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Cajo Brendel, der letzte noch lebende Vertreter der deutsch-holländischen Linken - eine der historisch bedeutendsten linkskommunistischen Strömungen, hielt im November 1998 eine Veranstaltungsreihe von öffentlichen Diskussionen in Deutschland ab. Er führte in Berlin drei Diskussionsabende durch: über die Stellung der Rätekommunisten zur russischen Revolution und zum Bolschewismus; über die Kämpfe in Spanien der 30er Jahre sowie über die Perspektiven des kommenden Jahrhunderts. Aber auch in Dresden und Köln trat er auf. Jeweils 50 bis 100 Teilnehmer nahmen an den Meetings teil - eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, welche Mühe sich die Herrschenden seit jeher gegeben haben, die bloße Existenz des Linkskommunismus zu verschweigen. Auch die IKS nahm an den ersten beiden Treffen in Berlin sowie an der Veranstaltung in Köln teil. Tatsächlich ermöglichte Cajo Brendels Auftreten, dass in Deutschland eine größere Anzahl politisierter Leute von den Positionen der Kommunistischen Linken erfuhr als jemals zuvor in den letzten Jahren. Dank dieser Veranstaltungsreihe hörten junge Menschen z.B. aus Berlin oder Dresden von einer Strömung der Arbeiterbewegung, die ursprünglich nicht zuletzt in diesen Städten entstanden war, welche bei der Gründung der KPD Ende 1918 die Mehrheitsposition der Partei mitten in der Revolution darstellte, heute aber fast unbekannt ist, weil die Konterrevolution sie unter einem Berg von Leichen und Lügen begrub.
Brendel verteidigt revolutionäre Positionen
Durch seine Referate und Diskussionsbeiträge bewies Cajo Brendel unserer Meinung nach, dass die "klassischen" politischen Stellungnahmen der deutsch-holländischen Linken nicht an Aktualität verloren haben, auch wenn, wie Cajo mit Marx sagte „unsere Theorie kein Dogma, sondern Leitfaden zum Handeln ist“. Wie die u.a. von Anton Pannekoek und Hermann Gorter ins Leben gerufene sog. "holländische Schule des Marxismus" es seit jeher getan hat, entlarvte Genosse Brendel den bürgerlichen Charakter des Parlamentarismus, der Gewerkschaften, der Sozialdemokratie, aber auch den staatskapitalistischen Charakter des untergegangenen Ostblocks. Und während staatskapitalistische Strömungen wie Stalinismus oder Trotzkismus die neue Rot-Grüne Regierung in Deutschland als einen Fortschritt für die Arbeiterklasse begrüßt haben, zeigte Brendel das zutiefst arbeiterfeindliche Wesen dieser Regierung auf.
Von diesen marxistischen Positionen ausgehend, war Brendel vor allem in der Lage, zukunftsweisende Perspektiven zu entwerfen. Er zeigte auf, dass der Marxismus kein totes Dogma, sondern eine lebendige Methode ist, um die sich stets wandelnde Wirklichkeit zu erfassen. Er zeigte auf, dass die Arbeiterklasse weder geschlagen ist noch von der Bühne der Geschichte abgedankt hat, dass der Klassenkampf lebendig ist und sich trotz aller Schwierigkeiten fortentwickelt. Es gibt heute keine andere revolutionäre Kraft als das Proletariat – vor allem dies war das Bekenntnis dieses alten Kämpfers für die Sache des Kommunismus. Er vertrat diese Überzeugung, ohne die Arbeiter zu idealisieren: das Proletariat kämpft und wird kämpfen, sagte er, weil seine Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess ihm keine andere Alternative lässt.
Gegenüber dem heute wieder in Mode gekommenen "Voluntarismus", erklärte Brendel, dass der Wille zur Revolution nicht reicht, um die Revolution tatsächlich machen zu können. Die Revolution setzt die objektive wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise des Systems voraus. Es ist die Aufgabe der Revolutionäre, die Widersprüche des Systems zu studieren, das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu analysieren, um die Dynamik des Klassenkampfes zu begreifen. Analyse statt Wunschdenken und Spekulation. Dies ist bezeichnend für Brendels Zugang zur Geschichte.
