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Bericht über den Klassenkampf
Ziel dieses Berichts ist es vor allem, die verbreiteten bürgerlichen Kampagnen über das „Ende des Klassenkampfes“ und das Verschwinden der Arbeiterklasse zu bekämpfen und den Standpunkt zu verteidigen, dass das Proletariat trotz aller aktuellen Schwierigkeiten sein revolutionäres Potenzial nicht verloren hat. Wie wir in den einleitenden Abschnitten, die wir hier aus Platzmangel weglassen müssen, betont hatten, gründet sich die bürgerliche Geringschätzung seines Potenzials auf eine rein immediatistische Konzeption, die den Stand des Klassenkampfes zu irgendeinem Zeitpunkt mit der wahren Dynamik des Proletariats in einem längeren Zeitraum verwechselt. Dieser seichten und empirischen Herangehensweise setzen wir die marxistische Methode entgegen, die feststellt, dass „das Proletariat... nur weltgeschichtlich existieren (kann), wie der Kommunismus, seine Aktion, nur als ‚weltgeschichtliche' Existenz überhaupt vorhanden sein kann“ (Marx, Die deutsche Ideologie). Der Bericht über den Klassenkampf war also eingebettet in den Gesamtzusammenhang der historischen Klassenbewegung seit ihren ersten heroischen Versuchen zwischen 1917 und 1923, den Kapitalismus zu überwinden, und den darauffolgenden Jahrzehnten der Konterrevolution. Wir geben hier den Bericht ab der Stelle wieder, wo er sich insbesondere auf die Entwicklung der Klassenbewegung seit dem Wiederaufflammen der Klassenauseinandersetzungen Ende der 60er Jahre konzentriert. Einige Passagen, die sich mit aktuelleren und kurzzeitigen Entwicklungen befassen, haben wir hier ebenfalls weggelassen bzw. komprimiert.
1968–69: das Wiedererwachen des Proletariats
Und hier liegt die ganze Bedeutung der Ereignisse vom Mai bis Juni 1968 in Frankreich verborgen: das Auftreten einer neuen Generation von Arbeitern, die durch das Elend und die Niederlagen der vergangenen Jahrzehnte nicht gebrochen und demoralisiert waren, die sich an einen verhältnismäßig höheren Lebensstandard in den „Boomjahren“ nach dem Krieg gewöhnt hatten und die nicht bereit waren, sich den Forderungen einer erneut in die Krise schlitternden nationalen Wirtschaft zu beugen. Der zehn Millionen Arbeiter umfassende Generalstreik in Frankreich, der von einer riesigen politischen Gärung begleitet wurde, in der Begriffe wie Revolution oder die Veränderung der Welt wieder Gegenstand ernsthafter Diskussionen wurden, markierte den Wiederauftritt der Arbeiterklasse auf der historischen Bühne und das Ende des konterrevolutionären Albtraums, der so lange auf ihrer Brust gelastet hatte. Die Bedeutung des „wilden Mai“ in Italien und des „heißen Herbstes“ im darauffolgenden Jahr besteht darin, dass sie der Beweis für die Richtigkeit dieser Interpretation waren, entgegen jener Stimmen, die versuchten, den Mai 1968 als nicht mehr als eine kleine Studentenrevolte darzustellen. Der Ausbruch von Kämpfen unter den italienischen Arbeitern, damals mit ihrer mächtigen antigewerkschaftlichen Dynamik politisch die fortgeschrittenste Arbeiterklasse auf der Welt, zeigte ganz deutlich, dass der Mai 68 kein Tropfen auf dem heißen Stein, sondern die Ouvertüre einer ganzen Periode weltweit wachsender Klassenkämpfe war. Die folgenden Massenbewegungen (Argentinien 69, Polen 70, Spanien und Großbritannien 72) sind nur weitere Bestätigungen dieser Interpretation.
Nicht alle existierenden revolutionären Organisationen waren imstande, dies zu erkennen: Die älteren, besonders die bordigistische Strömung, wurden mit den Jahren immer kurzsichtiger und waren unfähig, den tiefgehenden Wandel im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu sehen. Doch diejenigen, die fähig waren, sowohl die Dynamik dieser neuen Bewegung zu erfassen als auch sich die „alten“ Methoden der Italienischen Linken wiederanzueignen, welche in den finstersten Zeiten der Konterrevolution ein bewundernswertes Maß an Klarheit besaß, hatten sich in die Lage versetzt, die Eröffnung einer neuen historischen Periode zu erklären, die sich markant unterscheidet von jener, die unter dem Gewicht der Konterrevolution vorgeherrscht und in der der Kurs zum Krieg dominiert hatte. Der erneute Ausbruch der Weltwirtschaftskrise hätte sicherlich zu einer Verschärfung der imperialistischen Antagonismen geführt, die wiederum, wenn sie ihrer eigenen Dynamik überlassen worden wären, die Menschheit in einen dritten und höchstwahrscheinlich endgültigen Weltkrieg gestoßen hätte. Doch indem das Proletariat begonnen hatte, der Krise auf eigenem Klassenterrain entgegenzutreten, wirkte es als fundamentales Hindernis gegenüber dieser Dynamik. Und nicht nur das; es entwickelte zudem durch die Aufnahme seiner Abwehrkämpfe eine eigene Dynamik hin zu einem zweiten weltrevolutionären Ansturm gegen das kapitalistische System.
Der massive und offene Charakter dieser ersten Welle von Kämpfen und die Tatsache, dass sie es endlich wieder ermöglicht hatten, über die Revolution zu sprechen, führte viele der ungeduldigen Abkömmlinge der Bewegung dazu, „ihre Träume für bare Münze zu nehmen“ und zu denken, dass die Welt sich Anfang der 70er Jahre bereits am Rande einer revolutionären Krise befände. Dieser Art von Immediatismus fehlte das Verständnis dafür, dass:
– die Wirtschaftskrise, welche die Triebkraft für den Kampf geschaffen hatte, sich noch ziemlich in der Anfangsphase befand, und im Gegensatz zu den 30er Jahren dieser Krise eine Bourgeoisie gegenüberstand, die ausgerüstet war mit den Lehren ihrer eigenen Erfahrungen und mit Instrumenten, die sie in die Lage versetzten, den Abstieg in den Abgrund zu ‚managen‘, wie der Gebrauch blockweiter Organe, die Fähigkeit, die schlimmsten Auswirkungen der Krise durch die Flucht in die Verschuldung und durch ihre Abwälzung in die Peripherien des Systems hinauszuzögern;
– die politischen Folgen der Konterrevolution immer noch ein beträchtliches Gewicht innerhalb der Arbeiterklasse besaßen: der beinahe völlige Bruch in der organischen Kontinuität mit den politischen Organisationen der Vergangenheit, der niedrige Grad an politischer Kultur im Proletariat als Ganzes, sein abgrundtiefes Misstrauen gegenüber der „Politik“, Resultat seiner traumatischen Erfahrung mit dem Stalinismus und der Sozialdemokratie.
