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Der Anarchismus findet in letzter Zeit wieder vermehrten Zulauf, insbesondere von jüngeren Menschen. Dies findet in einer Situation statt, wo der Kapitalismus immer offensichtlicher auf die Zerstörung der Menschheit zusteuert. Viele Leute, die sich Gedanken über eine Alternative zu diesem zerstörerischen System machen, wissen heute nicht, wo sie ansetzen sollen. Der Marxismus scheint gescheitert zu sein, die Arbeiterklasse ist nicht wahrnehmbar als eine Klasse, die der Menschheit eine neue Perspektive geben kann. So stösst man am ehesten noch auf den Anarchismus, der in seiner Radikalität und Unbeflecktheit sich scheinbar als Alternative zum Kapitalismus anbietet. Ist der Anarchismus aber tatsächlich eine Alternative zum Kapitalismus?
Zur Veranstaltung kamen Leute mit sehr verschiedenen Auffassungen und Vorstellungen.
Was tun?
Anarchistische Elemente und Gruppierungen engagieren sich heute stark in den sogenannten antikapitalistischen Bewegungen, die an verschiedenen Brennpunkten der Welt gegen die WTO, die EU oder allgemein gegen die ”Globalisierung” auftreten.
Die ”Globalisierung” ist aber schon seit Anbeginn ein permanentes Merkmal des Kapitalismus gewesen. Der Wunsch nach dem Schutz von kleinen Betrieben und Entwicklungsländern drückt zwar die Hoffnung von bestimmten kleinbürgerlichen Schichten innerhalb des Kapitalismus aus, einen vernünftigen Kapitalismus zu errichten, entspricht aber keineswegs dem Werdegang und der Entwicklung des Kapitalismus. Ein Kapitalismus ohne Ausschaltung der Konkurrenten, ohne Zentralisierung bis zur heutigen Entwicklung und Stufe des allesfressenden Staatskapitalismus ist eine bare Illusion.
Die von den Anarchisten hochgehaltene ‚Propaganda der Tat‘ als politisches Programm bietet der Menschheit keineswegs einen gangbaren Weg, um den Kapitalismus zu verändern. Die aus dem Mittelalter entlehnten Konzepte der Bauernaufstände zur Zeit der kleinwirtschaftlichen Produktion oder des auslaufenden Handwerkertums im 18. und 19. Jahrhundert werden als die letzten Errungenschaften der revolutionären Theorie und Praxis verkauft.
Die Arbeiterklasse und ihre politischen Bewegungen, die sich vor allem in ihren internationalen Organisationen manifestieren (Erste, Zweite und Dritte Internationale, besonders ihre linken Flügel) haben diese Konzepte und Auffassungen aber schon längst auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen.
Dass der Anarchismus mit seinen überholten Entwürfen der Theorie und Praxis der Arbeiterklasse nichts anbieten kann, war der Ausgangspunkt unserer Veranstaltungen.i Wir halten weiterhin an der Arbeiterklasse als der einzig revolutionären Klasse im Kapitalismus fest, die auch eine Alternative zum Kapitalismus erkämpfen kann.
Mit unseren Veranstaltungen in mehreren Ländern bieten wir den politisierten Menschen eine Möglichkeit, die einzig wirkliche, historische Perspektive kennenzulernen. Der Gleichsetzung von Stalinismus und Kommunismus, wie das die herrschende Klasse propagiert und auch von den Anarchisten unterstützt wird, setzen wir unsere Auffassung des Kommunismus entgegen, die mit diesen ideologischen Verzerrungen aufräumt.
Lebendige Diskussion als ein Mittel der politischen Klärung
Die IKS eröffnete die Veranstaltung mit einer ausführlichen Einleitung über die Geschichte des Anarchismus.
Nach einigen Diskussionsbeiträgen zeigte sich, dass Teilnehmer mit unterschiedlichen Interessen anwesend waren. Die meisten von ihnen aber stellten die Frage in den Vordergrund: ”Wie soll man den Kapitalismus bekämpfen?” Es lag auch auf der Hand, dass nicht alle mit unseren Positionen und Ausführungen einverstanden waren. Es dauerte nicht lange, bis ein Teilnehmer engagiert andere Ansichten über den Anarchismus in die Diskussion einbrachte. Wir fanden es wichtig, dass einer der ersten Beiträge die Position der Anarchisten verteidigte. Solche Interventionen beleben Diskussionsveranstaltungen und zeigen, dass es in der Arbeiterklasse üblich ist, kontroverse politische Auffassungen einander gegenüberzustellen.
