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Der Beginn einer proletarischen Debatte in Rußland
Im Gefolge des Zusammenbruchs der stalinistischen Regimes in Osteuropa entstand in Rußland ein Komitee für das Studium des Vermächtnisses von Leo Trotzki. Dieses Komitee hielt eine Reihe von Konferenzen über verschiedene Aspekte im Werk jenes großen marxistischen Revolutionärs ab. Im Verlaufe des Studiums von Trotzkis Beitrags wurde nicht nur klar, daß Trotzki selbst weder der einzige noch der radikalste und entschlossenste Vertreter der ''trotzkistischen'' Linksopposition gewesen war, sondern auch daß es andere oppositionelle Strömungen innerhalb wie außerhalb Rußlands gegeben hat, die noch viel weiter links angesiedelt waren. Genauer gesagt: Es stellte sich heraus, daß es eine andere alternative Tradition im proletarischen Kampf gegen den Stalinismus gibt, jene des Linkskommunismus, deren Vertreter noch heute existieren. Auf Initiative der russischen Mitglieder des Komitees wurde unsere Organisation, die Internationale Kommunistische Strömung, zur Konferenz von 1996 in Moskau eingeladen, die sich der Bewertung von Trotzkis Buch Verratene Revolution widmete. Auf Vorschlag der IKS wurden auch andere Gruppen der Kommunistischen Linken eingeladen, die es jedoch entweder versäumten zu kommen, wie im Fall des Internationalen Büros für eine Revolutionäre Partei, oder sich aufgrund eines tiefsitzenden Sektierertums verweigerten, wie im Fall der ''Bordigisten''. Dennoch war die Intervention der IKS längst nicht der einzige Ausdruck des lebendigen Proletariats auf dieser Konferenz. Die Kritik an Trotzkis Weigerung, den staatskapitalistischen Charakter des stalinistischen Rußlands anzuerkennen, die auf der Konferenz von einem russischen Mitglied des Organisationskomitees vorgetragen wurde und die wir in dieser Ausgabe unserer Internationalen Revue veröffentlichen, ist ein Beweis dafür. Ferner wurde ein Jahr später die Anwesenheit linkskommunistischer Gruppen auf der 1997er Konferenz über Trotzki und die Oktoberrevolution durch die Teilnahme eines anderen Repräsentanten des proletarischen Milieus, zusammen mit der IKS, nachdrücklich untermauert: die Communist Workers Organisation, die zusammen mit Battaglia Comunista das oben erwähnte Internationale Büro für die Revolutionäre Partei (IBRP) bildet.
Das Vermächtnis von Trotzki und die Aufgaben in der gegenwärtigen Periode
Die Konferenzen über das Vermächtnis Trotzkis fanden im Schatten von Ereignissen weltweiter Bedeutung statt: dem Zusammenbruch der stalinistischen Regimes Osteuropas (und somit der gesamten Nachkriegsweltordnung von Yalta) und der UdSSR selbst. Die Tatsache, daß der Stalinismus nicht vom Klassenkampf des Proletariats gekippt wurde, sondern sich unter dem Gewicht der historischen Krise des Weltkapitalismus und seiner spezifischen Schwächen als ökonomisch und politisch rückständige Fraktion der Bourgeoisie auflöste, erlaubte es der herrschenden Klasse, diese Ereignisse als Bankrott nicht des Stalinismus, sondern des Kommunismus und insbesondere des Marxismus darzustellen. Indem er seine eigene historische Auflösung als die des Marxismus präsentierte, war der Todfeind des Proletariats, der Stalinismus, im Endeffekt selbst in seinem Scheitern in der Lage, dem Weltkapitalismus noch einen letzten, großen Dienst zu erweisen. Denn diese Ereignisse wurden dazu benutzt, das Bewußtsein der Arbeiter in aller Welt in einer höchst kritischen Frage zu attackieren: jener nach dem historischen Ziel ihres Kampfes - dem Kommunismus selbst. Aber auch wenn die weltweiten historischen Ereignisse von 1989-92 somit in einen Rückgang auf der Ebene des Klassenbewußtseins innerhalb des Proletariats als Ganzes mündeten, so bedeutete dies noch keine historische Niederlage der Arbeiterklasse, deren Kampfkraft und Fähigkeit zur kollektiven Reflexion intakt blieben. Während sie also einen Rückgang im Bewußtsein der proletarischen Massen bewirkten, enthielten diese Ereignisse gleichzeitig auch die Perspektive einer quantitativen Entwicklung und qualitativen Heranreifung kleiner revolutionärer Minderheiten der Klasse. Indem sie unverfroren Stalinismus mit Kommunismus gleichsetzt, zwingt die