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5. Von der Fraktionsarbeit zur Gründung der KPD
Im vorangegangenen Artikel dieser Serie haben wir gezeigt, wie angesichts des Verrats der Sozialdemokratie die Revolutionäre in Deutschland mit der Organisationsfrage umgegangen waren. Ihre Devise lautete, zunächst den Kampf und die Fraktionsarbeit innerhalb der alten Partei konsequent fortzusetzen und, als das nicht mehr möglich war, den Aufbau einer eigenen Partei vorzubereiten. Diese verantwortungsvolle Vorgehensweise gegenüber der SPD, die sich die Spartakisten zu Eigen gemacht hatten, veranlasste sie schließlich dazu, im Gegensatz zu den Bremer Linksradikalen, die die sofortige Gründung einer eigenen Partei forderten, mehrheitlich der zentristischen USPD beizutreten. In diesem Artikel werden wir uns mit der Gründung der KPD und den organisatorischen Schwierigkeiten dieser jungen Partei beschäftigen.
Die Linksradikalen und der gescheiterte Versuch einer Parteigründung
In einer Stellungnahme vom 5. Mai 1917 warfen die Bremer und Hamburger Linksradikalen den Spartakisten vor, ihre organisatorische Selbständigkeit mit dem Eintritt in den USPD aufgegeben zu haben; sie meinten, „die Zeit ist reif für die Gründung einer linksradikalen Organisation, der Internationalen Sozialistischen Partei Deutschlands.“
Bereits im Sommer trafen sie erste Vorkehrungen für die neue Parteigründung. Für Anfang August 1917 war eine Gründungskonferenz in Berlin geplant. 13 Delegierte kamen, fünf aus Berlin, die restlichen acht aus anderen Städten Deutschlands. Doch die Polizei war auf dem Posten, sie sprengte das Treffen! Es zeigte sich, dass der Wille allein nicht ausreichte, es bedurfte auch organisatorischer Fähigkeiten. „Es reicht eben nicht, das ‚reine Banner‘ aufzupflanzen, die Aufgabe jedoch ist, es zu den Massen zu tragen, um sie zu gewinnen“, stellte Rosa Luxemburg im Duisburger Kampf fest.
Am 2. September wurde ein zweiter Versuch unternommen. Diesmal erhielt die neue Organisation den Namen „Internationaler Sozialistischer Arbeiterbund“. Seine Statuten sahen vor, dass jeder Ortsverein Autonomie erhalten solle. Es wurde behauptet, die „Zweiteilung in politische und wirtschaftliche Organisationen sei geschichtlich überholt“ – ein weiteres Indiz für die große Heterogenität in der Organisationsfrage. Die Behauptung, die Bremer Linksradikalen seien in der Organisationsfrage am klarsten in der revolutionären Bewegung in Deutschland gewesen, entspricht daher nicht den Tatsachen.
Die Dresdner Linken um Otto Rühle begannen gar, organisationsfeindliche Ansätze zu entwickeln. Die Geburt des künftigen Rätekommunismus rückte immer näher. Aus seiner Abneigung gegen eine organisatorische Zusammenfassung machte das rätekommunistische Embryo keinen Hehl.
Während die Spartakisten auf immer mehr Aufmerksamkeit stießen, gelang es den Bremer Linken und dem ISD nie, über den kleinen Kreis von Eingeweihten hinaus zu gelangen. Auch wenn die Arbeit der Spartakisten in der USPD nach anderthalb Jahren nicht die erwarteten Früchte trug, so gab die Spartakusgruppe entgegen der Behauptung der ISD zumindest nicht ihre Unabhängigkeit auf. Bei ihren Interventionen in den Reihen der USPD ließen sich die Spartakisten keinen Maulkorb anlegen.
Ob in den Auseinandersetzungen über die deutsch-russischen Verhandlungen von Brest-Litowsk im Winter 1917 oder während der riesigen Streikwelle im Januar 1918, als ca. eine Million Arbeiter die Arbeit niederlegten und z.T. Arbeiterräte gründeten – immer standen die Spartakisten an vorderster Front.
Zu einem Zeitpunkt, als der deutsche Imperialismus sich ein letztes Mal aufbäumte und noch mehr Kanonenfutter ins Feuer des schon verlorenen Krieges zu werfen beabsichtigte[1], baute die Spartakusgruppe ihr Organisationsnetz weiter aus. Sie veröffentlichte acht Publikationen in Auflagen von 25.000 bis 100.000 Exemplaren. Und dies zu einer Zeit, als nahezu die gesamte Führung der Spartakisten im Gefängnis saß[2].
