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Jeden Tag wird die Barbarei deutlicher, in der der Kapitalismus versinkt
‘Mehr als je zuvor stellt der Kampf des Proletariats die einzige Hoffnung für die Zukunft der Menschheit dar. Diese Kämpfe, die Ende der 60er Jahre mit großer Wucht ausgebrochen waren und die schrecklichste Konterrevolution, unter der die Arbeiterklasse zu leiden gehabt hatte, beendeten, sind in einen umfangreichen Rückfluß nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime, den damit verbundenen ideologischen Kampagnen und Ereignissen (Golfkrieg, Balkankrieg usw.) eingetreten. Der massive Rückfluß war auf zwei Ebenen deutlich zu spüren: auf der Ebene der Kampfbereitschaft und des Klassenbewußtseins, ohne daß dies jedoch gleichzeitig - wie die IKS schon damals hervorhob - den historischen Kurs hin zu Klassenzusammenstößen umgeschmissen hat. Die in den letzten Jahren vom Proletariat geführten Kämpfe haben dies bestätigt. Sie haben insbesondere seit 1992 die Fähigkeit des Proletariats unter Beweis gestellt, den Weg des Klassenkampfes wieder einzuschlagen, womit bestätigt wurde, daß der historische Kurs nicht umgekehrt wurde. Diese Kämpfe haben jedoch auch die großen Schwierigkeiten der Klasse aufgrund der Tiefe und des Ausmaßes des Rückflusses aufgezeigt. Die Arbeiterkämpfe entwickeln sich mit Fort- und Rückschritten in einer auf- und ab Bewegung’. (Resolution zur Internationalen Situation,11. Kongreß der IKS, Frühjahr 1995, Internationale Revue Nr. 16, S. 8).
Die Streiks und Demonstrationen der Arbeiter, die Ende 1995 Frankreich erschütterten, haben dies erneut verdeutlicht: die Fähigkeit des Proletariats, den Weg des Klassenkampfes weiter einzuschlagen, aber auch die gewaltigen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse auf diesem Weg sind deutlich geworden. In der letzten Ausgabe der International Review Nr. 84 (engl./franz./ span. Quartalsausgabe) haben wir schon eine erste Einschätzung der Bewegung geliefert:
‘ Tatsächlich ist die Arbeiterklasse in Frankreich zur Zielscheibe eines großen Manövers geworden, wo das Bewußtsein und die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse angeschlagen werden sollen. Dieses Manöver richtet sich auch gegen die Arbeiterklasse der anderen Ländern, damit sie die falschen Lehren aus den Ereignissen in Frankreich ziehen...
Diesen Angriffen des Kapitals gegenüber dürfen die Arbeiter nicht passiv bleiben. Sie müssen sich im Kampf wehren. Aber um zu verhindern, daß die Arbeiterklasse den Kampf mit ihren eigenen Waffen aufnimmt, hat die Bourgeoisie die Initiative ergriffen und die Arbeiter dazu gedrängt, vorzeitig und verfrüht in den Kampf zu treten, wobei die Gewerkschaften eine vollständige Kontrolle über die Kämpfe ausüben. Die Bourgeoisie hat den Arbeitern nicht die Zeit gelassen, sich gemäß ihres eigenen Rhythmus und mit ihren eigenen Mitteln zu organisieren...
Die in Streikbewegung in Frankreich zeigt zwar eine tiefgreifende Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse auf, sie ist aber vor allem das Ergebnis eines großen Manövers der Bourgeoisie, das darauf abzielt, den Arbeitern eine massive Niederlage beizufügen und vor allem eine tiefgreifende Desorientierung zu bewirken’ (Internationale Revue Nr. 84, ‘Hinter den Gewerkschaften zu kämpfen führt in die Niederlage’).
Die Wichtigkeit der Ereignisse in Frankreich Ende 1995
Die Tatsache, daß die Streikbewegung Ende 1995 in Frankreich im wesentlichen das Ergebnis eines Manövers der Bourgeoisie ist, darf deren Bedeutung jedoch nicht schmälern und auch nicht zu der Schlußfolgerung verleiten, daß die Arbeiterklasse nur eine Schafherde wäre, die von der herrschenden Klasse umhergetrieben werden könnte. Insbesondere widerlegen diese Ereignisse all die Theorien vom ‘Verschwinden’ der Arbeiterklasse sowie anderer Varianten dieser Art, die vom ‘Ende der Arbeiterkämpfe’ sprechen (dies ist die ‘linke’ Version der Theorien) oder von der ‘Neuzusammensetzung’ der Arbeiterklasse, wodurch die Kampffähigkeit untergraben wäre (Internationale Revue Nr. 14 & 15).
Das wirkliche Potential der Arbeiterklasse in der jetzigen Zeit wird deutlich durch das Ausmaß der Streiks und Demonstrationen im Nov.-Dez. 1995: Hunderttausende Streikende, mehrere Millionen Demonstranten. Aber man darf es nicht bei dieser Feststellung belassen. Denn letztendlich gab es auch in den 30er Jahren Bewegungen mit einem zahlenmäßig großen Ausmaß wie die Streiks im Mai-Juni 1936 in Frankreich oder der Arbeiteraufstand in Spanien gegen den faschistischen Staatsstreich am 18. Juli 1936. Was die Bewegung heute grundsätzlich von den früheren unterscheidet, ist daß die Bewegung in den 30er Jahren ein Teil einer langen Reihe von Niederlagen der Arbeiterklasse nach der revolutionären Welle waren, die während des 1. Weltkriegs entstanden war. Diese Niederlagen hatten die Arbeiterklasse in die tiefste Konterrevolution ihrer Geschichte gestürzt. Auf diesem Hintergrund der physischen und vor allem politischen Niederlagen des Proletariats konnten die Ausdrucke an Kampfbereitschaft leicht von der herrschenden Klasse auf das Terrain des Antifaschismus abgeleitet werden, d.h. auf das Terrain der Vorbereitung des zweiten imperialistischen weltweiten Abschlachtens. Wir gehen hier nicht näher auf unsere Analyse des historischen Kurses ein, da wir in unserer Internationalen Revue Nr. 5 ausführlich unsere Auffassung dazu dargestellt haben, aber wir wollen hier klar unterstreichen, daß wir heute nicht in der gleichen Situation stecken wie in den 30er Jahren. Die gegenwärtigen Mobilisierungen der Arbeiterklasse sind keineswegs ein Augenblick der Vorbereitungen des imperialistischen Krieges, sondern können nur verstanden werden als ein Teil der Perspektive der entscheidenden Klassenzusammenstöße gegen den Kapitalismus, der keine Ausweg aus der Krise weiß.
