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Auf der letzten Diskussionsveranstaltung der IKS in Köln wurde lebhaft über die Tatsache diskutiert, daß die Krise auf der einen Seite die Arbeiterklasse weltweit immer mehr in Existenznöte bringt, daß andererseits aber die Arbeiterklasse in letzter Zeit nicht in große Abwehrkämpfe gegen die Angriffe des Kapitals eingetreten ist. Während die IKS die Ursache für dieses Auseinanderklaffen zwischen der Heftigkeit der Krise und der zögernden Reaktion der Arbeiter vor allem dem globalen Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeiterklasse zuordnet, das in den letzten Jahren nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime im Osten zu einer Schwächung sowohl der Kampfbereitschaft als auch des Bewußtseins in der Klasse geführt hat, argumentierten einige Diskussionsteilnehmer folgendermaßen. Es habe umfassende Umschichtungen innerhalb der Arbeiterklasse gegeben. Ihre Zusammensetzung, ihre Arbeitsbedingungen haben sich derart geändert, daß dies auch zu großen politischen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse geführt habe. Dieser Ansatz, dessen Befürworter vor allem Soziologen sind, hat in den letzten Jahren viel Auftrieb erhalten. Manche gehen soweit zu behaupten, die Arbeiterklasse sei gar in der Auflösung begriffen. Wir wollen uns deshalb mit diesem Standpunkt auseinandersetzen.
Gab es die Arbeiterklasse nur im vorigen Jahrhundert?
Wenden wir uns zunächst den Argumenten der bürgerlichen Soziologen und bezahlten Historiker zu. Sie geben bereitwillig zu, daß das Proletariat zu Lebzeiten von Marx und Engels, oder sogar noch von Lenin und Luxemburg, eine revolutionäre Kraft war. Sie weisen ohne Umschweife auf die revolutionären Arbeiterkämpfe von damals hin: 1848 und 1870 in Paris, 1905 und 1917 in Rußland, 1918-1923 in Deutschland. Und sie sagen: damals war das Proletariat revolutionär, im Gegensatz zu heute. Denn damals war die Arbeiterklasse wirklich arm und mußte schwerste körperliche Arbeit verrichten. Vor allem aber: die Arbeiterklasse von damals war eine wirkliche industrielle Armee, in der Produktion in Riesenbetrieben vereinigt. Und das Proletariat war eine homogene Masse, welche ungefähr dieselben Arbeits- und Lebensbedingungen teilte.
Wie die Soziologen die Arbeiterklasse weganalysieren
Es kostet unsere Soziologen nicht viel, um die DAMALIGE revolutionäre Gesinnung des Proletariats einzugestehen, denn sie teilen uns sofort triumphal mit, daß dies heute nicht mehr gilt! Und warum nicht? Hier die gängige Antwort der bezahlten Propagandisten:
- Die Vereinigung der Arbeiter am Arbeitsplatz sei gesprengt worden durch Dezentralisierung, internationale Arbeitsteilung, das Wiederaufleben des Kleinbetriebes, durch Zulieferbetriebe, Subunternehmertum und Leiharbeit.
- Die industrielle Armee des Proletariats sei dermaßen dahingeschmolzen, daß die sog. "Tertiarisierung", d.h. die Beschäftigung im Dienstleistungsbereich, jetzt zum überwiegenden Bereich der Arbeiterklasse wird.
- Die Homogenisierung der Arbeits- und Lebensbedingungen, welche laut der marxistischen Theorie durch die Krise vorangetrieben wird, hat einer rasanten Heterogenisierung weichen müssen, so daß die Arbeiterklasse enorm differenziert, aufgesplittert ist zwischen hochqualifizierten und hochbezahlten Spezialisten einerseits und "Prekär-Beschäftigten" bzw. den Arbeitern der Billiglohnländer und -bereiche andererseits, zwischen Beschäftigten und Langzeitarbeitslosen usw.
Mit anderen Worten: das Proletariat sei heute viel zu sehr nach Einkommen, Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen gespalten; sein industrieller Kern viel zu klein geworden, um noch eine revolutionäre Kraft darstellen zu können.
Der Widerhall der Soziologen bei den Operaisten
Während der durchschnittliche bürgerliche Soziologe über seine, den Fortbestand des Kapitalismus scheinbar stützende Schlußfolgerung jubelt, gibt es auch linksgerichtete Vertreter dieser Zunft, welche "mit Bedauern" zu derselben Schlußfolgerung kommen. Aber es gibt sogar Leute, welche sich als Revolutionäre ausgeben (und vielleicht sogar daran glauben, welche zu sein), aber in genau dieselbe reaktionäre soziologische Kerbe hauen. So z.B. die sog. Operaisten in Italien, oder Leute wie Karl-Heinz Roth und die Wildcat-Kreise in Deutschland. Diese Leute sind keine Marxisten. Für sie sind die kapitalistische Krise, oder die wirtschaftliche und militärische Konkurrenz zwischen Teilen der Bourgeoisie, zu vernachlässigende Größen. Sie glauben, daß die ganzen Änderungen in der "Zusammensetzung" der Arbeiterklasse, welche sie zusammen mit den anderen Soziologen zu erkennen meinen, vom Kapital ausschließlich herbeigeführt wurden, um die Arbeiterklasse zu schwächen. Sie sprechen nicht vom "Niedergang" der Arbeiterklasse sondern von ihrer "Krise" bzw. ihrer "Neuzusammensetzung". Dennoch: ob man die "Dezentralisierung" und "Tertiarisierung" der Arbeiterklasse als das Ergebnis der "neuen Revolution der Informationsgesellschaft" wie die linken Uniprofessoren, oder ob man diese "Informationsgesellschaft" als das Mittel auffaßt, womit das Kapital sein angebliches Ziel der "Dezentralisierung" und "Tertiarisierung" der Arbeiterklasse auffaßt, dies ist letzten Endes einerlei. Wesentlich ist die soziologische Methode, die Arbeiterklasse abzuschreiben.