Diese Faktoren sind ausschlaggebend dafür, dass die Periode des proletarischen Kampfes, die im Mai 68 eröffnet wurde, sich sehr lange hinziehen wird. Im Gegensatz zur ersten revolutionären Welle, die als Antwort auf den Krieg auftrat und so sehr schnell auf die politische Ebene katapultiert wurde – in vielerlei Hinsicht zu schnell, wie Rosa Luxemburg bezüglich der Novemberrevolution in Deutschland bemerkte –, können die revolutionären Schlachten der Zukunft nur durch eine Reihe von defensiven ökonomischen Auseinandersetzungen vorbereitet werden, welche – und dies ist in jedem Fall ein wesentlicher Zug in den allgemeinen Klassenkämpfen – dazu gezwungen sind, nach dem schwierigen und unregelmäßigen Muster von Fortschritt und Rückzug zu verlaufen.
Die Antwort der französischen Bourgeoisie auf den Mai 68 gab den Ton an für die Gegenattacke der Weltbourgeoisie: der Wahltrick wurde benutzt, um den Klassenkampf zu zerstreuen (sobald die Gewerkschaften letzteren erst einmal eingepfercht hatten); die Versprechungen einer linken Regierung, die den Arbeitern in Aussicht gestellt wurde, indem die blendende Illusion vermittelt wurde, dass sie all die Probleme erledigen werde, die den Ausbruch bewirkt hatten, und eine neue Herrschaft von Wohlstand und Gerechtigkeit, ja sogar ein bisschen „Arbeiterkontrolle“, installieren werde. Die 70er Jahre können also insofern als „Jahre der Illusion“ bezeichnet werden, als dass sich die Bourgeoisie angesichts eines relativ eingeschränkten Ausmaßes der Wirtschaftskrise noch in der angenehmen Lage befand, diese Illusion der Arbeiterklasse auch verkaufen zu können. Diese Gegenoffensive nahm der ersten internationalen Welle von Kämpfen die Spitze.
Die Unfähigkeit der Bourgeoisie, auch nur eine ihrer falschen Versprechungen zu verwirklichen, bedeutete, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Kämpfe wieder zurückkehrten. Die Jahre 1978 bis 1980 waren eine Zeit sehr konzentrierter Ausbrüche wichtiger Klassenkämpfe: Longwy-Denain in Frankreich mit den Bemühungen, den Kampf über den Stahlsektor hinaus auszudehnen und die Autorität der Gewerkschaft herauszufordern; der Rotterdamer Hafenarbeiterstreik, der das Auftauchen eines unabhängigen Streikkomitees erblickte; die Massenbewegung im Iran, die zum Sturz des Schah-Regimes führte; in England der „Winter des Unfriedens“, in dem es in einer Reihe von Bereichen gleichzeitig zum Ausbruch von Kämpfen kam, und der Stahlarbeiterstreik von 1980; und schließlich Polen 1980, der Höhepunkt dieser Welle und, in vielerlei Hinsicht, der gesamten Periode der wiederauflebenden Klassenkämpfe bis dahin.
Am Ende dieser turbulenten Dekade hatte die IKS bereits angekündigt, dass die 80er Jahre die „Jahre der Wahrheit“ werden, womit wir nicht meinten, wie häufig missgedeutet, dass dies das Jahrzehnt der Revolution sei, sondern ein Jahrzehnt, in dem die Illusionen der 70er Jahre durch die brutale Beschleunigung der Krise und dem daraus resultierenden Anschlag auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse ausgetrieben werden. Ein Jahrzehnt, in dem die Bourgeoisie selbst die Sprache der Wahrheit spricht, „des Blutes, des Schweißes und der Tränen“, des „Es-gibt-keine-Alternative“ à la Thatcher – ein Wechsel in der Sprache, der auch dem Wechsel in der politischen Aufstellung der herrschenden Klasse entsprach, mit einer kaltschnäuzigen Rechten an der Macht, die offen die notwendigen Angriffe ausführte, und einer scheinbar radikalisierten Linken in der Opposition, damit beauftragt, die Antwort der Arbeiter von innen zunichte zu machen. Und schließlich waren die 80er Jahre „Jahre der Wahrheit“, weil die historische Alternative, der die Menschheit gegenübersteht – Weltkrieg oder Weltrevolution –, nicht nur deutlicher zutage trat, sondern in einem gewissen Sinn auch von den Ereignissen der folgenden Dekade entschieden wurde. Und in der Tat verdeutlichten dies die Ereignisse zu Anfang dieser Dekade: Auf der einen Seite warf die sowjetische Invasion in Afghanistan ein deutliches Schlaglicht auf die „Antwort“ der Bourgeoisie auf die Krise und eröffnete eine Periode der weiteren Verschärfung von Spannungen zwischen den Blöcken, was versinnbildlicht wurde durch Reagans Warnungen vor dem Reich des Bösen und den gigantischen Militärbudgets, die für Waffensysteme wie das „Star-Wars“-Projekt aufgewendet wurden. Auf der anderen Seite veranschaulichten die Massenstreiks in Polen die Antwort des Proletariats klar und deutlich.
Die IKS hat stets die enorme Bedeutung dieser Bewegung anerkannt, die die „Antwort“ auf all die in den vorherigen Schlachten gestellten Fragen lieferte: „Der Kampf in Polen hat Antworten auf eine ganze Reihe von Fragen geliefert, die in den früheren Kämpfen gestellt worden waren, ohne je klar beantwortet zu werden:
– die Notwendigkeit einer Ausweitung des Kampfes (Rotterdam);
– die Notwendigkeit der Selbstorganisation (Stahlarbeiterstreik in England);
– das Verhalten gegenüber der Repression (Longwy-Denain).
