Die ungarische Revolution 1919: Das Beispiel Russlands inspirierte die ungarische Arbeiterklasse, Teil 2

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Im ersten Teil dieses Artikels[1] haben wir gesehen, wie die Sozialdemokratische Partei, Hauptbollwerk des Kapitalismus, ein widerwärtiges Manöver vollzog, um den überall zunehmenden Arbeiterkämpfen entgegenzutreten. Dieses Manöver zielte darauf ab, die Kommunisten für einen seltsamen Ansturm verantwortlich zu machen, der gegen die Reaktion der sozialdemokratischen Zeitung Népszava ausgeführt wurde, um sie zu kriminalisieren und später eine Welle der Unterdrückung auszulösen. Dies sollte, angefangen bei den Kommunisten, durch die Vernichtung der entstehenden Arbeiterräte und die Niederschlagung jeglicher revolutionärer Bestrebungen im ungarischen Proletariat enden.

Im zweiten Teil werden wir nun sehen, wie dieses Manöver scheiterte. Als die revolutionäre Situation weiter reifte, leitete die Sozialdemokratische Partei ein weiteres, ebenso riskantes Manöver ein, das schlussendlich zu einem Erfolg für die Kapitalisten wurde: Der Zusammenschluss mit der Kommunistischen Partei, „die Machtergreifung“, und die Organisierung der „Diktatur des Proletariats“, wodurch die aufsteigende Kampfbewegung und die Selbstorganisierung des Proletariats aufgefangen werden konnte. Dadurch wurde das Proletariat in eine Sackgasse und in eine Niederlage geführt.

März 1919: Krise der bürgerlichen Republik

Die Wahrheit über den Angriff auf die Zeitung Népszava wurde bald bekannt. Die Arbeiter fühlten sich getäuscht, ihre Wut wurde noch größer, als sie von den Folterungen an den Kommunisten erfuhren. Die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratischen Partei wurde untergraben. All das begünstigte die Popularität der Kommunisten. Die Forderungskämpfe nahmen seit Ende Februar 1919 immer mehr zu; die Bauern besetzten das Land ohne die Umsetzung der schon lange versprochenen „Agrarreform“ abzuwarten.[2] Immer mehr ArbeiterInnen beteiligten sich an den Sitzungen des Arbeiterrates von Budapest, in tumultartigen Diskussionen wurde heftige Kritik an den Führern der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften geübt. Die bürgerliche Republik, die im Oktober 1918 so viele Illusionen geweckt hatte, enttäuschte immer mehr. Die von den Kriegsschauplätzen zurückgeführten 25.000 Soldaten waren in ihren Kasernen eingesperrt worden; sie organisierten sich nunmehr in Soldatenräten. In der ersten Märzwoche wählten nicht nur die Vollversammlungen in den Kasernen ihre Delegierten, wobei der Anteil der kommunistischen Delegierten zunahm. Es gab auch immer mehr Abstimmungen, wo man kundtat, dass man „nicht mehr den Befehlen der Regierung folgen wird, solange diesen nicht vom Soldatenrat Budapests zugestimmt worden ist“.

Am 7. März wurde eine außerordentliche Sitzung des Budapester Arbeiterrates eröffnet, der eine Resolution verabschiedete. Darin wurde „die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel und die Übernahme der Leitung der Produktion durch die Räte“ gefordert. Aber auch wenn die Vergesellschaftung des bürgerlichen Staatsapparates ohne dessen Zerstörung nur eine lahme Maßnahme sein kann, spiegelte diese Resolution dennoch das große Selbstvertrauen der Räte wider und war eine Antwort auf zwei dringende Fragen: Erstens: die durch die Unternehmer ausgeübte Sabotage eines immer stärker desorganisierten Teils der Produktion und deren Kriegstreiben; Zweitens: der schreckliche Mangel an Lebensmitteln und lebensnotwendiger Produkte.

Die Ereignisse überstürzten sich. Der Arbeiterrat der Metallarbeiter stellte der Regierung ein Ultimatum. Ihr wurden fünf Tage bis zur Übergabe der Macht an die Parteien der Arbeiterklasse eingeräumt[3]. Am 19. März fand die bis zum damaligen Zeitpunkt größte Demonstration statt, zu der vom Budapester Arbeiterrat aufgerufen worden war. Die Arbeitslosen forderten Zahlungen und Lebensmittelkarten sowie kostenlose Wohnungen. Am 20. März streikten die Schriftsetzer; deren Streik wurde am folgenden Tag mit zwei Forderungen ausgedehnt: Freilassung der kommunistischen  Führer und Einsetzung einer „Arbeiterregierung“.

Während diese Ereignisse eine Reifung der revolutionären Situation zeigen, bringen sie aber auch zum Ausdruck, dass die Arbeiterklasse bei weitem noch nicht das politische Niveau erreicht hatte, das für den Sturm auf die Macht erforderlich ist.  Um die Macht zu ergreifen und in den Händen zu halten, muss das Proletariat auf zwei Kräfte bauen: die Arbeiterräte und die Kommunistische Partei. Im März 1919 steckten  die Arbeiterräte in Ungarn noch in ihrer Anfangsphase. Sie hatten gerade erst ihre Macht und ihre Selbständigkeit verspürt; sie waren noch dabei, sich aus der erstickenden Umklammerung durch die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften zu lösen.

