Veröffentlicht auf Internationale Kommunistische Strömung (https://de.internationalism.org)

Startseite > IKSonline - 2020s > IKSonline - 2020 > März 2020

März 2020

  • 47 Aufrufe

Die Grausamkeit der herrschenden Klasse kennt keine Grenzen!

  • 50 Aufrufe

Seit mehreren Monaten wird die Region Idlib im Norden Syriens von den Streitkräften Baschar Al Assads und der russischen Armee in allen möglichen Formen angegriffen. Fast drei Millionen Zivilisten (darunter eine Millionen Kinder) sind in dieser letzten Bastion der Rebellion gefangen, wie in Aleppo oder im östlichen Ghuta[1].  Das von Assad regierte Regime versucht, dieses Gebiet durch Terror und eine verabscheuungswürdige Politik der verbrannten Erde zurückzuerobern. Die von der russischen Luftwaffe abgeworfenen Bomben treffen unterschiedslos Häuser, öffentliche Gebäude (Schulen, Krankenhäuser...), Märkte und Felder. Seit Ende April 2018 sind laut UNO mehr als tausend Menschen umgekommen, und fast eine Millionen Menschen versuchen, vor den Massakern zu fliehen. Sie hungern, sind obdachlos und den eisigen Temperaturen des Winters ausgesetzt. Angesichts dieser Barbarei und Chaos hat die verzweifelte Bevölkerung tatsächlich nur einen Ausweg: die Flucht vor dem Tod! Sie versuchen in Richtung türkische Grenze zu fliehen oder die griechische Grenze zu erreichen, das nächstgelegene Tor, um nach Europa zu gelangen.

Aber die Grenze zwischen Syrien und der Türkei ist abgeriegelt. Während der türkische Staat seit 2015 den europäischen Demokratien (gegen ein Bezahlung!) einen Dienst erweist, indem er die Millionen Flüchtlinge, die diese nicht aufnehmen wollen, abfängt, sie zurückhält und diese dabei wie an der Pest Erkrankte behandelt, hat die türkische Offensive im Norden Syriens die Situation verändert. Die drei Millionen Menschen in der Region Idlib sind jetzt Geiseln, Gefangene der imperialistischen Mächte in der Region. Wie wir gesehen haben, sind die Türkei, Russland und Syrien zu allem bereit! Dazu gehört, die Menschen aus ganzen Landstrichen zu verjagen, sie zu terrorisieren, abzuschlachten, um ihre Blutrunst zu stillen. Heute ist die Region Idlib die makabre Spielwiese des Imperialismus, die blutige Theaterbühne des sterbenden Kapitalismus, wo nur noch Elend und Tod vorherrschen!

Flüchtlinge und Migranten: "Waren", die verkauft oder weggeworfen werden

Wenn Erdogan sich weigert, neue Flüchtlinge aufzunehmen, dann auch weil er die dreieinhalb Millionen, die sich bereits auf türkischem Boden befinden, loswerden will. Für den Führer des Regimes sind sie nichts anderes als Geiseln, die er rücksichtslos beim Feilschen zur Erfüllung seiner politischen Ziele einsetzt. Innerhalb der Türkei sind Migranten nun die Zielscheibe einer ekelhaften Hetzkampagne, die darauf abzielt, die Popularität der AKP in der türkischen Bevölkerung zu erhöhen. Aber gerade auf der imperialistischen Bühne sind die Flüchtlinge für die AKP am nützlichsten.

Tatsächlich werden sie als Spielball bei den Erpressungsmanövern gegenüber der Europäischen Union (EU) eingesetzt. Erdogan drohte schon seit Monaten damit, die Westgrenze des Landes nach Europa zu öffnen, um die europäischen Mächte zu zwingen, seinen militärischen Feldzug in Nordsyrien zu unterstützen und ihm finanziell unter die Arme zu greifen. Am 28. Februar setzte er seine Drohungen in die Tat um, und Zehntausende von Flüchtlingen versuchten unter beträchtlichem Risiko über Griechenland nach Europa zu gelangen, obwohl die Behörden des Landes sich kategorisch dagegen stemmen und dabei von der EU und ihren ‚großen Demokratien‘ unterstützt werden. Mindestens 13.000 Migranten sind jetzt an der Grenze zusammengeströmt, eingepfercht von vorne und hinten, und sie fallen den Grausamkeiten aller Seiten zum Opfer. Andere versuchen, die Inseln Chios oder Lesbos auf dem Seeweg zu erreichen, wo die gleichen Bedingungen auf sie warten: festgehalten, eingesperrt und isoliert wie Tiere, ohne Wasser, Heizung, Nahrung und die grundlegendsten sanitären Einrichtungen. Auf der Insel Lesbos im Lager Moria, das für 2.300 Menschen ausgelegt ist, sind beispielsweise 20.000 Menschen zusammengepfercht, umgeben von Stacheldraht. „La Repubblica“ gibt diese abscheuliche Beschreibung: "Die Ersten, die ertrinken, sind die Kinder. Hier gibt es nichts für sie, nicht einmal ein Bett, eine Toilette oder Licht. Hier gibt es für sie nur Schlamm, Kälte und Warten. Ein nasses und absurdes Fegefeuer, in dem man verrückt werden kann. So dass – während Europa und die damit verbundenen Hoffnungen immer mehr in weite Ferne rücken, - den Zerbrechlichsten unter ihnen nichts anderes übrig bleibt, als zu versuchen, Selbstmord zu begehen (...), aber da sie Angst haben, schaffen sie es selten, es durchzuziehen. Von Zeit zu Zeit klopft ein Erwachsener am Fuße des Hügels an die Tür der Klinik und hält ein Kind in den Armen mit entsprechenden Spuren am Körper. Jeder weiß, was gerade geschehen ist. Er wird es in einigen Monaten wieder tun". Mehr als ein dreiviertel Jahrhundert nach Auschwitz ist es die gleiche düstere und entsetzliche Realität, die der Kapitalismus für die überall als "unerwünscht" angesehene Bevölkerung bereithält.

Diejenigen, die versuchen, in dieses "Eldorado" zu gelangen, werden von den griechischen Behörden mit größter Gewalt und Brutalität aufgehalten. Wir haben unerträgliche und abstoßende Bilder gesehen, wo die griechische Küstenwache auf See versucht, ein Schlauchboot voller Migranten zu durchbohren und sie mit Gewehrfeuer zu vertreiben. In der Region Evros patrouillieren Polizei und Armee in dem Gebiet. Die 212 Kilometer der Grenze sind unpassierbar. Migranten, die versuchen, die Grenze zu überqueren, werden mit Tränengas und sogar mit scharfer Munition angegriffen, was Berichten aus der Türkei zufolge zu mehreren Verletzungen und sogar einem Todesfall geführt haben soll. Die Verhafteten werden geschlagen, ausgeraubt, gedemütigt und in die Türkei zurückgetrieben. Sie denken, dass sie nur wenige Meter vom „Paradies“ entfernt sind, aber in Wirklichkeit sind sie mit der kalten Grausamkeit der Festung Europa konfrontiert, für die sie unerwünschte, abscheuliche oder verirrte Gestalten bleiben, um die sich kein Staat kümmern will. Jeder von ihnen tut so als würde er den anderen die Schuld zuschieben, aber sie alle teilen den gleichen Willen: die kategorische Weigerung, diese Flüchtlinge aufzunehmen, die Opfer der Barbarei sind, die die imperialistischen Mächte selbst mit unglaublichem Zynismus und grenzenloser Heuchelei geschaffen haben![2]

Die Heuchelei der Demokratien angesichts der Flüchtlingswelle

Unmittelbar nach der Ankündigung des türkischen Regimes, die Grenzen für die Flüchtlinge nach Europa zu öffnen, war die Reaktion der großen EU-Staaten gnadenlos: Alle Vertreter der europäischen Bourgeoisie schrien laut gegen Erdogans "inakzeptable" (Originalton Angela Merkel) Politik. Der vor allem aufgrund seiner Anti-Immigrationspolitik gewählte österreichische Regierungschef Sebastian Kurz gab vor, sich um "jene Menschen zu sorgen, die benutzt werden, um Druck auf die EU auszuüben".

Europas „große Demokratien" mögen zwar heuchelnd ihr Mitleid bekunden, aber so sehr sie auch versuchen, die Schuld auf ihre russischen und türkischen Konkurrenten abzuwälzen, die Realität der europäischen Flüchtlingspolitik offenbart die Heuchelei und Schmach, die sie an den Tag legen. Es ist im Übrigen das "Vaterland der Menschenrechte", das die wahren Absichten der EU-Staaten am besten zum Ausdruck gebracht hat: "Die Europäische Union wird dieser Erpressung nicht nachgeben. (...) Die Grenzen Griechenlands und des Schengen-Raums sind geschlossen, und wir werden dafür sorgen, dass sie geschlossen bleiben, das muss klar sein!", erklärte Jean-Yves Le Drian, der französische Außenminister, kategorisch. Egal, wie verzweifelt die vielen Millionen Menschen versuchen werden, ihrem Schicksal zu entfliehen, die europäischen Staaten werden nichts für sie tun, außer es ihnen noch schwerer zu machen, indem sie noch mehr Absperrungen und Truppen aufbieten, um die griechische Grenze noch undurchlässiger zu machen. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, garantierte, dass dem griechischen Staat "alle notwendige Unterstützung" gewährt werde. Die Agentur Frontex hat bereits Polizeiverstärkungen entsandt und 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Unnachgiebigkeit der europäischen Führer spiegelt ihren Wunsch wider, den populistischen Regierungen und Bewegungen den Boden zu entziehen, die nicht zögern werden, diesen neuen Exodus zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.

Die europäischen Mächte mögen sich als Opfer des bösen Manipulators Erdogan ausgeben oder Krokodilstränen über das Schicksal der Flüchtlinge vergießen, indem sie die Maske der Ohnmacht überziehen, aber sie sind ebenso verantwortlich und tragen, ohne es zuzugeben, die Verantwortung dafür, dass diese Millionen von Zivilisten unter russischen Granaten, griechischen Kugeln und türkischem Zynismus zugrunde gehen.

Ihre ekelerregenden Tiraden über die Menschenrechte und ihre vorgetäuschte Empörung sind nichts anderes als Versuche der Vernebelung ihrer flüchtlingsfeindlichen Politik. Die Abschiebung bis an die Grenzen, die Jagd nach Flüchtlingen und der Abriss der Elendslager, die Errichtung von Mauern und Stacheldraht, die Militarisierung der Grenzen, die Verstärkung der Personenkontrollen und der Reisebeschränkungen usw., all diese Maßnahmen werden in erster Linie von den demokratischen Staaten[3],  in denen die Diktatur des Kapitals auf die perverseste und zynischste Weise zum Ausdruck kommt, mit größter Entschlossenheit und Eifer umgesetzt und angewendet. Die westlichen Demokratien, sowohl das linke als auch das rechte Lager, die so sehr von der Propaganda gepriesen werden, sind nicht nur mitschuldig, sondern praktizieren auch genau die gleiche verachtenswerte, erniedrigende und unwürdige Behandlung der Flüchtlinge wie die "Schurken" der Geschichte (die Erdogan, Putin und andere) - allerdings mit einer gehörigen Dosis an Heuchelei!

Barbarei und Chaos sind die einzigen Wege des Kapitalismus...

Nachdem etwa 30 türkische Soldaten bei einem Angriff der Truppen von Baschar Al Assad getötet wurden, was die Angst vor einer Eskalation der Spannungen schürte, vereinbarten Moskau und Ankara am 5. März einen Waffenstillstand. Eine Farce, der man keinen Glauben schenken kann in Anbetracht der jeweiligen Bestrebungen der beiden Mächte, die ihre Interessen hemmungslos verfolgen, und die früher oder später das Pulverfass in Brand setzen und die Kämpfe erneut wieder aufflammen lässt. Es gibt keine Anzeichen für eine Stabilisierung im Nahen Osten. Der fortgesetzte Rückzug der Vereinigten Staaten und damit auch Frankreichs und Deutschlands wird letztlich eine Reihe von Gefahren mit sich bringen, deren erstes Opfer wie immer die Zivilbevölkerung sein wird. Es ist unbestreitbar, dass Assad entschlossen ist, das gesamte Gebiet, das er vor 2011 kontrollierte, zurückzuerobern. Um dies zu tun, wird er nicht zögern, das Blut von Millionen unschuldiger Menschen fließen zu lassen, um sein Ziel zu erreichen. Zumal Putin, der als einziger in der Lage ist, die Bestrebungen des "Schlächters von Damaskus" zu kanalisieren, diesem Ziel nicht völlig entgegengesetzt zu sein scheint. Der "Herrscher des Kremls" hat ein Interesse daran, gute Beziehungen zu Erdogan zu unterhalten, um Druck auf die NATO auszuüben und seinen wertvollen Marinestützpunkt in Tartus, im Westen Syriens, zu erhalten. Die Türkei ihrerseits hat freie Hand, um die Kurden auszuschalten, deren autonomes Gebiet sie sich weigert zu erhalten, da sie befürchtet, dass es als Basis für die nationalistischen Ansprüche der Kurden der Türkei dienen könnte. Im Oktober letzten Jahres gelang es ihr, nach gewaltsamen Kämpfen eine "Sicherheitszone" einzurichten und damit die territoriale Integrität Rojavas zu brechen. Wenn die amerikanische Präsenz den Kurden bisher eine Schutzgarantie gegeben hat, so ist der Abzug der US-Truppen aus Syrien höchstwahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass sie zum Tode verurteilt sind. Dies trifft um so mehr zu, als europäische Mächte wie Frankreich und Großbritannien viel an Boden verloren haben und nicht mehr wirklich in der Lage sind, ihre Strategie des Kampfes gegen den IS und das Assad-Regime durch Bündnisse mit den Rebellen und den Kurden umzusetzen. Damit sind nun alle Voraussetzungen für neue Massaker gegeben, die für Millionen weiterer Menschen Elend und Vertreibung bedeuten werden.