Bourgeoisie jene suchenden proletarischen Minderheiten, die diese Gleichsetzung ablehnen, die folgende Frage zu stellen: Welche politischen Strömungen in der Geschichte der Arbeiterklasse widersetzten sich im Namen des Kommunismus und des Proletariats dem Stalinismus, und welcher Teil dieses Erbes kann heute als Grundlage für revolutionäre Aktivitäten dienen? Nun ist es eine zentrale These des Marxismus, daß das Klassenbewußtsein des Proletariats vor allem ein historisches Bewußtsein ist und daß daher revolutionäre Minderheiten ihre Aufgaben nur erfüllen können, wenn sie die Anpassung und kritische Synthese all der Beiträge der vergangenen Generationen von Marxisten zum Ausgangspunkt ihres Kampfes machen. Insbesondere die marxistische Auffassung über die Rolle einer Fraktion, die in einer Periode der Niederlage des Proletariats die unersetzliche Verantwortung dafür hat, alle Lehren aus jener Niederlage zu ziehen und sie an künftige revolutionäre Generationen weiterzureichen (Lenin und die Bolschewiki nach der Niederlage der Revolution von 1905 in Rußland; Luxemburg und die Spartakisten nach der Niederlage, die die Unterstützung des I.Weltkrieges durch die Sozialdemokraten 1914 verkörperte; die italienische Fraktion rings um die Publikation Bilan nach der Niederlage der revolutionären Welle von 1917-23 etc.), ist eine zentrale Konkretisierung dieses Verständnisses. Von den vielen Tausenden von revolutionären Elementen, die, angestoßen von den proletarischen Massenkämpfen einer neuen und unbesiegten Generation der Klasse nach 1968, international aufgetaucht waren, verschwanden, durchdrungen von Ungeduld und einem einseitigen Vertrauen in die ''Spontaneität'' des Klassenkampfes zum Nachteil einer langfristigen theoretischen und organisatorischen Arbeit, die meisten von ihnen spurlos, genau aus dem Grunde, weil sie daran scheiterten, sich in den früheren Positionen und Traditionen der Arbeiterbewegung zu verankern. Obwohl die Bedingungen für die Entwicklung von revolutionären Minderheiten in der Phase nach 1989 in gewisser Weise schwieriger geworden sind, da es ihr an dem unmittelbaren Beispiel eines proletarischen Massenkampfes mangelt, der die Generation nach 1968 inspirierte, eröffnet die Tatsache, daß suchende proletarische Elemente sich heute gezwungen fühlen, nach vergangenen revolutionären Traditionen zu suchen und sich mit ihnen zu verbinden, um der bürgerlichen Kampagne über den ''Tod des Kommunismus'' zu widerstehen, die Perspektive einer breiten und tiefgehenden Wiederentdeckung des großen marxistischen Vermächtnisses der Linkskommunisten. In Rußland selbst, dem zentralen und allerersten Opfer der stalinistischen Konterrevolution, konnte erst mit dem Zusammenbruch der Herrschaft und der Hegemonie des Stalinismus eine neue Generation von Revolutionären entstehen - über 30 Jahre nachdem derselbe Prozeß im Westen begonnen hatte. Ferner wogen die zerstörerischen weltweiten Auswirkungen jener ein halbes Jahrhundert lang währenden Konterrevolution - die Zerstörung der organischen Verbindung zu den vergangenen revolutionären Generationen, die Vergrabung der wirklichen Geschichte jener Bewegung unter Tausenden von Leichen und Lügen - besonders schwer im Land der Oktoberrevolution. Das Auftreten fragender proletarischer Elemente in Rußland heute bestätigt, was das Wiederaufleben des Klassenkampfes Ende der 60er Jahre nicht nur im Westen, sondern auch in Polen, Rumänien, China und gar in Rußland selbst bereits demonstriert hat: das Ende der stalinistischen Konterrevolution. Doch wenn die Bedingungen für die Wiederentdeckung der wahren Geschichte der proletarischen Bewegung dort auch besonders schwer sind, so ist es dennoch unvermeidlich, daß in einem Land, in dem es kaum eine Arbeiterfamilie gibt, die nicht wenigstens ein Mitglied im stalinistischen Terror verloren hatte, die Enthüllung der historischen Wahrheit den Ausgangspunkt bilden muß. Wenn mit der Perestroika die Frage der ''Rehabilitierung'' der Opfer des Stalinismus zum Slogan der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Dissidenten-Opposition wurde, so wurden die Vertreter des Proletariats vor eine sehr wichtige Aufgabe gestellt: die Wiederherstellung