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Kein anderes Ereignis hat die weltweite Zuspitzung der imperialistischen Spannungen dramatischer verdeutlicht als die Entsendung von 3.000 deutschen Kampftruppen nach Bosnien. Unter dem Deckmantel der Aufrechterhaltung des ‘Friedensabkommens’ für Bosnien, das von den USA in Dayton diktiert wurde, wird die Bundeswehr genauso wie die Armeen der Rivalen Frankreich, Großbritannien und der USA in das Krisengebiet geschickt, um die imperialistischen Interessen der jeweiligen nationalen Bourgeoisie zu verteidigen.
Kein anderes Ereignis bestätigt so deutlich den Aufstieg des deutschen Imperialismus seit der Wiedervereinigung. Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg schickt die deutsche Bourgeoisie bewaffnete Streitkräfte ins Ausland mit dem Mandat bewaffneter Einsätze. Dadurch wirft sie demonstrativ die Fesseln von sich, die ihr nach der Niederlage in den beiden Weltkriegen auferlegt worden waren. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang war die deutsche Bourgeoisie der beiden deutschen Staaten, die nach 1945 entstanden waren, nicht berechtigt, im Ausland militärische Interventionen zugunsten ihrer eigenen imperialistischen Interessen durchzuführen. Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Gesetz, die von der NATO im Westen und vom Warschauer Pakt im Osten zugelassen würde, konnte nicht in Bonn oder Ostberlin entschieden werden, sondern in Washington oder in Moskau. Tatsächlich war die einzige Beteiligung deutscher Truppen bei militärischen Kampfeinsätzen im Ausland seit 1945 die Ostdeutschlands bei der Besetzung der Tschechoslowakei durch die UdSSR und die Warschau-Pakt-Staaten 1968.
Heute ist Deutschland wiedervereinigt und wieder als führende europäische Macht in Erscheinung getreten. In einer Welt, die nicht nur von militärischen Spannungen, sondern durch ein globales Chaos und den Kampf des jeder gegen jeden erschüttert wird, braucht der deutsche Imperialismus nicht mehr die Zustimmung anderer Staaten zur militärischen Abstützung seiner eigenen Außenpolitik. Heute kann die deutsche Regierung ihre militärische Präsenz auf dem Balkan erzwingen, egal ob die anderen Staaten dies mögen oder nicht. Diese wachsende Stärke verdeutlicht vor allem den Niedergang der Hegemonie der einzig übrig gebliebenen Supermacht - der USA. Da die Fähigkeit der USA, der Bonner Regierung Vorschriften zu machen über das, was zu tun sei und was nicht, Dreh- und Angelpunkt ihrer Vorherrschaft über zwei Drittel der Erde nach 1945 war, bringt die Präsenz der Bundeswehr in Bosnien heute der Welt zum Ausdruck, wie stark diese US-Vorherrschaft schon untergraben wurde.
Deutschland untergräbt Dayton und fordert die USA heraus
Aber die Beteiligung Bonns an der IFOR 2 Mission der NATO in Bosnien, wo es zusammen mit Frankreich eine der drei Kontrollzonen überwacht, ist eine Herausforderung für die USA und die europäischen Mächte nicht nur auf globaler historischer Ebene. Es handelt sich nämlich auch um einen unabdingbaren Schachzug bei der konkreten Verteidigung der entscheidenden deutschen imperialistischen Interessen in der Region selber. Das herausragendste Interesse Deutschland ist der langfristige Zugang zu einem Marinestützpunkt am Mittelmeer mittels der Häfen des alten historischen Verbündeten Kroatien. Es war die Kohl-Regierung, die die Auflösung Jugoslawiens in Gang setzte, und damit auch die ganze Kette blutiger Reaktionen in diesem Land, indem Bonn aggressiv die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens Anfang der 90er Jahre unterstützte. Obgleich Bonn nicht zuletzt durch massive Waffenlieferungen an Kroatien dazu in der Lage war, dieses Ziel durchzusetzen, blieb ein Drittel des Territoriums seines kroatischen Verbündeten von serbischen Kräften besetzt, wodurch praktisch der Norden von den strategisch wichtigen dalmatinischen Häfen im Süden