In all diesen Punkten stellten die Kämpfe in Polen einen großen Schritt vorwärts dar im weltweiten Kampf des Proletariats, weswegen diese Kämpfe die wichtigsten seit über einem halben Jahrhundert sind.“ („Resolution über den Klassenkampf“, 4. Kongress der IKS, 1980, veröffentlicht in International Review, Nr. 26)
Zusammengefasst zeigte die polnische Bewegung, wie das Proletariat selbst als eine einheitliche soziale Kraft auftreten kann, die nicht nur imstande ist, sich dem Angriff des Kapitals zu widersetzen, sondern auch in der Lage ist, die Perspektive der Arbeitermacht aufzustellen (eine Gefahr, die von der Bourgeoisie sehr wohl gewürdigt wurde, als sie zeitweise die imperialistischen Rivalitäten zurückstellte, um die Bewegung, insbesondere durch die Konstruktion der Solidarnosc, zu ersticken).
Indem der polnische Massenstreik die Frage beantwortete, wie der Kampf ausgeweitet und organisiert werden soll – nämlich durch seine Vereinigung –, stellte er eine neue Frage: Wie kann der Massenstreik über die nationalen Grenzen hinaus generalisiert werden – eine Vorbedingung für die Entwicklung einer revolutionären Situation? Doch wie unsere Resolution es damals ausdrückte, stand dies nicht in unmittelbarer Aussicht. Die Frage der Generalisierung konnte in Polen nur gestellt werden, doch es lag am Weltproletariat und insbesondere am Proletariat Westeuropas, darauf zu antworten. Bei dem Versuch, einen klaren Kopf über die Bedeutung der Ereignisse in Polen zu behalten, mussten wir zwei verschiedene Verirrungen bekämpfen: einerseits eine ernsthafte Unterschätzung der Wichtigkeit des Kampfes (z.B. in unserer Sektion in Großbritannien, unter den Kampfgenossen der gewerkschaftlichen Streikkomitees im britischen Stahlarbeiterstreik, welche die Bewegung in Polen als weniger wichtig einschätzten als das, was in Großbritannien geschah), und andererseits ein gefährlicher Immediatismus, der das kurzfristige revolutionäre Potenzial dieser Bewegung überschätzte. Um diese sich diametral gegenüberstehenden Irrtümer zu kritisieren, waren wir dazu gezwungen, die Kritik der Theorie des „schwächsten Gliedes“ weiterzuentwickeln.
Das zentrale Element dieser Kritik besteht in der Erkenntnis, dass der revolutionäre Durchbruch ein konzentriertes und vor allem ein politisch erfahrenes bzw. „kultiviertes“ Proletariat erfordert. Das Proletariat der osteuropäischen Länder besitzt eine ruhmreiche revolutionäre Vergangenheit, doch dies alles ist vom Schrecken des Stalinismus ausradiert worden, was die riesige Lücke zwischen dem Grad der Selbstorganisation und der Ausweitung der Bewegung in Polen einerseits und ihrem politischen Bewusstsein (die Vorherrschaft der Religion, aber vor allem der demokratischen und gewerkschaftlichen Ideologie) andererseits erklärt. Der politische Bewusstseinsgrad des Proletariats in Westeuropa, das jahrzehntelange Erfahrungen mit den demokratischen Ergötzlichkeiten hat, ist beträchtlich höher (eine Tatsache, die unter anderem durch das Phänomen ausgedrückt wird, dass die Mehrheit der revolutionären Organisationen der Welt in Westeuropa konzentriert ist). Es ist also zuallererst Westeuropa, auf das wir Acht geben müssen, wenn wir die Reifung der Bedingungen für die nächste revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse beurteilen wollen.
Einerlei, die tiefe Konterrevolution, die in den 20er Jahren über die Arbeiterklasse hergefallen war, hat ihren Tribut vom gesamten Proletariat erfordert. Man könnte sagen, dass das Proletariat von heute einen Vorteil gegenüber der revolutionären Generation von 1917 hat: Heute gibt es keine große Arbeiterorganisation, die, gerade erst zur herrschenden Klasse übergelaufen, noch fähig wäre, die grenzenlose Loyalität einer Klasse einzufordern, die noch nicht in der Lage war, die historischen Konsequenzen ihres Betruges wahrzunehmen. Dies war der Hauptgrund für die Niederlage der deutschen Revolution durch die Hände der Sozialdemokratie 1918/19. Doch die Sache hat auch eine Kehrseite. Die systematische Zerstörung der revolutionären Traditionen des Proletariats, das vom Proletariat entwickelte Misstrauen gegenüber allen politischen Organisationen, sein wachsender Gedächtnisverlust gegenüber seiner eigenen Geschichte (ein Faktor, der sich seit ungefähr einem Jahrzehnt beschleunigt) bilden eine große Schwäche der Arbeiterklasse auf dem gesamten Globus.
In keinem der nachfolgenden Ereignisse war das westeuropäische Proletariat bereit, die Herausforderung, die vom polnischen Massenstreik aufgestellt worden war, anzunehmen. Die zweite Welle von Kämpfen brach die Bourgeoisie durch die neue Strategie der Platzierung der Linken in der Opposition, und die polnischen Arbeiter fanden sich selbst genau zu jener Zeit in der Isolation wieder, in der sie den Ausbruch des Kampfes an anderer Stelle am dringendsten benötigten. Diese Isolation (bewusst von der Weltbourgeoisie erzwungen) öffnete die Tore für Jaruzelskis Panzer. Die Repression in Polen 1981 markierte das Ende der zweiten Welle von Kämpfen.
Historische Ereignisse von dieser Tragweite haben langfristige Konsequenzen. Der Massenstreik in Polen lieferte den endgültigen Beweis, dass der Klassenkampf die einzige Kraft ist, die die Bourgeoisie dazu nötigen kann, ihre imperialistischen Rivalitäten hintanzustellen. Er zeigte insbesondere, dass der russische Block – historisch durch seine schwache Position dazu verdammt, der „Aggressor“ in jedwedem Krieg zu sein – unfähig war, auf seine wachsende wirtschaftliche Krise mit einer Politik der militärischen Expansion zu antworten. Es war klar, dass die Arbeiter des Ostblocks (und selbst Russlands) als Kanonenfutter in irgendeinem künftigen Krieg für den Ruhm des „Sozialismus“ total ungeeignet waren. So war der Massenstreik in Polen ein wichtiger Faktor bei der kommenden Implosion des imperialistischen russischen Blocks.