Aber die herausragende Bedeutung der Bewegung in Frankreich ist nicht so sehr auf die Streiks und die Demos selber zurückzuführen, sondern auf das Ausmaß des Manövers der Bourgeoisie, das tatsächlich dahinter steckte.
Oft kann man das wirkliche Kräfteverhältnis zwischen den Klassen messen, wenn man untersucht, wie die Bourgeoisie gegenüber der Arbeiterklasse handelt. Die herrschende Klasse verfügt über eine Reihe von Mitteln zur Einschätzung dieses Kräfteverhältnisses: Meinungsumfragen, Polizeiuntersuchungen (in Frankreich z.B. hat der Verfassungsschutz, d.h. die politische Partei, zur Aufgabe, in den entsprechenden Bevölkerungsgruppen die Temperatur zu messen, insbesondere in den Reihen der Arbeiterklasse). Aber das wichtigste Instrument ist der Gewerkschaftsapparat, der noch viel wirksamer ist als die Soziologen der Meinungsforschungsinstitute oder die Polizisten. Seine Funktion besteht darin, für die Überwachung und Kontrolle der Ausgebeuteten im Dienste des Kapitals zu sorgen. Dabei verfügen sie über mehr als 80 Jahre Erfahrung, sind besonders wachsam gegenüber allen Regungen in der Klasse, spüren den Willen und Fähigkeit der Arbeiter zum kämpfen gegen die Bourgeoisie. Dieser Gewerkschaftsapparat hat zur Aufgabe, die Führer der Bourgeoisie und die Regierung über die Gefahrengrad des Klassenkampfes auf dem laufenden zu halten. Zu diesem Zweck dienen die regelmäßigen Treffen zwischen Gewerkschaftsführern und Firmenchefs und Regierung: sich abzustimmen, um gemeinsam die beste Strategie der Bourgeoisie für deren Angriffe gegen die Arbeiterklasse mit der höchsten Wirkung auszuarbeiten. Der Umfang und die Spitzfindigkeit der gegen die Arbeiterklasse organisierten Manöver alleine schon reichen aus, um aufzuzeigen, in welchem Maße der Klassenkampf, die Perspektive von gewaltigen Reaktionen der Arbeiter, heute die zentrale Sorge der Bourgeoisie darstellen.
Die Manöver der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse
In unserem Artikel zu den Streiks in der Internationalen Revue Nr. 84 (engl./franz./span. Quartalsausgabe) haben wir im Einzelnen die verschiedenen Aspekte der Manöver beschrieben und wie alle Teile der herrschenden Klasse daran mitgewirkt haben, von dem rechten bis zum extrem-linken Flügel. Wir wollen hier nur die Haupteigenschaften in Erinnerung rufen:
- seit dem Sommer 1995 eine ganze Lawine von Angriffen aller Art (von brutalen Steuererhöhungen bis zu einer Teilabschaffung der Pensionierungsregelungen im öffentlichen Dienst, Blockierung der Löhne im öffentlichen Dienst, alles das gekrönt durch einen ‘Reformplan’ der Sozialversicherung, der ‘Juppé-Plan’ sollte die Sozialversicherungsbeiträge erhöhen und die Erstattungen im Krankheitsfall reduzieren,
- eine wahre Provokation gegen die Eisenbahner durch einen zwischen dem Staat und den Eisenbahnen SNCF ausgeheckten Plan, wodurch das Pensionsalter um 7 Jahre gestreckt und Tausende von Arbeitsplätze gestrichen werden sollten;
- die Eisenbahner sollten als ‘Beispiel’ eingesetzt werden, dem die anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes folgen sollten: im Gegensatz zu ihrer üblichen Praxis der Isolierung der Kämpfe, treten die Gewerkschaften emsig für deren Ausdehnung ein und schaffen es, zahlreiche Arbeiter zum Eintritt in den Streik zu bewegen, insbesondere im Verkehrswesen, bei der Post, im Bereich Strom und Gas, in den Schulen und bei den Finanzämtern,
- permanente Berichterstattung über die Streiks in den Medien; sie werden als positiv dargestellt; es werden sog. Intellektuelle gezeigt, die Erklärungen zugunsten dieses ‘Erwachens der Gesellschaft gegen das Einheitsdenken’ abgeben,
- der extrem-linke Flügel des Kapitals leistet einen wichtigen Beitrag zum Manöver, sie unterstützen die Haltung der Gewerkschaften, denen sie nur vorwerfen, nicht früher so gehandelt zu haben;
- eine unnachgiebige Haltung in einer ersten Phase seitens der Regierung, die mit Hochmut die Aufrufe der Gewerkschaften zu Verhandlungen ablehnt; die Arroganz und der Dünkel des Premierministers Juppé, ein unsympathischer und unpopulärer Mensch, liefert Nahrung für die ‘kämpferischen’ und radikalen Reden der Gewerkschaften,
- dann nach drei Wochen Streik Nachgeben der Gewerkschaften bei den Eisenbahnen und Fallenlassen der Pensionierungspläne bei den Beamten; die Gewerkschaften reden von Sieg und dem ‘Rückzug’ der Regierung; trotz des Widerstands einiger ‘Hartnäckiger’ nehmen die Eisenbahner wieder die Arbeit auf, und läuten das Ende der Streiks in den anderen Bereichen ein.
