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Internationale Revue 36

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16. Kongress der IKS: Resolution über die Internationale Situation

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1. Rosa Luxemburg  schrieb 1916 in der Einleitung der Juniusbroschüre zur historischen Bedeutung des 1. Weltkriegs: „Friedrich Engels sagt einmal: ‘Die bürgerliche Gesellschaft steht vor einem Dilemma, entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall in die Barbarei.’ Was bedeutet ein ‘Rückfall in die Barbarei’ auf unserer Höhe der europäischen Zivilisation? Wir haben wohl alle die Worte bis jetzt gedankenlos gelesen und wiederholt, ohne ihren furchtbaren Ernst zu ahnen. Ein Blick um uns in diesem Augenblick zeigt, was ein Rückfall der bürgerlichen Gesellschaft in die Barbarei bedeutet. Dieser Weltkrieg – das ist ein Rückfall in die Barbarei. Der Triumph des Imperialismus führt zur Vernichtung der Kultur – sporadisch während der Dauer eines modernen Krieges und endgültig, wenn die begonnene Periode der Weltkriege ungehemmt bis zur letzten Konsequenz ihren Fortgang nehmen sollte. Wir stehen also heute, genau wie Friedrich Engels vor einem Menschenalter, vor 40 Jahren, vorhersagte, vor der Wahl: entweder Triumph des Imperialismus und Untergang jeglicher Kultur, wie im alten Rom, Entvölkerung, Verödung, Degeneration, ein grosser Friedhof; oder Sieg des Sozialismus, d. h. der bewussten Kampfaktion des internationalen Proletariats gegen den Imperialismus und seine Methode; den Krieg. Dies ist ein Dilemma der Weltgeschichte, ein Entweder – Oder, dessen Waagschalen zitternd schwanken vor dem Entschluss des klassenbewussten Proletariats. Die Zukunft der Kultur und der Menschheit hängt davon ab, ob das Proletariat sein revolutionäres Kampfschwert mit männlichem Entschluss in die Waagschale wirft.“ (Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 4, S. 62)

Der Krieg im dekadenten Kapitalismus

2. Fast 90 Jahre später bestätigt der Verlauf der Geschichte die Klarheit und Genauigkeit der  Diagnose Luxemburgs. Rosa behauptete, dass der Konflikt, der im Jahr 1914 begann, eine Periode der Weltkriege eröffnet hatte, die, wenn sie ungehemmt bis zur letzten Konsequenz ihren Fortgang nehmen sollte,  zur Zerstörung der Zivilisation führt. Nur 20 Jahre, nachdem die erhoffte Rebellion des Proletariats den  Krieg gestoppt hatte, aber es nicht geglückt war, dem Kapitalismus ein Ende zu bereiten, brach ein zweiter imperialistischer Weltkrieg aus, der den ersten in der Intensität und dem Ausmass seiner Barbarei weit übertraf, die sich nun nicht nur in einer industrialisierten Massenvernichtung der Menschen auf den Schlachtfeldern zeigte, sondern vor allem im Genozid ganzer Völker, in Massakern grossen Ausmasses an Zivilisten, ob in den Todeslagern von  Auschwitz und Treblinka oder in den Feuerstürmen von Coventry, Hamburg, Dresden, Hiroshima und Nagasaki. Allein die Geschehnisse  der Periode 1914–45 reichen aus, um zu bestätigen, dass die kapitalistische Gesellschaft unumkehrbar in ihre Epoche des Niedergangs  eingetreten war, dass sie ein grundlegendes Hindernis für die Bedürfnisse der Menschheit geworden war.

 

3. Entgegen der Propaganda der herrschenden Klasse haben die 60 Jahre seit1945 in keiner Weise diese Schlussfolgerung entkräftet – so als könne der Kapitalismus in dem einen Jahrzehnt sich auf seinem historischen Abstieg befinden und ihm im nächsten Jahrzehnt wie durch ein Wunder wieder entwischen. Noch vor Ende des zweiten imperialistischen Gemetzels begannen neue militärische Blöcke um die Kontrolle des Erdballs  zu rangeln; die USA zögerten das Ende des Kriegs gegen Japan sogar absichtlich hinaus, nicht um das Leben ihrer Soldaten zu schonen, sondern um  in spektakulärer Weise ihre Furcht erregende  militärische Stärke zur Schau zu stellen, indem sie Hiroshima und Nagasaki auslöschten – eine Zurschaustellung, die sich nicht in erster Linie gegen das besiegte Japan richtete, sondern gegen den neuen russischen Feind. Doch innerhalb kurzer Zeit hatten beide neuen Blöcke sich mit Waffen ausgerüstet, die nicht nur fähig waren, die Zivilisation zu zerstören, sondern das gesamte Leben auf unserem Planeten auszulöschen. Die nächsten fünf Jahrzehnte lebte die Menschheit im Schatten der gegenseitig angedrohten Zerstörung (Mutually Assured Destruction – MAD). In den „unterentwickelten“ Regionen der Welt hungerten Millionen, aber die Kriegsmaschinerie der grossen imperialistischen Mächte wurde mit allen Ressourcen der menschlichen Arbeit und Genialität versorgt, die ihr unersättlicher Schlund forderte; Millionen starben in den „nationalen Befreiungskriegen“ in Korea, Vietnam, auf dem indischen Subkontinent, in Afrika und im Nahen Osten, durch welche die Supermächte ihre mörderischen Rivalitäten austrugen.

 

4. MAD war der von der Bourgeoisie vorgeschobene Hauptgrund dafür, dass die Welt von einem dritten und wahrscheinlich letzten imperialistischen Holocaust verschont blieb. Wir sollten also die Bombe lieben lernen. In Tat und Wahrheit wurde ein 3. Weltkrieg aus anderen Gründen verhindert:

–   In einer Anfangsphase war es für die neu gebildeten imperialistischen Blöcke notwendig, sich zu ordnen und neue ideologische Themen einzuführen, um die Bevölkerung gegen einen neuen Feind zu mobilisieren. Darüber hinaus ermöglichte der Wirtschaftsboom, der mit dem Wiederaufbau der im 2. Weltkrieg zerstörten Länder verbunden war – finanziert durch den Marshall-Plan –, eine gewisse Beruhigung der imperialistischen Spannungen.

–   In einer weiteren Phase, als der durch den Wiederaufbau eingeleitete Boom Ende der 1960er Jahre zu Ende ging, stand der Kapitalismus nicht mehr einem besiegten Proletariat gegenüber wie in der Krise der 30er Jahre, sondern einer neuen Generation von Arbeitern, die durchaus bereit war, ihre eigenen Klasseninteressen gegen die Forderungen ihrer Ausbeuter zu verteidigen. In der Zeit des dekadenten Kapitalismus erfordert ein Weltkrieg eine totale und aktive Mobilisierung des Proletariats: Die internationalen Wellen von Arbeiterkämpfen, die mit dem Generalstreik in Frankreich im Mai 1968 begannen, zeigten, dass die Bedingungen für solch eine Mobilisierung in den 1970er und 1980er Jahren fehlten.

 

5. Das Endergebnis der langen Rivalität zwischen dem US-amerikanischen und dem russischen Block war somit nicht ein Weltkrieg, sondern der Zusammenbruch des Ostblocks. Ausserstande, wirtschaftlich mit den weit mächtigeren USA zu konkurrieren, unfähig seine starren politischen Institutionen zu reformieren, militärisch eingekreist von seinem Rivalen  und – wie die Massenstreiks in Polen 1980 zeigten – nicht in der Lage, das  Proletariat hinter seinen Kurs zum  Krieg zu ziehen, implodierte der imperialistische russische Block 1989. Dieser Triumph des Westens wurde sofort als die Morgendämmerung einer neuen Periode des Weltfriedens und Wohlstands bejubelt; doch die weltweiten imperialistischen Konflikte nahmen lediglich eine neue Form an, da an die Stelle der Einheit des westlichen Blocks heftige Rivalitäten zwischen seinen früheren Bestandteilen traten und ein wiedervereinigtes Deutschland seine Kandidatur für eine grosse Weltmacht stellte, welche künftig mit den USA konkurrieren wollte. In dieser neuen Phase imperialistischer Konflikte war ein Weltkrieg noch weniger auf der Tagesordnung der Geschichte, und zwar aus folgenden Gründen:

–   Die Formierung neuer militärischer Blöcke wurde durch die internen Spannungen  zwischen jenen Mächten verzögert, die die logischen Mitglieder eines neuen Blocks gegen die USA wären, insbesondere durch die Spannungen  zwischen den wichtigsten europäischen Mächten Deutschland, Frankreich und Grossbritannien. Grossbritannien hat seine traditionelle Politik nicht aufgegeben, mit der es versucht sicherzustellen, dass keine Grossmacht eine Vorherrschaft über Europa aufbauen kann, während Frankreich aus triftigen historischen Gründen den Versuchen Deutschlands, es zu unterwerfen, Grenzen setzt. Mit dem Zusammenbruch der Disziplin in den alten beiden Blöcken geht der vorherrschende Trend in den internationalen Beziehungen in Richtung des „Jeder-für-sich“.

–   Hinzu kommt die überwältigende militärische Überlegenheit der USA, verglichen besonders mit Deutschland, die es den Rivalen Amerikas verunmöglicht, die USA direkt herauszufordern.

–   Weiter bleibt das Proletariat unbesiegt. Obwohl die Periode, die mit dem Zusammenbruch des Ostblocks eröffnet wurde, das Proletariat in beträchtliche Verwirrung stürzte (im Besonderen durch die Kampagnen über den „Tod des Kommunismus“ und das „Ende des Klassenkampfes“), ist die Arbeiterklasse der kapitalistischen Grossmächte noch immer nicht bereit, sich für ein neues weltweites Blutbad zu opfern.

Aus diesen Gründen nahmen die militärischen Hauptkonflikte in der Periode seit 1989 die Form verlagerter kriegerischer Konflikte an.  Das bestimmende Merkmal dieser Kriege ist, dass die führende Weltmacht versuchte, sich der wachsenden Herausforderung ihrer globalen Autorität durch spektakuläre Demonstrationen ihrer Stärke gegenüber viertklassigen Mächten entgegenzustemmen; dies war der Fall beim ersten Golfkrieg 1991, bei der Bombardierung Serbiens 1999 und den „Anti-Terror-Kriegen“ in Afghanistan und im Irak, die dem Angriff von 2001 auf die Twin Towers folgten. Gleichzeitig haben sich diese Kriege zusehends klar als eine globale Strategie seitens  der USA offenbart: mit dem Ziel, die totale Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten und in Zentralasien sowie die militärische Umzingelung aller ihrer Hauptrivalen (Europa und Russland) zu erreichen, um ihnen den Zugang zu den Weltmeeren zu versperren und sich in die Lage zu versetzen, ihnen den Ölhahn zuzudrehen.

Neben dieser grossen globalen Strategie war –  ihr manchmal untergeordnet, sie manchmal behindernd – die Welt nach 1989 auch Zeuge einer Explosion von lokalen und regionalen Konflikten, die Tod und Vernichtung über ganze Kontinente gebracht haben. Diese Konflikte haben Millionen Tote, Behinderte und Obdachlose in einer ganzen Reihe von afrikanischen Ländern wie dem Kongo, Ruanda, Sudan, Somalia, Liberia oder Sierra Leone hinterlassen. Und jetzt drohen sie, viele Länder im Nahen und Mittleren Osten sowie in Zentralasien in eine Art permanenten Bürgerkrieg zu stürzen. Das weiter wachsende Phänomen des Terrorismus, das oft Intrigen zwischen bürgerlichen Fraktionen ausdrückt, die nicht mehr länger von einem besonderen staatlichen Regime kontrolliert werden, hat die Instabilität weiter anschwellen lassen und bewirkt, dass diese mörderischen Konflikte zurück in die Zentren des Kapitalismus getragen werden (11. September, Bombenanschlag in Madrid...)

 

6. Deshalb bleibt, auch wenn der Weltkrieg gegenwärtig keine konkrete Bedrohung für die Menschheit ist, wie das für den grösseren Teil des 20. Jahrhunderts der Fall war, das Dilemma zwischen Sozialismus und Barbarei genauso akut wie früher. In gewisser Weise ist die Situation heute noch brenzliger; während ein Weltkrieg die aktive Mobilisierung der Arbeiterklasse erfordert, sieht sich Letztere nun der Gefahr gegenüber, Schritt für Schritt und heimtückisch von einer schleichenden Barbarei überschwemmt zu werden:

–   Die Ausbreitung von lokalen und regionalen Kriegen könnte ganze Gebiete des Planeten verwüsten und somit das Proletariat jener Regionen unfähig machen, weiter zum Klassenkampf beizutragen. Dies betrifft sehr deutlich die extrem gefährliche Rivalität zwischen den beiden grossen Nuklearmächten auf dem indischen Subkontinent; aber es trifft ebenso auf die Spirale der militärischen Abenteuer der USA zu. Trotz ihrer Absicht, eine neue Weltordnung unter Aufsicht von Uncle Sam zu schaffen, hat jeder ihrer Kriege das Chaos und die Zersplitterung nur vermehrt, und die historische Krise der US-Führungsrolle hat an Tiefe und Schärfe nur zugenommen. Der Irak liefert heute einen klaren Beweis dafür; ohne auch nur den Anschein eines Wiederaufbaus im Irak zu erwecken, werden die USA zu neuen Angriffen gegen Syrien und den Iran getrieben. Diese Perspektive wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die US-Diplomatie in jüngster Zeit versucht hat, in Bezug auf Länder wie Syrien, Iran und Irak „Brücken zu Europa zu schlagen“. Im Gegenteil: Die gegenwärtige Krise im Libanon ist ein klarer Beweis dafür, dass die USA keine Verzögerung hinnehmen können bei ihrem Versuch, eine vollständige Kontrolle über den Nahen und Mittleren Osten zu erreichen. Dieses Bestreben kann aber die imperialistischen Spannungen auf der ganzen Welt nur noch weiter verschärfen, da keiner der Hauptrivalen der USA es zulassen kann,  dass diese in dieser strategisch lebenswichtigen Zone freie Hand haben. Diese Perspektive wird ebenfalls durch die zunehmend dreiste Intervention gegen den russischen Einfluss in den Ländern der ehemaligen UdSSR (Georgien, Ukraine, Kirgisien) und durch die grossen Differenzen hinsichtlich der Waffenlieferung an China bestätigt. Zu einer Zeit, wo China seine wachsenden imperialistischen Ambitionen untermauert, indem es seine Faust gegenüber Taiwan ballt, und dadurch Spannungen mit Japan entfacht, stehen Deutschland und Frankreich an vorderster Stelle bei den Versuchen, das gegenüber China nach dem Massaker auf dem Tienanmen-Platz verhängte Waffenembargo aufzuheben.

–   Die gegenwärtige Periode ist nicht nur auf der Ebene der imperialistischen Rivalitäten, sondern auch im Herzen der Gesellschaft von der Philosophie des „Jeder-für-sich“ gekennzeichnet. Die Beschleunigung der gesellschaftlichen Atomisierung und der ganze ideologische Dreck, den diese Philosophie mit sich führt (Gangstertum, die Flucht in den Selbstmord, in die Irrationalität und Verzweiflung), gehen mit der Gefahr einher, die Fähigkeit der Arbeiterklasse dauerhaft zu untergraben, ihre Klassenidentität und so ihre grossartige Klassenperspektive einer anderen Welt wiederzuerlangen, die nicht auf der gesellschaftlichen Auflösung beruht, sondern auf einer wahrhaften Gemeinschaft und Solidarität. 

–   Neben der Bedrohung durch imperialistische Kriege hat die Aufrechterhaltung einer kapitalistischen Produktionsweise, die schon längst ihr Verfallsdatum überschritten hat, eine neue Bedrohung offenbart, eine, die gleichermassen in der Lage ist, die Möglichkeit eines neuen und menschlichen Projektes zu zerstören: die wachsende Bedrohung für die globale Umwelt. Obwohl eine wissenschaftliche Konferenz nach der anderen vor der steigenden Gefahr insbesondere durch die globale Erwärmung warnt, zeigt sich die Bourgeoisie völlig unfähig, auch nur die geringsten Massnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Der Tsunami in Südostasien zeigte den Widerwillen der Bourgeoisie, auch nur einen Finger zu rühren, um die Gattung Mensch vor  der verheerenden  Kraft der unkontrollierten Natur zu schützen; die vorhergesagten Folgen der globalen Erwärmung wären weitaus zerstörerischer und weitreichender. Darüber hinaus ist es äusserst schwierig für die Mehrheit des Proletariats, die Umweltzerstörungen als einen Anlass zu betrachten, um gegen das kapitalistische System zu kämpfen, weil die schlimmsten Konsequenzen noch immer weit entfernt zu sein scheinen.

 

7. Aus all diesen Gründen ist es gerechtfertigt, wenn Marxisten nicht nur zum Schluss kommen, dass die Wahl zwischen Sozialismus oder  Barbarei heute so gültig ist wie 1916, sondern auch wenn sie sagen, dass die wachsende Intensität der Barbarei heute die Grundlagen des Sozialismus unterminieren könnte. Sie haben nicht nur Recht, wenn sie sagen, dass der Kapitalismus schon lange eine geschichtlich überholte Gesellschaftsform ist, sondern auch wenn sie den Schluss ziehen, dass seine Niedergangsphase, die mit dem Ersten Weltkrieg begann, heute in ihre Endphase getreten ist, in die Phase des Zerfalls. Es handelt sich nicht um die Verwesung eines Organismus, der schon tot ist; der Kapitalismus verrottet bei lebendigem Leib. Er geht durch einen langen und schmerzhaften Todeskampf, und in seinen Todeszuckungen droht er, die ganze Menschheit mit in den Abgrund zu reissen.

Die Krise

8. Die Kapitalistenklasse kann der Menschheit keine Zukunft mehr anbieten. Sie ist durch die Geschichte bereits verurteilt worden. Und genau aus diesem Grund muss sie alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um dieses Urteil zu verheimlichen und zu bestreiten, um die marxistische Vorhersage zu entwerten, wonach der Kapitalismus wie schon die früheren Produktionsweisen dazu verurteilt ist, dekadent zu werden und zu verschwinden. Die Bourgeoisie hat deshalb eine Reihe von ideologischen Antikörpern entwickelt, die alle danach streben, diese grundlegende Schlussfolgerung der historisch-materialistischen Methode zu widerlegen:

–   Noch bevor die Epoche des Niedergangs wirklich begann, fing der revisionistische Flügel der Sozialdemokratie an, Marxens „katastrophistische“ Sichtweise zu bestreiten und zu argumentieren, dass der Kapitalismus unendlich lange weiter bestehen könnte und dass infolgedessen der Sozialismus nicht mittels revolutionärer Gewalt, sondern durch einen Prozess der ruhigen demokratischen Veränderung kommen würde.

–   In den zwanziger Jahren verleitete die erstaunliche Rate des industriellen Wachstums in den USA den „genialen“ Calvin Coolidge dazu, den Triumph des Kapitalismus zu verkünden – am Vorabend des grossen Krachs von 1929.

–   Während der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg erklärten bürgerliche Führer wie Macmillan den Arbeitern, sie hätten es „noch nie so gut“ gehabt; Soziologen spintisierten über die „Konsumgesellschaft“ und über die „Verbürgerlichung“ der Arbeiterklasse, während Radikale wie Marcuse „neue Avantgarden“ suchten, die die apathischen Proletarier ablösen sollten. 

–   Seit 1989 haben wir eine reale Überproduktionskrise der neuen Theorien erlebt, die darauf abzielen, zu erklären, wie anders heute alles sei und wie alles, was Marx dachte, widerlegt worden sei: das Ende der Geschichte, der Tod des Kommunismus, das Ende der Arbeiterklasse, die Globalisierung, die Mikroprozessor-Revolution, die Internet-Wirtschaft, der Aufstieg der neuen wirtschaftlichen Riesen im Mittleren und Fernen Osten, unter denen die neusten China und Indien sind. Diese Ideen sind so aufdringlich, dass sie eine ganze neue Generation von Leuten angesteckt haben, die sich die Frage stellen, welche Zukunft der Kapitalismus dem Planeten anzubieten hat, und – was noch besorgniserregender ist – selbst von Teilen der Kommunistischen Linken aufgegriffen worden sind.

Kurz gesagt, muss der Marxismus immer wieder gegen alle ankämpfen, die bei jedem geringsten Lebenszeichen im kapitalistischen System zu argumentieren beginnen, dass es eine leuchtende Zukunft vor sich habe. Aber der Marxismus, der entgegen diesen Kapitulationen vor dem unmittelbaren Schein an der langfristigen und historischen Sichtweise festgehalten hat, ist in seinem Kampf auch immer wieder durch die harten Schläge der historischen Bewegung unterstützt worden: 

–   Der selige „Optimismus“ der Revisionisten wurde durch die wirklich katastrophalen Ereignisse von 1914–1918 und durch die revolutionäre Antwort der Arbeiterklasse darauf zerschlagen.

–   Calvin Coolidge & Co. wurden hart vor die Realität der tiefsten Wirtschaftskrise in der Geschichte des Kapitalismus gestellt, welche die unzweideutige Katastrophe des zweiten imperialistischen Weltkrieges nach sich zog.

–   Diejenigen, die erklärten, die Wirtschaftskrise sei eine Sache der Vergangenheit gewesen, wurden durch die Rückkehr der Krise Ende der 60er Jahre widerlegt; und das internationale Wiederaufleben der Arbeiterkämpfe in Erwiderung auf diese Krise erschwerte es ungemein, an der Legende festzuhalten, wonach die Arbeiterklasse mit der Bourgeoisie eins geworden sei.

Die gegenwärtige Schwemme von Theorien über einen „Neuen Kapitalismus“, „die postindustrielle Gesellschaft“ und dergleichen sind ebenso hinfällig. Bereits sind eine Anzahl von Schlüsselelementen dieser Ideologie durch die gnadenlose Entwicklung der Krise blossgestellt worden: die in die asiatischen Tiger und Drachen gesetzten Hoffnungen lösten sich durch das plötzliche Abgleiten dieser Länder im Jahre 1997 in Luft auf; die Dot.com-Revolution entlarvte sich als ein Trugbild, kaum war sie verkündet worden; die „neuen Industrien“, die um Computer und Kommunikationen aufgebaut wurden, erwiesen sich ebenso anfällig für Rezessionen wie die „alten Industrien“, beispielsweise die Stahlproduktion und der Schiffbau. Und obwohl sie immer wieder totgesagt worden ist, erhebt die Arbeiterklasse weiterhin ihren Kopf wie zum Beispiel 2003 in den Bewegungen in Österreich und Frankreich oder 2004 in den Kämpfen in Spanien, Grossbritannien und Deutschland. 