Auch wenn sie nicht in der Lage war, die Frage der Generalisierung zu beantworten, blieb die Arbeiterklasse des Westens nicht lange auf dem Rückzug. Mit der ersten Serie von Streiks im öffentlichen Sektor Belgiens 1983 startete sie eine sehr lange „dritte Welle“, die, auch wenn sie nicht von der Ebene des Massenstreiks ausging, eine allgegenwärtige Dynamik in diese Richtung entwickelte.
In unserer oben zitierten Resolution von 1980 verglichen wir die Situation der Klasse von heute mit jener von 1917. Die Bedingungen des Weltkrieges garantierten, dass jeder Klassenwiderstand sofort mit der ganzen Macht des Staates konfrontiert war und somit die Frage der Revolution stellen musste. Gleichzeitig brachten die Kriegsbedingungen zahllose Nachteile mit sich – u.a. die Fähigkeit der Bourgeoisie, einen Keil zwischen die Arbeiter der „Sieger“ und der „besiegten“ Nationen zu treiben und durch die Beendigung des Krieges der Revolution den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine lang hingezogene und weltweite Wirtschaftskrise jedoch tendiert nicht nur dazu, einheitliche Bedingungen für die gesamte Klasse zu schaffen, sondern verschafft dem Proletariat auch mehr Zeit, seine Kräfte, sein Klassenbewusstsein durch eine ganze Reihe von Teilkämpfen gegen die kapitalistischen Angriffe zu entwickeln. Die internationale Welle der 80er Jahre besaß definitiv diese Charakteristik. Auch wenn keiner der Kämpfe eine ähnlich spektakuläre Gestalt annahm wie in Frankreich 1968 oder in Polen 1980, so vereinigten sie in sich wichtige Klärungen über Ziel und Zweck des Kampfes. Zum Beispiel zeigten die weitverbreiteten Solidaritätsappelle über sektorale Grenzen hinaus in Belgien 1983 und 1986 oder in Dänemark 1985 konkret, wie das Problem der Ausdehnung gelöst werden konnte; die Bemühungen, die Kontrolle über den Kampf zu erlangen (Eisenbahnarbeiterversammlungen in Frankreich 1986, Versammlungen von Schulbediensteten in Italien 1987) zeigten, wie man sich außerhalb der Gewerkschaften organisiert. Es gab auch erste, noch zaghafte Versuche, Lehren aus den Niederlagen zu ziehen: In Großbritannien z.B. deuteten Kämpfe gegen Ende des Jahrzehnts darauf hin, dass die Arbeiter nach der Niederlage der militanten, aber lange hingezogenen und isolierten Kämpfe der Bergarbeiter und Drucker Mitte der 80er Jahre nicht gewillt waren, in dieselben Fußstapfen zu treten (so die britischen Telecom-Arbeiter, die schnell zuschlugen und dann zur Arbeit zurückkehrten, bevor sie ins Leere liefen, oder die gleichzeitigen Streiks in etlichen Branchen im Sommer 1988). Zur gleichen Zeit lieferte das Auftreten von aus dem Arbeiterkampf entstandenen Gruppen in etlichen Ländern die Antwort auf die Frage, wie sich die militantesten Arbeiter gegenüber den Kämpfen in ihrer Gesamtheit verhalten sollen. All diese scheinbar voneinander getrennten Strömungen mündeten in einen gemeinsamen Lauf, welcher eine qualitative Vertiefung des weltweiten Klassenkampfes darstellte.
Nichtsdestotrotz begann ab einem gewissen Punkt der Zeitfaktor immer weniger eine für das Proletariat günstige Rolle zu spielen. Angesichts der Vertiefung der Krise der gesamten Produktionsweise, einer geschichtlichen Gesellschaftsformation, hielt der Arbeiterkampf trotz seines allmählichen Fortschritts nicht mehr Schritt mit den sich allerorten überschlagenden Ereignissen, erreichte er nicht mehr die Qualität, die erforderlich war, um das Proletariat in seiner Rolle als positive revolutionäre Kraft zu bestätigen, auch wenn er immer noch den Weg zum Weltkrieg blockierte. So blieb die Existenz der dritten Welle von Arbeiterkämpfen der weiten Mehrheit der Menschheit und auch des Proletariats mehr oder weniger verborgen – sicherlich auch durch die Unterdrückung dieser Wahrheit durch die Bourgeoisie, aber vor allem durch die langsame, unspektakuläre Natur dieser Kämpfe. Die dritte Welle war selbst proletarischen politischen Organisationen „verborgen“ geblieben, die dazu neigten, nur die oberflächlichen Ausdrücke zu sehen und dies auch nur als getrennte und nicht miteinander verbundene Phänomene.
Diese Situation, in der es trotz der sich immer weiter vertiefenden Krise keiner der Hauptklassen gelang, ihre Lösung durchzusetzen, rief das Phänomen des Zerfalls hervor, das den 80er Jahren auf mannigfaltigen, miteinander verbundenen Ebenen seinen Stempel aufdrückte: auf der sozialen Ebene (wachsende Atomisierung der Individuen, Banditentum, Drogenmissbrauch etc.), auf ideologischer Ebene (Verbreitung irrationaler und fundamentalistischer Heilslehren), auf ökologischer Ebene usw. usf. Entstanden aus der Sackgasse im Klassenkampf, sorgte der Zerfall seinerseits dafür, dass die Fähigkeit des Proletariats geschwächt wurde, eine einheitliche Kraft zu schmieden. Zum Ende dieses Jahrzehnts hin rückte der Zerfall mehr und mehr in den Mittelpunkt und kulminierte in den gigantischen Ereignissen von 1989, die die endgültige Eröffnung einer neuen Phase im langen Abstieg des überflüssig gewordenen Kapitalismus markierte, eine Phase, in der das gesamte gesellschaftliche Gefüge zu krachen, zu wanken und zusammenzufallen beginnt.