Insgesamt hat die Bourgeoisie einen Sieg errungen, da sie die wesentlichen Angriffe durchgesetzt hat, die gegen alle Arbeiter gerichtet sind, wie Steuererhöhung und Reform der Sozialversicherung wie auch Lohnstop der staatlichen Beschäftigten. Aber der größte Sieg der Bourgeoisie ist ein politischer: die Arbeiter, die drei Wochen lang gestreikt haben, sind nicht bereit, erneut in solch eine Streikbewegung zu treten, wenn es neue Angriffe hageln wird. Darüber hinaus haben diese Streiks und Demonstrationen vor allem dazu gedient, daß die Gewerkschaften ihr Image wesentlich verbessern. Während den Gewerkschaften in Frankreich früher der Ruf anhaftete, für die Zerstreuung der Streiks verantwortlich zu sein, nutzlose Aktionstage durchzuführen und Spaltung zu betreiben, sind sie (hauptsächlich die beiden großen Gewerkschaften CGT, die von Stalinisten angeführt wird, und FO, die von Anhängern der Sozialistischen Partei kontrolliert wird) während der ganzen Bewegung aufgetreten als diejenigen, ohne die die ganze Bewegung nie zustande gekommen wäre, ohne die es keine massive Demonstration gegeben hätte und ohne die die Regierung ‘nie nachgegeben’ hätte. Wie wir in unserer vorherigen Ausgabe der International Revue Nr. 84 schrieben. ‘Diese Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften war für die Bourgeoisie ein grundlegendes Ziel, eine unabdingbare Vorbedingung für die Durchführung der zukünftigen Angriffe, die noch brutaler als die heutigen sein werden. Nur wenn die Gewerkschaften über eine größere Glaubwürdigkeit als heute verfügen, kann die Bourgeoisie hoffen, daß die Abwehrkämpfe der Arbeiter, die gegen diese Angriffe entstehen werden, von den Gewerkschaften sabotiert werden’.
Die große Bedeutung, die die herrschende Klasse der Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften zuordnet, trat nach dem Ende der Bewegung deutlich zutage. Insbesondere in der Presse war große die Rede vom ‘Come back’ der Gewerkschaften. In einem der vertraulichen Mitteilungsblätter der Bourgeoisie, in denen einigermaßen ‘offen’ gesprochen wird, kann man dazu lesen: ‘Eines der klarsten Zeichen dieser Rückkehr der Gewerkschaften ist das Verschwinden der Koordinationen. Man hatte sie als ein Ausdruck der Tatsache verstanden, daß die Gewerkschaften die Arbeiter nicht mehr ausreichend vertreten. Daß diese Koordinationen diesmal nicht wieder in Erscheinung getreten sind, zeigt wie stark die Gewerkschaften sich bemüht haben, ‘in Kontakt mit den Arbeitern bleiben’ und eine Gewerkschaftsarbeit zu betreiben, die eine echten Einfluß in den Reihen der Arbeiter ermöglicht (Enteprise et Personnel, ‘Le conflit social de fin 1995 et ses conséquences probables’). Und dieses Mitteilungsblatt zitiert mit Freuden eine Erklärung des Chefs einer Privatfirma, der mit Erleichterung meinte: ‘Jetzt haben wir endlich wieder starke Gewerkschaften’.
Was das revolutionäre Milieu nicht versteht
Wenn man feststellt, daß die Bewegung Ende 1995 in Frankreich vor allem ein sorgfältig vorbereitetes Manöver war, das von allen Teilen der herrschenden Klasse geplant und umgesetzt wurde, heißt das nicht, daß man die Fähigkeiten der Arbeiterklasse, dem Kapital in großen Klassenkämpfen entgegenzutreten, verwirft; im Gegenteil. Gerade indem man erkennt, welche gewaltigen Mittel die herrschende Klasse zum Einsatz bringt, um vorbeugend gegenüber zukünftigen Kämpfen des Proletariats zu handeln, kann man ableiten, wie stark die herrschende Klasse wegen dieser Perspektive besorgt ist. Aber dazu ist es notwendig, die von der Bourgeoisie inszenierten Manöver zu erkennen. Während die Arbeitermassen es nicht geschafft haben, dieses Manöver zu durchschauen, denn es war sehr geschickt aufgezogen worden, sind aber auch diejenigen getäuscht worden, deren Hauptverantwortung es ist, all die Angriffe gegen die Ausgebeuteten, die die Ausbeuter im Schilde führen, zu entblößen: die kommunistischen Organisationen. So schrieben die Genossen von Battaglia Comunista (BC) in ihrer Dezember-Ausgabe ihrer Zeitung: ‘Die Gewerkschaften sind von der entschlossenen Reaktion der Arbeiter gegen die Regierungspläne auf dem falschen Fuß erwischt worden’.
Hier handelt es sich um keine überstürzte Einschätzung von BC, die auf unzureichende Informationen zurückzuführen wäre, denn in der Jan. Nummer ihrer Zeitung schreibt BC erneut:
‘ Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben sich spontan gegen den Juppé-Plan mobilisiert. Und wir erinnern daran, daß die ersten Demonstrationen der Arbeiter auf dem Boden der unmittelbaren Verteidigung der Klasseninteressen stattfanden, wobei die Gewerkschaften überrascht wurden. Damit wurde erneut bewiesen, wenn das Proletariat sich in Bewegung setzt, um sich gegen die Angriffe der Bourgeoisie zu verteidigen, tut es dies immer außerhalb und gegen den Widerstand der Gewerkschaften. Erst in einer zweiten Stufe sind die französischen Gewerkschaften, vor allem Force Ouvrière und die CGT auf den fahrenden Zug aufgesprungen und haben so versucht, ihre Glaubwürdigkeit in den Augen der Arbeiter wiederzuerlangen. Aber die scheinbar radikale Haltung von Force Ouvrière und anderer Gewerkschaften verdeckte die ‘kleinbürgerlichen Interessen’ der Gewerkschaftsbürokratie, die man nur begreifen kann, wenn man das französische Sozialversicherungssystem kennt (wo die Gewerkschaften, insbesondere Force Ouvrière zu den Mittelverwaltern gehören, was gerade vom Juppé-Plan infragestellt wird).