Was an der griechisch-türkischen Grenze geschieht, ist keine Ausnahme, sondern ein Beispiel unter vielen anderen für den Schrecken, den der dahinsiechende Kapitalismus für Hunderte von Millionen Menschen mit sich bringt. Das Schicksal der afrikanischen Migranten an der marokkanischen Grenze, das Inferno in Libyen oder das der Lateinamerikaner zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten ist ähnlich. Alle sind auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Kriminalität und Umweltkatastrophen. Man spricht davon, dass sich heute fast sieben Millionen Menschen in dieser Situation des Umherirrens ohne jegliche Überlebensmöglichkeiten befinden. Sie fliehen vor der Barbarei des Kapitals und sind die Spielbälle und Opfer der nationalen Bourgeoisien, die sie ständig hin und herjagen und die "Flüchtlingsfrage" im Namen ihrer finsteren imperialistischen Interessen instrumentalisieren.

Vinzenz, 8. März 2020.


[1]Die Rebellen gegen das Assad-Regime sind nur eine rivalisierende Fraktion innerhalb der syrischen Bourgeoisie. Sie werden von den USA, Saudi-Arabien, der Türkei und anderen imperialistischen Mächten als Schachfiguren für die Verteidigung ihrer imperialistischen Interessen benutzt.

[2]siehe zum Beispiel https://en.internationalism.org/icconline/201510/13468/syria-russian-intervention-escalates-chaos [1]

[3]Siehe dazu unsere französische Webseite  https://fr.internationalism.org/content/9934/droit-dasile-arme-dresser-des-murs-contre-immigres [2]

Rubric: 

Syrisches Flüchtlingsdrama

Covid-19-Pandemie: ein Symptom der Endphase des kapitalistischen Niedergangs

  • 102 Aufrufe

Am Ende unseres ersten Artikels über die Covid-19-Pandemie wiesen wir darauf hin: "Ob dieses neue Covid-19-Virus zu einer neuen Pandemie wird, wie es bei SARS geschehen ist, oder ein neues saisonales Atemwegsvirus bleibt, diese neue Krankheit ist eine weitere Warnung, dass der Kapitalismus zu einer Gefahr für die Menschheit und das Leben auf diesem Planeten geworden ist. Die enormen Fähigkeiten der Produktivkräfte, einschließlich der medizinischen Wissenschaft, uns vor Krankheiten zu schützen, kollidieren mit diesem kriminellen Profitstreben, mit der Überbevölkerung eines großen Teils der Weltbevölkerung in unbewohnbaren Städten und den damit verbundenen Risiken neuer Epidemien.“

Heute ist diese Pandemie zu einem großen Problem in der ganzen Welt geworden und hat zu einem regelrechten wirtschaftlichen "Tsunami" mit katastrophalen Folgen geführt. Aus Platzgründen werden wir hier nicht auf diese Dimension der wirtschaftlichen Auswirkungen eingehen. Wir werden dies in einem zukünftigen Artikel tun. Im folgenden Artikel konzentrieren wir uns auf die Analyse, wie diese Epidemie die Krankheit des Kapitalismus offenbart.

Es bestätigt sich: Covid-19 ist ein Ausdruck des kapitalistischen Zerfalls

Die finstersten Vorhersagen werden heute bestätigt, und die WHO muss anerkennen, dass es sich um eine globale Pandemie handelt, die sich bereits auf 117 Länder auf allen Kontinenten ausgebreitet hat, dass die Zahl der betroffenen Menschen laut offiziellen Statistiken 120.000 übersteigt, dass die Zahl der Todesfälle in diesen ersten Wochen der Pandemie mehr als 4.000 betrug usw. Was in China als "ein Problem" begann, ist heute zu einer sozialen Krise in den wichtigsten kapitalistischen Mächten des Planeten (Japan, USA, Westeuropa usw.) geworden. Allein in Italien übersteigt die Zahl der Todesfälle bereits die Zahl der durch die SARS-Epidemie von 2002-2003 weltweit verursachten. Und die drakonischen Maßnahmen zur Kontrolle der Bevölkerung, die vor einem Monat von den "tyrannischen" chinesischen Behörden ergriffen wurden, wie z.B. die Quarantäne von Millionen von Menschen[1] und die Maßnahmen, die typisch für einen echten "Sozialdarwinismus" sind, der darin besteht, all jene von der Krankenhausversorgung auszuschließen, die im Kampf um die Eindämmung der Krankheit nicht "vorrangig" sind, sind heute in vielen der wichtigsten Städte all der betroffenen Länder auf allen Kontinenten an der Tagesordnung.

Die bürgerlichen "Medien" bombardieren uns ständig massenweise mit Daten, Empfehlungen und "Erklärungen" zu dem, was sie uns als eine Art Plage, als eine neue "Natur"-Katastrophe darstellen wollen. Aber es gibt nichts "Natürliches" an dieser Katastrophe; sie ist das Ergebnis der erstickenden Diktatur der senilen und überholten kapitalistischen Produktionsweise über die Natur und der menschlichen Spezies als ein Teil dieser Natur.

Wir Revolutionäre haben keine Kompetenz, epidemiologische Studien oder Prognosen über den Verlauf von Krankheiten zu erstellen. Unsere Aufgabe ist es, auf einer materialistischen Grundlage die sozialen Bedingungen zu erklären, die das Auftreten dieser katastrophalen Ereignisse möglich und unvermeidlich machen. Damit haben wir deutlich gemacht, dass das Wesen des kapitalistischen Systems darin besteht, Ausbeutung, Profit und Akkumulation über die menschlichen Bedürfnisse zu stellen. Und dass ein anderer Kapitalismus nicht möglich ist. Aber auch, dass dieselben kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte einen enormen Fortschritt der Produktivkräfte (der Wissenschaft, einer gewissen Beherrschung der Natur, um die Leiden, die sie den Menschen auferlegte, einzudämmen ...) ermöglichen konnten, heute zu einem Hindernis für ihre Entwicklung geworden sind. Wir haben auch erklärt, wie die jahrzehntelange Verlängerung dieser Phase der kapitalistischen Dekadenz in Ermangelung einer revolutionären Lösung zum Eintritt in eine neue Phase geführt hat: zum gesellschaftlichen Zerfall[2], wo all diese zerstörerischen Tendenzen noch stärker konzentriert sind und in einer Vervielfachung von Chaos, Barbarei, dem fortschreitenden Zusammenbruch eben jener sozialen Strukturen, die ein Minimum an sozialem Zusammenhalt garantieren, das Überleben des Lebens auf dem Planeten Erde selbst bedrohen.

Sind das Gehirngespinste von ein paar in der Vergangenheit lebenden Marxisten? Sicherlich nicht. Die Wissenschaftler, die mit wissenschaftlicher Sorgfalt über die aktuelle Covid-19-Pandemie sprechen, behaupten, dass die Ausbreitung dieser Art von Epidemie ihre Ursache unter anderem in der beschleunigten Umweltzerstörung hat, die zu einer größeren Ansteckung durch Tiere (Zoonosen) führt, die sich den menschlichen Ballungsräumen nähern, um zu überleben, und dass gleichzeitig die Überbevölkerung von Millionen von Menschen in Megacities die wirklich schwindelerregenden Ansteckungskurven verursachen. Wie wir bereits in unserem vorherigen Artikel über Covid-19 erklärten,[3] hatten einige Ärzte in China tatsächlich schon ab Dezember 2019 versucht, vor einer neuen Epidemiegefahr durch das SARS-Coronavirus zu warnen, aber sie wurden direkt vom Staat zensiert und unterdrückt, weil dies das Bild einer der führenden Weltmächte, die das chinesische Kapital vermitteln möchte, bedrohte.

Die IKS ist auch nicht die erste, die eine der Hauptantriebskräfte für die Ausbreitung dieser Pandemie in der abnehmenden Koordinierung der Maßnahmen zwischen den verschiedenen Länder ausmacht, was eines der Merkmale des Kapitalismus ist, aber in immer stärkerem Maße durch das Vordringen des "Jeder für sich" und den "Rückzug auf sich selbst" verstärkt wird. Diese Triebkräfte stehen hinter der Tendenz der Staaten und Kapitalisten in der Phase des Zerfalls des Systems und neigen dazu, alle sozialen Beziehungen zu durchdringen.

Wir entdecken nichts Neues, wenn wir darauf hinweisen, dass die Gefahr dieser Krankheit nicht so sehr im Virus selbst liegt, sondern in der Tatsache, dass diese Pandemie vor dem Hintergrund einer enormen Verschlechterung der Gesundheitsinfrastrukturen über Jahrzehnte und im globalen Maßstab stattfindet. Dass es in der Tat die "Verwaltung" dieser immer knapper werdenden und nicht mehr funktionierenden Strukturen ist, die die Politik der verschiedenen Staaten diktiert, um das Auftreten neuer Fälle zu verhindern, auch wenn dies bedeutet, dass die Auswirkungen dieser Pandemie zeitlich verlängert werden müssen. Und deutet diese unverantwortliche Verschlechterung des Zustands der Ressourcen - von Wissen, Technologie usw. -, die sich durch Jahrzehnte menschlicher Arbeit angesammelt haben, nicht darauf hin, dass ein neuer Ansatz für das Problem notwendig ist? Dies offenbart eine absolute Perspektivlosigkeit, ein völliges Fehlen der Sorge um die Zukunft der Gattung Mensch. All das ist charakteristisch für eine im Zerfall begriffene Gesellschaft.

Wie ist es möglich, dass in der Mitte des 21. Jahrhunderts eine Epidemie entsteht, die die mächtigsten Staaten der Welt nicht eindämmen können?

Natürlich hat es in der Geschichte der Menschheit auch andere extrem tödliche Epidemien gegeben. Heutzutage ist es leicht, in den bürgerlichen "Medien" Berichte und Beilagen darüber zu finden, wie Pocken und Masern, Cholera oder die Pest Millionen von Todesfällen verursacht haben. Was dabei fehlt, ist eine Erklärung dafür, dass die Ursache für diese Todesfälle im Wesentlichen die schlechten Lebensbedingungen der Menschheit waren, sowohl was die materiellen Lebensbedingungen als auch das Wissen über die Natur betrifft. Der Kapitalismus bietet und erfordert die historische Möglichkeit, diese Phase der materiellen Entbehrung zu überwinden und durch die Entwicklung der Produktivkräfte die Grundlage für einen Überfluss zu legen, der eine echte Vereinigung und Befreiung der Menschheit in einer kommunistischen Gesellschaft ermöglichen kann. Wenn man das 19. Jahrhundert, also die Phase der maximalen kapitalistischen Expansion, betrachtet, kann man sehen, wie Gesundheit und damit Krankheit nicht mehr als Schicksal empfunden wurden, wie nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Kommunikation zwischen verschiedenen Forschern ein Fortschritt erzielt wurde, wie es eine wirkliche Verschiebung hin zu einem wissenschaftlicheren Ansatz in der Medizin gab. Und all dies fand eine Anwendung im täglichen Leben der Menschen: von Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Hygiene bis hin zur Entwicklung und dem Einsatz von Impfstoffen, von der Ausbildung medizinischer Experten bis hin zur Einrichtung von Krankenhäusern. Der Anstieg der Bevölkerung (von einer auf zwei Milliarden Menschen) und vor allem der Lebenserwartung (von 30 bis 40 Jahren zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf 50-65 Jahre im Jahr 1900) ist im Wesentlichen auf diesen Fortschritt in Wissenschaft und Hygiene zurückzuführen. Nichts davon gaben die Herrschenden aus Altruismus zum Wohle der Bedürfnisse der Bevölkerung. Das „Kapital [ist] von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend« zur Welt gekommen, wie Marx sagte.

Aber inmitten dieses Grauens ist es sein Ziel, eine maximale Rentabilität der Arbeitskräfte und des Wissens, das seine Lohnsklaven in den Jahrzehnten des Erlernens neuer Produktionsverfahren erworben haben, zu erreichen, die Stabilität des Transports von Lieferungen und Gütern zu gewährleisten usw. Dadurch ist die Ausbeuterklasse danach bestrebt, das Arbeitsleben ihrer Beschäftigten möglichst kostengünstig zu verlängern, die Reproduktion der Ware Arbeitskraft zu sichern, den relativen Mehrwert durch die Steigerung der Produktivität der ausgebeuteten Klasse zu erhöhen.

Diese Situation hat sich durch den Übergang  der historischen Periode von der aufsteigenden Periode des Kapitalismus zu seiner Dekadenz, welche die Revolutionäre seit der Kommunistischen Internationale im Ersten Weltkrieg [4] festgemacht haben, in ihr Gegenteil gedreht. Es ist kein Zufall, dass um 1918 eine der tödlichsten Epidemien in der Geschichte der Menschheit stattfand: die so genannte "Spanische Grippe" von 1918-19. Im Rahmen dieser Pandemie zeigte sich, dass weniger die Virulenz des Erregers, sondern vielmehr die für den imperialistischen Krieg charakteristischen sozialen Bedingungen in der kapitalistischen Dekadenz (weltweite Dimension des Konflikts, Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung der wichtigsten Nationen usw.) das Ausmaß der Katastrophe erklärten: 50 Millionen Tote, fast doppelt so viele wie in den Schützengräben.