Auch nachdem die Bremer Linksradikalen sich für die Gründung einer eigenständigen Partei entschieden hatten, blieb die Spartakusgruppe ihrer Linie treu und verfolgte weiterhin die Umgruppierung und Bündelung aller revolutionären Kräfte in Deutschland.
Am 7. Oktober 1918 lud Spartakus zu einer Reichskonferenz, an der auch Abgesandte mehrerer Ortsgruppen anderer linksradikaler Gruppen teilnahmen. Es wurde eine organisatorische Zusammenarbeit zwischen Spartakisten und anderen Linksradikalen beschlossen, ohne dass dies den Eintritt letzterer in die USPD zur Folge hatte. Jedoch wurde auf dieser Konferenz trotz der heraufziehenden revolutionären Entwicklung noch nicht entschieden genug die Notwendigkeit einer eigenen Partei hervorgehoben. Lenin hatte dies betont: „Das größte Unglück und die größte Gefahr für Europa bestehen darin, dass es dort keine revolutionäre Partei gibt (...) Gewiss, die revolutionäre Bewegung der Massen kann diesen Mangel beheben, er bleibt aber (...) eine große Gefahr.“
Die Intervention der Spartakisten in den revolutionären Kämpfen
Als die revolutionären Kämpfe im November 1918 ausbrachen, leisteten die Spartakisten eine heroische Arbeit. Auch inhaltlich waren ihre Interventionen in den Kämpfen auf der Höhe. Sie traten dafür ein, eine Brücke zur russischen Arbeiterklasse zu schlagen, entblößten, ohne zu zögern, die Manöver und Sabotage der Bourgeoisie und erkannten die Rolle der Arbeiterräte sowie die Notwendigkeit an, die Bewegung nach Beendigung des Krieges durch die Verstärkung des Drucks aus den Fabriken auf eine neue Stufe zu hieven. (Aus Platzgründen können wir hier nicht näher auf ihre Interventionen eingehen.)
Trotz ihrer inhaltlichen Stärke besaßen die Spartakisten während der Kämpfe aber noch nicht einen ausschlaggebenden Einfluss innerhalb der Arbeiterklasse. Um der Rolle einer kommunistischen Partei jedoch gerecht zu werden, reicht es nicht aus, politisch korrekte Positionen innezuhaben, unabdingbar ist auch ein entsprechender Einfluss auf die Arbeiterklasse. Die Partei muss der Steuermann sein, der die Bewegung an den Untiefen vorbei sicher in den Hafen lotst.
Hatte der lose Zusammenschluss der Spartakusgruppe während des Krieges noch ausgereicht, um eine hervorragende Propagandaarbeit zu leisten, fehlte den Spartakisten bei Ausbruch der revolutionären Kämpfe jetzt ein verlässliches organisatorisches Netzwerk. Erschwerend kam hinzu, dass sie immer noch der USPD angehörten und damit für viele Arbeiter nicht unterscheidbar waren gegenüber den Zentristen. Die SPD schlug insofern Gewinn daraus, als dass sie mit noch mehr Überzeugungskraft von der „Einheit“ zwischen den Arbeiterparteien sprechen konnte.
Der organisatorische Ausbau der Spartakisten wurde erst nach dem Ausbruch der Kämpfe beschleunigt. Am 11. November wurde die Spartakusgruppe in „Spartakusbund“ umbenannt. Gleichzeitig wurde eine Zentrale aus zwölf Genossen gebildet.
Im Gegensatz zur SPD, die allein über ca. 100 Zeitungen verfügte und sich auf einen umfangreichen Funktionärsapparat stützen konnte, waren die Spartakisten bei Ausbruch der Kämpfe nicht einmal im Besitz einer Zeitung. In der entscheidenden Woche vom 11. bis zum 18. November standen die Spartakisten ohne eigene Presse da, denn die Rote Fahne konnte nicht erscheinen. Nachdem die Spartakisten eine bürgerliche Zeitung besetzt hatten, setzte die SPD alle Hebel in Bewegung, um ein Erscheinen der Roten Fahne zu verhindern. Erst nachdem eine andere Druckerei besetzt worden war, konnte die Rote Fahne wieder erscheinen.
Nachdem die Forderung der Spartakisten nach Einberufung eines Parteitages der USPD auf keine Mehrheit gestoßen war, beschlossen sie die Gründung einer eigenen Partei. Die Genossen der ISD, mittlerweile in IKD umbenannt, veranstalteten bereits am 24. Dezember eine Reichskonferenz in Berlin, an der Delegierte von der Küste, aus dem Rheinland, aus Sachsen, Bayern, Württemberg und Berlin teilnahmen. Radek drängte auf dieser Konferenz auf die Verschmelzung der IKD mit den Spartakisten. Zwischen dem 30. Dezember 1918 und dem 1. Januar 1919 wurde schließlich die KPD gegründet.