Dies ist ungefähr die gleiche These, die man bei der Schwesterorganisation von BC im IBPR findet, nämlich bei der CWO. In ihrer Zeitschrift ‘Revolutionary Perspectives’ Nr. 1, 3. Serie, schreiben die Genossen: ‘Die Gewerkschaften, insbesondere FO, die CGT und die CFDT[i] stellten sich diesen Änderungen entgegen. Das hätte einen Schlag gegen die Privilegien der Gewerkschaftsführer bedeutet. Aber alle haben zu irgendeinem Zeitpunkt entweder wohlwollend auf den Dialog mit der Regierung reagiert oder die Notwendigkeit neuer Steuern akzeptiert. Erst als die Wut der Arbeiter gegen die Ankündigung einer neuen Steuer deutlich wurde, haben die Gewerkschaften angefangen, sich mehr bedroht zu fühlen durch die Arbeiter als durch den Verlust der Kontrolle bei Finanzfragen.’
Bei der Analyse der beiden Gruppen des IBPR betont man vor allem, daß die Gewerkschaften die ‘kleinbürgerlichen Interessen’ und Privilegien zu verteidigen suchten, indem sie zur Mobilisierung gegen den Juppé-Plan und zum Schutz der Sozialversicherung aufriefen. Auch wenn die Gewerkschaftsführer sehr empfindlich sind bei ihren Privilegien, führt diese Einschätzung ihrer Haltung dazu, die Wirklichkeit verzerrt darzustellen. Das ist so, wenn man die altbekannten Streitigkeiten zwischen den Gewerkschaftszentralen nur als ein Ausdruck ihrer gegenseitigen Konkurrenz auffaßt und die eigentliche Erklärung verkennt: diese Streitigkeiten sind ein klassisches Spaltungsmittel der Arbeiterklasse. Die ‘kleinbürgerlichen Interessen’ der Gewerkschaften können nur auf dem Hintergrund der eigentlichen Rolle der Gewerkschaften in der Gesellschaft verstanden werden: sie sind die Feuerwehr zum Schutz der kapitalistischen Gesellschaft; die Polizei des bürgerlichen Staates, die in den Reihen der Arbeiter handelt. Und wenn sie auf ihre ‘kleinbürgerlichen Interessen’ verzichten müssen, um diese Rolle zu erfüllen, dann zögern sie nicht das zu tun, denn sie wissen genau, was ihre Verantwortung bei der Verteidigung der Interessen des Kapitals gegen die Arbeiterklasse ist. Als sie Ende 1995 die Bewegung einfädelten, wußten die Gewerkschaften genau, daß diese Manöver es Juppé ermöglichen würden, seinen Plan durchzusetzen, der ihnen gewisse finanzielle Vorrechte wegnehmen würde; aber sie waren bereit gewesen, auf diese Vorrechte zu verzichten im Namen der übergeordneten Interessen der kapitalistischen Gesellschaft. Für die Gewerkschaften ist es günstiger den Glauben zu verbreiten, sie würden nur auf die Erfüllung ihrer eigenen Interessen aus sein (sie können sich immer hinter dem Argument verstecken, daß ihre eigene Kraft die der Arbeiterklasse stärkt), anstatt sich als das zu entblößen, was sie wirklich sind: ein zentrales Räderwerk der bürgerlichen Ordnung.
Während unsere Genossen des IBPR keine Zweifel lassen an dem kapitalistischen Wesen der Gewerkschaften, unterschätzen sie gewaltig das Ausmaß der Solidarität, das es zwischen herrschender Klasse und Gewerkschaften gibt, und insbesondere ihre Fähigkeit, mit der Regierung und den Unternehmern Manöver zu inszenieren, die die Arbeiter in Fallen locken sollen.
Sowohl die CWO als auch BC (zwar mit Nuancen)[ii] vertritt die Meinung, daß die Gewerkschaften überrascht waren, gar die Kontrolle verloren hatten infolge der Eigeninitiative der Arbeiter. Aber nichts ist falscher als das. Wenn es ein Beispiel dafür gibt, daß die Gewerkschaften während der letzten 10 Jahre eine gesellschaftliche Bewegung vollständig vorhergesehen und kontrolliert haben, dann die vom Ende des Jahres 1995. Sie haben diese Bewegung gar systematisch angezettelt, mit der Komplizenschaft der Regierung, wie oben dargestellt. Und der beste Beweis, daß die Bourgeoisie und die Gewerkschaften die Kontrolle nicht verloren hatten und keineswegs überrascht waren, ist die Aufmerksamkeit der Medien, die die Bourgeoisie in den anderen Ländern sofort entfaltet hat. Seit langem schon und insbesondere seit den großen Streiks in Belgien im Herbst 1983, als die Arbeiterklasse die Demoralisierung und Desorientierung nach der Niederlage der Arbeiter in Polen 1981 überwunden hatte, hat es sich die Bourgeoisie zur Pflicht gemacht, auf internationaler Ebene ein vollständiges Black-out der Arbeiterkämpfe zu organisieren. Wenn die Kämpfe einem geplanten Manöver der Bourgeoisie entsprechen, wie in Deutschland im Frühjahr 1992, tritt an die Stelle des Black-out eine wahre Flut von Informationen. Damals schon verfolgten die Streiks im öffentlichen Dienst, insbesondere im Transportwesen, das Ziel, ‘die Gewerkschaften, welche alle diese Aktionen systematisch organisiert hatten, die Arbeiter aber in der größten Passivität hielten, als die wirklichen Verteidiger gegen das Kapital’ darzustellen (International Review, Nr. 70, Gegenüber dem Chaos und den Massakern kann nur die Arbeiterklasse eine Antwort liefern). Mit der Bewegung in Frankreich Ende 1995 legt die Bourgeoisie eine Art ‘Neuauflage’ dessen auf, was die Bourgeoisie dreieinhalb Jahre zuvor schon in Deutschland inszeniert hatte. Die intensive Bombardierung in den Medien (selbst in Japan wurde täglich über die Streiks berichtet, jeden Tag flimmerten die Streiks und Demos über den Bildschirm) zeigt nicht nur, daß die Bourgeoisie und ihre Gewerkschaften die Bewegung von Anfang bis Ende vollständig kontrollierten; nicht nur war diese Bewegung von diesen vorhergesehen und geplant gewesen, sondern auch auf internationaler Ebene hatte die Bourgeoisie dieses Manöver inszeniert, um das Bewußtsein der Arbeiter in den am meisten fortgeschrittenen Ländern zu trüben.