der revolutionären Tradition der besten dieser Opfer, der verschworenen Klassenfeinde des Stalinismus. Es ist daher alles andere als ein Zufall, daß die ersten sich entfaltenden Versuche russischer Revolutionäre, die Interessen ihrer Klasse zu definieren und zu debattieren und Kontakte zu den linkskommunistischen Organisationen im Ausland herzustellen, im Zusammenhang mit der Frage des Vermächtnisses des proletarischen Kampfes gegen den Stalinismus und insbesondere des Vermächtnisses von Trotzki entstanden. Von all den Führern der Opposition gegen die Degeneration der Russischen Revolution und der Kommunistischen Internationale war Trotzki weit und breit der bekannteste. Seine Rolle bei der Gründung der Dritten Internationalen, in der Oktoberrevolution selbst und im darauffolgenden Bürgerkrieg war so gigantisch (vergleichbar selbst mit jener Lenins), daß selbst in der UdSSR die stalinistische Bourgeoisie nie in der Lage war, seinen Namen vollständig aus den Geschichtsbüchern oder aus dem kollektiven Gedächtnis des russischen Proletariats zu radieren. Aber genauso unvermeidlich rückte das Vermächtnis Trotzkis in den Brennpunkt einer politischen Auseinandersetzung. Dies deshalb, weil Trotzki, der couragierte Verteidiger des Marxismus, Gründer einer politischen Strömung war, die nach einem langen Prozeß der opportunistischen Degeneration schließlich die Arbeiterklasse verriet, indem sie den proletarischen Internationalismus Lenins abschaffte und aktiv am zweiten imperialistischen Weltkrieg teilnahm. Die trotzkistische Strömung, die aus diesem Verrat entstand, war zu einer Fraktion der Bourgeoisie geworden, mit einem klar definierten (dirigistischen) Programm für das nationale Kapital, mit einer bürgerlichen Außenpolitik (im allgemeinen zur Unterstützung des ''sowjetischen'' Imperialismus und des Ostblocks) und mit der besonderen Aufgabe der radikalen Sabotage der Arbeiterkämpfe und der marxistischen Reflexion aufstrebender revolutionärer Elemente. Hinter Trotzki gibt es also nicht nur ein Vermächtnis, sondern zwei: das proletarische Vermächtnis Trotzkis selbst und das bürgerliche, ''kritische'' stalinistische Vermächtnis des Trotzkismus.
Die Widersprüche auf der Konferenz über Trotzkis Vermächtnis
Von Anbeginn enthielt die Konferenz, weit davon entfernt, eine wirkliche Einheit im Willen und in der Herangehensweise zu bilden, zwei sich widersprechende Tendenzen. Die erste, die bürgerliche Tendenz, wird von Mitgliedern trotzkistischer Organisationen und auch von einigen sich ihrer Sache verschriebenen Historikern repräsentiert, die vorwiegend aus dem Westen kommen und versuchen, in Rußland Fuß zu fassen, wobei diese Organisationen sogar Mitglieder entsenden, um dort zu leben etc. Auch wenn sie an den Konferenzen teilnehmen und behaupten, daß es ihnen um die wissenschaftliche Untersuchung ginge, gilt ihr tatsächliches Bestreben der Verfälschung der Geschichte (eine Spezialität, aber kein Monopol des Stalinismus). Ihr Ziel ist es, die Linksopposition als einzigen proletarischen Gegner des Stalinismus, Trotzki als den einzigen Repräsentanten der Linksopposition und den heutigen Trotzkismus als den Erben des Vermächtnisses von Trotzki darzustellen. Aus diesem Grund sind sie dazu gezwungen, die meisten Beiträge des proletarischen Kampfes gegen den Stalinismus mit Stillschweigen zu übergehen, einschließlich vieler von der Linksopposition gemachter, einschließlich einiger Beiträge von Trotzki. Und sie sind gezwungen, selbst das Vermächtnis Trotzkis zu verfälschen. Sie tun dies, wie dies die bürgerlichen Trotzkisten immer getan haben, indem sie Trotzki in eine harmlose Ikone, in einen Gegenstand der Verehrung, und seine politischen Fehler in nicht in Frage zu stellende Dogmen umwandeln, während sie die kritische, dynamische, revolutionäre Herangehensweise, die Loyalität zum Proletariat, die das Kennzeichen von Trotzkis Marxismus gewesen war, liquidieren. Mit anderen Worten: Sie ''verwandeln'' Trotzki auf dieselbe Weise, wie die Stalinisten Lenin ''verwandelten''. Nicht genug damit, daß die Agenten Stalins Trotzki in Mexiko ermordeten - die Trotzkisten machten sich daran, die revolutionäre Tradition, für die er stand, zu eliminieren.
