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Nachstehend veröffentlichen wir einen Artikel von unserer schwedischen Sektion zu den Wahlen in Schweden, damit man trotz möglicher Sprachbarrieren mehr über die Entwicklungen in anderen Ländern erfahren kann, zugleich aber auch sieht, dass das Proletariat weltweit vor den gleichen Fragen und Aufgaben steht. IKS in Deutschland
Die Wahlen 2006: Was können sie uns anbieten?
Während dieser Artikel geschrieben wird, es ist noch eine Woche bis zu den Wahlen. Der Skandal um die „Internet-Spionage“ der Volkspartei hat sich gelegt. Neue Meinungsumfragen zeigen einen knappen Vorsprung für die „bürgerliche Allianz“ gegen die sozialdemokratische Regierung. Durch die Wahlpropaganda will die bürgerliche Klasse uns Glauben machen, dass es einen Unterschied zwischen den verschiedenen „Wahlblöcken“ gäbe und diese Wahl eine Wahl zwischen verschiedenen Wegen für Schweden bedeuten würde. Man will die Wahlen als eine Wahl zwischen zwei Alternativen hinstellen. Das ist der Hauptinhalt der sozialdemokratischen Propaganda. Die „Gemäßigten“ ihrerseits wollen sich als neue „Arbeiterpartei“ profilieren, die „Klartext“ über Arbeitslosigkeit „redet“. Die Sozialisten kontern damit, dass sie in die Opposition gehen würden. Sie drohen mit ziemlich hohl klingenden Phrasen, „dass eine Regierung „Reinfeld“ [so heißt die Hauptwahlfigur der bürgerlichen Allianz] nur Verschlechterungen für die Arbeiterklasse bedeuten würde“. Diese „Arbeiterregierung“, die seit 1994 an den Fleischtöpfen der Macht gesessen hat, die die drastischsten Sparmaßnahmen in der neueren Zeit durchgeführt hat, versucht fortwährend, in ihrer Wahlrhetorik mit dem „Gespenst einer Rechtsregierung“ zu drohen. Der erste Vertreter des nationalen Kapitals, Göran Persson, und seine Partei, die staatstragende Sozialdemokratie, ist immer noch die für die Interessen des nationalen Kapitals am besten geeignete Machtklicke, um Angriffe gegen das Volk und die Arbeiterklasse durchzuführen. Das hat die Arbeiterklasse während der „Rosskur“ in 90er Jahren erfahren können, als der damalige Finanzminister und spätere Staatsminister Göran Persson, den größten Abbau des „Wohlfahrtstaates“ durchführte, den ein entwickeltes europäisches Land je geschehen hat.
Trotzdem ist die selbstherrliche und arrogante Haltung, die er und seine Partei ausstrahlen, ein Problem für die bürgerliche Klasse, wenn man den demokratischen Zirkus glaubwürdig machen will. Die immer mehr verbreitete Korruption und die Identifikation der Sozialdemokratie mit dem Staat, sind Probleme, die man in den Medien hervorhebt: Die „Machtkonzentration“ in Perssons Staatsratausschuss – die sich im Zusammenhang mit der Tsunamikatastrophe zeigte - ist das offenkundigste Beispiel der Medienkritik gewesen. Deshalb haben die Medien und die Kommentatoren während des ganzen Wahlzirkusses die Notwendigkeit, die Regierung zu wechseln, betont. „Die Macht macht korrupt“ und andere „Wahrheiten“ hat man in den Medien betont; verschiedene Kommentatoren und sozialdemokratische Professoren haben sich in den Medien dafür ausgesprochen, dass ein Machtwechsel um der „Demokratie“ willen besser wäre.
Die demokratische Fassade
Zur Zeit der Wahlkämpfe regte sich die Bourgeoisie mächtig darüber auf, dass die Politiker so sehr in der Gesellschaft verachtet würden. Auch wenn es in Schweden keine „Missbrauchparteien“ in größerem Ausmaß gibt, hat die Bourgeoisie Schwierigkeiten, die demokratische Fassade aufrecht zu erhalten. Den spontanen Reaktionen bei den meisten Menschen, denen es gleichgültig ist, wer die Regierung stellt, muss bewiesen werden, dass es tatsächlich verschiedene Alternativen innerhalb der Demokratie gäbe. Um die Demokratie wieder glaubwürdig zu machen, wäre ein Machtwechsel gut. Skandale verhelfen dazu, dass die Leute sich wieder mehr für Politik interessieren.
Eine glaubwürdige Alternative für die in ihrer Macht selbstherrliche Sozialdemokratie zu schaffen, ist ein Hauptthema im aktuellen Wahlkampf gewesen. Nach den letzten Wahlen von 2002, als die Sozialdemokraten ihr schlechtestes Wahlergebnis einfuhren, und trotzdem die Regierung bilden konnten, gab es bestimmt viele Wähler, die sich fragten, was ihre Stimme für eine Bedeutung hat. Tatsache ist, dass sie gar keine Bedeutung hat, um wirklich etwas zu verändern.