 

9. Es wäre dennoch ein Fehler, die Wirkungen dieser Ideologien in der gegenwärtigen Periode zu unterschätzen, denn sie beruhen wie alle Mystifikationen auf einer Reihe von Halbwahrheiten, beispielsweise:

–   Angesichts der Überproduktionskrise und der unbarmherzigen Anforderungen der Konkurrenz hat der Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten mitten in den wichtigsten Zentren seines Systems grosse industrielle Wüsten geschaffen und Millionen von Arbeitern entweder in andauernde Arbeitslosigkeit oder in unproduktive, schlecht bezahlte Jobs im Dienstleistungssektor geworfen; aus dem gleichen Grund hat er grosse Mengen der industriellen Arbeitsplätze in die Niedriglohnzonen der „Dritten Welt“ verlagert. Viele traditionelle Sektoren der industriellen Arbeiterklasse sind durch diesen Prozess dezimiert worden, was die Schwierigkeiten des Proletariats vergrössert hat, seine Klassenidentität zu erhalten.

–   Die Entwicklung der neuen Technologien ermöglichte es, sowohl den Ausbeutungsgrad wie auch die Geschwindigkeit der Zirkulation von Kapital und Waren weltweit zu erhöhen.

–   Der Rückfluss im Klassenkampf in den letzten zwei Jahrzehnten erschwerte es der neuen Generation, die Arbeiterklasse als das einzige Subjekt der gesellschaftlichen Änderung wahrzunehmen.

–   Die Kapitalistenklasse zeigte eine bemerkenswerte Fähigkeit, die Krise ihres Systems zu „handhaben“, indem sie die Gesetze seiner Funktionsweise manipulierte und sogar entstellte.

Andere Beispiele könnten erwähnt werden. Aber keines von ihnen stellt die grundsätzliche Altersschwäche des kapitalistischen Systems in Frage. 

 

10. Die Dekadenz des Kapitalismus bedeutete nie einen endgültigen und brutalen Kollaps des Systems, wie einige Genossen aus dem deutschen Linkskommunismus in den 20er Jahren vorhersagten. Auch nicht einen totalen Stopp in der Entwicklung der Produktivkräfte, wie Trotzki in den 30er Jahren fälschlicherweise dachte. Wie schon Marx bemerkt hatte, zeigt sich die herrschende Klasse in Zeiten der Krise als sehr intelligent, und sie kann aus ihren Fehlern lernen. Die 20er Jahre waren die letzte Periode, in der die Bourgeoisie noch daran glaubte zum Liberalismus und zur „Laisser-faire“-Politik des 19. Jahrhunderts zurückkehren zu können. Und dies aus dem simplen Grund, weil der Erste Weltkrieg, der zwar an sich ein Produkt der ökonomischen Widersprüche des Systems war, ausbrach, bevor sich diese Widersprüche auf einer „rein“ ökonomischen Ebene entfalten konnten. Die Krise von 1929 war die erste Weltwirtschaftskrise in der Periode der Dekadenz des Kapitalismus. Und mit dieser gewonnenen Erfahrung erkannte die herrschende Klasse die Notwendigkeit zu einer grundlegenden Veränderung. Trotz vorgeschützter ideologischer Vorbehalte zweifelte keine ernsthafte Fraktion der herrschenden Klasse mehr daran, dass der Staat die generelle Kontrolle über die Wirtschaft übernehmen sollte; die Notwendigkeit zur Abschaffung jeglichen „Zahlengleichgewichts“ zugunsten von Verschuldung und zahlreichen Finanzschiebereien; die Notwendigkeit, einen enormen Rüstungssektors im Zentrum der Wirtschaft aufrecht zu erhalten. Aus demselben Grund gab sich der Kapitalismus später alle Mittel, um die wirtschaftliche Autarkie der 30er Jahre zu verhindern. Trotz steigender Tendenz hin zum Wirtschaftskrieg und zum Zusammenbrechen von internationalen Institutionen aus der Zeit der beiden grossen Blöcke haben diese Institutionen mehrheitlich überlebt, weil die grössten kapitalistischen Mächte die Notwendigkeit verstanden haben, der ökonomischen Konkurrenz unter den verschiedenen nationalen Kapitalen gewisse Grenzen zu setzen.

Der Kapitalismus erhält sich durch die bewusste Intervention der Bourgeoisie am Leben, die es sich nicht länger leisten kann, der unsichtbaren Hand des Marktes zu trauen. Doch die Lösungen werden auch zu Problemen:

–   Die zunehmende Verschuldung produziert einen Berg von Problemen für die Zukunft;

–   das Aufblähen des Staates und des Rüstungssektors erzeugt einen enormen inflationären Druck.

Seit den 70er Jahren haben diese Probleme zu verschiedenen Wirtschaftsstrategien geführt, die abwechslungsweise auf den „Keynesianismus“ und den „Neo-Liberalismus“ setzten, doch keine kann die bestehenden Probleme in den Griff bekommen, geschweige denn eine endgültige Lösung herbeiführen. Bemerkenswert ist jedoch die Entschlossenheit der Bourgeoisie, ihre Wirtschaft um jeden Preis am Leben zu erhalten und ihre Fähigkeit, die Tendenz zum Zusammenbruch durch eine gigantische Verschuldung zu bremsen. Während der 90er Jahre war die US-amerikanische Wirtschaft wegweisend für diese Richtung. Heute, da dieses künstliche „Wachstum“ eingebrochen ist, ist die chinesische Bourgeoisie an der Reihe, die Welt zu überraschen: In Anbetracht der Unfähigkeit der ehemaligen UdSSR und der anderen stalinistischen Staaten Osteuropas, politisch die Notwendigkeit von wirtschaftlichen Reformen zu verstehen, hat es die chinesische Bürokratie (das Aushängeschild des gegenwärtigen „Booms“) fertig gebracht, sich über Wasser zu halten. Gewisse Kritiker der Dekadenzauffassung weisen auf dieses Phänomen hin und wollen damit beweisen, dass das kapitalistische System immer noch in der Lage sei, sich zu entwickeln und ein reelles Wachstum hervorzubringen.

In Tat und Wahrheit aber stellt der gegenwärtige chinesische „Boom“ keineswegs den generellen Niedergang der kapitalistischen Weltwirtschaft in Frage. In Gegensatz zur aufsteigenden Phase des Kapitalismus:

–   ist das industrielle Wachstum in China nicht Teil eines globalen Ausdehnungsprozesses; im Gegenteil, es hat einen direkten Zusammenhang mit der Desindustrialisierung und Stagnation der entwickeltsten Ökonomien, welche sich auf der Suche nach billigen Lohnkosten nach China ausgelagert haben;

–   hat die chinesische Arbeiterklasse nicht die Perspektive eines stetigen Anstieges des Lebensstandarts, vielmehr ist sie enormen Angriffen auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt und mit einer zunehmenden Verarmung von grossen Teilen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft ausserhalb der grössten Boom-Zonen konfrontiert;

–   ist das frenetische Wachstum nicht Teil einer globalen Expansion des Weltmarktes, sondern Teil der vertieften Überproduktionskrise: Wegen der beschränkten Konsumptionskraft der chinesischen Massen ist der Grossteil der Produktion auf den Export in die höchstentwickelten kapitalistischen Staaten ausgerichtet;

–   ist die grundlegende Irrationalität der wachsenden chinesischen Wirtschaft ersichtlich durch die grauenhafte Verschmutzung der Umwelt – ein Zeichen dafür, dass der Planet zerstört wird durch den Druck, der auf jeder Nation lastet, ihre natürlichen Ressourcen bis zum Limit auszubeuten, nur um auf dem Weltmarkt bestehen zu können;

–   basiert das chinesische Wachstum, gleich wie das ganze System, lediglich auf einem Schuldenberg, welcher niemals durch eine tatsächliches Wachstum des Weltmarktes wieder wett gemacht werden kann.

Die Bourgeoisie ist sich der Zerbrechlichkeit solcher Wachstumsschübe wohl bewusst und durch die chinesische Blase alarmiert. Dies natürlich nicht wegen der schrecklichen Ausbeutung auf der sie beruht – im Gegenteil ist dies ja genau das, was China für Investitionen so attraktiv macht – sondern weil die Weltwirtschaft allzu abhängig wird vom chinesischen Markt und weil die Folgen eines chinesischen Kollapses allzu katastrophal wären, nicht nur für China, das damit in die Anarchie der 30er Jahre zurückgeworfen würde, sondern für die Weltwirtschaft als Ganzes.

 

11. Das Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft widerlegt nicht die Realität der Dekadenz, sondern bestätigt sie im Gegenteil. Dieses Wachstum hat nichts Gemeinsames mit den Akkumulationszyklen im 19. Jahrhundert, welche auf einer realen Expansion der Produktion in die peripheren Zonen beruhte, auf der Suche nach neuen, ausserkapitalistischen Absatzmärkten. Es ist wahr, dass die Dekadenz begann, bevor diese Märkte ausgeschöpft waren und bevor sich der Kapitalismus solche übrig gebliebenen wirtschaftlichen Gebiete durch Produktionsauslagerungen maximal zu Nutzen machte. Das Wachstum in Russland während der 30er Jahre und die Integration der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft in der Wiederaufbauperiode nach dem Zweiten Weltkrieg sind Beispiele dafür. Doch der vorherrschende Trend in der gesamten Epoche der Dekadenz ist die Bildung von künstlichen Märkten, welche auf Verschuldung aufbauen.

Es ist heute offensichtlich, dass die frenetische „Konsumption“ der letzten zwei Jahrzehnte ausschliesslich auf einer Verschuldung der Haushalte basierte: eine Billion Pfund in Grossbritannien, 25% des Bruttosozialproduktes in den USA, während die Regierungen eine solche Verschuldung nicht nur anheizen, sondern sie auf einer höheren Ebene auch selber betreiben.

 

12. In einem gewissen Sinne ist das heutige Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft das, was Marx als das „Wachstum im Niedergang“ bezeichnete (Grundrisse): es ist der Hauptfaktor in der weltweiten Umweltzerstörung. Das unkontrollierbare Niveau an Verschmutzung in China, der riesige Anteil der USA am Ausstoss von Treibhausgasen, die brutale Abholzung von noch bestehenden Regenwäldern... je mehr der Kapitalismus „wächst“, desto mehr wird klar, dass er nicht die geringste Lösung für die ökologische Krise hat. Diese kann nur gelöst werden, wenn die Menschheit auf einer neuen Grundlage produziert, „einem Lebensplan für die menschliche Gattung“ (Bordiga), in Einklang mit der Natur.

 

13. Sei es ein „Boom“ oder eine „Rezession“, die Realität ist dieselbe: Der Kapitalismus kann sich nicht mehr länger von selbst erholen. Es gibt keinen natürlichen Akkumulationszyklus mehr. In der ersten Phase der Dekadenz zwischen 1914 und 1968 ersetzte der Zyklus von Krise – Krieg – Wiederaufbau den alten Zyklus von Expansion und Rückfluss. Doch die GCF (Französische Kommunistische Linke) hatte Recht, als sie 1945 behauptete, dass es keine automatische Tendenz zum Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Weltkrieges gab. Was die amerikanische Bourgeoisie dazu brachte, die europäische und japanische Wirtschaft mit dem Marshall-Plan wieder zu beleben, war ihr Bedürfnis, sich diese Zonen der eigenen imperialistischen Einflusssphäre unterzuordnen und zu verhindern, dass diese Länder in die Hände des rivalisierenden Blocks fallen könnten. Der grösste wirtschaftliche „Boom“ des 20. Jahrhunderts war vor allem Resultat der imperialistischen Konkurrenz.

 

14. In der Dekadenz treiben die ökonomischen Widersprüche den Kapitalismus in den Krieg, doch der Krieg kann diese Widersprüche nicht lösen. Im Gegenteil vertieft er sie. Auf jeden Fall ist der Zyklus von Krise – Krieg – Wiederaufbau heute vorüber, und die heutige Krise, unfähig sich in einem Weltkrieg zu entladen, ist der Hauptfaktor beim Zerfall dieses Systems. Sie führt das System in die Selbstzerstörung.

 

15. Die Sichtweise, dass der Kapitalismus ein dekadentes System ist, wurde oft als fatalistische Auffassung kritisiert – als Idee eines automatischen Zusammenbruchs und einer spontanen Überwindung durch die Arbeiterklasse, welche die Notwendigkeit der Arbeit einer revolutionären Organisation verneinen würde. Doch die herrschende Klasse hat bewiesen, dass sie ihr System nicht ökonomisch zusammenbrechen lässt. Aber der Kapitalismus wird sich durch seine eigene Dynamik durch Kriege und andere Desaster selber zerstören. In diesem Sinne ist er tatsächlich dazu „bestimmt“ zu verschwinden. Doch die Antwort der Arbeiterklasse ist alles andere als fatalistisch. So formulierte es Rosa Luxemburg 1916 in der Einleitung der schon oben zitierten Juniusbroschüre: „Der Sozialismus ist die erste Volksbewegung der Weltgeschichte, die sich zum Ziel setzt und von der Geschichte berufen ist, in das gesellschaftliche Tun der Menschen einen bewussten Sinn, einen planmässigen Gedanken und damit den freien Willen hineinzutragen. Darum nennt Friedrich Engels den endgültigen Sieg des sozialistischen Proletariats einen Sprung der Menschheit aus dem Tierreich in das Reich der Freiheit. Auch dieser „Sprung“ ist an eherne Gesetze der Geschichte, an tausend Sprossen einer vorherigen qualvollen und allzu langsamen Entwicklung gebunden. Aber er kann nimmermehr vollbracht werden, wenn aus all dem von der Entwicklung zusammengetragenen Stoff der materiellen Vorbedingungen nicht der zündende Funke des bewussten Willens der grossen Volksmasse aufspringt. Der Sieg des Sozialismus wird nicht wie ein Fatum vom Himmel herabfallen. Er kann nur durch eine lange Kette gewaltiger Kraftproben zwischen den alten und neuen Mächten erkämpft werden, Kraftproben, in denen das internationale Proletariat unter der Führung der Sozialdemokratie lernt und versucht, seine Geschicke in die eigene Hand zu nehmen, sich des Steuers des gesellschaftlichen Lebens zu bemächtigen, aus einem willenlosen Spielball der eigenen Geschichte zu ihrem zielklaren Lenker zu werden.“

Der Kommunismus wird die erste Gesellschaft sein, in welcher der Mensch über eine bewusste Kontrolle seiner Produktivkräfte verfügt. Und deshalb gibt es im Kampf der Arbeiterklasse keine Trennung zwischen Zielen und Mitteln, die Bewegung hin zum Kommunismus kann nur eine „bewusste Bewegung der grossen Mehrheit“ sein (Kommunistisches Manifest): Die Vertiefung und Ausbreitung des Klassenbewusstseins ist unverzichtbar für den Erfolg der Revolution und die endgültige Überwindung des Kapitalismus. Dieser Prozess ist von Natur aus sehr schwierig, ungradlinig und heterogen, denn er ist das Produkt einer ausgebeuteten Klasse, welche in der alten Gesellschaft über keine ökonomische Macht verfügt und ständig der ideologischen Dominanz und den Manipulationen der herrschenden Klasse ausgesetzt ist. Keinesfalls gibt es eine Garantie: Im Gegenteil besteht die reale Gefahr, dass die Arbeiterklasse angesichts der immensen Aufgaben ihre historische Verantwortung nicht durchsetzen kann. Dies hätte für die gesamte Menschheit schreckliche Konsequenzen.

Der Klassenkampf

16. Der höchste bisher erreichte Stand des Klassenbewusstseins war der Aufstand vom Oktober 1917. Dies wurde durch die Geschichtsschreibung der Bourgeoisie und all ihre blassen anarchistischen und anderweitig verwandten ideologischen Abklatsche verleugnet, für die der Oktober lediglich ein Putsch machthungriger Bolschewiki gewesen sein soll. Doch der Oktober stellte die grundlegende Erkenntnis für die Arbeiterklasse dar, dass für die Menschheit kein Weg an einer weltweiten Revolution vorbeiführt. Dennoch erfasste dieses Verständnis das Proletariat nicht in genügender Tiefe und Ausdehnung. Die Revolution scheiterte, weil die Weltarbeiterklasse vor allem in Europa unfähig war, ein umfassendes politisches Verständnis zu entwickeln, welches ihr erlaubt hätte, eine angemessene Antwort auf die Aufgaben der neuen Epoche von Kriegen und Revolutionen zu geben, die 1914 angebrochen war. Resultat davon war ab Ende der 20er Jahre der längste und tiefgreifendste Rückschritt, den die Arbeiterklasse in ihrer Geschichte kannte. Dies nicht hauptsächlich auf der Ebene der Kampfbereitschaft, denn die 30er und 40er Jahre erlebten punktuelle Ausbrüche der Kampfbereitschaft der Klasse, sondern vielmehr auf der Ebene des Bewusstseins. Die Arbeiterklasse liess sich aktiv in die antifaschistischen Kampagnen der Bourgeoisie einbinden, so in Spanien zwischen 1936 und 1939, in Frankreich 1936, und in die Verteidigung der Demokratie und des „sozialistischen Vaterlandes“ während dem Zweiten Weltkrieg. Dieser tiefgreifende Rückschritt im Bewusstsein drückte sich durch ein fast totales Verschwinden revolutionärer Minderheiten während den 50er Jahren aus.

 

17. Das historische Wiederaufbrechen von Kämpfen 1968 zeigte erneut die langfristige Perspektive einer proletarischen Revolution. Doch dies war nur einer kleinen Minderheit der Klasse bewusst, und es drückte sich durch die Wiedergeburt einer internationalen revolutionären Bewegung aus. Die Kampfwellen zwischen 1968 und 1989 stellten bedeutende Fortschritt auf der Ebene des Bewusstseins dar, doch sie tendierten alle dazu, auf den unmittelbaren Kampf ausgerichtet zu sein (die Fragen der Ausbreitung und Organisierung, usw.). Ihr schwächster Punkt war der Mangel an politischer Tiefe, allem voran eine Politikfeindlichkeit, die Resultat der stalinistischen Konterrevolution war. Auf der politischen Ebene war die Bourgeoisie weitgehend fähig, den Takt anzugeben, erst durch das Vorgaukeln einer möglichen Veränderung durch das Einsetzen von linken Regierungen in den 70er Jahren, dann durch eine Sabotage der Kämpfe von innen her, durch eine Linke in der Opposition in den 80er Jahren. Auch wenn die Kampfwellen von 1968 bis 1989 fähig waren, den Kurs Richtung Weltkrieg zu verhindern, so begünstigten ihre Schwächen in einer historischen und politischen Dimension den Übergang zur Phase des Zerfalls des Kapitalismus. Das historische Ereignis, welches diesen Übergang kennzeichnete – der Zusammenbruch des Ostblocks – war einerseits Resultat des Zerfalls, und andererseits ein Faktor seiner Beschleunigung. Die dramatischen Veränderungen Ende der 80er Jahre waren gleichzeitig Produkt der politischen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse und – da sie eine Propagandawelle über das Ende des Kommunismus und des Klassenkampfes erlaubten – ein Schlüsselelement eines ernsthaften Rückflusses im Klassenbewusstsein – bis zum Punkt, an dem die Arbeiterklasse selbst ihre grundlegende Klassenidentität aus den Augen verlor. Die Bourgeoisie deklarierte ihren endgültigen Sieg über die Arbeiterklasse, und diese war bis heute nicht fähig, eine wirklich ausreichende Antwort darauf zu geben, um dies zu widerlegen.      

18. Trotz all ihrer Schwierigkeiten bedeutete die Rückzugsperiode keineswegs das „Ende des Klassenkampfes“. Die 1990er Jahre waren durchsetzt mit einer ganzen Anzahl von Bewegungen, die zeigten, dass die Arbeiterklasse immer noch über unversehrte Reserven an Kampfbereitschaft verfügte (beispielsweise 1992 und 1997). Doch stellte keine dieser Bewegungen eine wirkliche Änderung auf der Ebene des Klassenbewusstseins dar. Deshalb sind die jüngeren Bewegungen so wichtig; auch wenn es ihnen am spektakulären und sofortigen Einfluss mangelt, den diejenige von 1968 in Frankreich hatte, sind sie doch ein Wendepunkt im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen. Die Kämpfe von 2003–2005 wiesen die folgenden wesentlichen Eigenschaften auf:

–   Sie bezogen bedeutende Sektoren der Arbeiterklasse in Ländern im Zentrum des weltumspannenden Kapitalismus mit ein (wie in Frankreich 2003);

–   sie traten mit Sorgen auf, die ausdrücklicher auch politische Fragen in den Vordergrund stellten;

–   zum ersten Mal seit der revolutionären Welle stand Deutschland wieder als Schwerpunkt der Arbeiterkämpfe da;

–   die Frage der Klassensolidarität wurde nun breiter und ausdrücklicher aufgeworfen denn je in den Kämpfen der 80er Jahre, insbesondere in den jüngsten Bewegungen in Deutschland;

–   sie wurden begleitet vom Auftauchen einer neuen Generation von Leuten, die nach politischer Klarheit suchen. Diese neue Generation hat sich einerseits im Auftreten von offen politisierten Leuten gezeigt, andererseits in neuen Schichten von Arbeitern, die zum ersten Mal in den Kampf getreten sind. Wie bestimmte wichtige Demonstrationen bewiesen haben, wird das Fundament gelegt für die Einheit zwischen der neuen Generation und derjenigen „von 68“ – sowohl der politischen Minderheit, welche die kommunistische Bewegung in den 60er und 70er Jahren aufgebaut hat, als auch den breiteren Schichten der Arbeiter, welche die reiche Erfahrung der Klassenkämpfe zwischen 68 und 89 in sich tragen.