Die zweite Tendenz im Komitee und auf den Konferenzen, die die Interessen des Proletariats repräsentierte, sträubte sich rasch gegen die trotzkistischen Verfälschungen. Auch wenn sie aufgrund der stalinistischen Konterrevolution nicht in der Lage war, von klar definierten proletarischen programmatischen Positionen auszugehen, so zeigte diese Tendenz doch durch ihre Entschlossenheit, die gesamte Geschichte des proletarischen Kampfes gegen den Stalinismus komplett, ohne jegliche Tabus und Kompromisse, aufzudecken und die verschiedenen Beiträge auf die Tagesordnung einer offenen und kritischen Debatte zu setzen, ihre Sorge um die Arbeiterklasse. Diese Elemente bestanden besonders darauf, daß die Aufgabe der Konferenzen nicht die Propagierung des Trotzkismus in Rußland ist, sondern die kritische Würdigung seines Vermächtnisses im Verhältnis zu anderen proletarischen Beiträgen. Dieses proletarische Verhalten im Komitee, insbesondere von seiten des Autors des in dieser Revue veröffentlichten Beitrages, erhielt gleich von zwei Seiten unter den russischen Teilnehmern Unterstützung. Einerseits von jungen anarcho-syndikalistischen Elementen, die sich der Untersuchung des Vermächtnisses nicht nur des Anarchismus, sondern auch des Linkskommunismus verpflichtet hatten. Andererseits von gewissen russischen Historikern, die sich zwar nicht in den heutigen organisierten politischen Aktivitäten engagieren, aber den besten Traditionen der Loyalität gegenüber der wissenschaftlichen Wahrheit treu geblieben sind. Einige Manöver der Trotzkisten im Komitee und auf den Konferenzen, die Stimmen des Proletariats zum Schweigen zu bringen, erinnerte diese Historiker unfreiwillig an die Art der stalinistischen Druckausübung, unter der sie in der UdSSR so lange gelitten hatten.
Die Sabotage der ersten Schritte der proletarischen Klärung in Rußland und die Etablierung einer trotzkistischen Präsenz zur Verhinderung einer Wiederaneignung der Lehren des proletarischen Kampfes in jenem Land sind ein wichtiges Ziel der Bourgeoisie. Für den Trotzkismus und die Linke des internationalen Kapitals, die jahrzehntelang die UdSSR verteidigten, obwohl ihnen und ihrer Presse der Eintritt in jenes Land stets verwehrt worden war, ist ihre eigene Etablierung in Rußland und die Verhinderung einer proletarischen Debatte dort unverzichtbar für ihr eigenes Image als die wahren und einzigen Erben der Oktoberrevolution. (1)
Während der Perestroika begann die stalinistische KP den Zugang zu den historischen Archiven des Landes zu erlauben. Diese Maßnahme, Teil von Gorbatschows Politik der Mobilisierung der öffentlichen Meinung gegen den Widerstand innerhalb der Staatsbürokratie gegen seine ''Reform''politik, enthüllte sich bald als ein Ausdruck des Kontrollverlusts und der allgemeinen Auflösung des stalinistischen Regimes. Nachdem sich das Jelzin-Regime an der Macht etabliert hatte, schränkte es schnell den Zugang zu den Staatsarchiven, besonders in Bezug auf den Linkskommunismus und die Opposition links von Trotzki, ein. Obwohl die Jelzin-Regierung das private kapitalistische Eigentum neben dem bereits existierenden staatskapitalistischen Eigentum in Rußland wiedereinführte, verstand sie weitaus besser als Gorbatschow, daß jedes historische Infragestellen ihrer Vorgänger, von Stalin bis Breschnew, und jede Rehabilitierung des proletarischen Kampfes gegen den Staat der UdSSR ihre eigene Autorität nur untergraben kann.
Scheinbar im Gegensatz dazu, symphatisieren Teile der heutigen russischen Bourgeoisie mit der Idee, eine ikonisierte bürgerliche Fälschung Trotzkis, der als ''kritischer Anhänger'' einer geringfügig ''demokratisierten'' Nomenklatura dargestellt wird, zu benutzen, um ihr eigenes historisches Image aufzupolieren. Diese Sorge spiegelte sich in der Anwesenheit von stalinistischen Parteidissidenten auf der Konferenz wider, einschließlich eines Ex-Mitglieds von Suganows Zentralkomitee.