Die KPD war also das Ergebnis der Vereinigung von IKD und Spartakusbund.
Die Gründung der KPD
Als erster Punkt stand die Bilanz der Arbeit der Spartakisten in der USPD auf der Tagesordnung. Bereits am 29. November 1918 hatte Rosa Luxemburg die Schlussfolgerung gezogen, dass es „für eine Partei der Halbheit und Zweideutigkeit in der Revolution keinen Platz mehr“ gibt. Zentristische Parteien wie die USPD würden in revolutionären Zeiten auseinanderbrechen.
„Wir haben der USPD angehört, um aus der USPD herauszuschlagen, was herausgeschlagen werden konnte, um die wertvollen Elemente der USPD voranzutreiben, um sie zu radikalisieren, um auf diese Weise schließlich bei einem Zersetzungsprozess, bei weiterem Fortgang des Zersetzungsprozesses zu erreichen, dass möglichst starke revolutionäre Kräfte gewonnen werden könnten für die Zusammenfassung in einer geschlossenen, einheitlichen, revolutionären proletarischen Partei. (...) Das, was erreicht wurde, war außerordentlich gering (...) (Mittlerweile dient die USPD) als Feigenblatt für die Ebert-Scheidemann. Sie haben in den Massen das Gefühl für einen Unterschied zwischen der Politik der USPD und der Mehrheitssozialisten geradewegs verwirkt (...) Jetzt hat die Stunde geschlagen, in der alle proletarischen revolutionären Elemente der USPD den Rücken kehren müssen, um eine neue, selbständige Partei mit klarem Programm, festem Ziel, einheitlicher Taktik, höchster revolutionärer Entschlossenheit und Tatkraft zu schaffen, als ein starkes Instrument zur Durchführung der beginnenden sozialen Revolution.“ (Rosa Luxemburg, Protokoll des Gründungsparteitages, S. 84, 92)
Beseitigung der zentristischen Hürde, klarste Abgrenzung gegenüber dem Zentrismus, Zusammenschluss aller Revolutionäre in der KPD – das waren die Aufgaben des Tages.
Bei der Einschätzung des aktuellen Standes der revolutionären Kämpfe bewies Rosa Luxemburg in ihrem Referat über Unser Programm und die politische Situation den klarsten Überblick über die Lage. Sie sprach sich dagegen aus, überstürzt zu handeln und die Schwierigkeiten zu unterschätzen. Sie erkannte, dass man sich „mit voller Klarheit alle Schwierigkeiten und Komplikationen dieser Revolution vor Augen führen“ müsse. „Wenn ich es so schildere, nimmt sich der Prozess vielleicht etwas langwieriger aus, als man geneigt wäre, ihn sich im ersten Moment vorzustellen. (...) ich hoffe, wie auf mich, so wirkt auf keinem von Euch die Schilderung der großen Schwierigkeiten, der sich auftürmenden Aufgaben dahin, dass Ihr etwa in Eurem Eifer oder Eurer Energie erlahmt.“
Wie wichtig für sie die Rolle der Partei war, beweist folgende Aussage: „Die jetzige Revolution, die erst in ihrem Anfangsstadium steht, die gewaltige Perspektiven vor sich und weltgeschichtliche Probleme zu bewältigen hat, muss einen untrüglichen Kompass haben, der in jedem Teilstadium des Kampfes, in jedem Siege und in jeder Niederlage unbeirrbar nach demselben großen Ziele weist: nach der sozialistischen Weltrevolution, nach dem rücksichtslosen Machtkampf des Proletariats um die Befreiung der Menschheit vom Joch des Kapitals. Dieser richtungsweisende Kompass, dieser vorwärtstreibende Keil, der proletarisch-sozialistische Sauerteig der Revolution zu sein – das ist die spezifische Aufgabe des Spartakusbundes in der gegenwärtigen Auseinandersetzung zweier Welten.“ (29. Dezember 1918)
„Wir müssen die Massen erst darin schulen, dass der Arbeiter- und Soldatenrat der Hebel der Staatsmaschinerie nach allen Richtungen sein soll, dass er jede Gewalt übernehmen muss und sie alle in dasselbe Fahrwasser der sozialistischen Umwälzung leiten muss. Davon sind auch noch diejenigen Arbeiter, die schon in den Arbeiter- und Soldatenräten organisiert sind, meilenwert entfernt, ausgenommen natürlich einzelne kleine Minderheiten von Proletariern, die sich ihrer Aufgabe klar bewusst sind.“ (Rosa Luxemburg, Unser Programm und die politische Situation, Ges. Werke Bd. 4, S. 511)