Vor allem zeigte er auf: 1989 war nicht der Zusammenbruch, sondern der Sieg des Marxismus. Für Cajo Brendel als Vertreter des Rätekommunismus ist der Marxismus die einzig mögliche Methode, zum richtigen Verständnis des Stalinismus, nämlich als logischer Phase einer bürgerlichen Revolution in Russland. (siehe dazu „N. Lenin als Stratege der bürgerlichen Revolution“ von Cajo Brendel, in Schwarze Protokolle Nr. 4, April 1973)
Das Verständnis des 20. Jahrhunderts und die Frage des Determinismus
Die Aussagen Cajo Brendels lösten auch kontroverse Diskussionen aus. Dies war auch ganz in seinem Sinne. Die Frage der Einbettung der großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts in ein globales Verständnis der geschichtlichen Periode sowie des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen wurde aufgeworfen, insbesondere - aber nicht nur - auf der Veranstaltung über die Klassenkämpfe in Spanien von 1931-1939. Für Brendel war eine siegreiche proletarische Revolution damals in Spanien vor allem deshalb nicht möglich, weil ein moderner Kapitalismus in Spanien noch fehlte. Für eine detaillierte Darstellung Brendels Position zu Spanien siehe seine Schrift (die zusammen mit Henri Simon verfasst wurde) "De l’antifranquisme à l’après franquisme: Illusions politiques et lutte de classes“, Edition Spartacus.
Für Cajo Brendel gibt es gewisse Parallelen zwischen dem Spanien der 30er Jahre und dem Russland im Jahre 1917: es handelte sich also in beiden Fällen um bürgerliche Revolutionen.
Ein Teilnehmer wies darauf hin, dass das Spanien der 30er Jahre durchaus noch überwiegend ein Agrarstaat war, dass aber dort die Landwirtschaft sowohl wie die Industrie auf kapitalistischer Grundlage betrieben wurden. Die Hauptkritik an Brendels Auffassung, derzufolge damals vor allem die bürgerliche Revolution noch auf der Tagesordnung stand, wurde aber von ehemaligen Genossen der Gruppe "Die soziale Revolution ist keine Parteisache" geübt (seinerzeit die erste, wenn auch kurzlebige Organisation der Kommunistischen Linken, welche nach 1968 in Deutschland gegründet wurde). Cajo Brendel betrachte die Ereignisse in Spanien zu sehr für sich isoliert vom internationalen und historischen Rahmen, sagten diese Genossen. Die Frage, warum die Arbeiterkämpfe in Spanien keine Arbeiterräte hervorbrachten und in einer Niederlage enden mussten, kann nur durch die internationale Situation erklärt werden. Die Arbeiterräte in Russland, Deutschland und Mitteleuropa am Ende des 1. Weltkrieges, argumentierten die Genossen, waren der Beweis dafür, dass die proletarische Revolution nun auf der Tagesordnung stand - nicht lokal sondern weltweit. Weil aber nicht das Proletariat, sondern die sozialdemokratische und stalinistische Konterrevolution siegte, fanden die Kämpfe im Spanien im Schatten der Niederlage des Weltproletariats statt. Während also die revolutionären Kämpfe von 1917-18 den 1. Weltkrieg beenden konnten, bildeten die Auseinandersetzungen in Spanien den unmittelbaren Auftakt zum 2.imperialistischen Weltkrieg.
Damit unterzogen die Genossen aus Berlin die Auffassung Brendels einer zweiten wichtigen Kritik: die Tatsache, dass die revolutionären Arbeiterkämpfe in einer Niederlage enden, ist an und für sich kein Beweis, dass die proletarische Revolution noch nicht auf der Tagesordnung der Geschichte stand. Es kann keine proletarische Revolution geben, ohne dass die objektiven Bedingungen dafür reif sind. Aber die objektiven Bedingungen allein reichen nicht aus, damit die Revolution siegen kann. Indem Cajo Brendel aus der Sicht der IKS die Frage der revolutionären Bewusstseinsentwicklung innerhalb der Arbeiterklasse unterschätzt, - ein Bewußtsein, das 1917-18 eine aufsteigende Tendenz aufwies, um später deutlich abzuebben, (weshalb die spanischen Arbeiter relativ leicht für die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie mobilisiert werden konnten) - wird er unseres Erachtens Opfer einer deterministischen Auffassung.
Bei dieser Veranstaltung erklärte sich die IKS mit der Intervention des ehemaligen Genossen von „Soziale Revolution“ einverstanden.