Ihre beiden Hauptschwächen waren:

–  ihre Illusionen über die Möglichkeit einer “Arbeiterregierung”, in der Sozialdemokraten und Kommunisten vereint wären. Wie wir später sehen werden, erwies sich dies als Grab für die weitere revolutionäre Entwicklung;

– ihre Organisation erfolgte noch nach Wirtschaftsbereichen: Räte der Metallindustrie, Schriftsetzer, Textilarbeiter usw. Seit 1905 erfolgte die Organisierung der Räte auf horizontaler Ebene, alle Arbeiter waren ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu einer Branche, einer Region, Land usw. übergreifend  organisiert. In Ungarn bestanden die Räte auf der Grundlage von Wirtschaftsbezirken und Städten; dies birgt die Gefahr der Zerstreuung und des Branchenegoismus in sich.

Im ersten Teil des Artikels hoben wir hervor, wie schwach und heterogen die Kommunistische Partei noch war,  und dass die Debatten in ihren Reihen erst angefangen hatten. Ihr fehlte eine solide internationale Struktur, welche sie hätte leiten können; die Kommunistische Internationale hielt gerade ihren Gründungskongress ab. Aus diesem Grund litt sie unter großen Schwächen, wie wir sehen werden. Es mangelte ihr an Klarheit, weshalb sie leicht in die Falle lief, die von der Sozialdemokratie gestellt wurde.

Der Zusammenschluss mit der Sozialdemokratischen Partei und die Ausrufung der Sowjetrepublik

Oberst Vix, Repräsentant der Entente[4], stellte ein Ultimatum, in dem die Schaffung einer entmilitarisierten Zone auf ungarischem Gebiet verlangt wurde, das direkt vom alliierten Militärkommando befehligt wurde und eine Fläche von 200 km umfasste, d.h.  ungefähr die Hälfte des Landes.

Die herrschende Klasse tritt der Arbeiterklasse nie mit offenem Visier entgegen. Die Geschichte zeigt, dass sie versucht, die Arbeiterklasse in Sackgassen zu treiben. Die Rechte eröffnete das Feuer mit der Drohung einer militärischen Besetzung, die im April konkret in einer richtigen Invasion umgesetzt wurde. Die Linke wiederum trat sofort mit einer pathetischen Erklärung des Präsidenten Károlyi auf: „Das Land ist in Gefahr. Die schwierigste Stunde unserer Geschichte ist gekommen. (…) Der Moment ist gekommen, wo die ungarische Arbeiterklasse mit ihrer Macht, der einzig organisierten Kraft im Land, mit ihren internationalen Beziehungen  das Vaterland vor Anarchie und Zerstückelung retten muss. Ich schlage deshalb eine homogene sozialdemokratische Regierung vor, die den Imperialisten entgegentreten wird. Bei diesem Kampf geht es um das Überleben unseres Landes. Um diesen Kampf erfolgreich zu führen, muss die Arbeiterklasse unbedingt wieder vereint werden, die von den Extremisten hervorgerufene Agitation und Unordnung müssen aufhören. Zu diesem Zweck müssen die Sozialdemokraten eine gemeinsame Linie mit den Kommunisten finden.“[5]

Das Kreuzfeuer seitens der Rechten gegen den Klassenkampf, die die militärische Besetzung ins Spiel brachten, und der Linken, die die Verteidigung der Nation in den Vordergrund stellten, verfolgte das gleiche Ziel: Rettung der Herrschaft der Kapitalisten. Die militärische Besetzung – die schlimmste Kränkung, die ein Nationalstaat erleiden kann – zielte in Wirklichkeit auf die Niederschlagung der revolutionären Tendenzen des ungarischen Proletariats ab. Zudem bot sie der Linken die Möglichkeit, die Arbeiter auf die Verteidigung des Vaterlandes einzuschwören. Diese Falle war schon im Oktober 1917 in Russland gestellt worden,  als die russische Bourgeoisie in Anbetracht ihrer Unfähigkeit, das Proletariat niederzuschlagen, die Besetzung Petrograds durch deutsche Truppen bevorzugte. Die Arbeiterklasse konnte aber dieses Manöver geschickt vereiteln, indem sie die Macht ergriff. Im Fahrwasser des Grafen Károlyi sich bewegend, legte der rechte Sozialdemokrat Garami die einzuschlagende Strategie dar: „Die Regierung den Kommunisten übertragen, ihren totalen Bankrott abwarten, und erst dann, wenn die Lage  heran gereift ist und die Gesellschaft von diesem Abschaum  befreit ist, können wir eine homogene Regierung bilden“[6]. Der zentristische Flügel der Partei[7] präzisierte diese Politik. „Wir müssen feststellen, dass Ungarn von der Entente geopfert wird;  da sie entschieden hat, die Revolution zu liquidieren, bleibt die einzige Waffe, über die diese verfügt, Sowjetrussland und die Rote Armee. Um deren Unterstützung zu gewinnen, muss die ungarische Arbeiterklasse in der Tat die Macht in ihren Händen halten, und Ungarn muss eine wahre Volksrepublik und Sowjetrepublik sein.“   Sie fügten an: „Um zu verhindern, dass die Kommunisten die Macht missbrauchen, müssen wir sie besser mit ihnen ergreifen.“ [8].