 

19. Die unterirdische Reifung des Bewusstseins, die von den empiristischen Fälschern des Marxismus geleugnet werden, die nur die Oberfläche der Wirklichkeit sehen und nicht ihre tieferen, grundlegenden Tendenzen, ist nicht vom allgemeinen Rückfluss im Bewusstsein seit 1989 aufgehoben worden. Es ist ein Merkmal dieses Prozesses, dass er lediglich in einer Minderheit manifest wird. Doch das Wachstum dieser Minderheit ist Ausdruck der fortschreitenden Weiterentwicklung eines breiteren Phänomens in der Klasse. Bereits nach 1989 sahen wir eine kleine Minderheit von politisierten Elementen, welche die bürgerliche Kampagne über den „Tod des Kommunismus“ in Frage stellten. Diese Minderheit ist nun von einer neuen Generation verstärkt worden, die sich mit der ganzen Richtung der bürgerlichen Gesellschaft kritisch auseinandersetzt. Auf allgemeiner Ebene drückt dies den ungeschlagenen Zustand des Proletariats, die Aufrechterhaltung des historischen Kurses zu massiven Klassenkonfrontationen aus, der 1968 eröffnet worden war. Doch auf einer spezifischeren Ebene sind die „Wende“ von 2003 und das Auftreten einer neuen Generation von suchenden Elementen Beweis dafür, dass das Proletariat am Anfang eines zweiten Anlaufs steht, das kapitalistische System zu stürmen, nach dem Scheitern des ersten Versuchs von 1968 bis 1989. Obgleich sich das Proletariat im Alltag mit der scheinbar selbstverständlichen Aufgabe auseinandersetzen muss, sich seiner Klassenidentität wieder zu bemächtigen, liegt hinter diesem Problem auch die Aussicht auf eine viel engere Verknüpfung des unmittelbaren Kampfes mit dem politischen Kampf. Die Fragen, die von den Kämpfen in der Zerfallsphase aufgeworfen werden, scheinen immer abstrakter zu werden, doch tatsächlich drehen sie sich um allgemeinere Fragen wie die Notwendigkeit einer Klassensolidarität gegen die allgegenwärtige Atomisierung, die Angriffe auf den gesellschaftlichen Lohn, die Omnipräsenz des Krieges, die Bedrohung der natürlichen Umwelt des Planeten – kurz: um die Frage, was die Zukunft für diese Gesellschaft bereithält und somit um die Frage einer anderen Art von Gesellschaft.

 

20. Innerhalb dieses Prozesses der Politisierung sind zwei Elemente, die bis jetzt eine eher hemmende Wirkung auf den Klassenkampf ausübten, dazu bestimmt, zu einer immer wichtigeren Stimulans der künftigen Bewegungen zu werden: die Frage der Massenarbeitslosigkeit und die Frage des Krieges.

Während der Kämpfe der 1980er Jahre, als die Massenarbeitslosigkeit immer unübersehbarer wurde, erlangte weder der Kampf der beschäftigten Arbeiter gegen drohende Entlassungen noch der Widerstand der Arbeitslosen auf den Strassen ein bedeutsames Ausmass. Es gab keine Bewegung von Arbeitslosen, die an das Niveau heranreichte, das in den 30er Jahren erreicht worden war, obwohl diese Zeit eine Periode der tiefen Niederlage der Arbeiterklasse gewesen war. In den Rezessionen der 80er Jahre sahen sich die Arbeitslosen einer fürchterlichen Atomisierung gegenüber; insbesondere grosse Teile der jüngeren Generation von Proletariern hatte nie die Erfahrung des kollektiven Arbeitens und Kämpfens gemacht. Und wenn beschäftigte Arbeiter weitreichende Kämpfe gegen Entlassungen ausfochten, wie in der britischen Bergbauindustrie, dann wurde der negative Ausgang dieser Bewegungen von der herrschenden Klasse benutzt, um Gefühle der Passivität und Hoffnungslosigkeit zu verstärken, was kürzlich durch die Reaktion auf den Bankrott von Rover demonstriert wurde, als den Arbeitern als einzige „Wahl“ jene zwischen der einen oder anderen Führungsriege präsentiert wurde, um das Unternehmen am Leben zu erhalten. Dennoch ist angesichts der Verengung des Manöverspielraums für die Bourgeoisie und ihrer wachsenden Unfähigkeit, den Arbeitslosen auch nur ein Minimum an Unterstützung zu gewähren, die Frage der Arbeitslosigkeit darauf angelegt, eine weitaus subversivere Seite zu entwickeln, indem sie die Solidarität zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen erleichtert und die Klasse insgesamt dazu drängt, tiefer und aktiver über den Bankrott des Systems nachzudenken.

Dieselbe Dynamik kann an der Frage des Krieges beobachtet werden. In den frühen 90er Jahren bewirkten die ersten grossen Kriege in der Zerfallsphase (Golf, Balkan), dass das Gefühl der Machtlosigkeit gestärkt wurde, welches uns durch die Kampagnen rund um den Zusammenbruch des Ostblocks eingeimpft worden war, während der Vorwand der „humanitären Intervention“ in Afrika und auf dem Balkan noch immer den Anschein von Glaubwürdigkeit erwecken konnte. Seit 2001 und dem „Krieg gegen den Terrorismus“ wurde jedoch die Verlogenheit und Heuchelei bei der Rechtfertigung des Krieges durch die Bourgeoisie immer augenscheinlicher, auch wenn das Wachstum riesiger pazifistischer Bewegungen die politische Infragestellung, die dadurch provoziert worden war, grösstenteils verwässert hat. Darüber hinaus haben die jüngsten Kriege einen weitaus grösseren Einfluss auf die Arbeiterklasse, selbst wenn dies noch immer hauptsächlich auf jene Länder begrenzt geblieben ist, die in diesen Konflikten verwickelt sind. In den USA hat sich dies in der Zahl von Arbeiterfamilien manifestiert, die von Tod und Verwundung der Proletarier in Uniform, aber noch schwerwiegender von den furchteinflössenden ökonomischen Kosten der militärischen Abenteuer betroffen sind, die proportional zu den Kürzungen der gesellschaftlichen Löhne gestiegen sind. Und indem immer deutlicher wird, dass die militaristischen Tendenzen des Kapitalismus nicht nur eine ständig wachsende Spirale sind, sondern dazu noch eine, über die die herrschende Klasse immer weniger Kontrolle besitzt, wird das Problem des Krieges und seine Verbindung zur Krise auch zu einem weit tieferen und weiterreichenden Nachdenken darüber führen, was historisch auf dem Spiel steht.

 

21. Paradoxerweise ist die Brisanz dieser Fragen einer der Hauptgründe dafür, warum die aktuelle Wiederbelebung der Kämpfe so beschränkt und unspektakulär im Vergleich zu jenen Bewegungen ist, die das Wiedererscheinen des Proletariats Ende der 60er Jahre ausgezeichnet hatten. Angesichts der unermesslichen Probleme, wie die Weltwirtschaftskrise, die Zerstörung der globalen Umwelt oder die Spirale des Militarismus mag der tägliche Verteidigungskampf unbedeutend und ohnmächtig erscheinen. Und in einem gewissen Sinn reflektiert dies ein wirkliches Verständnis dafür, dass es keine Lösung für die Widersprüche gibt, die den Kapitalismus heute befallen haben. Doch während in den 70ern die Bourgeoisie eine ganze Palette an Mystifikationen über die Möglichkeiten eines besseren Lebens zur Auswahl hatte, erinnern die jüngsten Versuche der Bourgeoisie, vorzutäuschen, dass wir in einer Epoche des beispiellosen Wachstums und Wohlstands leben, immer mehr an die verzweifelten Versuche eines alten Mannes, den bald bevorstehenden Tod zu bestreiten. Die Dekadenz des Kapitalismus ist die Epoche der sozialen Revolution, weil die Kämpfe der Ausgebeuteten nicht mehr zu einer tatsächlichen Verbesserung ihrer Lebensbedingungen führen können. Und wie schwer es auch sein mag, von der Defensive in die Offensive überzugehen, die Arbeiterklasse wird keine andere Wahl haben, als diesen schwierigen und beängstigenden Sprung zu wagen. Und wie allen solchen qualitativen Sprüngen gehen auch ihm alle Arten von kleinen vorbereitenden Schritten voraus, von Streiks rund um die Brot-und-Butter-Frage bis hin zu winzigen Diskussionsgruppen überall auf dem Globus.

 

22. Angesichts der Perspektive einer Politisierung des Kampfes spielen revolutionäre politische Organisationen eine einmalige und unersetzliche Rolle. Leider hat die Kombination der wachsenden Auswirkungen des Zerfalls mit seit langer Zeit bestehenden theoretischen und organisatorischen Schwächen und dem Opportunismus in der Mehrheit der politischen Organisationen des Proletariats die Unfähigkeit dieser Gruppen enthüllt, sich der Herausforderung durch die Geschichte zu stellen. Dies wird am deutlichsten von der negativen Dynamik veranschaulicht, in der das IBRP schon seit geraumer Zeit gefangen ist. Nicht nur, dass das Büro total unfähig ist, die Bedeutung der neuen Phase des Zerfalls zu begreifen, schlimmer noch, solchen Schlüsselkonzepten wie jenem der Dekadenz des Kapitalismus den Rücken kehrt; noch viel katastrophaler ist seine Verhöhnung der grundlegenden Regeln der proletarischen Solidarität und Verhaltensweisen durch seinen Flirt mit dem Parasitismus und Abenteurertum. Diese Regression ist um so ernster, als nun die Voraussetzungen für den Aufbau der kommunistischen Weltpartei gelegt werden. Gleichzeitig wirft die Tatsache, dass die Gruppen des proletarischen Milieus sich selbst immer mehr aus dem Prozess ausschliessen, der zur Bildung der Klassenpartei führt, ein Schlaglicht auf die eminent wichtige Rolle, welche die IKS zwangsläufig in diesem Prozess ausüben muss. Es wird immer klarer, dass die künftige Partei nicht das Resultat einer „demokratischen“ Addition der verschiedenen Gruppen des Milieus sein wird, sondern dass die IKS bereits das Skelett der künftigen Partei bildet. Doch damit die Partei Wirklichkeit wird, muss sich die IKS als den Aufgaben gewachsen erweisen, die ihr durch die Entwicklung des Klassenkampfes und das Auftreten einer neuen Generation von suchenden Elementen aufgetragen werden.

 

IKS

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [1]

Theoretische Fragen: 

  • Krieg [2]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [3]

Bilanz des 16. Kongress der IKS: Sich auf den Klassenkampf und das Auftauchen neuer kommunistischer Kräfte vorbereiten

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Die IKS führte im letzten Frühjahr ihren 16. Kongress durch. „Der internationale Kongress ist das höchste Organ der IKS“, wie unsere Statuten sagen. Deshalb ist es wie immer nach solchen Ereignissen unsere Aufgabe, der Arbeiterklasse über diesen Kongress zu berichten und seine wichtigsten Orientierungen hervorzuheben.[1]

Die Arbeit dieses Kongresses drehte sich um die Analyse der Wiederbelebung des Kampfes der Arbeiterklasse und die entsprechende Verantwortung, vor die diese Entwicklung unsere Organisation stellt, insbesondere angesichts einer auftauchenden neuen Generation von Leuten, die sich einer revolutionären politischen Perspektive zuwenden.

Gleichzeitig setzt sich offensichtlich die Barbarei des Krieges fort in einer kapitalistischen Welt, die einer unüberwindlichen Wirtschaftskrise gegenübersteht; besondere Berichte über die Krise und die imperialistischen Konflikte wurden am Kongress diskutiert und verabschiedet. Die wesentlichen Elemente dieser Berichte sind in der Resolution zur internationalen Lage enthalten, die wir nachstehend auch veröffentlichen.

Diese Resolution ruft in Erinnerung, dass die gegenwärtige historische Periode nach der Analyse der IKS die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus ist, die Zerfallsphase, in der die bürgerliche Gesellschaft am lebendigen Leib verrottet. Wie wir bereits bei zahlreichen Gelegenheiten hervorgehoben haben, rührt dieser Zerfall daher, dass angesichts des unabwendbaren historischen Zusammenbruchs der kapitalistischen Wirtschaft keine der beiden sich gegenüberstehenden Klassen in der Gesellschaft, weder die Bourgeoisie noch das Proletariat, es schaffen, ihre eigene Antwort durchzusetzen: den Weltkrieg als Antwort der Bourgeoisie, die kommunistische Revolution als diejenige des Proletariats. Diese historischen Bedingungen bestimmen die wesentlichen Eigenschaften der heutigen bürgerlichen Gesellschaft. Insbesondere kann man nur mit diesem Rahmen der Analyse über den Zerfall die Fortdauer und Verschlimmerung einer ganzen Reihe von Plagen vollständig verstehen, die heute die Menschheit heimsuchen, wobei an erster Stelle die Kriegsbarbarei zu nennen ist, aber auch die unabwendbare Zerstörung der Umwelt oder die schrecklichen Folgen von Naturkatastrophen, wie des Tsunamis im letzten Winter. Die historischen Bedingungen, die der Zerfall nach sich zieht, stellen für das Proletariat eine ebenso schwere Last dar wie für seine revolutionären Organisationen, und sie sind eine der Hauptursachen der Schwierigkeiten, die unsere Klasse und unsere Organisation seit Beginn der 90er Jahre angetroffen haben, wie wir dies in früheren Artikeln bereits aufgezeigt haben.

 

Die Wiederbelebung des Klassenkampfes

 

Der 15. Kongress hatte festgestellt, dass die IKS die Krise überwunden hatte, die sie 2001 durchgemacht hatte, und zwar insbesondere deshalb, weil sie verstanden hatte, dass und wie diese Krise ein Ausdruck der schädlichen Effekte des Zerfalls war. Jener Kongress erkannte auch die Schwierigkeiten, die die Arbeiterklasse weiterhin in ihren Kämpfen gegen die Angriffe des Kapitals hatte – vor allem ihr Mangel an Selbstvertrauen.

Doch seit diesem Kongress, der im Frühjahr 2003 tagte, fand eine Änderung statt, wie dies an der Plenarsitzung des Zentralorgans der IKS im Herbst desselben Jahres unterstrichen wurde: „Die breiten Mobilisierungen vom Frühling 2003 in Frankreich und in Österreich stellen in den Klassenkämpfen seit 1989 einen Wendepunkt dar. Sie sind ein erster wichtiger Schritt in der Wiederaneignung der Kampfbereitschaft der Arbeiter nach der längsten Rückflussperiode seit 1968.“ (vgl. Internationale Revue Nr. 34).

Ein solcher Wendepunkt war für die IKS keine Überraschung, da diese Perspektive bereits am 15. Kongress angekündigt wurde. Die Resolution zur internationalen Lage, die der 16. Kongress verabschiedet hatte, präzisierte dies mit den folgenden Worten: „Die Kämpfe von 2003–2005 wiesen die folgenden wesentlichen Eigenschaften auf:

–   Sie bezogen bedeutende Sektoren der Arbeiterklasse in Ländern im Zentrum des weltumspannenden Kapitalismus mit ein (wie in Frankreich 2003);

–   sie traten mit Sorgen auf, die ausdrücklicher auch politische Fragen in den Vordergrund stellten;

–   zum ersten Mal seit der revolutionären Welle stand Deutschland wieder als Schwerpunkt der Arbeiterkämpfe da;

–   die Frage der Klassensolidarität wurde nun breiter und ausdrücklicher aufgeworfen denn je in den Kämpfen der 80er Jahre, insbesondere in den jüngsten Bewegungen in Deutschland.“

Diese Resolution des 16. Kongresses stellte auch fest, dass die unterschiedlichen Anzeichen des Wendepunktes im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen begleitet wurden „vom Auftauchen einer neuen Generation von Leuten, die nach politischer Klarheit suchen. Diese neue Generation hat sich einerseits im Auftreten von offen politisierten Leuten gezeigt, andererseits in neuen Schichten von Arbeitern, die zum ersten Mal in den Kampf getreten sind. Wie bestimmte wichtige Demonstrationen bewiesen haben, wird das Fundament gelegt für die Einheit zwischen der neuen Generation und derjenigen „von 68“ – sowohl der politischen Minderheit, welche die kommunistische Bewegung in den 60er und 70er Jahren aufgebaut hat, als auch den breiteren Schichten der Arbeiter, welche die reiche Erfahrung der Klassekämpfe zwischen 68 und 89 in sich tragen.“

Die Verantwortung der IKS gegenüber dem Auftauchen der neuen revolutionären Kräfte

 

Die andere wesentliche Sorge des 16. Kongresses war folglich zu gewährleisten, dass unsere Organisation auf der Höhe ihrer Fähigkeiten ist, um die Verantwortung gegenüber den auftauchenden neuen Kräfte wahrzunehmen, die sich auf linkskommunistische Klassenpositionen zu bewegen. Dieses Anliegen drückte sich insbesondere in der Aktivitätenresolution aus, die der Kongress ebenfalls verabschiedete: „Der Kampf darum, die neue Generation für Klassenpositionen und die Organisierung zu gewinnen, steht heute im Zentrum all unserer Aktivitäten. Dies betrifft nicht nur unsere Intervention, sondern die Gesamtheit unserer politischen Reflexion, unserer Diskussionen und militanten Anliegen. (...)“

Diese Arbeit der Umgruppierung der neuen militanten Kräfte schliesst notwendigerweise ihre Verteidigung gegen alle Versuche ein, sie zu zerstören oder in Sackgassen zu führen. Diese Verteidigung kann nur erfolgreich sein, wenn die IKS sich auch gegen diejenigen Angriffe verteidigen kann, deren Zielscheibe sie selber ist. Der vorangehende Kongress hatte bereits festgestellt, dass unsere Organisation fähig gewesen war, die hinterlistigen Angriffe der IFIKS[2] abzuwehren, indem wir verhindert hatten, dass diese ihr erklärtes Ziel erreichte, nämlich die IKS oder mindestens die grösstmögliche Anzahl von Sektionen zu zerstören. Im Oktober 2004 unternahm die IFIKS eine neue Offensive gegen unsere Organisation, wobei sie sich auf verleumderische Stellungnahmen eines „Circulo de Comunistas Internacionalistas“ aus Argentinien stützte, der vorgab, Nachfolger des Nucleo Comunista Internacional zu sein, einer Gruppe, mit der die IKS ab Ende 2003 Kontakte gepflegt und Diskussionen geführt hatte. Leider leistete das IBRP seinen eigenen Beitrag zu diesem peinlichen Manöver, indem es auf seiner Website während mehrerer Monate und in verschiedenen Sprachen eine der hysterischsten und lügenhaftesten Erklärungen des Circulos gegen unsere Organisation veröffentlichte. Mit Dokumenten, die wir umgehend auf unsere Website stellten, wehrten wir diesen Angriff ab; seither ist von dieser Seite nichts mehr zu vernehmen. Der „Circulo“ entlarvte sich als das, was er war: eine Erfindung des Bürgers B., eines armseligen Abenteurers in Argentinien. Dieser Kampf gegen die Offensive der „Dreierallianz“ von Abenteurertum (B.), Parasitismus (IFIKS) und Opportunismus (IBRP) war auch ein Kampf für die Verteidigung des NCI, der für das Streben eines kleinen Kerns von Genossen steht, sich den Positionen der Kommunistischen Linken in Zusammenarbeit mit der IKS anzunähern.[3]

„(...) Angesichts dieser Arbeit gegenüber den suchenden Leuten muss die IKS eine entschlossene Intervention umsetzen. Gleichzeitig muss sie ihre ganze Aufmerksamkeit auch auf die Tiefe der Argumentation, die sie in die Diskussionen einbringt, und auf die Frage des politischen Verhaltens richten. Das Hervortreten der neuen kommunistischen Kräfte muss ein starker Ansporn sein, der die Reflexion und die Energien nicht nur der Militanten anregt, sondern auch jener Leute, die durch den Rückfluss im Klassenkampf nach 1989 beeinflusst wurden:  Die Auswirkungen der gegenwärtigen historischen Entwicklung werden einen Teil der Generation von 1968 wieder politisieren, die seinerzeit durch die bürgerliche Linke abgelenkt und vergiftet wurde. Sie haben bereits angefangen, ehemalige Militante nicht nur der IKS, sondern auch anderer proletarischer Organisationen wieder zu beleben. Jede dieser Äusserungen dieser Gärung stellt ein kostbares Potential für die Wiederaneignung der Klassenidentität, die Kampferfahrung und für die historische Perspektive des Proletariats dar. Aber diese unterschiedlichen Potentiale können nur umgesetzt werden, wenn sie durch eine Organisation zusammengefasst werden, die das historische Bewusstsein, die marxistische Methode und die organisatorische Herangehensweise hat, welche heute nur die IKS anbieten kann. Dies führt dazu, dass die konstante und langfristige Entwicklung der theoretischen Fähigkeiten, des militanten Verständnisses und der Zentralisierung der Organisation zu entscheidenden Faktoren der historischen Perspektive werden.“

Der Kongress hob die Bedeutung der theoretischen Arbeit in der derzeitigen Situation hervor: „Die Organisation kann ihre Verantwortung sowohl gegenüber den revolutionären Minderheiten als auch gegenüber der Klasse als Ganze nur wahrnehmen, wenn sie fähig ist, den Prozess zu verstehen, der die zukünftige Partei im grösseren Kontext der allgemeinen Entwicklung des Klassenkampfes vorbereitet. Die Fähigkeit der IKS, das veränderte Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu analysieren und in den Kämpfen wie auch gegenüber der politischen Reflexion in der Klasse zu intervenieren, ist langfristig für die Entwicklung des Klassenkampfes wichtig. Aber bereits jetzt, kurzfristig, ist sie entscheidend für die Übernahme unserer führenden Rolle gegenüber der neuen politisierten Generation. Die Organisation muss diese theoretische Reflexion fortsetzen und dabei die grösstmögliche Anzahl von konkreten Lehren aus ihrer Intervention ziehen und die Schemata der Vergangenheit überwinden.“

Schliesslich konzentrierte sich der Kongress auch auf die Frage, mit der unsere Plattform endet: „Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen der Organisation und die Beziehungen zwischen den Militanten tragen notwendigerweise die Narben der kapitalistischen Gesellschaft mit sich, und deshalb können diese Beziehungen keine Inseln der kommunistischen Beziehungen innerhalb des Kapitalismus darstellen. Sie dürfen jedoch nicht in offenkundigem Widerspruch stehen zu dem von den Revolutionären verfolgten Ziel, und sie müssen notwendigerweise auf der Solidarität und dem gegenseitigen Vertrauen beruhen, die ein Kennzeichen der Zugehörigkeit zu der Klasse sind, die den Kommunismus verwirklichen wird.“

Eine solche Aufgabe, wie auch alle anderen, vor die eine marxistische Organisation gestellt wird, erfordert eine theoretische Arbeit: „In dem Masse, wie die Fragen der Organisation und des Verhaltens heute im Zentrum der Debatten sowohl innerhalb wie auch ausserhalb der Organisation stehen, wird eine zentrale Achse unserer theoretischen Arbeit in den kommenden zwei Jahren die Diskussion über die unterschiedlichen Orientierungstexte sein [die diese Themen behandeln]. Diese Fragen führen uns zu den Wurzeln der jüngsten organisatorischen Krisen, berühren die Grundlage unseres militanten Engagements und sind Schlüsselfragen der Revolution in der Epoche des Zerfalls. Sie werden deshalb eine zentrale Rolle bei der Wiedergewinnung der militanten Überzeugung und des Geschmacks für Theorie und die marxistische Methode spielen, die jede Frage mit einer historischen und theoretischen Sichtweise angeht.“

Begeisternde Perspektiven

Die Kongresse der IKS sind für die Gesamtheit der Mitglieder immer Momente der Begeisterung. Wie könnte es auch anders sein, wenn Militante aus drei Kontinenten und aus 13 Ländern zusammen kommen, die alle von den gleichen Überzeugungen beseelt sind und nun alle Aspekte der Perspektiven der historischen Bewegung des Proletariats diskutieren? Doch der 16. Kongress war noch begeisternder als die meisten der früheren.

