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Weltrevolution Nr. 131

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"Die Linkspartei - PDS": Der Populismus - eine Bedrohung der Demokratie?

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 Stünden heute statt in zwei Monaten die Neuwahlen an, wäre der deutsche Parlamentarismus um eine Partei reicher: "Die Linkspartei - PDS" schickt sich laut Meinungsumfragen an, zur drittstärksten parlamentarischen Kraft hinter CDU/CSU und SPD in ganz Deutschland und gar zur stärksten Partei in Ostdeutschland aufzusteigen. Die Gründung dieses aus einem Zweckbündnis von PDS und WASG hervorgegangenen Parteiengebildes bereitet einigen Vertretern der etablierten Parteien  zugegebenermaßen einiges Kopfzerbrechen. Nicht nur, dass es Rot-Grün um die letzte Hoffnung auf ein neues Wunder wie bei den vergangenen Bundestagswahlen bringen könnte - auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition in spe sieht zusehends ihren gegenwärtigen Stimmenvorsprung schrumpfen. Die Linkspartei macht Merkel und Westerwelle einen Strich durch die Rechnung, die Stimmen enttäuschter SPD-Stammwähler an sich zu ziehen, um somit eine komfortable absolute Mehrheit zu erringen.

Das Schreckgespenst des Populismus


Dementsprechend groß ist auch das Gezeter der etablierten Parteien. Der Populismus eines Lafontaine oder Gysi beschwöre Weimarer Verhältnisse herauf, ja gefährde die Demokratie, heißt es. Er behindere die "notwendigen Reformen", sprich: die Angriffe auf die Arbeiterklasse, indem er dem Volk vorgaukle, es gebe eine andere Wahl. Schlimmer noch: der Populismus Lafontaines schrecke nicht einmal vor fremdenfeindlichen Klischees zurück, um im rechten Wählerspektrum zu wildern. Und außerdem zögen es Populisten vom Schlage eines Lafontaine oder Gysi vor, das Weite zu suchen, sobald sie Regierungsverantwortung übernehmen müssten.

Nun, lassen wir bei all der geheuchelten Aufregung der etablierten Parteien die Kirche im Dorf. Die neue Linkspartei - eine Gefahr für die parlamentarische Demokratie? Das Gegenteil ist der Fall! Mit ihrem Erscheinen auf der Bühne des Parlamentarismus macht sie ebendiesen wieder attraktiv für all jene, die sich bereits dem ganzen Wahlzirkus abgewandt haben.
Sie verleiht dem Bundestag neue Legitimation, indem sie mit ihren populistischen Sprüchen mithilft, den Eindruck zu verwischen, dass es keine Wahlalternative zur Phalanx der "Reformer" im Bundestag gebe.

Die neue Linkspartei - eine Bedrohung der Austeritätspolitik der deutschen Bourgeoisie? Mitnichten. Wenn es drauf ankommt, steht die PDS ihren Mann. Sowohl in Mecklenburg/Vorpommern als auch in Berlin, wo sie sich an Regierungskoalitionen mit der SPD beteiligt, trägt sie zuverlässig die Angriffe gegen die Arbeiterklasse mit. Und was Lafontaine anbetrifft, so sei daran erinnert, dass er seinerzeit als Ministerpräsident im Saarland nicht gerade als Vertreter von Arbeiterinteressen bekannt war. Darüber hinaus sorgte er bundesweit  für Aufregung, als er bereits in den 80er Jahren die Ausdehnung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich forderte - eine Forderung, die heute für viele Angehörige der Arbeiterklasse mittlerweile zum Alltag geworden ist. Mit der Linkspartei verhält es sich also genauso wie mit allen anderen bürgerlichen Parteien in der Demokratie: Solange sie sich in der Opposition befindet, spuckt sie große Töne; winkt ihr jedoch die Gelegenheit, an die Macht zu kommen, trägt sie - getreu dem Motto: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern - bedenkenlos jeden Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse mit.

Die Linkspartei - fremdenfeindliche "Rattenfänger"? Nicht mehr als der Rest der bürgerlichen Bagage. Es liegt in der Herrschaftslogik aller ausbeuterischen Klassen, und so auch der Bourgeoisie, begründet, die ausgebeuteten und unterdrückten Klassen und Gesellschaftsschichten zu spalten, voneinander zu isolieren und gegeneinander aufzuhetzen, um sie an einem wirksamen und vereinten Widerstand zu hindern. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind neben vielen anderen altbewährte Mittel in dieser Politik, auf die beileibe nicht nur ‚totalitäre' Regierungen zurückgreifen, sondern auch die nicht weniger totalitären "großen Demokratien" dieser Welt, wenn auch auf subtilere Art und Weise.

Pack schlägt sich, Pack verträgt sich


Die Tatsache, dass der Innenminister von Brandenburg, Schönbohm, Lafontaine wegen derlei Umtriebe auf die Liste der vom Verfassungsschutz beobachteten Personen setzen will, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass Letztgenannter eine wichtige Rolle in der politischen Strategie der deutschen Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse spielt.
 Es war Lafontaine, der vor nicht einmal sieben Jahren, damals als Parteichef der SPD Schröder ins Kanzleramt verhalf. Nachdem er damals, nur wenige Monate nach Beginn der ersten rot-grünen Legislaturperiode, von Schröder entmachtet worden war und fluchtartig die Regierung verlassen hatte, kehrt Oskar Lafontaine nun, da Schröders Stern am Verglühen ist, zurück auf die politische Bühne, um - welch' Ironie des Schicksals! - mit der von ihm initiierten Gründung der Linkspartei und im Interesse der deutschen Bourgeoisie seinerseits den Sturz Schröders mit herbeizuführen und ein zweites "Wunder von der Elbe" unwahrscheinlich zu machen.
In der Tat erweist sich die Linkspartei schon jetzt als ein wirksames Mittel, um den linken Flügel in der SPD zu stärken. So setzten die Schreiners, Nahles' und der Rest der SPD-Linken bereits die "Reichensteuer" als Bestandteil des sog. Wahlmanifestes durch. Mit dem (wahrscheinlichen) Gang in die Opposition werden auch die letzten Treueschwüre zu Hartz IV und Neoliberalismus verstummen und die "globalisierungskritischen", "antikapitalistischen" Stimmen Auftrieb erhalten.

Machen wir uns nichts vor: Der "Bruderzwist" zwischen linken Sozialdemokraten und Stalinisten, welche vor der Gründung der Linkspartei an die Wand gemalt wurde, trat nicht ein. Denn was beide  Traditionen eint, ist ihr Betreiben, im Zeichen einer langsam wieder erwachenden Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse die Abwehrkämpfe gegen die immer schlimmere Ausmaße annehmenden Angriffe zu sabotieren und die Entwicklung des Klassenbewusstseins zu ersticken. Die Koexistenz zwischen SPD und Linkspartei steht somit in der unseligen Tradition jener Arbeiterverräter, die - sei es in Gestalt der nach dem 2. Weltkrieg im Osten zur SED zusammengeschlossenen KPD und Ost-SPD, sei es in Form der Volksfronten in Frankreich und Spanien in den 30er Jahren - stets nach dem Motto verfuhren: Aller unserer Differenzen zum Trotz, gemeinsam gegen die Arbeiterklasse.   20.7. 2005

Nationale Situationen: 

  • Wahlen in Deutschland [1]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Linksextreme [2]

Theoretische Fragen: 

  • Zerfall [3]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [4]

Die Krise der Europäischen Union

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Die Krise der Europäischen Union, ein Aufstieg der imperialistischen Spannungen im Zentrum des Weltkapitalismus

Im Gegensatz zu dem, was uns die Bourgeoisie vorkaut, ist Europa kein Hort des Friedens, das sich um den Frieden überall auf der Welt kümmert. Ein kurzer Blick auf die Geschichte beweist genau das Gegenteil. Der Aufbau der EU hat seinen Ursprung in der Lage unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. Europa wurde damals von den USA finanziert und politisch unterstützt, um dem neu entstandenen Sowjetblock entgegenzutreten. Diese erste Aufbauphase Europas fand vor allem auf ökonomischer Ebene statt, mit verschiedenen Wirtschaftsorganismen wie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die 1957 gegründet wurde. Aber die Wendungen bei der Errichtung der Europäischen Union können erst dann voll erfasst werden, wenn man die weltweit spürbaren imperialistischen Rivalitäten berücksichtigt. Frankreich lehnte 1963 und 1967 den Beitritt Großbritanniens zur EWG ab, weil Großbritannien als die Speerspitze der US-Politik in Europa betrachtet wurde. Die imperialistischen Rivalitäten, die die Politik eines jeden Staates Europas und der Großmächte der Welt wie die USA bestimmen, haben dazu geführt, dass Europa hauptsächlich ein Wirtschaftsraum, eine Freihandelszone, bleiben musste, die später eine Einheitswährung, den Euro, geschaffen hat. So ermöglichte diese Politik es den Staaten Europas, ihre Wirtschaft vor dem Hintergrund eines weltweit tobenden Konkurrenzkampfes wirksamer zu verteidigen. Doch die Möglichkeit, die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen, war nie etwas Anderes als ein Mythos. Der Kapitalismus war noch nie in der Lage, die Nationen Europas aufzulösen, um eine Art paneuropäische Nation zu schaffen (siehe unseren Artikel in "Die Erweiterung Europas" in der Internationalen Revue Nr. 112).
Nach dem Zusammenbruch Osteuropas entstand eine grundlegend andere imperialistische Konstellation. Das Auseinanderbrechen des amerikanischen Blocks inmitten des Zeitraums des Zerfalls des Kapitalismus bewirkte eine Zuspitzung der Spannungen, wo jeder Staat für seine eigenen Interessen eintritt und es zu keinen stabilen und dauerhaften Bündnissen kommt. Selbst das Bündnis zwischen Großbritannien und den USA kann dieser Wirklichkeit nicht entkommen. Die Erweiterung der EU auf Osteuropa, das wirtschaftlich nicht von großer ökonomischer Bedeutung ist, spiegelt jedoch auf geostrategischer Ebene eine Zuspitzung der Auseinandersetzungen wider, denn in dieser Hinsicht ist Mittel- und Osteuropa für die imperialistischen Rivalitäten von großer Bedeutung, wie der Balkankrieg schon belegte. Im Jahre 2002 nahm die NATO, die 1949 als eine Organisation gegründet worden war, welche den Kampf des westlichen Bündnisses gegen den Ostblock lenken sollte, einige Staaten Osteuropas auf, was von großer politischer Bedeutung war. Statt vorher 19 gab es nunmehr 26 Mitgliedsstaaten, nachdem sieben Staaten beitraten, die zuvor dem ehemaligen Sowjetblock angehörten: Nach Ungarn und Polen 1999 folgten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien. Dabei macht diese Erweiterung eigentlich keinen Sinn, wenn man sie als eine Verstärkung einer Organisation sieht, die ursprünglich dazu diente, einen Block zu bekämpfen, der mittlerweile nicht mehr existiert. Jedoch hat sich seitdem die Rolle der NATO gewandelt. Noch immer von den USA kontrolliert, gehört sie mittlerweile zum Arsenal der imperialistischen Politik der USA in Europa gegen Frankreich und Deutschland. So schrieb der Herald Tribune anlässlich des Beitritts dieser ost- und mitteleuropäischen Länder in die Europäische Union, nachdem sie zuvor schon der NATO beigetreten waren: "Washington ist der große Gewinner der Erweiterung der EU (...) Einem deutschen Offiziellen zufolge bedeutet der Beitritt dieser grundsätzlich pro-amerikanisch ausgerichteten Länder Mittel- und Osteuropas zur EU das Ende all der Versuche der Europäischen Union, sich selbst und ihre Außen- und Sicherheitspolitik als gegen die USA ausgerichtet zu sehen". Aus den gleichen Gründen haben die USA versucht, den Prozess der Integration der Türkei in die EU zu beschleunigen: Dieses Land ist gegenwärtig ein Stützpfeiler der US-Politik im Nahen Osten.
Der deutsche Imperialismus wiederum konnte nicht tatenlos zusehen, sondern musste angesichts der Offensive gegenüber dem Land reagieren, das bislang dem deutschen historischen Einflussgebiet zugerechnet wurde.
Seit einiger Zeit schon arbeitet der deutsche Imperialismus auf eine Annäherung zur Türkei und einiger Staaten Mitteleuropas hin. Die von Deutschland, Frankreich und Spanien energisch verteidigte Europäische Verfassung, die auch mit ökonomischen Überlegungen verbunden ist, war in erster Linie dafür konzipiert worden, um die Macht des deutsch-französischen Tandems in diesem erweiterten Europa zu bekräftigen.
So versuchte Deutschland sich in Ost- und Mitteleuropa zu behaupten, was in Paris nur zur Irritationen geführt hat, weil Frankreich nicht dazu in der Lage war, woanders einen vergleichbaren Einfluss aufzubauen; gegenüber seinem mächtigeren Verbündeten konnte seine Stellung nur geschwächt werden. In diesem Teil der Welt, wo sich die imperialistischen Spannungen am stärksten bündeln, kann sich das Scheitern der europäischen Verfassung die Krise nur noch zuspitzen und auch die Spannungen weiter verschärfen.

