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Gegenüber den Streikbewegungen, die Guadeloupe, Martinique und in einem geringerem Maß La Réunion erschütterten, hat der französische Staat schließlich nachgegeben und fast alle Arbeiterforderungen erfüllt.
In Guadeloupe sieht das „Jacques Bino“ Abkommen (so hieß der während der Februaraufstände ermordete Gewerkschaftsaktivist), das Ende Februar, Anfang März unterzeichnet wurde, eine Lohnerhöhung von 200 Euro für die Niedriglöhner (weniger als 1.4 mal der Niedriglohn) vor sowie Zugeständnisse gegenüber den 146 Forderungen der LKP (1) hinsichtlich der Kaufkraft (Brotpreise, Einstellung von Lehrern…). Auf Martinique wurde ein ähnlicher Abschluss am 10. März getätigt; auch dort wurden Lohnerhöhungen für die Niedriglöhner zugestanden sowie die 62 Forderungen des „Kollektivs des 5. Februars“ erfüllt (2). Auf La Réunion ist die Situation unklarer. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels ist die vom Staat vorgeschlagene Lohnerhöhung (150 Euro für die Niedriglöhner und wenig Konkretes zu den 62 Forderungen der Bewegung) bislang noch nicht von COSPAR (3) unterzeichnet worden. Die Verhandlungen laufen noch. Egal wie sie ausgehen, lassen sie dennoch ein gewisses Zurückweichen der französischen Bourgeoisie erkennen.
Warum hat die Bourgeoisie nachgegeben? Wovor hat sie Angst? Wie ist es den Arbeitern dieser Inseln gelungen, diese Forderungen durchzusetzen? Wenn wir darauf eine Antwort haben, können wir die zukünftigen Kämpfe besser vorbereiten.
Die Stärke der Bewegung auf den Antillen
Es ist offensichtlich, dass die herausragende Stärke dieser Bewegung auf den Antillen das Ausmaß der Kampfbereitschaft war. 44 Tage lang auf Guadeloupe, 38 Tage lang auf Martinique waren die Arbeiter massiv mobilisiert und es gelang ihnen, die gesamte Wirtschaft lahmzulegen. Firmen, Häfen, der Handel… alle waren blockiert. (4)
Dieser lange und intensive Kampf war möglich, nicht nur weil er von einer großen Wut über die wachsende Verarmung getragen wurde, sondern auch weil er ein tiefgreifendes Gefühl der Solidarität entwickelt hatte. Auf der ersten Demonstration am 20. Januar kamen auf Guadeloupe 15.000 Teilnehmer zusammen. Drei Wochen später überstieg die Teilnehmerzahl 100.000 (d.h. fast ein Viertel der Bevölkerung). Dahinter steckte die unaufhörliche Suche nach Solidarität der Arbeiter. Die Streikenden hatten alles unternommen, um ihren Kampf so schnell wie möglich auszudehnen. Vom 29. Januar an gab es ständig Arbeitsniederlegungen in Pointe-à-Pitre und seinen Vororten. Gruppen von Streikenden zogen von Straße zu Straße, von Firma zu Firma, um eine größtmögliche Zahl von Arbeitern und anderen Bevölkerungsteilen mit in den Kampf zu ziehen.
Das zweite herausragende Merkmal der Stärke bestand darin, dass die Arbeiter den Kampf selbst in die Hand genommen haben. Es stimmt, dass die LKP eine wichtige Rolle gespielt hat. Sie hat die Forderungen aufgestellt und die Verhandlungen geführt. In den Medien wurde dies alles zwar so dargestellt, als ob die Arbeiterklasse der LKP blind gehorchte und diese nur der charismatischen Führerin Elie Domata hinterherlief. Aber das stimmt überhaupt nicht. Es waren die Arbeiter und nicht die Gewerkschaftsführer, die den Kampf geführt haben! Die LKP wurde nur gebildet, um diese Unzufriedenheit besser im Griff zu haben, sie zu kanalisieren und zu verhindern, dass die Arbeiter den Kampf nicht zu sehr in die eigenen Hände nehmen. So bestand einer der wichtigsten Momente der Bewegung auf Guadeloupe darin, dass die Verhandlungen zwischen der LKP und dem Staat in den Medien, im Radio und im Fernsehen direkt und öffentlich übertragen wurden. In der von der LKP (5) erstellten Chronologie der Ereignisse kann man lesen: „Samstag, 24. Januar, großer Massenauflauf in den Straßen von Pointe-à-Pitre – 25.000 Teilnehmer. Aufruf zu Verhandlungen zwischen allen Teilen um 16.30 h im World Trade Center […] Offene Diskussion über die Methode. Außergewöhnliche Anwesenheit von Canal 10 [Fernsehsender], die leicht zeitversetzt direkt übertragen werden.“ Am nächsten Tag ein neuer Massenauflauf mit 40.000 Teilnehmern. Die Übertragung der Verhandlungen hat die Massen angefeuert, denn sie bewies, dass es ihr Kampf war und dass er nicht in den Händen einiger weniger „Gewerkschaftsexperten“ lag, die hinter verschlossenen Türen mit den staatlichen Instanzen verhandeln. Die öffentliche Direktübertragung der Verhandlungen (auf Canal 10, RFO oder Radyo Tambou) wurde systematisch in der ganzen nächsten Woche bis zum 5. Februar fortgesetzt. An diesem Tag verstand der Staatssekretär Yves Jégo, nachdem er mit eigenen Augen gesehen hatte wie der Kampf ablief, vor allen anderen die Gefahren für seine Klasse und verlangte deshalb die sofortige Einstellung der Direktübertragung. Die LKP protestierte nur sehr verhalten, denn dieses „Kollektiv“ fühlt sich aufgrund seines gewerkschaftlichen Wesens viel wohler bei Verhandlungen hinter verschlossenen Türen zwischen „Experten“ (was beweist, dass die LKP die Live-Übertragung in der Anfangsphase nur aufgrund des Drucks der Arbeiter akzeptiert hatte).
Diese Bewegung besaß also eine große innere Kraft, aber das reicht nicht aus um zu erklären, warum der französische Staat so weit zurückgewichen ist und eine Lohnerhöhung von 200 Euro für die Niedriglöhner zugestanden hat. Darüber hinaus haben die Bürgerlichen auch auf La Réunion nachgegeben, obwohl die Bewegung dort viel schwächer war. Dort war es nämlich den Gewerkschaften dank dem Kollektiv COSPAR gelungen, die Bewegung teilweise zu sabotieren, als sie am 5. März, dem Tag des Generalstreiks in Guadeloupe, zu Kundgebungen aufriefen und betonten, dass sie dem Modell der „Bewegung auf den Antillen“ nicht folgten (Le Point, 4. März 2009). Damit hatte das Kollektiv für die Isolierung dieses Streiks gesorgt. In der Tat wären die Kundgebungen am 5. Und 10. März ohne die Schubkraft des Kampfes auf Guadeloupe mehr oder weniger gescheitert, denn die Mobilisierung fiel viel geringer aus als erwartet (jeweils 20.000 und 10.000 Teilnehmer). Und dennoch auch dort gab der französische Staat nach. Warum?
Die Wut und Kampfbereitschaft der Arbeiter entwickeln sich in allen Ländern
Die Mobilisierung auf den Antillen und La Réunion ist ein Teil des internationalen Wiedererstarkens des Klassenkampfes. In Großbritannien zum Beispiel kam es Ende Januar in der Raffinerie der Gruppe Total in Lindsey zu spontanen Streiks. Nach einem erfolglosen Versuch der Spaltung der Arbeiter zwischen ‚englischen‘ und ‚ausländischen‘ Beschäftigten und in Anbetracht der gegenteiligen Wirkung, nämlich der Einheit der Streikenden (auf den Kundgebungen tauchten Slogans auf wie „Kraftwerk von Langage – Die polnischen Arbeiter haben sich dem Streik angeschlossen: Solidarität“, „Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch!“), war die britische Bourgeoisie auch zum Nachgeben gezwungen. Sie musste auch vorgesehene Stellenstreichungen fallenlassen und gar die Schaffung von 102 neuen Stellen ankündigen (6).
Auf internationaler Ebene hat die herrschende Klasse überhaupt kein Interesse daran, dass ein Kampf immer mehr Auftrieb erhält und andere Arbeiter in anderen Ländern inspiriert, zudem wenn in diesen Kämpfen Methoden benutzt werden wie Umzüge von einem Betrieb zum anderen, um zur Ausdehnung des Streiks aufzufordern, oder wenn die Beschäftigten die Kämpfe in die eigenen Hand nehmen und die Kontrolle über die Verhandlungen durch Live-Übertragungen ausüben wollen…
Und das trifft umso mehr auf Frankreich zu. Der französische Staat hat sehr schnell auf La Réunion nachgegeben, weil auf dem französischen Festland am 19. März eine große Demonstration angekündigt war. Der herrschenden Klasse war sehr daran gelegen, dass die Streiks in ihren Überseegebieten unbedingt zu Ende gebracht werden, um zu verhindern, dass diese eine zu starke Aufmunterung für die Arbeiter in Frankreich selbst darstellen. Die Zeitung Libération hat diese Furcht der Herrschenden in einem Artikel vom 6. März deutlich zum Ausdruck gebracht: „Ansteckung. In Paris ist diese „Revolte“ in den Überseegebieten sehr wenig durch die Machthaber verstanden worden, mit Ausnahme von Yves Jégo, der sich sehr schnell dazu entsprechend geäußert hat. Aber aus Furcht vor der Ausdehnung haben sich Nicolas Sarkozy und Francois Fillon schwankend verhalten; zunächst wollten sie die Sache aussitzen und auf ein Austrocknen der Bewegung hoffen, bis sie schlussendlich doch mit staatlichen Zugeständnissen nachgeben mussten“ (7).
Der wahre Sieg ist der Kampf selbst
Sicher war der Kampf in den Überseegebieten ein Sieg. Eine Lohnerhöhung von 200 Euro im Niedriglohnbereich ist nicht zu unterschätzen. Aber dennoch darf man sich keine Illusionen machen: die Lebensbedingungen der Arbeiter auf den Inseln wie auch woanders werden sich weiterhin verschlechtern. Jetzt schon versucht die herrschende Klasse das Abkommen zu untergraben. Von den zugestandenen 200 Euro sollten 100 Euro vom Staat, 50 Euro von den Kommunen und 50 Euro von den Arbeitgebern bezahlt werden. Jetzt schon hat der Unternehmerverband Medef angekündigt, dass er nicht bzw. nur einen Teil der versprochenen Erhöhung auszahlen werde (und das auch noch unterschiedlich je nach Branche). Und der Staat hat diese Zahlung nur für zwei Jahre zugesagt. Wie Charles Pasqua sagte: „Die Versprechen gelten nur für diejenigen, die sie hören“. Der Zynismus und die Heuchelei der herrschenden Klasse brauchen nicht mehr unter Beweis gestellt werden.
Die Auswirkungen der Krise werden für eine weitere Verarmung sorgen. Falls die Beschäftigten heute Lohnerhöhungen abringen können, werden sie morgen wieder durch die Preissteigerungen aufgefressen werden. Jetzt schon sind 10.000 Stellenstreichungen für das Jahr 2009 auf Martinique vorgesehen.
Der wahre Sieg dieser Bewegung ist der Kampf selbst. Die Erfahrung, die die Kämpfenden dort gewonnen haben, sind wichtige Lehren für die Vorbereitung zukünftiger Kämpfe. Durch ihre Einheit, ihre Solidarität, ihr Selbstvertrauen in die Fähigkeit, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen werden die Kämpfe der Arbeiter gestärkt. Pawel, 26.3.09
(1) LKP (Lyannaj kont profitasyon) – Union contre la surexploitation – Bund gegen die Überausbeutung) ist ein Verband, welcher 49 gewerkschaftliche, politische, kulturelle Organisationen und Verbände zusammenschließt, und der am 20. Januar einen Forderungskatalog aufgestellt hat.
(2) Ein auf dem Modell der LKP am 5. Februar zu Beginn der Bewegung auf Martinique aufgebautes Kollektiv. Ihm gehören 25 gewerkschaftliche, politische und kulturelle Organisationen an.
(3) COSPAR – Collectif d’organisations syndicales, politiques et associatives de la La Réunon (46 Organisationen)
(4) Siehe unseren Artikel , der während des Kampfes verfasst wurde: „Antillen – der massive Kampf zeigt uns den Weg“ (https://fr.internationalism.org/book/export/html/3712).
(5) Quelle: www.lkp-gwa.org/chronologie.htm
(6) Siehe unseren Artikel „Streiks in Großbritannien: Arbeiter fangen an, den Nationalismus infrage zu stellen“ – deutsche Webseite
(7) Quelle: www.liberation.fr/politiques/0101513929-la-societe-geadeloupeenne-entre-...