Veränderungen in der Arbeiterklasse ja, aber nicht deren Aufhebung
Gegenüber dieser Auffassung stellen wir folgendes fest:
- Diese soziologische Methode, die Arbeiterklasse abzuschreiben, ist nichts neues. Schon um die Jahrhundertwende versuchten die politischen Gegner des Marxismus dasselbe nachzuweisen. z.B. der Revisionismus von Bernstein, welcher die verstärkte "Differenzierung" der Arbeiterklasse in den Mittelpunkt stellte. Diese Theorien wurden bereits durch den 1. Weltkrieg und die darauffolgenden revolutionären Arbeiterkämpfe widerlegt.
- Der Marxismus hat die Differenzierung der Lebens- und Arbeitsbedingungen innerhalb des Proletariats nie verneint, sondern sogar ihre Unvermeidbarkeit nachgewiesen. Er hat aber nie eine Identität der Lebens- und Arbeitsbedingungen zwischen allen Teilen der Klasse als eine Bedingung der Revolution angesehen. Wichtig ist, daß die Bedingungen aller Arbeiter sich rasant verschlechtern, damit eine revolutionäre Situation entstehen kann, und nicht daß es überall dieselben Bedingungen gibt! Den Schlüssel hierfür liefert die marxistische Untersuchung der kapitalistischen Wirtschaftskrise, und nicht die "militante Untersuchung" der verschiedenen Arbeitsplätze, welche die anti-marxistischen Operaisten propagieren.
- Trotz Desindustrialisierung und Tertiarisierung als Folge der kapitalistischen Niedergangskrise bleibt der industrielle Kern der Arbeiterklasse heute weltweit stärker und umfangreicher als jemals früher.
- Durch die Entwicklung der vergesellschafteten und industrialisierten Arbeit, die er an die Stelle der individuellen Arbeit gesetzt hat, hat der Kapitalismus die Arbeiterklasse nicht nur am Arbeitsplatz, in den einzelnen Betrieben, sondern weltweit durch die internationale Arbeitsteilung vernetzt. Während die Soziologen behaupten, die Arbeiter seien heute in der Produktion nie so isoliert von einander gewesen, trifft genau das Gegenteil zu.
- Die wirklichen Ursachen der unbestreitbaren Schwierigkeiten der Arbeiterklasse liegen nicht in einer angebliche "Krise" aufgrund ihrer "Zusammensetzung", sondern im politischen Bereich - auf der Ebene des Klassenbewußtseins. Gerade dieses Bewußtsein wird heute massiv angegriffen durch die "Thesen" einer "Krise" der Arbeiterklasse und von der "Überholtheit" des Marxismus.
Wir sind davon überzeugt, daß man der Arbeiterklasse nur aus ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten heraushelfen kann, wenn man ihre revolutionäre Theorie, den Marxismus, vorbehaltlos verteidigt. Dazu gehört an erster Stelle. die marxistische Auffassung von der Arbeiterklasse.
Widerhall der Soziologen bei den Revolutionären
Diese absurde soziologische Theorie hat neulich ihren Widerhall im revolutionären Milieu gefunden. So hat Battaglia Comunista dazu einen Artikel in ‘Communist Review’ (die es gemeinsam mit der CWO auf Englisch herausgibt) veröffentlicht. Schon immer hat Battaglia genau wie Programma Comunista behauptet, daß wir uns trotz der Kämpfe seit Ende der 60er Jahre nach wie vor in der Phase der Konterrevolution befinden, die Mitte der 20er Jahre nach der Niederschlagung der revolutionären Kämpfe von 1917-23 anfing. Denn die Partei habe ihren Einfluß über die Massen nicht zurückgewinnen können. Jetzt heißt es aber, die Schwächen des Klassenkampfes seit Ende der 80er Jahre seien auf die Entwicklung der Informatik, auf die Entqualifizierung und Dezentralisierung der Arbeitsplätze, die Tertiarisierung sowie die Entwicklung der Massenarbeitslosigkeit zurückzuführen. Die Auswirkungen des Zusammenbruchs im Osten werden nur beiläufig als ein sekundärer Faktor erwähnt. Merkwürdigerweise wird in diesem Artikel die Arbeitslosigkeit als Erpressungsmittel aber nicht als Ausdruck der Krise angesprochen.