Das Scheitern des Brüsseler Gipfels: Die Krise der EU spitzt sich zu

Aus der Sicht der Financial Times stehen die "Zeichen auf Konfrontation". Der bis zum Juni amtierende EU-Ratsvorsitzende, der Luxemburger Junker, musste nach dem völligen Scheitern des Brüsseler Gipfels am 18. Juni mit Bitterkeit feststellen: "Europa steckt in einer tiefen Krise". Der EU-Haushalt ist blockiert. Wie der Courrier International vom 16. Juni meldete: "Schließlich meinte Großbritannien, dass die von dem Präsidenten vorgelegte Kompromissformel nicht die notwendigen Garantien bietet". Er zitierte Tony Blair, der den Angriffen Frankreichs und Deutschlands zur Haushaltsfrage entgegnete: "Wir müssen einen Gang zulegen, um uns an die heutige Welt anzupassen (…) Wir brauchen eine Erneuerung".
Aber eine "Erneuerung" wird es nicht geben. In Wirklichkeit nämlich - und das ist das Neue  - muss die Bourgeoisie in Europa anfangen, das zu zerlegen, was sie einst unter großen Schwierigkeiten aufgebaut hatte: den Europäischen Wirtschaftsraum, die Europäische Union.
Was die ‚Erneuerung' angeht, so beobachtet man auf wirtschaftlicher Ebene ein irrationales Ansteigen nationaler Forderungen auf Kosten des Zusammenhaltes, der bislang erzielt wurde. Wie die Financial Times schrieb: "So wie Deutschland nicht mehr die Milchkuh der EU sein will (wie das 1999 auf dem Berliner Gipfel noch der Fall sein konnte), sind die Länder, die heute am meisten Gewicht haben in der Debatte um den EU-Haushalt, nicht die ärmsten Länder, sondern diejenigen, die die Rechnungen bezahlen. Neben Deutschland verlangen Österreich, Großbritannien, Frankreich, Niederlande und Schweden Kürzungen des Haushaltes in einem Umfang von mindestens 800 Mrd. Euro zwischen 2007-2013 ». (16.6.2005). Jede dieser europäischen Hauptmächte weigert sich  nunmehr, für das zu zahlen, was sie als die Interessen der anderen EU-Staaten erachtet. Trotz der Existenz der EU hat sich während der letzten zehn Jahre die Konkurrenz unter diesen Staaten enorm verschärft. Dauer und Ausmaß der gegenwärtigen Krise werden von der aufgrund des Drucks durch den Zerfall sich ausbreitenden Tendenz des Jeder-für-sich und der Unfähigkeit der EU-Staaten bestimmt, angesichts der ökonomischen und politischen Interessensgegensätze eine gemeinsame Politik in Europa zu betreiben. Das Scheitern der Referenden hat dabei eine stark beschleunigende Rolle gespielt. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Bourgeoisie ist die gegenwärtige Krise weder auf die Unnachgiebigkeit Tony Blairs bei den Haushaltsfragen noch auf die große Zahl von Nein-Stimmen seitens der Arbeiterklasse zurückzuführen.
Diese Krise Europas bringt die Unfähigkeit der Bourgeoisie zum Ausdruck, entsprechende Maßnahmen gegenüber der Zuspitzung des Zerfalls, dem historischen Bankrott ihres Systems zu ergreifen. Indem man den unmittelbaren und egoistischen Forderungen der einzelnen Staaten nachgibt, wird der europäische Wirtschaftsraum stark geschwächt und damit auch die Fähigkeit, mit Hilfe von allgemein akzeptierten Regeln der Funktionsweise ein gemeinsames Vorgehen gegenüber der wirtschaftlichen Konkurrenz aus Amerika oder Asien zu handeln. Auf ökonomischer Ebene werden alle kapitalistischen Staaten Europas in verschiedenem Maße dabei Verlierer sein. Auf imperialistischer Ebene können die Krise Europas und die Schwächung des deutsch-französischen Tandems nur den USA und Großbritannien nutzen. Die Arbeiterklasse muss sich auf die Perspektive der weiteren Zuspitzung der imperialistischen Spannungen und der Angriffe einstellen, die von der Verschärfung der Wirtschaftskrise provoziert werden. Die Krise in Europa ist nur ein weiterer Schritt ins Chaos und in den Zerfall, die Zuspitzung der wachsenden Irrationalität des Kapitalismus.    Tino (Ende Juni 2005).

(leicht gekürzter Artikel aus unserer Zeitung in Frankreich) 

Geographisch: 

  • Europa [5]

Theoretische Fragen: 

  • Zerfall [3]

Die parlamentarische Demokratie – eine Stütze des Kapitalismus

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Wenn wir Bundeskanzler Schröder Glauben schenken sollen, dann hat er sich zu Neuwahlen entschlossen, weil er sich der  "Unterstützung des Volkes für wichtige Reformvorhaben nicht mehr sicher" ist. Die von ihm angestrebten Neuwahlen sollten dem Kanzler für seine Reformprojekte eine neue demokratische Legitimation verschaffen.

Warum dieser Schachzug Schröders? Tatsächlich verfügt die herrschende Klasse über ein Gespür, sozusagen Sensoren, die ihr zeigen, dass insbesondere in Anbetracht der Massenarbeitslosigkeit, und der sich  verschärfenden Verarmung großer Bevölkerungsteile und den zunehmend unerträglicher werdenden Arbeitsbedingungen sich nicht nur Angst und Einschüchterung, sondern Ablehnung und Empörung in der Arbeiterklasse zu formieren begonnen hat. Der Beschluss, vorgezogene Bundestagswahlen abzuhalten, spiegelt somit die Reaktionsfähigkeit der Herrschenden auf eine für sie langfristig bedrohliche Entwicklung wider. Für unsere Kapitalisten ist die bürgerliche Demokratie zunächst das wichtigste Mittel des politischen Frühwarnsystems der kapitalistischen Herrschaft, denn die Mechanismen der bürgerlichen Demokratie liefern den Herrschenden wertvolle Anhaltspunkte für die Stimmung im Volke. So sind Wahlbeteiligung, Enthaltung, Protestwahlverhalten, Verteilung der Stimmenabgabe  und Ähnliches aus der Sicht unserer Ausbeuter einige Indizien, die ihnen aufzeigen, ob sie als Verteidiger dieses Systems in eine politische Legitimationsnot geraten oder nicht. Vor dem Hintergrund eines generell zunehmenden Misstrauens und einer bislang noch diffusen, aber wachsenden Ablehnung gegenüber allen parlamentarischen Parteien in den Reihen der Arbeiterklasse liefert der Wahlzirkus das beste Spektakel, um so zu tun, als ob das "Volk entscheidet, wer uns regiert".
Der alte kapitalistische Haudegen Churchill pries die Demokratie als die zweitschlechteste Regierungsform, schlechter seien nur alle anderen. Heute zeigt sich wieder in Deutschland, wie ausgezeichnet die bürgerliche Demokratie als Abwehrkraft für den Kapitalismus funktioniert. Denn während die allmächtige Stasi vor 1989 in der damaligen DDR nicht ausreichend im Bilde über die Stimmung im "Volke" war, weil jeder gezwungen war, seine Meinung geheim zu halten, ist die bürgerliche Klasse in den westlichen Industriestaaten viel besser im Bild über die ‚Stimmung im Volk' und gerüstet darauf zu reagieren. Die Demokratie stellt nämlich in den Händen der Herrschenden ein hochempfindliches Stimmungsbarometer dar.  Beispielsweise als Müntefering als Parteivorsitzender der SPD im Frühjahr in der Dortmunder Westfalenhalle im NRW Wahlkampf die Agenda 2010 rechtfertigte, verließ die Hälfte der Parteianhänger den Saal mitten in seiner Rede. Das eigene Parteivolk schüttelte den Kopf: "Agenda 2010 und die anderen Sparbeschlüsse können wir unseren Wählern nicht mehr vermitteln". Er konnte sofort darauf reagieren, indem er anschließend zur Presse rannte und - einen Schwenk nach links vollziehend - seine ‚Heuschreckenrede'  gegen die ‚schwarzen Schafe' unter den Kapitalisten vom Stapel ließ. zu halten. Das war im Wahlkampf d.h. vor der NRW Niederlage. Genauso wurden die Neuwahlen bereits vor dem  Bekanntwerden der Niederlage der SPD in NRW beschlossen.

Demokratie = Grundlage der  Legitimation kapitalistischer Herrschaft

Aber während der Verschleiß der bürgerlichen Demokratie eine in den letzten Jahren fortschreitende Tendenz ist, da die herrschende Klasse wegen der unaufhaltsamen  Verschärfung der Krise und der Zuspitzung von Krieg und Terror ihre Glaubwürdigkeit in den Augen einer wachsenden Zahl von Arbeitern immer mehr verliert, unternehmen die Herrschenden alles, um jeweils das zerbröckelnde Bild der Demokratie aufzupäppeln. So ist die Demokratie nicht nur ein unersetzliches Frühwarnsystem, sondern sie bietet immer wieder die Möglichkeit, nicht nur eine neue Regierung mit demokratischer Legitimation auszustatten, sondern die "demokratischen Prinzipien" überhaupt immer wieder aufzupolieren. Die Demokratie verspricht: Indem jeder Bürger eine Stimme hat, sind wir vor der Wahlurne alle gleich. Nicht nur  jede Stimme zählt, sondern alle können gleichmäßig entscheiden. D.h. jemand, der bei Mercedes als Lohnabhängiger malocht oder der Hartz IV-Empfänger und der Mercedes-Chef oder ein Medienzar verfügen durch ihre Stimmabgabe über die gleiche Macht.
Diese heimtückische, hinters Licht führende Propaganda der Herrschenden stellt die Wirklichkeit auf den Kopf, weil sie die Existenz von Klassen vertuscht.