1989–99: der Klassenkampf im Angesicht der Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft
Der Zusammenbruch des Ostblocks fand also in einem Augenblick statt, in dem das Proletariat zwar immer noch kämpferisch war und langsam sein Bewusstsein entwickelte, aber noch nicht den Punkt erreicht hatte, an dem es imstande gewesen wäre, eine Antwort auf solch ein enormes historisches Ereignis auf seinem eigenen Klassenterrain parat zu haben. Der Kollaps des „Kommunismus“ stoppte die dritte Welle abrupt und hatte (bis auf eine sehr begrenzte politisierte Minderheit) einen äußerst negativen Einfluss auf das Schlüsselelement des Klassenbewusstseins – die Fähigkeit, eine Perspektive, ein allgemeingültiges Ziel für den Kampf zu entwickeln, was in einer Epoche, in der die defensiven Kämpfe je länger je weniger von den offensiven, revolutionären Kämpfen der Klasse getrennt werden können, notwendiger denn je ist. Der Kollaps des Ostblocks griff die Klasse auf zweierlei Weise an:
– Er ermöglichte der Bourgeoisie, eine ganze Reihe von Kampagnen rund um das Thema „Das Ende des Kommunismus“, „Das Ende des Klassenkampfes“ zu entwickeln, was tiefe Spuren in der Fähigkeit der Klasse hinterließ, ihrem Kampf die Perspektive des Aufbaus einer neuen Gesellschaft zu verleihen, sich selbst als eine unabhängige, dem Kapital feindlich gesonnene Kraft zu positionieren und ihre eigenen Interessen zu verteidigen.
– Gleichzeitig löste der Zusammenbruch des Ostblocks all die Kräfte des Zerfalls aus, die bereits im Verborgenen gelauert hatten, was die Klasse der korrupten Atmosphäre des Jeder-für-sich, der schlimmsten Einflüsse des Banditentums, Fundamentalismus etc. aussetzte. Darüber hinaus war die Bourgeoisie imstande, die Manifestationen des Zerfalls gegen die Arbeiterklasse zu nutzen, obwohl dies ihr System noch weiter in Mitleidenschaft zog. Ein klassisches Beispiel war die Dutroux-Affäre in Belgien, wo die schmutzigen Praktiken bürgerlicher Cliquen als Vorwand benutzt wurden, um die Arbeiterklasse in einer breiten demokratischen Kampagne für eine „saubere Regierung“ zu ertränken. Tatsächlich wurde die demokratische Mystifikation immer systematischer genutzt, war sie doch sowohl die logische „Schlussfolgerung“ aus dem „Scheitern des Kommunismus“ als auch das ideale Instrument, um die Klasse noch mehr zu atomisieren und sie mit Händen und Füßen an den kapitalistischen Staat zu fesseln. Auch die vom Zerfall verursachten Kriege – der Golfkrieg 1991, Ex-Jugoslawien etc. – hatten, auch wenn sie einer Minderheit erlaubten, die militaristische Natur des Kapitalismus noch deutlicher zu erkennen, den allgemeinen Effekt, dass das Gefühl der Machtlosigkeit, des Lebens in einer grausamen und irrationalen Welt, in der es keine andere Lösung gibt, als den Kopf in den Sand zu stecken, im Proletariat noch verstärkt wurde.
Die Lage der Arbeitslosen wirft ein deutliches Licht auf die Probleme, denen sich die Klasse hier gegenübersieht. In den späten 70er und den frühen 80er Jahren identifizierte die IKS die arbeitslosen Arbeiter als potenzielle Quelle der Radikalisierung der Klassenbewegung insgesamt, vergleichbar mit der Rolle, die die Soldaten in der ersten weltrevolutionären Welle gespielt hatten. Doch unter dem Gewicht des Zerfalls hat es sich für die Arbeitslosen als immer schwieriger erwiesen, ihre eigenen kollektiven Kampf- und Organisationsformen zu entwickeln, da sie für die zerstörerischsten sozialen Auswirkungen (Atomisierung, Kriminalität, etc.) besonders verwundbar sind. Dies trifft vor allem auf die Generation junger arbeitsloser Proletarier zu, die nie die kollektive Disziplin und Arbeitersolidarität erfahren haben. Gleichzeitig jedoch ist dieses negative Gewicht nicht von der Tendenz des Kapitals erleichtert worden, jene „traditionellen“ Bereiche zu „de-industrialisieren“, in denen die Arbeiter eine alte Erfahrung mit der Klassensolidarität besitzen – Bergbau, Schiffbau, Stahl etc. Statt ihre kollektiven Traditionen unter die Arbeitslosen zu bringen, neigten diese Proletarier dazu, in der anonymen Masse unterzugehen. Die Dezimierung dieser Bereiche hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Kämpfe der Beschäftigten selbst, da sie mit dazu beitrug, wichtige Quellen der Klassenidentität und –erfahrung zuzuschütten.
Die Gefahren der neuen Periode für die Arbeiterklasse und für die Zukunft ihrer Kämpfe darf nicht unterschätzt werden. Während der Klassenkampf in den 70er und 80er Jahren definitiv eine Barriere gegen den Krieg darstellte, wird der Prozess des Zerfalls von den Tageskämpfen weder gestoppt noch verlangsamt. Um einen Weltkrieg auszulösen, müsste die Bourgeoisie eine Reihe wichtiger Siege über die zentralen Bataillone der Arbeiterklasse erringen. Heute sieht sich das Proletariat einer längerfristigen, aber nicht minder gefährlichen Bedrohung des „Todes auf Raten“ gegenüber, wo die Arbeiterklasse in wachsendem Maße durch den ganzen Prozess bis zu dem Punkt niedergerungen werden kann, an dem sie die Fähigkeit verliert, sich selbst als Klasse zu behaupten, während der Kapitalismus von einer Katastrophe in die nächste stürzt (lokale Kriege, Umweltkatastrophen, Hungersnöte, Seuchen, etc.), bis jener Punkt erreicht ist, an dem die Aussicht auf eine kommunistische Gesellschaft auf Generationen hinaus zerstört würde – ganz zu schweigen von der eigentlichen Vernichtung der Menschheit selbst.
Für uns jedoch ist die Fähigkeit des Proletariats, auf die Auflösung des kapitalistischen Systems zu antworten, trotz der vom gesellschaftlichen Zerfall aufgekommenen Probleme, trotz des Rückflusses des Klassenkampfes, den wir in den letzten paar Jahren erlebt hatten, nicht verschwunden, und die Tür zu massiven Klassenkonfrontationen bleibt geöffnet. Um dies zu belegen, ist es notwendig, sich aufs Neue der breiten Dynamik des Klassenkampfes seit dem Beginn der Zerfallsphase zu vergewissern.
Die Entwicklung der Kämpfe seit 1989
Wie die IKS zu jener Zeit vorhergesagt hat, war der Rückgang sowohl auf der Ebene des Bewusstseins als auch auf der des Kampfgeistes sehr markant. Die Arbeiterklasse stand voll und ganz im Bann der Kampagnen über den Tod des „Kommunismus“.