Tatsächlich fällt der rätekommunistische Flügel der Kommunistischen Linken, wie er von Brendel vertreten wird, unserer Meinung nach bereits in der Frage der Russischen Revolution in die alte Auffassung Kautskys und der Menschewiki zurück, derzufolge wegen der Rückständigkeit Russlands 1917 lediglich eine bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung stand. Aber damals wussten alle Revolutionäre, ob Lenin oder Luxemburg, Bordiga oder Pannekoek, dass 1917 nur noch eine Revolution möglich war, und zwar die proletarische Weltrevolution. Und es waren die Schriften Gorters und Pannekoeks aus den 20er Jahren, welche mit beispielloser Klarheit nachwiesen, dass die Weltrevolution vor allem deswegen scheiterte, weil der subjektive Faktor des Klassenbewußtseins unterentwickelt, die Illusionen über die bürgerliche Demokratie und über die Möglichkeit der Rückkehr zu den "friedlicheren" und wohlhabenderen" Vorkriegsbedingungen zu groß waren (1).
Auf der Veranstaltung "Rätekommunismus versus Bolschewismus" in Berlin wurde von einem anderen Teilnehmer auch die Auffassung der "Zusammenbruchstheorie des Kapitalismus" zu recht kritisiert, welche in den zwanziger Jahren Teile der deutsch-holländischen Linken dazu verleitete, ein plötzliches, objektives Versagen oder Lähmung des kapitalistischen Wirtschaftslebens von einem solchen Ausmaß zu erwarten, dass die Arbeiter quasi gezwungen werden, die Revolution durchzuführen. Auch diese Auffassung unterschätzte den subjektiven Faktor des Klassenbewusstseins. Rosa Luxemburg hingegen sprach richtigerweise von der historischen Alternative Sozialismus oder Barbarei: die Niedergangskrise des Kapitalismus, welche mit dem 1. Weltkrieg beginnt, endet entweder mit dem Sieg des Sozialismus oder mit dem Untergang der Menschheit- wobei der Ausgang dieses Kampfes nicht vorher feststeht.
Die spanischen Ereignisse und die Dekadenz des Kapitalismus
Die Intervention der IKS bei der Veranstaltung zu Spanien konzentrierte sich aber darauf, die Haltung der italienischen und holländischen Linkskommunisten zu den damaligen Ereignissen zu verteidigen. Sowohl die italienische Auslandsfraktion mit der Zeitschrift Bilan, als auch die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) in den Niederlanden erklärten, dass die Franco-Faschisten und die linksbürgerliche Volksfront gleichermaßen Feinde des Proletariats waren, wobei der Beitrag der Stalinisten und CNT-Anarchisten zur Niederlage der Arbeiterklasse entscheidend war. Sowohl Bilan als auch die GIK waren sich einig, dass nicht mehr die bürgerliche Revolution, wohl aber die bürgerliche Konterrevolution auf der Tagesordnung stand. Aber auch die damalige Gruppe von Cajo Brendel, die Zeitschrift Proletarier in Den Haag - obwohl sie Spanien für eine bürgerliche Revolution hielt - weigerte sich strikt, die antifaschistische Volksfront zu unterstützen. Damit war die politische Grundlage gelegt für die Verteidigung des proletarischen Internationalismus - in der Nachfolge Lenins
Liebknechts und Luxemburgs - durch die Kommunistische Linke im 2. Weltkrieg.
Wir baten Cajo Brendel, zu unserer Darstellung der Haltung der Linkskommunisten Stellung zu beziehen. Er widersprach unserer Darstellung, ohne auf Einzelheiten einzugehen, indem er behauptete, der Ausgangspunkt dieser Strömungen sei nicht der Kampf gegen beide Fronten gewesen, sondern die Frage, wie man den Faschismus am effektivsten bekämpfen kann. In einem Brief Cajo Brendels, in dem er zum ersten Entwurf dieses Artikels über seinen Besuch in Deutschland Stellung bezieht, präzisiert er seine Haltung zur Rolle der Anarchisten in Spanien: „Nicht die CNT hat die Arbeiterklasse im Stich gelassen, sondern einige anarcho-syndikalistische Minister.“
Somit stellt die heutige Haltung Brendels in unseren Augen einen Rückschritt dar, nicht nur gegenüber der GIK, sondern auch gegenüber seiner eigenen damaligen Position. Für uns steht diese politische Schwäche im Zusammenhang mit seiner Ablehnung der Dekadenztheorie. Als 1919 die Kommunistische Internationale gegründet wurde, teilten alle Marxisten die Auffassung, dass der Kapitalismus 1914 in seine Niedergangsphase eingetreten war. Mit dem Sieg der Konterrevolution aber gaben vor allem nach dem 2. Weltkrieg Teile der Linkskommunisten - sowohl "Bordigisten" wie auch "Rätekommunisten" - die Dekadenztheorie auf. Dass damit die Idee Raum gewinnt, dass Fraktionen der Bourgeoisie noch eine fortschrittliche Rolle spielen können, womit die Ablehnung des Antifaschismus durch die Kommunistische Linke aufgeweicht werden kann - zeigen nach unserer Überzeugung die Thesen Brendels über Spanien.