Dieser Krieg und dieser Horror erreichten eine zweite, noch schrecklichere Episode im Zweiten Weltkrieg. Die Gräueltaten des ersten imperialistischen Gemetzels wie die Verwendung von Giftgasen nahmen zwischen den beiden Weltkrieg ab, bis im 2. Weltkrieg die Barbarei wieder ihren freien Lauf nahm: von Experimenten an Menschen durch die Deutschen und Japaner bis zum Einsatz biologischer Waffen (die Briten experimentierten mit Anthrax, die US-Amerikaner       begannen mit ihren Versuchen mit Napalm gegen Japan bzw. Amphetaminen gegen die eigenen Soldaten), über die systematische Vernichtungsmaschinerie in den KZs bis schließlich zum Einsatz der Atombombe durch die Amerikaner am Ende des Krieges.

Und im anschließenden "Frieden"? Es stimmt, dass die großen kapitalistischen Mächte Gesundheitssysteme nach dem Vorbild des 1948 geschaffenen britischen NHS - das als eines der Gründungsmerkmale des so genannten "Wohlfahrtsstaates" gilt - eingerichtet haben, um eine "allgemeine" Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, die unter anderem darauf abzielte, Epidemien wie die Spanische Grippe zu verhindern. War der humanitäre Kapitalismus zu einem Fortschritt, zu einem Gewinn für die Arbeiter geworden? Sicherlich nicht. Das Ziel dieser Gesundheitssysteme bestand u.a. darin, die Reparatur der Arbeitskraft (ein ‚knappes‘ Gut, nachdem im Krieg Millionen Arbeiter gestorben sind) zu möglichst niedrigen Kosten zu gewährleisten und den gesamten Produktionsprozess beim Wiederaufbau zu sichern. Dies bedeutet nicht, dass die eingesetzten "Heilmittel" nicht zu neuen Leidensquellen werden. Das zeigt sich zum Beispiel in der Antibiotika-Therapie, die zur Eindämmung von Infektionen verschrieben wird, die aber in Anbetracht der Bedürfnisse der kapitalistischen Produktivität dazu missbraucht wird, Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zu verkürzen. Und das hat zu einem großen Problem bakterieller Resistenzen geführt - den so genannten "Superbugs" - die letztendlich das therapeutische Arsenal reduzieren, um die Infektionen anzugreifen. Es zeigt sich auch in der Zunahme von Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes, die durch eine Verschlechterung der Ernährung der Arbeiterklasse - d.h. die Verbilligung der Reproduktion der ausgebeuteten Klasse - und der ärmeren Schichten der Gesellschaft bis zu dem Punkt verursacht werden, dass die Nutzung der Lebensmitteltechnologie durch den Kapitalismus Fettleibigkeit im Elend produziert. Und wir können auch sehen, wie die Medikamente, die ausgegeben wurden, um den wachsenden Schmerz, den dieses Ausbeutungssystem der arbeitenden Bevölkerung zufügt, erträglicher zu machen, zu Phänomenen wie der so genannten "Opioid-Epidemie" geführt haben, die bis zur Ankunft des Coronavirus zum Beispiel  Gesundheitsproblem Nr. 1 in den Vereinigten Staaten war und mehr Tote als alle Opfer des Vietnamkrieges verursacht hat.

Die Covid-19-Pandemie kann nicht von den übrigen Problemen, die die Gesundheit der Menschheit plagen, getrennt werden. Im Gegenteil: Die Probleme zeigen, dass es nur noch schlimmer werden kann, wenn wir weiterhin der entmenschlichten und den Marktgesetzen folgenden Gesundheitsfürsorge unterworfen bleiben. Der Ursprung von Krankheiten ist heute nicht so sehr der Mangel an Wissen oder Technologie. Der gegenwärtige Wissensstand der Epidemiologie sollte es ermöglichen, eine neue Epidemie einzudämmen. Ein Beispiel: Kaum zwei Wochen nach der Entdeckung der Krankheit konnten die Forschungslabors bereits das Virus sequenzieren, das Convid-19 verursacht hat.

Das Hindernis, welches die Bevölkerung überwinden muss, besteht darin, dass die Gesellschaft einer Produktionsweise unterworfen ist, die einer ausbeuterischen sozialen Minderheit zugute kommt und zu einer Fessel für die Entwicklung der Menschheit geworden ist. Man kann sehen, dass der Wettlauf um die Einführung eines Impfstoffs, anstatt eine kollektive und koordinierte Anstrengung zu sein, in Wirklichkeit ein Wirtschaftskrieg zwischen den Labors ist. Echte menschliche Bedürfnisse sind den Gesetzen des kapitalistischen Dschungels unterworfen. Das Gesetz des harten Wettbewerbs um den Markt, wo es darum geht, als erster einen Teil des Markts zu erobern und entsprechend Gewinn einzuheimsen, steht im Mittelpunkt der Interessen der Kapitalisten.

Wer gefährdet das Leben der Menschheit, die individuelle "Verantwortungslosigkeit" oder die Zwänge eines zerfallenden Gesellschaftssystems?

Auf unserem letzten 23. Internationalen Kongress haben wir eine Resolution über die internationale Lage verabschiedet, in der wir das, was wir in unseren Thesen über den Zerfall geschrieben haben, wieder aufgegriffen und für bestätigt betrachtet haben: "Die Thesen über den Zerfall vom Mai 1990 heben eine ganze Reihe von Merkmalen in der Entwicklung der Gesellschaft hervor, die sich aus dem Eintritt des Kapitalismus in diese letzte Phase seiner Existenz ergeben. Der vom 22. Kongress angenommene Bericht stellte fest, dass sich all diese Merkmale verschlechtern, wie z.B.:

„die Ausbreitung von Hungersnöten in den Ländern der ‚Dritten Welt‘ (...);

die Verwandlung der ‚Dritten Welt‘ in einen riesigen Slum, in dem Hunderte von Millionen Menschen wie Ratten in der Kanalisation überleben;

die Entwicklung des gleichen Phänomens im Herzen der Großstädte in den ‚fortgeschrittenen‘ Ländern (...);

die jüngste Zunahme von ‚zufälligen‘ Katastrophen (...), die immer verheerenderen Auswirkungen von ‚Naturkatastrophen‘ auf menschlicher, sozialer und wirtschaftlicher Ebene (...);

die Zerstörung der Umwelt, die verheerende Ausmaße erreicht“ (Thesen über den Zerfall, Punkt 7).“.[5]

Was wir heute sehen können, ist, dass diese Erscheinungen zum entscheidenden Faktor in der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft geworden sind und dass nur auf der Grundlage dieses Rahmens die Entstehung und Entwicklung von gesellschaftlichen Ereignissen solch gigantischen Ausmaßes interpretiert werden kann. Wenn wir uns ansehen, was mit der Covid-19-Pandemie geschieht, können wir die Bedeutung des Einflusses zweier Elemente erkennen, die für diese Schlussphase des Kapitalismus charakteristisch sind.

Erstens: China, das nicht nur den geographischen Ursprungsort der jüngsten Epidemien (SARS-Epidemie 2002-2003 oder Covid-19) bildet. Es ist notwendig, die Merkmale der Entwicklung des chinesischen Kapitalismus im Stadium des Zerfalls des Weltkapitalismus und seinen Einfluss auf die gegenwärtige Situation zu verstehen. China ist in wenigen Jahren zur zweiten Weltmacht mit einer enormen Bedeutung im Welthandel und in der Weltwirtschaft geworden, indem es zunächst die Unterstützung der USA nach dem Wechsel des imperialistischen Blocks (1972) und nach dem Verschwinden dieser Blöcke 1989 als Hauptnutznießer der so genannten Globalisierung ausnutzte. Aber gerade deshalb "trägt Chinas Macht alle Stigmata des Kapitalismus im Endstadium: sie basiert auf der Überausbeutung der proletarischen Arbeitskraft, der ungezügelten Entwicklung der Kriegswirtschaft des nationalen Programms der "militärisch-zivilen Fusion" und geht mit der katastrophalen Zerstörung der Umwelt einher, während der "nationale Zusammenhalt" auf der polizeilichen Kontrolle der Massen beruht, die der politischen Erziehung der Ein-Partei unterworfen sind (...) Tatsächlich ist China nur eine gigantische Metastase des weit verbreiteten militaristischen Krebsgeschwürs des gesamten kapitalistischen Systems: Seine Militärproduktion entwickelt sich in rasantem Tempo, sein Verteidigungshaushalt hat sich in 20 Jahren versechsfacht und seit 2010 steht es weltweit an zweiter Stelle.“

Diese Entwicklung Chinas, die so oft als Beispiel für die fortdauernde Stärke des Kapitalismus dient, ist in der Tat ein Hauptmerkmal seines Zerfallsprozesses. Der "Glanz" seiner technologischen Erneuerungen oder der Ausdehnung seines weltweiten Einflusses durch Initiativen wie die neue Seidenstraße darf uns nicht aus den Augen verlieren lassen, unter welch enormen Ausbeutungsbedingungen (lange, erschöpfende Arbeitstage, miserable Löhn usw.) Hunderte von Millionen von Arbeitern überleben. All das sind Bedingungen, die im Bereich Wohnen, Ernährung und Kultur enorm rückständig sind und immer mehr an ihre Grenzen stoßen. Beispielsweise waren die ohnehin schon geringen Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben um 2,3% gesunken. Zum Beispiel bei Lebensmitteln, die mit sehr wenigen Hygienestandards produziert werden oder direkt durch Missachtung dieser Standards, wie beim Verzehr des Fleisches von Wildtieren. In den letzten zwei Jahren hat sich in China die schlimmste Epidemie in der Geschichte der so genannten "Afrikanischen Schweinegrippe" ausgebreitet, infolgedessen  30 % dieser Tiere geschlachtet werden mussten und zu einem Anstieg der Schweinefleischpreise um 70 % führte.

Das zweite Element, das die wachsenden Auswirkungen des kapitalistischen Zerfalls zeigt, ist das Zerbröckeln eines Minimums an Koordination zwischen den verschiedenen nationalen Kapitalien. Es stimmt zwar, dass, wie der Marxismus analysierte, die höchstmögliche Einheit, die der Kapitalismus (wenn auch nur gegen große Widerstände) erlangen kann, der Nationalstaat ist und ein Superimperialismus nicht möglich ist. Das schloss aber nicht aus, dass in der Phase der Aufteilung der Welt in imperialistische Blöcke eine ganze Reihe von Strukturen geschaffen wurden, von der UNESCO bis zur Weltgesundheitsorganisation, die versuchten, ein Minimum an gemeinsamen Interessen der verschiedenen Länder zu verwalten. Aber die Tendenz des Auseinanderbrechens eines Mindestmaßes an Koordination spitzt sich mit dem Fortschreiten des kapitalistischen Zerfalls weiter zu. Wie wir auch in der oben erwähnten Resolution zur internationalen Situation unseres 23. Kongresses analysiert haben: "Die sich vertiefende Krise (sowie die Forderungen der imperialistischen Rivalität) stellen multilaterale Institutionen und Mechanismen auf eine harte Probe.“ (Punkt 20)

Dies hat sich zum Beispiel in der Rolle der Weltgesundheitsorganisation gezeigt. Die internationale Koordination angesichts der SARS-Epidemie in den Jahren 2002-2003 sowie die Schnelligkeit, mit der einige Befunde in Labors auf der ganzen Welt gemacht werden konnten,[6] erklärt die geringen Folgen eines Virus aus einer Familie, die der des aktuellen Covid-19 sehr ähnlich ist. Diese Rolle wurde jedoch durch die unverhältnismäßige Reaktion der WHO auf die Influenza-A-Epidemie von 2009 in Frage gestellt, bei der der Alarmismus der Institution dazu diente, massive Verkäufe des antiviralen Medikaments "Tamiflu" zu begünstigen, das von einem Labor hergestellt wurde, an dem der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld direkter Anteilshaber war. Seitdem ist die WHO fast in die Rolle einer NGO gedrängt worden, die "seligmachende" Empfehlungen ausspricht, aber nicht in der Lage ist, den jeweiligen Ländern ihre Anweisungen aufzuzwingen. Sie sind nicht einmal in der Lage, die statistischen Kriterien für die Erfassung der Infizierten zu vereinheitlichen, was es jedem Land ermöglicht, die Auswirkungen der Epidemie „bei sich zu Hause“ so lange wie möglich zu verbergen. Dies ist nicht nur in China geschehen, das versucht hat, die ersten Anzeichen der Epidemie zu verbergen, sondern auch in den USA, die versuchen, die Zahl der Betroffenen unter den Teppich zu kehren, um die Auswirkungen eines auf Privatversicherungen basierenden Gesundheitssystems, zu dem 30% der amerikanischen Bürger praktisch keinen Zugang haben, nicht aufzudecken. Die Heterogenität der Kriterien für die Anwendung von diagnostischen Tests oder die Unterschiede in den Protokollen für das Vorgehen in den verschiedenen Phasen haben zweifellos negative Auswirkungen auf die Eindämmung der Ausbreitung einer globalen Pandemie. Noch schlimmer ist, dass jedes nationale Kapital protektionistische Maßnahmen ergreift, wenn es um die Bereitstellung von Schutzmaterial für Toiletten oder Atemschutzgeräte geht, wie es z.B. Merkels Deutschland tut.

Wie können die gesundheitlichen Schäden, die durch die kapitalistischen Beziehungen verursacht werden, beendet werden?