Der linke Flügel der sozialdemokratischen Partei nahm eine proletarische Position ein und bewegte sich auf die Kommunisten zu.  Dem gegenüber manövrierten die Rechten um Garami und die Zentristen um Garbai geschickt. Garami trat von all seinen Ämtern zurück. Der rechte Flügel opferte sich zugunsten des zentristischen Flügels, der „sich für ein kommunistisches Programms aussprach“,  damit gelang es ihm, die Linken zu verführen.[9]

Mit diesem Schwenk schlug die neue zentristische Führung die unmittelbare Verschmelzung mit der Kommunistischen Partei vor und nichts anderes als die Machtergreifung! Eine Delegation der Sozialdemokratischen Partei begab sich zum Gefängnis, um Béla Kun zu treffen und schlug ihm den Zusammenschluss der beiden Parteien und die Bildung einer „Arbeiterpartei“, den Ausschluss aller „bürgerlichen“ Parteien und ein Bündnis mit Russland vor. Die Gespräche dauerten weniger als einen Tag; im Anschluss daran verfasste Béla Kun ein Protokoll mit sechs Punkten, die besonders hervorgehoben wurden: „Die Führungsspitzen der ungarischen Sozialdemokratischen Partei und der ungarischen Kommunistischen Partei haben den vollständigen und unmittelbaren Zusammenschluss ihrer jeweiligen Organisationen beschlossen. Der Name der neuen Organisation wird Vereinigte Sozialistische Partei Ungarns PSUH) sein. (…) Die PSUH ergreift sofort die Macht im Namen der Diktatur des Proletariats. Diese Diktatur wird von den Arbeiter–, Bauern– und Soldatenräten ausgeübt.  Es wird keine Nationalversammlung mehr geben (…) Das engst mögliche politisch–militärische Bündnis  mit Russland wird geschlossen“[10].

Präsident Károlyi, der die Verhandlungen aufmerksam verfolgte, reichte seinen Rücktritt ein und richtete eine Erklärung “an das Proletariat der Welt, um Hilfe und Gerechtigkeit zu erhalten. Ich trete zurück und übergebe die Macht an das Proletariat des ungarischen Volkes“[11].

Während der Demonstration am 22. März schloss sich „der ex–Homo Regius, der Erzherzog Joseph–August sowie Philippe Egalité der Demonstration auf Seiten der Arbeiter an.“[12]. Die neue, am nächsten Tag gebildete Regierung mit Béla Kun und anderen, aus dem Gefängnis befreiten kommunistischen Führern, wurde vom zentristischen Sozialdemokraten Garbai geleitet[13]. Sie verfügte über eine zentristische Mehrheit mit zwei für den linken Flügel reservierten Posten und zwei anderen, für die Kommunisten vorgesehenen Stellen, darunter eine für Béla Kun. Eine sehr riskante Operation begann, indem die Kommunisten als Geiseln der Politik der sozialdemokratischen Politik genommen wurden und die gerade gegründeten Arbeiterräte mit dem vergifteten Geschenk der „Machtübernahme“ sabotiert werden sollten. Die Sozialdemokraten überließen das Hauptamt Béla Kun, der voll in die Falle lief und zum Sprecher und Unterstützer einer ganzen Reihe von Maßnahmen wurde, welche sein Ansehen untergruben[14].

Die “Einheit” führt zur Spaltung der revolutionären Kräfte

Die Proklamierung der ‚Vereinigten‘ Partei bewirkte vor allem, dass die Annäherung zwischen den linken Sozialdemokraten und den Kommunisten aufgehalten wurde, die durch die Radikalisierung der Zentristen verführt worden waren. Aber das Schlimmste war, dass eine Pandora–Büchse unter den Kommunisten geöffnet worden war, die sich in verschiedene Tendenzen spalteten. Die Mehrheit um Béla Kun wurde zur Geisel der Sozialdemokraten; eine andere Tendenz bildete sich um Szamuelly, der in der Partei verblieb aber eine unabhängige Politik betreiben wollte. Die Mehrzahl der Anarchisten spaltete sich ab und bildete die Anarchistische Union, welche jedoch die Regierung mit einer Oppositionshaltung unterstützte[15].

Die einige Monate zuvor gegründete Partei, welche erst jetzt eine wirkliche Organisation schuf und zu intervenieren anfing, löste sich vollständig auf. Die Debatte wurde unmöglich, ihre Mitglieder gerieten in ständige Auseinandersetzungen. Diese hielten sich an keine Prinzipien oder eine unabhängige Analyse der Lage. Stattdessen lief man ständig den Ereignissen hinterher und ließ sich durch die subtilen Manöver der zentristischen Sozialdemokraten irreführen.

Die Desorientierung über die wirkliche Lage in Ungarn erfasste auch einen so erfahrenen und klaren Militanten wie Lenin. In seinen Gesammelten Werken sind die Gespräche mit Béla Kun am 22. und 23. März 1919 veröffentlicht[16]. Lenin bat Béla Kun: „Bitte mitzuteilen welche reellen Garantien Sie dafür haben, dass die neue ungarische Regierung wirklich kommunistisch und nicht nur einfach sozialistisch, das heißt sozialverräterisch wird? Haben die Kommunisten Mehrheit in der Regierung?Wann kommt der Rätekongress zusammen? Worin besteht reell die Anerkennung der Diktatur des Proletariats durch die Sozialisten?“. Lenin stellte die richtigen grundsätzlichen Fragen. Aber alles stützte sich auf persönliche Kontakte und nicht auf eine kollektive internationale Debatte. Lenin zog die Schlussfolgerung: „Die Antwort, die Genosse Béla Kun gab, war völlig zufriedenstellend und zerstreute alle unsere Zweifel. Es stellte sich heraus, dass die linken Sozialisten zu Béla Kun ins Gefängnis gekommen waren, um über die Regierungsbildung zu beraten. Und nur diese mit den Kommunisten sympathisierenden linken Sozialisten sowie Leute des Zentrums haben die neue Regierung gebildet, während die rechten Sozialisten, die sozusagen unversöhnlichen und unverbesserlichen Sozialverräter, völlig aus der Partei ausgeschieden sind, ausgeschieden sind, ohne dass ihnen ein einziger Arbeiter gefolgt wäre.“. Man kann hier erkennen, dass Lenin zumindest schlecht informiert war und die Lage nicht richtig einschätzte, denn das Zentrum der Sozialdemokratie verfügte in der Regierung über die Mehrheit und die linken Sozialdemokraten befanden sich in den Händen ihrer “Freunde” des Zentrums.