Tatsache ist: Die herrschende Klasse kontrolliert die Medien. Diese sind keine "im Spiel der Demokratie frei agierenden Kräfte", sondern sie formen die Meinungen und wirken zugunsten der Verteidigung des Ausbeutersystems. Die herrschende Klasse kontrolliert nicht nur die Regierungsparteien, sondern alle bürgerlichen politischen Parteien, d.h. auch diejenigen, die scheinbar in Opposition stehen. Von der Finanzierung am Wahlkampf beteiligter Parteien, die direkt durch den Staat erfolgt (so erhält jede Partei, die zu den Bundestagswahlen zugelassen ist, allein schon pro abgegebene Stimme eine bestimmte Geldsumme, oder sie bedienen sich direkt am Trog staatlicher Pfründe) bis hin zur Ein- und Anbindung mittels Verbände, Gewerkschaften, Kirchen an den Staat, hat die kapitalistische Herrschaftsstruktur ein Netz gewoben, wo all diese Kräfte zur Verteidigung des Staates und seiner Ideologie bereit stehen. Die im Dienst des Kapitals stehenden Medien "montieren" oder "demontieren" eine Partei. Eine Partei, die wirklich gegen den Kapitalismus wäre, könnte nicht nur jederzeit  schnell illegalisiert werden, da solche Parteien die bürgerliche Demokratie ohnehin nicht anerkennen, sondern hätte auch im bürgerlichen Wahlzirkus keine Chance. Wenn sie dennoch zugelassen wäre, würde dies in der heutigen Zeit dazu führen, (da die wesentlichen Entscheidungen ohnehin nicht mehr im Parlament getroffen, sondern dort nur noch abgesegnet werden) dass die Illusionen in die bürgerliche Demokratie Auftrieb erhalten würden. Die Geschichte liefert uns zahlreiche Beispiele dafür, wie die Verbürgerlichung von Arbeiterparteien durch die Beteiligung an Parlamentswahlen gerade dadurch mächtig vorangetrieben wurde (so die Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg oder die Kommunistischen Parteien der 20er Jahre).

Denn abgesehen von dem totalitären Griff des Staates über alle bürgerlichen Parteien, der bewirkt, dass alle diese Parteien am Räderwerk des kapitalistischen Staates mitdrehen und weder die Existenz des Staates noch seine Funktionsweise behindern, ist das Parlament längst nicht mehr das Gremium, wo grundlegende Entscheidungen getroffen werden. In den entwickelten kapitalistischen Staaten gibt es permanent bestehende Bürokratien, beispielsweise Ministerien, deren Mitglieder nur zum geringen Teil nach den Wahlen jeweils ausgetauscht werden. Diese Ministerialbürokratie sorgt für die Kontinuität der politischen Entscheidungen und wird dabei von außerparlamentarischen Instanzen und Gremien unterstützt und beeinflusst, wie z.B. Militär, Geheimdienste, Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Kirchen. Zudem gibt es bei den großen "Sachfragen", die die eigentlichen Widersprüche des Kapitalismus zum Ausdruck bringen, keine grundlegende Wahl - alle Parteien bewegen sich in die gleiche Richtung. Gegenüber der unlösbaren Wirtschaftskrise und der Militarisierung der Gesellschaft besteht Einmütigkeit unter allen Parteien, die Last der Krise auf die Schultern der Arbeiterklasse abzuwälzen und die Militarisierung (sei es durch einen Ausbau des  Repressionsapparates im Innern, oder durch zunehmende Aufrüstung und Einsätze der Bundeswehr im Ausland) voranzutreiben. Denn innerhalb des Kapitalismus gibt es hierzu keine Alternative.
Jede parlamentarisch gewählte Regierung  kann sich deshalb auf des Volkes Stimme berufen, wenn sie ihre gegen die Arbeiterklasse gerichteten Maßnahmen durchsetzt.
Um so mehr kann sich die herrschende Klasse freuen, wenn sich die Empörung gegen ihre Politik auf die Bühne des parlamentarischen Protestes locken lässt, da solch ein Protest dem Spektrum bürgerlich-kapitalistischer Legitimation eine weitere Variante hinzufügt.

"Hauptsache wählt, egal wen…"

Nun treten Gruppierungen auf den Plan, die behaupten, dies mag ja alles stimmen, trotzdem sei es wichtig, an den Wahlurnen unseren Protest zu äußern, denn indem  möglichst viele eine Protestpartei wählten, komme des Volkes Zorn zum Ausdruck, wir könnten denen da Oben einen Denkzettel geben, sie abstrafen, ja ihnen gar Schwierigkeiten machen, z.B. die Regierungsbildung erschweren oder einfach alles durcheinanderbringen, wie dies in Frankreich durch das EU-Referendum geschah. Zudem ist sei immer noch besser, seine Stimme abzugeben, auch wenn es für das geringere Übel sei und wenn es nur aus Protest geschehe, als passiv zu Hause zu bleiben und sich nicht zu beteiligen.
Tatsache ist, durch die Stimmabgabe für die eine oder andere Protestpartei oder Stimmenthaltung wird dem System kein Schaden zugefügt. Schließlich besteht die Funktion von Wahlurnen darin, die Menschen in unzählige Individuen zu spalten, sie voneinander zu isolieren und den Eindruck zu erwecken, die Summe der abgegebenen, unter sich gleichen Stimmen würden Mehrheitsverhältnisse schaffen, somit Regierungsbildungen legitimieren. Was die Herrschenden zum Nachgeben, zum Zurückweichen zwingt, ist nicht die diffuse Menge Protestwähler oder Stimmenthaltungen, sondern gebündelter, massiver Gegendruck durch die Arbeiterklasse. Dieser kommt aber nicht durch das Kreuz auf einem Stimmzettel und auch nicht durch die bloße Nichtabgabe seiner Stimme zustande, sondern nur durch das selbständige Handeln der Arbeiterklasse. Erst wenn die kapitalistische Logik der Atomisierung der Menschen in Bürger, Wähler usw. überwunden wird und die Arbeiter auf Grundlage ihrer Klasseninteressen kollektiv handeln, kommt ein wirklicher Gegendruck, eine wirkliche Perspektive zustande.
Entgegen jenen, die zwar die Schnauze voll haben von den bürgerlichen Parteien und deren arbeiterfeindlichen Politik, aber nichts Besseres zu tun wissen, als irgendeiner Protestpartei auf den Leim zu gehen, darf kein Zweifel bestehen, dass die Führer dieser sogenannten Protestparteien ausgekochte Kapitalistenknechte sind, die demagogisch die Trommel für das Wahlspektakel rühren und so dem Kapital treue Dienste erweisen.
Ein solches Verhalten führt zu noch mehr Frustrationen und Enttäuschungen, weil so anstelle des notwendigen Handelns nur die Passivität gefördert wird. In Wahrheit lässt sich ein wirksamer Gegendruck nicht anders aufbauen als durch einen eigenständigen Kampf der Arbeiter, wo sich die Arbeiter  für ihre gemeinsamen Klasseninteressen gegen die Kapitalisten und ihren Staat zusammenschließen. In Anbetracht der Schwierigkeiten, diesen Klassenwiderstand zustande zu bringen, erscheint eine Protestwahl als "der einfachere Weg". Die Mobilisierung für eine Protestwahl blockiert somit die Auseinandersetzung über die wirklich notwendigen, tiefgreifenden Schritte der eigenen Aktivierung.   
Die zentralen Fragen, vor denen die Menschheit heute steht, nämlich Überwindung der Wirtschaftskrise, der Kriege, Vermeidung einer ökologischen Katastrophe usw. - werden nicht im Parlament gelöst, ja, sie können innerhalb des Kapitalismus insgesamt überhaupt nicht gelöst werden. Dazu ist eine tiefgreifende, bis an die Wurzeln vordringende gesellschaftliche Revolution notwendig. Wer davon ablenkt,  hält uns vom Befassen mit der wesentlichen Frage ab. Der Aufruf, "lieber Protestwahl als gar nichts tun" ist die typisch opportunistische Ausrede, um vor der gewaltigen Aufgabe zu flüchten, vor der die Arbeiterklasse, ja, die Menschheit heute steht und die mit ganz anderen Mitteln gelöst werden muss als mit einem Protestkreuzchen. Niemand kann der Arbeiterklasse die Last abnehmen, selbst die Initiative  zu ergreifen.
Schon Anfang der 1920er betonte der große Vordenker der Kommunistischen Linken Anton Pannekoek: "Die Revolution erfordert auch noch etwas mehr als die massale Kampftat, die ein Regierungssystem stürzt und von der wir wissen, dass sie nicht von Führern bestellt, sondern nur aus dem tiefen Drang der Massen emporspringen kann. Die Revolution erfordert, dass die großen Fragen der gesellschaftlichen Rekonstruktion in die Hand genommen, dass schwierige Entscheidungen getroffen werden, dass das ganze Proletariat in schaffende Bewegung gebracht wird - und das ist nur möglich, wenn zuerst die Vorhut, dann eine immer größere Masse sie selbst zur Hand nimmt, sich selbst dafür verantwortlich weiß, sucht, propagiert, ringt, versucht, nachdenkt, wägt, wagt und durchführt. Aber das ist alles schwer und mühsam; solange daher die Arbeiterklasse glaubt, einen leichteren Weg zu sehen, indem andere für sie handeln - von einer hohen Tribüne Agitation führen, Entscheidungen treffen, Signale für die Aktionen geben, Gesetze machen - wird sie zögern und durch die alten Denkgewohnheiten und die alten Schwächen passiv bleiben." (Anton Pannekoek, "Weltrevolution und kommunistische Taktik", S. 138,)

Wählt nicht, kämpft!

Aus dem Spektrum linker Gruppen hört man immer wieder die Behauptung, dass wenn der Kapitalismus, solange er  schwach sei oder sein wahres Gesicht noch nicht zeigen könne, sich demokratisch gebärde. Doch wenn er sich stark fühle bzw. es ans Eingemachte gehe, ziehe er die offene Diktatur, d.h. den Faschismus vor. Die Geschichte aber widerlegt diese Auffassung. Und auch die Lage heute zeigt uns etwas anderes. Für das Kapital geht es heute sehr wohl um etwas Entscheidendes, nämlich die Durchsetzung der Angriffe, die Erschwerung des Widerstands der Arbeiterklasse. Und wie gehen die Herrschenden vor? Nicht, indem sie Wahlen und Parlament meiden oder gar abschaffen, sondern indem sie noch vor Ablauf der Legislaturperiode zu Neuwahlen aufrufen. Die herrschende Klasse weiß es am besten: Die Demokratie ist die geeignetste  Herrschaftsform, um die Arbeiterklasse in Schach zu halten. Steckte hinter der Ausrufung von Wahlen für die Nationalversammlung in Weimar 1919 nicht die Absicht, die sich ausbreitende Welle von revolutionären Kämpfen in Deutschland zu brechen?  War es nicht die Einführung der bürgerlichen Demokratie, die in den 70er Jahren in Spanien der aufkeimenden Bewegung von Arbeiterkämpfen das Genick brach? Diente die Forderung nach Demokratie westlichen Musters nicht dazu, die polnischen Arbeiter von ihrem Weg des selbständigen Massenstreks abzubringen?
Während die herrschende Klasse durch das Abhalten von Neuwahlen in Deutschland oder von Referenden in anderen Ländern die Arbeiter vom eigenständigen Handeln für ihre Klasseninteressen abzuhalten und die ganze Aufmerksamkeit auf den bürgerlichen Wahlzirkus zu lenken versucht, sagen wir, dass nicht Protestwahl oder Stimmenthaltung die Waffen der Arbeiterklasse sind, sondern allein ihr selbständiges Handeln. Deshalb: nicht Protestwahl, nicht passives zu Hause bleiben oder auch nicht bloßes Nicht-Wählen hilft weiter, sondern der autonome, selbstorganisierte Arbeiterkampf für die Abschaffung der Demokratie als Herrschaftsform, weil nur so Herrschaft überhaupt abgeschafft werden kann.
20.07.05

Nationale Situationen: 

  • Wahlen in Deutschland [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [4]

Diskussionsbeitrag aus Berlin Antifaschisten legitimieren bis heute die Führung imperialistischer Kriege ...