Die Medienpropaganda bombardiert uns ständig mit Aufrufen zur Eigenverantwortung der Bürger, um den Zusammenbruch der Gesundheitssysteme zu verhindern, die in vielen Ländern Anzeichen von Überforderung zeigen (Erschöpfung der Arbeitskräfte, Mangel an materiellen und technischen Ressourcen usw.). Als erstes muss angeprangert werden, dass wir vor der „Chronik eines angekündigten Zusammenbruchs“ stehen. Und das nicht wegen der "Verantwortungslosigkeit" der Bürger, sondern wegen der jahrzehntelangen Kürzungen der Gesundheitsausgaben, der Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen und der Budgets für Krankenhausunterhalt und medizinische Forschung.[7] In Spanien zum Beispiel, eines der Länder, das diesem "Zusammenbruch", am nächsten steht, haben aufeinander folgende Kürzungspläne das Verschwinden von 8000 Krankenhausbetten[8] zur Folge gehabt, insgesamt gibt es weniger Intensivpflegebetten als im europäischen Durchschnitt und mehr veraltetes Material  (67% der Atemschutzgeräte sind älter als 10 Jahre).

Eine sehr ähnliche Lage ist in Italien und Frankreich zu beobachten. Im oben erwähnten Großbritannien, das als Modell für die allgemeine Gesundheitsversorgung dargestellt wurde, hat sich die Qualität der Versorgung in den letzten 50 Jahren kontinuierlich verschlechtert, da mehr als 100.000 Stellen im Gesundheitswesen nicht mehr besetzt wurden. Und das war vor dem Brexit!

Und es sind dieselben Beschäftigten im Gesundheitswesen, die miterlebt haben, wie sich ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen systematisch verschlechtert haben, die mit immer weniger Personal unter zunehmendem Druck bei der Versorgung (einer größeren Bevölkerung und mehr Krankheiten) stehen und die nun durch den Zusammenbruch der Gesundheitsdienste infolge der Pandemie unter zusätzlichen Druck geraten sind. Dieselben Gesundheitsbehörden, die jetzt zynischerweise um Lob für diese öffentlichen Bediensteten bitten, sind diejenigen, die sie in die Erschöpfung treiben, indem sie ihnen die vorgeschriebenen Pausen vorenthalten, sie  von einem Arbeitsplatz zum nächsten treiben oder sie - angesichts einer Pandemie unbekannten Ausmaßes - ohne individuelle Schutzausrüstung (Masken, Kleidung, Einwegartikel für die Geräte) oder die entsprechende Ausbildung arbeiten lassen. Indem man die Beschäftigten des Gesundheitswesen zwingt, unter solchen Bedingungen zu arbeiten, werden sie selbst noch mehr der Gefahr der Ansteckung durch das Virus ausgesetzt, wie es z.B. in Italien geschehen ist, wo mindestens 10% der Beschäftigten infiziert wurden.

Und um die Arbeitnehmer zu zwingen, diese Auflagen zu befolgen, greifen sie auf ein repressives Arsenal von "Ausnahmezuständen" zurück, die alle Arten von Sanktionen, Geldstrafen androhen und die Verfolgung derjenigen beinhalten, die sich weigern, diese zu befolgen: Befehle von Behörden, die in vielen Fällen die direkte Ursache für ein solches Chaos waren.

Angesichts dieser Situation, die das Personal des Gesundheitswesens vor vollendete Tatsachen stellt, sind auch die Beschäftigten dieses Bereichs gezwungen, sich bei der Anwendung Eugenik-ähnlicher Methoden dafür zu entscheiden, die knappen Ressourcen auf die Patienten mit den größten Überlebenschancen zu richten, wie man bei den von der Vereinigung italienischer Anästhesisten und Intensivmediziner empfohlenen Leitlinien[9] gesehen hat, die von Kriegszuständen sprechen. In der Tat, ein Krieg gegen die menschlichen Bedürfnisse durch die Logik des Kapitals, in dem die Beschäftigten des Gesundheitswesens selbst immer mehr unter Ängsten leiden, da sie unter diesen unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen. Die von vielen dieser Beschäftigten zum Ausdruck gebrachte Angst ist das Ergebnis der Tatsache, dass sie sich nicht einmal gegen solche Kriterien auflehnen oder sich weigern können, unter unwürdigen Bedingungen zu arbeiten und all dies auf ihrem Rücken auszutragen, weil z.B. Streiks ihren Klassenbrüdern und -schwestern, den übrigen Ausgebeuteten, sehr schaden würden. Sie können sich nicht einmal in Versammlungen treffen, sich mit anderen Kollegen/Innen zusammensetzen und die Solidarität unter den Beschäftigten körperlich wahrnehmen, weil das gegen die Regeln der "sozialen Zerstreuung" verstößt, die die Eindämmung der Epidemie erfordert.

Sie, unsere Kollegen/Innen im Gesundheitswesen, können in der gegenwärtigen Situation nicht offen kämpfen, aber der Rest der Arbeiterklasse darf sie nicht alleine stehen lassen. Alle Arbeitnehmer sind Opfer dieses Systems, und alle Arbeitnehmer werden früher oder später die Kosten dieser Epidemie tragen müssen. Sei es wegen der "nicht vorrangigen" Kürzungen im Gesundheitswesen (Aussetzung von Operationen, Konsultationen usw.) oder wegen der zehntausenden von Kündigungen von Zeitverträgen oder wegen der Kürzung von Löhnen aufgrund von krankheitsbedingten Fehlzeiten usw... Und dies wird das Warnzeichen für neue und brutalere Angriffe auf die Arbeiter sein. Wir müssen also weiterhin mit Entschlossenheit die Waffe der Arbeitersolidarität schärfen, wie wir es kürzlich bei den Kämpfen in Frankreich gegen die Kürzung der Renten gesehen haben.[10]

Diese Zusammenbrüche sind eindeutige Symptome der unheilbaren Senilität des kapitalistischen Systems. So wie Viren mehr abgenutzte Organismen befallen und schwerere Krankheitsschübe verursachen, so ist auch das Gesundheitssystem unwiderruflich erschüttert durch Jahre der Einsparungen und Kürzungen durch das "Management", das nicht auf den Bedürfnissen der Bevölkerung, sondern auf den Forderungen eines völlig verfaulenden Kapitalismus basiert. Und das Gleiche gilt für die kapitalistische Wirtschaft, die durch die Manipulationen des kapitalistischen Wertgesetzes und mit Hilfe von Verschuldung künstlich gestützt wird und die so zerbrechlich ist, dass eine Epidemie dabei ist eine neue und brutalere Weltrezession auszulösen.

Aber das Proletariat ist nicht nur das Opfer dieser Katastrophe für die Menschheit, die der Kapitalismus ist. Es ist auch die Klasse, die die historische Möglichkeit hat, sie mit ihrer Revolution endgültig auszulöschen. Das erfordert, die menschlichen Beziehungen, die auf Spaltung und Wettbewerb beruhen, durch solche zu ersetzen, die auf Solidarität beruhen sowie die Produktion, die Arbeit, die Ressourcen der Menschheit und der Natur nach den menschlichen Bedürfnissen und nicht nach den Gesetzen des Profits einer ausbeutenden Minderheit zu organisieren.

Valerio, 12. März 2020


[1]Es liegt auf der Hand, dass es notwendig ist, Menschen daran zu hindern, zu reisen oder dass sie zu Hause bleiben, um die Ausbreitung der Infektion zu verhindern. Aber die Art und Weise, in der dies auferlegt wird (mit unzureichender Unterstützung für die Betreuung von Kindern oder älteren Menschen durch den Staat; zudem geschieht dies in selektiver Weise - sie betreffen z.B. nicht die Arbeit in den Fabriken - und gleichzeitig hat man eine regelrechte polizeiliche Überwachung der Bevölkerung entwickelt), trägt die Handschrift des modus operandi des kapitalistischen Staatstotalitarismus. In künftigen Artikeln werden wir auch auf die Auswirkungen dieser Aktionen auf das tägliche Leben der Ausgebeuteten auf der ganzen Welt zurückkommen.

[2]Thesen über den Zerfall und „Resolution über die internationale Situation des 23. Kongresses der IKS“

[3]https://de.internationalism.org/content/2920/ein-weiterer-beweis-dass-de... [3]

[4]Wir haben dazu einige Artikel veröffentlicht, siehe u.a. https://de.internationalism.org/content/2845/100-jahre-nach-der-gruendun... [4]

[5]https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationa... [5]

[6]Zum Beispiel führte die Rolle der Panzerwanze als Zwischenüberträger der Krankheit auf den Menschen zu einer blitzschnellen Eliminierung dieser Tiere in China, was die Ausbreitung der Krankheit sehr schnell stoppte.

[7]In Frankreich beispielsweise wurden die Untersuchungen von Viren der Corona-Familie nach der Epidemie von 2002-2003 im Jahr 2005 aufgrund von Haushaltskürzungen abrupt gestoppt.

[8]Dieser Trend ist ein Prozess, der in jedem Land und bei Regierungen aller Couleur stattfindet, wie man hier sehen kann Grafik der Euroestat [6]

[9] Empfehlungen der UCI.

[10]https://de.internationalism.org/content/2903/der-kampf-erfordert-die-solidaritaet-aller-arbeiter-und-arbeiterinnen-und-aller [7]

Rubric: 

Coronavirus

Pandemie des COVID-19 in Frankreich: Die kriminelle Fahrlässigkeit der Bourgeoisie!

  • 76 Aufrufe

Nachdem sich die Epidemie in Europa und insbesondere in Italien bereits weit verbreitet hatte, begann die französische Bourgeoisie erst mit großer Verspätung zaghaft Maßnahmen zum "Schutz" der Bevölkerung zu ergreifen. Erst als die Situation in bestimmten Regionen wie der Picardie oder dem Elsass katastrophal war, wachte die Regierung von Macron auf und traf drastische Entscheidungen: Quarantäne, Grenzschließungen, Polizeikontrollen, Mobilisierung der Armee, um den völlig überforderten Gesundheitsteams zu Hilfe zu kommen.

"Wir befinden uns im Krieg", erklärte Präsident Macron in seiner Rede vom 16. März. Seither hört man die Kriegsrhetorik aus den Mündern von Ministern und Politikern aller Couleur: "Der Feind ist hier"! "Nationale Einheit"! "Stellungskrieg"! "Allgemeine Mobilisierung"! Die Regierung hat sogar die „glorreiche Vergangenheit“ ins Rampenlicht gerückt: die "Helden des Zweiten Weltkriegs", werden bemüht, um zu erklären, dass "in den Ellbogen husten" ein "Akt des Widerstands" sei.

Wenn "der Feind" "unsichtbar" und "schwer fassbar" bleibt, ähnelt der Kampf gegen diese Pandemie in der Tat einem wirklichen Krieg: die Regierung verbreitet massenhaft Lügen und Halbwahrheiten; unverantwortlicher Weise  schickt sie Millionen Arbeiterinnen an die Arbeitsfront, und ruft den Bürger zu Kommunalwahlen auf.

Der bürgerliche Staat ist für dieses massenhafte Sterben verantwortlich!

"Wir stehen bereit und sind voll gerüstet. Würde der Krieg zwei Jahre dauern, würde unseren Soldaten (in weißen Kitteln) keine Maske fehlen, nicht eine Flasche Desinfektionsmittel", hätte General Macron erklären können! Aber die Wirklichkeit sah breits ganz anders aus: Angesichts der Nachlässigkeit des Staates und des Dilettantismus von Macron segelt die Regierung auf Sicht und verlässt sich nun ganz auf die Ärzte, um die Bevölkerung zu "schützen". Während also Jupiter, der "Kriegsherr" [Macron wird als Jupiter verspottet] und seine Minister ihre kleine Theatralik spielen, opfert sich das Krankenhauspersonal, um Leben zu retten, indem es mit weitgehend unzureichenden Mitteln tut, was es kann.

Heute, angesichts des COVID-19, werden die Arbeitszeiten in allen Stationen wahnsinnig überzogen, und erschöpfte Pfleger schuften mehr als vierzehn Stunden, was das Risiko dramatischer Fehler weiter erhöht. Erschöpfte Pfleger schreien ihre Wut heraus; sie ist gar bis ins Fernsehen zu vernehmen! Im Elsass musste der Staat angesichts der Höhe der Todesfälle und der Patienten mit Atemnot ein "militärisches Feldlazarett" in einem noch nie dagewesenen logistischen Chaos improvisieren, um die zivilen Krankenhäuser zu unterstützen, die durch den Mangel an Betten und Mitteln dem Kollaps nahe stehen.

Was die Vorräte an Masken, Desinfektionsmitteln, Kopfbedeckungen, Kitteln, Atemschutzmasken betrifft: überall mangelt es an Material und Personal! Im Jahr 2005 verfügte der Staat über einen strategischen Bestand von 723 Millionen Masken (1,4 Milliarden im Jahr 2011 nach der H1N1-Krise). Doch infolge der 2013 beschlossenen Haushaltsbeschränkungen sank der Bestand auf 150 Millionen. Angesichts von Rationierungen, der Verwendung veralteter Masken und sogar der Wiederverwendung gebrauchter Masken hat die Regierung nach mehrwöchiger Krise gerade erst 12 Millionen davon aus den ohnehin schon unzureichenden staatlichen Reserven aufgetrieben... für 1,1 Millionen Krankenhausmitarbeiter, die sie alle vier Stunden in den Müll werfen sollen. Genug für ein paar Tage für die Krankenhäuser, die das Glück haben, beliefert zu werden! Was die "nicht lebenswichtigen" Dienste und die Labors betrifft, die täglich Tausende von Tests durchführen, so ist dies ebenfalls Alltag. Keine Masken mehr![1] Das Pflegepersonal, "an der Front" (sic!), ist somit direkt der Krankheit ausgesetzt. Ein Notarzt in Compiègne ist soeben an dem Virus gestorben, und andere werden ihm wahrscheinlich ins Grab folgen! Wie kann Macron sich selbst in den Spiegel schauen, wenn er zu sagen wagt, dass die Gesundheit vor allem anderen kommen muss?