Von einem entwaffnenden Optimismus mitgerissen, zog Lenin die Schlussfolgerung: „Die Bourgeoisie selber hat die Macht den Kommunisten Ungarns abgetreten. Die Bourgeoisie hat der ganzen Welt gezeigt, dass sie, wenn eine schwere Krise eintritt, wenn die Nation in Gefahr ist, nicht reagieren kann. Es gibt nur eine einzige wirklich vom Volk getragene, vom Volk geliebte Macht – die Macht der Arbeiter–, Soldaten– und Bauernräte.“    

Einmal an der Macht wurden die Arbeiterräte sabotiert

Diese Macht bestand in Wirklichkeit nur auf dem Papier. Vor allem die Vereinigte Sozialistische Partei ergriff die Macht, ohne dass der Budapester Sowjet oder irgendein anderer Sowjet im Lande sich irgendwie daran beteiligte[17]. Auch wenn die Regierung sich formell dem Budapester Arbeiterrat „untergeordnet“ erklärte, präsentierte diese jegliche Dekrete, Befehle und Entscheidungen als Tatbestände, gegenüber denen der Rat nur ein relatives Vetorecht besaß. Die Arbeiterräte befanden sich in der Zwangsjacke der parlamentarischen Praxis. „Die Angelegenheiten des Proletariats wurden weiter verwaltet – oder besser gesagt – durch die alte Bürokratie sabotiert, anstatt durch die Arbeiterräte selbst vertreten zu werden; diesen gelang es nie, zu einem aktiven Organ zu werden“ [18].

Der schlimmste Schlag gegen die Räte war die Wahlaufruf seitens der Regierung, um eine „Nationalversammlung der Arbeiterräte“ zu bilden. Das von der Regierung aufgezwungene Wahlsystem bestand in der Durchführung der Wahlen an zwei Daten – (7. Und 14. April 1919), „den Modalitäten der formellen Demokratie folgend (Listenwahlen, mit Wahlkabinen usw.)“[19]. Dies war die Wiederauflage der typischen Mechanismen der bürgerlichen Wahlen, wodurch das Wesen der Arbeiterräte ausradiert wird. Während in der bürgerlichen Demokratie die gewählten Organe das Ergebnis einer Stimmabgabe durch atomisierte, voneinander getrennte Individuen sind, stützen sich die Arbeiterräte auf ein radikal neues und unterschiedliches Konzept politischen Handelns: Über Entscheidungen, zu treffende Maßnahmen wird in den Debatten beratschlagt und abgestimmt, an denen sich die organisierten Massen beteiligen. Die Massen begnügen sich nicht damit, Entscheidungen zu treffen, sondern setzen sie auch in die Praxis um.

Aber der Triumph des Wahlmanövers war nicht nur auf die Geschicklichkeit der Sozialdemokratie bei Manövern zurückzuführen, sie beuteten nur die bestehenden Verwirrungen nicht nur unter den Massen aus, sondern auch die der Mehrzahl der kommunistischen Militanten, insbesondere die der Gruppe um Béla Kun.  Die jahrelange Beteiligung an Wahlen und die parlamentarische Tätigkeit – eine während der aufsteigenden Phase des Kapitalismus für den Fortschritt des Proletariats notwendige Tätigkeit – hatte Gewohnheiten und Sichtweisen aufkommen lassen, die mit einer eindeutig abgeschlossenen Phase verbunden waren, und jetzt eine klare Reaktion auf die neue Lage verhinderten, die den endgültigen Bruch mit dem Parlamentarismus und der Wahlbeteiligung verlangten.

Der Wahlmechanismus und die Disziplin der „Vereinigten“ Partei führten dazu, dass bei „der Vorstellung der Kandidaten für die Wahlen zu den Räten die Kommunisten die Sache der Sozialdemokraten vertreten mussten; einige von ihnen wurden noch nicht einmal gewählt.“ Szantó stellte fest, dass dies den Sozialdemokraten die Möglichkeit bot, „eine wortradikale, revolutionär–kommunistische Sprache zu sprechen, um revolutionärer zu erscheinen als die Kommunisten“[20].

Diese Politik rief einen heftigen Widerstand hervor. Die Aprilwahlen wurden im 8. Budapester Bezirk angezweifelt. Szamuelly gelang es, die offizielle Liste seiner eigenen Partei (!) zu annullieren und Wahlen aufzuzwingen, die sich auf die Ergebnisse der Debatten in den Vollversammlungen stützten, die wiederum einen Sieg einer Koalition von Dissidenten der PSUH und Anarchisten ermöglichten, die sich um Szamuelly zusammengeschlossen hatten.

Andere Versuche,  wirkliche Arbeiterräte ins Leben zu rufen, wurden Mitte April gestartet. Einer Bewegung der Stadtviertel–Räte gelang es, eine Konferenz der Stadtviertel–Räte in Budapest einzuberufen, welche die „sowjetische Regierung“ scharf kritisierte und eine Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung der Versorgungslage, zur Niederschlagung der Konterrevolutionäre und hinsichtlich des Verhältnisses zu den Bauern und der Fortsetzung des Krieges  machte.  Und sie schlug – gerade ein Monat nach den Wahlen – eine Neuwahl der Räte vor. Béla Kun, der als Geisel der Sozialdemokratie wirkte, erschien auf der letzten Sitzung der Konferenz und übte die Feuerwehrrolle aus; seine Sprache grenzte an Demagogie: „Wir stehen schon so weit links, dass man nicht noch weiter links rücken kann. Eine noch stärkere Linkswende könnte nur eine Konterrevolution werden“[21].