Fast die Hälfte ihres dreissigjährigen Bestehens der IKS fiel in eine Zeit, in welcher das Proletariat unter einem Rückfluss seines Bewusstseins litt, unter einer Erstickung seiner Kämpfe und einem Versiegen beim Hervortreten neuer militanter Kräfte. Während mehr als einem Jahrzehnt galt in der Organisation die Durchhalteparole. Dies war eine schwierige Prüfung, und eine ganze Anzahl von ihren „alten“ Militanten bestanden sie nicht (insbesondere diejenigen, welche die IFIKS bildeten, und jene, die den Kampf während der Krisen, die wir in dieser Zeit durchmachten, aufgaben).

Heute, wo die Perspektive aufheitert, können wir sagen, dass die IKS insgesamt diese Probe bestanden hat. Und sie ist gestärkt daraus hervorgegangen. Sie hat sich politisch verstärkt, worüber sich die Leser und Leserinnen unserer Presse selber ein Urteil bilden können (und wir erhalten je länger je mehr ermunternde Briefe von ihnen). Aber auch numerisch hat sie sich verstärkt, denn schon heute ist die Zahl der Neubeitritte grösser als diejenige der Austritte, die wir mit der Krise von 2001 erlebten. Und bemerkenswert ist, dass eine bedeutende Anzahl von diesen neuen Mitgliedern junge Leute sind, die nicht die Verbildung erleiden und überwinden mussten, die die Mitgliedschaft in linksbürgerlichen Organisationen nach sich zieht. Junge Leute, deren Dynamik und Begeisterung hundertfach die müden und verbrauchten „militanten Kräfte“ ersetzt, die uns verlassen haben.

Diese Begeisterung, die am 16. Kongress zu spüren war, hatte ein klares Bewusstsein. Sie hatte nichts mit der trügerischen Hochstimmung zu tun, die andere Kongresse unserer Organisation mitgerissen hatte (eine Euphorie, die besonders häufig bei jenen anzutreffen war, die uns mittlerweile verlassen haben). Nach 30 Jahren des Bestehens hat die IKS (manchmal schmerzhaft) gelernt, dass der Weg zur Revolution keine Autobahn ist, sondern vielmehr manche Windung aufweist, voller Hinterhalte und Fallen ist, die die herrschende Klasse ihrem Todfeind, der Arbeiterklasse, aufstellt, um sie von ihrem historischen Ziel abzulenken.[4] Die Mitglieder unserer Organisation wissen heute sehr gut, dass es nicht einfach ist, Militante oder Militanter zu sein; dass es nicht nur eine feste Überzeugung, sondern auch viel Selbstlosigkeit, Hartnäckigkeit und Geduld verlangt.

Das Bewusstsein über die Schwierigkeiten unserer Aufgabe soll uns nicht entmutigen. Es ist vielmehr ein zusätzlicher Aspekt unserer Begeisterung. In letzter Zeit steigt die Zahl der Teilnehmer und Teilnehmerinnen an unseren öffentlichen Veranstaltungen spürbar, und wir erhalten je länger je mehr Briefe aus Griechenland, Russland, Moldavien, Brasilien, Argentinien und Algerien, in denen Kontakte direkt fragen, wie sie der Organisation beitreten können, oder vorschlagen, eine Diskussion zu beginnen oder ganz einfach nach Publikationen fragen – alles jeweils mit einer militanten Sorge. All diese Zeichen erlauben es uns davon auszugehen, dass es eine Ausbreitung von kommunistischen Positionen auch in denjenigen Ländern gibt, wo die IKS noch keine Sektion hat, oder lässt sogar die Hoffnung auf die Gründung neuer Sektionen in diesen Ländern zu. Wir heissen diese Genossinnen und Genossen, die sich den kommunistischen Positionen und unserer Organisation zuwenden, willkommen. Wir rufen ihnen zu: „Ihr habt eine gute Wahl getroffen, die einzig mögliche, wenn ihr im Sinn habt, euch in den Kampf für die proletarische Revolution einzureihen. Aber es ist keine einfache Wahl: Ihr werdet nicht sofort Erfolg ernten, ihr werdet Geduld und Hartnäckigkeit brauchen und lernen müssen, nicht aufzugeben, wenn die erreichten Resultate noch nicht den gehegten Hoffnungen entsprechen. Aber ihr seid nicht allein: Die Militanten der IKS sind an eurer Seite und sie sind sich der Verantwortung bewusst, die eure Annäherung ihnen auferlegt. Ihr Wille, der am 16. Kongress zu Ausdruck kam, ist, auf der Höhe dieser Verantwortung zu sein.“

 

IKS, 2.07.2005


[1] Ein vollständigerer Bericht über die Arbeit des Kongresses wurde in International Review 122 (engl./frz./span. Ausgabe) veröffentlicht.

[2] Die so genannte “interne Fraktion der IKS”, bestehend aus ehemaligen, langjährigen Mitgliedern unserer Organisation, die sich zunächst wie hysterische Fanatiker auf der Suche nach Sündenböcken, später wie Schurken und schliesslich wie Spitzel benahmen.

[3] s. unseren Artikel „Der Nucleo Comunista Internacional, Eine Episode im Streben des Proletariats nach Bewusstsein“, in: Internationale Revue Nr. 35.

[4] Oder besser gesagt: wieder gelernt, da es sich dabei um eine Lehre handelt, derer sich die kommunistischen Organisationen der Vergangenheit sehr bewusst waren, insbesondere die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken, auf welche sich die IKS bezieht.

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [1]

Theoretische Fragen: 

  • Historischer Kurs [4]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Das Klassenbewusstsein [3]

Die Attentate vom 7. Juli in London und der wilde Streik der Beschäftigten auf dem Londoner Flughafen am 11. August 05

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Welche Zukunft für die Menschheit? Imperialistischer Krieg oder Klassensolidarität?

1867 stellte Marx im Vorwort der ersten Ausgabe des berühmten „Kapital“ fest, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse in Grossbritannien, der fortgeschrittensten Industrienation, das Vorbild für die Entwicklung des Kapitalismus in allen anderen Ländern darstellte. Grossbritannien war das „führende Land“ bezüglich der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Ab dieser Zeit beherrschte das aufstrebende kapitalistische System zunehmend die ganze Welt. Hundert Jahre später, 1967, befand sich Grossbritannien erneut in einer bedeutenden symbolischen und wegweisenden Situation, und zwar mit der Entwertung des Sterlings – doch diesmal während des Niedergangs der kapitalistischen Produktionsweise und angesichts ihres zunehmenden Scheiterns. Die Ereignisse vom Sommer 2005 in London haben gezeigt, dass Grossbritannien erneut ein Indikator für die Lage des Weltkapitalismus darstellt. Dieser Sommer in London war einerseits geprägt von den imperialistischen Spannungen, konkret einem tödlichen Konflikt zwischen den verschiedenen Nationalstaaten, und andererseits vom internationalen Klassenkampf, konkret vom Konflikt zwischen den zwei entscheidenden Klassen der Gesellschaft: der Bourgeoisie und dem Proletariat.

Die Anschläge vom 7. Juli in London wurden von Al Kaida als Rache für die Beteiligung britischer Truppen an der Besetzung des Iraks in Anspruch genommen. An diesem Dienstagmorgen, als die Explosionen zu einer Stosszeit des öffentlichen Verkehrs erfolgten, erinnerte dies die Arbeiterklasse erneut brutal daran, dass sie diejenige ist, welche im Kapitalismus den Kopf hinhalten muss. Nicht nur durch Lohnarbeit und die sich ausbreitende Armut, sondern auch mit ihrem Fleisch und Blut. Die vier Bomben in der Londoner U-Bahn und in einem Bus haben 52[1] Arbeiter, meist junge, getötet und Dutzende verstümmelt und traumatisiert. Doch diese Attentate haben eine viel weiterreichende Auswirkung gehabt. Sie vermittelten Millionen von Arbeitern die Botschaft, dass ihre nächste Fahrt zur Arbeit, oder diejenige ihrer Freunde und Angehörigen, möglicherweise die letzte in ihren Leben ist. All die Sympathieparolen der Regierung Blair, des Londoner Bürgermeisters Ken Livingstone (Repräsentant des linken Flügels der Labour Party), der Medien und Chefetagen waren kaum zu übertreffen. Doch mit den Schlagworten „Wir beugen uns nicht vor den Terroristen“ und „London bleibt einig“ versuchte die herrschende Klasse lediglich zu vermitteln, dass das Business weiterlaufen solle, als wäre nichts gewesen. Die Arbeiter müssten eben das Risiko weiterer Explosionen in den Verkehrsmitteln in Kauf nehmen, wenn sie weiterhin von ihrem „bisherigen Lebensstandard“ profitieren wollen.

 

Der Imperialismus erschüttert das Herz des Kapitalismus

 

Diese Anschläge waren die blutigsten gegen die Zivilbevölkerung Londons seit dem Zweiten Weltkrieg. Ein Vergleich mit der imperialistischen Schlächterei von 1939–45 ist mehr als gerechtfertigt. Die Anschläge von London, welche auf den 11. September in New York und den März 2004 in Madrid folgten, zeigen, dass der Imperialismus „zurückschlägt“, und zwar in seine wichtigsten Metropolen.

Es dauerte jedoch nicht wirklich 60 Jahre, bis erneut militärische Anschläge gegen die Bewohner Londons erfolgten. Die Stadt war ab 1972 während beinahe 20 Jahren Ziel von Bomben der „Provisionals“ der IRA.[2] Die Bevölkerung hatte damit schon einen Vorgeschmack des imperialistischen Terrors erhalten. Doch die Grausamkeiten vom 7. Juli 2005 sind keine simple Wiederholung dieser Erfahrungen: Sie wiederspiegeln eine verschärfte Bedrohung und sind Ausdruck der aktuellen, mörderischen Phase des imperialistischen Krieges.

Selbstverständlich waren die terroristischen Attentate der IRA ein Vorläufer der Barbarei der Anschläge von Al Kaida. Sie waren schon ein Zeichen für die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkende Tendenz, den Terror gegen die Zivilbevölkerung immer mehr zur bevorzugten Methode des imperialistischen Krieges werden zu lassen.

Dennoch, während der meisten Zeit der IRA-Attentate war die Welt noch in zwei imperialistische Blöcke unter der jeweiligen Kontrolle der USA und Russlands aufgeteilt. Diese Blöcke steuerten mehrheitlich die zweitrangigen, isolierten imperialistischen Konflikte zwischen einzelnen Staaten im selben Lager, wie denjenigen zwischen Irland und Grossbritannien im amerikanischen Block. Der amerikanische Block konnte und durfte nicht zulassen, dass ein solcher Konflikt ein Ausmass annahm, welches die militärische Hauptfront gegenüber dem Rivalen Russland und seinen Satelliten schwächen würde. In Wahrheit waren (und blieben) die Kampagnen der IRA mit dem Ziel, Grossbritannien aus Nordirland zu verjagen, von der finanziellen Unterstützung der USA an die IRA abhängig. Die terroristischen Anschläge der IRA in London stellten zur damaligen Zeit in den Metropolen der hochentwickelten Länder eine Ausnahme dar. Hauptbühne der imperialistischen Auseinandersetzung zwischen den zwei Blöcken durch ihre stellvertretenden Nationen war vielmehr die Peripherie: Vietnam, Afghanistan, Naher Osten.

Die Opfer der IRA waren ebenfalls wehrlose Zivilisten, doch folgten die Ziele dieser Bomben – ausserhalb Irlands – im Allgemeinen einer eher klassischen imperialistischen Logik. Es waren militärische Anlagen wie die Chelsea Barracks 1981 oder der Hyde Park 1982,[3] welche ausgewählt wurden, oder Symbole der wirtschaftlichen Macht wie Bishopsgates in der Londoner City[4] und Canary Wharf 1996.[5] Im Gegensatz dazu sind die Anschläge der Al Kaida auf öffentliche Transportmittel symptomatisch für eine gefährlichere imperialistische Situation auf Weltebene und typisch für die neue internationale Tendenz. Diese ist ein Resultat der Situation, dass es keine imperialistischen Blöcke mehr gibt, welche eine gewisse Ordnung über den kapitalistischen Militarismus bewahren. „Jeder für sich“ ist das Leitmotiv des Imperialismus geworden, gewalttätig und unerbittlich angeführt von den USA in ihrem Bestreben, die Kontrolle über den Globus aufrecht zu erhalten. Die selbstherrliche Strategie Washingtons, vor allem bei der Invasion und Besetzung des Iraks, hat dieses militärische Chaos lediglich zugespitzt. Der ansteigende weltweite Einfluss von Al Kaida und anderen Kriegsherren des Imperialismus im Nahen Osten ist das Produkt dieser alltäglich gewordenen imperialistischen Querelen, über welche die führenden Staaten die Kontrolle verlieren, weil sie alle gegeneinander arbeiten. Die Grossmächte, inklusive Grossbritannien, haben selber aktiv an der Entfaltung des Terrorismus mitgewirkt, in dem sie ihn selber benutzten und manipulierten, um Profit daraus zu schlagen.

Der britische Imperialismus war gezwungen, sich an der amerikanischen Invasion im Irak zu beteiligen. Er erhoffte sich, seine eigenen Interessen in der Region verteidigen und sein Ansehen als gewichtige militärische Macht aufrechterhalten zu können. Indem zur Rechtfertigung einer Beteiligung an der amerikanischen „Koalition“ mit dem berühmten Dossier über die angeblichen Massenvernichtungswaffen der Weg geebnet wurde, spielte der britische Imperialismus seine eigene Rolle, um den Irak in das blutige Chaos zu stürzen. Der britische Staat hat auch die terroristische Kampagne der Al Kaida gegen den westlichen Imperialismus genährt. Sicherlich hat dieser terroristische Feldzug schon vor der Invasion des Irak begonnen, und es sind die Grossmächte, welche ihn zum Leben erweckt hatten. Konkret hat Grossbritannien, genau wie die USA, in den 80er Jahren die Guerilla von Bin Laden geschult und bewaffnet, um die russische Besatzung Afghanistans zu bekämpfen.

Nach dem 7. Juli haben die wichtigsten „Verbündeten“ Grossbritanniens (in Wirklichkeit seine Rivalen) sich nicht gescheut, die Kapitale des Landes als „Londonistan“ zu bezeichnen – ein Refugium für verschiedene radikale islamistische Gruppen, die in Verbindung mit den Terrororganisationen des Nahen Ostens stünden. Der britische Staat hatte sie auf seinem Boden toleriert und gewisse Figuren beschützt in der Hoffnung, sie im Nahen Osten für seine eigenen Zwecke gegen die anderen „verbündeten“ Grossmächte einsetzen zu können. So hat Grossbritannien zum Beispiel 10 Jahre lang den Antrag Frankreichs auf Auslieferung Rachid Ramdas abgeschlagen, der im Zusammenhang mit den Bombenanschlägen auf die Pariser Metro verdächtigt wird! Die Zentralbehörde des französischen Nachrichtendienstes (laut International Herald Tribune vom 9.8.2005) unterliess es im Gegenzug, ihren britischen Kollegen den Rapport ihres Geheimdienstes vom Juni zukommen zu lassen, in dem über ein geplantes Bombenattentat pakistanischer Al-Kaida-Sympathisanten in London berichtet wurde.

Die imperialistische Politik Grossbritanniens hat mit ihren „Prinzipien“ – „Lasst sie auf die Anderen los, bevor sie uns an den Kragen gehen“ – lediglich die terroristischen Attentate auf eigenem Boden geschürt.

In der gegenwärtigen Phase ist der Terrorismus keine Ausnahme mehr im Krieg zwischen Staaten, sondern zur bevorzugten Methode geworden. Die Ausbreitung des Terrorismus geht grösstenteils einher mit dem Verschwinden stabiler Bündnisse zwischen den imperialistischen Mächten und ist charakteristisch für eine Zeit, in welcher jeder Staat versucht, den Einfluss der anderen zu untergraben und zu sabotieren.

In diesem Zusammenhang ist die Rolle der Geheimdienstaktionen und des psychologischen Krieges durch die mächtigsten imperialistischen Staaten nicht zu unterschätzen, wenn es darum geht, die Rivalen eines bestimmten Staates vor dessen Bevölkerung zu diskreditieren und damit die militärischen Operationen vorzubereiten. Auch wenn keine offiziellen Beweise vorliegen – die wohl auch kaum jemals auftauchen werden – gibt es starke Vermutungen, dass das Attentat auf die Twin Towers und dasjenige gegen die Wohnblöcke in Moskau, die beide jeweils für die USA und Russland die Türe für ein militärisches Abenteuer geöffnet haben, unter Mitwirkung der eigenen Geheimdienste zustande kamen. Auch der britische Imperialismus ist keineswegs ein Unschuldslamm. Sein verdecktes Engagement auf beiden Seiten des terroristischen Konfliktes in Nordirland ist wohlbekannt, so auch die Präsenz seiner Agenten innerhalb der „Real IRA“, der Organisation, die sich zum Attentat von Omagh bekannte.[6] Kürzlich, im September 2005, wurden zwei Mitglieder der SAS (der britischen Sondereinheiten) in Basra von der irakischen Polizei festgenommen, weil sie, laut einigen Journalisten, ein terroristisches Attentat ausführen wollten.[7] Diese Geheimagenten wurden später durch einen Überfall britischer Truppen auf das Gefängnis, in dem sie inhaftiert waren, befreit. Betrachtet man solche Ereignisse, so liegt der Gedanke auf der Hand, dass der britische Imperialismus selber in die tagtägliche Schlächterei im Irak involviert ist: mit der Absicht, seine eigene „stabilisierende“ Präsenz als Besatzungsmacht zu rechtfertigen. Es ist der britische Imperialismus selber, welcher als erster unter den alten Kolonialmächten das Prinzip des „Teile und Herrsche“ einführte, das man im Irak erneut hinter seiner Taktik des Terrors erkennen kann.

Die sich zuspitzende Tendenz zum Einsatz des Terrorismus innerhalb imperialistischer Konflikte trägt alle Zeichen der letzten Phase des niedergehenden Kapitalismus, der Phase des sozialen Zerfalls und der mangelnden langfristigen Perspektive.

Bezeichnend für diese Situation ist, dass die Attentate vom 7. Juli von Kamikazes britischer Herkunft ausgeführt wurden, die in Grossbritannien geboren und aufgewachsen waren. Diese Attentate offenbaren eine selbstzerstörerische Irrationalität, die zunehmend auch im „Herzen“ des Kapitalismus vor allem unter jungen Leuten ihre Früchte treibt. Ob der britische Staat selbst auch in die Attentate verwickelt war, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden.

Die willkürliche Grausamkeit des imperialistischen Krieges schlägt somit zurück in die kapitalistischen Kernländer, in Sektoren mit der höchsten Konzentration der Arbeiterklasse. New York, Washington, Madrid, London: Zielscheiben sind nicht mehr ausschliesslich Drittweltländer, sondern zunehmend Industriemetropolen. Und die Ziele sind nicht mehr ausdrücklich wirtschaftlicher oder militärischer Natur. Vielmehr geht es um die grösstmögliche Zahl an Zivilopfern.

Schon in den 90er Jahren zeigte sich in Ex-Jugoslawien dieser tendenzielle Rückschlag des imperialistischen Krieges in die kapitalistischen Kernländer. Dann traf es Spanien und jetzt Grossbritannien. 

Der Terror des bürgerlichen Staates

Im Juli 2005 wurde die Londoner Bevölkerung von der tödlichen Bedrohung durch terroristische Attentate getroffen. Dabei ist es aber nicht geblieben. Am 22. Juli wurde an der U-Bahnstation Stockwell ein junger brasilianischer Elektriker, Jean Charles de Menezes, auf dem Weg zu seiner Arbeit von der britischen Polizei mit acht Schüssen hingerichtet. Nach offizieller Erklärung hatte ihn die Polizei für einen Selbstmordattentäter gehalten. All dies geschah in einem Land, indem die Polizei ihr integres Bild von Scottland Yard als Garanten für die demokratische Gemeinschaft, für den Frieden und als Hüter der Bürgerrechte pflegt. Dazu passte der nette „Bobby“ von nebenan, der alten Damen über die Strasse hilft. Aber in Wirklichkeit – und dies wurde durch diese jüngsten Ereignisse offensichtlich – unterscheidet sich die britische Polizei nicht grundsätzlich von derjenigen irgendwelcher Diktaturen der so genannten Dritten Welt, wo „Todesschwadronen“ ohne Umschweife für Staatsinteressen eingesetzt werden. In offiziellen Erklärungen wurde die Ermordung von Jean Charles als tragischer Irrtum bezeichnet. Tatsächlich aber erhielten die bewaffneten Einheiten der U-Bahnpolizei seit dem 7. Juli die Anweisung, auf jeden Kamikazeverdächtigen zu „schiessen um zu töten“. Und sogar nach der Ermordung von Jean Charles wurde diese Politik weiterhin energisch verteidigt. Da es aber nahezu unmöglich ist, einen Kamikaze vor der Sprengstoffzündung zu identifizieren oder sich ihm anzunähern, ist die Polizei durch eine derartige Anweisung ermächtigt, auf irgendwelche Personen zu schiessen, und zwar eigentlich ohne Warnung. Unbestreitbar erlaubten die höchsten Etagen der britischen Polizei solche „tragischen Fehler“, in ihrem Verständnis unvermeidbare Nebenwirkungen auf dem Weg zu einer stärkeren Staatsmacht.