Außerdem lügt der Staat ähnlich einer Bananenrepublik schamlos, um seine Verantwortung und die Wirklichkeit zu verbergen. Die Zahl der Patienten wird daher weitgehend klein gespielt, da die Regierung und die regionalen Gesundheitsbehörden seit einigen Tagen die Tatsache ignorieren, dass das Screening "nicht mehr systematisch" ist, so die bewundernswerte Untertreibung des Gesundheitsministers. In ähnlicher Weise suggerieren die Behörden (mit zunehmender Schwierigkeit), dass die „Überforderung“ der Krankenhäuser sich auf einige wenige Abteilungen beschränkt. Schamlose Lüge! In der Presse und sogar in den sozialen Netzwerken wimmelt es von ergreifenden Zeugenaussagen von Pflegekräften, die manchmal unter Tränen das Ausmaß der Katastrophe beschreiben.

Es muss deutlich gemacht werden: Dieses Chaos ist das Produkt der Dekadenz des kapitalistischen Systems, der Haushaltskürzungen, die der Staat seit Jahrzehnten vornehmen muss, um das nationale Kapital über Wasser zu halten!

Bereits 2004 beschloss der Staat, die Grundlagenforschung zum Coronavirus aus Haushaltsgründen drastisch zu reduzieren![2] Die herrschende Klasse wusste sehr wohl, dass ihre Krankenhäuser, die angesichts der einfachen saisonalen Grippe bereits überfordert waren, dem Schock einer großen Epidemie nicht standhalten würden![3] Der bürgerliche Staat hat sich bewusst dafür entschieden, die Menschen in Massen sterben zu lassen, um seine Finanzen zu "sanieren"!

Mit einem unerträglich paternalistischen Ton lobt General Macron heute den Mut und den Heldenmut der Ärzte, Sanitäter, Krankenpfleger und Krankenwagenfahrer und verschweigt dabei tunlichst zu sagen, dass er seine CRS (das deutsche Pendant ist die Bundespolizei) schickte, um sie ein ganzes Jahr lang mit Tränengas auf den Protestveranstaltungen auseinanderzujagen, während die "Soldaten in weißen Kitteln" mehr Mittel und Personal für die Behandlung der Patienten verlangten! Während eines Jahres voller Streiks und Demonstrationen hörte die Bourgeoisie nicht auf, die Notärzte zu verachten, und als einzige Antworten gab es einen völlig unbedeutenden "Krankenhausplan"[4] und ekelhafte Unterstellungen über ihre angeblichen Privilegien als Beamte. Macron mag ihnen vielleicht Medaillen verleihen, indem er das Pflegepersonal als "Helden" bezeichnet, ihre Gehälter werden nicht steigen und ihre Arbeitsbedingungen werden sich weiter verschlechtern!

Die Demontage des Gesundheitssystems in Frankreich

Das Gesundheitssystem in Frankreich, wie überall auf der Welt, liegt in Trümmern, zerschlagen mit der Axt auf dem Altar der "strengen Haushaltsdisziplin", die Minister Darmanin, einem der besten Schwertkämpfer von General Macron, so sehr am Herzen liegt. In etwa zwanzig Jahren ist die Zahl der Krankenhausbetten um 100.000 gesunken! Die Zahl der Krankenhäuser und Kliniken ist von 1.416 im Jahr 2014 auf 1.356 im Jahr 2018 gesunken.[5] Als Symbol für die Zerstörung des Gesundheitssystems beschloss die Regierung 2014 den Verkauf des Militärkrankenhauses Val de Grâce, das effizienteste und am besten ausgestattete der französischen Krankenhäuser.

Frankreich verfügte im Jahr 2017 über 309 Intensivpflegeplätze pro 100.000 Einwohner, verglichen mit 601 Betten in Deutschland,[6] das (O Wunder!) bislang eine viel niedrigere Sterblichkeitsrate durch Covid-19 hat als seine Nachbarn. In einigen Regionen wie Ostfrankreich oder Korsika spürt man auf die  grausamste Weise wie sehr es an Material  mangelt, dort hat die Triage der Patienten  bereits begonnen. Echte "Kriegsmedizin", bei der die am schwersten Verwundeten und Krüppel (vor allem ältere Menschen) im Stich gelassen werden, wenn sie nicht für die Rentabilität der Volkswirtschaft wiedergewonnen werden können!

All dies geht offensichtlich mit einem chronischen Personalmangel einher sowie einem mörderischen Arbeitstempo, Tausenden von Überstunden und miserablen Löhnen.[7] Die Demontage des Gesundheitssystems hat auch zu der so genannten Numerus-Clausus-Politik geführt, die auf Studenten an Medizin- und Krankenpflegeschulen angewandt wird. 50 Jahre lang wurden Ärzte und Krankenschwestern auf Wettbewerbsbasis ausgewählt, wobei die Anzahl der erfolgreichen Kandidaten willkürlich per Ministerialverordnung festgelegt wurde, und zwar, wie zu erwarten, gemäß der strengsten Logik der Haushaltsdisziplin. Dies hat die zweitgrößte europäische Wirtschaft gezwungen, buchstäblich Niedriglohn-Ärzte und Krankenschwestern aus Spanien, dem Maghreb und Osteuropa zu "importieren".

Die Bourgeoisie hat keine andere Waffe als den Zwang, um die Pandemie einzudämmen

Um die Auswirkungen der Gesundheitskrise auf den "französischen Produktionsapparat" abzufedern, beschloss der Krisenstab des Staates eine Reihe von Sofortmaßnahmen, darunter eine sehr späe angeordnete Quarantäne. Während die Epidemie in Europa Anfang Februar begann, kündigte General Macron erst am 16. März endlich Eindämmungsmaßnahmen an. Bis dahin bestand, während die Epidemie weiter voranschritt, seine Priorität darin, Sparmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse zu ergreifen, einschließlich der Verabschiedung seiner Rentenreform.

Doch die Regierung war sich der Gefahr, die von Covic-19 ausgeht, sehr wohl bewusst. Es war die ehemalige Gesundheitsministerin, der "weiße Engel" Agnes Buzyn, die öffentlich die Katze aus dem Sack ließ, indem sie (zweifellos verbittert durch ihre schlechten Wahlergebnisse im Rennen um das Amt des Bürgermeisters von Paris) erklärte, dass sie das Staatsoberhaupt schon sehr früh vor der bevorstehenden Katastrophe gewarnt habe: "Ich wusste, dass die Tsunami-Welle vor uns lag". "Am 30. Januar habe ich [Premierminister] Édouard Philippe gewarnt, dass die Wahlen wahrscheinlich nicht stattfinden können. Wir hätten alles stoppen sollen, es war eine Maskerade".[8]

Die "Maskerade" hat stattgefunden! Die Regierung verschlimmerte wissentlich die Ausbreitung der Epidemie, indem sie Millionen von Bürgern in die Wahllokale schickte, um der großen demokratischen Messe beizuwohnen! Die eklatante Unfähigkeit einer der Großmächte der Welt, die Bevölkerung mit wirksamen Schutzmitteln (Masken, Handschuhe und Desinfektionsmitteln) zu versorgen, zwingt jedoch zu drastischen Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit und weiteren Eindämmungsmaßnahmen.

Die "Maskerade" beschränkt sich nicht auf die waghalsige, verbrecherische Durchführung von Wahlen inmitten der zunehmenden Epidemie – Macron forderte in derselben Rede vom 16. März seine "lieben Landsleute" auf, nicht auf die Straße zu gehen, "außer um zu wählen und Besorgungen zu machen".

Angesichts dieser paradoxen Anordnung (geht raus aus dem Haus, aber kommt nicht heraus!) verschlossen viele die Augen vor der Realität und sahen nicht den Ernst dieser Pandemie. Es war daher nicht verwunderlich, dass viele "Bürger" keinen "Bürgersinn" zeigten und das gute Wetter nutzten, um an den Ufern der Seine und in öffentlichen Gärten spazieren zu gehen.

Macrons Rede, die nichts Halbes und nichts Ganzes war, sowie seine Entscheidung, die erste Runde der Kommunalwahlen aufrechtzuerhalten, waren immer noch eine Steilvorlage für Marine Le Pen, die diese für sich ausschlachtete.

Unter dem Druck der Warnungen der Ärzte trafen Macron und sein Innenminister Christophe Castaner die Entscheidung, allgemeines Ausgehverbot zu fordern. Eine Armee von 100.000 Polizisten und Soldaten wurde im ganzen Land eingesetzt, um die Kontaktsperre und die zunehmende Zahl der Ausgangssperren durchzusetzen. Angesichts der Schwere der Pandemie bleibt der herrschenden Klasse nichts anderes übrig, als mit Zwang ein massenhaftes Sterben zu verhindern.

An der Côte d'Azur überfliegt eine mit einem Lautsprecher ausgestattete Drohne sogar die Gemeinden Nizza und Cannes und befiehlt den Passanten, zu Hause zu bleiben: "Erinnerung an die Anweisungen bezüglich der Covid-19-Epidemie: Jeder Aufenthalt außerhalb des Hauses ist verboten, außer mit Sondergenehmigungen. Bitte halten Sie einen Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter zu anderen Personen ein", so wiederholt es die Stimme aus der Drohne immer wieder.

Die Polizei, mit ihrem üblichen Sinn für Unterscheidungsvermögen, zögerte nicht, die Maßnahmen der Regierung anzuwenden, indem sie die Mittellosesten und Obdachlosen ins Visier nahm: "Mehrere Obdachlose wurden in Frankreich von der Polizei mit einer Geldstrafe belegt, weil sie sich nicht an die Ausgangssperren hielten. ...] Fälle wurden vor allem in Paris, Lyon und Bayonne registriert"![9] Die Polizisten zögerten auch nicht, vier Trauernde am Tor eines Friedhofs zu bestrafen, weil sie "die Regeln des Kontaktverbotes nicht respektierten", und behaupteten, dass "eine Beerdigung nicht zwingend erforderlich ist"! Die Bourgeoisie hat keine andere Wahl, als ihre Ordnungskräfte einzusetzen, aber sie nutzt auch die Situation aus, um die Bevölkerung an die Militarisierung der Gesellschaft zu gewöhnen, wenn der "innere Feind" nicht mehr der Virus, sondern die kämpfende Arbeiterklasse sein wird!

Auf allen Fernsehgeräten werden täglich die an der "Front" mobilisierten Ärzte interviewt, um die Bevölkerung zur strikten Einhaltung des Ausgehverbots und sozialen Distanzierung zu drängen. Denn es ist (leider) heute die einzige Möglichkeit, die Gefahren des Coronavirus zu bekämpfen und die Ansteckung zu begrenzen.

Die Bourgeoisie sorgt sich nicht um die Gesundheit der Ausgebeuteten

Die "Maskerade" sind auch die Millionen von Menschen, die täglich in den öffentlichen Verkehrsmitteln zusammengepfercht sind. In den Fabrikhallen und Supermärkten, werden die Beschäftigten in großen Zahlen ‚eingesperrt‘. Die kriminelle "Maskerade" der Bourgeoisie und ihrer Regierung sind die tausenden noch offenen Unternehmen, deren Betrieb nur dem Namen nach "wesentlich" ist. Während Bauarbeiter sich weigerten, sich unnötig Gefahren auszusetzen, wagte der Arbeitsminister Pénicaud von "Defätismus" zu sprechen.

Um die unweigerlich sich sträubenden Beschäftigten zu zwingen zur Arbeit zu fahren, hat die Regierung ihre gefährlichsten Waffen eingesetzt: Repression und Propaganda. Der Staat kann natürlich auf seine Wachhunde der Gewerkschaften zählen, die für Disziplin sorgen. Letztere fordern ständig die Umsetzung "der Mittel, die für den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer, die arbeiten müssen, unerlässlich sind" und "begrüßen das Engagement der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes".[10] Mit anderen Worten: Gehen Sie zur Arbeit, wir kümmern uns um Ihren Schutz durch den "sozialen Dialog" mit dem Management und dem Chef! Wenn ArbeiterInnen ihre Zurückhaltung zu offen äußern, machen die Gewerkschaften schnell von dem "Recht auf Rückzug" in "ihrem" Unternehmen Gebrauch. (In Frankreich haben Beschäftigte Anspruch auf einen „Rückzug“ (Recht auf Arbeitsverweigerung (bei drohender Gefahr für Gesundheit u. Leben))

Der "Gesundheitsnotstand" hat die Regierung nicht daran gehindert, die Beschäftigten zu drängen, sich nicht an die Ausgangssperre zu halten, wenn Homeoffice nicht möglich ist. Aber von nun an werden Polizisten, falls die Arbeiter sich weigern, zur Arbeit zu gehen, und es vorziehen, ihre Gesundheit und die ihrer ihnen Nahestehenden zu schützen, geschickt, um die widerspenstigen Arbeiter zur Arbeit zu zwingen und Strafen für alles zu verhängen, was der Staat als Hindernis für das reibungslose Funktionieren der nationalen Wirtschaft ansieht! Arbeitgeber können auch automatisch Zwangsurlaub verhängen, falls Beschäftigte von der Arbeit fernblieben. Selbst die Beamten bestimmter Finanzämter sind verpflichtet, ihre Arbeitsplätze nicht zu verlassen! Selektive Ausgangsperre ist Teil der Logik des Kapitals: Diese tödliche Pandemie darf den „reibungslosen Betrieb" der Volkswirtschaft nicht behindern.