Die Konferenz von 1996 über die Verratene Revolution
Trotzkis berühmte Studie der Natur der UdSSR unter Stalin, in welcher er behauptete, daß einige ''Errungenschaften der Oktoberrevolution'' 1936 immer noch existierten, wurde von den Trotzkisten auf der Moskauer Konferenz von 1996 genutzt, um zu ''beweisen'', daß ein ''degenerierter Arbeiterstaat'' mit ''Elementen der sozialistischen Ökonomie'' bis in die 90er Jahre dort existiert hätte! Mitte der 30er Jahre glaubte Trotzki (der trotz der Zerschlagung des deutschen Proletariats 1933 nicht begriffen hatte, daß die revolutionäre Periode einer Epoche der Niederlage und der Konterrevolution gewichen war, und der die Kraft der russischer Arbeiteropposition innerhalb wie außerhalb der stalinisierten KP völlig überschätzt hatte), daß die Weltrevolution erst begonnen hätte und die Arbeiteropposition an die Macht zurückbringen würde. Im letzten Abschnitt seines Buches erklärt er: “Auf der Pyrenäenhalbinsel, in Frankreich, Belgien, wird augenblicklich das Los der Sowjetunion entschieden'' und schließt daraus, daß allein die siegreiche Revolution in diesen Ländern jetzt “den ersten Arbeiterstaat für die sozialistische Zukunft retten'' kann. Obwohl die Ereignisse in Spanien, Frankreich und Belgien mit dem kompletten Sieg der Konterrevolution und der Mobilisierung des westeuropäischen Proletariats für den imperialistischen Weltkrieg endeten, obwohl sie den Krieg und den ihm vorauseilenden Terror, die endgültige physische Liquidierung der letzten Überbleibsel der organisierten proletarischen Opposition in der UdSSR und den totalen Sieg der stalinistischen Konterrevolution nicht nur in der UdSSR, sondern auch in China und ganz Osteuropa bewirkten, wandelt der heutige Trotzkismus Trotzkis Fehler in ein religiöses Dogma um, indem er behauptet, daß Jelzins angebliche ''Wiederherstellung des Kapitalismus'' die Vorhersagen des ''Propheten'' Trotzki vollkommen bestätigt habe!
Gegen die bürgerliche Kanonisierung der Fehler Trotzkis zitierte die IKS seine Erklärung zu Beginn seines Buches Verratene Revolution: ''Mit den Herren bürgerlichen Ökonomisten braucht man sich nicht mehr zu streiten: der Sozialismus bewies sein Recht auf den Sieg nicht auf den Seiten des “Kapital”, sondern auf einer Wirtschaftsarena, die einen Sechstel der Erdoberfläche bildet, bewies es nicht in der Sprache der Dialektik, sondern in der Sprache des Eisens, des Zements und der Elektrizität.” Wenn dies zuträfe, würde die Desintegration der stalinistischen Ökonomie uns dazu zwingen, die Überlegenheit des Kapitalismus über den ''Sozialismus'' zuzugeben - eine Schlußfolgerung, die die Weltbourgeoisie jetzt genüßlich daraus zieht. In der Tat begann Trotzki gegen Ende seines Lebens, hoffnungslos verfangen in seiner eigenen unrichtigen Definition der UdSSR, selbst das ''historische Scheitern des Sozialismus'' als Hypothese in Erwägung zu ziehen.