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Gegenwärtig findet im politisierten Milieu eine Debatte über die Haltung zum 2. Weltkrieg statt, so auch in Berlin. Von dort ist uns ein Diskussionsbeitrag zur Verfügung gestellt worden, den wir nachfolgend ungekürzt veröffentlichen. Wir teilen die Hauptaussagen, insbesondere die Verteidigung des proletarischen Internationalismus. Auf Teilaspekte des Textes, wie zum Beispiel die Frage, ob der Antifaschismus als "historische Tragödie" zu bezeichnen wäre, oder wie eine proletarische Selbstverteidigung gegenüber Neonazis aussehen könnte, wollen wir aus Platzgründen erst in der nächsten Ausgabe zurückkommen. Die Zwischentitel wurden von der IKS eingefügt

Ein paar Gedanken zum 8. Mai 2005 im Nachhinein:

"Die Führung von Kriegen wird mit der demokratischen Bewältigung von Auschwitz begründet"

Das Spektakel um das Ende des Weltkrieges Nr. 2, das die Feuilletonspalten in den letzten Wochen geprägt hat, ist vorbei und dennoch nicht umsonst gewesen. Trotz einiger trotziger Opferstilisierungen am Rande wie Jörg Friedrichs "Der Brand" oder Hubertus Knabes gerade erschienenes Buch über die Verbrechen der Roten Armee hat die herrschende Klasse in Deutschland die Annahme der "Verantwortung" gegenüber jedem, der es hören wollte oder auch nicht, beteuert. Stellvertretend für diese hat Bundespräsident Horst Köhler die offizielle Geschichtsdeutung formuliert und dabei von allen staatstragenden Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und sonstigen Verbänden Zustimmung geerntet. Im Zentrum des Gedenkens und Erinnerns steht das Eingeständnis von deutscher Schuld an Krieg und Vernichtung und der daraus abgeleiteten Verantwortung "für Frieden und Demokratie". Dies schließt notwendig die Akzeptanz des Topos der Befreiung Deutschlands und Europas vom Nationalsozialismus für den 8. Mai 1945 mit ein, wie er spätestens seit Richard von Weizsäckers Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes und dem linksliberalen Sieg im Historikerstreit auch in Deutschland kanonische Gültigkeit beansprucht. In Köhlers Worten gilt sein Dank so auch "an erster Stelle den Völkern …, die Deutschland besiegt und vom Nationalsozialismus befreit haben." Vorbei scheinen also die Zeiten, in denen sich in der alten BRD die Eliten um dieses Eingeständnis immer herum mogelten. Den Besatzungsmächten gerecht werden zu müssen, stand die zu deutliche Kontinuität der "Leistungsträger" in Wirtschaft, Politik, Gerichten, Militär und Universitäten entgegen - aber auch die Möglichkeit, durch die Zurückweisung der Schuld Wiedergutmachungen vor allem gegenüber dem Ostblock zu verweigern und die (territoriale) Revision der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz aggressiv zu betreiben. Der Kalte Krieg bot dafür insofern einen günstigen Nährboden, als man im Bündnis mit den jeweiligen Alliierten den Gegner als Wiedergänger des Faschismus (Totalitarismusdoktrin vs. die DDR-Kampagnen gegen die NS-Kontinuität der BRD) denunzieren konnte und so um die Schulddebatte herumkam. Fragt sich nur, woher nach der jahrzehntelangen erfolgreichen Verdrängung nun die neue deutsche Selbstkritikfähigkeit kommt. Idealistisch könnte man dies einseitig auf das Aussterben der Tätergeneration und die zur Macht gelangte Generation von '68 zurückführen. Begreift man diese aber eher als Ausdruck der neuen deutschen Politik denn als ihre Ursache, so deutet sich an, dass jegliche Kontinuität zum deutschen Faschismus völlig konträr zum imperialistischen Anspruch Deutschlands wäre.

Aus dem "Eingeständnis der Schande" (v. Weizsäcker) folgt offenbar nicht notwendig der Vaterlandsverrat, den Alfred Dregger und andere (Alt-)Nazis in CDU/CSU noch vor 10 Jahren befürchteten und ihre Gesinnungsgenossen von der NPD heute wieder aufwärmen. Vielmehr dient sie dem Vorankommen einer Nation, die sich schon immer um den Platz an der Sonne bemühte, den aber stets andere innehatten. Das Jahr 1989 stellt dabei in doppelter Hinsicht eine Zäsur dar: Erstens hat Deutschland mit der Vereinigung seine nationale Souveränität zurück gewonnen, und zum zweiten hat die Beendigung der Blockkonfrontation das Rennen aller gegen alle um Märkte, Rohstoffe und Investitionen neu eröffnet. Was vor diesem Hintergrund Übernahme von Verantwortung heißen soll, hat Joschka Fischer schon vor Jahren vorexerziert, als er die Führung von Kriegen (hier: gegen Serbien) mit der demokratischen Bewältigung von Auschwitz begründete. Und dass deutsche Politiker und Diplomaten für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat derzeit mit dem gleichen Argument von der gefestigten Demokratie und der Friedensliebe Deutschlands auf Agitationstour gehen, deutet an, dass dies kein Zufall war. Und so verweist natürlich auch Köhler auf die demokratische Tradition Deutschlands, die aus der zwölfjährigen Unterbrechung nur noch gestärkt worden sei, weil die Kritik am Nationalsozialismus nun auch "elementarer Teil der nationalen Identität sei".

Entgegen einigen "antideutschen" Kritikern, die der  herrschenden Geschichtspolitik insofern erliegen, als sie Geschichte als ständige Wiederholung begreifen, ist diese "Zivilisierung" Deutschlands keineswegs Tarnung. Der sozialdemokratische Hofhistoriker Heinrich August Winkler feiert den erfolgreichen "langen Weg nach Westen" nicht umsonst. Der deutsche Sonderweg, dessen isolierende Wirkung für das nationale Fortkommen vor allem aufgrund seines katastrophalen Ergebnisses im II. Weltkrieg keineswegs als beispielhaft angenommen wird, war in zwei Weltkriegen unfähig, die Herausforderung des führenden anglo-amerikanischen Blocks zu organisieren. Vor dem Hintergrund einer US-Hegemonie, die ein bisher unerreichtes Maß angenommen hat, wäre ein dritter gleichartiger Versuch von Anfang an absurd. So ist Deutschlands Läuterung auch als Projekt zu begreifen, mit der Tradition zu brechen um die imperiale Zielstellung beizubehalten. Diese wird aber nur im Bündnis mit anderen Konkurrenten der USA erreichbar sein. Die diplomatischen Ränkespiele im letzten Golfkrieg haben dabei Konstellationen angedeutet, die mit denen des II. Weltkrieges nicht konform sind. So fanden sich die ehemaligen Alliierten Frankreich und Russland genauso mit Deutschland in einem Boot, wie die damals überrannten Belgien und Niederlande, während Italien und Japan in der Gefolgschaft der einzigen Weltmacht verblieben. Es soll hier nicht spekuliert werden, inwiefern und wann der deutsch-französisch dominierte europäische Block eine offene Konfrontation mit den USA und ihrem treuesten Verbündeten Großbritannien suchen wird, und welche Sogwirkung Washingtons Macht über Weltmarkt und Bomberflotten noch entfalten wird können. Eines scheint jedoch sicher: Nur als "verlässlicher Bündnispartner" wird Deutschlands Elite den imperialistischen langen Marsch antreten können. Jegliche politische oder ideologische Kontinuität zum deutschen Sonderweg wäre dabei kontraproduktiv.

Der Antifaschismus hat zum Ausbau des "starken Staates" gute Dienste geleistet

Wer also die marschierenden Nazis zum Popanz aufbläht, wie dies große Teile der staatstragenden und -bejahenden linken Oppositionellen von PDS und Wahlalternative bis zu SAV und Linksruck getan haben, spielt das Spiel der Herrschaft nicht nur an "Tagen der Demokratie" mit. Zwar stellen in zumeist ländlichen Gegenden und hauptsächlich im Osten Deutschlands die Kneipen- und Straßenschläger eine immense physische Gefahr für Migranten, Obdachlose, Homosexuelle, Linke und andere nicht ins volksgemeinschaftliche Bild passende dar, der unbedingt mit aller Konsequenz begegnet werden muss, aber im öffentlichen Diskurs sind sie völlig isoliert und weit davon entfernt, wie in den späten 20er und 30er Jahren Unterstützung bei den Eliten zu finden. Dies wurde auch am 8. Mai in Berlin deutlich, als es letztlich die Polizei war, die, durch die Öffnung der Demoroute und ihre Weigerung zu räumen, den Naziaufmarsch verhinderte. Bei aller Freude über die Stehparty sollte hier schon deshalb keine Feierstimmung aufkommen, weil zu deutlich wird, dass die Einschränkungen des Versammlungsrechts, ins Auge gefasste Parteien- bzw. Vereinsverbote und allerlei sonstige Repressionen gegen die braunen Marschierer auch gegen jegliche emanzipatorische Bewegung Anwendung finden könnten. Hier deutet sich an, dass der Antifaschismus gerade in den letzten Jahren zum Ausbau des "starken Staates" gute Dienste geleistet hat und sicherlich in Zukunft weiter leisten wird. Erinnert sei dabei nur an die im Zusammenhang mit der Fußball-EM verhängten Einschränkungen der Reisefreiheit für Hooligans, die dann auch anlässlich der Proteste in Genua Anwendung fanden. Dass zudem, analog zum Konfrontationskurs der Bundesregierung im letzten Golfkrieg, auch innenpolitisch eine Integrationswirkung für die härtesten sozialen Angriffe der Nachkriegszeit durch den offiziellen Antifaschismus erzielt worden ist, macht die Feierlichkeiten nur umso fürchterlicher.

Immerhin verweigerten andere linke und Antifa-Gruppen den formalen Schulterschluss mit der Herrschaft und organisierten die "Spasibo"-Demo. Sowohl im Bündnisaufruf und dem der wichtigsten Trägergruppe, der ALB, als auch in dem Aufruf der den "Deutschland, du Opfer"-Block organisierenden KP wird betont, dass deutsches Verantwortungsgefühl sich vor allem auf das nationale Vorankommen Deutschlands im imperialistischen Wettbewerb bezieht. Dennoch wird mit den ideologischen Grundlagen von Demokratie- und Staatsaffirmation nicht gebrochen. Wenn etwa die ALB schreibt, die "offizielle Geschichtsrhetorik werde "vollkommen widersprüchlich…, wenn man sie mit den realen politischen Verhältnissen abgleicht" (Aus dem Aufruf der ALB "Geschichte wird gemacht") und dafür als Belege neben dem von allen Gruppen völlig überschätzten Opfermythos und einer wild konstruierten "Schlussstrichmentalität", deren Gegenteil ja gerade zu beobachten ist, die Abschiebungspraxis, die Militarisierung der Außenpolitik, den Ausbau von Überwachungs- und Repressionsapparaten und das Erstarken neofaschistischer Parteien aufführt, so ist es schon erstaunlich, wie wenig Linke sich hier an Kritikfähigkeit gegenüber der Demokratie als "der normalen politischen Herrschaftsform des Kapitalismus" (Friedrich Engels) bewahrt haben. Und dass die KP sich ihre nationalistische Fahnenschwenkerei von keinem, auch vom Bündnis nicht, verwehren lassen wollte, zeigt neben allerlei anderen Verwirrungen, dass ihr Hader mit Deutschland nicht etwa revolutionärer Natur ist. Vor allem aber in der "antikapitalistischen" Begründung des Antifaschismus, die in der Umkehrung von Horkheimers bekannten Diktum, den Kapitalismus kritisiert, weil er den Faschismus gebärt, und die mit allerlei metaphysischen Vokabular von Schuld und Trennungsstrichen zwischen Opfern und Tätern hantiert, wird eine antagonistische Position vorgegaukelt, die von einer materialistischen Analyse meilenweit entfernt ist. Schwerer noch wiegt, dass sie die historische Tragödie, die die Ideologie des Antifaschismus der Bewegung der Emanzipation und ihrer Theoriebildung zugefügt hat, heute als Farce reproduziert. Keine historische Analogie wird dementsprechend von Linken und anderen Demokraten so häufig bemüht wie die Geschichte des Nationalsozialismus. Warum der Blick in die Geschichte gerichtet wird, das weiß jeder - auch die ALB: "Sichtbar wird, dass die Deutung dessen, was wir Geschichte nennen, schon immer eng verknüpft war mit politischem Herrschaftsanspruch." Nur: Was Revolutionäre dem immer entgegen gestellt haben, war eine materialistische Analyse, die die Erfahrungen der Kämpfe und die Ursachen ihrer Integration oder Zerschlagung in den Vordergrund gerückt hat. Dabei wäre schon zu fragen, ob die antifaschistische Konterrevolution in Spanien 1936ff., der Burgfrieden in den Ländern der westlichen Alliierten, die Akzeptanz und Verteidigung der stalinistischen GULAGs und schließlich die Integration der letzten Reste einer ehemals revolutionären Arbeiterbewegung in die aufgeteilte Welt nach 1945 nicht dazu hätten führen müssen, jeglichen Bezug auf die antifaschistischen Einheits- und Volksfronten zurückzuweisen. Davon ist aber heute keine Spur. Es bleibt das Bekenntnis aller "Anständigen": Antifaschisten sind wir alle!

