzen und Fraktionen der Bourgeoisie und den revolutionären Weg des Proletariats zu unterstützen, die Spaltung und Gegensätze unter den Kapitalisten auszunutzen, sind nichts als die beiden Seiten der gleichen trotzkistischen Theorie. Wir haben gesehen, was aus der ersten geworden ist, schauen wir uns nun die zweite an.

Worin bestehen die Divergenzen im kapitalistischen Lager?

Erstens in der Art und Weise, wie man besser die kapitalistische Ordnung schützt. D.h. besser die Ausbeutung des Proletariats sicherstellt.  Zweitens hinsichtlich der unterschiedlichen ökonomischen Interessen verschiedenen Gruppen der Kapitalistenklasse. Trotzki, der sich oft durch seinen bildhaften Stil und seine Metapher hat fortreißen lassen, so dass er manchmal den wirklichen gesellschaftlichen Inhalt aus den Augen verlor,  hat stark auf diesem zweiten Aspekt bestanden. "Man darf nicht den Kapitalismus als eine Einheit sehen", meinte er. "Die Musik ist auch ein Ganzes, aber man wäre ein schlechter Musiker, wenn man nicht die unterschiedlichen Noten lesen könnte."  Diese Metapher wandte er auch auf die gesellschaftliche Bewegung und die Klassenkämpfe an. Niemand würde wirklich vorhandene Interessensunterschiede - auch nicht innerhalb der Kapitalistenklasse - und die daraus entstehenden Kämpfe leugnen oder verkennen. Es geht darum, welchen Platz diese Interessensunterschiede in der Gesellschaft und in den verschiedenen Kämpfen einnehmen. Man wäre ein sehr schlechter revolutionärer Marxist, wenn man die Kämpfe zwischen den Klassen und den Kampf zwischen Gruppen innerhalb der gleichen Klasse auf die gleiche Ebene stellt. "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“. Diese Grundsatzthese des Kommunistischen Manifestes verkennt natürlich nicht die Existenz von zweitrangigen Auseinandersetzungen verschiedener wirtschaftlicher Gruppen und Individuen innerhalb der gleichen Klasse und deren relative Bedeutung. Aber der Motor der Geschichte sind nicht diese zweitrangigen Faktoren, sondern der Kampf zwischen der herrschenden Klasse und der unterdrückten Klasse. Wenn eine neue Klasse in der Geschichte entsteht und eine alte ersetzt, die unfähig geworden ist, die Gesellschaft zu führen, d.h. in einer historischen Epoche der Umwälzungen und der gesellschaftlichen Revolution, bestimmt und dominiert der Kampf zwischen diesen beiden Klassen absolut all die gesellschaftlichen Ereignisse und alle zweitrangigen Konflikte. In solchen historischen Zeiträumen wie unserem auf die zweitrangigen Konflikte zu bestehen, mit deren Hilfe man die Richtung der Bewegung des Klassenkampfes, seine Richtung und sein Ausmaß bestimmen möchte, zeigt sonnenklar auf, dass man nichts von den Grundsätzen der marxistischen Methode verstanden hat. Man betreibt nur abstrakte Spielereien mit Musiknoten und unterwirft konkret den gesellschaftlichen historischen Kampf des Proletariats den Zufälligkeiten der politischen Konflikte unter den Kapitalisten.

Diese ganze Politik beruht im Kern auf einem tiefgreifenden Mangel an Vertrauen in die eigenen Kräfte des Proletariats. Offensichtlich haben die letzten drei Jahrzehnte ununterbrochener Niederlagen tragisch die Unreife und die Schwäche des Proletariats deutlich werden lassen. Aber es wäre ein Fehler, die Wurzel dieser Schwächen in der Selbstisolierung des Proletariats zu suchen, in der Abwesenheit eines ausreichend weichen, anpassungsfähigen  Verhaltens gegenüber den anderen Klassen, Schichten und politischen Strömungen, die der Arbeiterklasse feindlich gegenüber eingestellt sind. Das Gegenteil ist der Fall. Seit der Gründung der Komintern warnte man unaufhörlich vor der Kinderkrankheit der Linksradikalen; man entwarf die unrealistische Strategie der Eroberung der großen Massen, der Eroberung der Gewerkschaften, der revolutionären Ausnutzung der Parlamentstribüne, der politischen Einheitsfront mit dem "Teufel und seiner Großmutter" (Trotzki), der Beteiligung an Arbeiterregierungen in Sachsen usw.

Und das Ergebnis?

Ein Desaster.  Jeder neuen Eroberung mit einer "sanften Strategie" folgte eine noch größere und tiefergreifende Niederlage. Um diese Schwäche auszugleichen, für die das Proletariat verantwortlich gemacht wurde, stützte man sich zur "Stärkung" des Proletariats nicht nur auf Kräfte, die außerhalb des Proletariats standen (Sozialdemokraten), sondern auch auf ultrareaktionäre Kräfte: "revolutionäre" Bauernparteien; internationale Bauernkonferenzen, internationale Konferenzen der Kolonialvölker.  Je mehr Niederlagen das Proletariat einstecken musste, desto mehr Bündnisse en masse wurden errichtet und die Politik der Ausbeutung triumphierte in der Kommunistischen Internationale. Sicher liegt die Wurzel dieser Politik in der Existenz des russischen Staates, der seine Existenz zu rechtfertigen suchte und von seinem Wesen her nichts mit sozialistischer Revolution zu tun hatte, denn er war dem Proletariat fremd und Gegner der Ziele desselben.