"Meine Priorität ist es, die französische Wirtschaft zu retten", sagte der Wirtschaftsminister Bruno Le Maire mit dem Schwert in der Hand. Wie der Journalist der Zeitung Atlantico, Jean-Sébastien Ferjou, es formulierte: "Die eigentliche Frage, [...] ist: ziehen wir es vor, unsere alten und geschwächten Menschen zu opfern, oder ziehen wir es vor, zwei Punkte des BIP zu opfern?“ Die Regierung hat sich entschieden: Wir werden die alten Menschen opfern!

Es ist die Arbeiterklasse, die die Rechnung bezahlen muss!

Die französische Bourgeoisie hat, wie ihre Nachbarn, bei der ungeheuerlichen Propaganda nicht gespart! Mit dem Aufruf zur "allgemeinen Mobilisierung" und "nationalen Einheit" hat die Bourgeoisie eine höchst verabscheuungswürdige nationalistische Kampagne entfesselt!

Die Bourgeoisie bereitet sich bereits auf die wirtschaftlich ruinösen Folgen vor, die der "Gesundheitskrieg" hervorbringen wird; und es ist die Arbeiterklasse, die die Rechnung bezahlen wird! Der "Geist des Opferbringens", der in einer Zeit des "Wiederaufbaus" vorherrscht, ist schon an der Tagesordnung. Jetzt schon haben die prekärsten Arbeiterinnen und Arbeiter mit wenigen Stunden ihre Jobs verloren, mit deren Hilfe sie überleben. Schon jetzt werden diejenigen, die Kurzarbeit ausüben, entgegen den Versprechungen der Regierung schlussendlich nicht ihren vollen Lohn erhalten! Die Propaganda ist in vollem Gange, um den Menschen klarzumachen, dass wegen der Epidemie in Zukunft alle den Gürtel enger schnallen müssen. Genau so wie man uns eintrichtern wollte, dass "korrupte Banker" und "verrückte Finanzen" die Ursache der Wirtschaftskrise von 2008 waren, versucht die herrschende Klasse nun, die Leute glauben zu machen, dass Covid-19 die Ursache der Wirtschaftskrise ist. Aber die Realität ist ganz anders: Die Epidemie ist nicht nur ein Katalysator, ein Beschleuniger der Krise des kapitalistischen Systems, sondern sie ist selbst ein reines Produkt dieser Krise!

In der Presse und in sozialen Netzwerken, im Fernsehen und auf YouTube werden diejenigen, die immer noch allein joggen, als unverantwortlich dargestellt, die für die Ausbreitung der Epidemie verantwortlich seien. Ist es den Journalisten und ihren "youtube"-Gehilfen nicht in den Sinn gekommen, dass diese unklugen Jogger das Verbot des Joggens im Freien völlig lächerlich fanden, nachdem sie  in großen Menschenmengen in der RER, (öffentlichen Nahverkehr), in ihren Bahnhöfen und am Tag zuvor in den Wahllokalen eingepfercht waren?

Der Staat betreibt eine Kampagne der individuellen Schuldzuweisungen, um seine eigene Nachlässigkeit und seine Unfähigkeit, die Pandemie einzudämmen, besser zu verbergen!

Aber am verhängnisvollsten ist die ideologische Kampagne der Bourgeoisie mit ihren Aufrufen, den Mitarbeitern des Gesundheitswesens stehenden Beifall zu spenden. Die Fernsehsender zeigen immer wieder die Bilder des erleuchteten Eiffelturms und der reichen Viertel mit den jeden Abend um 20 Uhr an den Fenstern und Balkonen applaudierenden Leuten, die den Ärzten und Krankenschwestern - manchmal sogar mit der Kulisse der Marseillaise - Beispiel spenden. Die Bourgeoisie scheut weder Zynismus noch Unanständigkeit, indem sie die Bevölkerung auffordert, nach dem Tod des ersten Arztes ihren Applaus zu verdoppeln. Die "Soldaten, die für Frankreich gestorben sind" werden  unter dem Jubel des Volkes geehrt! Es ist nicht mehr und nicht weniger eine Perversion der Solidarität der Arbeiterklasse, wenn General Macron eine Kriegsrede hält, in der er den "Heldentum" der Ärzte lobte. Obwohl dieser Applaus ein wenig Balsam in die Herzen bringt, braucht das Pflegepersonal für seinen guten und loyalen Dienst an der "Nation" keine Medaillen. Sie brauchen zusätzliches Personal und Ausrüstung, sie brauchen Masken und Schutz! Sie brauchen die "Anerkennung" durch Ausbeuter in Form von Lohnerhöhungen[11] und Personalaufstockungen, damit sie nicht unter der Last des höllischen Arbeitspensums zusammenbrechen!

Die Wut kann nur zunehmen

Angesichts der Nachlässigkeit der Bourgeoisie und des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems, der die Versorgung der Kranken immer schwieriger macht, steigt der Zorn in den Reihen der Arbeiter. Die Verachtung der herrschenden Klasse für das menschliche Leben spornt die Wut der Ausgebeuteten an. Viele können den erklärten Wunsch der Regierung nicht mehr ertragen, die „Drückeberger“ aufzuscheuchen oder sich am Arbeitsplatz in Gefahr zu begeben, wenn es keine Rechtfertigung für ihre Präsenz am Arbeitsplatz gibt. Lieferanten bei Deliveroo und Uber-Eats, die Beschäftigten der SNF-Fabrik in Andrézieux, die Beschäftigten von La Redoute und Saverglass in der Region Oise streikten, um gegen ihre gefährlichen Arbeitsbedingungen zu protestieren. Auch bei Amazon und bei der Post streikten die Beschäftigten. An vielen Orten brachten viele Proletarier ihre Solidarität an ihren Fenstern schnell zum Ausdruck, indem sie mehr Geld für die Pfleger forderten, nicht mit stehenden Ovationen an die "Helden der Nation", sondern mit dem Ruf von: "Geld! Geld, für das öffentliche Krankenhaus!"

Aber einstweilen herrschen Angst und Erstaunen vor angesichts dieser gesundheitlichen Katastrophe, die die herrschende Klasse nicht kontrollieren kann.  Die Unmöglichkeit, in größeren Massen zusammen zu kommen, erlaubt es der Arbeiterklasse heute nicht, den Weg des Kampfes auf ihrem eigenen Klassenterrain wieder aufzunehmen.

All diese Äußerungen des Zornes zeigen jedoch, dass die Kampfbereitschaft noch sehr lebendig ist, dass die Proletarier nicht resigniert die tödliche Nachlässigkeit derer, die sie ausbeuten, als akzeptieren. "Wir sind kein Kanonenfutter", hört man unter dem Pflegepersonal.

Sobald diese Gesundheitskrise überwunden ist, wird der "schützende" Staat wieder sein wahres Gesicht zeigen. Die Angriffe auf die Lebensbedingungen der Proletarier, (verschärft durch den Absturz der Wirtschaft in den Abgrund der Rezession) können auf Dauer nur zu neuen Explosionen von Wut und Empörung führen – und nicht zum „Burgfrieden“ der Ausgebeuteten mit ihren Ausbeutern.

Diese globale Gesundheitskatastrophe kann nur zum Nachdenken in der Arbeiterklasse beitragen und damit zur Erkenntnis, dass der Kapitalismus ein völlig verrottetes System ist, eine wahre Geißel, die das Überleben der menschlichen Spezies bedroht.

EG, 22. März 2020


[1] General Macron kann zumindest auf eine Expeditionstruppe, das Chinesische Rote Kreuz, zählen, das dem Alten Kontinent gerade mehrere Millionen Masken und Geräte zur Beatmung und Intubation von Kranken "gespendet" hat. Natürlich sind die "Spenden" aus Peking nicht nur anekdotisch, sie sind   auch kein altruistischer und selbstloser Akt. Während die Staaten nicht in der Lage sind, ihr Handeln in einem Mindestmaß abzustimmen, ist Chinas "Großzügigkeit" eher Ausdruck des immer mehr um sich greifenden "jeder für sich", das den verrottenden Kapitalismus kennzeichnet, wofür die COVID-19-Pandemie ein spektakuläres Beispiel ist. Wir werden in einem zukünftigen Artikel auf diese Fragen zurückkommen.

[2] Vgl. das Interview mit Professor Bruno Canard, Forschungsdirektor des CNRS und Spezialist für Koronaviren, das in Le Monde veröffentlicht wurde: “Face aux coronavirus, énormément de temps a été perdu pour trouver des médicaments [8]” (29. Februar 2020).

[3] Darüber hinaus ist COVID-19 bei weitem nicht die virulenteste Krankheit, die die Menschheit je befallen hat. Die apokalyptischen Auswirkungen einer MERS-CoV-Pandemie mit einer Todesrate von 30% sind bereits jetzt ohne allzu große Schwierigkeiten vorhersehbar! (MERS-CoV avec son taux de létalité à 30 % [9] !)

[4] In welchem Maße das ein Witz ist, lässt sich ermessen, wenn man diese "sehr wichtige Investition" von 300 Millionen Euro (laut der ehemaligen Gesundheitsministerin Agnès Buzyn) mit dem Hilfsplan von etwa 750 Milliarden Euro vergleicht, den die EZB gerade freigegeben hat, um "die Wirtschaft zu retten".

[5] Vgl. das Panorama der DRESS von 2019 und einen im gleichen Jahr veröffentlichten DRESS-Bericht (le Panorama de la DRESS de 2019 [10] et un rapport de la DRESS publié la même année [10]).

[6] Siehe "Pflegebetten in Krankenhäusern". “Curative care beds in hospitals [11]”. Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 2017. Zweifel an der kontinuierlichen Verschlechterung der Aufwendungen in den letzten zwei Jahren sind kaum zulässig.

[7] Darüber hinaus hat der Staat die Misere noch verschlimmert, indem er die Stellen von Krankenpflegern durch Pflegehelferinnen ersetzt hat, die Hungerlöhne erhalten.

[8] “Les regrets d’Agnès Buzyn [12]”, Le Monde (17. März 2020).

[9] “Coronavirus : des SDF verbalisés pour non-respect du confinement” AFP (20 mars 2020). "Coronavirus: Obdachlose wegen Nichteinhaltung der Ausgangssperre bestraft", AFP (20. März 2020).

[10] Communiqué intersyndical du 19 mars 2020 [13] "Communiqué intersyndical vom 19. März 2020", das die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen zusammen unterzeichneten.

[11] Die Zusage einer Prämie von 1.000 Euro für Pflegekräfte ist nicht einmal ein 13. Monatsgehalt des Mindestlohns; diese Krümel sind eine echte Beleidigung.

Rubric: 

Coronavirus

Covid-19: Entweder das Weltproletariat überwindet den Kapitalismus oder der Kapitalismus löscht die Menschheit aus

  • 97 Aufrufe

Heute werden in den Straßen von Madrid eine Unmenge Krankenwagen rasen, es wird ein Chaos in den Notaufnahmen der Krankenhäuser, Schmerzen und Leid geben, vergleichbar mit den Anschlägen auf den Bahnhof Atocha im Jahr 2004 (193 Tote und mehr als 1400 Verletzte). Aber dieses Mal wird es ein nur weiterer Tag dieser Pandemie sein, die bereits 2300 Todesfälle und fast 35.000 Infizierte (offiziell) in Spanien verursacht hat, die sich noch schneller als in Italien ausbreitet, das vor einigen Tagen alle Rekorde in Bezug auf die täglichen Todesfälle (651) und die tödlichen Auswirkungen der Epidemie (mehr als 7000 Tote) gebrochen hat. Schon jetzt erweist sich die Covid-19 Pandemie als die schlimmste Gesundheitskatastrophe in den beiden Ländern seit dem 2. Weltkrieg. Und diese Länder liefern nur einen Vorgeschmack von dem, was wahrscheinlich die Bevölkerung der Metropolen wie New York, Los Angeles, London usw. erwartet. Und die Zahlen werden noch horrender sein, wenn man die Auswirkungen dieser Epidemie in Lateinamerika und Afrika berücksichtigt, wo die Gesundheitssysteme noch prekärer sind oder diese gar nicht existieren.

Aber seit Wochen schon konnten sich die Herrscher dieser Länder – und zweifellos auch anderer kapitalistischer Mächte wie Frankreich, wie wir in unseren Publikationen[1] gezeigt haben – eine Vorstellung von den zu erwartenden Folgen dieser Pandemie machen. Dessen ungeachtet beschlossen die Herrschenden wie die Regierungen der anderen kapitalistischen Staaten - und nicht nur Populisten wie Johnson in Großbritannien oder Trump in den USA usw.- die Bedürfnisse der kapitalistischen Wirtschaft über die Gesundheit der Bevölkerung zu stellen. Nun behaupten dieselben Herrscher in ihren theatralischen und heuchlerischen Reden, dass sie bereit seien, alles zu tun, um die Gesundheit ihrer Bürger zu schützen, und schieben die Schuld dafür auf den "Virus", dem sie den "Krieg" erklären. Aber der Schuldige kann nicht etwas sein, das nicht einmal ein Lebewesen ist. Die Verantwortung für die durch diese Pandemie verursachte Sterblichkeit ist ganz und gar auf die sozialen Bedingungen zurückzuführen; auf eine Produktionsweise, die, anstatt die Produktivkräfte, die natürlichen Ressourcen, den Fortschritt des Wissens zu nutzen, um das Leben zu begünstigen, das menschliche Leben und die Natur auf dem Altar der kapitalistischen Gesetze der Akkumulation und des Profits opfert.