Der Antifaschismus hat nur einen Sinn, wenn er die Demokratie zu verteidigen sucht

Gründe genug also um eine prinzipielle Auseinandersetzung um den Antifaschismus im Verhältnis zu emanzipatorischer Kritik und Praxis zu eröffnen. Dabei ist zunächst auf einige begriffliche Ungereimtheiten einzugehen. Es kann nicht darum gehen, Widerstand gegen die faschistischen Schlägerbanden zu denunzieren. Im Gegenteil: Da im Unterschied zu den demokratischen Formierungen die Faschisten gerade ihre außerinstitutionelle Mobilisierung in den Vordergrund stellen, ist es geraten, dort, wo sie reale Macht auf den Straßen entfalten, den Selbstschutz zu organisieren. Und dennoch nehmen wir Antifaschisten beim Wort. Dass sie (zumeist) einerseits mit dem Staatsantifaschismus nichts zu tun haben wollen, und andererseits ihre primäre politische Ausrichtung mit dem Kampf gegen die Nazis begründen, ist ein Widerspruch, der sich letztlich in Mobilisierungen zusammen mit der Herrschaft gegen den braunen Mob ausdrückt, und der nicht zufällig z.B. die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" unbehelligt lässt, wenn an der nächsten Ecke ein blödsinnig dreinblickender junger Mann mit Kurzhaarfrisur steht. Wer sich Antifaschist nennt, hat also nicht nur begrifflich einen Widerspruch zum Antikapitalismus, der nicht extra betonen muss, antisozialdemokratisch, antikonservativ etc. und also auch antifaschistisch sein. Antifaschismus hat nur einen Sinn, wenn die Kritik sich auf die faschistische Gefahr bezieht und sich damit einerseits analytisch auf das Terrain des Politischen reduziert und andererseits die Demokratie zu verteidigen sucht. Die Volks- und Einheitsfronten waren und sind somit vor diesem Hintergrund notwendiges Resultat antifaschistischen Agierens. Und noch eines: Es kann nicht drum gehen, sich an den moralisch aufgeladenen Geschichtsdebatten zu beteiligen, die immer nach der Art verlaufen, was man denn in dieser oder jener Situation getan hätte. Unser Gegenstand kann nur eine Aufarbeitung der historischen Tragödie des Antifaschismus sein, um die derzeitige Farce, die auch in der Versöhnung mit den stalinistischen und nationalistischen Ideologemen, deren Produkt die Antifa-Ideologie selbst war, besteht und die zur Desorientierung der um Emanzipation Kämpfenden beiträgt. Das Anliegen besteht daher nicht darin, ausgerechnet z.B. der KPD ihren Kurs vorzuwerfen, sondern diesen als Ausdruck der längst erfolgten Integration in die imperialistische Außenpolitik der Sowjetunion zu begreifen.

Zunächst wäre in Frage zu stellen, ob denn der Unterschied zwischen faschistischen und demokratischen Regierungsformen, der angesichts des Nationalsozialismus so evident zu sein scheint, so qualitativer Natur ist, wie uns glauben gemacht werden soll. Repressionen aller Art, Einschränkungen der Bürgerrechte, Notstandsüberlegungen und auch die physische Vernichtung Oppositioneller gehört zur Demokratie genauso wie staatlich geförderter Rassismus. Wenn die Arbeiterklasse historisch in die Offensive gegangen ist, war ihr die gesamte Härte der Staatsapparate gewiss. Und auch der Faschismus als Drohpotential und Regierungsform war schließlich immer das Produkt der Demokratie. Nicht nur die Zehntausenden ermordeter Revolutionäre in den demokratischen Industrieländern und die von deren Söldnerarmeen Abgeschlachteten Millionen in aller Welt sind davon beredtes Zeugnis. Die Kolonialprogramme der französischen und englischen Imperialisten stellten in vielem eine Vorwegnahme organisierter kapitalistischer Vernichtungspolitik unter demokratischer Flagge dar. Vor allem aber stellt sich die Frage, wie der bürgerliche Staat einzurichten sei, seinen Gegnern überhaupt nicht. Sind sie stark genug, ihn in Frage zu stellen, werden sie dies (hoffentlich) tun. Wenn nicht, wie im Falle des historischen Faschismus und Nationalsozialismus, ist die Frage längst von anderen entschieden und die Linke höchstens der legitimierende Idiot, wie im Falle des sozialdemokratischen Konzepts den "Demokraten" Hindenburg gegen Hitler zum Reichspräsidenten zu erheben.

"Der Nationalsozialismus war keine präventive Konterrevolution gegen eine zu erwartende soziale Revolution"

Insofern scheitern die Ideen antifaschistischer Fronten schon strategisch. Die Vorgänger der Stoibers, Merkels, Köhlers, Westerwelles und Fischers aus den konservativen, katholischen und liberalen Parteien versagten dem historischen Nationalsozialismus ihre Dienste nicht. Und dass Sozialdemokratie und Gewerkschaften ein wenig Distanz hielten, natürlich nicht ohne dem neuen Regime ihre Dienste anzubieten, hing auch nur damit zusammen, dass der Übergang zur Diktatur sich primär gegen sie und die etwas renitenteren Kommunisten, längst zum außenpolitischen Spielball der Sowjetunion verkommen, richtete. Der Nationalsozialismus war nämlich weder eine der Demokratie entgegengesetzte Herrschaftsform noch etwa logischer Ausdruck einer spezifisch deutschen Ideologie, obwohl sich beides in ihm findet. Vor allem aber war er keine präventive Konterrevolution gegen eine zu erwartende soziale Revolution. Vielmehr war der deutsche Faschismus das Programm, unter dem sich vor dem Hintergrund einer längst geschlagenen revolutionären Arbeiterbewegung der deutsche Imperialismus gegen seine mächtigeren außenpolitischen Feinde formieren konnte. Notwendig dazu war zunächst die Zusammenfassung der Nation zur Kriegsbefähigung ohne Rücksicht auf eine eventuelle reformistische oder liberale Opposition nehmen zu müssen. Dazu gehörten neben der vollständigen Revision des Versailler Vertrages die Schleifung der in der konterrevolutionären Phase durchgesetzten Reformen gegenüber der Arbeiterbewegung und die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft. Es war kein Zufall, dass die Faschisierung des gesamten bürgerlichen Lagers sich im Zerbrechen der Großen Koalition des Sozialdemokraten Müller an der Frage der Sozialversicherung und am Rande der Diskussionen um den Reichsarbeitsdienst manifestierte. Im Gegensatz zum ersten Versuch der Etablierung eines autoritären Regimes, im sog. Kapp-Putsch 1920, traf dies eine weitgehend wehrlose Arbeiterklasse. Thesen, die von einer Verhinderung einer Machtübertragung an die Nationalsozialisten durch die Einheit aller Demokraten oder die der Arbeiterbewegung, ausgehen, verlieren angesichts des politischen Willens und der Kräfteverhältnisse im damaligen Deutschland jegliche Realitätsnähe. Schlimmer noch: 1920 hatte sich gezeigt, dass die Verhinderung des Faschismus nur auf dem Terrain des Klassenkampfes, und damit in der Dynamik vom Angriff auf das Regime hin zum Angriff auf den Staat, und eben nicht auf der Basis bürgerlicher Realpolitik erreicht werden konnte. Nur auf den Straßen und in den Betrieben konnten sich Machtbastionen bilden, die den Putschisten trotzen und anschließend erst von der Einheitsfront aus Sozialdemokraten und reaktionärer Reichswehr niedergemetzelt werden konnten. Die Propagandisten der Volks- und Einheitsfronten haben nicht nur vergessen (oder bewusst verschwiegen), dass diese Fronten immer nur gegen die Emanzipationsbestrebungen der arbeitenden Klasse zustande kommen, sie haben vor allem dazu beigetragen, die Objektrolle der Masse der Menschen zu verabsolutieren.
Aber damit noch nicht genug: Der Antifaschismus hat den Nationalismus weiter befördert und die Vereinigung der Proletarier aller Länder mit verhindert. Als im I. Weltkrieg die II. Internationale in ihre nationalistischen Bestandteile aufgelöst wurde, einigten sich die wenigen verbliebenen Revolutionäre in der Zimmerwalder Bewegung auf programmatische Eckpunkte, die eine Interventionsfähigkeit in den Schlächtereien des Krieges überhaupt erst wieder ermöglichten. Im Zentrum stand der revolutionäre Defätismus: Im Kriegsfalle sollte keinerlei Partei für eine der kriegführenden Mächte ergriffen werden, sondern die internationale Einheit des Proletariats gegen alle Kriegsparteien verteidigt und, wenn möglich, der Krieg in Bürgerkrieg verwandelt werden. Damit wurde sowohl der Pazifismus, der die Schuld ins Zentrum seiner Parteilichkeit rückte, als auch die Position der deutschen Sozialdemokratie, die ihre Vaterlandsverteidigung mit dem roll-back gegen den Zarismus als autokratischstem Regime Europas begründete, zurückgewiesen. Dies war und ist nicht nur politisch-strategisch bedeutsam. Imperialistische Kriege sind nicht Produkte machtgeiler Herrscher oder einzelner Verrückter. Sie sind Produkte der entfesselten Konkurrenz um Rohstoffe, Märkte, Kapitalströme und Besetzung geostrategisch wichtiger Räume vor dem Hintergrund unterschiedlicher Voraussetzungen, die jeweiligen Interessen durchsetzen zu können. Hinter dem revolutionären Defätismus steckte aber auch methodisch jegliche Zurückweisung idealistischer Auffassungen, die die konkrete Ausgestaltung und Politik von Nationalstaaten unabhängig von der jeweiligen Position in der Totalität der kapitalistischen weltweiten Vergesellschaftung zu analysieren trachteten. Demgegenüber haben Marxisten Traditionen, spezifische Herrschaftsideologien und natürlich auch konkrete Organisationsformen bürgerlicher Herrschaft vor allem in Abhängigkeit von ökonomischen Potentialen und der Stellung auf Weltmarkt und militärischem Gebiet analysiert. Die Barbarei des deutschen Faschismus war dabei ebenso Teil der kapitalistischen Totalität und ihr Produkt wie die alten Demokratien und der russische Staatskapitalismus. Eine Sichtweise, die sich auf die Seiten kriegführender Mächte wegen ihrer vermeintlich höheren Zivilisationspotentiale schlägt, berücksichtigt nicht, dass dies wiederum selbst Ursache entstehender Kriege ist: Wer sich im Frieden durchsetzen kann, benötigt den Krieg nicht, legt ihn aber für andere nah. Antifaschisten legitimieren bis heute die Führung imperialistischer Kriege, und dies nicht nur in der besonders widerlichen Form der "antideutschen" Fahnenschwenkerei, und leisten so ihren Beitrag zu Nationalismus und Massenmord. Kommunisten hätten dagegen auch in Zeiten eines bestialischen Nationalismus internationalistische Positionen aufrecht zu halten und Vereinigung der sich gerade abschlachtenden Proletarier gegen alle Bourgeoisien und ihre jeweiligen Staaten zu symbolisieren. Außer von wenigen Revolutionären, häufig genug für ihre Prinzipientreue massakriert, ist die internationalistische Position im II. Weltkrieg zertrampelt worden. Die stalinisierte kommunistische Bewegung hat als 5. Kolonne Moskaus dem russischen Imperialismus die verbliebenen Bestände zugetrieben und nebenbei die spanische Revolution hinter der Front niederkartätscht. In den angelsächsischen Ländern hat der Burgfrieden zum Abbruch jeglicher emanzipatorischer Bewegung, häufig genug durch blutige Repression, geführt und in Frankreich hat die antifaschistische Linke das Bündnis mit der Bourgeoisie gesucht, die sich dann doch für die Deutschen entschieden hat.