Zur  Aufrechterhaltung  seiner Existenz und seiner Stärkung muss der Staat Bündnisse mit den "unterdrückten" Bourgeoisien, den "Völkern" und Kolonien und "fortschrittlichen" Ländern  suchen; diese findet er auch, denn diese sozialen Gruppierungen müssen ebenso einen Staat errichten. Er kann über die Spaltung und die Konflikte zwischen anderen Staaten und kapitalistischen Gruppen spekulieren, weil er das gleiche Klassenwesen wie diese besitzt.

In diesen Konflikten kann die Schwächung einer dieser Antagonismen zu einer Bedingung für seine Verstärkung werden. Dies trifft aber auf die Arbeiterklasse und ihre Revolution nicht zu. Sie kann sich auf keinen dieser Verbündeten oder Kräfte stützen. Sie steht alleine da und steht immer in einem unüberwindbaren historischen Widerspruch zu all diesen Kräften und Leuten, die sich ihr gegenüber zu einer untrennbaren Einheit zusammenfügen.

Das Proletariat sich seiner Position und seiner historischen Aufgabe bewusst werden zu lassen, ihm die großen Schwierigkeiten seines Kampfes nicht zu vertuschen, ihm aufzuzeigen, dass es aber auch keine Wahl hat, wenn es seine menschliche und physische Existenz bewahren will, ihm zeigen, dass es trotz dieser Schwierigkeiten siegen kann und muss, dies ist der einzige Weg der Stärkung des Proletariats für seinen Sieg.

Aber wenn man versucht, diesen Schwierigkeiten auszuweichen, indem man für die Arbeiterklasse mögliche Verbündete sucht (auch nur vorübergehende) und ihm "fortschrittliche" Kräfte anderer Klassen anbietet, auf die sie sich in ihrem Kampf stützen sollte, heißt die Arbeiterklasse zu täuschen, um sie zu trösten, zu entwaffnen und sie in die Irre zu führen. Darin besteht die Funktion der Trotzkisten heute.  Marc

"Bravo Abd-al-Krim" oder eine kurze Geschichte des Trotzkismus  
(Internationalisme n° 24 – Juli 1947)

Einige Leute leiden unter einem Minderwertigkeitsgefühl, andere unter Schuldgefühlen, wieder andere unter Verfolgungswahn. Der Trotzkismus wiederum leidet unter einer Krankheit, die man mangels besserer Bezeichnung "Verteidigungsmanie" nennen könnte. Die ganze Geschichte des Trotzkismus dreht sich um die "Verteidigung" von irgendetwas. Und wenn die Trotzkisten unglücklicherweise in 'flauen Wochen' nichts und niemanden zum Verteidigen finden,  werden sie sprichwörtlich krank. Dann erkennt man sie an ihren traurigen Gesichtern, ihren niedergeschlagenen Minen, ihrem verstörten Blick, wie sie wie ein Drogenabhängiger ihre tägliche Giftdosis suchen: eine Sache oder ein Opfer, für dessen Verteidigung sie eintreten könnten.

Gott sei Dank gibt es ein Russland, in dem es einmal eine Revolution gegeben hat. Dies dient den Trotzkisten ewig zur Rechtfertigung ihres Dranges der Verteidigung. Was immer in Russland passiert, bleiben die Trotzkisten unerschütterlich für die "Verteidigung der UdSSR", denn sie haben in Russland eine unerschöpfliche Quelle gefunden, welche ihr Laster der "Verteidigung" befriedigt.

Aber nicht nur die großen Verteidigungen zählen. Um das Leben des Trotzkismus zu bereichern, braucht man zusätzlich zu der großen Verteidigung die unsterbliche, bedingungslose "Verteidigung der UdSSR" – welche die Grundlagen und die Daseinsberechtigung des Trotzkismus liefern. Der Trotzkismus ist erpicht auf die "alltäglichen…Verteidigungen", das, was er "jeden Tag verteidigen" kann.

In der Niedergangsphase des Kapitalismus entfesselt dieser eine allgemeine Zerstörung, von der die Arbeiterklasse betroffen ist, die wie immer Opfer des Regimes wird. Repression und Massaker breiten sich aus, sogar bis in die Kapitalistenklasse hinein pflanzt sich die Zerstörung fort. Hitler massakrierte die republikanischen Bürgerlichen, Churchill und Truman hängten und erschossen Goering und Co., Stalin erhielt das Einverständnis aller, als er verschiedene Leute massakrierte.  Ein blutiges allgemeines Chaos, die Auslösung einer perfektionierten Bestialität und ein bislang unbekannter raffinierter Sadismus sind das zu zahlende unausbleibliche Lösegeld, wenn es dem Kapitalismus unmöglich geworden ist, seine Widersprüche zu überwinden. Gott sei gelobt.  Welch ein Glücksfall für diejenigen, die auf der Suche einer verteidigungswerten Sache sind.  Unsere Trotzkisten freuen sich! Jeden Tag bieten sich für unsere modernen Ritter neue Möglichkeiten, bei denen sie ihr großzügiges Wesen ihres Kampfes zur Wiedergutmachung jeglichen Unrechts und der Rache der Beleidigten zeigen können.