Den besten Beweis liefert die Art und Weise, wie die belgische Bourgeoisie nach den Bewegungen in Frankreich manövriert hat:
- während die Medien anläßlich der Ereignisse in Frankreich von einem ‘neuen Mai 68’ sprechen, initiierten die Gewerkschaften Ende Nov. 1995 genau wie in Frankreich Bewegungen gegen die Angriffe im öffentlichen Dienst und insbesondere gegen die Reform der Sozialversicherung;
- die Bourgeoisie organisierte eine echte Provokation, als sie Angriffe von einem bis dahin nie gekannten Ausmaß bei den Eisenbahnen (SNCB) und bei Sabena ankündigte; wie in Frankreich traten die Gewerkschaften sofort an die Spitze der Mobilisierung in diesen beiden Bereichen, die gleich als exemplarisch dargestellt werden; die belgischen Eisenbahner werden dazu aufgerufen, in die Fußstapfen ihrer französischen Kollegen zu treten;
- die Bourgeoisie täuscht einen Rückzug vor, was natürlich als ein Sieg der gewerkschaftlichen Mobilisierung dargestellt wird, und was den Erfolg einer großen Demonstration des ganzen öffentlichen Dienstes am 13. Dez. ermöglicht. Diese Demo wurde komplett von den Gewerkschaften kontrolliert. Auf der Demo war auch eine Delegation französischer Eisenbahner der CGT anwesend. Die Tageszeitung De Morgen schrieb am 14. Dez.: ‘Wie in Frankreich, oder fast so’.
- zwei Tage später neue Provokation seitens der Regierung und der Arbeitgeber bei den Eisenbahnen (SNCB) und bei Sabena, wo die Geschäftsleitung die Aufrechterhaltung der getroffenen Maßnahmen ankündigt: die Gewerkschaften rufen zu ‘harten’ Kämpfen auf (es gab Zusammenstöße mit der Polizei am Flughafen, der von Streikenden blockiert wurde) und sie versuchen das Manöver auf andere Teile des öffentlichen Dienstes auszudehnen sowie auf den Privatbereich, wo Gewerkschaftsdelegationen ihre ‘Solidarität mit den Beschäftigten von Sabena erklärten’ und behaupten, daß ‘ihr Kampf ein gesellschaftliches Labor für alle Arbeiter darstellt’;
- Anfang Januar schließlich täuschen die Arbeitgeber erneut vor, nachzugeben, als sie unter dem Druck der Bewegung den Beginn des ‘gesellschaftlichen Dialogs’ bei der SNCB wie bei Sabena ankündigen -, wie in Frankreich endete die Bewegung mit einem Sieg und einer Aufwertung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften.
Ehrlich, Genossen des IBPR, glaubt ihr tatsächlich, daß diese bemerkenswerten Parallelen zwischen den Ereignissen in Frankreich und in Belgien nur auf den Faktor Zufall zurückzuführen sind, daß die Bourgeoisie und ihre Gewerkschaften auf internationaler Ebene nichts ausgeheckt hatten?
Tatsächlich zeigen die Analyse der CWO und von BC eine dramatische Unterschätzung des kapitalistischen Klassenfeindes, seiner Fähigkeit, die Initiative zu ergreifen, wenn er sich dessen im klaren ist, daß die immer härteren Angriffen gegen die Arbeiterklasse notwendigerweise umfassende Reaktionen hervorrufen werden, in denen die Gewerkschaften ihr Gewicht in die Waagschale werfen müssen, um die bürgerliche Ordnung zu verteidigen. Die von diesen Organisationen eingenommene Position hinterläßt den Eindruck einer unglaublichen Naivität, einer gefährlichen Anfälligkeit gegenüber den von der Bourgeoisie aufgestellten Fallen.