"Der akut wahrnehmbare Zynismus vieler Antifaschisten gegenüber allen möglichen Greueln ist immer durch Auschwitz gedeckt"

Was für die Verteidigung der Demokratie innenpolitisch gilt, kann auch außenpolitisch Gültigkeit beanspruchen: Aus der Position der Schwäche heraus, bestimmte imperialistische Staaten zu legitimieren, macht deren militärische Position nicht stärker. Die Alliierten haben den Krieg weder begonnen noch gewonnen wegen der Solidarität einiger Linker. Aber die Nichtwahrnehmbarkeit internationalistischer Positionen hat eine Beendigung des Krieges oder soziale Revolutionen durch ein revolutionäres Proletariat, wie es sie nach dem I. Weltkrieg gab, verunmöglicht. Im Gegenteil: In Griechenland haben die Briten mit sowjetischem Segen und ohne nennenswerte Proteste aller Antifaschisten die Aufstände niedergeschlagen und in Spanien die Führungen von Sozialisten, KP und teilweise auch der Anarchisten mit Deckung aller Alliierten die Front von hinten erdolcht.
Bleibt das letzte und auch modernste Argument: Die geforderte Anerkennung der Singularität der in Auschwitz symbolisierten industriellen Vernichtung der europäischen Juden bzw. Sinti und Roma. Wer die Anerkennung von Singularität einfordert, meint damit nicht nur, dass etwas als einzigartig Anerkennung finden soll. Das wäre banal. Es geht um die von allem anderen Grauen zu unterscheidende Qualität des Ausmaßes vor allem aber der nicht einmal mehr auffindbaren instrumentellen Vernunft. Auch angesichts der Genozide an den Armeniern und in Ruanda, der Vertreibung und Ermordung eines Großteils der amerikanischen Ureinwohner, der Kolonialpraxis und vieler anderer "Verbrechen gegen die Menschheit" besitzt die Vernichtung in Nazi-Deutschland auch heute noch eine einmalige Dimension, genauso wie die (Vernichtungs-) Kriegsführung. Was aber für die quantitative Seite konstatiert werden kann, ist für die qualitative Seite nicht möglich. Die Vernichtungspraxis entsprach der inneren Formierung im Krieg und wurde gleichzeitig auch nur durch ihn möglich. Ob der eine oder andere kühl kalkulierende Nachwuchspolitiker das nicht noch einmal so machen würde, sagt über die innere Logik der Vernichtung nichts aus. Das schlimmste: Das Geschwätz von der Singularität dient seit 1945 immer als Alibi für jede Barbarei und als Legitimation der menschenfreundlichen Verfasstheit der verschiedenen Staaten. Auch der akut wahrnehmbare Zynismus vieler Antifaschisten gegenüber allen möglichen Greueln ist immer durch Auschwitz gedeckt. Unnötig zu sagen, dass auch historisch die so hoch gelobten Alliierten die Rettung der europäischen Juden nicht nur nicht durchführten, sondern wie im Falle der Abschlagung des Angebots der Auslieferung der ungarischen Juden an die Briten boykottierten. Und auch der in vielen antifaschistischen Kreisen zu späten Ehren gekommene Benes vertrieb zunächst die deutschen Juden mit den Deutschen zusammen, um später gegen die wenigen verbliebenen osteuropäischen Juden seinen ethnisch homogenisierten Staat aus Tschechen und Slowaken zu begründen. Auch die antisemitischen Kampagnen des Stalinismus lassen hier vom Mythos nichts übrig.
Für die Menschen in den Konzentrationslagern, Gefängnissen, für die illegal Lebenden und Zwangsarbeiter und angesichts des Vernichtungskrieges der Wehrmacht stellte die Zurückdrängung der deutschen Armee und das Ende des Krieges überhaupt erst die Möglichkeit eines Überlebens dar. Und dennoch: Im Gegensatz zu dem Krieg, der nur drei Jahrzehnte zuvor Europa in Schutt und Asche gelegt hatte, brachte dieser Krieg nicht einmal ein Potential der Befreiung zum Vorschein. Die Niederlage Deutschlands im imperialistischen Krieg zementierte die internationale Barbarei des Kapitalismus - mit antifaschistischen Weihen. Nicht nur dass bis heute das millionenfache Leid der v.a. vom russischen, tschechoslowakischen und polnischen Nationalismus Vertriebenen, der Hunderttausenden Ausgebombten, der in den Kolonien gefesselten Massen, der Millionen Opfer der pax americana und der vom Stalinismus geknechteten Proletarier Russlands und Osteuropas durch die weitgehend widerstandslos hingenommene Reorganisation des Kapitalismus in Ost und West zynisch weggewischt wird. Der antifaschistische Nebel umhüllt weiterhin als Ideologie sowohl die analytische Klarheit als auch die Perspektive der Emanzipation und dient ganz nebenbei den Herrschenden schon zur nächsten Kriegsvorbereitung.
Gegen Faschismus und Demokratie! Für den Kommunismus!
Mai, 2005.  G.

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Von der Kommunistischen Linken beeinflusst [6]

Historische Ereignisse: 

  • Zweiter Weltkrieg [7]

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [8]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die "Einheitsfront" [9]

Gedenken an den Genossen Mauro

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Wir haben erfahren, dass der Genosse Mauro Stefanini, einer der ältesten und engagiertesten Genossen von Battaglia Comunista und selbst der Sohn eines alten Genossen der Italienischen Linken, nach langer Krankheit verstorben ist. Wir veröffentlichen nachfolgend einige Auszüge eines Solidaritätsbriefes, den die IKS sofort an das IBRP geschickt hat sowie Auszüge eines Dankesschreibens, das uns ein Genosse des IBRP im Namen seiner Organisation ausgerichtet hat.
Brief der IKS:  Genossen, wir sind sehr traurig vom Tod des Genossen Mauro zu erfahren (...) Die Mitglieder unserer Organisation, die ihn persönlich kannten, werden seine Lebendigkeit und seinen warmherzigen Umgang vermissen. Aber aus zwei weiteren Gründen sind wir durch seinen Tod besonders betroffen.
Erstens empfinden wir den Tod Mauros als einen Verlust für die Arbeiterklasse. Natürlich spielten seine persönlichen Eigenschaften, insbesondere seine Fähigkeit als Redner und Redakteur eine große Rolle. Aber was uns am wichtigsten erscheint, war sein Engagement und seine Hingabe als Militant. Diese hat er auch in der Zeit aufrechterhalten, als die Krankheit dabei war, ihn zu besiegen. Zweitens vergessen wir nicht, dass Mauro der Sohn Lucianos war, ein Mitglied der Italienischen Fraktion, den unser Genosse MC sehr hoch wegen seines Engagements schätzte, aber auch für seine politische Klarheit, da er unter den Genossen der Fraktion einer der ersten war, der die Konsequenzen der historischen Periode hinsichtlich der Gewerkschaftsfrage begriff, welche durch den Ersten Weltkrieg eröffnet war.
Als Folge der schrecklichen Konterrevolution, die nach dem Scheitern der Weltrevolution auf die Arbeiterklasse niederging, verschwand nahezu vollständig die vormals sehr lebendige Tradition der früheren Arbeiterbewegung: Die Tatsache, dass viele Kinder (wie die Mädchen Marxens, der Sohn Wilhelm Liebknechts und viele andere) die Flamme ihrer Eltern weitertrugen, konkretisiert somit die Kontinuität des Arbeiterkampfes zwischen zwei Generationen. Mauro war einer der wenigen Genossen, die diese Tradition fortsetzten -und dies ist ein zusätzlicher Grund unserer Sympathie für ihn (...) Deshalb versichern wir Euch, Genossen des IBRP, unsere aufrichtige Solidarität. Kommunistische Grüße, die IKS

Antwort des IBRP:

Genossen,
Im Namen des IBRP möchte ich mich für Eure Solidaritätsgrüße nach dem schwerwiegenden Verlust unseres Genossen Mauro bedanken. Wie ihr geschrieben habt, handelt es sich für uns um einen sehr schmerzhaften Verlust: wegen seiner menschlichen Eigenschaften, seiner Leidenschaft und seinem Engagement für die Sache des Proletariats war Mauro einer der Genossen, der nur selten zu finden ist. Sein Leben als Kommunist war sozusagen in seinen Genen ‚eingeschrieben': Nicht nur, weil er aus einer Familie stammte, die dem Kommunismus so viel gegeben hat, sondern vor allem, weil sich sein Geist instinktiv gegen den geringsten Ausdruck von Unterdrückung und Ungerechtigkeit auflehnte. Es wird nicht leicht sein, die politische Leere, die der Genosse hinterlässt, zu füllen; es wird unmöglich sein, die menschliche Leere zu ersetzen (...) Nochmals vielen Dank für Eure Botschaft, kommunistische Grüße. 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Battaglia Comunista [10]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Italienische Linke [11]

Korruptionsaffäre bei VW: Schröder und Hartz als Blitzableiter

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Während in Berlin die herrschende Klasse die Weichen für vorgezogene Neuwahlen zum deutschen Bundestag stellte, blickten die Medien im Sommer 2005 kaum weniger gebannt nach Wolfsburg. Von dort erreichten uns immer neue Meldungen über einen ominösen Korruptionsskandal bei der Volkswagen AG. Um den Leiter der VW Tochterfirma Skoda in Tschechien, Schuster, habe sich ein System von Scheinfirmen gebildet, welche Gelder nicht nur des Mutterkonzerns, sondern beispielsweise staatliche indische Subventionen veruntreut haben. Aufgrund dieser Enthüllungen musste nicht nur der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von VW in Wolfsburg, sondern auch der inzwischen berühmt-berüchtigte Personalchef des Konzerns, Peter Hartz, zurücktreten. Hartz ist Namensgeber der "Arbeitsmarktreformen" der Regierung Schröder, welche im vergangenen Sommer und Herbst v.a. in Ostdeutschland Zehntausende zu Protestdemos auf die Straße trieben.
Diese Enthüllungen gaben den Anstoß zu einer "öffentlichen Debatte" über die Notwendigkeit, dem angeblichen Sonderfall Volkswagen den Gar aus zu machen. Das "Besondere" an VW soll die außerordentliche Enge und Vertraulichkeit der Zusammenarbeit zwischen Konzernleitung, IG Metall und Betriebsrat sein. Dies wiederum soll auf die direkte Beteiligung des Staates - in Form des Landes Niedersachsen - an der Volkswagen AG zurückzuführen sein. Dieser Sonderstatus ist in der Tat auch schon lange einigen Kapitalistengruppen ein Dorn im Auge. Doch diese alteingesessenen Kritiker des "VW Modells" sitzen überwiegend im Ausland. Denn die Beteiligung Niedersachsens am Konzern wird v.a. deshalb als anstößig empfunden, weil sie eine eventuelle Übernahme des größten Autobauers Europas durch ausländische Investoren außerordentlich erschwert. Der amtierende niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat sich denn auch beeilt - der Notwendigkeit des Ausmistens der Wolfsburger Augiasställe zum trotz - das VW Modell vor "voreiligen Schlüssen" in Schutz zu nehmen.
Heute dient das Lamentieren über den "Sonderweg VW" vielmehr dazu, die Tatsache zu verbergen, dass die gewerkschaftlichen Instanzen, zu denen auch die Betriebsräte gehören - mögen sie in Kleinklitschen oder in bestimmten Bereichen wie im Service-Sektor von einzelnen Kapitalisten noch so angefeindet sein - überall unentbehrlich gewordene Bestandteile der Betriebsführung von modernen großen oder auch mittelständischen Konzernen sind. Dass die Spitzenvertreter solcher Gremien, wie die anderen Teile der bürgerlichen Klasse auch, sich millionenfach bereichern und ein Lotterleben führen, ist ganz sicher keine Besonderheit von VW.
Zugegeben: Wenn die Korruption innerhalb der Bourgeoisie solche Ausmaße erreicht, dass die Konzernleitung (einschließlich ehrwürdiger Vertreter der IG Metall und des Betriebsrats) nicht nur den Staat, sondern das eigene Unternehmen um Unsummen verprellt, ist es für den Staat als Vertreter der Interessen des Gesamtkapitals höchste Zeit einzuschreiten, um zu versuchen, diesem Wildwuchs Grenzen zu setzen. Schließlich steht damit die Handlungsfähigkeit und somit auch die Konkurrenzfähigkeit des nationalen Kapitals auf dem Spiel. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob es nur Zufall ist, dass die Aufdeckung dieser Affäre mitten im Wahlkampf erfolgt. Ist es auch Zufall, dass diese Enthüllungen  zeitgleich stattfinden mit der Verkündung einer anderen Hiobsbotschaft? Nämlich dem Vorhaben von VW, in den kommenden Jahren nicht weniger als zehn Milliarden Euro "einsparen" zu müssen?