Werfen wir einen Blick auf die Geschichte des Trotzkismus

Im Herbst 1935 fing Italien eine militärische Kampagne gegen Äthiopien an. Es handelte sich zweifelsohne um einen imperialistischen Krieg der kolonialen Eroberung eines rückständigen Landes, Äthiopiens, das wirtschaftlich und politisch noch halbfeudal war, durch ein fortgeschrittenes kapitalistisches Land, Italien. In Italien herrschte das Regime Mussolinis, in Äthiopien das Regime Negus, der "König der Könige". Aber der italienisch-äthiopische Krieg ist viel mehr noch als ein einfacher, klassischer Kolonialkrieg.   Es handelte sich um die Vorbereitung, den Auftakt des sich ankündigenden Weltkriegs. Aber die Trotzkisten brauchen nicht so weit voraus zu schauen. Es reicht zu sehen, dass Mussolini der "böse Angreifer" gegen das "arme Königreich" des Negus ist, um unmittelbar die "bedingungslose" Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit Äthiopiens zu übernehmen. Ah, aber wie! Sie reihen ihre Stimme in den allgemeinen Chor ein (vor allem den Chor des angel-sächsischen "demokratischen" Blocks, welcher noch in der Bildung begriffen ist und sich noch sucht), um internationale Sanktionen gegen die "faschistische Aggression" zu fordern. Die stärksten Verteidiger unter allen, die zudem von niemanden in diesen Fragen Lehren erhalten können, schelten und prangern sie die aus ihrer Sicht unzureichende Verteidigung durch den Völkerbund an[9], und rufen die Arbeiter der Welt dazu auf, die Verteidigung Äthiopiens und des Negus zu übernehmen. Es stimmt zwar, dass die Verteidigung des Königs Negus durch die Trotzkisten diesem nicht besonders viel Glück gebracht hat, weil er trotz deren Verteidigung geschlagen wurde. Aber gerechterweise muss man sagen, dass ihnen die Schuld dieser Niederlage  nicht angehaftet werden kann, denn wenn es um die Verteidigung geht, selbst die eines Negus, nörgeln die Trotzkisten nicht. Sie sind zur Stelle und wie!

1936 brach der Spanienkrieg los. In Gestalt eines inneren "Bürgerkrieges", durch welchen die spanische Bourgeoisie in einen frankistischen und republikanischen Clan gespalten wurde, wurde dieser auf Kosten des Lebens und des Bluts der Arbeiter geführt. Er war das Vorspiel für den bevorstehenden Weltkrieg. Die Regierung, welche aus Republikanern, Stalinisten und Anarchisten zusammengesetzt war, war offensichtlich militärisch unterlagen. Natürlich eilten die Trotzkisten der Republik zur Hilfe, die "durch die faschistische Gefahr bedroht wurde". Ein Krieg kann natürlich nicht fortgesetzt werden, wenn es an Kämpfern und Material fehlt. Er würde zum Erliegen kommen. Aus Angst vor solch einer Perspektive, wo man nichts mehr verteidigen könnte, setzen die Trotzkisten alles daran, Kämpfer für die internationalen Brigaden zu rekrutieren und bringen alle Mittel für die Entsendung von "Kanonen für Spanien" auf. Aber die republikanische Regierung, zu der Azaña, Negrin, Francos Freunde von gestern und heute gehören, sind die Feinde der Arbeiterklasse. Die Trotzkisten schauen nicht so genau hin. Sie verhandeln nicht ihre Hilfe. Man ist für oder gegen die Verteidigung. Wir Trotzkisten, wir sind Neo-Verteidiger. Punkt, basta!

1938 tobte der Krieg im Fernen Osten. Japan griff das China Tschiang Kai-Sheks an.Ah! Keine Zögerungen! "Alle geschlossen wie ein Mann für die Verteidigung Chinas". Trotzki selbst erklärte, dies sei nicht der Zeitpunkt, um das blutige Massaker der Tausenden und Tausenden Arbeiter Shanghais und Kantons durch die Armeen des gleichen Tschiang Kai-Sheks während der Revolution von 1927 in Erinnerung zu rufen. Die Regierung Tschiang Kai-Shek mag wohl eine kapitalistische Regierung sein, die im Solde des amerikanischen Imperialismus steht, und die bei der Ausbeutung und der Repression der Arbeiter dem japanischen Regime in nichts nachsteht, all das zählt wenig angesichts des höheren Prinzips der nationalen Unabhängigkeit. Das internationale Proletariat, das für die Unabhängigkeit des chinesischen Kapitalismus mobilisiert wurde, bleibt immer unabhängig… vom Yankee-Imperialismus, aber Japan hat tatsächlich China verloren und ist geschlagen worden. Die Trotzkisten können zufrieden sein. Zumindest haben sie die Hälfte ihres Ziels erreicht. Es stimmt, dass dieser antijapanische Sieg  Dutzende Millionen von Arbeitern, die im sieben Jahre dauernden Krieg an allen Fronten während des Weltkriegs massakriert wurden, das Leben gekostet hat.[10] Aber zählt das neben der garantierten Unabhängigkeit Chinas?