Es ist kein Zufall, daß ein wichtiger Teil der Argumentation in Verratene Revolution der ''Widerlegung'' gewidmet ist, daß Stalins Rußland staatskapitalistisch ist - diese Position wurde nicht nur innerhalb des Linkskommunismus, sondern auch in der Linksopposition selbst, sowohl in Rußland als auch im Ausland, ständig geltend gemacht. Der hier veröffentlichte Beitrag des Genossen AG aus Moskau stellt eine fundamentale Widerlegung der Position Trotzkis zur UdSSR vom Standpunkt des revolutionären Marxismus dar. Dieser Beitrag demonstriert nicht nur die staatskapitalistische Natur des stalinistischen Rußlands. Er enthüllt auch die grundsätzliche Schwäche in Trotzkis Verständnis der Degeneration des Roten Oktober. Während Trotzki die Konterrevolution, wenn sie denn nicht durch eine ausländische Invasion triumphieren würde, von der Bauernschaft erwartete, weshalb er auch in den Bucharinisten und nicht in den Stalinisten die Hauptgefahr in den 20er Jahren erblickte und Stalins Bruch mit Bucharin zunächst als einen Schritt hin zur revolutionären Politik ansah, war er gegenüber dem Hauptinstrument einer Konterrevolution von innen mit Blindheit geschlagen: dem ''Sowjet''staat, der die Sowjets ausgelöscht hatte. In der Tat enthüllte bereits seine Debatte mit Lenin über die Gewerkschaftsfrage, in der Lenin das Recht der Arbeiter, gegen ihren ''eigenen Staat'' zu streiken, verteidigte und Trotzki es verneinte, Trotzkis Schwäche in dieser Frage. Im Gegensatz zu Trotzkis unkritischem Glauben in den ''Arbeiterstaat'', hob Lenin bereits 1921 hervor, daß der Staat auch andere Klassen, die dem Proletariat antagonistisch gegenüberstehen, repräsentiere und ''bürokratisch deformiert'' sei. Hinzu kommt noch ein anderes, wichtiges Unverständnis Trotzkis - sein Glauben an die ''ökonomischen Errungenschaften'' und an die Möglichkeit, die sozialistische Umgestaltung zumindest in einem Land zu beginnen -, was mithalf, den Weg für den Verrat des Trotzkismus durch die Unterstützung des Sowjetimperialismus im 2. Weltkrieg zu ebnen.
Diese Debatte war nicht akademisch. Während der Konferenz riefen die Trotzkisten, indem sie zur Verteidigung der ''noch verbliebenen sozialistischen Errungenschaften'' in einem Kampf gegen den ''Privatkapitalismus'' aufriefen, den sie als ''noch immer nicht entschieden'' beurteilten, die russischen Arbeiter tatsächlich dazu auf, ihr Blut für die Verteidigung der Interessen jenes Teils der stalinistischen Nomenklatura zu vergießen, der durch den Zusammenbruch des Regimes verloren hatte. Überdies leugnen sie, indem sie die Kriege in Ex-Jugoslawien als ein Mittel zur ''Wiederherstellung des Kapitalismus'' in jenem Land darstellen, die imperialistische Natur dieses Konflikts und rufen die Arbeiter zur Unterstützung der sogenannten ''antikapitalistischen'' Seite auf (im allgemeinen die pro-russische serbische Fraktion, die auch vom britischen und französischen Imperialismus unterstützt wird). Während des offenen Forums am Ende der Konferenz intervenierte die IKS, um den imperialistischen Charakter der UdSSR, der Kriege in Jugoslawien und in Tschetschenien und der Linken des Kapitals zu entlarven. Unsere Stimme war jedoch nicht die einzige, die sich zur Verteidigung des proletarischen Internationalismus erhob. Einer der jungen russischen Anarchisten intervenierte ebenfalls, zunächst um die Manöver der Kollaborationspolitik des russischen Zweiges der militanten Tendenz innerhalb des Trotzkismus mit anderen linken, aber auch rechten Tendenzen zu denunzieren. Doch vor allem entlarvte der Genosse den imperialistischen Charakter des 2. Weltkriegs und der Teilnahme Rußlands an ihm - wahrscheinlich die erste öffentliche und somit historische internationalistische Erklärung dieser Art durch eine neue Generation von Revolutionären in Rußland.
Die Konferenz von 1997 über Trotzki und die Russische Revolution
Diese Konferenz wurde hauptsächlich durch eine unmittelbarere Konfrontation zwischen dem Trotzkismus und dem Linkskommunismus beherrscht. Der Einfluß des letztgenannten wurde größtenteils durch die Anwesenheit und die mutigen Interventionen der Communist Workers Organisation, aber auch durch einen anderen Beitrag des Genossen G. gesteigert. Dieser Beitrag erinnerte nicht nur an die Existenz linkskommunistischer Strömungen in Rußland, wie die Kommunistische Arbeitergruppe von Gabriel Miasnikow, der sich der stalinistischen Degeneration viel früher und weitaus entschlossener als Trotzki widersetzte. Er verwies auch, auf der Basis einer Untersuchung historischer Dokumente, auf die Existenz einer massiven Unzufriedenheit und sogar offener Gegnerschaft gegenüber Trotzkis halbherziger Politik, die in Forderungen nach einer sozialen Revolution gegen die stalinistische Bourgeoisie zum Ausdruck kam.