Trotz des Bedürfnisses der Demokratie, eine Regierung zu wechseln, ist die „bürgerliche Allianz“ immer noch die unsichere Karte für die schwedische Bourgeoisie. Die schwedische Rechte ist historisch gesehen schwach und hat nur begrenzte Erfahrungen in der Regierung. Trotz der Änderungen ihrer Politik (die Annäherung der moderaten Sammlungspartei gegenüber der „Mitte“, ihr neuer „sozialkonservativer“ Ton, wie das Aufgeben der früheren EU-Politik und der Kernkraftgegnerschaft des Zentrums), die vorgenommen wurden, um eine glaubwürdige Regierungsalternative zu schaffen, gibt es immer noch Spannungen innerhalb des „bürgerlichen“ Blocks. Es gibt sogar Meinungsverschiedenheiten innerhalb der „Allianz“, was die Außenpolitik betrifft. Dies kann bei einer eventuellen Regierungsbildung noch von Bedeutung sein.
Was passiert nach den Wahlen?
Das Präsentieren eines neuen „sozialen Gewissens“ innerhalb der gemäßigten Sammlungspartei, besonders durch Fredrik Reinfeld und Kristina Axén Olin, deren Konterfei uns überall auf den Wahlplakaten entgegenstarrt, bedeutet, dass man sich von der „Steuersenkungspolitik“ abgewendet hat, die 2002 in eine katastrophale Wahlniederlage geführt hat. Dafür kritisiert man jetzt „die Rechte“ für deren „Leichtsinn“ (Zeitung „Dagens Arbeite“ im Sept. 06), zu versprechen, dem sozialdemokratischen Entwurf zu folgen.
Wir können sicher sein, dass weitere Verschlechterungen für die Arbeiterklasse kommen werden, egal welche Regierung am 18. September an die Macht kommt! Die von der Sozialdemokratie eingeleiteten Verschlechterungen der Kranken- und Arbeitslosenversicherung und die mehr und mehr unerträglicher werdenden Arbeitsbedingungen für die Arbeiter im öffentlichen Dienst werden weitergeführt. Die Arbeitslosigkeit, über die Reinfeld „Klartext redet“ und sich „profiliert“, wird nicht geringer werden, egal ob diese oder jene Fraktion des politischen Apparates der Bourgeoisie an die Macht kommt. Die ökonomische Krise des Kapitalismus zwingt die Bourgeoisie fortwährend die Arbeiterklasse anzugreifen, auf die eine oder andere Weise; mit Arbeitslosigkeit und Lohnsenkungen, Steuererhöhungen und Verschlechterungen - in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Dienst.
Was soll man stattdessen machen?
Wenn wir wach werden nach der Wahlnacht, ist der Zirkus ein weiteres Mal beendet. Vier Jahre bis zum nächsten Mal, vier Jahre neue Verschlechterungen und Kürzungen. Gewiss, es ist leicht, spöttisch zu werden gegenüber dieser Heuchelei. Die Stalinisten sagen, dass „es das ganze Jahr Ungerechtigkeit gibt, dass wir aber am 17. September alle gleich sind.“ Die Anarchisten sagen, dass „die Wahl eine Illusion ist“, aber sie sagen gleichzeitig im Internet, dass man die Wahllokale kaputt schlagen soll.
Die Wahlen sind eine Scheinveranstaltung, sind ein Mittel der Bourgeoisie, die demokratische Fassade aufrecht zu erhalten. Ist man desillusioniert über die Alternative, die die Bourgeoisie anbietet, soll man mindestens das „kleinere Übel“ wählen und seine „demokratische Pflicht“ tun - besonders in einem Land wie Schweden, wo die Wahlbeteiligung immer hoch gewesen ist, mit Zahlen, die vergleichbar sind mit denen in den stalinistischen Diktaturen des ehemaligen Ostblocks, wo man die Staatsangehörigen zu den Wahlurnen gezwungen hat. Ansonsten wurde man beschuldigt, ein „Antidemokrat“ oder ein Faulenzer zu sein, oder „so würde man die sich herausbildende rechtsextreme Bewegung“ begünstigen. Die Vorwürfe der Bourgeoisie im Brustton der Überzeugung gegen die, die nicht an den Wahlen teilnehmen wollen, klingen ab, sobald der Wahlzirkus vorüber ist. Dann gibt es keinen mehr, der fragt, was wir meinen und wollen!