1939 griff Hitler-Deutschland Polen an. Vorwärts mit der Verteidigung Polens. Aber der russische "Arbeiterstaat" griff ebenfalls Polen an, und fiel zudem noch in Finnland ein und entriss Rumänien Gebietsstreifen. Das stiftet ein wenig Verwirrung in den Köpfen der Trotzkisten, die wie die Stalinisten erst wieder klarer sehen als die Feindseligkeiten zwischen Deutschland und Russland ausbrachen. Danach wurde die Lage wieder einfacher, zu einfach, tragisch einfach. Fünf Jahre lang riefen die Trotzkisten die Arbeiter aller Länder dazu auf, sich für die "Verteidigung der UdSSR" abschlachten zu lasen und auf Umwegen alle Verbündeten der UdSSR. Sie bekämpften die Regierung Vichys, die das französische Kolonialreich Deutschland dienstbar machen wollte und somit "seine Einheit" aufs Spiel setzte. Sie bekämpften Pétain und andere Quisling[11]. In den USA forderten sie die Kontrolle der Armee durch die Gewerkschaften, um besser die Verteidigung der UdSSR gegen die Bedrohung durch den deutschen Faschismus sicherzustellen. Sie waren bei allen Maquis, allen Résistance in allen Ländern präsent. Dies war die Blütezeit der "Verteidigung".

Der Krieg mag wohl zu Ende kommen, aber der tiefgreifende Wunsch der Trotzkisten nach "Verteidigung" ist unbegrenzt. Das weltweite Chaos, das dem offiziellen Ende des Krieges folgte, die verschiedenen Bewegungen rasender Nationalismen, die bürgerlich-nationalistischen Erhebungen in den Kolonien, waren allemal Ausdrücke des weltweiten Chaos nach dem offiziellen Ende des Krieges, welches schließlich durch die Großmächte benutzt und angefacht wurde, um sie ihren imperialistischen Interessen unterzuordnen. Sie lieferten genug Stoff für die Trotzkisten zur Rechtfertigung ihrer "Verteidigungsargumentation". Vor allem im Namen der bürgerlichen Kolonialbewegungen, unter den Fahnen der "nationalen Befreiung" und des "Kampfes gegen den Imperialismus" (eine verbalradikaler Schlachtruf) schlachtete man weiter Tausende Arbeiter ab. All das stellt den Höhepunkt der „Verteidigungsaufrufe“ der Trotzkisten dar.  

In Griechenland prallten der russische und anglo-amerikanische Block um die Vorherrschaft auf dem Balkan aufeinander; vor Ort geschah dies in Form von Partisanenkämpfen gegen die offizielle Regierung. Die Trotzkisten waren mit dabei. "Finger weg von Griechenland", schrien sie, und sie kündigten die gute Nachricht den Arbeitern an, nämlich die Gründung von internationalen Brigaden auf dem jugoslawischen Territorium des Befreiers Tito[12], wo sie die Arbeiter dazu aufriefen, in Brigaden zum Kampf um die Befreiung Griechenlands einzutreten.

Nicht weniger enthusiastisch berichten sie von ihren heldenhaften Kämpfen in China in den Reihen der sog. Kommunistischen Armee,  die genau so kommunistisch ist wie die russische Regierung Stalins, von der sie abstammt. Indochina, wo die Massaker ebenfalls gut organisiert worden sind, wird erneut ein Paradebeispiel für die trotzkistische Verteidigung der "nationalen Unabhängigkeit Vietnams" sein. Mit dem gleichen generösen Elan unterstützten und verteidigten die Trotzkisten die nationale bürgerliche Partei Destour in Tunesien, der nationalen bürgerlichen Partei (PPA) in Algerien. Sie fanden Befreiungstugenden bei der MDRM, der bürgerlich nationalistischen Bewegung in Madagaskar. Die Verhaftung von Funktionären der Republik und von Abgeordneten in Madagaskar durch die kapitalistische Regierung Frankreichs trieb die Empörung der Trotzkisten auf den Höhepunkt. Jede Woche wurde La Vérité mit neuen Aufrufen für die Verteidigung der "armen" Abgeordneten Madagaskars gedruckt. "Befreit Ravoahanguy, befreit  Raharivelo, befreit Roseta !"Der Platz in der Zeitung reichte nicht mehr, um all die Aufrufe zur "Verteidigung", an der sich die Trotzkisten beteiligen sollten, zu veröffentlichen. Verteidigung der in den USA bedrohten stalinistischen Partei! Verteidigung der pan-arabischen Bewegung gegen den jüdischen Kolonisationszionismus in Palästina, und Verteidigung der Wütenden vor der chauvinistischen jüdischen Kolonisation, der terroristischen Führer des Irgun gegen England!