Die CWO und die IKS erinnerten daran, daß die Kommunistische Internationale von den Bolschewiki und den kommunistischen Linken im wesentlichen gegründet wurde, um die Weltrevolution zu verbreiten. Lenin und Trotzki übertrugen den bekanntesten Mitgliedern des holländischen Linkskommunismus, Pannekoek und Gorter, die Leitung des westeuropäischen Büros der Internationalen (in Amsterdam). Die wichtigsten kommunistischen Parteien dort wurden von Linkskommunisten gegründet: die KPD von den Spartakisten und den Bremer Linksradikalen und die italienische Partei von den Genossen um Bordiga. Überdies wurde die Komintern 1919 auf der Grundlage der Positionen der kommunistischen Linken gegründet. Das Manifest des Gründungskongresses, verfaßt von Trotzki, ist der deutlichste Ausdruck dafür; er zeigt auf, daß in der Epoche des dekadenten Staatskapitalismus der gewerkschaftliche und parlamentarische Kampf, die nationale Befreiung und die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie nicht mehr möglich sind und daß die Sozialdemokratie zum linken Flügel der Bourgeoisie geworden ist. Wenn Lenin und Trotzki, im Gegensatz zum Linkskommunismus, diesen Positionen nicht treu geblieben sind, dann hauptsächlich deshalb, weil sie nach 1917 in der Verteidigung der Interessen des russischen Übergangsstaates verstrickt waren. Daher ist der Linkskommunismus der wahre Verteidiger des großen revolutionären Erbes von Lenin und Trotzki zwischen 1905 und 1917. Dies beweist die Tatsache, daß die Kommunistische Linke den internationalistischen Positionen Lenins während des 2. Weltkriegs, als der Trotzkismus Verrat beging, treu geblieben war.
Die CWO und die IKS verteidigten den gigantischen Beitrag von Rosa Luxemburg für den Marxismus gegen den britischen Neotrotzkisten Hillel Tiktin, der, um russische Militante am Studium ihrer Werke zu hindern, behauptete, daß sie gestorben sei, weil sie ''keine Parteikonzeption'' gehabt habe, mit anderen Worten, es sei ihr eigener Fehler gewesen, daß sie von der sozialdemokratischen Konterrevolution ermordet wurde. (2)
Diese Konferenz enthüllte den russischen Genossen vor allem, daß der Trotzkismus die Stimme des Proletariats nicht tolerieren kann. Während der Konferenz selbst versuchten sie wiederholt, die Darstellungen und Interventionen der CWO und der IKS zu verhindern. Nach der Konferenz versuchten sie, die ''Feinde des Trotzkismus'' von künftigen Treffen auszuschließen und jene russischen Mitglieder aus dem Organisationsbüro des Komitees zu entfernen, die die Teilnahme von nicht-trotzkistischen politischen Strömungen auf den Konferenzen verteidigten. Zuvor schon hatten sie die Veröffentlichung der IKS-Beiträge auf der Konferenz von 1996 auf russisch mit dem Vorwand sabotiert, daß sie von ''keinem wissenschaftlichen Interesse'' seien.
Perspektiven
Wir müssen wohl kaum die internationale und historische Bedeutung der langsamen und schwierigen Entwicklung von proletarischen Positionen im Lande der Oktoberrevolution betonen. Es liegt auf der Hand, daß die Entwicklung eines solchen Klärungsprozesses enormen Hindernissen und Gefahren ausgesetzt ist. Als Ergebnis insbesondere einer über ein halbes Jahrhundert währenden stalinistischen Konterrevolution, deren Zentrum genau in jenem Land lag, und der extremen Manifestation der kapitalistischen Krise dort, sind die suchenden proletarischen Elemente in Rußland noch immer isoliert und unerfahren, weiterhin abgeschnitten von großen Teilen der wahren Geschichte des Proletariats und der marxistischen Bewegung sowie den enormen materiellen Schwierigkeiten und der Gefahr der Ungeduld und Demoralisierung ausgesetzt. Hinzu kommt die Tatsache, daß die Linke des Kapitals ganz sicher damit fortfahren wird, diesen Prozeß um alles in der Welt zu sabotieren.
Die wahre Aufgabe der Revolutionäre in Rußland heute, nach Jahrzehnten der furchtbarsten Konterrevolution in der Geschichte, die nicht nur zwei Generationen von proletarischen Revolutionären ausgelöscht hat, sondern auch unserer Klasse ihre wahre Geschichte ''gestohlen'' hat, besteht in der politischen Klärung von Positionen. Die Entwicklung einer revolutionären Perspektive für die Arbeiterklasse von heute kann nur eine äußerst langfristige, schwere Aufgabe sein. Das Proletariat braucht keine Revolutionäre, die nach kurzer Zeit wieder verschwinden, sondern Organisationen, die fähig sind, eine historische Arbeit und Perspektive zu entwickeln. Daher wird von Revolutionären vor allem ein Marxismum an Klarheit und Standfestigkeit in proletarischen Positionen und die Fähigkeit verlangt, die wahren Traditionen der Arbeiterklasse zu verteidigen.