Am Thron des Kanzlers wird gesägt

Die Vorgänge bei VW erwecken jedenfalls den Eindruck, als ob die Machtfülle des Bundeskanzlers bereits vor den vorgezogenen Neuwahlen teilweise demontiert werden soll. Jeder führende bürgerliche Politiker benötigt eine eigene Machtbasis innerhalb des Staatsapparates. Entweder man hängt sich an eine bereits bestehende Gruppierung, um deren Leitwolf zu beerben, wenn dieser in Ruhestand geht, wie Angela Merkel es gegenüber der Kohl-Clique tat; oder aber man erobert von vorne weg eine eigene Machtstütze. Gerhard Schröder täuschte sich nicht, als er damals bei VW eine solche Machtstütze ausmachte und ins Visier nahm. Denn aufgrund der Schlüsselstellung dieses Konzerns innerhalb der deutschen Wirtschaft, innerhalb des Machtapparates der IG Metall (und damit auch der SPD) sowie des weltweiten Geflechts von wirtschaftlichen und politischen Beziehungen des Unternehmens, nicht nur in Hannover und Berlin, sondern zu Regierungen in aller Welt, eignet sich Volkswagen vorzüglich als Sprungbrett ins Kanzleramt (1). Heute geht das "Ausmisten" bei VW einher mit der Entlassung oder Entmachtung der Schrödergetreuen im Unternehmen, allen voran Peter Hartz, dessen Name untrennbar verbunden ist mit der "Agenda 2010" der jetzigen Bundesregierung. Dass die Gegner Schröders im Staatsapparat nicht mal die Bundestagswahl abwarten, um gegen eine seiner wichtigsten Machtstützen vorzugehen, weist u.a. auf die derzeit wachsende Unzufriedenheit der deutschen Bourgeoisie mit der aktuellen Regierungspolitik hin. Wir haben in der letzten Ausgabe von Weltrevolution bereits auf die anschwellende Kritik an Schröders außenpolitischen Kurs hingewiesen. Man wirft Schröder vor, zu starr an der zur Zeit des Irakkriegs entstandenen Koalition mit Frankreich und Russland festgehalten zu haben, nachdem der Versuch, die amerikanisch-britische Invasion des Zweistromlandes zu verhindern, gescheitert war. Inzwischen hat das Ansehen dieser außenpolitischen Orientierung Schröders noch mehr dadurch gelitten, dass der französische "Partner" durch das in Frankreich gescheiterte EU Referendum die in Paris und Berlin ausgetüftelte "europäische Verfassung" selbst vermasselt hat.

Von der Systemfrage ablenken  

Aber wie wir bereits in Weltrevolution 130 aufgezeigt haben, gab es einen noch gewichtigeren Grund für die deutsche Bourgeoisie, um vorzeitig Neuwahlen herbeizuführen: Die Zuspitzung der Wirtschaftskrise, der Massenarbeitslosigkeit und der Angriffe gegen die Arbeiterklasse. Angesichts der sichtbarer werdenden Unfähigkeit der Bourgeoisie, das Fortschreiten des wirtschaftlichen Niedergangs des eigenen Systems aufzuhalten, ist es für die herrschende Klasse heute wesentlich, dieses Unvermögen als das Scheitern Einzelner hinzustellen. Auf dieser Ebene gleicht die Vorgehensweise bei VW der, welche in der großen Politik auf Bundesebene eingeschlagen wird. Es ist noch gar nicht lange her, da wurde Peter Hartz als innovativer Erneuerer gefeiert, der nicht nur den Arbeitslosen Beine macht, sondern als Personalchef bei VW Zehntausende Arbeitsplätze gerettet habe. Hartz hat in der Tat, zusammen mit IG Metall und Betriebsrat, die Beschäftigten bei VW dazu gebracht, ein "Sparpaket" mit einem Volumen von gut 1 Milliarde Euro über sich ergehen zu lassen. Jetzt aber, wo die Beschäftigten sehen, dass ihre "Opfer" rein gar nichts gebracht haben - da nunmehr das Zehnfache von ihnen verlangt wird, um dasselbe angeblich zu erreichen - wird Hartz auf einmal als korrupter und unfähiger Zeitgenosse entlarvt, der tüchtigeren und ehrlicheren Machern die Aufgabe überlassen muss. Wie Schröder in Berlin soll Hartz in Wolfsburg als Blitzableiter den Zorn der Lohnabhängigen auf sich ziehen - damit die Angriffe weitergehen können, ohne dass die Arbeiter auf die Idee kommen, nicht Personen, sondern das Gesellschaftssystem in Frage zu stellen.
Die Ausbeuter wissen genau, dass der Zorn der Beschäftigten und Erwerbslosen zunimmt. Auch wenn es der Arbeiterklasse angesichts von Massenarbeitslosigkeit und fehlendem Selbstvertrauen noch sehr schwer fällt, in den Kampf zu treten, keimt ein Nachdenken über die soziale Wirklichkeit auf, dass die Ausbeuterklasse beunruhigt. Außerdem wird sich das Proletariat angesichts von stetig zunehmenden Angriffen nicht unbegrenzt einschüchtern und erpressen lassen. Auch wenn die Herrschenden uns einreden, dass wir vernünftigerweise auf "Privilegien" verzichten sollen, um Arbeitsplätze zu bewahren oder neue zu erhalten: Immer mehr Teile der Klasse merken, dass wir um unser Überleben kämpfen müssen. Bezeichnend dafür war die Empörung der Beschäftigten beim Otto-Versand Ende Juli in Haldensleben angesichts von angekündigten Lohnkürzungen. Nachdem die Firmenleitung erklärt hatte, nur auf diese Weise die Arbeitsplätze erhalten zu können, entgegneten die aufgebrachten Beschäftigten, bei Monatsgehältern von jetzt schon kaum 950 Euro würde sich die Anreise zur Arbeit ohnehin bald nicht mehr lohnen.
In der Tat: Die Wahlen, aber auch der öffentliche Kreuzzug gegen Korruption, dient bei VW wie überall v.a. dazu, uns von der Notwendigkeit des Klassenkampfes gegen den Kapitalismus abzuhalten.  22.07.05

(1) Dies findet auch Christian Wulff, der jetzt tatkräftig mithilft, die VW Spitze neu zu ordnen, und sich dabei in Position bringt, um seine "Parteifreundin" Merkel künftig herausfordern zu können.
(2) Das Herumsägen am Machtstuhl des Kanzlers beschränkt sich z. Z. nicht auf die Vorgänge bei VW.  Die Rückkehr des einst von Schröder entmachteten ehemaligen Parteichefs der SPD, Lafontaine, in den illustren Kreis der mächtigsten Politiker des Landes, ist nicht nur ein Affront für den Kanzler, sondern schmälert erheblich seine Chancen auf Wiederwahl und stärkt seine Gegner auch innerhalb er SPD.

Nationale Situationen: 

  • Wahlen in Deutschland [1]

Geographisch: 

  • Deutschland [12]

Schweiz - Der Aufbau und die Gewerkschaften Selbstorganisierung oder Bevormundung?

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Im Aufbau Nr. 40, der Zeitung des so genannten Revolutionären Aufbaus, erschien eine nach seinen Worten “längst fällige Replik” auf einen Artikel, den die IKS vor einem Jahr zu einer Diskussionsveranstaltung dieser Gruppierung veröffentlichte (vgl. Weltrevolution Nr. 125). Unser Artikel und die Replik drehen sich um das Thema der Gewerkschaftsfrage.

Das Problem an der Replik des Aufbaus besteht nicht darin, dass sie spät erfolgt, sondern dass sie nicht eingeht auf unsere Argumente, mit denen wir begründet haben, weshalb nicht nur die Gewerkschaftsbürokratie, sondern die Gewerkschaften als solche ca. seit dem Ersten Weltkrieg Apparate des Staates und somit gegen die Arbeiterklasse gerichtet sind.
In unserem Artikel in Weltrevolution 125 über die Veranstaltung des Aufbaus haben wir die mündliche Diskussion in ihren wesentlichen Zügen wiedergegeben und dabei aufgezeigt, dass die Gewerkschaften in der dekadenten Phase des Kapitalismus unweigerlich in den totalitären Staat integriert werden. “Die materielle Unmöglichkeit, Reformen zu erkämpfen, die nicht gleich wieder rückgängig gemacht werden, verwandelte die Gewerkschaften, die diese Reformfunktion hatten, notwendigerweise in Instrumente des Staatskapitalismus, der Bewahrung der herrschenden Ordnung, der Kanalisierung des Arbeiterwiderstands in Sackgassen. (...) Es ist also kein Zufall, wenn der Gewerkschaftsapparat heute als Teil der staatlichen Strukturen (z.B. im Parlament oder bei den paritätischen Kommissionen) erscheint. Dieser Schein entspricht der tatsächlichen Klassennatur der Gewerkschaften, und zwar nicht bloss der Gewerkschaftsbürokratie, sondern der Gewerkschaften insgesamt. (...) Wer die proletarische Revolution auf seine Fahnen geschrieben hat, muss deshalb die Arbeiter und Arbeiterinnen vor den Gewerkschaften warnen, und nicht kritisch von innen oder aussen diese Organe zu “verbessern” versuchen. Je “besser” sie sind, desto wirksamer für den kapitalistischen Staat.” (1)
Statt auf unsere Ausführungen inhaltlich zu antworten und wenigstens zu versuchen, sie zu widerlegen, beschränkt sich der Aufbau in seinem Artikel darauf, der IKS irgendwelche Etiketten anzudichten, die erstens mit der Realität und unseren Positionen nichts zu tun haben und zweitens eine durch und durch bürgerliche Geschichtsauffassung des Aufbaus offenbaren.

Was hat die Position der IKS zur Gewerkschaftsfrage mit Bordiga zu tun?