Verteidigung der Sozialistischen Jugend gegen das Führungskomitee der SFIO.

Verteidigung der SFIO gegen denn neo-sozialistischen Ramadier.

Verteidigung der CGT (französische Gewerkschaft) gegen ihre Führer

Verteidigung der "Freiheiten…. gegen die Bedrohungen durch die "Faschisten um de Gaulle"

Verteidigung der Verfassung gegen die Reaktion

Verteidigung der Regierung von PS-PC-CGT gegen die MRP.

Und über allem stehend Verteidigung des "armen" Russlands Stalins, das von einer Umzingelung durch die USA bedroht ist.

Arme, arme Trotzkisten, auf den zarten Schultern lastet die schwere Bürde so vieler "Verteidiger"!

Am 31. Mai diesen Jahres hat etwas Sensationelles stattgefunden: Abd-al-Krim, der alte Führer des Rifs[13], hat die französische Regierung einfach stehen lassen, indem er  bei seiner Überstellung nach Frankreich flüchtete. Diese Flucht wurde durch die Komplizenschaft des Königs Faruk aus Ägypten vorbereitet und ausgeführt, der ihm Asyl anbot, das man königlich nennen kann. Das Ganze erfolgte mit ziemlichem Wohlwollen der USA. Die Presse und die französische Regierung sind bestürzt. Die Lage Frankreichs in den Kolonien ist alles andere als sicher, und es wird neue Unruhen geben. Aber mehr als eine wirkliche Gefahr ist die Flucht Abd-al-Krims vor allem ein Ereignis, das Frankreich lächerlich aussehen lässt, dessen Prestige auf der Welt ohnehin schon angeschlagen ist. Auch versteht man die Proteste der ganzen Presse, die sich über den Vertrauensbruch Abd-al-Krims gegenüber der demokratischen französischen Regierung beschweren, der trotz seines Ehrenwortes flüchtete.

Dies ist natürlich ein "tolles" Ereignis für unsere Trotzkisten, die vor Freude mit den Füßen trampeln. La Vérité vom 6. Juni titelt "Bravo Abd-al-Krim", sie empfindet Mitleid mit dem, der "den heldenhaften Kampf des marokkanischen Volkes anführte".La Vérité lobt die revolutionäre Größe seiner Geste. "Wenn sie diese Herren des Generalsstabs und des Ministeriums der Kolonien getäuscht haben, haben sie das toll gemacht. Man muss wissen, wie man die Bourgeoisie hinters Licht führt, sie belügt, sie austrickst, lehrte uns Lenin", schreibt La Vérité. So wurde Abd-al-Krim zu einem Schüler Lenins gemacht, in Erwartung, dass er ein Ehrenmitglied des Exekutivkomitees der 4. Internationale wird.

Die Trotzkisten versichern uns, "als alter Kämpfer des Rifs, der wie in der Vergangenheit die Unabhängigkeit seines Landes wollte,… so lange wie Abd-al-Krim kämpft, werden alle Kommunisten auf der Welt ihm helfen und ihn unterstützen". Sie sagen zum Schluss: "Was gestern die Stalinisten sagten, wiederholen wir Trotzkisten heute".

Tatsächlich könnte man das nicht deutlicher sagen.

Aber wir werfen den Trotzkisten nicht vor, "das heute zu wiederholen, was die Stalinisten gestern gesagt haben" und das zu tun, was die Stalinisten immer getan haben. Wir werfen den Trotzkisten auch nicht vor, das zu "verteidigen" was sie wollen. Sie erfüllen eigentlich ganz ihre Rolle.

Aber es möge uns gestattet sein, einen Wunsch auszudrücken, einen einzigen Wunsch. Mein Gott! Hoffen wir, dass die Notwendigkeit der Verteidigung der Trotzkisten nicht eines Tages dem Proletariat zufällt. Denn mit dieser Art Verteidigung wird die Arbeiterklasse sich nie mehr erheben können.

Die Erfahrung mit dem Stalinismus reicht vollkommen!    Marc

[1]Siehe unsere Broschüre  La Gauche Communiste de France [9].

[2]Siehe unseren Artikel  La Gauche Communiste et la continuité du marxisme [10].

[3]Siehe dazu das erste Kapitel unserer Broschüre zur "Gauche Communiste de France". Die gescheiterten Versuchte der Schaffung einer Gauche Communiste de France".

[4][Hinweis der Redaktion] Ein besonderer Hinweis auf Munis sei hier angebracht, welcher mit dem Trotzkismus auf der Grundlage der Verteidigung des proletarischen Internationalismus brach. Siehe dazu unseren Artikel in Internationale Revue Nr. 58 (französische Ausgabe). "Dem Gedenken an Munis, Kämpfer der Arbeiterklasse". A la mémoire de Munis, un militant de la classe ouvrière [11].