Die wirtschaftliche Umorganisierung stützte sich auf die gegen die Räte eingestellten Gewerkschaften

Der revolutionäre Ansturm hatte mit dem wirtschaftlichen Chaos, dem Warenmangel und der Sabotage durch die Unternehmer zu kämpfen. Während der Schwerpunkt einer jeden proletarischen Revolution die politische Macht der Räte ist, heißt dies aber nicht, dass man die Kontrolle der Produktion vernachlässigen darf. Auch wenn es unmöglich ist, eine revolutionäre Umwälzung der Produktion hin zum Kommunismus zu starten, solange die Revolution nicht weltweit gesiegt hat, darf man daraus nicht schlussfolgern, dass das Proletariat auf eine besondere Wirtschaftspolitik von Beginn der Revolution an verzichten könnte. Diese muss insbesondere zwei prioritäre Fragen berücksichtigen. Die erste ist – alle möglichen Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die Ausbeutung der ArbeiterInnen zu reduzieren und sicherzustellen, dass sie so viel Zeit wie möglich haben,  um ihre Energie für die aktive Beteiligung an den Arbeiterräten zur Verfügung zu stellen.

Unter dem Druck des Budapester Arbeiterrates beschloss die Regierung die Abschaffung der Akkordarbeit und die Kürzung des Arbeitstages mit dem Ziel, „es den Arbeitern zu ermöglichen, sich am politischen und kulturellen Leben der Revolution zu beteiligen“[22].

Die zweite Maßnahme war der Kampf für eine bessere Versorgung und gegen die Sabotage, so dass Hunger und das unvermeidbare wirtschaftliche Chaos nicht das Ende der Revolution einläuten konnten. Nachdem sie mit diesem Problem konfrontiert wurden, schufen die Arbeiter schon vom Januar 1919 an Fabrikräte und Bereichsräte. Wie wir im ersten Teil dieses Artikels gesehen haben, verabschiedete der Budapester Rat einen mutigen Plan zur Kontrolle der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln. Aber die Regierung, die sich auf sie stützen musste, unternahm systematisch Anstrengungen, um ihnen die Kontrolle über die Produktion und die Versorgung zu entreißen und diese immer mehr den Gewerkschaften zu übertragen. Béla Kun beging damals schwerwiegende Fehler. So erklärte er im Mai 1919: “Unser Industrieapparat fußt auf den Gewerkschaften. Diese müssen sich mehr emanzipieren und zu gewaltigen Betrieben werden, die die Mehrheit der Beschäftigten umfassen, dann alle Beschäftigten einer Industriebranche insgesamt. Die Gewerkschaften beteiligen sich an der technischen Leitung; sie müssen sich darauf ausrichten, langsam die Führungsaufgaben zu übernehmen. So garantieren sie, dass die für das Regime zentralen Wirtschaftsorgane und die arbeitende Bevölkerung zusammen wirken und die Arbeiter sich an die Leitung des Wirtschaftslebens gewöhnen“[23]. Roland Bardy kommentiert diese Analyse kritisch: „Als Gefangener eines abstrakten Schemas, konnte sich Béla Kun nicht der Logik seiner Position bewusst sein, und dass die Sozialisten die Macht übernahmen, die ihnen vorher entrissen worden war (…) Eine Zeit lang werden die Gewerkschaften die Bastion der reformistischen Sozialdemokratie sein, und sich ständig in Konkurrenz mit den Sowjets befinden“[24].

Der Regierung gelang es durchzusetzen, dass nur die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Bauern Zugang zu den Kooperativen und den Konsumgenossenschaften erhielten. Dies gab den Gewerkschaften einen wichtigen Hebel zur Kontrolle in die Hand.

Béla Kun theoretisierte dies: „Die kommunistische Herrschaft ist die der organisierten Gesellschaft. Wer leben und Erfolg haben will, muss einer Organisation angehören. Die Gewerkschaften dürfen den Mitgliederbeitritt nicht erschweren“[25]. Wie Bardy meint: „Die Gewerkschaften für alle zu öffnen, war ein sicherer Weg, um das zahlenmäßige Übergewicht des Proletariats in seinen Reihen abzuschaffen und somit langfristig die „demokratische“ Funktionsweise der Klassengesellschaft wieder herzustellen.“ (…) „Die alten Arbeitgeber, Grundbesitzer und ihre Diener beteiligten sich nicht an der aktiven Produktion (Industrie und Landwirtschaft), sondern an den Dienstleistungen. Das Aufblähen dieses Bereiches ermöglichte es der alten herrschenden Klasse als Parasitenklasse zu überleben und von der Verteilung der Produkte zu profitieren, ohne jedoch in den aktiven Produktionsprozess integriert zu sein“[26]. Dieses System begünstigte die Spekulation und den Schwarzmarkt, ohne auch nur in der Lage zu sein, die Probleme des Hungers und des Mangels, unter denen die ArbeiterInnen der großen Städte litten, zu lösen.

Die Regierung ermunterte die Schaffung von großen Agrarbetrieben, die von einem System der „Kollektivierung“ beherrscht wurden. Dies war ein großer Betrug. ‚Produktionskommissare’ wurden an die Spitze der kollektivierten Bauernhöfe gestellt, und wenn sie keine arroganten Bürokraten waren, handelte es sich um die alten Großgrundbesitzer! Diese lebten übrigens immer noch auf ihrem Gut und forderten von den Bauern, dass diese sie weiterhin mit „Herr“ anredeten.