Die Frage des Klassenbewußtseins
Lebhaften Widerspruch erntete Brendel (bei der Veranstaltung zum Rätismus und Bolschewismus in Berlin) mit seiner Behauptung, je bewusster die Arbeiter werden, desto mehr entfernen sie sich von ihren materiellen Interessen. Solche Bemerkungen bezeugen unserer Ansicht nach, wie weit sich der heutige Rätekommunismus von der Grundhaltung eines Pannekoeks entfernt hat, derzufoge Klassenbewusstsein und Selbstorganisation die einzigen Waffen des Proletariats sind. Und während die deutsch-holländische Linke der ersten Stunde die Notwendigkeit der zentralisierten, organisierten Intervention der Revolutionäre leidenschaftlich befürwortete, läuft die zeitgenössische Auffassung des Rätekommunismus unserer Meinung nach darauf hinaus, dass das Klassenbewusstsein nur lokal und unmittelbar in den Tageskämpfen erzeugt und entwickelt wird (2). Damit wird jeder Zusammenschluß der Revolutionäre in einer besonderen Organisation, wenn nicht ausgeschlossen, so doch geringgeschätzt. So hielt es Cajo Brendel während der von uns besuchten Veranstaltungen offenbar kaum für notwendig zu erwähnen, dass er selbst Mitglied einer seit vielen Jahren bestehenden politischen Gruppe ist (deren Zeitschrift "Daad en Gedachte" bedauerlicherweise zur Zeit nicht erscheint -siehe dazu Weltrevolution 91). (3) Aber die rätistische Auffassung des Klassenbewusstseins lässt nicht nur die Notwendigkeit der revolutionären Organisation, sondern damit zusammenhängend auch den Wert der historischen und theoretischen Erfahrungen des Klassenkampfes im Unklaren. Brendels erster Vortrag in Berlin über den Rätekommunismus ging nur sehr spärlich auf die Ursprünge und die Geschichte der deutsch-holländischen Linken ein. Einige junge Teilnehmer äußerten anschließend uns gegenüber ihre Enttäuschung darüber. Schließlich waren sie vor allem deshalb gekommen, um etwas über diese Tradition zu lernen und von dem enormen politischen Erfahrungsschatz Brendels zu profitieren. Vielleicht spürte Cajo Brendel etwas von dieser Erwartung; jedenfalls ging sein Vortrag zum selben Thema in Köln viel mehr auf diese geschichtlichen Hintergründe ein. Die Interventionen der IKS auf diesen Veranstaltungen verfolgten ganz bewusst das Ziel, das Erbe der kommunistischen Linken sowie ihre Bedeutung für heute deutlich zu machen. Mit Ausnahme der Frage des spanischen Bürgerkrieges bestätigte Cajo Brendel die Richtigkeit unserer Darstellung. (4) Als aber in Köln ein Vertreter der Gruppe Wildcat auf unseren Beitrag reagierte, indem er die Wichtigkeit, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, bestritt, fand er die Unterstützung Brendels. (5) Diese Reaktion zeigt unseres Erachtens die Zweideutigkeit des Rätekommunismus gegenüber der geschichtlichen Dimension des Klassenbewusstsein. Wie die IKS in einem zweiten Diskussionsbeitrag in Köln argumentierte, ist gerade der Beitrag der Kommunistischen Linken von ungeheurer Bedeutung, wenn es um die Verteidigung einer revolutionären Perspektive geht. Wie keine andere historische Strömung ist die Kommunistische Linke als Todfeind des Stalinismus dazu berufen, die bürgerliche Gleichstellung des Kommunismus mit dem Stalinismus zu widerlegen. Und Cajo Brendel selbst weiß unserer Meinung nach sehr wohl von der Bedeutung dieses Erbe: seine jüngste Veranstaltungsreihe selbst ist der Beweis.