Ab 1992 begannen die Auswirkungen dieser Kampagnen, wenn nicht zu verschleißen, so doch zumindest sich abzuschwächen, und die ersten Anzeichen einer Rückkehr der Klassenmilitanz machten sich bemerkbar, insbesondere mit der Mobilisierung der italienischen Arbeiter gegen das Austeritätsprogramm der Regierung D'Amato im September 1992. Dem folgten die Bergarbeiterdemonstrationen gegen Zechenschließungen in Großbritannien im Oktober desselben Jahres. Das Ende des Jahres 1993 sah weitere Bewegungen in Italien, Belgien, Spanien und besonders in Deutschland, wo in einer Reihe von Branchen, besonders aber im Maschinenbau und in der Automobilindustrie, Streiks und Demonstrationen stattfanden. Die IKS erklärte im Editorial der International Review Nr.76 („The difficult resurgence of the class struggle“), dass „die Ruhe, die fast vier Jahre lang geherrscht hat, endgültig durchbrochen worden ist“. Zwar begrüßte die IKS die Wiederbelebung des Kampfgeistes in der Klasse, doch betonte sie auch die Schwierigkeiten, die ihr gegenüberstanden: die wiedergenesene Stärke der Gewerkschaften, die Manövrierfähigkeit der Bourgeoisie gegenüber der Arbeiterklasse, die es ihr vor allem erlaubte, Zeitpunkt und Umfang einer jeder größeren Bewegung, die auszubrechen droht, zu bestimmen, und die ähnlich geartete Fähigkeit der herrschenden Klasse, vollen Gebrauch von den Phänomenen des Zerfalls zu machen, um die Atomisierung der Arbeiterklasse weiter voranzutreiben (die Aufdeckung von Skandalen wie z.B. die „Saubere-Hände“-Kampagne in Italien wurde in den letzten Jahren besonders stark ins Rampenlicht gerückt).
Im Dezember 1995 sahen sich die IKS im besonderen und das revolutionäre Milieu im allgemeinen einer harten Prüfung ausgesetzt. Im Zusammenhang mit den Kontroversen über die Eisenbahn und einer höchst provokanten Attacke auf den Mindestlohn aller Arbeiter schien es, als ob Frankreich sich an der Spitze der wichtigsten Klassenbewegungen befand, nachdem Streiks und Massenversammlungen viele Branchen ergriffen und Arbeiter skandiert hatten, dass der einzige Weg, Forderungen durchzusetzen, im gemeinsamen Kampf aller bestünde. Eine Reihe von revolutionären Gruppen, die dem Klassenkampf im allgemeinen skeptisch gegenüberstanden, brach angesichts dieser Bewegung in große Begeisterung aus. Die IKS jedoch warnte die Arbeiter, dass diese „Bewegung“ vor allem das Produkt eines gigantischen Manövers der herrschenden Klasse war, die sich der sich zuspitzenden Unzufriedenheit innerhalb der Klasse bewusst war und danach trachtete, mit einem Präventivschlag zu verhindern, dass die gärende Wut in wirkliche Militanz, in einen tatsächlichen Willen zur Aktion umschlägt. Indem die Bourgeoisie besonders die Gewerkschaften als Helden des Arbeiterkampfes, als Spezialisten der proletarischen Kampfmethoden (Versammlungen, das Entsenden von Massendelegationen in andere Sektoren etc.) darstellte, versuchte die Bourgeoisie in Vorbereitung auf weitaus wichtigere Konfrontationen in der Zukunft, die Glaubwürdigkeit ihres Gewerkschaftsapparates aufzupolieren. Obgleich die IKS wegen ihrer „konspirativen“ Ansicht über den Kampf heftig kritisiert worden war, wurde diese Analyse in der folgenden Periode bestätigt. Die deutsche und belgische Bourgeoisie kopierten die französischen Streiks bis aufs i-Tüpfelchen, und auch in Großbritannien (die Liverpooler Hafenarbeiter-Kampagne) sowie den USA (der Streik bei UPS) wurden weitere Versuche unternommen, um das Image der Gewerkschaften zu stärken.
Die wichtigste Bestätigung unserer Analyse wurde vom riesigen Streik in Dänemark im Sommer 1998 geliefert. Auf den ersten Blick wies diese Bewegung viele Ähnlichkeiten mit den Dezember-Ereignissen 1995 in Frankreich auf, doch wie wir im Editorial der International Review Nr.94 sagten, entsprach dies nicht der Realität: „Trotz des Scheiterns des Streiks und der Manöver der Bourgeoisie hat diese Bewegung eine andere Bedeutung als jene vom Dezember 1995 in Frankreich. Während besonders in Frankreich die Rückkehr zur Arbeit mit einer gewissen Euphorie einherging, die keinen Platz für die Infragestellung der Gewerkschaften ließ, brachte das Ende des dänischen Streiks ein Gefühl der Niederlage und weniger gewerkschaftliche Illusionen mit sich. Diesmal war das Ziel der Bourgeoisie nicht, eine riesige Operation durchzuführen, um die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften international wiederherzustellen wie 1995, sondern ‚Dampf abzulassen', um der Unzufriedenheit und der wachsenden Kampfbereitschaft zuvorzukommen, die sich Stück für Stück in Dänemark wie auch in anderen europäischen Ländern und anderswo angehäuft hatte.“
Das Editorial hebt auch andere wichtige Aspekte des Streiks hervor: sein bedeutender Umfang (ein Viertel der Arbeitskräfte zwei Wochen lang im Streik), was ein wahres Zeugnis vom wachsenden Ausmaß der Wut und der Kampfbereitschaft ablegt, die sich in der Klasse angesammelt haben, und der intensive Gebrauch der Basisgewerkschaften, um diese Militanz und Unzufriedenheit der Arbeiter mit dem offiziellen Gewerkschaftsapparat wegzuwischen.