abgeschnitten gewesen war. Am Anfang des Balkankrieges konnte Deutschland noch Punktgewinne erzielen, indem es Kroatien aus dem Hinterhalt unterstützte, ohne selbst Truppen entsenden zu müssen. Aber als der Krieg im benachbarten Bosnien ausgelöst wurde, gingen die europäischen Hauptrivalen Deutschlands, insbesondere Großbritannien und Frankreich unter dem Deckmantel der UNO und schließlich vor allem die USA unter dem Schutzschild der NATO dazu über, ihre Interessen in der Region durch ihre militärische Präsenz direkt zu verteidigen. Diese Präsenz konnte um so wirksamer sein, als Deutschland militärisch und politisch noch nicht dazu in der Lage war nachzuziehen. Vor allem das militärische Engagement der USA bewirkte, daß die Position Deutschlands während der letzten beiden Jahre geschwächt wurde. Die militärischen Siege Kroatiens gegen die pro-britischen und pro-französischen Serben in der Krajina und in Bosnien, welche die Spaltung dieses Landes überwanden und die Wiederherstellung der Verbindung zwischen den dalmatinischen Häfen und der Hauptstadt Zagreb ermöglichten, waren möglich nicht dank der Unterstützung durch Deutschland, sondern durch die USA. Somit verdeutlichte das Daytoner Abkommen, das die USA dank ihrer Militärschläge in Bosnien aufzwingen konnten, die unaufschiebbare Notwendigkeit für Deutschland, seine Interessen in der Region durch eigene bewaffnete Truppen zu verteidigen. Die erste Stationierung von deutschen Sanitäts- und logistischen Einheiten in Kroatien im letzten Jahr, die noch außerhalb der Kampfzone und ohne einen Kampfauftrag erfolgte, war ein erster Schritt zur gegenwärtigen ‘friedenstiftenden’ Einheit in Bosnien selber. Bei ihrer Ankunft in Bosnien wurden diese Einheiten, die schwer bewaffnet und mit einem Kampfauftrag versehen sind, offen von den bosnischen Kroaten als Verbündete begrüßt, und die bosnischen Kroaten nahmen sofort eine aggressivere Haltung gegenüber den moslemischen Bosniern ein, womit den französischen und spanischen Truppen in der geteilten Stadt Mostar das Leben noch schwerer gemacht wurde. Und die kroatische Regierung in Zagreb belohnte die Ankunft der Bundeswehr mit der Entscheidung, die alten Boeing-Flugzeuge der Croatian Airline durch neue Airbusse zu ersetzen, deren Hauptteil in Deutschland produziert wird. Bei der Rechtfertigung dieser Entscheidung sagte der kroatische Außenminister: „Wir schulden unsere nationale Unabhängigkeit Amerika, aber unsere Zukunft liegt in Europa, und sie stützt sich auf die Grundlage unserer Freundschaft mit der deutschen und bayrischen Regierung.“ Tatsächlich hatte die kroatische Bourgeoisie schon seit langem ungeduldig auf die Ankunft der deutschen Truppen gewartet, um die Führungsrolle der USA abzuschütteln. Washington hat Kroatien sehr viel für seine Unterstützung zahlen lassen. Es waren die USA, die lange vor der Endphase des Krieges in Bosnien, vor Dayton, Bosnien und vor allem die kroatischn Kräfte daran gehindert haben, Banja Luca einzunehmen. Somit haben die USA Kroatien daran gehindert, die Serben in den Osten Bosniens zu verdrängen. Und vor allem waren es die USA, die die bosnischen Kroaten dazu zwangen, sich mit den Muslimen zu verbünden, was aber im Widerspruch zu all den kroatischen Kriegszielen in Bosnien steht. Aus der Sicht der kroatischen Bourgeoisie sind ihre Hauptfeinde nicht die Serben, sondern die Moslems, und ihr Ziel ist die Aufteilung Bosniens zwischen Kroaten und Serben auf Kosten der muslimischen Bourgeoisie. Aber die kroatischen Interessen in Bosnien stimmen vollkommen mit denen Deutschlands überein: die Sicherung des Zugangs zu den dalmatinischen Häfen. Trotz ihrer taktischen Zusammenarbeit mit den USA gegen Serbien während der letzten beiden Jahre, stehen diese gemeinsamen Interessen Bonns und Zagrebs den Interessen nicht nur der pro-serbischen europäischen Mächte und Rußlands, sondern auch der USA selbst entgegen.