Es gab aber auch ganz grundsätzliche Fragen. Einige Teilnehmer wollten wissen, was den Anarchismus vom Kommunismus unterscheidet. Die IKS hob hervor, dass das Ziel einer humanen und klassenlosen Gesellschaft sowohl dem Anarchismus als auch dem Kommunismus eigen ist. Was uns allerdings von den Anarchisten unterscheidet, ist die Einsicht in die Notwendigkeit einer Übergangsphase nach dem Sturz des Kapitalismus. Diese Übergangsgesellschaft hat noch Merkmale der alten Gesellschaft, wie Marx festgestellt hatte. Sie hat aber nichts zu tun mit den stalinistischen staatskapitalistischen Monstren des ehemaligen Ostblocks. Ganz anders als diese totalitären Bürokratien muss der Staat in der Übergangsperiode absterben.
Schon der historische Anarchismus hat nie begriffen, weshalb es eine Übergangsphase nach der proletarischen Machtübernahme braucht. Die Diktatur des Proletariats bedeutet nicht die Unterdrückung der ganzen Gesellschaft, sondern vor allem die Unterdrückung der ehemals herrschenden Klasse, der Bourgeoisie. Das Ziel ist letztlich die Auflösung der Klassen, somit auch des Übergangsstaates, der nur ein notwendiges Übel auf dem Weg zum Kommunismus ist.
Die Isolierung der proletarischen Bastion in Russland und der daraus folgende Niedergang der Russischen Revolution brachten einen neuen Staat hervor, der nichts mit dem eben beschriebenen absterbenden Übergangsstaat zu tun hatte. Im Gegenteil, der neue Staat in Russland begann sogleich die Bevölkerung und insbesondere die Arbeiterklasse mehr und mehr zu kontrollieren und zu terrorisieren.
Das war Wasser auf die Mühlen der anti-kommunistischen Propaganda, die sich die Anarchisten vor allem heute, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, wieder zu Nutze machen.
Jedem nach seinen Bedürfnissen statt Kleinhandel
Ein anderer Unterschied zu den anarchistischen Vorstellungen liegt in der Frage, wie der Kommunismus organisiert sein wird, bzw. ob schon innerhalb des Kapitalismus ‚Inseln‘ des Kommunismus errichtet werden könnten. Ein Teil der Anarchisten ist der Auffassung, dass die Produktion in möglichst kleinen und voneinander unabhängigen Kollektiven organisiert sein soll.
Der Kapitalismus ist eine weltumfassende Produktionsweise, die keine andere neben sich duldet. Solange dem so ist, wird es nicht möglich sein, andere ökonomische Produktionsweisen zu etablieren. Etliche historische Versuche haben das bewiesen. Bereits Marx und Engels haben dies in ihren Auseinandersetzungen mit Proudhon und Owen dargelegt. Zum Beispiel sind die Konsumgenossenschaften (wie Coop in der Schweiz), die damals von der Arbeiterbewegung gegründet wurden, heute normale bürgerliche Betriebe.
Das 20. Jahrhundert ist voller Beispiele, die belegen, dass weder die regionale und nicht einmal die landesweite Besetzung von Fabriken und Betrieben den Kapitalismus erschüttern kann, solange er weltweit das herrschende System ist.
Die politisch wichtigsten Beispiele, die aufzeigen, dass die Selbstverwaltung im Kapitalismus nicht funktioniert, kommen aus dem 20. Jahrhundert. Alle Versuche von Fabrikbesetzungen, wie anfangs der 20er Jahre in Italien oder in Deutschland, wo die Arbeiter vermeinten, es genüge, Betriebsrätegesetze zu entwickeln, sind kläglich gescheitert.
Das wohl bei den Anarchisten bekannteste Beispiel - die Kollektivierung in Spanien Mitte der 30er Jahre - endete gleichsam in einem Debakel.