Die Ermordung von Jean Charles ist daher kaum als tragischer Unfall zu verstehen. Sie muss im Zusammenhang mit der Funktion des Staates und seiner Repressionsorgane betrachtet werden: Diese Funktion besteht nicht wie vorgegeben im Schutz der Bevölkerung, und der Staat steht auch nicht vor der angeblich schwierigen Wahl zwischen der Verteidigung seiner Bürger und dem Schutz seiner Rechte. In Wahrheit ist die Hauptfunktion des Staates eine andere: die Verteidigung der herrschenden Ordnung für die Interessen der Herrschenden. Das heisst vor allem, dass der Staat sein Monopol der bewaffneten Macht erhalten und zum Ausdruck bringen will. Besonders wichtig ist dies in Kriegszeiten aufgrund der Notwendigkeit, die Staatsmacht zur Schau zu stellen und Repressionsakte durchzuführen. Die Antwort des britischen Staates auf Attentate wie jene vom 7. Juli ist daher vor allem eine Machtdemonstration. Die angebliche Aufgabe, die Verteidigung der Bevölkerung, ist sowieso nur für eine kleine Minderheit hoher Funktionäre realisierbar. Die Demonstration des staatlichen Gewaltmonopols ist ein absolutes Muss, soll die Unterwerfung der eigenen Bevölkerung gesichert und den anderen Staaten Respekt eingeflösst werden. Unter solchen Umständen ist die Verhaftung der wirklichen Täter und Kriminellen nebensächlich oder hat sogar mit dem Hauptanliegen des Staates nichts zu tun.

An dieser Stelle ist ein Vergleich mit Attentaten der IRA 1974 hilfreich. Infolge dieser Attentate gegen Pubs in Birmingham und Guildford[8] hatte die Polizei zehn verdächtige Iren festgenommen. Die Verhafteten wurden zu falschen Geständnissen gezwungen, willkürliches Material wurde in Beweisstücke gegen sie verwandelt und schliesslich wurden sie zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Erst fünfzehn Jahre später gestand die Regierung einen „tragischen Justizirrtum“ ein. Solche Beispiele lassen darauf schliessen, dass diese Massnahmen doch eher Repressalien gegen die „fremde“ und „feindliche“ Bevölkerung sind.

Der 22. Juli hat gezeigt, welche Realität sich hinter der demokratischen und humanitären Fassade des Staates verbirgt – einer Fassade, die in Grossbritannien sehr gut bestückt ist. In seiner Hauptrolle als Zwangsapparat kann der Staat nicht für die Mehrheit der Bevölkerung oder an ihrer Stelle handeln, sondern nur gegen sie.

Das eben Gesagte findet seine Bestätigung in einer ganzen Reihe „antiterroristischer“ Massnahmen, welche von der Regierung Blair im Zuge der Attentatsserie beantragt wurden. Derartige Massnahmen sind gegenüber dem islamischen Terrorismus chancenlos, sie dienen einzig der verschärften Staatskontrolle über die Bevölkerung als Ganzes: die Einführung der Identitätskarte; eine zeitlich unbegrenzte Politik des „Schiessens um zu töten“; Kontrollweisungen, die zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung führen; die offizielle Anerkennung der Überwachung von Telefongesprächen und Internet; eine dreimonatige Inhaftierung von Verdächtigen ohne Anklage; Spezialgerichte, wo Zeugenaussagen hinter verschlossenen Türen und ohne Geschworene erzwungen werden.

Die terroristischen Attentate vom letzten Sommer wurden also vom britischen Staat als Vorwand benutzt, um – wie schon oftmals zuvor – seinen Repressionsapparat zu verstärken. Dieser Ausbau dient der Vorbereitung eines viel allgemeineren und wichtigeren Angriffs gegen einen viel gefährlicheren Staatsfeind: das wieder erstarkende Proletariat.

Die Antwort der Arbeiter

Anders als am 7. Juli blieben am 21. Juli offiziell nur die U-Bahnlinien Victoria und Metropolitan geschlossen. Tatsächlich aber waren wegen Arbeiterprotesten auch die Linien Bakerloo und Northern geschlossen. Die Fahrer hatten sich wegen der unsicheren Lage und mangelnden Sicherheitsgarantien geweigert, ihre Arbeit fortzusetzen. Dieser Protest war immerhin ein punktueller Ausdruck einer längerfristige Perspektive zur Lösung dieser unerträglichen Situation: Die Arbeiter müssen ihre Sache in die eigenen Hände nehmen. Aber die Gewerkschaften reagierten auf dieses Aufflammen der Klasseneigenständigkeit ebenso schnell wie die Notdienste auf die Attentate. Unter gewerkschaftlicher Führung mussten die Fahrer ihre Arbeit wieder aufnehmen, bis dass die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Leitung zu einer Vereinbarung kommen würden. Die Gewerkschaftsseite versicherte zwar, dass jeder Fahrer in seiner Arbeitsverweigerung unterstützt würde – das hiess jedoch nichts anderes, als dass er seinem eigenen Schicksal überlassen wurde.

In den ersten Augustwochen nahm der Widerstand der Arbeiter grössere Ausmasse an: Auf dem Londoner Flughafen Heathrow begann ein wilder Streik, ausgelöst von den Angestellten des Catering-Unternehmens Gate Gourmet, das die Mahlzeiten für British Airways zubereitet. Schnell griff der Streik auf andere Beschäftigte über und löste bei den Gepäckarbeitern von British Airways eine spontane Solidaritätsaktion aus. Etwa 1.000 Arbeiter beteiligten sich insgesamt an dieser Aktion. British Airways musste zusehen, wie ihre Flugzeuge während mehreren Tagen am Boden stehen blieben. Weltweit wurden Bilder von massenhaft gestrandeten und blockierten Passagieren ausgestrahlt.

Der Ungehorsam der Arbeiter und ihre Anknüpfung an die Taktik des Solidaritätsstreiks wurden von den britischen Medien scharf verurteilt. Die Arbeiter hätten angeblich wissen müssen, dass derartige Solidaritätsaktionen „veraltet“ sind, dass nach einstimmiger Meinung der „Experten“ (Juristen und andere Spezialisten der Arbeitswelt) solche Aktionen gänzlich den Geschichtsbüchern angehören und daher auch als illegal erklärt wurden.[9] Indem die Medien die schädlichen Folgen für die Passagiere hervorhoben, versuchten sie den beispielhaften Mut dieser Arbeiter herabzusetzen.

Im Übrigen war von den Medien auch ein etwas versöhnlicherer Ton zu vernehmen, jedoch nicht minder feindlich gegenüber der Sache der Arbeiter. Dabei wurde der Flughafenstreik als ein Resultat der rücksichtslosen Taktik der amerikanischen Eigentümer von Gate Gourmet dargestellt. Diese hatten per Lautsprecher den Arbeitern mit massiven Kündigungen gedroht. Der Streik sei also Ausdruck eines Irrtums gewesen. Er sei die Antwort auf ein unfähiges Management gewesen; die Streikaktionen seien demzufolge eine Ausnahmeerscheinung im Gange der regulären und zivilisierten Industrieverhältnisse und der Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Geschäftsführung, die im Normalfall solche Solidaritätsaktionen überflüssig werden liessen. Tatsächlich aber liegt die Hauptursache des Streiks nicht in der Arroganz des kleinen Arbeitgebers. An der brutalen Taktik von Gate Gourmet ist nichts Aussergewöhnliches. Nennen wir nur ein Beispiel unter vielen: Auch Tesco, die grösste und rentabelste Supermarktkette in Grossbritannien hat erst kürzlich angekündigt, dass Absenztage aus Krankheitsgründen zukünftig unbezahlt bleiben. Ebenso sind massive Entlassungen keineswegs ein typisches Zeichen fehlender gewerkschaftlicher Aktivität. Die Zeilen der International Herald Tribune vom 19.8.2005 enthalten folgende Meinung von Sophie Greenyer, Mediensprecherin von British Airways. „Sie sagte, dass es dem Unternehmen im Laufe der Vergangenheit dank der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gelungen ist, sowohl die Anzahl Arbeitsplätze als auch Kosten zu senken. British Airways hat in den letzten drei Jahren 13.000 Stellen gestrichen und seine Kosten um 850 Millionen Sterling vermindert. ‚Wir haben es geschafft, in vernünftiger Weise mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, um diese Ersparnisse zu erreichen’, meinte sie.“

Das Ziel, die Betriebskosten zu senken, hatte British Airways dazu veranlasst, die Gehälter und Lebensbedingungen der Angestellten zu verschlechtern. Gate Gourmet seinerseits wollte es mit bedachten Provokationen möglich machen, gegenwärtige Angestellte durch Arbeitskräfte aus dem osteuropäischen Raum zu ersetzen, welche zu noch tieferen Löhnen und schlechteren Bedingungen arbeiten.

Die von British Airways angestrebten Kostensenkungen sind nichts Aussergewöhnliches. Im Gegenteil: Sei es in der Luftfahrt oder in einem anderen Sektor, die verschärfte Konkurrenz aufgrund zunehmender Marktsättigung ist die normale Antwort des Kapitalismus auf eine sich zuspitzende Wirtschaftskrise.

Der Streik in Heathrow war also kein Zufall, sondern ein Beispiel des Verteidigungskampfes der Arbeiter gegen die zunehmenden Angriffe der Bourgeoisie insgesamt. Der Kampfeswille der Arbeiter ist aber nicht der einzige Aspekt von Belang in diesem Streik. Noch wichtiger sind die illegalen Solidaritätsaktionen anderer Teile der Flughafenbeschäftigten. Diese Arbeiter setzten nämlich ihre eigene Existenzgrundlage aufs Spiel, indem sie den Kampf ausdehnten.

Diese Solidaritätsbekundung war zwar von kurzer Dauer und blieb embryonal. Aber angesichts der von der Bourgeoisie als Antwort auf die Attentate erzeugten Atmosphäre der nationalen Unterordnung war dieser Solidaritätsausdruck dennoch ein kontrastreicher Lichtblick. Zumindest wurde bestätigt, dass sich die Londoner Bevölkerung nicht mehr nur demütig den Interessen des imperialistischen Krieges unterordnet. Zeiten wie 1940, als die nächtlichen „Blitz“-Bombardierungen der deutschen Luftwaffe passiv erduldet wurden, sind vorbei.

Der Streik von Heathrow ist vielmehr Teil einer ganzen Reihe von Arbeitskämpfen seit 2003, die in verschiedenen Erdteilen aufflackerten, so z.B. die Solidaritätsaktion der Arbeiter von Opel in Deutschland oder der Angestellten von Honda in Indien.[10] Nach einer langen, von Desorientierung geprägten Phase seit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 findet die weltweite Arbeiterklasse nun ganz langsam und fast unmerklich ihre Kraft wieder. Allmählich tastet sich das Proletariat zu einer deutlicheren Klassenperspektive vor.

Die Schwierigkeiten, welche mit der Entwicklung dieser Perspektive verbunden sind, zeigten sich schnell durch die Sabotage der Gewerkschaften an der Solidaritätsaktion in Heathrow. Die Transport and General Worker’s Union setzte dem Streik der Gepäckarbeiter ein schnelles Ende und die von Gate Gourmet entlassenen Arbeiter sahen sich schliesslich gezwungen, den Ausgang der verlängerten Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmensführung abzuwarten.

Trotzdem bleibt dieses Zeichen vom mühevollen Wiedererstarken des Klassenkampfes in Grossbritannien von grosser Bedeutung. Denn die englische Arbeiterklasse hat eine längere Zeit der Kampfesschwäche hinter sich. Nach der Konjunktur der Klassenkämpfe des englischen Proletariats 1979 mit dem massiven Streik im öffentlichen Sektor und 1984/85 mit dem Streik der Bergarbeiter folgte eine längere Zeit der Kampfesschwäche. Die englische Arbeiterklasse litt stark unter der Niederlage der oben genannten Streiks von 1984/85, und diese Situation wurde von der Regierung Thatcher bis aufs Äusserste ausgenutzt, indem unter anderem Solidaritätsstreiks als illegal erklärt wurden. Daher ist das Wiederaufkommen von solchen Streiks in Grossbritannien mehr als erfreulich.

Grossbritannien war nicht nur das erste kapitalistische Land. In Grossbritannien zeigten sich auch die ersten Ausdrücke einer weltweiten Arbeiterklasse und ihre ersten politischen Organisationen in Form der Chartisten; in Grossbritannien befand sich auch der Sitz des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation. Heute ist Grossbritannien nicht mehr die Drehachse der Weltwirtschaft, spielt aber noch immer eine Schlüsselrolle in der Weltindustrie. Der Flughafen Heathrow ist der grösste Flughafen der Welt. Die britische Arbeiterklasse hat weiterhin ein bedeutendes Gewicht im weltweiten Klassenkampf.

In Grossbritannien wurde im vergangenen Sommer die politische Situation auf Weltebene aufgedeckt: auf der einen Seite die Tendenz des Kapitalismus zu immer schärferer Barbarei und Chaos, wo es keinen Platz für gesellschaftliche Werte gibt; auf der anderen Seite hat der Flughafenstreik in London zumindest für eine kurze Zeit gezeigt, dass andere gesellschaftliche Prinzipien durchaus existieren, Prinzipien, die auf der unbeschränkten Solidarität der Produzenten gründen – Prinzipien des Kommunismus.

 

                                               Como


[1] Ohne die vier Kamikaze-Attentäter, die sich in die Luft gejagt haben.

[2] Die „IRA-Provisionals“ nannten sich so, um sich von der sogenannten „offiziellen IRA“ zu unterscheiden, von der sie sich getrennt hatten. Die „offizielle IRA“ spielte im Bürgerkrieg in Nordirland ab den 70er Jahren keine wesentliche Rolle.

[3] Chelsea Barracks ist eine Kaserne mitten in London, in welcher damals das Regiment der Irish Guards stationiert war. Das Attentat im Hyde Park richtete sich gegen eine Militärparade der königlichen Garde.  

[4] Die Londoner City ist das Finanzzentrum, mit einer Fläche von ca. einem Quadratkilometer in Central London, einem Teil von Gross-London. Canary Wharf ist ein Wolkenkratzer, Symbol für das neue Geschäftsquartier, das in den alten Londoner Hafenanlagen errichtet wurde.   

[5] Eines der mörderischsten Attentate der IRA – gegen das Arndale-Handelszentrum im Zentrum von Manchester 1996 – in einer Zeit, in der die IRA vor allem als Instrument der amerikanischen Bourgeoisie diente, um die britischen Versuche nach einer selbständigeren imperialistischen Politik einzudämmen – gehört schon in die Epoche des Chaos, in der auch die Al Kaida gross geworden ist. 

[6] Die „Real IRA“ ist eine Abspaltung der IRA, die sich auf die Fortführung des Kampfes gegen die Briten beruft. Die Gruppe war verantwortlich für einen Bombenanschlag in der Stadt Omagh in Nordirland, bei dem am 15. August 1998 29 Zivilisten getötet wurden.  

[7] Siehe die Internetseite: http//www.prisonplanet.com/articles/september2005/270905plantinbombs.html [5].

[8] Die Begründung für diese Attentate lautete, dass die betroffenen Pubs vor allem von Militärangehörigen besucht worden seien.

[9] In Grossbritannien sind Solidaritätsstreiks tatsächlich illegal. Ein entsprechendes Gesetz wurde unter der Regierung Thatcher in den 80er Jahren eingeführt und findet seine Fortsetzung unter der Labour-Regierung Blair.

[10] s. den Artikel auf unserer Website veröffentlicht von der indischen Sektion der IKS: welt/132_indien

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [1]

Theoretische Fragen: 

  • Historischer Kurs [4]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [6]

Jahresfeiern zum II. Weltkrieg: Kapitalistische Barbarei und ideologische Manipulationen

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Der Frühjahr dieses Jahres stand, besonders in Deutschland, ganz im Zeichen der Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der sog. Befreiung vom Hitlerfaschismus. Alle bürgerlichen Medien berichteten ausgiebig über die Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Fernsehsender übertrafen sich einander mit altem Filmmaterial über die einstigen Nazigrößen oder über den „Kampf um Berlin“. Spielfilme wie „Der Untergang“ u.a. schilderten plastisch die letzten Tage des Nationalsozialismus. Und in den Printmedien stritten sich bürgerliche Historiker über die Frage, wie es einem Parvenü wie Hitler gelingen konnte, ein ganzes Volk zu verführen.

Was uns angeht, so haben wir hier nicht die Absicht, in diesen vielstimmigen Chor der Antifaschisten mit einzustimmen – einem Chor, dessen hysterischer Refrain uns weismachen will, dass das „Dritte Reich“ sozusagen außerhalb der Geschichte stünde, dass es allein das Werk pathologischer Dämonen vom Schlage eines Hitlers, Goebbels oder Himmlers gewesen sei. Ganz im Gegenteil: wir wollen hier und heute unsere Meinung kundtun, dass das Hitlerregime und der angeblich von ihm allein angezettelte 2. Weltkrieg ganz in der Logik eines Gesellschaftssystems steht, das weltweit – und nicht nur in Deutschland – die Menschheit in die schlimmsten Formen der Barbarei geführt hat. Wir wollen hier und heute deutlich machen, dass der II. Weltkrieg keinesfalls außerhalb der blutigen Tradition des dekadenten Kapitalismus steht, die im I. Weltkrieg ihren Anfang genommen hat und noch heute, 60 Jahre nach dem Sieg der Alliierten über den deutschen Imperialismus, die Menschheit von einem Massaker ins nächste stürzt. Und wir wollen vor allem eins deutlich machen: Entgegen der Propaganda der bürgerlichen Demokraten wie auch der Stalinisten und Trotzkisten war der Sieg der Alliierten über Hitlerdeutschland kein Triumph der Humanität über die Bestialität eines quasi außerhalb der Geschichte stehenden Regimes. Vielmehr steht der 8. Mai 1945 für das (nur vorläufige) Ende eines imperialistischen Bandenkrieges, in dem beide Seiten, ob das verbrecherische Naziregime oder die unheilvolle Allianz zwischen Stalin, Roosevelt und Churchill, bedenkenlos Millionen von Menschen auf dem Altar ihrer imperialistischen Interessen opferten. Der II. Weltkrieg war, um es in einem Satz zu sagen, eine weitere Eskalation im Überlebenskampf des internationalen Kapitals, dessen historische Legitimation spätestens mit dem Ausbruch des I. Weltkrieges verwirkt war.

Ermöglicht wurde der II. Weltkrieg erst durch die blutige Niederschlagung des Proletariats, dem es durch seine revolutionäre Erhebung 1917/18 gelungen war, dem I. Weltkrieg ein Ende zu bereiten. Erst durch die Massakrierung des revolutionären Proletariats in Russland und Deutschland und durch die Enthauptung seiner revolutionären Elite wurde der Weg frei gemacht für die lange Nacht der Konterrevolution, deren schlimmster Alptraum der Triumph des Stalinismus in Russland und des Nationalsozialismus in Deutschland war und die erst mit dem Wiedererwachen der internationalen Arbeiterklasse Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts ein Ende fand.

Uns geht es in dieser Veranstaltung nicht vornehmlich darum, die zweifellos barbarischen Untaten des Naziregimes zu thematisieren. Dies ist zu weiten Teilen und teilweise bis zum Erbrechen von den bürgerlichen Historikern getan worden. Und schon gar nicht wollen wir das Ausmaß des nationalsozialistischen Horrors verharmlosen oder gar negieren. Nur die ewiggestrigen Neonazis können so dummdreist sein, den Holocaust an den Juden durch die nazistische Vernichtungsmaschinerie zu leugnen. Uns geht es stattdessen darum:

·         dass bei allem Entsetzen über die Verbrechen der Nazis nicht der Blick darüber verloren geht, dass der Zynismus solcher Massenmörder wie Roosevelt, Churchill oder Stalin der Barbarei eines Hitlers, Himmlers oder Eichmanns in nichts nachstehen,

·         dass Erstere nicht nur Brüder im Geiste der Nazis, sondern auch faktisch deren Komplizen und Wegbereiter waren und

·         dass die einzig angemessene proletarische Reaktion darauf nicht die Parteinahme für die eine oder andere imperialistische Seite sein kann, sondern allein der bedingungslose internationalistische Kampf des Weltproletariats gegen alle imperialistischen Lager.

Ehe wir uns jedoch diesen Fragen zuwenden, ist es wichtig, festzuhalten, dass – wie wir bereits angedeutet haben – der II. imperialistische Weltkrieg eine weitere blutige Etappe des Kapitalismus in seine historische Sackgasse war. Ebenso wenig wie sein historischer Vorläufer, der Krieg 1914-18 zwischen dem imperialistischen Deutschen Reich unter Kaiser Wilhelm einerseits und den nicht minder imperialistischen Demokratien Großbritanniens, Frankreichs und der USA andererseits, lässt sich auch der Krieg des „Dritten Reichs“ gegen den Rest der Welt auf die simplen Kategorien von Angriffs- bzw. Verteidigungskriegen reduzieren. Bereits Franz Mehring stellte in seinem Artikel „Eine Schraube ohne Ende“ in der sozialdemokratischen Zeitschrift Die Neue Zeit sieben Jahre vor Ausbruch des I. Weltkrieges fest: „Das historische Wesen des Krieges hat (die Arbeiterklasse) aber erst in unvollkommener Weise begriffen, solange sie zwischen Angriffs- und Verteidigungskriegen unterscheidet und diesen Unterschied in irgendwelcher Weise zur Richtschnur ihrer praktischen Politik macht. Der Krieg ist nach dem bekannten Worte von Clausewitz die Fortsetzung der Politik mit gewaltsamen Mitteln; er ist die ultima ratio, der letzte Vernunftgrad, die unzertrennliche Begleiterscheinung der kapitalistischen wie jeder Klassengesellschaft; er ist die Entladung historischer Gegensätze, die sich dermaßen zugespitzt haben, dass es kein anderes Mittel mehr gibt, sie auszugleichen. Damit ist im Grunde schon gesagt, dass der Krieg mit Moral oder Recht überhaupt nichts zu schaffen hat (...) deshalb haben moralische oder rechtliche Gesichtspunkte, wie sie mit der Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungskriegen hervorgehoben werden, mit dem Kriege nichts zu tun. Jeder Krieg ist ein Angriffs- und ein Verteidigungskrieg, nicht etwa so, dass der eine der beiden Gegner angreift und der andere sich verteidigt, sondern so, dass jeder der beiden Gegner sowohl angreift als auch sich verteidigt.“

Was schon für die Kriege im aufsteigenden Kapitalismus galt, trifft auch und noch viel mehr auf die weltweiten Gemetzel im dekadenten Kapitalismus zu. Die Eröffnung des II. Weltkrieges durch Deutschland war nicht die Ausgeburt eines kranken Hirns, sondern schlicht eine Frage des Überlebens für den deutschen Imperialismus und die direkte Folge des I. Weltkrieges. Stranguliert durch die Auflagen des sog. Versailler Friedensvertrages, den die Siegermächte nach Ende des I. Weltkrieges ihm aufzwangen, und isoliert vom Weltmarkt, fristete er lange Zeit ein Pariadasein. Der einzige Ausweg für ihn bestand allein in einem neuerlichen Versuch, die Welt mit kriegerischen Mitteln neu aufzuteilen und neuen Lebensraum für sich selbst zu schaffen.