Die ausgebeutete Klasse ist auch das Hauptopfer dieser Pandemie

Man sagt uns immer wieder, dass diese Pandemie jeden betrifft, ohne Unterschied zwischen Arm und Reich. Sie berichten über die Fälle einiger "Prominenter", die von Covid-19 betroffen oder sogar getötet wurden. Aber das sind Anekdoten, um die Tatsache zu verschleiern, dass die Ausbeutungsbedingungen der Beschäftigten für den Anstieg und die Ausbreitung dieser Pandemie verantwortlich sind.

Erstens wegen der dicht zusammen gedrängten  Menschen in überfüllten und ungesunden  Wohnvierteln, die einen Nährboden für die Ausbreitung von Epidemien bieten. Dies lässt sich leicht überprüfen, wenn man sieht, dass diese Pandemie in Industrieregionen mit hoher Bevölkerungsdichte (Lombardei, Venetien und Emilia Romagna in Italien, Madrid, Katalonien und Baskenland in Spanien) häufiger auftritt als in Regionen, die aufgrund der industriellen Entwicklung weniger stark besiedelt sind (Sizilien, Andalusien). Die Zuspitzung der Wohnungsnot insbesondere für die Arbeiter hat diese Ausbreitung noch begünstigt. Im Fall von Madrid befinden sich die Krankenhäuser, die am stärksten unter der hohen Patientenzahl leiden und die völlig überfordert sind, im Wesentlichen in den Stadtteilen, die die Beschäftigten aus den südlichen Industriegebieten versorgen. Und in diesen minderwertigen Wohngegenden ist es schwieriger, die von den Gesundheitsbehörden verordnete Quarantäne zu ertragen. In den "Chalets" von Somosierra oder der Villa Niza, wo Berlusconi mit seinen Kindern Zuflucht gesucht hat, ist die Enge erträglicher. Dieser Realität entgegengesetzt täuschen die Ausbeuter zynischerweise einen „Bürgersinn“ vor.

Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf diese Bevölkerung mit prekären Arbeitsplätzen, die sich zusätzlich um kleine Kinder oder ältere Menschen kümmern muss, zusammen gepfercht auf engstem Raum in minderwertigen Wohnungen. Besonders empörend ist dies im Fall der älteren Menschen, die ihr ganzes Leben lang ausgebeutet wurden und heute gezwungen sind, allein zu leben, oder die in Heimen vernachlässigt werden, die denselben Gesetzen des kapitalistischen Profits unterliegen. Mit einem Pfleger für je 18 Patienten in den Abteilungen der stark Pflegebedürftigen sind die Altenheime zu einer der Hauptquellen für die Ausbreitung der Pandemie geworden, wie man in Spanien nicht nur bei den so genannten "Bürgern", sondern auch bei den Beschäftigten selbst gesehen hat, die mit befristeten Verträgen und miserablen Gehältern gezwungen waren, gefährdete Patienten zu betreuen, wobei in vielen Fällen minimale Maßnahmen zum Selbstschutz fehlten.[2] Aber dieselbe Situation ist auch in Frankreich zu beobachten, das bis vor kurzem noch als Musterbeispiel des Sozialstaates dargestellt wurde. In Spanien ist es inzwischen so, dass hospitalisierte Patienten isoliert in ihren Zimmern neben den Leichen ihrer Mitbewohner ausharren müssen, da die Leichenhallen überfüllt sind oder nicht ausreichend geschützte Beschäftigte der Bestattungsunternehmer nicht mehr nachkommen, um all die Verstorbenen einzusammeln. Ebenso werden Einlieferungen in Krankenhäuser verzögert, da die Aufnahmekapazitäten längst erschöpft sind. Meist erwartet die neu Eingelieferten dort eine Einstufung in Patienten der dritten oder vierten Kategorie, d.h. den Regeln der "Triage" zufolge, wodurch der Einsatz von materiellen Ressourcen und Personal auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Kriterien bestimmt wird. All das stellt einen Angriff auf die Würde und das Leben der Menschen und all das dar, was die Menschheit bisher erreicht hat. In Spanien[3], Italien, Frankreich wurde diese Triage von den Behörden verordnet.

Wir können hier die bekannten Überausbeutung und Überbelastung der Beschäftigten im Gesundheitswesen hinzufügen. Auf sie entfallen allein 8 und 12% der Ansteckungen. Allein in Spanien sind mehr als 5.000 Beschäftigte des Gesundheitswesens infiziert. Doch diese Statistiken sind ziemlich irreführend, da ein beträchtlicher Teil der Beschäftigten noch nicht auf eine Coronavirusinfektion getestet wurde. Dennoch sind sie gezwungen, ohne die notwendigen Handschuhe, Masken und Schutzkittel zu arbeiten, da diese eine "entbehrliche" Ausgabe für die kapitalistische Gesundheit und Wirtschaft darstellten. Wie Krankenhäuser, Intensivbetten, Beatmungsgeräte, die Forschung an Coronaviren und möglichen Heilmitteln und Impfstoffen - all dies wurde der Rentabilität der Ausbeutung geopfert.

Heute versuchen die Stimmen, die in den Medien über die Entwicklung des Gesundheitswesens „trauern“, vor allem die linken Kräfte, den Zorn der Bevölkerung auf die "Privatisierung" des Gesundheitswesens zu lenken. Aber wer auch immer das Krankenhaus, das pharmazeutische Labor oder das Pflegeheim besitzt, die Wahrheit ist, dass die Gesundheit der Bevölkerung dem Profitstreben einer ausbeuterischen Minderheit in der gesamten Gesellschaft unterliegt.

Die Verteidigung des Lebens gegen die Gesetze der Ausbeutung

Diese Diktatur der Gesetze des Kapitals über die Bedürfnisse der Menschen hat sich deutlich bei der Durchführung der Quarantäne in Italien, Spanien und Frankreich gezeigt, die drakonische Einschränkungen beim Einkaufen und beim Besuch älterer Menschen vorsieht, Kindern oder behinderte Patienten wegsperrt, die aber dennoch die Augen zudrückte und die Beschäftigten nicht daran hindern wollte, auf Baustellen zu schuften, Schiffe mit Containern  zu be- und entladen und die Produktion in Textil-, Haushaltsgeräte- und Automobilfabriken aufrechtzuerhalten. Und um diese Ausbeutungsbedingungen "abzusichern" und gleichzeitig ein paar "Jogger" oder Arbeiter zu jagen, die in kleinen Gruppen mit dem Auto zur Arbeit fahren (und einen Teil der Reisekosten sparen), wird die Nutzung von U- oder S-Bahnen oder Pendlerzügen erlaubt, um den Produktionsprozess am Laufen zu halten. Viele Arbeiter sind über diesen verbrecherischen Zynismus der Bourgeoisie empört und drücken ihre Wut in sozialen Netzwerken aus, da es unter den gegenwärtigen Bedingungen unmöglich ist, dies gemeinsam auf der Straße, in Versammlungen usw. zu tun. So wurde gegen die Kampagne, die von den wichtigsten "Medien" mit der Parole "Bleib zu Hause" ausgebrütet wurde, ein ebenso sehr populärer Hashtag #YoNoPuedoQuedarmeEnCasa (Ich kann nicht zu Hause bleiben) ins Leben gerufen, in dem sich "Lieferanten" (Deliveroo, Uber), HauspflegerInnen, ArbeiterInnen im riesigen Bereich der Niedriglöhner  usw. äußern.

Es hat auch Proteste, Kundgebungen und Streiks gegen die Fortsetzung der Arbeit unter diesen Bedingungen gegeben, die das Leben und die Sicherheit der Beschäftigten missachten. So wie es bei den Protesten in Italien lauthals verkündet wurde. "Ihre Gewinne sind mehr wert als unser Leben."

In Italien streikten die Beschäftigten bei FIAT in Pomigliano, wo täglich 5.000 Beschäftigte arbeiten, seit der Woche vom 10. März, um gegen die unsicheren Arbeitsbedingungen zu protestieren. In anderen Fabriken des Metallsektors, zum Beispiel in Brescia, wurde den Unternehmen ein Ultimatum gestellt, die Produktion an die Bedürfnisse des Arbeitnehmerschutzes anzupassen, oder sie würden streiken. Letztendlich beschlossen die Unternehmen, die Werke zu schließen. Und als vor kurzem, am 23. März, ein späterer Erlass von Premierminister Conte die Erlaubnis für die Fortsetzung der Arbeit in nicht lebensnotwendigen Industriezweigen gab, brachen erneut spontane Streiks aus, die die Gewerkschaft CGIL dazu veranlassten, einen "Generalstreik" anzudrohen.

In Spanien gab es ähnliche Reaktionen zunächst bei den Mercedes-Werken in Vitoria, denn dort beschlossen die Arbeiter, als ein mit Covid19 infizierter Beschäftigter aufgetaucht war, die Arbeit sofort einzustellen. Dasselbe geschah in der Haushaltsgerätefabrik Balay in Saragossa (1000 Arbeiter) oder bei Renault in Valladolid. Es muss gesagt werden, dass in vielen Fällen das Unternehmen selbst die Aussperrung eingeleitet hat (Airbus in Madrid, SEAT in Barcelona oder FORD in Valencia und später PSA in Saragossa oder Michelin in Vitoria), so dass die Staatskasse - also der Mehrwert, der der gesamten Arbeiterklasse entzogen wurde - für die Zahlung eines Teils der Löhne und Gehälter der Arbeiter einspringen musste, während es in Wirklichkeit schon vor der Pandemie Pläne für Entlassungen gab (bei FORD oder Nissan in Barcelona).

Aber es gibt auch offene Demonstrationen von Kampfbereitschaft, wie der wilde Streik (d.h. außerhalb und gegen den Willen der Gewerkschaften) der Busfahrer in Lüttich (Belgien), der sich gegen die Verantwortungslosigkeit des Unternehmens wandte. Dieses hatte nämlich seine Angestellten unter Bedingungen arbeiten lassen, unter denen sie völlig der Ansteckungsgefahr ausgesetzt waren und das zu einem Zeitpunkt, als Belgien als eines der ersten Länder eine Ausgangssperre verordnet hatte. Gleiches geschah beispielsweise bei den Beschäftigten einer Bäckerei und der Werft Neuhauser in Nantes oder den Beschäftigten von SNF in Andrézieux (Frankreich).[4]

In Frankreich gab es sehr starke Proteste auf den Werften von Saint Nazaire. Ein Werftarbeiter sagte dem Fernsehen: "Sie zwingen mich, mit zwei oder drei Kollegen auf engem Raum in Kabinen von kaum 9 Quadratmetern und ohne jeden Schutz zu arbeiten. Dann gehe ich zurück nach Hause, wo meine Frau und meine Kinder abgeschottet durch die Ausgangsbeschränkungen leben. Und ich frage mich mit großer Sorge, ob ich keine Gefahr für sie darstelle. Das kann ich nicht akzeptieren.“

Während sich die Epidemie und ihre schädlichen Auswirkungen auf die ArbeiterInnen ausbreitet, hört man immer mehr von vereinzelten Protesten der ArbeiterInnen gegen diese Maßnahmen und die Bedürfnisse der kapitalistischen Ausbeutung: z.B. bei FIAT Chrysler in den Werken in Tripton (Indiana/USA), wo die Beschäftigten gegen die Tatsache protestierten, dass sie zur Arbeit gehen müssen, während es verboten ist, sich außerhalb der Fabriken zu versammeln. Ähnliche Reaktionen gab es auch in den Werken der Firma Lear in Hammond, und ebenfalls in Indiana, in den Fiat-Werken in Windsor (Ontario/Kanada) oder in der Lkw-Fabrik Warren am Stadtrand von Detroit. Auch die Busfahrer in der Stadt Detroit stellten ihre Arbeit ein, bis das Unternehmen ihnen ein Mindestmaß an Sicherheit in ihren Arbeitsbedingungen zusicherte. Es ist sehr bezeichnend, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter bei diesen Kämpfen in den Vereinigten Staaten ihre Entscheidung zur Einstellung der Arbeit aufgrund der von der Gewerkschaft - in diesem Fall der UAW - festgelegten Richtlinie durchsetzen mussten, die sie dazu ermutigte, weiter zu arbeiten, um dem Unternehmen nicht zu schaden.

Und auch im Hafen von Santos (Brasilien) gab es Proteste der Arbeiter gegen die Auflagen der Behörden zur Fortsetzung der Arbeit. Auch in diesem Land wächst die Besorgnis der Arbeiter der Fabriken von Volkswagen, Toyota, GM usw. gegen die Fortsetzung der Produktion, als ob es keine Pandemie gäbe.

So begrenzt diese Proteste auch waren, sie sind ein wichtiger Teil der Klassenreaktion des Proletariats auf die Pandemie, die zweifellos kapitalistischen Klassencharakter hat. Selbst wenn diese Proteste auf rein defensivem Terrain stattfinden, stelle sie doch eine deutliche Verweigerung der Ausgebeuteten dar, als Kanonenfutter der Ausbeuter zu dienen.