Von den kollektivierten Bauernhöfen erwartete man die Ausdehnung der Revolution auf dem Land und die garantierte Versorgung, aber sie leisteten weder das eine noch das andere. Die Tagelöhner und die armen Bauern, die zutiefst von der Wirklichkeit der kollektivierten Betriebe enttäuscht waren, nahmen immer mehr von ihnen Abstand. Übrigens verlangten deren Führer einen Tausch, den die Regierung unmöglich eingehen konnte: landwirtschaftliche Produkte im Austausch für Dünger, Traktoren und Maschinen zu liefern. Sie verkauften deshalb ihre Waren an Spekulanten und Aufkäufer; das hatte zur Folge, dass der Hunger und der Mangel solche Ausmaße erreichten, dass der Budapester Arbeiterrat verzweifelt die Umwandlung von Parks und Gärten in landwirtschaftlich benutzten Boden anordnete.

Die Entwicklung des weltweiten revolutionären Kampfes und die Lage in Ungarn

Die einzige Möglichkeit für das ungarische Proletariat, der Falle, in die es geraten war, zu entrinnen, bestand im Vorantreiben des Kampfes des Weltproletariats. In der Zeit von März bis Juni 1919 gab es große Hoffnungen trotz des heftigen Gegenschlags, den die Niederschlagung des Aufstands im Januar 1919 in Berlin hervorgerufen hatte[27]. Im März 1919 wurde die Kommunistische Internationale gegründet, im April die Bayrische Räterepublik ausgerufen, die durch die sozialdemokratisch geführte Regierung niedergeschlagen wurde. Die revolutionäre Agitation in Österreich, wo sich die Räte konsolidierten, wurde ebenfalls durch das Manöver eines Provokateurs namens Bettenheim abgewürgt, welcher die junge kommunistische Partei zu einem verfrühten Aufstand trieb, der im Mai 1919 leicht nieder geworfen werden konnte. In Großbritannien brach der große Streik in den Clyde Schiffswerften aus, bei dem Arbeiterräte gebildet wurden, und der auch Meutereien in der Armee auslöste. Streikbewegungen entstanden in Holland, Norwegen, Schweden, Jugoslawien, Rumänien, Tschechoslowakei, Polen, Italien und selbst in den USA. Aber diese Bewegungen steckten erst in ihrer Anfangsphase. Damit verfügten die Armeen Frankreichs und Großbritanniens, die am Ende des Krieges noch mobilisiert geblieben waren, noch über einen großen Spielraum, um die Polizistenrolle zu übernehmen und die revolutionären Erhebungen niederzuschlagen. Zunächst konzentrierten sie sich auf Russland (1918–20) und Ungarn (von April 1919 an). Als die ersten Meutereien in der Armee gemeldet wurden, und als Folge der Kampagnen, die im Krieg gegen das revolutionäre Russland geführt wurden, ersetzte man die Rekruten schnell  durch Kolonialtruppen, die gegenüber dem Proletariat viel resistenter waren.

Im Falle Ungarns zog die französische Kommandantur die Lehre aus der Weigerung der Soldaten, die Aufständischen von Szeged gewaltsam niederzuschlagen. Frankreich blieb ein wenig im Hintergrund und hetzte die Nachbarstaaten gegen Ungarn auf: Rumänien und die Tschechoslowakei wurden zur Speerspitze bei den Operationen gegen die ungarischen Arbeiter. Diese Staaten übten die Gendarmenrolle aus, aber sie wollten auch dem ungarischen Staat Gelände entreißen.

Das belagerte Russland konnte nicht die geringste militärische Hilfe leisten. Der Versuch der Roten Armee und der Guerilla–Kämpfer um Nestor Machno, im Juni 1919 eine Offensive im Westen zu starten, um eine Verbindung zu Ungarn aufzubauen, wurde durch den gewaltsamen Gegenangriff des Generals Denikin vereitelt.

Aber das zentrale Problem bestand darin, dass der Hauptfeind des Proletariats “in seinem eigenen Haus” wohnte[28]. Am 30. März schuf die Regierung der „Diktatur des Proletariats“ pompös die Rote Armee in Ungarn. Es war die gleiche alte, aber umgetaufte Armee. All die Schaltstellen waren weiterhin besetzt von den alten Generälen, die von einem Korps politischer Kommissare überwacht wurden, welche von den Sozialdemokraten beherrscht wurden, und aus dem die Kommunisten ausgeschlossen worden waren.

Die Regierung verwarf einen Vorschlag der Kommunisten, die Polizeikräfte aufzulösen. Die Arbeiter dagegen entwaffneten selbst die Wächter. Die Belegschaft mehrerer Budapester Betriebe verabschiedete Resolutionen zu diesem Thema, die sofort umgesetzt wurden: „Nur die Sozialdemokraten erteilten Erlaubnisse. Aber sie ließen es nicht zu, dass die Entwaffnung tatsächlich vollzogen wurde, und nur nach einem langen Widerstand stimmten sie der Entlassung der Polizei, der Gendarmerie und der Sicherheitsgarde zu“[29]. Die Rote Armee wurde per Dekret gebildet; und sie nahm in ihre Reihen entlassene Polizeikräfte auf.

Die Armee und Polizei, Rückgrat des bürgerlichen Staates, blieben somit dank dieser Taschenspielertricks intakt. Es überraschte deshalb nicht, dass die Rote Armee so leicht bei der April–Offensive auseinander brach,  die von den rumänischen und tschechischen Truppen lanciert worden war. Mehrere Regimenter wechselten gar die Seite.

Den mobilisierten Arbeitern gelang es am 30. April gegen die Invasionstruppen vor den Toren Budapests das Blatt zu wenden. Die Anarchisten und die Gruppe um Szamuelly betrieben eine verstärkte Agitation. An der 1. Mai Demonstration beteiligten sich viele Arbeiter; man rief nach der ‚Bewaffnung des Volkes’, und die Gruppe um Szamuelly verlangte, „Alle Macht den Räten“. Am 2. Mai wurde eine Massenveranstaltung organisiert, in der die Arbeiter zur Mobilisierung aufgerufen wurden. Innerhalb weniger Tage schlossen sich allein in Budapest 40.000 Freiwillige der Roten Armee an.