Lenin betrachtete das Programm der Spartakisten (Was will der Spartakusbund?), das er Ende Dezember erhielt, als Eckpfeiler bei der Gründung der Kommunistischen Internationale. „Dazu muss man die Grundsätze für eine Plattform formulieren (ich denke, man kann a) die Theorie und Praxis des Bolschewismus nehmen (...) ferner b) ‚Was will der Spartakusbund?‘ nehmen). Aus a + b gehen die Grundsätze für eine Plattform klar genug hervor.“ (Lenin, Briefe, Ges. Werke Bd. 5, S. 221, Dezember 1918)
Die Organisationsfrage auf dem Parteitag
Die Zusammensetzung dieses Parteitages – aus 46 Orten kamen 83 Delegierte zusammen, die zu einem Großteil über kein richtiges Mandat verfügten – spiegelte die ganze Unreife der Organisation wider. Der Kampf gegen den Krieg hatte die verschiedensten Kräfte in eine gemeinsame Front geworfen. Neben dem alten Stamm von revolutionären Parteiarbeitern, die bereits vor dem Krieg der linksradikalen Opposition um Rosa Luxemburg angehört hatten, saßen jetzt junge Arbeiter, die erst im Verlaufe des Krieges zu Trägern der revolutionären Propaganda und Aktion geworden waren und demzufolge noch wenig politische Erfahrung besaßen, Soldaten, die durch die Erbitterung über die Leiden und Entbehrungen des Krieges angestachelt waren, Pazifisten, die wacker gegen den Krieg gekämpft hatten, durch ihre Verfolgung nach links getrieben worden waren und die nun in der radikalen Arbeiterbewegung ein fruchtbares Feld für ihre Ideen erblickten, Künstler und Intellektuelle, die vom Sog der Revolution erfasst worden waren – kurzum: Elemente, wie sie in jeder Revolution in die Bewegung gespült werden. Hinzu kam, dass die Repression viele revolutionäre Führer eingekerkert hatte, dass viele erfahrene Parteimitglieder ihr Leben an der Front gelassen hatten und durch junge, radikalisierte Elemente ersetzt worden waren, die über wenig Organisationserfahrung besaßen. Wie man sieht, liefert der Krieg selbst nicht notwendigerweise die besten Bedingungen für den Aufbau einer revolutionären Partei.
Schnell kristallisierten sich auf dem Parteitag in der Organisationsfrage ein von Luxemburg und Jogiches angeführter marxistischer Flügel, ein organisationsfeindlicher Flügel, der später in die rätekommunistische Strömung münden sollte, und ein aktionistischer, in Organisationsfragen schwankender Flügel um Karl Liebknecht heraus. Der Kongress zeigte die große Kluft in der programmatischen Klarheit, in den Auffassungen über die Grundsatzpositionen, wie sie Rosa Luxemburg in Unser Programm umrissen hatte, und in den Auffassungen zur Organisationsfrage auf.
Die Schwächen in der Organisationsfrage
Zunächst nahm die Diskussion über die Organisationsfrage auf dem Gründungsparteitag einen zeitlich nur begrenzten Raum ein; zudem waren einige Delegierte schon abgereist. Der Bericht Eberleins auf dem Parteitag bot ein Spiegelbild der Schwächen der KPD in dieser Frage. Zunächst zog Eberlein als Berichterstatter eine Bilanz der bisherigen Arbeit der Revolutionäre.
„Die alten Organisationen waren schon ihrem Namen und ihrer Tätigkeit nach Wahlvereine. Die neue Organisation soll nicht ein Wahlverein, sondern eine politische Kampforganisation werden. (...) Die sozialdemokratischen Organisationen waren Wahlvereine. Ihre ganze Organisation beruhte darauf, die Vorarbeiten und die Agitation zu den Wahlen einzuleiten und durchzuführen, und es war faktisch so, dass ein bisschen Leben in den Organisationen auch nur dann vorhanden war, wenn man vor Wahlen oder mitten in den Wahlen stand. Die übrige Zeit war es in den Organisationen öde und ausgestorben.“ (aus dem Bericht Eberleins zur Organisationsfrage, S. 260)
Diese Beurteilung der Vorkriegs-SPD gibt das Absterben jeglichen Lebens in den sozialdemokratischen Organisationen infolge der Versumpfung durch den Reformismus trefflich wieder. Die ausschließliche Orientierung auf die Parlamentswahlen erstickte jegliches Leben in den Ortsvereinen. Durch diese Fixierung auf die parlamentarische Tätigkeit (parlamentarischer Kretinismus) sowie die damit einhergehende Bindung an die bürgerliche Demokratie konnte die gefährliche Illusion entstehen, Hauptachse des Kampfes der Partei sei die parlamentarische Tätigkeit. Erst der Verrat der SPD-Reichstagsfraktion zu Kriegsbeginn bewirkte ein Aufbäumen in etlichen Ortsvereinen.