Dabei konnte sich der Nationalsozialismus als entschlossenster Vertreter des Kurses zum Krieg nicht nur der Unterstützung der deutschen Bourgeoisie sicher sein. Der Siegeszug der NSDAP, der 1933 schließlich zu ihrer Machtergreifung in Deutschland führte, wurde vom britischen Imperialismus – um es vorsichtig auszudrücken – mit Wohlwollen betrachtet. Ging es doch Großbritannien, dessen Machtpolitik stets darin bestand, die Großmächte auf dem europäischen Festland gegenseitig auszuspielen, darum, eine Gegenmacht zum aufstrebenden russischen Imperialismus unter Stalin zu etablieren. Und Letztgenannter scherte sich einen Teufel um die ideologischen Differenzen mit dem Hitlerfaschismus, als er in Gestalt des Hitler-Stalin-Paktes 1939 gemeinsame Sache mit dem deutschen Imperialismus bei der Aufteilung Polens machte.

Selbst in den USA, der Hauptkontrahent Deutschlands, gab es nicht unerhebliche Kreise in der Bourgeoisie, die offen ihre Sympathie für das nazistische Regime in Deutschland bekundeten.

Es war Rosa Luxemburg, die mehr als zwei Jahrzehnte vor Ausbruch des II. Weltkrieges feststellte, dass ein entfesselter Imperialismus zum „Untergang jeglicher Kultur, wie im alten Rom, (zu) Verödung, Degeneration“, ja zu einem „großen Friedhof“ führt. Nun, ihre Worte erwiesen sich angesichts der rund 60 Millionen Toten des II. Weltkriegs als geradezu prophetisch. Beschränkte sich im I. Weltkrieg der Blutzoll auf die Arbeiter in Uniform, also auf die Frontsoldaten, die zu Hunderttausenden dem Stellungskrieg in Verdun und an der Maas zum Opfer fielen, so erlaubte die sich rasant weiterentwickelnde Militärtechnologie dem Imperialismus, nun auch die Zivilbevölkerung millionenfach zu massakrieren. Dabei waren der Holocaust an den Juden und die Einäscherung Rotterdams und Coventrys durch Nazischergen und durch die deutsche Militärmaschinerie nur die eine Seite der Medaille. Wie wir bereits in unserem Artikel zum „60. Jahrestag der Befreiung der KZs, der Bombardierung Dresdens, Hiroshimas und der Kapitulation Deutschlands“ in der letzten Ausgabe der Weltrevolution geschildert haben, zeigten sich die Alliierten der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion in ihrer Menschenverachtung den nazistischen Massenmördern als durchaus ebenbürtig.

Selbst als die japanischen und deutschen Kriegsgegner militärisch schon am Boden lagen, ließen sie nicht davon ab, eine deutsche Stadt nach der anderen in wahre Feuerhöllen sowie Hiroshima und Nagasaki in radioaktive Wüsten zu verwandeln. Noch heute wollen sie uns weismachen, dass der Bombardierung Dresdens und dem Abwurf der beiden Atombomben auf Japan militärstrategische Erwägungen zu Grunde lagen. Dies ist eine glatte Lüge! Die Gründe für das von den Alliierten angerichtete Inferno unter der Zivilbevölkerung und den Flüchtlingsströmen liegen woanders. So galten die Bombenangriffe auf Dresden, Hamburg, Köln usw. keinesfalls dem Zweck, die deutsche Bevölkerung gegen das Hitlerregime aufzuwiegeln, wie die hanebüchene Begründung der Alliierten lautete. Wenn Bomber-Harris und andere Epigonen des Luftkriegs es vorzogen, die Arbeiterviertel in den deutschen Städten dem Erdboden gleichzumachen, dann geschah dies nicht nur, um die Bevölkerung zu zermürben, sondern auch aus Furcht vor einer Wiederauflage der Novemberrevolution von 1918. Und wenn Roosevelt sich veranlasst sah, Hiroshima und Nagasaki zum Ziel für seine Atombomben auszuwählen, so nicht, weil er etwa das Leben seiner Soldaten schonen wollte, die er zuvor skrupellos seinem imperialistischen Kalkül geopfert hat (siehe z.B. Pearl Harbor). Vielmehr ging es dem US-Imperialismus nach der Niederringung seiner alten Rivalen, Deutschland und Japan, um eine Demonstration der Stärke und einen Einschüchterungsversuch gegenüber seinem neuen Rivalen, der stalinistischen Sowjetunion.

Alles in allem zeigt sich, dass der II. Weltkriegs trotz seiner Exzesse in keiner Weise außerhalb des blutigen Reigens imperialistischer Konflikte vor und nach ihm steht, wie uns besonders die Linksextremisten vorgaukeln, angefangen bei den Trotzkisten bis hin zu den Antideutschen, einer besonders frenetischen Form des Antifaschismus. Wir wissen, dass wir mit dieser Position und all ihren Konsequenzen noch ziemlich allein auf weiter Flur stehen. Doch nicht nur, dass in den letzten Jahren immer mehr suchende Elemente der Arbeiterklasse bereit sind, sich von den Scheuklappen des Antifaschismus zu befreien; wir wissen uns darüber hinaus in der Tradition der Internationalisten der 30er und 40er Jahre, die selbst inmitten des imperialistischen Orkans nie den Kopf verloren und beharrlich die Fahne des internationalen Proletariats hochhielten. In diesem Sinne stimmen wir dem „Manifest der Kommunistischen Linken an die Proletarier Europas“ zu, das im Juni 1944 erstmals veröffentlicht und von der IKS (in Deutschland in der Weltrevolution Nr. 13) wiederveröffentlicht wurde und das mit folgenden Worten beginnt:

„Seit fast fünf Jahren wütet der imperialistische Krieg in Europa mit all seinen Erscheinungen von Elend, Massakern und Zerstörung. An der russischen, französischen und italienischen Front sind Abermillionen Arbeiter und Bauern dabei, sich gegenseitig für die ausschließlichen Interessen eines schmutzigen und blutigen Kapitalismus abzuschlachten, der nur seinen Gesetzen des Profits und der Akkumulation gehorcht. Während der fünf Kriegsjahre, vor allem während des letzten, dem Jahr der Befreiung aller Völker, wie es Euch gesagt wurde, sind die Täuschungsprogramme und viele Illusionen verschwunden und brachten die Maske zu Fall, hinter der sich das widerwärtige Gesicht des internationalen Kapitalismus versteckte. In jedem Land hat man Euch für verschiedene Ideologien mobilisiert, aber mit dem gleichen Ziel und mit dem gleichen Ergebnis: Euch in ein Blutbad zu stürzen, die die einen gegen die anderen, Leidensgenossen gegen Leidensgenossen, Arbeiter gegen Arbeiter.

Der Faschismus und Nationalsozialismus fordern Lebensraum für ihre ausgebeuteten Massen, aber damit machen sie nichts anderes, als ihren fanatischen Willen zu verstecken, sich selbst der tiefgreifenden Krise zu entwinden, die sie von Grund auf untergräbt.

Der britisch-russisch-amerikanische Block will Euch angeblich vom Faschismus erlösen, um Euch Eure Freiheiten und Rechte wiederzugeben. Aber diese Versprechungen sind nur die Köder, um Euch zur Teilnahme am Krieg zu bewegen, um den großen imperialistischen Konkurrenten, nachdem man ihn erzeugt hatte, den Faschismus, zu vernichten, als nicht mehr zeitgemäße Herrschafts- und Existenzform des Kapitalismus.“

 

                                        IKS im Juni 2005

Historische Ereignisse: 

  • Zweiter Weltkrieg [7]

Theoretische Fragen: 

  • Imperialismus [8]

Polemik mit dem IBRP: Eine opportunistische Politik der Umgruppierung führt lediglich zu „Fehlgeburten“

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Im letzten Artikel dieser Serie („Der Nucleo Comunista Internacional, eine Episode im Streben des Proletariats nach Bewusstsein“,    Internationale Revue Nr. 35) haben wir den Weg eines kleinen Kerns von revolutionären Genossen geschildert, welche sich im „Nucleo Comunista Internacional (NCI) zusammengefunden hatten.

Wir haben die Probleme aufgezeigt, auf welche diese kleine Gruppe gestossen ist. Eines ihrer Mitglieder, Bürger B., hatte seine Informatik-Kenntnisse (vor allem über das Internet) benutzt, um die anderen Mitglieder zu isolieren, indem er die Korrespondenz mit Gruppen des politischen proletarischen Milieus monopolisierte. Er zwang ihnen seine Entscheidungen auf oder fällte sie gar hinter ihrem Rücken. Auch versteckte er sein Vorgehen bewusst, da die anderen Mitglieder dieses nicht genehmigen würden, weil er eine Politik entwickelte, welche von einem Tag auf den anderen die Richtung änderte. Genauer gesagt, nachdem er bis zum Sommer 2004 seinen Willen zur sofortigen Integration in die IKS1 gezeigt und behauptet hatte, mit allen programmatischen Positionen und Analysen einverstanden zu sein, und gleichzeitig die Positionen des IBRP verworfen und das unverschämte, verleumderische Verhalten der so genannten „Internen Fraktion der IKS“ (IFIKS) kritisiert hatte, machte er eine unvermittelte Kehrtwende.

Während noch eine Delegation der IKS in Argentinien weilte und eine Reihe von Diskussionen mit dem NCI führte, nahm er Kontakt mit der IFIKS und dem IBRP auf, um ihnen das Angebot einer gemeinsamen Arbeit zu machen und den Namen der Gruppe in „Circulo de Comunistas Internacionalistas“ umzutaufen (und dies alles, ohne der Delegation der IKS oder den anderen Gruppenmitgliedern nur ein Wort zu sagen). „Es ist bemerkenswert, dass Bürger B.s plötzliche Leidenschaft für das IBRP und dessen Positionen sowie für die IFIKS erst begann, als diesem kleinen Abenteurer gewahr wurde, dass er mit seinen Manövern bei der IKS auf Granit beissen würde. Diese Konvertierung, die noch schneller stattfand als die des St. Paulus auf dem Weg nach Damaskus, veranlasste das IBRP, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, sich hastig zum Sprecher von Bürger B. zu machen. Das IBRP sollte sich selbst einst fragen, wie es kommt (und das nicht nur einmal), dass Elemente, die ihre Unfähigkeit bewiesen haben, sich in die Kommunistische Linke zu integrieren, sich stets dem IBRP zuwandten, nachdem sie mit ihrer „Annäherung“ an die IKS gescheitert sind.“ (ebenda)

Soviel wir wissen, hat sich das IBRP diese Frage bisher noch nicht gestellt (auf jeden Fall ist nie etwas in seiner Presse darüber veröffentlicht worden).

Ein Ziel dieses Artikels ist es, unter anderem auf genau diese Frage eine Antwort zu geben, was für das IBRP von Nutzen sein könnte sowie für Elemente, die sich den Positionen der Kommunistischen Linken annähern und beeindruckt sind von der Behauptung des IBRPs,  „der alleinige Erbe der Italienischen Kommunistischen Linken“ zu sein. Ganz generell erlaubt es uns zu verstehen, weshalb diese Organisation eine anhaltende Serie von Niederlagen in seine Umgruppierungspolitik der revolutionären Kräfte auf internationaler Ebene erlitten hat.

Die für konfuse Elemente unwiderstehliche Anziehungskraft der Sirenengesänge des IBRP
 Die Haltung des Bürgers B., auf einen Schlag eine vollständige Übereinstimmung mit den Positionen des IBRP und mit den (total verleumderischen) Anklagen der IFIKS gegen die IKS zu entdecken, ist nichts mehr als eine Karikatur einer Herangehensweise, die wir schon vorher bei zahlreichen Elementen sehen konnten, die sich erst in eine Diskussion mit unserer Organisation begaben und dann feststellten, dass sie sich in der Türe geirrt hatten. Entweder weil sie unsere Positionen nicht teilten, weil die Anforderungen der Militanz in der IKS für sie allzu eingeengt erschienen, oder weil sie realisierten, dass sie ihre persönliche Politik innerhalb der IKS nicht weiterführen könnten. Oft wandten sich solche Elemente dem IBRP zu, weil ihnen diese Organisation ihre Erwartungen eher erfüllen konnte. Wir haben dies schon verschiedentlich in unserer Presse aufgezeigt. Dennoch ist es die Mühe wert, darauf zurück zu kommen, da es sich nicht um Ausnahmen oder Zufälligkeiten handelt, sondern um ein sich wiederholendes Phänomen, welches bei den Mitgliedern des IBRP eigentlich Fragen aufwerfen sollte.

 

Schon vor der Geburt des IBRP...
 Man findet schon in der Vorgeschichte des IBRP (und auch der IKS) ein Beispiel welches sich mehrmals wiederholen sollte. Wir sind im Jahre 1973-74: Auf einen Aufruf hin einer amerikanischen Gruppe mit dem Namen Internationalism (welche später die Sektion der IKS in den USA wurde) zu einer internationalen Korrespondenz wurde eine Reihe von Treffen unter Gruppen abgehalten, die sich auf die Kommunistische Linke beriefen. Die regelmässigsten Teilnehmer an diesen Treffen waren Révolution Internationale (RI) aus Frankreich und drei Gruppen aus Grossbritannien: World Revolution (WR), Revolutionary Perspectives (RP) und Workers’ Voice (WV) (benannt nach ihren Publikationen). WR und RP stammten aus Abspaltungen der Gruppe Solidarity, welche anarcho-rätistische Positionen vertrat. WV hingegen war eine kleine Gruppe von Arbeitern aus Liverpool, die mit dem Trotzkismus gebrochen hatten. Durch diese Diskussionen näherten sich die drei englischen Gruppen den Positionen von Révolution Internationale und Internationalism an (welche im Jahr darauf die IKS gründeten). Doch der Vereinigungsprozess dieser drei Gruppen endete in einer Niederlage. Einerseits beschlossen die Elemente von Worker’s Voice mit World Revolution zu brechen, weil sie das Gefühl hatten, von WR betrogen worden zu sein. Diese hatte halb rätistische Positionen zur Russischen Revolution 1917 aufrecht erhalten: Sie sagte zwar, dass es sich um eine proletarische Revolution gehandelt habe, die Bolschewiki jedoch eine bürgerliche Partei gewesen seien, eine Position, von der sie die Genossen von WV überzeugt hatte. Und weil WR nach dem Treffen vom Januar 1974 diese letzten Reste des Rätismus abgeschüttelt hatte und die Position von Révolution Internationale angenommen hatte, bekamen jene Genossen das Gefühl, „betrogen“ worden zu sein, und entwickelten eine starke Ablehnung gegenüber WR (mit der Beschuldigung „vor RI kapituliert zu haben“), was sie dazu führte, im November 1974 eine „Stellungnahme“ zu veröffentlichen, in der die Gruppen, welche kurz darauf die IKS gründen sollten als „konterrevolutionär“ bezeichnet wurden2. RP hingegen hatte die IKS angefragt, als „Tendenz“ mit einer eigenen Plattform integriert zu werden (weil es immer noch Differenzen zwischen dieser Gruppe und der IKS gab). Wir antworteten darauf, dass es nicht unsere Vorgehensweise sei, „Tendenzen“ als solche mit einer eigenen Plattform zu integrieren, auch wenn es in der Organisation unterschiedliche Positionen zu zweitrangigen Fragen der programmatischen Dokumente geben kann. Wir hatten die Türe zu einer Debatte für RP nicht verschlossen, doch diese Genossen begannen sich von der IKS zu entfernen. Sie begannen eine „alternative“ internationale Umgruppierung zu derjenigen der IKS zu starten, und zwar mit WV, der französischen Gruppe „Pour une Intervention Communiste“ (PIC) und der „Revolutionary Workers Group“ (RWG) aus Chicago. Dieser „Block ohne Prinzipien“ (ein Ausdruck Lenins) hatte einen kurzen Atem. Es konnte auch kaum anders sein, denn was die drei Gruppen als einziges verband, war ihre zunehmende Feindschaft gegenüber der IKS. Schlussendlich kam es doch noch zu einer Vereinigung in Grossbritannien zwischen RP und WV (September 1975), welche die „Communist Workers’ Organisation“ (CWO) gründeten. Diese Vereinigung hatte für RP einen hohen Preis: Ihre Mitglieder mussten die Position von WV akzeptieren, nach der die IKS „konterrevolutionär“ sei. Eine Weile lang wurde diese Position auch aufrecht erhalten, auch noch ein Jahr später, als die alten Mitglieder von WV sich von der CWO verabschiedeten und diejenigen, welche von RP stammten - der Intoleranz anderen Gruppen gegenüber bezichtigten!3 Diese „Analyse“ der CWO, welche die IKS als „konterrevolutionär“ bezeichnete, basierte auf folgenden „gewichtigen Argumenten“:

„- die IKS verteidigt das staatskapitalistische Russland nach 1921 und die Bolschewiki;

- sie bezeichnet eine staatskapitalistische Bande wie die trotzkistische Linksopposition als proletarische Gruppe“ (Revolutionary Perspectives Nr. 4).

Kurz darauf, als die CWO mit dem Partito Comunista Internazionalista aus Italien (Battaglia Comunista) zu diskutieren begann, widerrief sie die Bezeichnung der IKS als „konterrevolutionär“ (hätte sie die ehemaligen Kriterien aufrecht erhalten, so hätte sie BC ebenfalls als eine bürgerliche Organisation bezeichnen müssen!).

Ausgangspunkt der Wanderschaft der CWO war die Tatsache, dass die IKS sich geweigert hatte, RP mit einer eigenen Plattform zu integrieren. Diese Wanderschaft endete 1984 in der Gründung des IBRP: Die CWO durfte nach all den vorangegangenen Niederlagen schlussendlich doch noch an einer internationalen Umgruppierung teilhaben.

 

 

Die Enttäuschung mit den SUCM 
Selbst der Prozess der Formierung des IBRP war demnach schon davon geprägt, dass „von der IKS Enttäuschte“ sich dem IBRP zuwandten. Wir kommen hier nicht auf die drei Konferenzen linkskommunistischer Gruppen zurück, die zwischen 1977 und 1980 nach einem Aufruf von BC im April 1976 stattfanden4. Unsere Presse hat jedoch mehrmals hervorgehoben, dass es total unverantwortlich und nur vom Interesse um ihre eigene kleine Kapelle getrieben war, als BC und die CWO diese Anstrengung abgewürgten, indem sie am Ende der 3. Konferenz eine Abstimmung darüber erzwangen, dass die Frage der Rolle und Funktion der Partei ein zusätzliches Teilnahmekriterium sein solle. Ziel dabei war es, die IKS von zukünftigen Konferenzen auszuschliessen5. Betrachten wir nun die „Konferenz“ von 1984, welche von BC und der CWO als Fortsetzung der drei Konferenzen zwischen 1977 und 1980 dargestellt wurde. Auf dieser „Konferenz“ war neben BC und der CWO die Gruppe „Supporters of the Unity of Communist Militants“ (SUCM), eine Gruppe iranischer Studenten vor allem aus England, welche die IKS gut kannte: Wir hatten mit ihnen schon zuvor diskutiert und erkannt, dass sie trotz allen Beteuerungen, mit der Kommunistischen Linken einverstanden zu sein, im Grunde eine linke Gruppe waren, die dem Maoismus entstammte. Die SUCM wandte sich danach an die CWO, die aber keine Notiz nahm von den Warnungen unserer Genossen in England vor dieser Gruppe. Dank diesen wunderbaren neuen „Rekruten“ konnten die CWO und BC jegliche Auseinandersetzung auf dieser gloriosen 4. Konferenz der Gruppen der Kommunistischen Linken verhindern, da sie nun die IKS nicht mehr mit ihrem „Rätismus“ verseuchen konnte, und sich endlich den wichtigen Fragen des Aufbaus der zukünftigen Weltpartei der Revolution widmen6. Realität war aber Folgendes: All die anderen „Kräfte“, welche vom Tandem BC-CWO mit „Seriosität und Klarheit ausgewählt“ wurden (um die Formulierung von BC zu benutzen), sagten ab oder konnten nicht kommen, wie die Gruppe „Kommunistische Politik“ aus Österreich und L`Éveil Internationaliste, oder sie waren zum Zeitpunkt der „Konferenz“ gar schon verschwunden, wie die beiden amerikanischen Gruppen „Marxist Worker“ und „Wildcat“. Absurderweise schien letztere trotz ihrer rätistischen Positionen den „Teilnahmekriterien“, die von BC und der CWO aufgestellt worden waren, zu entsprechen7.

Der Flirt mit der SUCM dauerte nicht lange. Dies jedoch nicht wegen der Klarheit der Genossen von BC und der CWO, sondern ganz simpel deshalb, weil diese Gruppe ihren wahren Charakter nicht lange verbergen konnte und sich in die iranische Kommunistische Partei, eine stalinistische Organisation, eingliederte.

BC und die CWO luden keine anderen Gruppen ein wie zu den Konferenzen der Kommunistischen Linken, um sich nicht mit einem neuen Fiasko lächerlich zu machen8.