[5][Hinweis der Redaktion]: Es handelt sich um die russische Offensive 1939, die neben Finnland auch auf Polen gerichtet war (das seinerzeit von Hitler überfallen wurde), sowie auf die Baltischen Staaten und Rumänien.

[6]Es ist ganz typisch, dass die Gruppe Johnson-Forest, die sich von der Partei Schachtmans getrennt hat und sich als "sehr links" bezeichnet, weil sie gleichzeitig die Verteidigung der UdSSR ablehnt und die antirussischen Positionen Schachtmans, dass die gleiche Gruppe heftig die französischen Trotzkisten kritisiert, die ihnen zufolge sich nicht direkt aktiv genug an der 'Résistance' beteiligt haben. Dies ist ein typisches Beispiel des Trotzkismus.

[7][Hinweis der Redaktion]: Forces Françaises de l'Intérieur, Gesamtheit der militärischen Gruppen der französischen inneren Résistance, die im besetzten Frankreich gebildet worden waren, und im März 1944 unter den Befehl des General Königs und der politischen Autorität des General de Gaulles gestellt worden war.

[8][Hinweis der Redaktion] :Parti Communiste Internationaliste, Ergebnis des Zusammenschlusses 1944 der Parti Ouvrier Internationaliste und des Comité Communiste Internationaliste

[9][Hinweis der Redaktion] Völkerbund, Vorläufer vor dem Krieg der Vereinten Nationen

[10]Man lese zum Beispiel La Vérité vom 20.06.1947. « Der heldenhafte Kampf der chinesischen Trotzkisten": "In der Provinz Chandung wurden unsere Genossen zu den besten Kämpfern der Guerilla… In der Provinz Xiang-Chi wurden die Trotzkisten von den Stalinisten als die 'loyalsten Kämpfer gegen Japan' begrüßt. Usw."

[11][Hinweis der Redaktion]: Vidkum Quisling war der Führer der norwegischen Nasjonal Samling (Nazipartei) und Führer der Phantomregierung, die von Deutschland nach der Besetzung Norwegens eingesetzt worden war.

[12][ Hinweis der Redaktion]:  Josip Broz Tito war einer der Hauptverantwortlichen der jugoslawischen Résistance am Ende des Krieges.

[13][Hinweis der Redaktion] Mohammed Abd al-Karim Al Khattabi (in Ajdir, Marokko,ca. 1882 geboren), verstorben am 6.Februar 1963 in Kairo in Ägypten), führte einen langen Widerstandskampf gegen die Kolonialbesetzung des Rifs – Bergregion im Norden Marokkos – zunächst gegen die Spanier, dann gegen die Franzosen. Ihm gelang es 1922 , eine "Konföderierte Republik der Stämme des Rifs" auszurufen. Der Krieg zur Niederschlagung dieser neuen Republik wurde von einer Armee von 450.000 Soldaten geführt, die Frankreich und Spanien zusammengestellt hatten. Als er sah, dass seine Sache aussichtslos war, stellte sich Abd-al-Krim den Behörden als Kriegsgefangener, um das Leben von Zivilisten zu schützen, was aber die Franzosen nicht daran hinderte, die Dörfer mit Senfgas zu bombardieren, wodurch 150.000 Menschen getötet wurden. Abd-al-Krim ging ab 1926 nach La Réunion ins Exil, wo er unter Hausüberwachung stand, aber 1947 durfte er nach Frankreich zurückkehren. Als sein Schiff in Ägypten Zwischenstop machte, übertölperte er seine Bewacher, und verbrachte den Rest seines Lebens in Kairo. (siehe Wikipedia).

Aktuelles und Laufendes: 

  • Trotzkismus Kriegsfrage [12]

Leute: 

  • Tito [13]
  • Abd al Krim [14]
  • G. Munis [15]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Trotzkismus [16]

Historische Ereignisse: 

  • Spanienkrieg [17]
  • Krieg Griechenland [18]

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [19]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Angebliche "Arbeiterparteien" [20]

Notizen zu den Studentenprotesten:

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Nachfolgend veröffentlichen wir einige Notizen zu den Studentenprotesten in Deutschland, die wir als Zuschrift erhalten haben. Wir begrüßen solche Reaktionen und möchten sie hiermit zur Debatte stellen. - Weltrevolution -

Notizen zu den Studentenprotesten:

1) Die Gesamtsituation im Juni und jetzt ist unterschiedlich (im Juni z.B. Streik der Erzieherinnen – jetzt mehr Niedergeschlagenheit durch Firmenschließungen wie Karstadt und Quelle)

2) Die Studenten haben im Juni nichts erreicht, die Bourgeoisie hat angesichts der nahenden Sommerferien das Ganze ausgesessen. Deshalb jetztwieder Proteste – sie haben sich nicht entmutigen lassen.