Eine positive Bilanz
Aus unserer Sicht ist die Bilanz der Brendelschen Veranstaltungsreihe positiv. Es gelang vor allem, einem größeren Publikum im Ansatz die Existenz und Positionen der Kommunistischen Linken zu vermitteln. Darüber hinaus waren die Marxisten in der Lage, ein Bild von der proletarischen Diskussionskultur zu vermitteln, welche das Gegenteil der stalinistischen und trotzkistischen Politik des Manövers und der Sabotage offener Debatten darstellt. Cajo Brendel, die IKS, ehemalige Mitglieder von "Soziale Revolution" sowie andere Sympathisanten des proletarischen Milieus waren imstande, Positionen der Kommunistischen Linken gemeinsam zu verteidigen. Die Diskussionshaltung Cajo Brendels selbst war offen, kontrovers, brüderlich, und somit der Klärung politischer Fragen förderlich.
Die Veranstaltungen waren aber Orte nicht nur der Klärung, sondern auch des politischen Kampfes. Die herrschende Klasse verfolgte Brendels Deutschland-Rundreise aufmerksam und war gewappnet, um daraus hervorgehenden Gefahren entgegenzutreten. Die Vertreter des linken Flügels des Kapitals (staatskapitalisische Linksparteien und Gewerkschaften) waren zahlreich erschienen, traten aber zumeist nicht mit offenem Visier auf.
Stattdessen taten sie alles, um Diskussionen über die historische Bedeutung und über die politischen Positionen der Kommunistischen Linken zu verhindern, indem sie die Aufmerksamkeit auf die für die Bourgeoisie ungefährlichen Irrungen des heutigen Rätekommunismus lenkten. Dies wiederum bestimmte das ganze Auftreten unserer Organisation. Zwar gibt es zwischen der IKS und der Gruppe ‚Daad en Gedachte‘ zahlreiche Meinungsverschiedenheiten, welche wir in der Vergangenheit offen ausgetragen haben und in der Zukunft noch tun werden. Doch hier ging es um etwas ganz anderes: um die gemeinsame Bekanntmachung und Verteidigung unseres gemeinsamen politischen Erbes. Für uns ist Cajo Brendel ein Teil des proletarischen Milieus und somit ein Genosse im Lager des Linkskommunismus. Für uns ging es darum, zusammen mit Cajo Brendel gegen das Totschweigen durch die Herrschenden, gegen alle Anfechtungen und Verleumdungen der Bourgeoisie anzukämpfen. Aber es ging uns auch darum zu verhindern, dass die Bourgeoisie sich dieser Tradition bemächtigt, um sie zu entstellen und entmannen. Gerade die deutsche Bourgeoisie ist daran interessiert, die deutsch-holländische Linke als ein radikales Kuriosum der Vergangenheit bzw. als etwas Akademisches und Museales darzustellen, welches durchaus seinen Platz im Rahmen der bürgerlichen Demokratie einnehmen sollte. So stellten die SPD/DGB-nahen "Vereinigten Linken" sowie die Grünen, sprich die jetzige deutsche Regierung - jeweils Sprecher ab, um im offiziösen sogenannten "Haus der Demokratie" in Ostberlin eine "Podiumsdiskussion" mit Cajo Brendel zu führen. Als wir in Köln mit ihm sprachen, versicherte uns Genosse Brendel, dass er erst vor Ort entsetzt feststellte, mit wem er da das Podium teilen sollte.
Für uns verrät aber diese Episode die Absichten der Bourgeoisie. Die Herrschenden haben unlängst die Kommunistische Linke als längerfristigen politischen Hauptfeind ausgemacht. Erst vor wenigen Jahren haben große europäischen Tageszeitungen wie Le Monde oder die FAZ in ganzseitigen Artikeln Amadeo Bordiga wegen seiner internationalistischen Haltung im 2. Weltkrieg verleumdet. Tatsächlich ist das überragende, gemeinsame Merkmal unserer Tradition - ob "holländische", "italienische" oder "französische" Linke - das Hochhalten des Internationalismus im Spanischen Bürgerkrieg und im 2. Weltkrieg, während Anarchismus wie Trotzkismus die Sache des Proletariats verrieten.
