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Am 24. September 2008 hielt der US-Präsident, George W. Bush, Kommentatoren und Journalisten aller Welt zufolge, eine "ungewöhnliche" Rede. In seiner Fernsehansprache erklärte er ohne Umschweife, welche Stürme auf das "amerikanische Volk" zukommen würden.
Die Weltwirtschaft wird von einem Finanzbeben erfasst
In Wirklichkeit läuft nicht nur die US-Wirtschaft Gefahr, in einer "langen und schmerzhaften Rezession" zu versinken, sondern die gesamte Weltwirtschaft. Die USA, die seit 60 Jahren die Rolle der Lokomotive der Weltwirtschaft gespielt haben, reißen nunmehr die Weltwirtschaft mit in den Abwärtsstrudel. Die Liste der Finanzorganismen, die in große Schwierigkeiten geraten sind, wird jeden Tag länger:
Im Februar wurde die achtgrößte englische Bank, Northern Rock, verstaatlicht. Im März wurde Bear Stearns, die fünftgrößte Bank an der Wall Street "gerettet", indem sie in die drittgrößte Bank, JP Morgan, mit Hilfe von Geldern der amerikanischen FED eingegliedert wurde. Im Juli wurde Indymac, eine der größten US-Hypothekenbanken, unter die Aufsicht der US-Finanzbehörden gestellt. Es handelte sich um den größten Bankrott einer Bank in den USA seit 24 Jahren. Aber dieser Rekord hielt nicht lange an. Anfang September ging das "Bankenmassaker" weiter. Freddi Mac und Fannie Mae, zwei Immobilienfinanzierer mit mehr als 850 Milliarden Dollar Anlagen, konnten so eben noch den Konkurs vermeiden, nachdem die FED erneut eingegriffen hatte. Nur wenige Tage später meldete Lehman Brothers, die viertgrößte US-Bank, Zahlungsunfähigkeit an und dieses Mal griff die FED nicht zu ihrer Rettung ein. Die Gesamtschulden von Lehman Brothers beliefen sich am 31. Mai auf 613 Milliarden. Auch hier wieder ein neuer Rekord. Denn die größte US-Bankenpleite bis zum damaligen Zeitpunkt, die der Continental Illinois im Jahre 1984, fand auf dem Hintergrund eines 16 mal kleineren Schuldenberges statt (d.h. 40 Milliarden $). Dies zeigt das Ausmaß der jetzigen Schwierigkeiten auf.
Merrill Lynch, eine weitere Perle in der US-Bankenlandschaft, musste ihr Einverständnis geben, von der Bank of America in aller Eile aufgekauft zu werden. Das gleiche Schicksal ereilte HBOS, die von dem Rivalen Lloyds TBS (jeweils zweite und erste Bank Schottlands) übernommen wurde. AIG (American International Group - einer der größten Versicherer auf der Welt) wurde ebenso von der amerikanischen FED am Leben erhalten. Aber mittlerweile sieht es auch schlecht aus bei den US-Finanzen. Deshalb hatte die FED beschlossen, Lehman Brothers nicht zu Hilfe zu eilen. Wenn sie jedoch AIG half, dann weil der Bankrott dieses Versicherers dazu geführt hätte, dass die Lage völlig außer Kontrolle geraten wäre.
Ein neuer Rekord. Nur zwei Wochen nach dem Absturz von Lehman Brothers meldete Washington Mutual (WaMu), die größte Sparkasse in den USA, ihren Konkurs an. Und schon wieder geriet die US-Börse in Turbulenzen. Immer wieder gehen die Kurse um 3,4 oder 5% in den Keller - je nach Bekanntwerden neuer Firmenpleiten. Die Moskauer Börse stellte Mitte September gar ihr Geschäft einige Tage lang ein, nachdem es mehrfach hintereinander zu Kursstürzen von mehr als 10% gekommen war.
Hin zu einem neuen 1929?