3) Einiges finden ich bemerkenswert bei diesen Protesten:

a) Kämpferisch und motiviert – Die Studenten investieren viel Zeit und Energie, sie lassen sich nicht einlullen durch Versprechungen und angebliches „Verständnis“, hinter denen nichts steckt

b) Kollektives Entscheiden und Handeln – in den besetzten Hörsälen wird diskutiert und gemeinsam entschieden und zwar tagtäglich – die Arbeitskreise, die einzelne Themen erarbeiten, legen regelmäßig Rechenschaft ab.

c) An vielen Orten autonomes Handeln – die Asten und Studentenparlamenten haben Schwierigkeiten, einen Zugang zu den Protesten zu finden und bleiben bei Solidaritätsbekundungen (es ist allerdings je nach Uni unterschiedlich – hier da, dort weniger)

d) Parteien sind selten gern gesehen, aber es gibt nicht unbedingt eine Abneigung gegen Politik – jeder kann reden, egal ob organisiert oder nicht

e) Die Studenten besetzen nicht die Räume, um sich darin einzusperren, sondern als Ort der Zusammenkunft, um auch vor dort aus andere Unis zu besuchen

f) Die Proteste gehen über Städte, Regionen und Länder hinweg – praktischer internationaler Zusammenhalt und Vernetzung. Zwei Beispiele: Die Wuppertaler sind z.B. vor einer Woche abends nach ihrem Plenum spontan zu 40 nach Aachen gefahren, um die dortigen Studenten zu besuchen und zu unterstützen – es hat allen gut getan, sie haben eine spontane Demo gemacht und über zwei Stunden diskutiert ; als sie hörten, dass in Deutschland Unis mit Polizeigewalt geräumt wurden, begaben sich die Wiener Studenten spontan als Demo zu der deutschen Botschaft (bringt zwar nicht viel, aber eine spontane Reaktion der Solidarität)

g) Solidarität ist insgesamt wichtig – eine Demo gegen die Repressalien wird z.B. jetzt am 25.11. in Duisburg stattfinden

h) Die Studenten sind offen auch für andere (Eltern, Dozenten) und freuen sich über Beteiligung

i) Mich begeistert ihre Kreativität, wie sie mit Problemen umgehen, wie sie neue Lösungen und Ideen immer wieder finden, wie sie das Ganze künstlerisch, humorvoll und einfallsreich aufarbeiten

j) Die Reaktionen der Bevölkerung finde ich auch interessant: die Studenten bekommen Unterstützung (einige Beispiele: Anwohner und andere Menschen haben den Studenten in Köln 40 Schüsseln mit Salaten gebracht; Bäckereien schenken Brot und Gebäck; Druckereien drücken umsonst Flyers, etc.)

4) Selbstverständlich sind erhebliche Grenzen auch vorhanden:

a) Während die Studenten sich viel über die Organisation ihres Protestes Gedanken machen, sind inhaltliche Diskussionen oft zu selten – was steckt hinter den Forderungen, in welcher Situation weltweit und in Deutschland/Österreich befinden wir uns, ist der universitäre Rahmen der einzige, um den es geht, was ist mit den Beschäftigten... viele Diskussionsthemen, die stattfinden sollten auch über die verschiedenen Vernetzungsmöglichkeiten, aber es meiner Meinung nach zu wenig tun –allerdings habe ich nur einen eingeschränkten Blick, bin ja nicht überall, es kann auch Unterschiede geben. Insgesamt ist es meiner Meinung nach aber eher unpolitisch und damit eine leichte Beute für die bürgerlichen Medien und Parteien/Organe/Ideologie

b) Die Grenzen liegen in der Natur des Studentendaseins selbst – die Zusammensetzung ist heterogen und sie sind noch nicht im Produktionsprozess integriert – mit Illusionen und wenig Erfahrungen (auch wenn sie instinktiv oft richtig reagieren)

c) Die gesamte Situation bietet wenig Möglichkeiten, dass sie sich bestehenden Kämpfen der Arbeiter anschließen – denn die gibt es im Moment nicht. Dadurch werden Appelle, sich auch an die Arbeiter zu wenden, abstrakt. Da, wo Reaktionen der Arbeiter bestehen, gibt es aber ein natürliches Zusammenkommen mit den Studenten (z.B. letzten Samstag in Wien, als Erzieherinnen für bessere Arbeitsbedingungen demonstrierten, waren die Studenten dabei und haben die Demonstranten zu einer „Kindergartenjause“ im Audimax der Uni eingeladen).

5) Die Reaktion der Bourgeoisie:

a) Der Bourgeoisie ist das Ganze unangenehm. Erst hat sie versucht, es totzuschweigen (über die Proteste in Österreich ist die erste Zeit gar nicht berichtet worden). Dann ging es nicht mehr, also durfte sie den Studenten das Feld nicht überlassen und kein Tag vergeht ohne Berichterstattung, Interviews und „viel Verständnis“ sogar von Merkel! In einer Zeit, in der der soziale Frieden über kurz oder lang Risse bekommt und Kämpfe unvermeidbar werden, ist das Beispiel der Studenten und die Solidarität der Bevölkerung so gar nicht in ihrem Sinne. Sie versucht mit der ganzen Palette von Repression bis Zustimmung das Nachdenken zu verhindern.