Die deutsche Balkan-Offensive
Gegenwärtig kann man eine deutsche Gegenoffensive im ehemaligen Jugoslawien und auf dem Balkan beobachten, die darauf abzielt, die deutschen Punktverluste durch das Dayton-Abkommen wieder auszugleichen. Ebenso will man die amerikanischen Schwierigkeiten im Nahen Osten ausnutzen, um den deutschen Einfluß in Südosteuropa und Zentralasien auszudehnen. Die Entsendung deutscher Truppen nach Bosnien, die weit davon entfernt ist, ein isoliertes ‘friedenserhaltendes’ Ereignis zu sein, ist Teil einer extrem aggressiven imperialistischen Ausdehnung Richtung Mittelmeer, Naher Osten und Kaukasus. Dreh- und Angelpunkt dieser Politik ist die Zusammenarbeit mit der Türkei. Die Niederlage des russischen Imperialismus in Tschetschenien und die Schwächung seiner Position im ganzen Kaukasus hat auch mit dieser deutsch-türkischen Zusammenarbeit zu tun. Heute unterstützt Deutschland die Annäherungspolitik der Regierung Erbakans in Ankara an den Iran, einem anderen traditionellen deutschen Verbündeten. Auch hat Deutschland klar Stellung zugunsten der Türkei in deren Konflikt mit Griechenland bezogen. Außenminister Kinkel erklärte gegenüber der Presse am 7. Dezember 96 in Bonn: „Die Türkei ist für Deutschland das Schlüsselland für unsere Beziehungen zur gesamten islamischen Welt [....]. Wie kann man es der Türkei verübeln, wenn sie sich mehr zu ihren islamischen Nachbarn orientiert, da die Türkei bislang aus der Europäischen Union noch keinen Pfennig gewonnen hat aufgrund der Blockadepolitik.“ Als Reaktion auf dieses deutsch-türkische Zusammengehen hat Rußland den griechischen Zyprioten die Lieferung von Raketen versprochen, ohne auf einen starken Widerstand aus Washington zu stoßen. In diesem Gebiet, wo Europa und Asien zusammentreffen, vollzieht sich eine gewaltige Zusammenballung von Waffen und Spannungen.
Gleichzeitig destabilisieren die Großmächte und besonders Deutschland die Innenpolitik aller Länder auf dem Balkan. In der Türkei unterstützt Bonn den ‘islamischen’ Ministerpräsidenten Erbakan bei dessen bitterem Machtkampf mit dem pro-amerikanischen Flügel des Militärs, ungeachtet der Gefahr eines Militärputsches oder eines Bürgerkrieges. Neulich beschuldigte ein deutsches Gericht offiziell die Familie der Rivalin Erbakans, der Außenministerin Tansu Ciller, eine Schlüsselrolle im internationalen Drogenhandel zu spielen. In Serbien hat Deutschland neben den USA die serbische ‘demokratische’ Opposition unterstützt, d.h. auch die zutiefst deutschfeindlichen Draskovic und Djinic, einfach weil man das Regime Milosevics destabilisieren will. In Bulgarien, Mazedonien und Albanien beteiligen sich Deutschland und die anderen Großmächte an den oft blutigen Machtkämpfen. Aber das spektakulärste Beispiel dieser Destabilisierungspolitik ist Österreich, das sich bislang immer als ‘Insel der Seligen’ bezeichnete. Österreich war das einzige Land, das zum gleichen Zeitpunkt die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens anerkannte wie Bonn. Die meisten Fraktionen der österreichischen Bourgeoisie sind mehr oder weniger pro-deutsch. Da Österreich für Deutschland das Tor zum Balkan ist, hat Bonn versucht, Österreich in eine quasi-deutsche Kolonie zu verwandeln, indem es Banken und Betriebe aufkaufte, die österreichische Armee dazu drängte, deutsche Rüstungsgüter zu kaufen und den österreichischen christlich-demokratischen Außenminister Schüssel unterstützte, der angeblich Helmut Kohl vor jeder wichtigen außenpolitischen Entscheidung konsultiert. Dies hat eine Reihe von Koalitionskrisen in Wien sowie Widerstand unter den Sozialdemokraten hervorgerufen, die die klassische Partei der österreichischen Bourgeoisie sind. All dies hat zur Ablösung des ‘Versöhnlers’ Vranitzky durch einen neuen Bundeskanzler, Viktor Klima, geführt, der ein offenerer Gegner einer ‘Übernahme’ durch Deutschland ist.