Doch während des Krieges „mussten wir jahrelang eine illegale Tätigkeit ausüben, so dass aufgrund dieser illegalen Tätigkeit eine feste Organisationsform nicht möglich war“.
In der Tat war Liebknecht vom Sommer 1915 bis zum Oktober 1916 entweder von der Armee eingezogen oder saß im Gefängnis, wodurch ihm die „freie Meinungsäußerung“ und der Kontakt zu den anderen Genossen untersagt werden sollte. Rosa Luxemburg war drei Jahre und vier Monate eingekerkert, Leo Jogiches ab 1918; die Mehrzahl der Mitglieder der im Jahre 1916 gebildeten Zentrale befand sich ab 1917 hinter Gittern. Insbesondere kurz vor Ausbruch der entscheidenden Kämpfe 1918 war ein Großteil der führenden Genossen immer noch im Gefängnis. Zwar konnte Spartakus damit nicht zum Schweigen gebracht werden, doch dem organisatorischen Aufbau der Partei wurde ein schwerer Schlag zugefügt, indem einer organisatorisch noch nicht ausgereiften Bewegung die Führung genommen wurde.
Doch auch wenn die objektiven Bedingungen – Illegalität und Repression – den Aufbau eines Organisationsnetzes immens erschwerten, darf dies nicht darüber hinweg täuschen, dass vielerorts die Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Organisation unterschätzt wurde. Eberlein meinte:
„Sie alle wissen, dass wir in unserem Optimismus der Auffassung sind, dass die kommenden Wochen und Monate uns Dinge bringen werden, die alle diese Diskussionen überflüssig machen können. Deshalb will ich bei der vorgeschrittenen Zeit, die uns heute zur Verfügung steht, Sie nicht weiter aufhalten. (...) wir stehen jetzt mitten drin im politischen Kampf, da ist zu Paragraphenfuchserei (gemeint ist die Diskussion über die Statuten, die Red.) keine Zeit (...) wir dürfen und sollen in diesen Tagen unser Hauptgewicht nicht auf die kleinen Dinge der Organisation legen. Wir wollen, soweit es möglich ist, in den nächsten Wochen und Monaten Ihnen in den Orten das alles selbst überlassen (...) (wenn wir mehr und überzeugte Mitglieder haben), die für die kommenden Tage der Aktion bereit sind, die ihre ganzen Gedanken auf die Aktion der nächsten Zeit lenken. Dann werden wir über die kleinen Schwierigkeiten der Organisierung und der Organisationsform leicht hinwegkommen.“ (S. 272)
Natürlich ist in der Stunde revolutionärer Entscheidungen Klarheit und Einheit in den revolutionären Aufgaben geboten, alles eilt und drängt, der Faktor Zeit spielt eine ausschlaggebende Rolle. Es liegt also auf der Hand, dass die Klärung der Organisationsfragen vor Ausbruch der revolutionären Kämpfe wünschenswert und notwendig gewesen wäre. Angesichts der Beschleunigung der revolutionären Entwicklung, die ein Großteil der Delegierten für die nächsten Wochen erwartete, verbreitete sich jedoch in jenem Flügel, der der Partei misstrauisch gegenüber eingestellt war, die Auffassung, die Partei werde durch die Entwicklung der Dinge von allein überflüssig gemacht werden.
Die Aussagen Eberleins bringen nicht nur die Ungeduld, sondern auch eine dramatische Unterschätzung der Organisationsfrage zum Ausdruck. „Wir hatten in diesen vier Jahren keine Zeit, um uns zu überlegen, wie wir uns organisieren wollten. Wir wurden in diesen vier Jahren einfach von Tag zu Tag vor Tatsachen gestellt und mussten aufgrund der feststehenden Tatsachen entscheiden, ohne zu fragen, ob dabei ein Organisationsstatut geschaffen werden kann.“ (S. 264)
Zwar trifft es zu, dass die Spartakisten, wie Lenin meinte, „unter den schwierigen Umständen eine systematische revolutionäre Propaganda“ betrieben, aber es ist dennoch unübersehbar, dass sie den Fehler begingen, ihre Organisation in der Klassenintervention zu verausgaben. So mutig und glasklar die revolutionäre Propaganda der Spartakisten war, ihre ausschließliche Fixierung auf die Interventionen führte letztendlich zu einer Lähmung der inneren Aktivitäten der Organisation selbst.