Und wirklich: wie die Ereignisse im Irak und auf dem Balkan bestätigen, durchleben wir Zeiten eines beschleunigten Versinkens des Systems in Militarismus und Krieg. Wie immer in solchen Zeiten zeichnen sich die "vaterlandslosen Gesellen", die konsequenten proletarischen Internationalisten als die gefährlichsten Feinde des Kapitalismus ab. Darauf sind wir stolz. – Weltrevolution -
(1) Tatsächlich wandelte sich die Haltung führender Linkskommunisten wie Pannekoek sowohl zur Frage der Russischen Revolution wie auch zur Frage der Bewusstseinsentwicklung und der Rolle der Revolutionäre im Laufe der Zeit. Während aus der Sicht der IKS der Pannekoek der 20er Jahre viel klarer war als der zur Zeit nach dem 2. Weltkrieg, betrachtet der Rätekommunismus den späteren Pannekoek als den klareren. Dazu schreibt Brendel an die IKS: „Der Rätekommunismus hat sich, Anwendung einer genauen marxistischen Analyse zufolge, auch geändert. Zu Anfang waren sowohl Gorter wie Pannekoek – um nur die beiden hier zu erwähnen – anderer Meinung als die, welche Pannekoek Mitte der 30er Jahre vertrat. Gorter hat die Ereignisse in Russland ab 1917 als „Doppelrevolution“ verstanden: eine Arbeiterrevolution und eine Bauernrevolution, welche zur gleichen Zeit stattfanden. Dass Pannekoek in seiner Schrift „Lenin als Philosoph“ diesen mittlerweile schon einigermaßen revidierten Standpunkt weiter revidierte, ist unbestreitbar. Er setzte auseinander, dass und wieso der Leninismus mit Marxismus nichts zu tun hat. Die große Mehrheit der rätekommunistischen Strömung, jedenfalls die, welche ich vertrete, ist darin Pannekoek gefolgt.“
(2) Wir haben den Entwurf dieses Artikels dem Genossen Cajo Brendel geschickt, damit er die Richtigkeit der Wiedergabe SEINER Position überprüfen kann. Es ging uns dabei vor allem darum, Missverständnisse auszuräumen, damit die öffentliche Debatte nicht durch Missverständnisse abgelenkt wird. Was seine Stellung zur Frage des Klassenbewußtseins bei dieser Veranstaltungsreihe betrifft, schrieb uns Genosse Brendel, „dass ich ‚die Frage der revolutionären Bewußtseinsentwicklung innerhalb der Arbeiterklasse unterlassen hätte‘, ist wirklich lächerlich. Ich habe darüber an dem ersten Abend mit einer der anwesenden jungen Frauen diskutiert. An einem anderen Abend habe ich sie nochmals angestreift. Vielleicht waren die Leute von der IKS da eben nicht dabei. Aber ... wegen Abwesenheit (dann und wann!) soll man sich natürlich vor solchen Behauptungen hüten“.
(3) Dazu schreibt Brendel: „Und dass ich es nicht für notwendig hielt, meine Tätigkeit für ‚Daad en Gedachte‘ zu erwähnen, ist selbstverständlich. Ich bin kein Dicktuer!“
(4) Er bezeichnete in Berlin allerdings unsere Darstellung des illegalen Kampfes der holländischen Internationalisten während des 2. Weltkriegs in Bezug auf seine eigene Rolle als übertrieben. Später erklärte er uns im Gespräch, dass er persönlich nicht an dieser Arbeit hätte teilnehmen können, da er sich durch die militärische Aufteilung der Niederlande durch die deutsche Besatzungsmacht von seinen Genossen völlig abgeschnitten befand. Dies ändert aber weder etwas an der Beispielhaftigkeit dieses Kampfes der Linkskommunisten noch an der politischen Zugehörigkeit Brendels hierzu.
(5) Die IKS ist sich klar, dass Brendels Auffassung von der Geschichte nicht die gleiche ist wie die der Operaisten wie z.B. der Anhänger von Wildcat, für die die Geschichte der Arbeiterbewegung letztendlich irrelevant ist.