Welche strategischen Interessen bei diesen Konflikten auf dem Spiel stehen
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 tauchten viele der strategischen Kräfteparallelogramme zwischen den Westmächten, die vor und während der beiden Weltkriege bestanden hatten, wieder auf. Das wiedererwachte ‘historische’ Ziel des modernen deutschen Imperialismus schließt die Beherrschung Österreichs und Ungarns als der Pforten zum Balkan und der Türkei als der Pforte nach Asien und dem Mittleren Osten ein, aber auch die Zerstückelung Jugoslawiens und die Unterstützung Kroatiens, damit Deutschland einen Zugang zum Mittelmeer findet. Schon vor und während des 1. Weltkriegs formulierten die berühmten Geostrategen des ‘Alldeutschen Vereins’ die Richtlinien der Außenpolitik, die auch heute nach dem Zusammenbruch der Weltordnung nach 1945 die Außenpolitik wiederum bestimmen. Ernst Jaeckh schrieb 1916: „Deutschland hat ringsum fertige Völker - längst fertige und allmählich feindliche. Im Westen Frankreich: in Revanchefeindschaft verbleibend; im Osten Rußland: in Orientfeindschaft verfallend; im Norden England: in Weltfeindschaft sich steigernd [....]. Nur südostwärts - hinter dem österreichisch-ungarischen Bundesgenossen, für den bereits Bismarck sich entschieden hat gegen Rußland - öffnet sich ein Weg zu Völkern, die noch nicht fertig sind in ihrer Staatenbildung, auch noch nicht feindlich gegen uns [....] durch den nahen Weltteil Mitteleuropa ans Mittelmeer heran und zum Indischen Ozean hin. Der Landweg über Mitteleuropa wird so der Umweg zur Übersee [....]. Und Jaeckh fügte hinzu, daß „Deutschland und die Türkei die Ecksteine sind, Österreich-Ungarn und Bulgarien den Zusammenschluß herstellen.“ Im gleichen Jahr schrieb Friedrich Naumann, ein anderer berühmter Theoretiker des deutschen Imperialismus: „Auf die Sicherheit dieses Weges muß insbesondere Deutschland alles Gewicht legen, weil seine Zusammenhänge mit der Türkei an das Vorhandensein dieser Linie gebunden sind. Wir haben ja im Kriege erlebt, welcher Schaden dadurch hätte entstehen können, daß die Serben ein Stück dieses Weges besaßen. Um dieses Weges willen erfolgte der Donauübergang der Armee Makkensen. Alles, was an der Balkanbahn liegt, liegt an der für uns notwendigen Linie Hamburg-Suez, die wir uns von niemandem dürfen sperren lassen. Was ist Bagdadbahn, was anatolische Bahn für uns, wenn wir sie nicht ohne Englische Erlaubnis erreichen können?“ (Naumann, Bulgarien und Mitteleuropa, 1916). In diesem Sinne wiederholte Paul Rohrbach, den Rosa Luxemburg als „ganz offen und ehrlich [....] halboffiziösen Wortführer des deutschen Imperialismus“ bezeichnet hat, die „notwendige Beseitigung des serbischen Riegels zwischen Mitteleuropa und dem Orient.“ (Rohrbach, England und Rußland, unsere Gegner)[i]
Der Balkan war schon der Ausgangspunkt des Ersten und eines der Hauptschlachtfelder des Zweiten Weltkriegs, auch heute wieder wird diese Region durch den Aufstieg des deutschen Imperialismus und die Bestrebungen der großen Rivalen, dem entgegenzutreten, in die Barbarei gestürzt.
Die deutsch-amerikanischen Rivalitäten in Osteuropa
Obgleich die Vereinigten Staaten und Deutschland mittels ihrer bosnischen und kroatischen Schachfiguren im ehemaligen Jugoslawien kürzlich eine taktische Allianz mit dem Ziel des Zurückdrängens Serbiens eingegangen sind, und obgleich Washington und Bonn zusammengearbeitet haben, um die Entwicklung des Chaos in Rußland zu begrenzen, sind sie zu den Hauptrivalen im Kampf um die Vorherrschaft in Osteuropa geworden. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat der russische Imperialismus gar die letzten Reste seines vorherigen Einflusses über die früheren Warschauer Pakt Staaten verloren. Obgleich die Osterweiterung der NATO und der Europäischen Union von den westlichen bürgerlichen Medien mit der Notwendigkeit begründet werden, Osteuropa vor einer möglichen russischen Aggression zu schützen, sind sie in Wirklichkeit Teil eines Wettrennens zwischen Deutschland mittels der EU und der USA mittels der NATO, um die imperialistische Vorherrschaft Moskaus durch ihre jeweils eigene zu ersetzen. In der ersten Hälfte der 90er Jahre war Deutschland dazu in der Lage, einen mehr oder weniger starken Einfluß in allen ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten mit Ausnahme der Tschechischen Republik aufzubauen. Im Mittelpunkt der deutschen Ausdehnung steht das Bündnis mit Polen, das eine starke militärische Komponente trägt. Unter dem Vorwand, Hilfe zu leisten bei der Absicherung der polnischen Ostgrenze gegen das Eindringen von illegalen Einwanderern nach Deutschland, hat Deutschland angefangen, große Teile des polnischen Militärapparates auszurüsten und zu finanzieren. So hat die polnische Regierung die Entsendung von deutschen Truppen nach Bosnien aufs wärmste begrüßt; auch hat sie versprochen, sich in Zukunft mit der Bundeswehr an Auslandseinsätzen zu beteiligen. Die Tatsache, daß ein Land wie Polen sich mit dem Wirtschaftsriesen Deutschland verbündet anstatt mit der US-amerikanischen militärischen Supermacht, zeigt, wie wenig Warschau eine militärische Invasion Rußlands fürchtet. In Wirklichkeit hofft die polnische Bourgeoisie, die weniger an ihre Verteidigung denkt, vielmehr darauf, Nutzen zu ziehen aus der deutschen Expansion nach Osten, die auf Kosten Rußlands stattfindet.
Gerade weil die USA gegenüber Deutschland in den letzten Jahren in Osteuropa soviel Terrain verloren haben, drängen diese jetzt so ungeduldig darauf, die NATO-Osterweiterung durchzuführen. Aber indem dies angestrebt wird, werden die russisch-amerikanischen Beziehungen untergraben, die ja so wichtig sind für Washington, gerade weil der erschöpfte russische Bär als einziges anderes Land noch über ein so gigantisches atomares Waffenarsenal verfügt. Gegenwärtig unternimmt die deutsche Diplomatie alles, um den Bruch zwischen den USA und Rußland zu vertiefen, indem Moskau eine Reihe von Konzessionen auf Kosten von Washington angeboten werden. Eine dieser Konzessionen war, daß keine NATO-Truppen (d.h. US-Truppen) oder Atomwaffen auf dem Gebiet der neuen NATO-Mitgliedsstaaten stationiert werden sollen. Der deutsche Verteidigungsminister Rühe schlug sogar vor, das Gebiet der ehemaligen DDR in diese Kategorie Länder einzubeziehen. Das hieße, man würde zum ersten Mal seit 1945 eine ‘no-go area’ für amerikanische Truppen in der Bundesrepublik Deutschland schaffen. Dies ist ein möglicher erster Schritt für einen eventuellen späteren Abzug der US-Truppen überhaupt. Deshalb die Wut des politischen Establishments in Washington, das angefangen hat, Berichte über die Menschenrechtslage zu veröffentlichen, wo Deutschland auf die gleiche Stufe gestellt wird wie der Iran oder Nordkorea wegen seiner Behandlung der amerikanischen Scientology-Sekte.
Der Aufstieg Deutschlands und die Krise der französischen Europa-Politik
Der Aufstieg Deutschlands zur führenden europäischen Macht steht erst an seinem Anfang. Aber jetzt schon profitiert der deutsche Imperialismus von der globalen Infragestellung der amerikanischen Führungsrolle, nachdem es nach dem Auseinanderbrechen der UdSSR keinen gemeinsamen Feind mehr gibt. Und obgleich Deutschland noch immer zu schwach ist im Vergleich zu den USA, um einen eigenen imperialistischen Block zu errichten, bedroht sein Aufstieg jetzt schon ernsthaft die europäischen Rivalen, Frankreich eingeschlossen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks strebte Frankreich anfänglich ein Bündnis mit Deutschland gegen Amerika an. Aber die Stärkung seines östlichen Nachbarn und vor allem Bonns Drang zum Mittelmeer im Balkankrieg bewogen Frankreich dazu, sich von Deutschland wegzubewegen und enger an Großbritannien anzulehnen, dies umso mehr, als dieses sich aus seinem ewigen Bündnis mit den USA löste[ii]. In den letzten Monaten dagegen haben sich Bonn und Paris wiederum angenähert. Das auffallendste Beispiel: ihre militärische Zusammenarbeit in Bosnien. Handelt es sich um eine Erneuerung des deutsch-französischen Bündnisses?
Es gibt mehrere Gründe für das neulich einsetzende Auseinanderrücken von Paris und London; einer der Gründe ist die Bestrafung, die die USA insbesondere Großbritannien auferlegt haben. Aber aus französischer Sicht hat das Bündnis mit Großbritannien eines der Hauptziele bislang verfehlt: den Aufstieg Deutschlands zu verhindern. Deutsche Truppen auf dem Balkan und die deutsche Entente mit Polen, das traditionell ein Verbündeter Frankreichs ist, sind die besten Beweise. Als eine Reaktion darauf verbündet sich Frankreich nicht erneut mit Deutschland, sondern es ändert seine Taktik im Kampf gegen Deutschland. Die neue Taktik, den Feind zu umarmen, um ihn an seiner Stärkung zu hindern, wird in Bosnien deutlich, wo die deutschen Truppen, wenn sie schon nicht am Auftauchen gehindert werden können, zumindest unter französischer Führung handeln sollen. Diese Taktik mag eine Zeit funktionieren, da Deutschland noch nicht dazu in der Lage ist, eine unabhängigere militärische Rolle zu spielen. Aber langfristig ist auch diese zum Scheitern verurteilt.
Die Verschärfung der militärischen Spannungen
Diese ganze Entwicklung verdeutlicht die blutige Logik des Militarismus in diesem Jahrhundert, in der dekadenten Phase des Kapitalismus. Durch den Zusammenbruch des Ostblocks wurde Deutschland dank seiner ökonomischen und politischen Stärke und seiner geographischen Stellung nahezu über Nacht zur führenden europäischen Macht. Aber auch solch eine Macht kann ihre Interessen nur wirksam verteidigen, wenn sie sie militärisch durchsetzen kann. Da der Kapitalismus nicht mehr ausreichend Märkte für eine wirkliche Expansion des Systems erobern kann, kann jede imperialistische Macht sich nur durchsetzen auf Kosten der anderen. Diese Situation hat schon zu zwei Weltkriegen in diesem Jahrhundert geführt - deshalb ist es der Einsatz nackter Gewalt, der letzten Endes über den Rang eines bürgerlichen Staates entscheidet. Die Ereignisse in Jugoslawien haben diese Lehre erneut verdeutlicht. Solange Deutschland keine Truppen im ehemaligen Jugoslawien stationiert hat, wird Deutschland dort trotz aller anderen Stärken den Kürzeren ziehen. Dieser Zwang, der aus dem niedergehenden System entsteht, bringt heute die weltweite Verschärfung der militärischen Spannungen hervor; er ist es, der dem deutschen Staat wie allen anderen diesen militaristischen Kurs aufzwingt.
Aber weil dieser blutige Kurs der Arbeiterklasse Verarmung und Leiden auferlegt, und damit Licht auf die Wirklichkeit dieses Systems werfen wird, wird er langfristig den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat anheizen. Auf historischer Ebene kann die Entfaltung der deutschen imperialistischen Ausdehnung ein wichtiger Faktor bei der Rückkehr des deutschen Proletariats an die Spitze des revolutionären Klassenkampfes des internationalen Proletariats werden.
DK.
[i] Alle Zitate der Geostrategen des ‘Alldeutschen Vereins’ sind entnommen aus der Dokumentation ‘Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945’
[ii] Über den historischen Bruch des Bündnisses von Großbritannien mit den USA siehe insbesondere die „Resolution über die internationale Lage“ in der Internationalen Revue Nr. 18