Zwar zieht Battaglia daraus nicht direkt die Schlußfolgerung einer "Krise der Arbeiterklasse". Aber es bleibt nicht weit davon entfernt. Die Änderungen innerhalb der Arbeiterklasse werden noch länger Schwierigkeiten für das Proletariat mit sich bringen, heißt es dort. Kein Wunder! Denn die angeführten Phänomene sind kaum als vorübergehend zu betrachten! Die FECCI hingegen, die sog. "externe Fraktion" der IKS, hat schon lange die Seiten ihrer "Internationalist Perspectives" mit Humbug gefüllt über die "Krise des Proletariats" aufgrund der soziologischen "Neuzusammensetzung".
Weshalb ist das Proletariat eine revolutionäre Klasse?
Entscheidend sind 2 Faktoren. Erstens die vollständige Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln. Grundlage dafür die Lohnarbeit. Hier liegt die Quelle der spezifisch kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats, die von Marx im Band I des Kapital aufgedeckt wird. Zweitens aber die Vergesellschaftung der Arbeit. Aus individuellen werden kollektive Arbeitsmittel. Dies bedeutet, daß die Aufhebung der Trennung zwischen Produzenten und Produktionsmittel nicht mehr individuell sondern nur gemeinsam erfolgen kann, durch die kollektive Inbesitznahme durch das Proletariat. Daraus folgt das kollektive, kooperative, solidarische, internationalistische, bewußte Wesen des Proletariats. Entscheidend ist also nicht, ob mehr mit der Hand oder mit dem Kopf, ob am Fließband oder in Gruppenarbeit, ob mit konventioneller oder mittels computergesteuerter Maschinen und Werkzeugen produziert wird. Entscheidend ist, daß diese Produktion vergesellschaftet, auf der Grundlage der Lohnarbeit, der kapitalistischen Ausbeutung erfolgt. Dieses Wesen des revolutionären Proletariats hat sich nicht geändert. Es hat sich auch nicht "neu zusammengesetzt".
Dabei spielt natürlich die Konzentration des Kapitals und der Arbeiterklasse eine große Rolle. Nur ist diese Konzentration der Klasse nicht in erster Linie als eine physische, im Sinne von gemeinsamem Arbeiten innerhalb ein- und derselben Fabrik gedacht. Natürlich hängt das irgendwie zusammen. Vergleichen wir aber z.B. die Arbeiterklasse in Ost- und Westeuropa vor "der Wende" miteinander, so sehen wir, daß im Osten die Klasse viel stärker in Riesenfabriken und Kombinaten zusammengeballt war, während im Westen der Trend zu kleineren, voneinander örtlich getrennten Betrieben viel stärker war. Wo aber war die Klasse stärker konzentriert? Eindeutig im Westen! Was macht diese Konzentration z.B. in Westdeutschland aus? Die Dichte der Vernetzung aller Produktionsstätten miteinander, wofür gerade die Entwicklung der Informatik, des Transportsystems, die hochgradige Arbeitsteilung steht. Es ist also nicht die Konzentration am einzelnen Arbeitsplatz, die entscheidend ist, sondern die tatsächliche Verknüpfung aller Arbeitsplätze miteinander durch die wirkliche Konzentration des Kapitals. Außerdem sind diese Verknüpfungen nicht lokal, sondern international. Die westlichen Industriestaaten erscheinen wie Mittelpunkte von weltumspannenden Werkstätten und Märkten - im Osten war dies nicht der Fall. Es stimmt tatsächlich, daß die westliche Bourgeoisie an einer Dezentralisierung der Produktionsstätten interessiert ist, und daß dies neben wirtschaftlichen auch militärstrategische und soziale Gründe hat. Aber das Kapital kann damit die wirkliche Konzentration des Proletariats nicht rückgängig machen, welche mit der Konzentration des Kapitals selbst einhergeht. Deshalb bleibt die Bourgeoisie weit entfernt davon, sich auf die "Verkleinerung" des Einzelbetriebs verlassen zu können, sondern ist in erster Linie auf die Gewerkschaften angewiesen, um die Klasse zu spalten! Aber dieser entscheidende Punkt bleibt ein Buch mit 7 Siegeln für alle, die das revolutionäre Wesen des Proletariats nicht begreifen.
Die Fragen der Zusammensetzung der Arbeiterklasse sind nicht unwichtig. Es ist bedeutsam, daß z.B. die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes seit einem Dutzend von Jahren oft eine Vorhut des Klassenkampfes geworden sind. Oder die weitaus größere Integration der "white collar workers" seit 1968 mit großen Streikbewegungen der Lehrer oder Bankangestellten. Das Gewicht der Bergarbeiter in den Industriestaaten hat hingegen abgenommen. Natürlich ist auch die Entwicklung sowie die "Zusammensetzung" der Arbeitslosen sehr wichtig zu verfolgen. Aber diese Änderungen berühren keineswegs das revolutionäre Wesen der Klasse.