Wir haben vorher schon mehrfach auf diese Naivität insbesondere bei BC hingewiesen. Als der Ostblock zusammenbrach, war diese Organisation in die Falle der bürgerlichen Kampagnen hinsichtlich der vielversprechenden Perspektiven gelaufen, die dieser Zusammenbruch für die Weltwirtschaft mit sich bringen würde[iii]. Ebenso war BC voll der Lüge von einem angeblich ‘Aufstand’ in Rumänien aufgesessen (tatsächlich gab es einen Staatsstreich, der die Ablösung Ceaucescus durch Funktionäre des alten Staatsapparates um Ion Ilescu ermöglichte). Damals schämte sich BC nicht davor zu schreiben: ‘Rumänien ist das ist erste Land unter den Industriestaaten, wo die Wirtschaftskrise einen echten und wirklichen Volksaufstand hervorgebracht hat, und dessen Ergebnis der Umsturz der an der Macht befindlichen Regierung war... In Rumänien waren alle objektiven und fast alle subjektiven Bedingungen für die Umwandlung des Aufstands in eine echte und wirkliche gesellschaftliche Revolution vorhanden’. Genossen von Battaglia Comunista, wenn man solchen Unfug schreibt, muß man daraus die Lehren ziehen. Insbesondere sollte man gegenüber den Reden der Bourgeoisie mißtrauischer sein. Wenn man sich in die Fallen locken läßt, die die Bourgeoisie aufstellt, wie kann man dann von sich behaupten, die Avantgarde der Arbeiterklasse zu sein?
Die Notwendigkeit eines Rahmens der historischen Analyse
In Wirklichkeit sind die von BC begangenen Fehler (genauso wie die der CWO, die 1981 die Arbeiter in Polen zur ‘Revolution jetzt’ aufrief) nicht einfach zurückzuführen auf psychologische oder intellektuelle Eigenschaften, auf die Naivität ihrer Mitglieder. In diesen Organisationen gibt es erfahrene Mitglieder mit ausreichender Intelligenz. Die wirkliche Ursache der wiederholten Fehler dieser Organisationen ist, daß sie sich systematisch geweigert haben, den einzigen Rahmen zu akzeptieren, innerhalb dessen man die Entwicklung des Arbeiterkampfes verstehen kann, nämlich den Rahmen des historischen Kurses hin zu Klassenzusammenstößen, die seit Ende der 60er Jahre nach dem Abschluß der Wiederaufbauperiode eingetreten sind. Wir haben wiederholt diesen schwerwiegenden Fehler von BC aufgezeigt, den die CWO mittlerweile auch begeht[iv]. BC stellt die Existenz eines historischen Kurses selber infrage: ‘
‘Wenn wir von einem historischen Kurs sprechen, meinen wir damit eine historische Periode, eine globale und vorherrschende Tendenz des Lebens in der Gesellschaft, die nur durch Hauptereignisse in Frage gestellt werden kann... Aus Battaglias Sicht wiederum, handelt es sich um eine Perspektive, die jederzeit in Frage gestellt werden kann. D.h. in beiden Richtungen, weil man nicht ausschließen kann, daß innerhalb eines Kurses zum Krieg ein ‘revolutionärer Bruch’ eintritt....
‘Hier gleicht die Auffassung von Battaglia ebenfalls einem Sammelsurium: jeder kann beim Begriff des historischen Kurses alles hineinstecken was er will. Es wird von der Möglichkeit der Revolution in einem Kurs hin zum Krieg gesprochen, wie vom Weltkrieg im Kurs hin zu verstärkten Klassenauseinandersetzungen. So kommt jeder auf seine Rechnung: 1981 rief die Communist Workers Organisation die Arbeiter in Polen zur Revolution auf, während man gleichzeitig behauptete, das Weltproletariat habe noch nicht die Konterrevolution überwunden. Schließlich verschwindet der Begriff des Kurses vollkommen. Und das ist genau der Punkt: wo Battaglia landet: jede Auffassung einer historischen Perspektive über Bord zu schmeißen’. (in Weltrevolution Nr.34).
Der Immediatismus hilft uns zu begreifen, warum 1987-88 die Gruppen des IBPR gegenüber den Arbeiterkämpfen zwischen einem totalen Skeptizismus und einem großen Enthusiasmus hin- und herschwanken: die Kämpfe in den Schulen, die 1987 in Italien stattfanden, wurden zunächst von BC auf die gleiche Ebene gestellt wie die der Piloten und der Beschäftigten im Justizwesen, um dann schließlich als ‘neue und interessante Phase des Klassenkampfes in Italien) dargestellt zu werden. Gleichzeitig schwankte die CWO gegenüber den Kämpfen in Großbritannien.[v]
Der gleiche Immediatismus ließ BC im Jan. 1996 behaupten, ‘der Streik der französischen Arbeiter stellt abgesehen von der opportunistischen Haltung (sic) der Gewerkschaften eine sehr wichtige Episode für die Wiederaufnahme des Klassenkampfes dar’. Was aus der Sicht von BC bei diesem Kampf vor allem fehlte, damit eine Niederlage vermieden würde, war eine proletarische Partei. Wenn die Partei, die in der Tat gegründet werden muß, damit das Proletariat die Revolution durchführen kann, sich auf die gleiche immediatistische Vorgehensweise stützen müßte, die BC noch nicht abgelegt hat, müßte man allerdings Angst um den Ausgang der Revolution haben.
Aber nur indem der Immediatismus resolut verworfen wird, ständig die gegenwärtigen Klassenkämpfe in ihren historischen Kontext eingegliedert werden, kann man sie begreifen und eine wirkliche Rolle der Avantgarde der Klasse übernehmen.