Vor allem hatte sich der internationale Kontext geändert: eine wachsende Kampfbereitschaft, die in zahlreichen Ländern zum Ausdruck kam und sich seitdem fortgesetzt hat:
– im Sommer 1998 in den USA mit dem Streik von nahezu 10.000 Arbeitern bei General Motors, von 70.000 Arbeitern bei Bell Atlantic, der Krankenhausangestellten in New York und mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und 40.000 Maschinenbauern in New York;
– in Großbritannien mit den inoffiziellen Streiks von Sozialarbeitern in Schottland, von Postangestellten in London und mit den beiden Streiks der Elektriker in London, welche einen entschlossenen Willen offenbarten, gegen die Opposition der Gewerkschaftsführung zu kämpfen;
– im Sommer in Griechenland, wo Kämpfe rund um den Erziehungssektor in Auseinandersetzungen mit der Polizei mündeten;
– in Norwegen, wo im Herbst ein Streik stattfand, der in seinem Umfang mit jenem in Dänemark vergleichbar war;
– in Frankreich, wo es eine ganze Reihe von Kämpfen in verschiedenen Bereichen gab, einschließlich Erziehung, Gesundheit, Post und Transport, wobei am bemerkenswertesten der Streik von Busfahrern im herbstlichen Paris war, als die Arbeiter gegen eine der Konsequenzen des Zerfalls – die steigende Zahl von Angriffen auf Transportarbeiter – auf eigenem Terrain reagierten, indem sie mehr Jobs statt mehr Polizei forderten;
– in Belgien, wo die langsame, aber unaufhaltsame Steigerung der Kampfbereitschaft, ausgedrückt durch Streiks in der Automobilindustrie, im Transportwesen und in der Kommunikationsindustrie, von einer riesigen Kampagne der Bourgeoisie rund um das Thema „kämpferische Gewerkschaften“ eingehüllt wurde. Diese Kampagne hat mit der Förderung einer „Bewegung für die gewerkschaftliche Erneuerung“, die eine sehr radikale, „einheitliche“ Sprache benutzte und deren Führer, D'Orazio, den Nimbus der Radikalität erhalten hat, weil er wegen „Gewalttätigkeit“ vor Gericht gestellt worden war, eine ausgesprochen deutliche Gestalt angenommen;
– in der Dritten Welt mit Streiks in Südkorea, mit dem Rumoren massiver gesellschaftlicher Unzufriedenheit in China und erst kürzlich in Simbabwe, wo ein Generalstreik ausgerufen wurde, um die Wut der Arbeiter nicht nur über die Regierung, sondern auch über die Opfer, die der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo erfordert hatte, zu kanalisieren; dieser Streik fiel mit Desertionen und Protesten in den Truppen zusammen.
Es könnten noch weitere Beispiele gegeben werden, obgleich es schwierig ist, Informationen zu erhalten, da – im Gegensatz zu den großen, in der Öffentlichkeit breit getretenen Manövern von 1995/96 – die Bourgeoisie auf die meisten dieser Bewegungen mit der Taktik des Verschweigens geantwortet hat, was ein zusätzlicher Beweis dafür ist, dass diese Bewegungen eine reelle und wachsende Kampfbereitschaft ausdrückten, die die Bourgeoisie natürlich nicht ermutigen wollte.
Die Antwort der Bourgeoisie und die Perspektiven für den Klassenkampf
Angesichts der wachsenden Kampfbereitschaft wird die Bourgeoisie nicht untätig bleiben. Sie hat bereits eine ganze Reihe von Kampagnen lanciert oder intensiviert, sowohl auf dem direkten Kampfterrain als auch im allgemeineren politischen Spektrum, um die Militanz der Klasse zu untergraben und die Entwicklung ihres Bewusstseins zu behindern: eine Wiederbelebung der „kämpferischen“ Gewerkschaften (z.B. in Belgien, in Griechenland, im britischen Elektrikerstreik); das propagandistische Sperrfeuer der „Demokratie“ (Sieg der linken Regierungen, Pinochet-Affäre, etc.); Mystifikationen der Krise („Globalisierungskritik“, der Ruf nach einem „dritten Weg“, welcher den Staat benutzen möchte, um die zügellose „Marktwirtschaft“ zu kontrollieren); Fortsetzung der Verleumdungen gegen den Oktober 1917, gegen den Bolschewismus und die Linkskommunisten und so weiter.
Zusätzlich zu diesen Kampagnen wird das Kapital einen maximalen Nutzen aus all den Manifestationen des gesellschaftlichen Zerfalls ziehen, um all die Probleme, denen die Arbeiterklasse gegenübersteht, weiter zu erschweren. Es ist noch ein weiter Weg zurückzulegen von der Art von Bewegung, wie wir sie in Dänemark gesehen haben, bis zur Entwicklung massiver Klassenkonfrontationen in den Hauptländern des Kapitals, Konfrontationen, die die Perspektive der Revolution aller Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt wieder eröffnen werden.
Nichtsdestotrotz hat die Entwicklung der Kämpfe in der gegenwärtigen Periode gezeigt, dass trotz aller Schwierigkeiten, denen sie sich gegenübersah, die Arbeiterklasse immer noch ungeschlagen ist und ein riesiges Kampfpotenzial gegen das hinfällige System bewahrt hat. In der Tat gibt es etliche wichtige Faktoren, die dazu dienen können, die aktuelle Klassenbewegung zu radikalisieren und sie auf eine höhere Ebene zu heben:
– die immer offenere Entwicklung der Weltwirtschaftskrise. Trotz aller bürgerlicher Versuche, ihr Ausmaß zu minimalisieren und ihre Ursachen zu verzerren, bleibt die Krise insofern der „Verbündete des Proletariats“, als dass sie dahin tendiert, die wahren Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise bloßzulegen. Während des letzten Jahres haben wir bereits eine große Vertiefung der Wirtschaftskrise gesehen, und wir wissen, dass das Schlimmste noch vor uns liegt. Vor allem die großen kapitalistischen Zentren beginnen jetzt, die Auswirkungen des letzten Sturzes am eigenen Leib zu verspüren.
– Die Beschleunigung der Krise bedeutet auch die Beschleunigung der bürgerlichen Angriffe auf die Arbeiterklasse. Und sie bedeutet ebenfalls, dass die Bourgeoisie sich immer weniger in der Position befindet, wo sie diese Angriffe staffeln, strecken, auf einzelne Bereiche richten kann. Die gesamte Arbeiterklasse wird immer mehr unter die Knute geraten, und alle Aspekte ihres Lebensstandards werden bedroht werden. So wird die Notwendigkeit massiver Angriffe durch die Bourgeoisie in wachsendem Maße die Notwendigkeit einer massiven Antwort durch die Arbeiterklasse unumgänglich machen.