Jener Teilnehmer, der die anarchistischen Positionen verteidigte, setzte die stalinistische Planwirtschaft mit dem Kommunismus gleich und meinte, dass dies die abgehobene Sichtweise der Marxisten beweise. Abgesehen davon, dass gerade in den 30er Jahren grosse Teile der anarchistischen Bewegung mit den Stalinisten zusammen die spanischen Republik anführten, hat die staatskapitalistische Planung, die von zentralen Organen der Bourgeosie geleitet wird, nichts mit der Diktatur des Proletariats zu tun.
Die Diktatur des Proletariats, d.h. die Leitung der Übergangsgesellschaft von der unteren Phase des Kommunismus in die höhere Phase, wird von den Arbeiterräten ausgeübt. Die Planung findet also nicht etwa in abgehobenen Organen statt, wie das die Anarchisten behaupten, sondern wird durch die Arbeiterräte aufgestellt (siehe hierzu auch unsere Broschüre Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus).
Was aber klar sein muss: Eine Gesellschaft, die nach den Bedürfnissen der Menschheit produziert (eben der Kommunismus, die klassenlose Gesellschaft), kann nicht aus autarken Kollektiven bestehen. Im Kommunismus gilt: Jeder arbeitet nach seinen Fähigkeiten (so dass “Arbeit” auch nicht mehr mit dem gleichzusetzen ist, was wir heute als solche bezeichnen), und jedem wird gegeben, was er braucht. Die autarken Kollektive (wie sie vielen Anarchisten vorschweben) würden weiterhin eine auf Tausch basierende Warenwirtschaft aufrechterhalten, was ja letztlich auch die Grundlage des Kapitalismus ist. Man würde letztlich versuchen, das Rad der Geschichte ins Mittelalter zurückzudrehen, wo diese kleinwirtschaftliche, kleinbürgerliche Produktionsweise entstanden und die Geburtsstätte des Kapitalismus gewesen war.
Ein Ort der Debatte
Ein wichtiger Teil der Diskussion berührte die Frage, wie man über solche kontroversen Themen und historischen Positionen diskutiert. Ein Teilnehmer meinte, dass wir alle stalinistische Umgangsformen hätten, indem wir immer das Negative der anderen Position hervorheben. Wir unterstützen die Sorge des Teilnehmers insofern, als sie das Verlangen nach Diskussionsbereitschaft und Offenheit gegenüber anderen Position ausdrückt. Die marxistische Methode konfrontiert die unterschiedlichsten Positionen, aber sie vereint nicht Unvereinbares unter einem Hut. In diesem Sinne konnten in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts auch nur die Marxisten, namentlich die marxistische Linke, die richtigen Kritiken und Lehren aus dem Niedergang der Russischen Revolution und der revolutionären Welle ziehen. Die tragischen Fehler z. B. im Kronstädter Aufstand konnten nur von der Kommunistischen Linken in den 30er Jahren in den richtigen Rahmen gestellt werden.
Die anarchistischen Strömungen versuchen, den Niedergang der Russischen Revolution, die negativen Entwicklungen und Erfahrungen, die in den 30er Jahren in Spanien gemacht wurden, dem angeblich autoritären Charakter des Marxismus unterzuschieben.
Dagegen analysierten die Marxisten genauestens das Kräfteverhältnis zwischen Weltbourgeoisie und Proletariat. Daraus zogen sie den Schluss, dass im Falle Kronstadts die Partei sich auf die Seite des Proletariats hätte stellen müssen, weil der Staat sich verselbständigt hatte. Bezüglich des spanischen Bürgerkriegs war den Linkskommunisten klar geworden, dass dieser zwar noch ein letztes Aufbäumen der revolutionären Welle nach 1923 darstellte (wie in China der ”Aufstand von Schanghai” 1927), dass aber die Revolution nicht mehr auf der Tagesordnung stand, weil in den wichtigsten Ländern des Kapitalismus die Arbeiterklasse niedergeschlagen war. So wie es einem weit grösseren Land wie der Sowjetunion nicht möglich gewesen war, den ”Sozialismus in einem Land” zu errichten, so unmöglich war es, ohne Rücksicht auf das internationale Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat in Spanien autarke Kollektive aufzubauen. Die Genossen von Bilan beteiligten sich nicht an der Sackgasse der ”Kollektive”, sondern hielten konsequent an den marxistischen Prinzipien fest: ”(...) da es nicht die Machtfrage stellen kann, muss sich das Proletariat in seinen Tageskämpfen um begrenztere, aber immer noch klassenmässige Ziele scharen (...) Statt sich der langfristigen Änderung der Arbeiterforderungen zu widmen, ist es die vordringliche Pflicht der Kommunisten, die Umgruppierung der Arbeiterklasse um ihre Klassenforderungen und innerhalb ihrer Klassenorganisationen, den Gewerkschaftenii, zu betreiben.”