Dieser Rahmen ist natürlich der des historischen Kurses; aus Platzgründen können wir hier nicht weiter darauf eingehen. Dieser Rahmen ist ausschlaggebend für die Entwicklung der Ereignisse seit dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime Ende der 80er Jahre; zu Anfang des Artikels wurde er kurz angeschnitten. Seit Ende des Sommers 1989, d.h. zwei Monate bevor die Mauer in Berlin fiel, hat die IKS diesen neuen Rahmen weiter ausgearbeitet, der die Entwicklung des Klassenkampfes zu begreifen hilft:
‘Deshalb kann man mit einem vorübergehenden Rückgang des Bewußtseins der Arbeiterklasse rechnen... Obgleich der Kapitalismus verstärkt Angriffe gegen das Kapital richten und es damit zum Kampf zwingen wird, darf man in naher Zukunft nicht mit einer größeren Fähigkeit der Arbeiterklasse rechnen, ihr Bewußtsein voranzutreiben. Insbesondere die reformistische Ideologie wird noch sehr stark auf den Kämpfen in der nächsten Zeit lasten, wodurch die Aktionen der Gewerkschaften begünstigt werden’ (Internationale Revue Nr. 12, Thesen zur ökonomischen und politischen Krise in der SU und den osteuropäischen Ländern, Sept. 1989, S. 14, Pkt 22)
Später hat die IKS die neuen Elemente von großer Bedeutung, die danach eingetreten sind, in diesen Rahmen aufgenommen
Solch eine Kampagne (über den ‘Tod des Kommunismus’ und den ‘Triumph des Kapitalismus’) hat eine nicht zu vernachlässigende Wirkung auf die Arbeiter gehabt und deren Kampfbereitschaft und Bewußtsein beeinträchtigt. Während diese Kampfbereitschaft im Frühjahr 1990 wieder leicht anstieg, insbesondere nach den Angriffen infolge des Beginns einer offenen Rezession, wurde sie durch die Krise und den Golfkrieg wieder zurückgeworfen. Diese tragischen Ereignisse haben die Lüge von der ‘neuen Weltordnung’ widerlegt, welche die Bourgeoisie nach der Auflösung des Ostblocks angekündigt hatte, der als der Hauptverantwortliche für die militärischen Spannungen dargestellt wurde(...) Aber gleichzeitig hat die große Mehrheit der Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen Ländern nach neuen bürgerlichen Lügenkampagnen gegenüber diesem Krieg mit einem Gefühl der tiefgreifenden Hilflosigkeit reagiert, was wiederum zur Abschwächung der Kämpfe führte. Der Putsch in Moskau im Sommer 1991 und die dadurch ausgelöste Destabilisierung sowie der Krieg in Jugoslawien haben dieses Gefühl der Hilflosigkeit zusätzlich verstärkt. Das Auseinanderbrechen der UdSSR sowie die kriegerische Barbarei in Jugoslawien spiegeln den Grad des Zerfalls wieder, den die kapitalistische Gesellschaft heute erreicht hat. Aber mittels der durch die Medien großen Lügenkampagnen hat es die Bourgeoisie geschafft, die wirklichen Ursachen dieser Ereignisse zu verbergen, um all das erneut als ‘den Tod des Kommunismus’ darzustellen, oder es zu einer Frage ‘des Selbstbestimmungsrechts der Völker’ zu machen, d.h. alles Themen, gegenüber denen die Arbeiter keine andere Alternative haben als passive Beobachter zu bleiben und durch die ‘Weisheit’ der Regierungen beeindruckt zu sein’ (‘Nur die Arbeiterklasse kann die Menschheit aus der Barbarei führen, International Review Nr. 68).
Aufgrund der Tatsache, daß der Jugoslawienkrieg wegen seines Horrors, seiner Dauer und der Tatsache, daß er in geographischer Nähe der großen Proletarierkonzentrationen Westeuropas stattfand, liefert er wesentliche Elemente für eine Erklärung der Schwierigkeiten des Proletariats in der gegenwärtigen Phase. Dieser Krieg bündelt (obgleich auf einem niedrigeren Niveau) sowohl die durch den Zusammenbruch des Ostens angerichteten Schäden in sich, nämlich eine tiefgreifende Verwirrung und Illusionen unter den Arbeitern, als auch die Reaktionen auf den Golfkrieg, als ein weitreichendes Gefühl der Hilflosigkeit aufkam, ohne daß gleichzeitig wie beim Golfkrieg die Verbrechen und die Barbarei der ‘großen Demokratie’ bloßgestellt wurden. Der Jugoslawienkrieg verdeutlicht, wie der Zerfall des Kapitalismus, von dem er einer der spektakulärsten Ausdrücke ist, ein großes Hindernis für die Entwicklung der Klassenkämpfe und des Bewußtseins der Arbeiterklasse darstellt.
Weil die Gewerkschaften die klassische Waffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse sind, muß ein anderer Aspekt hervorgehoben werden, den wir schon im Sept. 1989 in unseren Thesen unterstrichen: Insbesondere die reformistische Ideologie wird noch sehr stark auf den Kämpfen in der nächsten Zeit lasten, wodurch die Aktionen der Gewerkschaften begünstigt werden’. Dies ging aus der Tatsache hervor, daß die Arbeiter nicht etwa noch Illusionen über ein ‘sozialistisches Paradies’ im Osten gehabt hätten, sondern weil die Existenz einer Gesellschaftsform, die als ‘nicht-kapitalistisch’ dargestellt wurde, die Schlußfolgerung zuzulassen schien, daß es etwas anderes als den Kapitalismus geben könnte. Das Ende dieser Regime wurde als das ‘Ende der Geschichte’ dargestellt (dieser Begriff wurde von den ‘Denkern’ der Bourgeoisie gewählt). Da das Haupttätigkeitsfeld der Gewerkschaften und der gewerkschaftlichen Aktivität die Anpassung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse innerhalb des Kapitalismus ist, konnten die Ereignisse von 1989, die zudem noch verstärkt wurden durch all die Angriffe gegen die Arbeiter seitdem, nur dazu führen, daß die Gewerkschaften seitdem wieder stärker in Szene getreten sind. Diese ‘Rückkehr’ und Stärkung der Gewerkschaften wurde von der Bourgeoisie während der Kämpfe Ende 1995 gefeiert.