Die IKS hat sich selbst dazu verpflichtet, die Unterstützung aller Bemühungen in diese Richtung fortzusetzen. Insbesondere wollen wir die russischen Genossen ermuntern, die Beiträge des Linkskommunismus zu studieren, den sie selbst als einen echten und wichtigen Ausdruck des historischen Kampfes unserer Klasse anerkennen.
Nach unserer Auffassung war die Art von Konferenzen, wie sie bis dahin stattgefunden haben, ein wichtiges Moment in der Debatte und Konfrontation gewesen, hat aber nun ihre Grenzen erreicht, insofern als es nicht mehr möglich ist, angesichts von Sabotage und Verfälschungen der Art, wie wir sie bei den Trotzkisten gesehen haben, die Klärung fortzusetzen. Der Klärungsprozeß selbst jedoch kann und muß weitergehen, und dies ist nur in internationalem Rahmen möglich.
Nicht nur die russischen Revolutionäre, sondern auch das internationale Proletariat wird von diesem Prozeß nutznießen. Der im Folgenden veröffentlichte Text ist ein klares Anzeichen dafür, wie reich dieser Beitrag sein kann. (3) KR
(1) So nahm der französische Trotzkist Krivine ein TV-Team des deutsch-französischen Kanals Arte zur Konferenz mit und blieb nur einige Sitzungen lang, um vor der Kamera zu posieren.
(2) Die trotzkistische (und stalinistische) Lüge, derzufolge die Deutsche Revolution von 1918-23 infolge Rosa Luxemburgs angeblicher Unterschätzung der Partei und der Notwendigkeit diese zum richtigen Zeitpunkt zu gründen gescheitert sei, wurde von Trotzki, der eine marxistische Erklärung zum Rückstand und zur Schwäche der damaligen politischen Avantgarde in Deutschland gab, nicht geteilt. “Die Geschichte hat der Menschheit einmalmehr eine ihrer dialektischen Widersprüche präsentiert: genau weil die deutsche Arbeiterklasse in der vorangegangenen Periode ihre größte Energie dem Aufbau einer unabhängigen Organisation gewidmet hat, welche innerhalb der Zweiten Internationalen als Partei und auch als Gewerkschaftsapparat den ersten Rang einnahm, genau aus diesem Grunde hat sich die deutsche Arbeiterklasse in einer neuen Epoche, im Moment des Wechsels zum offenen revolutionären Kampf um die Macht als organisatorisch sehr verletzlich offenbart.” (“Die kriechende Revolution”, “Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationalen”) In der Tat war die Fraktionsarbeit innerhalb der deutschen Sozialdemokratie, welche Rosa Luxemburg und der Spartakusbund gegen den Verrat der Führung und mit dem Ziel die Partei der Zukunft zu bilden führten, nicht nur einer der kühnsten und entschlossensten Kämpfe für die Partei in der bisherigen Geschichte, sondern er entsprach auch den von Lenin verwirklichten Traditionen der Fraktionsarbeit.
(3) Wir sind im Ganzen mit der Analyse und den in diesem Dokument entwickelten Argumenten einverstanden. Doch dies heißt nicht, daß wir damit auch alle Formulierungen als richtig erachten. So scheint uns die Idee, nach der “die Arbeiterklasse (in Rußland) zur Abschaffung des staatlichen Eigentums und des kommunistischen Staatsapparates beigetragen hat” als falsch. In keiner Weise war die Arbeiterklasse als Klasse selbst ein aktiver Faktor in den Umwälzungen, die in den sogenannt sozialistischen Ländern damals stattgefunden haben. Die Tatsache, daß eine Mehrheit der Arbeiter, als Opfer von demokratischen Illusionen, hinter die Ziele der “liberalen” Fraktion der Bourgeoisie gegen die stalinistische gezogen wurde heißt absolut nicht, daß die Arbeiterklasse eine aktive Rolle spielte. Die imperialistischen Weltkriege haben Dutzende von Millionen Arbeiter erfaßt. Doch dies bedeutet nicht, die Arbeiterklasse hätte sich aktiv an den Massakern beteiligt. Als sich die Arbeiterklasse als Klasse erhoben hat, wie 1917 in Rußland und 1918 in Deutschland, hatte dies zum Ziel, dem Krieg ein Ende zu setzen. Auch trotz einiger unglücklicher Formulierungen ist dies ein hervorragender Text den wir begrüßen.