b) Reaktionen wie Räumung der Unis durch Polizei und Strafanzeigen halte ich nicht für ein Zeichen der Stärke der Bourgeoisie. Wird da geräumt, gehen sie durch eine andere Tür wieder rein – es beeindruckt sie nicht, macht sich aber in der Bevölkerung nicht besonders gut und gießt Öl aufs Feuer – zumal die Studenten sich durch Gewalt nicht provozieren lassen.

c) Reaktionen der Bildungsministeriums wie Bafögerhöhung oder Sparpläne für zukünftige Studenten (die Oma und Opa anlegen können) sind lächerlich, und was ich mitkriegen konnte, werden auch von Nichtstudenten als solche wahrgenommen.

d) Dass die Bourgeoisie hinter allen Maßnahmen das Sparen bezweckt, wird immer deutlicher – ob Kindergarten oder Uni, es soll billig sein – je mehr Bildung auf der Packung steht, desto weniger ist Bildung drin. Die Unfähigkeit des Kapitalismus, den Menschen u.a. auch in ihrem Bedürfnis nach Lernen eine Perspektive zu bieten, offenbart sich auch zunehmend darin, dass die Bourgeoisie nicht in der Lage sein kann, auf die Studentenproteste wirklich einzugehen. Diese Unfähigkeit des Kapitalismus verstehen die Studenten aber noch nicht und darin liegen ihre Illusionen.
N. 23.11.09

Offener Brief an die Studenten

„Liebe Wuppertaler Studenten, Ich verfolge mit Spannung seit dem Sommer Eure Proteste und war gestern Abend mit Twitter und Lifestream in Gedanken bei Euch, deshalb einige Kommentare:

Bin schwer beeindruckt von dem Durchhaltevermögen und der Entschlossenheit der Studenten in Wuppertal und allen anderen Städten. Während im Sommer viel versprochen, aber nichts gehalten wurde, wollt Ihr jetzt etwas erreichen. Ihr habt recht, es geht ja auch um Eure Zukunft. Erreichen könnt Ihr nur was, wenn Ihr ein Kräfteverhältnis zu Euren Gunsten schafft, d.h. wenn die Verantwortlichen so richtig das Zittern bekommen und ihnen nichts anderes übrigbleibt, als nachzugeben. Das war die Situation 2006 in Frankreich, als die Studenten die Regierung zur Rücknahme eines Gesetzpaketes gezwungen haben. Was macht euch stark? - stark macht euch erst einmal die gesamte Situation in Deutschland (und weltweit): Tausende Beschäftigte verlieren z.Zt. ihre Arbeit (Quelle, Karstadt etc.), Opel steht auf der Kippe, unzählige Zulieferbetriebe der Autoindustrie und andere Branchen haben Kurzarbeit, nicht zu vergessen den Streik der Erzieherinnen im Sommer, die nach wie vor unzufrieden sind – der soziale Frieden, der in Deutschland solange gepflegt wurde, bekommt Risse. - stark macht es Euch aus diesem Grund, wenn Ihr den Kontakt zu den Beschäftigten im Bildungsbereich und woanders sucht, denn Eure Probleme sind im Grunde die gleichen: Studiengebühren und Bachelor haben den Zweck, die Bildung möglichst preisgünstig zu gestalten, an Euch und Eurer Zukunft zu sparen – nicht anders als in Kindergärten oder bei Opel. Damit meine ich nicht in Form von Grußbotschaften der Gewerkschaften, sondern indem Ihr auf die Straße geht oder auch zu Betrieben. Z.B. Auszubildende und Dualstudenten haben schwer zu tragen und sind Eure Verbündete – auch sie könnten sich mit ihren eigenen Forderungen Euch anschließen.

- stark macht es Euch, wenn Ihr so zahlreich wie möglich seid, wenn Ihr miteinander diskutiert, wenn Ihr nicht in eurer Uni eingesperrt bleibt, sondern Gedanken und Erfahrungen mit anderen Unis austauscht – in diesem Sinne sind die Vorschläge, mehrere Unis zu besuchen und geschlossen zu
demonstrieren zu begrüßen. Unibesetzungen sind kein Selbstzweck, sondern bieten eine Gelegenheit, miteinander zu diskutieren, sich zu sammeln und loszuziehen zu anderen Unis, Schulen, zu den Menschen auf der Straße, die Euren Protest oft wohlwollend wahrnehmen, ihn aber als „die Sache der Studenten, mit der sie doch nichts zu tun haben“, betrachten.

  • stark macht es Euch, wenn Ihr geschlossen und so zahlreich wie möglich Euch gegen jetzige und zukünftige Repressalien wehrt (Strafanzeigen u.a.)
  • dies nicht in Form von Petitionen, denn Papier ist geduldig und beeindruckt wenig.
  • ich hoffe, dass ihr genug Zeit findet, viele Diskussionen zu führen und Eure Gedanken auf Papier zu bringen, z.B. in „Talsperre“ und ins Internet, damit sich Studenten und andere Menschen beteiligen können und der Gewinn Eures Protestes sich auch darin ausdrückt.

17.11.09

Aktuelles und Laufendes: 

  • Studentenproteste Deutschland [21]

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