Die Rote Armee, die durch die Aufnahme vieler Arbeiter und die Ankunft von internationalen Brigaden mit französischen und russischen Freiwilligen verstärkt worden war, startete eine Großoffensive, bei der eine Reihe von Siegen über die rumänischen, serbischen und besonders tschechischen Truppen errungen wurden, die eine große Niederlage erlitten und deren Soldaten massiv desertierten. In der Slowakei führten die Aktionen der Arbeiter und rebellierenden Soldaten zur Bildung eines Arbeiterrates, die mit Unterstützung der Roten Armee die Slowakische Räterepublik ausrief (16. Juni). Der Rat schloss ein Bündnis mit der ungarischen Republik und verfasste ein Manifest, das an alle tschechischen Arbeiter gerichtet wurde.

Dieser Erfolg alarmierte die Weltbourgeoisie. „Die Pariser Friedenskonferenz, die über den Erfolg der Roten Armee besorgt ist, richtete am 8. Juni ein neues Ultimatum an Budapest, in dem gefordert wurde, dass die Rote Armee ihren Vormarsch einstelle, und die ungarische Regierung aufforderte nach Paris zu kommen, um „über die ungarischen Grenzen“ zu diskutieren.“ Später wurde ein zweites Ultimatum gestellt, in dem der Einsatz von Gewalt in Erwägung gezogen wurde, wenn das Ultimatum nicht eingehalten würde[30].

Der von Béla Kun unterstützte Sozialdemokrat Bohm wollte um jeden Preis Verhandlungen mit dem französischen Staat aufnehmen, der als ersten Schritt die Aufgabe der Slowakischen Sowjetrepublik forderte, dem am 24. Juni zugestimmt wurde. Diese Republik wurde dann am 28. Juni niedergeschlagen und alle Militanten ab dem darauf folgenden Tag gehängt.

Die Entente vollzog einen taktischen Wandel. Die Ausschreitungen der rumänischen Truppen und ihre territorialen Ansprüche waren die Ursache für ein stärkeres Zusammenrücken um die Rote Armee, was im Mai deren Siege begünstigt hatte. Eine provisorische Regierung wurde in aller Eile um zwei Brüder des früheren Präsidenten Károlyi gebildet, die ihre Regierungsgeschäfte in der von den Rumänen besetzten Zone aufnahm, aber sich wiederum zurückziehen musste. Sie murrte,  um den Anschein einer „unabhängigen Regierung“ zu erwecken. Der rechte Flügel der Sozialdemokratie trat dann wieder in Erscheinung und unterstützte offen diese Regierung.

Am 24. Januar kam es in Budapest zu einem Aufstandsversuch, der von den rechten Sozialdemokraten organisiert wurde. Die Regierung verhandelte mit den Aufständischen und gab der Forderung nach einem Verbot der « Kumpel Lenins », den internationalen Brigaden und den von den Anarchisten kontrollierten Regimentern nach. Diese Repression beschleunigte das Auseinanderbrechen der Roten Armee : in ihren Reihen kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen, immer mehr Soldaten desertierten und die Meutereien nahmen zu. 

Die endgültige Niederlage und die brutale Niederschlagung

Die Demoralisierung erreichte in der Budapester arbeitenden Bevölkerung ihren Höhepunkt. Viele Arbeiter flüchteten mit ihren Familien aus der Stadt. Auf dem Land nahmen die Bauernaufstände gegen die Regierung zu. Rumänien begann erneut seine Militäroffensive. Von Mitte Juni an hatten die Sozialdemokraten wieder ihre Kräfte zusammengeschlossen, sie verlangten den Rücktritt Béla Kuns und die Bildung einer neuen Regierung unter Beteiligung der Kommunisten. Am 20. Juli befahl Béla Kun eine verzweifelte militärische Gegenoffensive gegen die rumänischen Truppen mit den verbliebenen Überresten der Roten Armee, welche sich dann aber am 23. Juli ergeben mussten. Am 31. Juli trat Béla Kun schließlich zurück. Eine neue Regierung mit den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften an der Spitze wurde gebildet, die sofort eine blutige Repression gegen die Kommunisten, Anarchisten und all die Arbeitermilitanten startete, die noch nicht hatten flüchten können. Szamuelly wurde am 2. August ermordet. 

Am 6. August wurde diese Regierung wiederum durch eine Handvoll Militärs gestürzt, die dabei auf keinen Widerstand stießen. Die rumänischen Truppen zogen in Budapest ein. Die Gefangenen wurden mit mittelalterlichen Foltermethoden gepeinigt, bevor sie getötet wurden. Verletzte oder kranke Soldaten wurden aus den Krankenhäusern geholt und auf die Straße geschleppt, wo sie auf alle möglichen Arten erniedrigt wurden, um dann getötet zu werden. In den Dörfern zwangen die Truppen die Bauern, Prozesse gegen ihre eigenen Nachbarn zu organisieren, die sie als verdächtig  betrachteten, diese Verdächtigen zu foltern und anschließend zu töten. Wer sich weigerte, dessen Haus wurde angezündet, mit den im Haus eingesperrten Bewohnern.

Während 129 Konterrevolutionäre in den 133 Tagen der Räterepublik erschossen worden waren, wurden zwischen dem 15. und 31. August mehr als 5.000 Menschen ermordet. 75.000 Menschen wurden verhaftet. Massenprozesse begannen im Oktober. 15.000 Arbeiter wurden von Militärtribunalen verurteilt, von denen viele die Todesstrafe erhielten oder zu Zwangsarbeit verurteilt wurden.