Die Revolutionäre können in einer solch dramatischen Situation wie die des Krieges noch so entschlossen und heldenhaft intervenieren – wenn im Moment des Ausbruchs von Arbeiterkämpfen kein festes organisatorisches Gefüge existiert, wenn dem Proletariat keine schlagkräftige Kampforganisation zur Seite steht, dann können sich all die Jahre aufopfernder Interventionen als unzureichend erweisen. Der Aufbau eines Organisationsnetzes, die Klärung der Funktion der Organisation, die Ausarbeitung von organisatorischen Regeln (Statuten) sind unerlässliche Bausteine für die Errichtung, das Funktionieren und die Intervention einer Organisation. Diese Aufbauarbeit darf durch die Klasseninterventionen nicht behindert werden. Eine Intervention in der Klasse wird nur dann Früchte tragen, wenn sie nicht auf Kosten des Aufbaus der Organisation geht. Der Aufbau und die Verteidigung der Organisation ist eine ständige Pflicht der Revolutionäre, ob in Zeiten der Grabesruhe an der Klassenfront oder in einer Epoche heranflutender Wellen des Klassenkampfes.
Darüber hinaus gab es einen Flügel in der KPD, der angesichts seiner Erfahrungen mit der SPD wie ein gebranntes Kind auf den Zentralismus reagierte. Es trifft zu, dass innerhalb des Parteikörpers ein ungeheurer bürokratischer Apparat entstanden war, der, von der Parteiführung eingesetzt, die Initiativen an der Basis immer mehr behindert hat. Aus Furcht vor der Erstickung des Organisationslebens durch eine neue Zentrale machte sich nun ein Teil der KPD zum Fürsprecher des Föderalismus. Auch Eberlein stimmte in diesen Chor mit ein: „Es wäre notwendig, dass bei dieser Organisationsform den einzelnen Orten von Seiten der Gesamtorganisation die weitmöglichste Freiheit gelassen wird, dass nicht von oben herunter schematisch verordnet wird (...) Wir sind weiter der Meinung, dass das alte System der Unterordnung der einzelnen Orte unter die Zentrale aufhören muss, dass die einzelnen örtlichen Organisationen, die einzelnen Betriebsorganisationen eine völlige Autonomie haben müssen. Sie müssen selbständig sein in ihrer Tätigkeit, (...) sie müssen die Möglichkeit haben, selbst in die Aktion einzutreten, ohne dass die Zentrale immer das Recht hat zu sagen: ‚Das dürft Ihr tun, oder das dürft Ihr nicht tun.‘.“ (S. 269)
Diese Politik des Zentralismus-feindlichen Flügels der jungen KPD und der späteren rätekommunistischen Strömung war nichts anderes als ein Rückschritt in der Organisationsgeschichte der revolutionären Bewegung. Dies kam auch in der Frage der Presse zum Ausdruck. „Wir sind weiter der Meinung, dass die Frage der Presse nicht zentral geregelt werden kann, dass die örtlichen Organisationen überall die Möglichkeit haben müssen, ihre eigene Zeitung zu gründen (...) Einige Genossen haben (die Zentrale) angegriffen und uns gesagt: Ihr gebt eine Zeitung heraus, was sollen wir damit machen, wir können sie nicht gebrauchen, wir geben selbst eine Zeitung heraus.“ (S. 263)
Aus den Ausführungen Eberleins geht hervor, wie stark die Heterogenität der frisch gegründeten KPD in der Organisationsfrage war.