In Anbetracht dieser Reihe von schlechten Nachrichten geraten selbst die größten Spezialisten außer sich. Alan Greenspan, der ehemalige Chef der FED (der von seinen Standesgenossen als der große "mythische" Präsident der FED angesehen wurde) erklärte in dem US-Fernsehsender ABC am 15. September 2008: "Man muss zugeben, es handelt sich um eine Ereignis, das nur alle 50 Jahre auftritt, wahrscheinlich nur einmal pro 100 Jahre (…) Es gibt keinen Zweifel, ich habe so etwas noch nie gesehen, dabei ist das Ganze noch nicht vorbei und es wird noch eine Zeit dauern". Seitdem wechseln sich die Wirtschaftsexperten im Fernsehen sprichwörtlich ab, um uns einzutrichtern, dass die gegenwärtige Krise sehr schwerwiegend sei, sie aber nicht mit dem Krach von 1929 vergleichbar sei und die Krise irgendwann wieder überwunden und es wieder aufwärts gehen werde. Aber all diese Leute haben nur zur Hälfte Recht. Während der großen Depression in den USA mussten Tausende Banken Konkurs anmelden, Millionen Menschen haben damals ihre Ersparnisse verloren, die Arbeitslosigkeit kletterte auf über 25%, und die Industrieproduktion war damals ca. 60% gesunken. Damals hatten die Staatschefs nur sehr spät und zögerlich reagiert. Viele Monate lang haben sie die Märkte sich selbst überlassen. Schlimmer, ihre einzige Maßnahme bestand darin, die Grenzen für ausländische Waren zu schließen (d.h. Protektionismus), wodurch das System blockiert wurde. Heute liegen die Dinge anders. Die Bourgeoisie hat aus diesem ökonomischen Desaster gelernt; sie hat internationale Finanzorganismen geschaffen, und überwacht die Krise wie die Milch auf der Kochplatte. Seit dem Sommer 2007 haben die verschiedenen Zentralbanken (hauptsächlich die FED und die EZB) nahezu 2000 Milliarden Dollar zur Rettung der in Schwierigkeiten geratenen Finanzinstitute eingesetzt. Es ist ihnen gelungen, den einfachen und brutalen Zusammenbruch zu verhindern. Das Wirtschaftswachstum hat sich sehr, sehr stark verlangsamt - aber sie ist noch nicht blockiert. In Deutschland zum Beispiel rechnet man mit einem Wachstum von 0.5%. Aber im Gegensatz zu den Beteuerungen all der Experten und promovierten Wirtschaftswissenschaftler sieht es um die Wirtschaft heute viel schlechter aus als 1929. Der Weltmarkt ist völlig gesättigt.
Das Wachstum der letzten Jahrzehnte war nur möglich dank einer massiven Verschuldung. Der Kapitalismus erstickt heute unter diesem Schuldenberg. Bestimmte Politiker und hohe Verantwortliche der Weltwirtschaft fordern heute, man müsse die Finanzwelt wieder "moralisch" gestalten, um solche Exzesse zu verhindern, die die gegenwärtige Krise hervorgerufen haben und um wieder die Rückkehr zu einem "gesunden Kapitalismus" zu ermöglichen. Aber sie hüten sich davor zu sagen (oder sie wollen es nicht wahrnehmen), dass das ‚Wachstum' der letzten Jahre gerade wegen dieser "Exzesse" erst möglich geworden ist, d.h. durch die Flucht des Kapitalismus nach vorne in die allgemeine Verschuldung. Nicht die Exzesse der Finanzbosse sind für die gegenwärtige Krise verantwortlich. Diese Exzesse und die Finanzkrise spiegeln nur die gegenwärtige Ausweglosigkeit der Krise wider. Weil es keinen wirklichen Ausweg aus der Krise gibt! Der Kapitalismus wird weiterhin unwiderruflich in der Krise versinken. Der 700 Milliarden Plan Bushs wird notwendigerweise scheitern. Wenn der Plan akzeptiert würde, wird die US-Regierung auf faulen Krediten sitzen, um die Bankkonten zu "reinigen" und die Kredite wieder anzukurbeln. Nach Ankündigung des Plans kletterte die Börse an einem Tag sprunghaft an. Aber seitdem geht es wieder auf und ab, denn gar nichts ist gelöst.
Die tiefer liegenden Ursachen der Krise sind alle noch ungelöst. Die Märkte sind immer noch gesättigt mit unverkäuflichen Waren und die Finanzinstitute, die Betriebe, die Staaten, die Privathaushalte… , sie alle werden durch die Schuldenlast erdrückt. Unzählige Milliarden Dollar werden von den Zentralbanken in die Finanzmärkte gepumpt; aber all das kann keine Rettung bringen. Schlimmer noch, diese massiven Kreditspritzen treiben alle den Schuldenberg noch mehr in die Höhe. Die Bourgeoisie steckt in einer Sackgasse - sie hat keine wirksamen Lösungen anzubieten. Deshalb zögert die US-amerikanische Bourgeoisie so sehr, dem "Bush-Plan" zuzustimmen. Sie weiß, während dies unmittelbar eine weitere Panik verhindert, werden dadurch aber die Grundlagen für neue, noch gewaltigere Erschütterungen in der Zukunft gelegt. Aus der Sicht George Soros (einer der berühmtesten und geachtesten Finanzexperten der Welt) besteht die "Gefahr des Auseinanderbrechens des Finanzsystems".