Zwischen 1920 und 1944 genoss die grausame Diktatur Hortys trotz ihrer Sympathien für den Faschismus die Unterstützung der westlichen Demokratien, dies geschah aus Dank für ihr Vorgehen gegen die Arbeiterklasse.

C. Mir, 4. September 2010

 

[1] siehe Teil 1 in derselben Ausgabe (Internationale Revue 47)

[2] Durch eine koordinierte Aktion besetzten die Bauernkomitees die landwirtschaftlichen Güter des größten Adligen, Graf Esterhazy.

[3] Dies spiegelt die wachsende Politisierung der Arbeiter wider, aber auch ihre unzureichende Bewusstseinsentwicklung, da sie eine Regierung forderten, in der die sozialdemokratischen Verräter und die Kommunisten zusammenarbeiten sollten, obwohl die Kommunisten wegen der Manöver der Sozialdemokraten eingesperrt worden waren.

[4] Während des Ersten Weltkriegs gehörte der Entente das imperialistische Lager um Großbritannien, Frankreich und Russland bis zur Oktoberrevolution 1917 an.

[5] Roland Bardy, 1919, La Commune de Budapest, S. 83. Der Großteil der in diesem Artikel verwerteten Informationen stützt sich auf die französische Ausgabe dieses Buches, das sehr reichhaltig dokumentiert ist.

[6] ebenda

[7] Der zentristische Flügel der ungarischen Partei bestand aus ebenso reaktionären Kadern wie die des rechten Flügels, aber sehr viel gerissener und fähig, sich an die Lage anzupassen.

[8] Roland Bardy, S. 84.

[9] In seinem Buch  Die Ungarische Revolution von 1919 zitiert Béla Szanto in der spanischen Ausgabe S. 88 (Kapitel – «Mit wem hätten sich die Kommunisten verbünden sollen?» einen Sozialdemokraten, Buchinger, der meinte, «das Bündnis mit den Kommunisten auf der Grundlage ihres gesamten Programms sei ohne die geringste Überzeugung umgesetzt worden».

[10] Roland Bardy, S. 85.

[11] ebenda, S. 86.

[12] ebenda, S. 99.

[13] Dieser Mensch hatte im Februar 1919 geschrien: «Die Gewehrläufe müssen auf die Kommunisten gerichtet werden», und im Juli 1919 erklärte er: «Ich kann die geistige Welt, auf die sich die Diktatur des Proletariats stützt, nicht verstehen» (Szanto, op.cit., S. 99).

[14] Béla Szanto, op. cit, S. 82 (spanische Ausgabe), berichtet, dass am darauf folgenden Tag Béla Kun seinen ParteigenossenInnen eingestand, «Die Dinge laufen zu gut, ich hab die ganze Nacht darüber nachgedacht, welche Fehler wir gemacht haben könnten», Kapitel: «Im Sturmlauf zur Diktatur des Proletariats».

[15] In der Anarchistischen Union hob sich eine eigenständig organisierte Tendenz ab, die sich «Die Kumpel Lenins» nannten, und die für die «Verteidigung der Macht der Arbeiterräte» eintrat. Sie spielte eine bedeutsame Rolle während der militärischen Verteidigung der Revolution.

[16] Band 29 der deutschen Ausgabe, S. 213, 230 und 231. Die Dokumente heißen «Niederschrift eines Funktelegramms an Béla Kun» und «Mitteilung über ein Funkgespräch mit Béla Kun».

[17] Der Arbeiterrat Szegeds  – eine Stadt in der entmilitarisierten Zone, die aber tatsächlich von 16.000 französischen Soldaten besetzt war – handelte auf revolutionäre Art und Weise. Am 21. März organisierte der Rat den Aufstand und besetzte alle strategisch wichtigen Punkte. Die französischen Soldaten weigerten sich gegen sie zu kämpfen, die Militärführung beschloss daher den Rückzug. Am 23. März wählte der Rat einen Regierungsrat, an dem sich ein Arbeiter aus der Glasindustrie, einer aus der Bauindustrie und ein Rechtsanwalt beteiligten. Am 24. März wurde Kontakt mit der neuen Budapester Regierung aufgenommen.

[18] Szantó, op. cit., S. 106, Kapitel «Theoretische und prinzipielle Widersprüche und ihre Folgen».

[19] Roland Bardy, op. cit., S. 101.

[20] Béla Szanto, op. cit., S. 91, Kapitel «Mit wem hätten sich die Kommunisen verbünden sollen?»

[21] Roland Bardy, op. cit., S. 105.

[22]ebenda, S. 117.

[23]ebenda, S. 111.

[24]ebenda, S. 112.

[25]ebenda, S. 127.

[26]ebenda, S. 126

[27] Siehe den vierten Teil unserer Serie zur Revolution in Deutschland in: International Review Nr. 136

[28] Béla Szanto, op. cit., S. 146: „Die Konterrevolution fühlte sich so stark, dass sie in ihren Veröffentlichungen Männer als ihnen zugehörig bezeichnen konnte, die an der Spitze der Arbeiterbewegung standen und wichtige Ämter in der Diktatur der Räte innehatten.“

[29]ebenda, S. 104, Kapitel  “Theoretische und prinzipielle Widersprüche und ihre Folgen”.

[30] Alan Woods, La République soviétique hongroise de 1919, la révolution oubliée. Auf spanisch: https://www.marxist.com/republica–sovietica–hungara–1919.htm

Historische Ereignisse: 

Erbe der kommunistischen Linke: