Die neue Weltunordnung

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Die neue Weltunordnung

Seit Anfang April breitet sich der Krieg im Irak immer weiter aus. Die Ermordung von vier US-Beschäftigten der privaten Sicherheitsfirma Blackwater und die Verstümmelung ihrer Leichen symbolisierte den Beginn einer qualitativ neuen Phase des Konfliktes im Irak. Die Koalitionsarmeen, insbesondere die Armee der USA, haben es nunmehr mit einer bewaffneten Revolte der Sunniten und – dies ist ein neuer Schritt – der Schiiten zu tun, die sich immer mehr um den jungen religiösen Prediger Al-Sadr zusammenschließen. Die ‚Wall Street‘ fragte sich: ”Ist Al-Sadr der Dreh- und Angelpunkt einer neuen islamischen Front, in der sich Sunniten und Schiiten gegen die ausländischen Eindringlinge zusammenschließen?” Die Verstrickung der imperialistischen Politik der USA im Irak läuft Gefahr, eine Allianz von Gegnern zusammenzuschmieden, die tiefgreifende Folgen für die ganze Region haben wird und die vor einigen Monaten noch als völlig undenkbar erschien. Die Hoffnungen der USA, sich auf die schiitische Bevölkerungsmehrheit im Irak zu stützen, um das Chaos einigermaßen einzudämmen und die Übergangsregierung zu kontrollieren, haben sich zerschlagen. Wenn nun die kriegerischen Zusammenstöße und das Chaos im ganzen Land immer mehr eskalieren, wird deutlich, dass die USA die Lage immer weniger im Griff haben, ja, dass die Dinge ihnen entgleiten.

Die Führungsrolle der USA wird immer mehr untergraben

Trotz der überwältigenden militärischen Überlegenheit der USA gegenüber dem Rest der Welt verfügen die USA nicht über die Mittel, ihre Gesetze im Irak durchzusetzen. Während die US-Führungsrolle auf der Welt überall geschwächt wird, wird dadurch gleichzeitig der Appetit der anderen Imperialisten angeregt. In der auseinanderbrechenden irakischen Nation sprießen bewaffnete Gruppen und Terrorbanden überall im Lande wie Pilze hervor. Diese bewaffneten Gruppen, die mehr oder weniger eigenmächtig agieren, verfolgen nur ein Ziel: die US-Besatzermacht zu vertreiben. Die Radikalisierung dieser Gruppen wird durch die Geiselnahmen von Zivilisten deutlich, denen gedroht wird, dass sie umgebracht werden, wenn die kriegführenden Staaten ihre Truppen nicht aus dem Irak abziehen. (...) Mehr noch, was die gesamten imperialistischen Spannungen und die Tendenz des Jeder für sich im Irak gut verdeutlicht, ist die Rolle von Muktar Al-Sadr. Dessen enge Verbindungen zum Iran sind gut bekannt. Sehr wahrscheinlich werden die gegenwärtigen Aufstände der Schiiten im Irak aktiv vom Iran unterstützt. Damit reagiert der Iran direkt auf den Druck, den die USA auf den Iran ausüben. Die Schwächung der USA ist so weit vorangeschritten, dass sie offiziell den Iran um Hilfe gebeten haben. Um das wirkliche Ausmaß der Zerbröckelung der US-Vormachtstellung zu ermessen, brauchen wir uns nur an die arroganten Bekundungen der USA zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns gegen den Irak vor einem Jahr zu erinnern. Am 9. April 2003 erklärte US-Vizepräsident Dick Cheney, dass die USA unter keinen Umständen der UNO die Kontrolle der Besatzung des Iraks überließen. ”Der Präsident hat deutlich wissen lassen, dass wir das nicht machen werden (...) Wir wollen lediglich, dass die UNO dort eine Hauptrolle spielt (...) Unser Ziel ist, dass wir so schnell wie möglich eine Übergangsregierung schaffen und deren Funktionsfähigkeit sicherstellen, die aus Irakern zusammengesetzt ist. Ihnen, nicht der UNO oder irgendeiner anderen ausländischen Gruppe soll die Regierungsgewalt übertragen werden.” Damals wurde der Irak von den USA neben Nordkorea, Syrien und dem Iran zur ”Achse des Bösen” oder den Schurkenstaaten gezählt. Diese Länder wurden öffentlich beschuldigt, Massenvernichtungswaffen zu besitzen und zu den Drahtziehern des Terrorismus zu gehören. Damit rückten sie ins Visier der möglichen militärischen Schläge der USA nach dem Irak-Krieg. Aber nur wenig später können wir sehen, was tatsächlich daraus geworden ist. Die USA müssen den Iran um Hilfe ersuchen. Kamal Charazi (iranischer Außenminister) sagte: ”Die USA haben den Iran um Hilfe gebeten, um zu versuchen, die Krise zu lösen und die wachsende Gewalt im Irak einzudämmen” (Meldung der AFP vom 6.4.2004). Der iranische Delegationschef in Bagdad wiederum erklärte: ”Wir sind hier, um uns ein klareres Bild von der Lage zu verschaffen und zu begreifen, was vor sich geht; keinesfalls wollen wir vermitteln.” Aus der Sicht der imperialistischen Banditen sind die Dinge klar. Alles hat seinen Preis. Und heute müssen die USA, weil sie in einer Schwächeposition sind, einen hohen Preis zahlen. Das zunehmende Chaos und die Gewalttaten im Irak lassen für die Zukunft nichts Gutes ahnen (...)

Für den US-Imperialismus scheint es im Irak keinen Ausweg zu geben. Eine Mehrheit der US-Bourgeoisie ist auch zu dieser Einschätzung gekommen. Deshalb unterstützt diese mit allen Kräften die Kandidatur des Demokraten John Kerry bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Um den Schaden im Irak zu begrenzen, ist die US-Bourgeoisie gezwungen, eine politische Lösung anzustreben (im Gegensatz zu ihren Zielen zu Beginn des Krieges). Sie muss sogar ihre imperialistischen Hauptrivalen im Rahmen der UNO Frankreich, Deutschland oder Russland mit ins Boot holen. Die Zeiten, als die USA lauthals verkündeten, dass sie in ihrem Kampf gegen die ”Achse des Bösen” und die ”Schurkenstaaten” niemand anderes brauchten, sind endgültig vorbei. Aber selbst wenn John Kerry der nächste US-Präsident würde, wäre damit überhaupt nichts gelöst (...) Die gegenwärtige Stellung der USA im Irak zwingt auch einen John Kerry die Notwendigkeit ins Auge zu fassen, die US-Truppen im Irak zu belassen. Die US-Bourgeoisie ist nicht dazu in der Lage, Mittel zu finden, um einer weiteren Abschwächung ihrer weltweiten Führungsposition zu begegnen (...)

Eine einzig mögliche Alternative: kommunistische Revolution oder Zerstörung der Menschheit

Wie immer die nächsten US-Präsidentenwahlen ausgehen und wie umfangreich auch die Umorientierungen der kriegführenden Länder sein werden, wird die fortdauernde Schwächung der US-imperialistischen Position das Chaos im Irak und den weltweiten Zerfall der gesamten Gesellschaft nur zuspitzen. Soviel Verwirrung und solch ein Eingeständnis der Machtlosigkeit seitens der größten imperialistischen Weltmacht sprechen für sich. In den nächsten Monaten werden wir noch mehr Blutbäder erwarten können. Wenn jetzt Schiiten bewaffnet kämpfen, wird das die gesamte Region, vom Iran bis Saudi-Arabien, weiter destabilisieren, da diese Bevölkerungsgruppe dort zahlenmäßig stark vertreten ist. Da in Afghanistan die Karzai-Regierung und die US-Truppen nur die Hauptstadt Kabul und deren Umgebung kontrollieren, muss die US-Regierung gute Miene zum bösen Spiel machen, wenn die Sharon-Regierung in Israel ihre bisherige Politik der gewaltsamen Eskalation fortsetzt. Das bisherige betretene Schweigen eines Großteils der US-Bourgeoisie in der UNO gegenüber der Kritik Deutschlands, Frankreichs und Russlands an der Politik Sharons, zeigt deutlich die Ziele dieser imperialistischen Mächte auf, die die Hauptkonkurrenten der USA sind. Diese Staaten sind einzig darauf erpicht, dass die USA sich so stark wie möglich im Irak festfahren, dass die USA in einer Gewaltspirale versinken, weil sie davon profitieren wollen, um an anderen Orten ihre Interessen durchzusetzen.

Die Hilflosigkeit der US-Bourgeoisie gegenüber dem irakischen Haifischbecken spiegelt das allgemeine Versinken der Gesellschaft in der kapitalistischen Barbarei wieder. Selbst die stärksten Bourgeoisien werden von diesem Prozess befallen, was sich auch auf der Ebene der Kriegsführung wiederspiegelt. Die Arbeiterklasse muss begreifen, dass diese, sich in Fäulnis befindende kapitalistische Gesellschaft nur noch solch eine Entwicklung wie die im Irak hervorbringen kann. Das trifft auf die ganze Welt und auch auf das Zentrum der Industriestaaten zu. Die Entwicklung im Irak verdeutlicht erneut, dass die Zukunft der Menschheit lautet: entweder Kommunismus oder Zerstörung jeglicher Zivilisationsformen auf dem Erdball. Tino (15.5.03).

(leicht gekürzter Artikel aus Révolution Internationale, Zeitung der IKS in Frankreich)