Der marxistische Flügel zur Organisationsfrage – eine Minderheit
Als entschieden marxistischer Flügel trat auf dem Gründungskongress hauptsächlich die Gruppe um Rosa Luxemburg und Leo Jogiches auf; sie blieb jedoch in der Minderheit. Als direkter Gegenpol wirkte der organisationsfeindliche Flügel, die Rätekommunisten, die die Rolle der politischen Organisation grundsätzlich unterschätzten und in ihrem Misstrauen gegenüber der Organisation vor allem die Zentralisierung ablehnten und auf die Selbständigkeit der örtlichen Sektionen drängten. Rühle war ihr prominentester Vertreter[3]. Ein weiterer, jedoch mit keiner klaren Alternative auftretender Flügel war der um Karl Liebknecht. Dieser Flügel zeichnete sich durch seine beispiellose Kampfbereitschaft aus. Doch um als Partei zu wirken, reichte der Wille zur Intervention allein nicht aus; es bedurfte auch der programmatischen Klarheit und eines festen Organisationskörpers. Liebknechts Flügel richtete seine Aktivitäten nahezu ausschließlich auf die Klassenintervention aus. Am deutlichsten wurde dies, als Liebknecht am 23. Oktober 1918 aus dem Gefängnis entlassen wurde. Ca. 20.000 Arbeiter warteten am Anhalter Bahnhof auf seine Ankunft. Seine erste Tat war, vor die Fabriktore zu gehen und unter den Arbeitern zu agitieren. Dabei war im Oktober 1918, als es in der Klasse ohnehin brodelte, nicht die Intervention die dringlichste Aufgabe der Revolutionäre, sondern die Auferbietung aller Kräfte für den Aufbau der Partei, zumal die Spartakisten erst eine lose Organisation ohne feste Strukturen waren. Liebknechts Haltung in der Organisationsfrage unterschied sich stark von Lenins Position. Nachdem letzterer im April 1917 im Petrograder Bahnhof eingetroffen und triumphal empfangen worden war, verkündete er flugs seine Aprilthesen und tat alles, um die bolschewistische Partei auf einem Sonderparteitag aus ihrer Krise herauszuhelfen und ihr ein klares Programm zu verleihen. Liebknechts Hauptsorge galt dagegen nicht so sehr der Organisation und ihrem Aufbau. Ja, er schien eine Organisationsauffassung zu haben, in deren Mittelpunkt die Idee stand, dass ein revolutionärer Militanter ein Held, ein herausragendes Individuum sein müsse, und die völlig übersah, dass eine proletarische Kampforganisation vor allem von ihrer kollektiven Stärke lebt. Dass er später dann zu Aktionen auf eigene Faust neigte, war nur die logische Konsequenz aus seiner fehlerhaften Organisationsauffassung. Rosa Luxemburg beklagte später denn auch oft, dass „Karl ständig unterwegs war, von einer Rede zu den Arbeitern zur anderen eilte, er kam oft nur zu den Redaktionssitzungen der ‚Roten Fahne‘, sonst war es schwer, ihn zu einer Sitzung der Organisation aufzutreiben.“ Er verstand nicht, dass seine größte Effektivität, sein größter Beitrag in der Festigung der Organisation bestand.
Die Sünden der Vergangenheit
Die SPD war bereits seit Jahren von der parlamentarischen Arbeit zernagt worden. Die Dominanz der parlamentarisch-reformistischen Tätigkeit hatte der illusorischen Auffassung Auftrieb verliehen, die Teilnahme an der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie sei die Hauptwaffe des proletarischen Klassenkampfes, und hatte völlig den Blick dafür verstellt, dass der Parlamentarismus allenfalls vorübergehend ein Instrument zur Ausnutzung der Widersprüche zwischen den verschiedenen Fraktionen des Kapitals war und dass er nur vorübergehend die Möglichkeit bot, dem Kapital Konzessionen abzuringen. Durch den Parlamentarismus „verwöhnt“, neigte man dazu, die Stärke der SPD an ihrem Stimmenanteil im Reichstag zu messen. Hier unterschieden sich die Bolschewiki und der linke Flügel in Deutschland grundsätzlich voneinander. Aufgrund ihrer Kampferfahrungen von 1905 und angesichts der Repressionen und den Bedingungen der Illegalität, die es ihnen nur gestattete, eine weitaus kleinere Anzahl von Abgeordneten in die Duma zu entsenden, sahen die Bolschewiki den Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten keineswegs im parlamentarisch-gewerkschaftlichen Kampf. Während die SPD eine vom Opportunismus zerfressene Massenpartei geworden war, waren die Bolschewiki eine relativ kleine, schlagkräftige Partei geblieben, die dem Opportunismus trotz der Krisen, die auch sie durchlitten hatte, besser widerstand. Es ist kein Zufall, dass der marxistische Flügel in der SPD, mit Rosa Luxemburg und Leo Jogiches an der Spitze, aus der polnisch-litauischen SDKPL hervorgegangen war, d.h. aus einem Teil der revolutionären Bewegung, der seine Erfahrungen in den Kämpfen von 1905 gesammelt hatte und nicht im parlamentarischen Sumpf abgeglitten war.
Der Parteiaufbau kann nur international erfolgen
Schließlich brachte der Kongress noch eine weitere Schwäche der revolutionären Bewegung zum Ausdruck. Während die deutsche Bourgeoisie sofort Schützenhilfe von der Bourgeoisie auch jener Länder erhielt, die sie noch im Krieg bekämpft hatte, während das Kapital in seinem Kampf gegen die revolutionäre Arbeiterklasse also international vereinigt vorging (im Bürgerkrieg gegen die Arbeitermacht in Russland schlossen sich weiße Armeen aus 21 Ländern zusammen), hinkten die Revolutionäre bei ihrem organisatorischen Zusammenschluss noch weit hinterher. Zum einen ist dies auf Rudimente alter Auffassungen aus der Zeit der II. Internationale zurückzuführen. Die Parteien der II.Internationale waren föderalistisch aufgebaut. Es war die föderalistische Auffassung, wonach „jeder für sich“ in der Organisation wirken sollte, welche die Revolutionäre davon abgehalten hatte, die Organisationsfrage international und zentralistisch zu stellen. Der linke Flügel in den Parteien der II. Internationale hatte daher noch getrennt voneinander gekämpft.