Eine Welle bislang nie da gewesener Verarmung seit den 1930er Jahren
Die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Weltbevölkerung werden sich brutal verschlechtern. Eine Welle von Entlassungen überschwemmt gleichzeitig mehrere Kontinente auf der Welt. Tausende Firmen werden dicht machen. Allein bis Ende 2008 werden in den USA und in Großbritannien 260.000 im Finanzwesen ihren Job verlieren. Es wird behauptet, dass ein Arbeitsplatz im Finanzwesen im Durchschnitt vier Arbeitsplätze schaffe. Der Zusammenbruch von Finanzinstitutionen zieht somit den Verlust von Hunderttausenden Arbeitsplätzen nach sich. Noch mehr Wohnungen werden zwangsversteigert, noch mehr Leute werden obdachlos. 2.2 Millionen Amerikaner haben seit dem Sommer 2007 schon ihre Wohnung verloren; bis Ende 2008 werden noch mal eine Millionen Amerikaner ihre Wohnung verlieren. Und dieses Phänomen dehnt sich nunmehr auf Europa, insbesondere auf Spanien und Großbritannien aus. In GB hat die Zahl der Zwangsversteigerungen von Wohnungen um 48% im ersten Halbjahr 2008 zugenommen. Seit ungefähr einem Jahr verzeichnen wir wieder eine inflationäre Entwicklung. Die Rohstoffpreise und Lebensmittelpreise sind explodiert - die Folge waren Hungerrevolten in zahlreichen Ländern. Die Hunderten von Milliarden Dollar, die von der FED und der EZB und anderen Banken als Rettungspakete in die Wirtschaft gepumpt wurden, werden dieses Phänomen noch verschlimmern. Die Arbeiterklasse steht vor einer schrecklichen Verarmung. Die herrschende Klasse wird versuchen, der Arbeiterklasse die Rechnung aufzuhalsen. Überall stehen die Arbeiter vor den gleichen Angriffen: Lohnkürzungen, Kürzungen von Sozialleistungen, Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Wochenarbeitszeit, Jahresarbeitszeit, Steuererhöhungen usw. All die vom Staat finanzierten Rettungspakete werden vom "Steuerzahler" finanziert. Die Arbeiterfamilien werden blechen müssen, um die Banken am Leben zu halten, während gleichzeitig viele Arbeiter ihr Dach über dem Kopf verlieren.
Wenn die gegenwärtige Krise nicht durch einen plötzlichen Zusammenbruch wie 1929 geprägt ist, wird sie dennoch die gleichen Leiden der ausgebeuteten Bevölkerung der Welt auferlegen. Der wahre Unterschied zu 1929 liegt nicht im Bereich der kapitalistischen Wirtschaft, sondern im Bereich der Kampfbereitschaft und des Bewusstseins der Arbeiterklasse. Damals hatte die Arbeiterklasse die Niederlage der Revolution in Russland 1917 sowie die Niederschlagung der Revolution in Deutschland zwischen 1919-1923 und die verschiedenen Auswirkungen der stalinistischen Konterrevolution einstecken müssen. Die Weltarbeiterklasse war 1929 völlig geschlagen und resigniert. Die Auswirkungen der Krise hatten sehr wohl zu Abwehrkämpfen zum Beispiel der Arbeitslosen in den USA in den 1930er Jahren geführt, aber diese gingen nicht sehr weit, und der Kapitalismus trieb die Menschheit damals in den 2. Weltkrieg. Heute ist die Lage unterschiedlich. Seit 1968 hat die Arbeitklasse das Gewicht der Konterrevolution abgeschüttelt. Auch wenn die Kampagnen von 1989 über den angeblichen "Tod des Kommunismus" der Arbeiterklass einen Rückschlag versetzt haben, hat der Klassenkampf seit 2003 wieder einen Aufschwung erfahren. Die Kampfbereitschaft und das Bewusstsein der Arbeiterklasse verstärken sich. Die Wirtschaftskrise kann der fruchtbare Boden sein, auf dem die Solidarität und die Kampfbereitschaft der Arbeiter keimen werden.
Françoise (27.09.08)