Der Aufbau meint, die Position der IKS gegen die Gewerkschaften und für die Selbstorganisierung der Arbeiter gehöre “nunmehr seit 80 Jahren zum von linksradikalen bordigistischen Positionen verbreiteten Unsinn”. Die Positionen Amadeo Bordigas, der laut Aufbau der “Urvater der IKS” sein soll, seien bereits mit Lenins Schrift Der ‚linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus (2) widerlegt worden.
Anscheinend hat der Aufbau weder von den Positionen Bordigas noch von denjenigen der IKS eine grosse Ahnung. Denn Bordiga lehnte die Arbeit in den Gewerkschaften keineswegs ab; und die Bordigisten tun es bis heute nicht. Offensichtlich ist der Aufbau auch mit dem,, was Lenin geschrieben hat, nicht vertraut, denn sonst müsste er ja wissen, gegen wen dieser in den Kinderkrankheiten in der Gewerkschaftsfrage  polemisierte. Die IKS ist zwar keineswegs gekränkt, wenn sie in die Tradition von Bordiga gestellt wird. Er war in der Tat ein Revolutionär, der bis 1926 zusammen mit der Mehrheit der italienischen KP vorbildlich gegen die Degenerierung der Kommunistischen Internationalen und der ihr angehörenden Parteien kämpfte, was denn auch der Grund dafür ist, dass der Name Bordiga für die Stalinisten ein rotes Tuch darstellt und auch für andere linkskommunistische Strömungen herhalten muss, die längst nicht alle seiner Positionen teilen.
In der Gewerkschaftsfrage vertrat Bordiga beispielsweise aus der Sicht der IKS eine falsche Auffassung. Die Positionen unserer Organisation gehen nicht auf ihn und die Italienische Linke in den 20er Jahren zurück, sondern auf andere Teile des Linkskommunismus, jener Tradition, die in den 20er und 30er Jahren in verschiedenen Ländern den Kampf gegen die Degenerierung der offiziellen “Kommunistischen” Parteien und den Stalinismus führte. Die Intervention der IKS in der Gewerkschaftsfrage stützt sich ab auf die deutsch-holländischen Linkskommunisten in den 20er, einen Teil der italienischen Fraktion in den 30er und vor allem auf die Positionen der Gauche Communiste de France in den 40er Jahren (3). Es waren diese Minderheiten in der Arbeiterbewegung, die trotz schwierigster Bedingungen der Konterrevolution nicht nur in ihrer Intervention in der Klasse am Internationalismus festhielten (was ebenfalls diejenigen taten, für die der Name Bordigisten zutrifft), sondern auch theoretisch die klarsten Lehren aus der Niederlage der weltrevolutionären Welle 1917-23 zogen. Zu diesen Lehren gehörte auch die Erkenntnis, dass der Eintritt des Kapitalismus in seine niedergehende Phase den Charakter der Gewerkschaften grundsätzlich verändert hatte.

Die Geschichte als Werk “grosser Männer”?

Es trifft zwar zu, dass Lenin in der vom Aufbau zitierten Broschüre die Position z.B. Anton Pannekoeks (der seinerzeit unter dem Pseudonym K. Horner schrieb) und der im Frühjahr 1920 gegründeten KAPD zur Gewerkschaftsfrage bekämpfte. Der Aufbau legt aber nicht dar, warum die Position Lenins richtig sein soll. Die Replik zitiert nur gerade einen Satz aus den Kinderkrankheiten. Dieser wiederum erschöpft sich inhaltlich in der Behauptung, dass die Ablehnung der Arbeit in den Gewerkschaften ein “lächerlicher, kindischer Unsinn” sei (4). Der Aufbau meint anscheinend, die Berufung auf Lenin sei genug, um die Richtigkeit irgendeiner Auffassung zu begründen. Für ihn ersetzt die Berufung auf Lenin die Argumentation.
Nach dieser “Methode” müsste konsequenterweise und gestützt auf die gleiche Schrift Lenins auch die “Beteiligung an den bürgerlichen Parlamenten” befürwortet werden. Denn genau diese Idee verfocht Lenin in den Kinderkrankheiten ebenfalls, indem er beispielsweise schrieb, “dass die Beteiligung an den Parlamentswahlen und am Kampf auf der Parlamentstribüne für die Partei des revolutionären Proletariats unbedingte Pflicht ist, gerade um die rückständigen Schichten ihrer Klasse zu erziehen, gerade um die unentwickelte, geduckte, unwissende Masse auf dem Lande aufzurütteln und aufzuklären” (5). Auf diese und ähnliche Aussagen Lenins berufen sich heute die Trotzkisten, um ihre parlamentarische Politik zu rechtfertigen. Wenn für den Aufbau die Worte Lenins anscheinend so heilig sind, dass das Zitieren allein schon reicht, um die Richtigkeit einer Position nachzuweisen, müsste sich diese Gruppe eigentlich auch bald einmal am parlamentarischen Zirkus beteiligen.
Hinter dieser “Methode” der Berufung auf irgendwelche Zitate steht eine idealistische, d.h. bürgerliche Geschichtsauffassung, nach der der Lauf der Geschichte durch “die grossen Männer” bestimmt wird. Die Geschichte wird da personifiziert ganz so, wie es meist im Schulunterricht geschieht: als sei die Geschichte eine Abfolge ‚grosser‘ oder berüchtigter Namen und Ideen - Kant, Napoleon, Bismarck, Lenin, Hitler etc.
Mit diesem gängigen, quasi populären Geschichtsbild wird die herrschende Ideologie weiter zementiert. Der Aufbau vermittelt damit den Eindruck, dass es die Ideen dieser Gestalten seien, die die Massen und damit die Geschichte lenken. Es ist aber umgekehrt der materielle Kampf zwischen den Klassen, der den Gang der Geschichte bestimmt. Es sind zwar die Menschen, die die Geschichte machen, aber sie tun dies nicht aus freien Stücken, sondern als Teil einer Klasse im Rahmen der vorgefundenen gesellschaftlichen Bedingungen. Welche Rolle die Individuen dabei spielen, ist zwar nicht belanglos, aber hauptsächlich von den äusseren Umständen abhängig.
Ein bestimmter Name ist somit für sich allein noch lange kein Gütesiegel für die Unfehlbarkeit - diese kennt nicht nur der Katholizismus mit dem Papst sondern auch der Stalinismus bzw. Maoismus. Die Stärken der Arbeiterklasse bestehen einerseits in ihrer Einheit (v.a. der Interessen), andererseits in der Fähigkeit, ein Bewusstsein über die herrschenden Bedingungen und die Möglichkeit ihrer Umwälzung zu erlangen. Dieser Kampf um das Bewusstsein muss mit Argumenten geführt werden. Die Arbeiterklasse ist die erste revolutionäre Klasse der Geschichte, die ihr Ziel nur mit Bewusstsein durchsetzen kann. Dies erfordert einen dauernden Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen um Klarheit, einen Kampf, der als ein Ringen der Richtungen und Parteien miteinander geführt wird. Niemand kann uns dieses Nachdenken und Argumentieren abnehmen. Den Revolutionären kommt u.a. die Aufgabe zu, genau dieses Ringen um das klarst mögliche Bewusstsein über die gegenwärtigen Aufgaben zu stimulieren und voranzutreiben.
Was der Aufbau tut, ist das Gegenteil: Statt seine Auffassung zu begründen und zu argumentieren, die Leser und Leserinnen zum Nachdenken anzuregen, ruft er einen Namen an, der für Unfehlbarkeit stehen soll. Die Arbeiterklasse braucht für die Revolution nicht einen neuen religiösen Glauben, sondern eine Überzeugung, die auf Klarheit fusst und mit vernünftigen Argumenten verteidigt werden kann.

Politik des Aufbaus

Offensichtlich geht es dem Aufbau aber nicht darum, dass die Leute selber nachdenken. Vielmehr will er derjenige sein, der für die Arbeiter denkt, sie organisiert und ihnen sagt, wo es lang geht.
Sein vorgetäuschtes Wohlwollen gegenüber “spontan im Widerstand entstandenen Strukturen der Selbstorganisation” ist somit bloss ein Lippenbekenntnis. In einem Artikel der gleichen Ausgabe des Aufbaus, der die Gewerkschaftsbürokratie der Unia kritisiert, sagt er offen, welche Politik er betreibt und welche Ziele er anstrebt: “Um grössere Streiks durchzuführen, wäre es von Nöten, Vertrauensleute aufzubauen, welche aus ihrem politischen und gewerkschaftlichen Bewusstsein heraus, die Arbeit der Funktionäre übernehmen und die entsprechenden Diskussionen in den Betrieben und auf den Baustellen aufnehmen.” (Aufbau Nr. 40 S. 5) Der Aufbau ist also nicht einmal grundsätzlich gegen die Gewerkschaftsbürokratie, sondern findet einfach, dass die falschen Funktionäre drin sind. Er möchte die entsprechenden Stellen mit seinen Leuten besetzen und selber die Kontrolle ausüben. Warum er im nächsten Satz meint, dass damit die Möglichkeit bestünde, “dass sich Streiks nicht mehr ganz so einfach durch die Gewerkschaften kontrollieren lassen würden”, begründet er nicht. Es gibt auch keine Begründung für diese Absurdität. Es ist genau umgekehrt: Der Staat braucht gerade in der heutigen Zeit der gärenden Kampfbereitschaft “radikalere” Gewerkschaften mit “Vertrauensleuten an der Basis” die früh genug merken, wenn es in den Reihen der Arbeiter brodelt, damit eben ja keine Streiks ausbrechen, die nicht von Anfang an von den Gewerkschaften kontrolliert werden.
Der Aufbau bietet sich genau für diese Aufgabe an. Sobald die Gewerkschaftsbürokratie oder gar die “gelben” Gewerkschaften insgesamt bei Teilen der Arbeiterklasse in Frage gestellt werden, wird der Aufbau zusammen mit den Trotzkisten und weiteren linksbürgerlichen Gruppen zu denjenigen gehören, die neue Gewerkschaften propagieren. Dies ist die Erfahrung, die die Arbeiter in den 70er und 80er Jahren insbesondere in Italien, Frankreich, Belgien und Grossbritannien machen mussten: Nach den offiziellen Gewerkschaften stellt die Bourgeoisie ihnen ein weiteres, scheinbar radikaleres Instrument in den Weg - die Basisgewerkschaften, Koordinationen, Shop Stewards etc., bis auch diese von den Arbeitern als Hindernis erkannt und aus dem Weg geräumt werden.
Wenn uns also der Aufbau unterstellt, wir würden uns “elegant um die politische Verantwortung drücken”, wenn wir nicht innerhalb der Gewerkschaften arbeiten, so entgegnen wir ohne Scham: Die Verantwortung dafür, die Arbeiter und Arbeiterinnen in Fallen zu locken und in Fesseln zu legen, lehnen wir in jedem Fall ab. Wir intervenieren umgekehrt nach unseren Kräften in der Klasse und stellen da die gemeinsamen, vereinheitlichenden Interessen des Proletariats und der Gesamtbewegung in den Vordergrund.   N.P., 09.07.05

1) Zitat aus dem Artikel “Den Bock zum Gärtner machen?” in Weltrevolution 125; vgl. weiter dazu unsere Broschüre “Die Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse”
2) geschrieben im April/Mai 1920, veröffentlicht in Lenin Werke Bd. 31 S. 5 ff.
3) vgl. zum Linkskommunismus: “Kurze Geschichte des Linkskommunismus” unter  und unsere Broschüren “Die Deutsch-Holländische Linke 1919-1933” und “Die Italienische Linke”
4) Der vom Aufbau zitierte Satz Lenins enthält zudem noch eine Stellungnahme gegen die Arbeiter-Unionen. Falls der Aufbau auch damit auf die IKS abzielte, müsste er einmal mehr belehrt werden: Voll daneben! Die IKS hat die Idee der Gründung von Arbeiter-Unionen (oder ähnlicher, letztlich doch wieder gewerkschaftsähnlicher Organisationen) immer kritisiert. Aus Platzgründen können wir aber hier nicht weiter darauf eingehen, vgl. dazu aber z.B. die Broschüre “Die Deutsch-Holländische Linke 1919-1933” S. 14 und 33 f.
5) Lenin Werke Bd. 31 S. 44 (Hervorhebungen im Original)

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Außerhalb der Kommunistischen Linken [13]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die Gewerkschaftsfrage [14]

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