 

Zwei verschiedene Karrieren
Die Anziehungskraft des IBRP für „von der IKS Enttäuschte“ zeigte sich zur selben Zeit auch bei einem Element, das wir hier L. nennen und für einige Zeit sein einziger Repräsentant in Frankreich war. Dieses Element, welches seine Schule bei einer trotzkistischen Organisation gemacht hatte, näherte sich der IKS zu Beginn der 80er Jahre an und wollte in unsere Organisation eintreten. Wir führten mit ihm genaue Diskussionen, baten ihn aber auch um Geduld, weil er trotz voller Übereinstimmung mit unseren Positionen noch starke Überreste seiner linken Vergangenheit zeigte, vor allem einen ausgeprägten Immediatismus. Geduld hatte er aber gerade deshalb sehr wenig: Weil die Diskussionen für seinen Geschmack zu lange dauerten, brach er sie ab und wandte sich den Gruppen zu, die das IBRP bildeten. Von einem Tag auf den anderen übernahm er die Positionen des IBRP, welches auch nicht dieselbe Geduld für eine Integration forderte. Die Überzeugung dieses Elements war denn auch keinesfalls solide, und so verliess er das IBRP auch wieder, um zwischen den verschiedenen bordigistischen Gruppen in der Kommunistischen Linken hin und her zu segeln und danach Mitte der 90er Jahre wieder zum IBRP zurückzukehren. Wir hatten damals das IBRP auf die mangelnde politische Verlässlichkeit dieses Elements aufmerksam gemacht. Doch sie hatten unsere Warnung nicht zur Kenntnis genommen und ihn wieder in ihre Organisation integriert. Und so ist er denn auch, wen wundert es, nicht lange im IBRP geblieben: Ab dem Jahr 2000 „entdeckte“ er ein zweites Mal, dass die angenommenen Positionen ihn doch nicht vollständig überzeugten, und er tauchte an mehreren öffentlichen Diskussionsveranstaltungen der IKS auf, um das IBRP in den Dreck zu ziehen. Die IKS hielt es für notwendig, seine Verunglimpfungen zurückzuweisen und das IBRP dagegen zu verteidigen.

Die Serie von Flirts des IBRP mit von der IKS enttäuschten Elementen beschränkt sich jedoch nicht auf das beschriebene Beispiel.

Ein anderes Element, das ebenfalls aus der Linken kam und wir hier E. nennen, schlug eine ähnliche Laufbahn ein. Mit ihm entwickelte sich der Prozess der Integration in die IKS weiter als mit L., und er wurde nach langen Diskussionen Mitglied unserer Organisation. Es ist eine Sache, mit den Positionen einer Organisation einverstanden zu sein, jedoch eine andere, sich auch in eine kommunistische Organisation zu integrieren. Auch wenn die IKS diesem Element lange erklärt hatte, was es heisst, ein Militanter einer kommunistischen Organisation zu sein, und er dies anerkannt hatte, so erfordert die praktische Erfahrung der Militanz eine permanente Anstrengung zur Überwindung des Individualismus. Wir mussten bald feststellen, dass er keinen Platz in unserer Organisation fand, sondern eine feindselige  Haltung gegenüber der IKS entwickelte. Schliesslich verliess er die IKS, ohne jegliche Divergenz gegenüber unserer Plattform zu formulieren (trotz unserer Aufforderung, eine seriöse Diskussion über seine „Vorwürfe“ aufzunehmen). Dies hinderte ihn nicht, kurz darauf seine Übereinstimmung mit den Positionen des IBRP zu entdecken, und dessen Presse veröffentlichte sogar einen Artikel von ihm, der eine Polemik gegen die IKS darstellen sollte.

Um auf die Gruppen zurück zu kommen, welche einen solchen Weg einschlugen: Die Liste der oben angeführten Beispiele ist noch nicht vollständig. Wir möchten noch die Beispiele der „Communist Bulletin Group“ (CBG) in Grossbritannien, Kamunist Kranti in Indien, Comunismo in Mexiko, „Los Angeles Workers’ Voice“ und Notes Internationalistes in Kanada beleuchten.

 

Die unglückliche Liebe zwischen der CBG und der CWO 
In unserer Presse sind schon verschiedenste Artikel zur CBG erschienen9. Wir entwickeln hier nicht eine umfassende Analyse von diesem parasitären Grüppchen, welches von ehemaligen Mitgliedern unserer Organisation gegründet wurde, die 1981 ausgetreten waren und uns dabei Material und Geld gestohlen hatten. Ihr einzige Ziel war es, die IKS in den Dreck zu ziehen. Ende 1983 hatte diese Gruppe folgendermassen auf eine „Adresse an die politischen proletarischen Gruppen“ geantwortet, die vom 5. Kongress der IKS verabschiedet worden war, um „eine bewusste Zusammenarbeit unter allen Gruppen aufzubauen10“: “Wir wollen gegenüber der in dieser Adresse formulierten Stossrichtung und den Anliegen unsere Solidarität ausdrücken ...“. Doch sie übten nicht die geringste Kritik an ihrem Verhalten als Diebe. Wir schrieben ihnen: „So wie wir die grundlegenden Fragen der Verteidigung der politischen Organisationen des Proletariates verstehen, sind wir gezwungen, auf den Brief der CBG zu antworten, dass er für uns wertlos ist. Sie hat sich wohl in der Adresse getäuscht.“

Vermutlich enttäuscht über die Zurückweisung der IKS und sichtbar unter ihrer Isolation leidend, hat sich die CBG schlussendlich der CWO zugewandt, der britischen Organisation des IBRP. Es fand ein Treffen in Edinburgh im Dezember 1992 statt, nachdem schon „eine praktische Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern der CWO und der CBG stattgefunden hatte“. „Eine Vielzahl von Missverständnissen konnte beidseitig geklärt werden. Es wurde beschlossen, die Zusammenarbeit formeller weiterzuführen. Eine Übereinkunft wurde getroffen, welche die CWO im Januar noch innerhalb der gesamten Organisation bestätigen muss (nachdem ein Bericht erstellt worden ist) und der die folgenden Punkte enthält...“ Darauf folgte eine Liste von Übereinstimmungen zur Zusammenarbeit und speziell: „Die beiden Gruppen werden einen Entwurf für eine vorgeschlagene „populäre Plattform“ diskutieren, der von einem Mitglied der CWO verfasst wird und als Werkzeug zur Intervention dient.“ (Workers’ Voice Nr. 64, Januar-Februar 1996)

Offenbar folgte auf diesen Flirt nichts mehr, da wir seither nie mehr etwas von einer Zusammenarbeit zwischen der CBG und der CWO erfahren haben. Ebenso wenig haben wir je etwas darüber gelesen, weshalb diese Zusammenarbeit scheiterte.

 

Der Kummer des IBRP in Indien
Ein anderes unglückliches Abenteuer mit „von der IKS Enttäuschten“ war das mit der Gruppe in Indien, die Kamunist Kranti veröffentlichte. Dieser kleine Kern entstammte einer Gruppe von Elementen, mit denen die IKS während der 80er Jahre diskutiert hatte und von denen sich einige an unsere Organisation annäherten und enge Sympathisanten wurden, wobei einer auch in die IKS eintrat. Doch eines dieser Elemente, das wir hier S. nennen und das eine wichtige Rolle in den ersten Diskussionen mit der IKS spielte, schlug einen anderen Weg ein. Möglicherweise aus Angst davor, durch eine Integration in die IKS seine Individualität zu verlieren, gründete er seine eigene Gruppe mit der Zeitschrift Kamunist Kranti.

Das IBRP hatte schon seine Erfahrung mit Rückschlägen in Indien hinter sich. Für diese Organisation machen die Bedingungen, wie sie in Ländern der Peripherie existieren „die Existenz von kommunistischen Massenorganisationen möglich“ (Communist Revue Nr. 3), was für sie offenbar auch heisst, dass es dort leichter sei, kleine kommunistische Gruppen zu bilden, als in den zentralen Ländern des Kapitalismus. Das IBRP leidet aber darunter, dass seine These nicht bestätigt wird durch Gruppen, die seine Plattform annehmen würden. Dieses Leiden war zu jener Zeit besonders gross, da gerade die IKS, deren Analyse als „eurozentristisch“ bezeichnet wurde, eine Sektion in einem dieser Länder der Peripherie hatte, in Venezuela. Offenbar hatte der misslungene Flirt mit der SUCM die Verbitterung des IBRP noch verstärkt. Als das IBRP Diskussionen mit der Gruppe Lal Pataka in Indien aufnehmen konnte, dachte es das grosse Los gezogen zu haben. Doch Lal Pataka war, wie die SUCM, eine vom Maoismus kommende Gruppe, die nicht wirklich mit ihren Wurzeln brechen konnte, trotz Sympathiebekundungen gegenüber den Positionen der Kommunistischen Linken. Auf die Warnungen der IKS gegenüber dieser Gruppe (die genau genommen nur aus einer Person bestand) antwortete das IBRP: „Einige zynische Geister [es handelt sich dabei um die Geister der IKS] denken, dass wir diesen Genossen allzu schnell in das IBRP aufgenommen hätten.“ Während einer gewissen Zeit trat Lal Pataka als der Vertreter des IBRP in Indien auf. Doch 1991 verschwand dieser Name aus der Presse des IBRP und wurde durch Kamunist Kranti ersetzt. Das IBRP setzte viel auf diese „von der IKS Enttäuschten“: Wir hoffen das in der Zukunft ein produktives Verhältnis zwischen dem IBRP und Kamunist Kranti aufgebaut werden kann“. Doch diese Hoffnungen schwanden bald, und man konnte zwei Jahre später in Communist Review Nr. 11 lesen: „Es ist eine Tragödie, dass trotz viel versprechenden Elementen in Indien kein solider Kern von Kommunisten mehr besteht.“ Seither ist Kamunist Kranti vom Erdboden verschwunden. Es existiert aber sehr wohl ein kleiner kommunistischer Kern in Indien der die Zeitschrift Communist Internationalist herausgibt, doch er ist Teil der IKS, und das IBRP „vergisst“, auch nur einmal darauf hinzuweisen.

 

Mexikanische Enttäuschungen
Zu derselben Zeit, als sich einige Elemente in Indien den Positionen der Kommunistischen Linken annäherten, hatte die IKS eine Diskussion mit einer kleinen Gruppe in Mexiko aufgenommen, dem „Colectivo Comunista Alptraum“ (CCA), das 1986 die Zeitschrift Comunismo herauszugeben begann11. Wenig später bildete sich der „Grupo Proletario Internacionalista“ (GPI), welche Gruppe ab Beginn des Jahres 1987 die Zeitschrift  Revolución Mundial herausgab und mit der sich ebenfalls Diskussionen entwickelten12. Von diesem Moment an entfernte sich das CCA von der IKS: Einerseits entwickelte es eine zunehmend akademistische Haltung in seinen politischen Positionen, und andererseits näherte es sich dem IBRP an. Auf jeden Fall ist diesem kleinen Kern das gute Verhältnis zwischen der IKS und dem GPI in den falschen Hals geraten.

Es kannte die Haltung der IKS, die darauf besteht, dass Gruppen der Kommunistischen Linken, die im selben Land existieren enge Verbindungen aufnehmen. Das CCA, das zehnmal weniger Mitglieder hatte als der GPI, befürchtete vermutlich eine Einschränkung seiner „Individualität“ durch die Kontaktaufnahme mit dieser Gruppe. Die Verbindungen zwischen dem IBRP und dem CCA bestanden noch eine Weile, doch als der GPI die Sektion der IKS in Mexiko wurde, verschwand das CCA.

 

Ein stürmischer „Amerikanischer Traum“
Mit dem „Los-Angeles-Workers’-Voice“-Abenteuer kommen wir nun fast zum Ende dieser langen Liste. Diese Gruppe formierte sich aus Leuten, die dem Maoismus der pro-albanischen Art entstammten. Wir hatten mit diesen Elementen über eine lange Zeit Diskussionen geführt, doch zeigte sich dabei ihre Unfähigkeit, all die Konfusionen zu überwinden, die sie aus der Vergangenheit in einer bürgerlichen Organisation geerbt hatten. Als sich diese kleine Gruppe Mitte der 90er Jahre dem IBRP annäherte, warnten wir dieses vor den Konfusionen der LAWV. Das IBRP verstand diese Warnung nicht und vermutete dahinter wohl die Absicht, seine politische Präsenz auf dem nordamerikanischen Kontinent verhindern zu wollen. Mehrere Jahre lang war die LAWV eine sympathisierende Gruppe des IBRP in den Vereinigten Staaten, und im April 2000 nahm sie an einer Konferenz in Montreal, Kanada, teil, die das Ziel hatte, die Präsenz des IBRP auf dem nordamerikanischen Kontinent zu verstärken. Doch nur kurze Zeit später begannen die Element von LAWV, eine Reihe von Kritiken zu formulieren, und zeigten eine zunehmend anarchistische Haltung (Zurückweisen der Zentralisierung, Bezeichnung der Bolschewiki als eine bürgerliche Partei, usw.). Vor allem aber begannen sie Lügen über das IBRP und im Besonderen über einen Sympathisanten dieser Organisation, AS, der in einem anderen Staat lebte, zu verbreiten. Unsere Presse in den USA prangerte die Verhaltensweisen der LAWV an und drückte unsere Solidarität mit den verleumdeten Genossen aus13. Wir betrachteten es auch als notwendig, an die Warnungen, welche wir zu Beginn der Idylle zwischen dem IBRP und den LAWV ausgesprochen hatten, zu erinnern.

Der andere Teilnehmer an der Konferenz im April 2000, Internationalist Notes, der sich heute als „sympathisierende Gruppe“ des IBRP bezeichnet, gehört ebenfalls zum Lager der „von der IKS Enttäuschten“. Die Diskussion zwischen der IKS und diesen Genossen aus Montreal begann Ende der 90er Jahre. Es handelte sich um einen kleinen Kern, dessen erfahrenstes Element, das wir hier W. nennen, eine lange Geschichte in den Gewerkschaften und in einer linken Organisation hinter sich hatte. Die Diskussionen waren gerade bei den verschiedenen Besuchen von IKS-Mitgliedern in Montreal immer sehr freundschaftlich, und wir gingen davon aus, dass diese Genossen genauso ehrlich sind wie wir. Es war uns immer bewusst, dass die langjährige Vergangenheit von W. in einer linken Organisation ein Hindernis für das vollständige Begreifen der Positionen und Methode der Kommunistischen Linken war. Aus diesem Grund forderten wir den Genossen W. mehrmals auf, eine Bilanz über seine politische Laufbahn zu verfassen, doch er hatte offensichtlich seine Schwierigkeiten damit, denn wir haben diese Bilanz trotz seinen Versprechungen nie erhalten.

Während die Diskussionen mit Internationalist Notes weiter gingen und ohne dass die Genossen uns jemals von einer eventuellen Annäherung an die Positionen des IBRP informierten, erfuhren wir durch eine Erklärung, dass Internationalist Notes eine sympathisierende Gruppe des IBRP in Kanada geworden sei. Die IKS hatte die Genossen in Montreal dazu aufgefordert, die Positionen des IBRP kennen zu lernen und mit dieser Organisation Kontakt aufzunehmen. Unsere Haltung war und ist es nie, „die Kontakte für uns zu behalten“. Ganz im Gegenteil ist es wichtig für Kontakte, die sich der IKS annähern, auch die Positionen der anderen Gruppen der Kommunistischen Linken gut zu kennen. Wenn sie sich uns anschliessen, so soll das in vollem Bewusstsein geschehen14. Wenn Leute, die sich der Kommunistischen Linken annähern, den Positionen des IBRP zustimmen, ist dies an sich kein Problem. Doch überraschte es uns, dass diese Annäherung gewissermassen „im Geheimen“ vor sich ging. Das IBRP hat offenbar nicht dasselbe Interesse wie die IKS daran, dass W. mit seiner linken Vergangenheit bricht. Wir sind davon überzeugt, dass genau darin der Grund für seine Annäherung an das IBRP lag, ohne uns darüber zu informieren.

Die Spezialität des IBRP: politische Fehlgeburten
 Man müsste ja fast fasziniert sein vom sich wiederholenden Phänomen, dass Leute, die „von der IKS enttäuscht“ sind, schlussendlich beim IBRP landen. Man könnte fast meinen, es sei ein normaler Vorgang: Nachdem sie herausgefunden hatten, dass die Positionen der IKS falsch sind, wandten sich diese Elemente der Genauigkeit und Klarheit des IBRP zu. Dies haben sich die Genossen des IBPR vermutlich auch jedes Mal eingeredet. Das Problem ist aber folgendes: Von allen Gruppen, die eine solche Richtung eingeschlagen haben, ist heute nur noch eine in den Reihen der Kommunistischen Linken anzutreffen, nämlich genau diejenige, welche als letzte mit uns Kontakt hatte, Internationalist Notes. ALLE anderen Organisationen haben sich entweder aufgelöst oder sind in die Reihen bürgerlicher Organisationen zurückgekehrt wie die SUCM. Das IBRP sollte sich die Frage stellen weshalb, und es wäre interessant zu erfahren, welche Bilanz es der Arbeiterklasse über seine Erfahrungen liefern würde. Möglicherweise helfen die nachfolgenden Überlegungen seinen Genossen, eine solche Bilanz zu machen. 

Was den eingeschlagenen Weg dieser Gruppen bestimmte, war offensichtlich nicht die Suche nach einer Klarheit, die sie bei der IKS nicht vorfanden, denn sie endeten in der Aufgabe des kommunistischen Engagements. Die Tatsachen haben klar gezeigt, dass ihre Distanznahme von der IKS jedes Mal Hand in Hand ging mit einer Entfernung von der programmatischen Klarheit und der Methode der Kommunistischen Linken sowie einer Zurückweisung der militanten Arbeit in ihren Reihen. In der Realität war ihr kurzer Flirt mit dem IBRP lediglich eine Etappe vor der Aufgabe des Kampfes in den Reihen der Arbeiterklasse. Es stellt sich also die Frage: Weshalb zieht das IBRP gerade jene an, welche sich in dieser Dynamik befinden?

Auf diese Frage gibt es eine klare Antwort: Weil das IBRP eine opportunistische Sichtweise der Umgruppierung der Revolutionäre hat.

Es ist der Opportunismus des IBRP, welcher es Elementen erlaubt, die sich weigern, einen vollständigen Bruch mit ihrer linken Vergangenheit zu machen, im Kielwasser dieser Organisation ein vorübergehendes „Refugium“ zu finden und damit glauben machen wollen (oder es sich gar selber einreden), ein Engagement in der Kommunistischen Linken zu haben. Das IBRP hat seit der 3. Internationalen Konferenz von Gruppen der Kommunistischen Linken wahrlich immer wieder auf einer „rigorosen Selektion“ im proletarischen Milieu bestanden. Doch in Wirklichkeit ist diese Selektion einseitig gegen die IKS gerichtet, welche nicht mehr „eine nennenswerte Kraft für die Bildung der zukünftigen Weltpartei des Proletariates ist“ und die „für uns [das IBRP] kein Gesprächspartner im Hinblick auf eine gemeinsamen Aktion ist“ („Antwort auf unseren Appell vom 11. Februar 2003 an die Gruppen der Kommunistischen Linken zu einer gemeinsamen Intervention gegen den Krieg“, publiziert in der Internationalen Revue Nr. 32). Daher steht für das IBRP jegliche Zusammenarbeit mit der IKS ausser Frage, sei es auch nur für eine gemeinsame Erklärung des internationalistischen Lagers gegen den imperialistischen Krieg15. Doch diese grosse Rigorosität ist sonst wo kaum vorhanden, vor allem nicht gegenüber Gruppen, die nichts mit der Kommunistischen Linken am Hut haben, oder eindeutig linke Gruppen sind. In der Internationalen Revue Nr. 26 hatten wir geschrieben:

„Um das ganze Ausmass des Opportunismus des IBRP bei seiner Verweigerung gegenüber dem Vorschlag der IKS, einen gemeinsamen Aufruf gegen den Krieg zu verfassen, zu erkennen, ist es aufschlussreich einen Artikel von Battaglia Comunista (BC), der im November 1995 mit der Überschrift „Irrtümer gegenüber dem Balkankrieg“ geschrieben wurde, zu zitieren. BC berichtete darin, dass es von der OCI (Organizazione Comunista Internationale / Che Fare) eine Einladung zu einer nationalen Versammlung in Mailand gegen den Krieg erhalten habe. BC meinte, dass „der Inhalt des Briefes interessant und wesentlich verbessert worden ist im Vergleich zu den Positionen der OCI gegenüber dem Golfkrieg, ihrer „Unterstützung für das vom Imperialismus angegriffene irakische Volk“ und ihrer sehr polemischen Haltung in der Diskussion über unsere angeblichen Indifferenz“. Der Artikel führt dann weiter aus: „Es fehlt der Bezug auf die Krise des Akkumulationszyklus (...) und die wesentliche Analyse ihrer Auswirkungen in der jugoslawischen Föderation. (...) Aber dies scheint kein Hindernis zu sein für eine mögliche gemeinsame Initiative derjenigen, die sich auf dem Klassenterrain gegen den Krieg stellen“. Vor gerade einmal vier Jahren wollte BC in einer Lage, die weniger ernst war als zur Zeit des Kosovokrieges, eine gemeinsame Initiative mit einer mittlerweile völlig konterrevolutionär gewordenen Gruppe ergreifen, um ihre aktivistischen Bestrebungen auszutoben, schreckte aber nicht davor zurück, Nein zur IKS zu sagen – unter dem Vorwand, dass unsere Positionen zu weit von ihren entfernt seien. Das nennt man Opportunismus.“

Diese einseitige Auswahlmethode des IBRP zeigte sich im Jahre 2003 erneut, als es den Vorschlag der IKS zu einer gemeinsamen Stellungnahme gegen den Irakkrieg ausschlug. Wir hatten in der Internationalen Revue Nr. 33 folgendes geschrieben: „Von einer Organisation, die sich in der Einschätzung der Meinungsverschiedenheiten mit der IKS derart kleinlich zeigt, könnte man eine ähnliche Haltung gegenüber allen anderen Gruppen erwarten. Dem ist ganz und gar nicht so. Wir beziehen uns hier auf die Haltung des IBRP, wie sie sich bei seiner Sympathisantengruppe, die sie im nordamerikanischen Raum vertritt, der Internationalist Workers` Group IWG (mit der Publikation Internationalist Notes), zeigt. Diese Gruppe ist zusammen mit Anarchisten aufgetreten und hat eine gemeinsame öffentliche Veranstaltung mit Red and Black Notes und mit der Ontario Coalition Against Poverty (OCP), die eine typische linke, aktivistische Gruppe zu sein scheint, abgehalten.“ („Das politische proletarische Milieu angesichts des Krieges: Die Geissel des Sektierertums im internationalistischen Lager“)

Wie man sehen kann, zeigt sich der Opportunismus des IBRP in seiner Weigerung, sich klar von Gruppen zu distanzieren, die weit entfernt von der Kommunistischen Linken stehen, die keinen wirklichen Bruch mit den Linken (sprich mit dem bürgerlichen Lager) gemacht haben oder die ganz einfach Linke sind. Diese Haltung hat es schon gegenüber der SUCM oder Lal Pataka gezeigt. Mit einer solchen Methode ist es nicht verwunderlich, dass sich Leute, die nicht fähig sind, eine wirkliche Bilanz ihrer Erfahrungen bei den Linken zu machen, sich in der Gefolgschaft des IBRP wohler fühlen als mit der IKS.