– Gleichzeitig werden die wichtigsten kapitalistischen Zentren auch dazu gezwungen sein, sich immer mehr in militärischen Abenteuern zu engagieren. Die Gesellschaft wird in wachsendem Maße von einer Atmosphäre des Krieges durchdrungen werden. Wir haben bemerkt, dass unter gewissen Umständen (wie unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Ostblocks) die Entwicklung des Militarismus das Gefühl der Machtlosigkeit im Proletariat steigern kann. Gleichzeitig bemerkten wir selbst während des Golfkrieges, dass solche Ereignisse durchaus auch einen positiven Effekt auf das Klassenbewusstsein ausüben können, besonders in einer politisierteren und militanteren Minderheit. Und es trifft weiterhin zu, dass die Bourgeoisie nicht in der Lage ist, das Proletariat en masse für seine militärischen Abenteuer zu mobilisieren. Einer der Faktoren, die die breite „Opposition“ in der herrschenden Klasse gegen die jüngsten Überfälle auf den Irak erklären, bestand in dem Problem, der Bevölkerung im allgemeinen und der Arbeiterklasse im besonderen diese Kriegspolitik zu verkaufen. Diese Schwierigkeiten der herrschenden Klasse werden noch weiter wachsen, so wie sie gezwungen sein wird, immer offener ihre (militärischen) Zähne zu zeigen.
Das Kommunistische Manifest beschreibt den Klassenkampf als einen „mehr oder minder versteckten Bürgerkrieg“. Bei allen Versuchen, die Illusion einer gesellschaftlichen Ordnung zu schaffen, in der Klassenkonflikte der Vergangenheit angehören, ist die Bourgeoisie nichtsdestotrotz dazu gezwungen, die eigentlichen Bedingungen, die die Gesellschaft in zwei Lager polarisieren und durch unversöhnliche Antagonismen spalten, noch weiter zu verschärfen. Je mehr die bürgerliche Gesellschaft in Agonie versinkt, desto mehr werden die Schleier, die diesen „Bürgerkrieg“ verhüllen, weggerissen. Angesichts immer weiter wachsender ökonomischer, sozialer und militärischer Widersprüche ist die Bourgeoisie dazu gezwungen, ihren totalitären politischen Griff auf die Gesellschaft zu verstärken, jede Herausforderung ihrer Ordnung für außergesetzlich zu erklären, immer mehr Opfer für immer weniger Belohnung zu fordern. Mit der Geburt des Kapitalismus, als das Manifest verfasst worden war, neigte der Arbeiterkampf mehr als einmal zu einem Kampf einer „außergesetzlichen Klasse“, einer Klasse, die nichts in dem herrschenden System zu verlieren hatte und deren Rebellionen und Proteste samt und sonders per Gesetz verboten waren. Hier liegt die Bedeutung dreier fundamentaler Aspekte im heutigen Klassenkampf:
– der Kampf zur Schaffung eines Kräfteverhältnisses zugunsten der Arbeiter: dies ist der Schlüssel, der die Arbeiterklasse in die Lage versetzt, sich gegen alle korporatistischen Spaltungen, die von der bürgerlichen Ideologie im allgemeinen und von den Gewerkschaften im besonderen erzwungen wurden, und gegen die Atomisierung, die sich durch den kapitalistischen Zerfall verschlimmert, wieder ihrer Klassenidentität zu besinnen. Es ist insbesondere ein praktischer Schlüssel, weil er sich in jedem Kampf als zwingende Notwendigkeit aufdrängt: Die Arbeiter können sich nur selbst verteidigen, wenn sie die Front ihres Kampfes so weit wie möglich verbreitern.
– der Kampf, um aus dem gewerkschaftlichen Gefängnis auszubrechen: es sind die Gewerkschaften, die überall die kapitalistische „Legalität“ und die korporatistischen Spaltungen im Kampf verstärken, die danach trachten, die Arbeiter an der Schaffung eines Kräfteverhältnisses zu ihren Gunsten zu hindern. Die Fähigkeit der Arbeiter, den Gewerkschaften entgegenzutreten und ihre eigenen Organisationsformen zu entwickeln, werden somit ein Meilenstein bei der wirklichen Reifung des Kampfes in der vor uns liegenden Periode sein, gleichgültig, wie ungleichmäßig und schwierig dieser Prozess sein mag.
– die Konfrontation mit den Gewerkschaften bedeutet gleichzeitig die Konfrontation mit dem kapitalistischen Staat, und die Konfrontation mit dem kapitalistischen Staat ist
– unter der Teilnahme der fortgeschritteneren Minderheit – der Katalysator bei der Politisierung des Klassenkampfes. In vielerlei Hinsicht ist es die Bourgeoisie, welche die Initiative ergreift, um aus „jedem Klassenkampf einen politischen Kampf“ (Kommunistisches Manifest) zu machen, weil sie letztendlich den Klassenkampf nicht in ihr System integrieren kann. Die herrschende Klasse hat die „konfrontative“ Herangehensweise gewählt und wird auch in Zukunft nicht davon abweichen. Doch die Arbeiterklasse darf nicht nur auf dem Gebiet der unmittelbaren Selbstverteidigung reagieren, sondern muss vor allem mit der Entwicklung einer allgemeingültigen Perspektive ihres Kampfes antworten, indem sie jeden Teilkampf in den breiteren Zusammenhang des Kampfes gegen das gesamte System stellt. Für lange Zeit wird dieses Bewusstsein notwendigerweise auf eine Minderheit beschränkt bleiben. Aber diese Minderheit wird wachsen, und dieses Wachstum wird durch den steigenden Einfluss der revolutionären politischen Organisationen auf eine breitere Schicht von radikalisierten Arbeitern seinen Ausdruck finden. Fortan wird es für diese Organisationen überlebenswichtig, sehr aufmerksam der wirklichen Klassenbewegung zu folgen und in der Lage zu sein, so effektiv, wie es ihre Mittel erlauben, in ihr zu intervenieren.
Die Bourgeoisie mag uns die Lüge verkaufen, dass der Klassenkampf tot ist. Dabei ist sie schon längst dabei, den „unverhüllten Bürgerkrieg“ vorzubereiten, auf den die Zukunft dieser Ordnung unvermeidlich hinausläuft, sobald sie mit dem Rücken zur Wand steht. Die Arbeiterklasse und ihre revolutionären Minderheiten müssen ebenfalls vorbereitet sein.
28.12.1998