Die Aufpolierung der Gewerkschaften fand aber nicht sofort statt. Während der 80er Jahre hatten die Gewerkschaften soviel an Glaubwürdigkeit verloren, nachdem sie ständig die Arbeiterkämpfe sabotiert hatten, daß es schwierig war, so schnell wieder als ‘unnachgiebiger Verteidiger’ der Arbeiterklasse aufzutreten. Mehrere Etappen wurden bei diesem Aufpolieren durchlaufen, während derer sie sich immer mehr als das unabdingbare Instrument der Arbeiterkämpfe aufgespielt haben. Die Lage in Deutschland liefert ein gutes Beispiel dafür, denn nach den großen Manövern der Gewerkschaften im Frühjahr 1992 im öffentlichen Dienst, gab es noch im Herbst 1993 im Ruhrgebiet Raum für spontane Kämpfe außerhalb der gewerkschaftlichen Order, bevor Anfang 1995 im Metallbereich die Streiks den Gewerkschaften verhalfen, ihr Ansehen aufzupolieren. Aber am aufschlußreichsten ist die Entwicklung in Italien. Im Herbst 1992 gerieten die Gewerkschaftszentralen in die Schußlinie der Wut der Arbeiter, die sich explosiv gegen den Amato-Plan entladen hatte. Ein Jahr später war das Land aber von ‘Koordinationen der Fabrikräte’, d.h. Strukturen der Basisgewerkschafter durchzogen, die hinter den großen ‘Mobilisierungen’ und den Demonstrationen der Arbeiterklasse streckten. Schließlich war die Riesendemonstration vom Frühjahr 1994 von Rom, die zahlenmäßig die größte seit dem 2. Weltkrieg war, ein Meisterwerk gewerkschaftlicher Kontrolle.
Dieses Wiedererstarken der Gewerkschaften wurde erleichtert und ermöglicht durch das Fortbestehen der gewerkschaftlichen Ideologie, deren Hauptstützpfeiler die ‘Basisgewerkschaften’ oder die ‘kämpferischen’ Gewerkschaften sind. Diese Kräfte waren es, die z.B. in Italien die offiziellen Gewerkschaften ‘infragegestellt’ haben (zu den Demonstrationen schleppten sie Tomaten und Wurfgeschosse mit an, die auf die Gewerkschaftsführer geschmissen werden sollten), bevor sie es 1994 ermöglichten, daß die Gewerkschaften wieder dank der ‘Mobilisierungen von 1993 verstärkt auftrumpfen konnten. In den zukünftigen Kämpfen müssen wir davon ausgehen, nachdem die offiziellen Gewerkschaften aufgrund ihrer unabdingbaren Sabotagearbeit erneut ihre Glaubwürdigkeit verloren haben werden, wird die Arbeiterklasse noch gegen die gewerkschaftliche Ideologie ankämpfen müssen, die am vehementesten von den Basisgewerkschaftern verteidigt werden wird, die so ausgezeichnet zugunsten ihrer großen Brüder während der letzten Jahre gearbeitet haben.
Die Arbeiterklasse hat also noch ein langes Stück Weg vor sich. Aber die auftauchenden Schwierigkeiten dürfen uns nicht demoralisieren, insbesondere die am meisten fortgeschrittenen Elemente nicht. Die Bourgeoisie ihrerseits weiß genau, welches Potential noch in der Arbeiterklasse steckt. Aus diesem Grunde organisiert sie Manöver wie die Ende 1995. Auf einem Treffen in Davos in diesem Winter, auf dem traditionell die ca. 2.000 wichtigsten ‘Entscheidungsträger’ aus dem Bereich Wirtschaft und Politik zusammenkommen (an diesem Treffen nahm auch Blondel, der Führer der französischen Gewerkschaft Force Ouvrière teil) betrachteten sie deshalb die Entwicklung der sozialen Lage mit Sorge. So waren neben anderen Reden folgende Aussagen zu hören: ‘Wir müssen unter den Beschäftigten Vertrauen schaffen und eine Zusammenarbeit herbeiführen zwischen den Unternehmen, damit die Kommunen, die Städte und die Regionen von der internationalen Verflechtung der Weltwirtschaft profitieren. Denn sonst wird es erneut zu gesellschaftlichen Bewegungen und Protesten kommen, wie sie es seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr gegeben hat[vi]).
Wie die Revolutionäre immer aufgezeigt haben und die Bourgeoisie selber bestätigt, ist die Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft der beste Verbündete des Proletariats. Die Krise wird die Arbeiterklasse zwingen, die Augen zu öffnen und die Sackgasse des Kapitalismus aufzeigen und den Willen entstehen lassen, den Kapitalismus zu zerstören, auch wenn alle Teile der herrschenden Klasse eine Vielzahl von Hindernissen für die Arbeiterklasse auf diesem Weg errichten. F. 12.03.96
[i] Dies ist falsch, denn die CFDT, eine sozialdemokratische Gewerkschaft mit christlichem Ursprung, stimmte dem Plan Juppés zu.
[ii] Die CWO schreibt weniger optimistisch als BC: ‘Die Bourgeoisie hat soviel Vertrauen darin, daß sie die Wut der Arbeiter kontrollieren kann, daß die Pariser Börse eine Hausse hat’. Man kann hinzufügen, daß während der ganzen Bewegung der französische Franc seinen Wert halten konnte. Das sind zwei Beweise, daß die Bourgeoisie mit dem Verlauf dieser Bewegung sehr zufrieden war. Aus gutem Grund.
[iii]Siehe unseren Artikel in der International Review Nr. 61 ‘Der Wind aus dem Osten und die Reaktion der Revolutionäre’
[iv]Siehe unsere Artikel ‘Antwort an Battaglia Comunista zum historischen Kurs’ und ‘Die Verwirrungen der kommunistischen Gruppen hinsichtlich der gegenwärtigen Lage: Die Unterschätzung des Klassenkampfes’, in International Review Nr. 50 & 54,
[v] ‘Herauskristallisierungen im proletarischen politischen Milieu und Schwankungen des IBRP’, in International Review Nr. 55,
[vi] Rosabeth Moss Kanter, ehemaliger Direktor von Harvard Business Review, in Le Monde Diplomatique, März 1996.