Die Angehensweise der kanadischen Gruppe führt uns eine andere Variante des Opportunismus des IBRP vor Augen: Jeder Teil des IBRP besitzt „die Freiheit zur eigenen Politik“. Was für die europäischen Gruppen absolut nicht in Frage kommt, ist normal für eine amerikanische Gruppe (denn wir haben nicht eine einzige Kritik in Battaglia Comunista oder Revolutionary Perspectives entdeckt, welche die Haltung der kanadischen Genossen kritisiert). Das nennt man Föderalismus - ein Föderalismus, den das IBRP in seinem Programm verwirft, in seiner Praxis jedoch angenommen hat. Es ist dieser geleugnete, jedoch praktizierte Föderalismus, der gewisse Leute, die den Zentralismus der IKS allzu zwanghaft finden, zum IBRP hinzieht.

Wenn das IBRP Elemente rekrutiert, die durch die Überreste ihrer linken Vergangenheit geprägt sind, die Zentralisierung ablehnen und es vorziehen, in ihrer Ecke eine eigene Politik zu betreiben, so sind das die besten Bedingungen zur Vernichtung der Grundlagen einer Organisation, die international lebensfähig ist.

Ein anderer Aspekt des Opportunismus des IBRP ist seine ausgesprochene Nachsicht gegenüber Elementen, die feindlich gegen die IKS eingestellt sind. Wie zu Beginn des Artikels aufgezeigt, war eine der Grundlagen zur Formierung der CWO in England nicht nur der Wille, die eigene „Individualität“ aufrecht zu erhalten (Anfrage von RP zur Integration in die IKS als „Tendenz“ mit einer eigenen Plattform), sondern auch der Widerstand gegen die IKS (die eine Weile lang sogar als „konterrevolutionär“ bezeichnet wurde). Die Haltung der Elemente von Workers Voice innerhalb der CWO „RP als Schutzschild gegen die IKS zu gebrauchen“ findet man später bei vielen anderen Elementen und Gruppen wieder, deren Hauptmotivation die Feindschaft gegen die IKS ist. Dies war im Speziellen der Fall bei L., der sich in der ganzen Gruppe, aus der er stammte (und die viele Mitglieder hatte), immer am hysterischsten gegen unsere Organisation aufführte. Desgleichen E., den wir oben erwähnt haben und der eine enorme Feindschaft gegen die IKS zu entwickeln begann, bevor er die Positionen des IBRP übernahm. Der einzige Text von ihm, den unseres Wissens das IBRP veröffentlichte, war eine harte Attacke gegen die IKS.

Gar nicht zu sprechen von der CBG, mit der die CWO einen Flirt ohne Fortsetzung hatte und deren Verleumdungen (mit allem möglichen schmutzigen Geschwätz) gegen die IKS ihresgleichen sucht!

Doch vor allem in letzter Zeit findet die Öffnung gegenüber dem IBRP auf der Grundlage des Hasses gegen die IKS ihre extremsten Ausdrücke, wie die folgenden zwei Beispiele zeigen: die Annäherung an das IBRP durch die sogenannte „Interne Fraktion der IKS“ (IFIKS) und durch den Bürger B., Gründer, Chef und einziges Mitglied des „Circulo de Comunistas Internacionalistas“ in Argentinien.

Wir gehen hier nicht in die Details bezüglich der Verhaltensweisen der IFIKS, die ihren beseelten Hass gegen unsere Organisation enthüllen16. Wir führen hier in geraffter Form einige ihrer Arbeitsprinzipien auf:

- verabscheuenswürdige Verleumdungen gegen die IKS und einige unserer Genossen (die unter der Hand verbreitet wurden und den Verdacht schürten, dass ein Genosse für die Polizei arbeite und ein anderer die Politik Stalins der „Eliminierung“ der Gründungsmitglieder der Organisation  verfolge);

- Diebstahl von Geld und politischem Material der IKS (wie z.B. die Adressliste unserer Abonnenten der französischen Presse);

- Denunzierungen, die den Überwachungsorganen des bürgerlichen Staates die Möglichkeit gaben, die Konferenz unserer Sektion in Mexiko vom Dezember 2002 zu überwachen und die Identität eines unserer Genossen zu erfahren (welcher von der IFIKS als der „Chef“ der IKS dargestellt wurde).

Im Falle des Bürgers B. drückte sich dies durch die Veröffentlichung von mehreren erbärmlichen Communiques über die angeblich „ekelerregenden Methoden der IKS“ aus, welche vergleichbar seien mit den Methoden des Stalinismus und auf einem Lügengebilde aufbauen würden.

Diese unberechenbare Person konnte eine solche Arroganz lediglich deshalb an den Tag legen, weil ihr das IBRP, dem sie durch das Abfassen von Texten, die den Positionen dieser Organisation ähnelten, schmeichelte (vor allem was die Rolle des Proletariates in den peripheren Ländern betrifft), eine ganze Weile lang Glaubwürdigkeit schenkte. Das IBRP hat nicht nur Stellungnahmen und „Analysen“ dieses Elements übersetzt und auf seiner Internetseite publiziert, es hat nicht nur die Gründung des „Circulo“ als „einen wichtigen und bestimmten Schritt heute in Argentinien vorwärts in der Zusammenführung der Kräfte, hin zur internationalen Partei des Proletariates“ begrüsst („Auch in Argentinien tut sich etwas“, Battaglia Comunista, Oktober 2004), es hat sogar in drei Sprachen sein Communique vom 12. Oktober 2004 auf seine Internetseite gestellt, welches eine Anhäufung von widerwärtigen Lügen über die IKS ist.

Die Liebschaft des IBRP mit diesem exotischen Abenteurer hat sich erst abgekühlt, als wir unwiderlegbar aufzeigten, dass diese Anschuldigungen gegen die IKS reine Lügen waren und dass dieser „Circulo“ lediglich ein Bluff war17. Das IBRP hat danach auf sehr diskrete Art und Weise begonnen, die kompromittierendsten Texte dieser Person von seiner Internetseite zurückzuziehen, ohne jedoch dessen Methoden zu verurteilen, auch nicht nachdem wir einen Offenen Brief (7. Dezember 2004) an die Genossen des IBRP geschrieben hatten, in dem wir eine Stellungnahme forderten. Die einzige Reaktion, die wir von dieser Organisation erhalten haben, ist ein Communique auf seiner Internetseite mit dem Titel „Letzte Antworten auf die Anschuldigungen der IKS“, das behauptet, das IBRP sei „Objekt von gewalttätigen und vulgären Attacken der IKS, weil diese wegen einer tiefen und unlösbaren internen Krise in Rage sei“ und dass sie „von nun an nicht mehr antworten werden und den vulgären Attacken keine Beachtung mehr schenken“.

Seine Liebe zum „Circulo“ ist mittlerweile im rauen Wind der Realität erkaltet. Seit die IKS den Bluff des Bürgers B. entlarvt hat, kann man auch auf seiner Internet-Seite, die während eines Monats seine fieberhafte Aktivität zeigte, nur noch eine hoffnungslose Nulllinie feststellen.

Was die IFIKS betrifft, hat das IBRP dieselbe Haltung an den Tag gelegt. Statt die infamen Anschuldigungen dieses Grüppchens gegen die IKS mit Vorsicht zu geniessen, hat ihnen das IBRP Glauben geschenkt, indem es sich mehrmals mit der IFIKS traf. Die IKS hat nach dem ersten Treffen zwischen der IFIKS und dem IBRP im Frühling 2002 diese Organisation auch um ein Treffen angefragt, um ihre eigene Sicht der Dinge darstellen zu können. Dieses Ansinnen wurde jedoch abgelehnt mit dem Argument, für keine der beiden Seiten Stellung beziehen zu wollen. Dies war jedoch eine glatte Lüge, denn die von der IFIKS über die Diskussionen mit dem IBRP geschriebene Zusammenfassung (übrigens nie von diesem dementiert) hielt eine Zustimmung des IBRP bezüglich der Anschuldigungen gegen die IKS fest. Doch dies war nur ein Vorgeschmack der unverantwortlichen Haltung des IBRP. Es ist danach noch weiter gegangen, zunächst durch das keusche Verschliessen der Augen vor dem petzerischen Verhalten der IFIKS, das man eigentlich leicht durch den Besuch ihrer Internetseite erkennen kann: Die Ausrede des IBPR, keine Überprüfung dessen machen zu können, was die IKS zum Treiben der IFIKS sagt, war damit nicht mehr gültig. Das IBRP ist danach noch weiter gegangen, als es den Diebstahl von politischem Material der IKS durch Mitglieder der IFIKS absegnete, indem es die Einladung für die öffentliche Diskussionsveranstaltung des IBRP vom 2. Oktober 2004 in Paris an die Abonnenten von Révolution Internationale gestützt auf eine Adressliste schickte, die von einem Mitglied der IFIKS gestohlen worden war18. Das IBRP hat in derselben Art, wie es versuchte, den „Circulo“ in Argentinien durch die Veröffentlichung der Schweinereien des Bürgers B. auf seiner Internetseite in seinen Dunstkreis zu ziehen, nicht gezögert, mit einer Bande von ehrenamtlichen Denunzianten und Dieben zusammenzuspannen in der Absicht, seinen politischen Einfluss in Frankreich zu verstärken und in Mexiko einen Horchposten zu eröffnen (es verbirgt auch nicht seine Hoffnung, die Elemente der IFIKS für seine Reihen zu gewinnen).

Im Gegensatz zum „Circulo“ existiert die IFIKS noch und publiziert weiterhin ihre Bulletins, die zum grössten Teil Verleumdungen gegen die IKS enthalten. Das IBRP behauptet: „Die Verbindungen mit der IFIKS bestehen und werden andauern“. Wird es eventuell dann erfolgreich sein und die Mitglieder der IFIKS integrieren können, wenn diese müde sind zu behaupten, sie seien die „wahren Verteidiger der richtigen IKS“? Das IBRP geht offenbar seinen opportunistischen Weg bis zum Ende - einen opportunistischen Weg, der die Kommunistische Linke schon heute in grossen Misskredit bringt, auf die es sich nach wie vor beruft. Und wenn das IBRP tatsächlich die Elemente der IFIKS aufnimmt, so wird es sich nicht lange darüber freuen können: Aus seiner eigenen Geschichte sollte es gelernt haben, dass man mit Überresten, die man im Abfall der IKS gefunden hat, nicht viel anstellen kann.

Lügen, Komplizenschaft mit Denunzianten, Verleumdungen und Diebstahl, Verrat an der Ehrlichkeit und den strengen Organisationsprinzipien, welche die Ehre der Italienischen Kommunistischen Linken ausmachten: Genau dorthin führt der Opportunismus. Und das traurigste für das IBRP ist, dass ihm all dies in der Praxis nicht viel bringt. Es hat noch nicht eingesehen, wie eine opportunistische Methode (eine Methode welche die „schnellen Erfolge“ der langfristigen Perspektive vorzieht und auf den Prinzipen herumtrampelt) lediglich auf Sand baut. Das einzige Gebiet, auf dem das IBRP einen Erfolg zu verzeichnen hatte, sind die Fehlgeburten. Nach mehr als einem halben Jahrhundert Existenz ist damit seine Strömung auf eine kleine Sekte mit geringeren politischen Kräften beschränkt als zu deren Anfängen.

In einem nächsten Artikel werden wir auf die Grundlagen der opportunistischen Methode des IBRP zurückkommen, welche in die traurigen Verrenkungen der letzten Zeit führten.

 Fabienne                   


1 Ein überstürztes Vorhaben, welches die anderen Genossen nicht teilten, da sie sich noch nicht zu einem solchen Schritt entscheiden konnten.

2 Siehe Nr. 13 von Workers’ Voice, auf die wir mit einem Artikel in International Review Nr. 2 antworteten, sowie unseren Artikel in World Revolution Nr. 3, „Sectarianism unlimited“.  

3 Als die CWO gegründet wurde, bezeichneten wir dieses Ereignis als eine „unvollständige Umgruppierung“ (siehe World Revolution Nr. 5). Sehr schnell sollten die Ereignisse diese Analyse auch bestätigen: Im Protokoll einer Sitzung der CWO zum Austritt der Genossen von Liverpool steht geschrieben: „Es hat sich gezeigt, dass die alte WV die Politik des Zusammenschlusses nie akzeptiert hat, ausser um RP als Schutzschild gegen die IKS zu gebrauchen“ (zitiert aus: „Die CWO, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“, einem Text, der geschrieben wurde von Genossen, die im November 1977 mit der CWO gebrochen hatten, um der IKS beizutreten, publiziert in International Review Nr. 12, engl./franz./span. Ausgabe).    

4 Hier ist eine Präzisierung notwendig: Bei der Lektüre der Presse des IBRP oder auch anderer erhält man oft den Eindruck, dass diese Konferenzen einzig und allein das Verdienst von BC gewesen seien, da auf dessen Aufruf von 1976 hin die Konferenz vom Mai 1977 in Mailand stattfand, die erste von insgesamt dreien. Dazu hatten wir uns schon in einem Brief vom 9. Juni 1980 an BC geäussert: „Wenn man sich auf die formellen Aspekte beschränkt, ja dann ist es der Aufruf vom April 1976 von BC, der den Ausgangspunkt bildete. Doch müssen  wir euch daran erinnern, Genossen, dass euch schon im August 1968 der Vorschlag zur Abhaltung einer Konferenz von drei unserer Genossen, die euch in Mailand aufsuchten, überbracht wurde? Damals war unsere Organisation kaum mehr als embrionär (...) Unter diesen Umständen war es für uns schwierig, zu einer Konferenz unter verschiedenen Gruppen aufzurufen, die während oder nach dem Mai 68 entstanden waren. Wir dachten, eine Initiative sollte von einer gewichtigeren Gruppe ausgehen, die bekannt und organisiert ist, versehen mit einer regelmässigen und gelesenen Presse, wie das bei euch der Fall war. Aus diesem Grunde haben wir diesen Vorschlag gemacht und in einer Zeit, in der die Arbeiterklasse begann, das schreckliche Joch der Konterrevolution abzuschütteln, auf der Wichtigkeit von solchen Konferenzen bestanden. Doch ihr habt damals mit dem Argument, es gäbe nichts Neues auf diesem Planeten, der Mai 68 sei lediglich eine Studentenrevolte, diesen Vorschlag abgelehnt. Im darauffolgenden Sommer, als die Streikbewegung auf Italien übergriff (...), haben wir euch denselben Vorschlag wieder gemacht, und ihr habt uns dieselbe Antwort gegeben. (...) Als sich dann die Streikbewegung auf ganz Europa ausbreitete, haben wir euch anlässlich eures Kongresses von 1971 erneut denselben Vorschlag gemacht. Und wieder war eure Antwort dieselbe. Als wir darin „keinen Sinn mehr sahen“ haben wir schlussendlich im November 1972 die Initiative zu einer „internationalen Korrespondenz“ ergriffen, basierend auf der Notwendigkeit von Diskussionen unter den Revolutionären angesichts des Wiedererwachens der Arbeiterklasse. Sie wurde durch unsere Genossen von Internationalism ausgerufen, welche die Sektion der IKS in Amerika gründeten. Dieser Vorschlag war an rund zwanzig Gruppen gerichtet (so auch an euch), ausgewählt nach ähnliche Kriterien wie schon bei den vorherigen Aufrufen zu den Konferenzen, mit der Perspektive einer internationalen Konferenz. Ihr habt auf diese Initiative negativ reagiert mit denselben Argumenten, die ihr schon gegen die vorangegangenen Aufrufe ins Feld geführt hattet. (...) Muss man davon ausgehen, dass für diese Organisation (die PCInt) nur Initiativen einen Wert haben, welche aus ihrer eigenen Feder stammen? (...) Unsere Organisation hat immer auf die Abhaltung von internationalen Konferenzen der kommunistischen Gruppen hingearbeitet. Und man kann wahrlich sagen, dass die Initiative des „Partito Comunista Internazionalista“  von 1976 keinesfalls ein „erstes“,  sondern eher ein verspätetes Erwachen war und vielmehr eine Antwort 8 Jahre nach unserem Vorschlag von 1968 und 4 Jahre nach demjenigen von 1972. (...) Dies hielt uns jedoch keinesfalls davon ab, darauf sofort positiv zu reagieren. Und man muss bemerken, um mit dieser Frage hier abzuschliessen, dass die Initiative von Battaglia nur Dank unserer Teilnahme nicht ins Wasser fiel, weil wir neben euch die einzigen wirklichen Teilnehmer auf der Konferenz von 1977 in Mailand waren.“ (in den französischen Protokollen der 3. Konferenz unter Gruppen der Kommunistischen Linken publizierter Brief der IKS, welche unter der Verantwortung der IKS herausgegeben wurden)                                                         

5 Die von BC angewandte Methode war genauso schlimm wie die parlamentarischen Manöver der Bourgeoisie:

- vor den Konferenzen war kein einziges Mal die Rede davon, ein zusätzliches Teilnahmekriterium über die Parteifrage einzuführen;

- die CWO wurde von BC in langen Gesprächen hinter den Kulissen zur Unterstützung dieses Vorschlages bearbeitet (anstatt offen die Argumente darzulegen, die sie nur für die CWO reservierte);

- einige Monate zuvor hatten wir an einer Sitzung des technischen Komitees zur Vorbereitung der Konferenzen BC gefragt, ob sie die Absicht hätte, die IKS von zukünftigen Konferenzen fern zu halten. Die Genossen antworteten klar und deutlich, es sei besser, mit allen Teilnehmern weiter zu machen, inklusive die IKS.

Nebenbei: Diese Abstimmung – 2 Stimmen für ein neues Teilnahme-Kriterium, 1 dagegen (die IKS) und 2 Enthaltungen – wurde erst nach der Abreise einer anderen Gruppe abgehalten, welche mit der IKS gegen die Einführung eines neuen Kriteriums war.      

6 „Heute existiert das Fundament zum Beginn des Prozesses der Klärung über die wirklichen Aufgaben der Partei ... Auch wenn wir weniger Teilnehmer haben als auf der 2. und 3. Konferenz, beginnen wir heute auf einer klareren und seriöseren Basis.“ (Protokoll der Konferenz)   

7 Dies zeigt klar, dass es nicht die Auffassung der IKS zur Parteifrage war welche BC und der CWO Schwierigkeiten bereitete, sondern weil wir eine seriöse und genaue Diskussion anstrebten. Und genau diese wollten diese zwei Organisationen nicht.

8 Die Bilanz der 4. Konferenz ist wahrlich surrealistisch: Einerseits wurde sie erst zwei Jahre nach diesem grossen historischen Ereignis veröffentlicht. Andererseits muss man feststellen, dass die Mehrheit der Kräfte, seriös „ausgewählt“ durch BC und die CWO, schon vorher oder kurz danach verschwunden waren. Überdies stellte sich heraus:

- dass das „technische Komitee“ (BC-CWO) unfähig war, ein Vorbereitungsbulletin herauszugeben, und darüber hinaus die Konferenz auf Englisch abgehalten wurde und die Referenztexte von BC nur auf Italienisch publiziert wurden;

- dass die Gruppen, welche die Konferenz organisierten, unfähig waren, auch nur die Hälfte der Interventionen zu übersetzen.

9 siehe vor allem: „Antwort auf die Antworten“ in International Review Nr. 36, engl./franz./span. Ausgabe

10 siehe International Review Nr. 35, engl./franz./span. Ausgabe

11 siehe International Review Nr. 44, engl./franz./span. Ausgabe: „Gruss an Comunismo“

12 siehe „Entfaltung des politischen Lebens und der Arbeiterkämpfe in Mexico“ in International Review Nr. 50, engl./franz./span. Ausgabe

13 siehe unseren Artikel „Verteidigung des revolutionären Milieus“, Internationalism Nr. 122, Sommer 2002

14 Aus diesem Grunde fordern wir sie auch auf, die Diskussionsveranstaltungen dieser Gruppen zu besuchen, besonders diejenigen des IBRP. So hatten wir es auch bei der Diskussionsveranstaltung des IBRP vom 2. Oktober 2004 in Paris gemacht. Wir mussten jedoch feststellen, dass das IBRP die „massive“ Präsenz unserer Sympathisanten nicht sehr schätzte, wie aus ihrer Stellungnahme zu dieser Veranstaltung zu entnehmen war.        

15 Siehe dazu unseren Artikel: „Das politische proletarische Milieu angesichts des Krieges: Die Geisel des Sektierertums im internationalistischen Lager“, Internationale Revue Nr. 33   

16 Siehe dazu unsere Artikel: „Der Kampf zur Verteidigung der Organisations-Prinzipien“ und „Der 15. Kongress der IKS: Die Organisation angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen verstärken“ in International Review Nr. 110 und 114, engl./ franz./span. Ausgabe

17 Siehe auf dem Internet die verschiedenen Stellungnahmen der IKS zum „Circulo“: „Eine fremdartige Erscheinung“; „Eine erneute fremdartige Erscheinung“; „Bluff oder Realität?“ und ebenfalls in unserer Presse: „Circulo de Comunistas Internacionalistas (Argentinien): Ein demaskierter Bluff“.  

18 Siehe dazu unsere Antwort an das IBRP: „Diebstahl und Verleumdungen sind keine Methoden der Arbeiterklasse!“ auf unserer Internetseite.

 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Internationales Büro für die Revolutionäre Partei [9]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Organisation [10]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/631/internationale-revue-36

Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/internationale-kommunistische [2] https://de.internationalism.org/tag/3/46/krieg [3] https://de.internationalism.org/tag/2/40/das-klassenbewusstsein [4] https://de.internationalism.org/tag/3/42/historischer-kurs [5] http://www.prisonplanet.com/articles/september2005/270905plantinbombs.html [6] https://de.internationalism.org/tag/2/29/proletarischer-kampf [7] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/zweiter-weltkrieg [8] https://de.internationalism.org/tag/3/43/imperialismus [9] https://de.internationalism.org/tag/politische-stromungen-und-verweise/internationales-buro-fur-die-revolutionare-partei [10] https://de.internationalism.org/tag/2/39/die-revolution-re-organisation