Aber „apathisch“ oder „unpolitisch“ bleiben, ist genauso eine Falle für die Arbeiterklasse. Die Erklärungen der Bourgeoisie zum Vormarsch verschiedener „extremistischer Parteien“, dass „die Arbeiterwähler der gewöhnlichen, ‚demokratischen’ Parteien überdrüssig sind“, verwendet man gegen die Arbeiterklasse, teils so, dass man sie zu Idioten erklärt und teils so, dass man die Tatsache verbirgt, dass die Bourgeoisie zunehmend die Kontrolle über ihren „demokratischen Apparat“ und besonders über das ganze kapitalistische System zu verlieren beginnt.
Die Politisierung des Klassenkampfes der Arbeiterklasse, die sich in den letzten Jahren vermehrt entwickelt, ist die einzige wirklich politische Triebkraft, die vermag, Widerstand gegen die zunehmenden frontalen Angriffe des verfaulenden Kapitalismus zu leisten. Man konnte einen Schimmer von Zukunft in den Vollversammlungen sehen, die spontan in den Universitäten während des Kampfes gegen das Gesetz (CPE) gegen junge Arbeitnehmer in Frankreich im Frühling dieses Jahr entstanden. Wenn wir dies einen Augenblick lang mal damit vergleichen, was die so genannte „Osynliga Partei“ in diesem Frühjahr gegen die Zentrumspartei unternahm (die einen besonderen Gesetzesvorschlag für junge Arbeitnehmer vorbrachte), nämlich ein Parteibüro zu verwüsten, was ist da nützlicher und zielgerichteter: Ein Parteibüro verwüsten? Oder wie die Studenten und Schüler in Frankreich den Kampf auf alle Arbeiter, Arbeitslosen und Rentner auszudehnen versuchen? Mit der Methode der CPE-Bewegung gelang es in Frankreich wirklich, die Bourgeoisie zu erschüttern und sie dazu bewegen, den Gesetzesvorschlag zurückzunehmen. Sinnlose Gewalt der Hooligans bringt nichts, wohl aber der kraftvoll organisierte und zentralisierte Kampf, mit dem Ziel, so viele wie möglich mit in den Kampf zu ziehen! Denn dadurch, dass man dazu auffordert, Wahllokale und Wahlplakate zu zerstören, trägt man nur zur Verstärkung der „demokratischen Illusion“ bei. Man bildet sich ein, dass man kämpft, und man ist nur im Wahlzirkus befangen, als ob das irgendetwas bedeuten würde!
Die Arbeiterklasse gewinnt nichts dabei, wenn sie am demokratischen Wahlzirkus teilnimmt. Sich mit „Wahlboykott“ oder blinder Gewalt zu beschäftigen, trägt nur dazu bei, die Wahlen und den parlamentarischen Zirkus zu legitimieren. Genauso wenig, wie der wirkliche Beschluss für Verschlechterungen und Kürzungen dadurch bestimmt würde, wer zufällig in der Regierung ist, genauso wenig kann die Arbeiterklasse ihre Situation beeinflussen, wenn sie sich an den Wahlen beteiligt oder sich lediglich der Wahl enthält. Je mehr die kapitalistische Krise sich entwickelt, desto mehr ist man gezwungen, die Arbeiterklasse immer brutaler, frontaler, und totaler anzugreifen.
Die Arbeiterklasse hat durch ihren Kampf in den letzten Jahren, durch den Prozess der politischen Reifung ihre eigene Stärke und ihre Möglichkeit eine politische Kraft in der Gesellschaft zu sein, zusehends entdeckt. Dafür hat die Arbeiterklasse den Beweis in ihren Kämpfen geliefert, in denen sie großes Klassenbewusstsein
a) über die Generationsgrenzen hin weg gezeigt hat, wie der Kampf gegen Verschlechterungen im Rentensystemen in Frankreich und Österreich 2003, der Kampf der Arbeiter der öffentlichen Verkehrbetriebe in New York im Dezember 2005, der Kampf gegen die CPE und
b) über die nationalen Grenzen hin weg gezeigt hat, wie etwa der Kampf der Arbeiter auf dem Flughafen London-Heathrow 2005.
Die Politisierung der Kämpfe wird immer gegenwärtiger, weil der Kampf, den man heute führt, einen viel größeren Einsatz der Arbeiterklasse fordert als in früheren Zeiten (das Risiko von Arbeitslosigkeit, astronomische Geldstrafen bei illegalen Kampfaktionen). Die Arbeiterklasse hat, genauso wie früher, keine andere Wahl, als ihren Klassenkampf einzusetzen, um die selbstständige, politische Kraft zu werden, die schließlich in der Lage ist, das faulende kapitalistische System in den Mülleimer der Geschichte zu werfen.
11. 9. 2006 Raimo aus: Internationell Revolution Nr. 109, Zeitung der Sektion der IKS in Schweden