„Diese Fraktionsarbeit Lenins fand nur innerhalb der russischen Partei statt, ohne zu versuchen, diese auf internationale Ebene auszudehnen. Man muss nur seine verschiedenen Interventionen auf den verschiedenen Kongressen lesen, um sich davon zu überzeugen, und man kann sehen, dass diese Arbeit außerhalb der russischen Kreise vollkommen unbekannt blieb.“ („Das Problem der Fraktion in der III.Internationalen“, Bilan, Nr. 24, 1935)
So war Radek der einzige ausländische Delegierte, der auf dem Gründungskongress der KPD anwesend. Dabei hatte er nur mit viel Glück und Geschick durch die Maschen der Grenzkontrollen schlüpfen können, die die SPD-geführte Regierung errichtet hatte. Wieviel anders hätte der Kongress ausgesehen, wenn nicht nur Radek, sondern auch prominentere Führer der revolutionären Bewegung wie Lenin oder Trotzki, und andere bekannte Führer wie Bordiga aus Italien oder Pannekoek und Gorter aus Holland beteiligt gewesen wären.
Wir können heute die Lehre daraus ziehen, dass es keinen Parteiaufbau in einem Land geben kann, wenn nicht gleichzeitig die Revolutionäre international und zentralisiert die gleiche Aufgabe angehen.
Die Parallele zur Revolution insgesamt ist offensichtlich: Auch der Kommunismus kann nicht isoliert in einem Land durchgesetzt werden. Die Konsequenzen für heute liegen auf der Hand: Der Aufbau einer kommunistischen Partei kann nur international erfolgen.
Mit der KPD war dagegen eine Partei entstanden, die in ihrer Zusammensetzung sehr heterogen und programmatisch gespalten war, in der der marxistische Flügel in der Minderheit und das Misstrauen gegen die Organisation im allgemeinen und gegen die Zentralisierung im besonderen unter vielen Delegierten bereits verbreitet war und die noch nicht genügend Ausstrahlung und Einfluss besaß, um der Bewegung ihren Stempel aufzudrücken.
Die Erfahrung der KPD lehrt, dass die Partei auf ein festes organisatorisches Gerüst aufgebaut werden muss. Die Ausarbeitung organisatorischer Prinzipien, das Einhauchen einer Parteiseele kann nicht per Proklamation, auf Anordnung erfolgen, sondern ist das Ergebnis einer langjährigen Ausübung und Praktizierung dieser Prinzipien. Der Aufbau einer Organisation braucht lange Zeit und viel Ausdauer. Es liegt auf der Hand, dass die Revolutionäre von heute die Lehren aus den Schwächen der deutschen Revolutionäre ziehen müssen.
Dv.
[1] Von März bis November 1918 verzeichnete Deutschland ca. 200.000 Tote, 860.000 Verwundete und 450.000 Vermisste und Gefangene allein an der Westfront.
[2] Nach der Verhaftung von Liebknecht im Sommer 1916 fand am 4. Juni 1916 eine Besprechung des linken sozialdemokratischen Flügels statt. Um die durch die Repression abgerissene Verbindung zwischen den revolutionären Gruppen wiederherzustellen, wurde ein fünfköpfiger Aktionsausschuss (dem u.a. Duncker, Meyer und Mehring angehörten) gebildet. Otto Rühle wurde zum Vorsitzenden bestimmt. Wie stark die Spartakisten durch die Repression in Bedrängnis geraten waren, wird dadurch ersichtlich, dass einem der Zentralisierung und der marxistischen Organisationsauffassung ablehnend gegenüberstehenden Genosse wie Otto Rühle der Vorsitz anvertraut wurde.
[3] Borchardt hatte schon 1917 verkündet: „Worauf es uns ankommt, ist die Beseitigung jeglichen Führertums in der Arbeiterbewegung. Was wir brauchen, um zum Sozialismus zu gelangen, ist reine Demokratie unter den Genossen, d.h. Gleichberechtigung und Selbständigkeit, Wille und Kraft zur eigenen Tat bei jedem Einzelnen. Nicht Führer dürfen wir haben, sondern nur ausführende Organe, die, anstatt ihren Willen den Genossen aufzuzwingen, umgekehrt nur als deren Beauftragte handeln.“ ((Arbeiterpolitik, 1917, Nr. 10)