Auch in einer solchen Situation, wo die Arbeiterklasse zerschlagen war und die Tendenz Richtung Weltkrieg wies, konnten allein die Marxisten, die sich als Opposition in der Komintern, als Linkskommunisten, gesammelt hatten, dem Proletariat die richtigen Antworten geben. Es ging zu dieser Zeit um die ‚Bilanzierung‘ der Niederlage der Arbeiterklasse und um die Verteidigung der unmittelbaren Lebensverhältnisse des Proletariats.
Die Verkennung der Situation führte die Anarchisten wie schon so oft auf die Seite der Bourgeoisie. An der Führung der bürgerlichen Republik war ihr früherer politischer Erzfeind, der Stalinismus, mit beteiligt. Indem sie die bürgerliche Republik gegen Franco verteidigten, verteidigten sie die stalinistischen Henker, die mit an der Spitze der Republik standen.
Die ”Propaganda der Tat”, der blinde Aktionismus, der nicht erkennt, wer Freund, wer Feind ist, führte die Anarchisten immer wieder in die Arme der Bourgeoisie. Die Lehren aus der Geschichte können uns nicht egal sein. Es kommt darauf an, die Geschichte nicht als etwas Abstraktes, sondern im Sinne einer Handlungsanleitung für das Proletariat gegen den Kapitalismus zu verwenden. Darum ist es äusserst wichtig, gerade in einer solchen Veranstaltung die historische Dimension miteinzubeziehen.
Es ist uns klar, dass wir viele dieser Ausführungen erst in diesem Bericht über die Veranstaltung machen können. Auch sind andere Themen, die sehr wichtig sind, wie ”Was tun?”, hier nicht mehr aufgegriffen und in der Veranstaltung selbst nicht gross diskutiert worden. Wir gehen aber wie Liebknecht davon aus, dass man ”zuerst Klarheit, dann Einheit” anstreben muss. In diesem Sinne freute uns natürlich der zum Platzen voll gefüllte Raum. Das zeigt auf, dass es viele suchende Menschen gibt, die eine Alternative zum Kapitalismus diskutieren wollen. Dies wurde dann auch in der „Schlussrunde“ deutlich, die wir jeweils am Ende einer Veranstaltung machen und wo die Teilnehmer ihre Ansicht über die Veranstaltung äussern können.
Es wurde ausnahmslos geäussert, dass das Diskussionsklima sehr gut gewesen sei. Andere bemängelten, dass man zu wenig über die aktuellen Entwicklungen diskutiert habe.
Für uns ist klar, dass die historischen Lehren der Kämpfe und Niederlagen der Arbeiterklasse der politische Kompass für die zukünftigen Klassenkämpfe sein müssen. Die Klassenautonomie kann nur mit diesem politischen Kompass aufrechterhalten bleiben. 2.1.01, Re/Ko
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i Zum gleichen Thema fanden und finden öffentliche Veranstaltungen der IKS auch in anderen Städten in verschiedenen Ländern statt.
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ii Die Italienische Linke hatte ihre Position zu den Gewerkschaften noch nicht so weit geklärt wie die Deutsch-Holländische-Linke. Letztere ging davon aus, dass die Gewerkschaften Organe des Kapitals geworden waren, was auch unserer Position entspricht. Wichtig ist aber die Aussage von Bilan, nicht das Klassenterrain des Proletariats mit dem bürgerlichen Terrain zu vertauschen.