Die Antwort der Bourgeoisie: Heuchelei und Staatstotalitarismus

Die Bourgeoisie selbst ist sich des Potenzials für die Entwicklung der Kampfbereitschaft und des Bewusstseins des Proletariats bewusst, das in dieser Anhäufung von Unruhe, Entrüstung und Opfern, die von den Arbeitern gefordert werden, enthalten ist. Jetzt nehmen sogar die Hauptverfechter von harten Sparmaßnahmen   (wie Merkel, oder Berlusconi, oder der spanische Luis de Guindos) den Mund voll mit Versprechungen von Sozialleistungen. Aber die Waffen der Ausbeuterklasse bleiben die traditionellen Waffen in der gesamten Geschichte des Klassenkampfes: Täuschung und Unterdrückung.

- Die Scheinheiligkeit der Beifallskundgebungen für die Beschäftigten des Gesundheitswesens. Natürlich verdienen die Beschäftigten des Gesundheitswesens die ganze Anerkennung und Solidarität, denn sie sind es im Wesentlichen, die mit ihrem Einsatz und ihrer Unterstützung die Gesundheitsversorgung auf einem Mindestmaß aufrechterhalten. Sie tun dies seit Jahren auf dem Hintergrund von Personalabbau und der Verschlechterung der materiellen Ressourcen. Es ist widerwärtiger Zynismus zu sehen, wie die Behörden, die genau diese Bedingungen der Überausbeutung und Ohnmacht der Beschäftigten des Gesundheitswesens gefördert haben, sich dieser "Solidarität" der Bevölkerung anschließen wollen, mit der Botschaft, dass wir alle im selben Boot sitzen, die Nationalhymne singen und die patriotischen Werte als Heilmittel (?) gegen die Ausbreitung der Pandemie preisen. Der abstoßende Nationalismus vieler dieser vom Staat selbst geförderten "Mobilisierungen" versucht zu verbergen, dass es keine Interessengemeinschaft geben kann zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten; zwischen Nutznießern und durch die Verschlechterung der Gesundheitsinfrastruktur geschädigten Personen; zwischen denen, die die Produktion und die Wettbewerbsfähigkeit des nationalen Kapitals aufrechterhalten, und denen, die das Leben und die menschlichen Bedürfnisse an die erste Stelle setzen. Das Gerede vom Vaterland ist ein Schwindel für die Arbeiter und Arbeiterinnen, egal ob Salvini und Vox oder Podemos, Macron oder Conte dies sagen.

Unter Berufung auf genau diese "nationale Solidarität" werden die Bürger aufgefordert, diejenigen zu melden, die angeblich die Quarantäne "brechen", wodurch ein Klima der "Hexenjagd" geschaffen wird, für das manchmal Mütter mit autistischen Kindern, ältere Leute, die einkaufen gehen, oder sogar  Gesundheitspersonal, das auf dem Weg zur Arbeit in den Krankenhäuser ist, büßen soll. Es ist besonders zynisch, die Ausbreitung der Pandemie, die durch sie verursachten Todesfälle oder den Stress, unter dem das Gesundheitspersonal leidet, auf einige wenige "Täter" zu schieben. Es gibt nichts Antisozialeres - d.h. im Gegensatz zur menschlichen Gemeinschaft – als den kapitalistischen Staat, der genau die Klasseninteressen der ausbeutenden Minderheit verteidigt, und genau dies wird durch das Feigenblatt dieser angeblichen Solidarität verdeckt. Und es ist doppelt heuchlerisch und kriminell, die durch die Nachlässigkeit des Staates, der die Interessen der feindlichen Klasse verteidigt, verursachte Katastrophe als Mittel zu benutzen, um einige Arbeiter gegen andere aufzuwiegeln. Wenn die Krankenhausmitarbeiter sich weigern, ohne Schutzmaßnahmen zu arbeiten, werden sie als ‚unsolidarisch‘[5] abgestempelt und mit Sanktionen bedroht, wie kürzlich die Entlassung des ärztlichen Direktors des Krankenhauses in Vigo (Galizien) gezeigt hat, weil er es gewagt hat, das "Bla-bla-bla" der bürgerlichen Politiker bezüglich der Schutzmaßnahmen anzuprangern. Die Regionalregierung von Valencia (der die gleichen Parteien angehören wie die "progressive" Koalition, die Spanien regiert) droht damit, Bilder zu zensieren, die den katastrophalen Zustand der Gesundheitsversorgung[6] in dieser Region zeigen, und beruft sich dabei auf das Recht auf "Privatsphäre" der Patienten, wenn sie in Notfalldienste im Massenbetrieb auf Behandlung warten oder behandelt werden.

Wenn die Beschäftigten der städtischen Bestattungsbetriebe sich weigern, ohne Schutzausrüstung den Leichnam der durch das  Coronavirus gestorbenen Menschen abzuholen, werden sie beschuldigt, die Angehörigen  daran zu hindern, den Tod des Verwandten, Freundes ... zu betrauern. Wer kennt nicht die Bedingungen in den Billigwohnungen, die beengten Bedingungen des öffentlichen Personenverkehrs im Berufsverkehr, die Bedingungen am Arbeitsplatz, die nur nach den Bedürfnissen der Produktivität und nicht gemäß den Bedürfnissen der Beschäftigten gestaltet wurden…

Mittlerweile ist die Zahl der Toten so stark angestiegen, dass die Leichen im Eispalast in Madrid aufbewahrt werden müssen.

All diese unmenschliche Brutalität wird als Ausdruck der Einheit der gesamten Gesellschaft dargestellt. Es ist kein Zufall, dass in den Pressekonferenzen der spanischen Regierung ohne jegliche Reue gelogen wird, wenn es um Fragen geht wie: Wann kommen die Tests an? Und die Masken? Und die Beatmungsgeräte? Die immer wiederholte Antwort des Gesundheitsministers: "in den nächsten Tagen". Dabei wird er unterstützt von den mit ihm auftretenden Generälen der Armee, der Polizei, der Guardia Civil mit all ihren Medaillen. Es geht darum, der Bevölkerung den bekannten militärischen Geist einzuflößen: "Gehorchen, ohne zu klagen". Es geht auch darum, die Bevölkerung dazu zu bringen, sich an alle Arten von Einschränkungen der eigenen Bürgerfreiheiten zu gewöhnen, die im Ermessen der Behörde liegen, mit der Folge, dass sie mit einer sehr zweifelhaften Wirkung[7] angewandt werden, die aber, wie wir zuvor gesehen haben, soziale Selbstdisziplin und Abgrenzung fördern und die als einziger Schutzschild gegen Krankheit und soziales Chaos verkauft werden. Es ist kein Zufall, dass die westliche Bourgeoisie heute eine unverhohlene Bewunderung für die Kontrolle ausdrückt, die bestimmte Tyranneien, wie die des chinesischen Kapitalismus[8] über die Bevölkerung ausüben.  Wenn sie heute den Erfolg des "chinesischen Weges" gegen das Coronavirus loben, dann nur, um ihre Bewunderung für die Instrumente dieser totalitären Kontrolle des Staates zu übertünchen (Gesichtserkennung, Verfolgung und Überwachung der Bewegungen und Treffen der Menschen, Nutzung dieser Informationen, um die Bevölkerung in Kategorien ihrer sozialen Gefahr einzuordnen).

Und was ist die Alternative?  Nennen wir sie Kommunismus.

Wir haben gezeigt, wie sich angesichts einer sozialen Krise die Existenz zweier antagonistischer Klassen offenbart: des Proletariats und der Bourgeoisie. Die erste ist diejenige, die das Beste der Menschheit vertritt, um zu versuchen, die Auswirkungen dieser Epidemie zu stoppen. Es ist im Wesentlichen diese Arbeit der Beschäftigten des Gesundheitswesens, im Transportbereich, der Supermarktbeschäftigten und der Lebensmittelindustrie, die es uns ermöglicht hat, zu überleben oder versorgt zu werden. Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass das Proletariat auf weltweiter Ebene die Klasse ist, die den sozialen Reichtum produziert, und dass die Bourgeoisie eine parasitäre Klasse ist, die diese Zurschaustellung von Hartnäckigkeit, Kreativität und Teamarbeit nutzt, um ihren  Reichtum zu vergrößern. Jede dieser antagonistischen Klassen bietet eine völlig unterschiedliche Perspektive auf das Weltchaos, in das der Kapitalismus die Menschheit heute gestürzt hat: Das Regime der kapitalistischen Ausbeutung stürzt die Menschheit in noch mehr Kriege, Epidemien, Elend und ökologische Katastrophen; die revolutionäre Perspektive befreit die menschliche Spezies von ihrer Unterwerfung unter die Gesetze ihrer privaten Aneignung durch eine ausbeuterische Minderheit.

Aber die Ausgebeuteten können dieser Diktatur nicht einzeln entkommen. Sie können sich nicht durch bestimmte Aktionen den chaotischen Direktiven eines Staates entziehen, der faktisch zugunsten einer Produktionsweise handelt, die die ganze Welt beherrscht. Individuelle Sabotage oder Ungehorsam ist der unrealistische Traum von Klassen, die keine Zukunft für die Menschheit als Ganzes zu bieten haben. Die Arbeiterklasse ist keine Klasse von hilflosen Opfern. Sie ist eine Klasse, die die Möglichkeit einer neuen Welt mit sich bringt, die von der Ausbeutung, von den Spaltungen zwischen Klassen und Nationen, von der Unterwerfung der menschlichen Bedürfnisse unter die Gesetze der Akkumulation befreit ist.

Ein Philosoph (Buyng Chul Han), der in seiner Beschreibung des Chaos der gegenwärtigen kapitalistischen Sozialbeziehungen sehr in Mode ist, hat kürzlich erklärt, dass "wir die Revolution nicht dem Virus überlassen können“. Das ist wahr. Nur die bewusste Aktion einer Weltklasse, die bewusst die Wurzeln der Klassengesellschaft ausreißt, kann eine wirkliche Revolution vollbringen.

Valerio, 24. März 2020


[1]https://de.internationalism.org/content/2931/pandemie-des-covid-19-frank... [14]

[2]https://elpais.com/espana/madrid/2020-03-21/el-dano-del-coronavirus-en-las-residencias-de-mayores-sera-imposible-de-conocer.html [15]

[3]https://www.elespanol.com/espana/20200320/criterios-decidir-prioridad-falten-camas-uci/475954325_0.html [16]

[4]https://de.internationalism.org/content/2931/pandemie-des-covid-19-frankreich-die-kriminelle-fahrlaessigkeit-der-bourgeoisie [14]

[5]https://www.elconfidencial.com/espana/2020-03-24/sanitarios-ramon-cajal-plante-mascarillas_2513959/ [17]

[6]https://www.lasprovincias.es/comunitat/sindicatos-exigen-generalitat-20200325192618-nt.html [18]

[7]Wie z.B. das Verbot, in den Parks zu joggen oder sich zu bewegen. Maßnahmen, die von Regierungen mit einer niedrigeren Covid-19-Sterblichkeitsrate nicht angewandt wurden. Die Erfahrung anderer Länder zeigt, dass der effektive Weg zur Begrenzung der Ausbreitung in massiven Tests für die Bevölkerung, der Verfügbarkeit von ausreichend Krankenhausbetten und -personal, Betten auf der Intensivstation usw. im Verhältnis zu den eigenen Empfehlungen der Europäischen Union besteht, und dass die meisten Staaten der EU diese missachten.

[8]Offensichtlich sind Russland, China, Kuba und ihre Varianten aus der Sicht des wahren Kommunismus nur Ausdruck einer Version des Kapitalismus: des Staatskapitalismus.

Rubric: 

Coronavirus

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/2922/maerz-2020

Links
[1] https://en.internationalism.org/icconline/201510/13468/syria-russian-intervention-escalates-chaos [2] https://fr.internationalism.org/content/9934/droit-dasile-arme-dresser-des-murs-contre-immigres [3] https://de.internationalism.org/content/2920/ein-weiterer-beweis-dass-der-kapitalismus-zu-einer-gefahr-fuer-die-menschheit-geworden [4] https://de.internationalism.org/content/2845/100-jahre-nach-der-gruendung-der-kommunistischen-internationale-welche-lehren-koennen [5] https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der [6] https://www.newtral.es/las-uci-de-europa-ante-los-casos-graves-con-coronavirus/20200312/ [7] https://de.internationalism.org/content/2903/der-kampf-erfordert-die-solidaritaet-aller-arbeiter-und-arbeiterinnen-und-aller [8] https://www.lemonde.fr/sciences/article/2020/02/29/bruno-canard-face-aux-coronavirus-enormement-de-temps-a-ete-perdu-pour-trouver-des-medicaments_6031368_1650684.html [9] https://www.pasteur.fr/fr/centre-medical/fiches-maladies/mers-cov [10] https://drees.solidarites-sante.gouv.fr/ [11] https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Healthcare_resource_statistics_-_beds [12] https://www.lemonde.fr/politique/article/2020/03/17/entre-campagne-municipale-et-crise-du-coronavirus-le-chemin-de-croix-d-agnes-buzyn_6033395_823448.html [13] https://www.force-ouvriere.fr/releve-de-reunion-du-19-mars-cfdt-cgt-fo-cfe-cgc-cftc-medef-cpme [14] https://de.internationalism.org/content/2931/pandemie-des-covid-19-frankreich-die-kriminelle-fahrlaessigkeit-der-bourgeoisie [15] https://elpais.com/espana/madrid/2020-03-21/el-dano-del-coronavirus-en-las-residencias-de-mayores-sera-imposible-de-conocer.html [16] https://www.elespanol.com/espana/20200320/criterios-decidir-prioridad-falten-camas-uci/475954325_0.html [17] https://www.elconfidencial.com/espana/2020-03-24/sanitarios-ramon-cajal-plante-mascarillas_2513959/ [18] https://www.lasprovincias.es/comunitat/sindicatos-exigen-generalitat-20200325192618-nt.html