Hiroshima und Nagasaki: Die Lügen der Bourgeoisie

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Letztes Jahr, am fünfzigsten Jahrestag des Atombombenabwurfes über Hiroshima und Nagasaki, sprengte die herrschende Klasse das bisheri­ge Mass an Zynismus und Lügen. Dieser Höhepunkt an Barbarei wurde nicht von einem Diktator oder einem blutrünstigen Verrückten, sondern von der "tugendhaften Demokratie" Amerikas durchgeführt. Um dieses monströse Verbrechen zu rechtfertigen, hatte die herrschende Klasse weltweit die ehemalige schamlose Lüge wieder aufgetischt, nach welcher die Atombomben nur deshalb eingesetzt worden seien, um das Leiden, welches durch einen weiteren Krieg mit Japan entstanden wäre, abzukürzen und zu verhindern. Die amerikanische Bourgeoisie ging mit ihrem Zynismus sogar soweit, eine Briefmarke mit der Aufschrift: "Atombomben beschleunigten das Ende des Krieges. August 1945" herausgeben zu wollen. Auch wenn in Japan dieser Jahrestag eine willkommene Gelegenheit war, die wachsende Opposition gegen die ehemalige amerikanische Schirmherrschaft zu unterstreichen, leistete der amerikanische Premierminister ebenfalls seinen Beitrag, indem er den Abwurf der Atombomben als Notwendigkeit für Frieden und Demokratie bezeichnete und sich gleichzeitig erstmals für die von Japan während des Zweiten Weltkrieges begangenen Kriegsverbrechen ent­schuldigte. Sieger und Verlierer fanden sich zu dieser widerlichen Kampagne zusammen, um eines der grössten Verbrechen der Geschich­te zu rechtfertigen.

 

Die Berechtigung Hiroshimas und Nagasakis: Eine grosse Verlogenheit

Im ganzen forderten die zwei im August 1945 über Japan abgeworfenen Atombom­ben 552 000 Opfer. Viele starben in den 50er und 60er Jahren an Lungen- und Schilddrüsenkrebs; und bis heute fordert die Wirkung der Radioaktivität ihre Opfer: In Hiroshima und Nagasaki gibt es zehnmal mehr Leukämiefälle als im übrigen Japan. Um ein solches Verbrechen zu legitimieren und um auf den berechtigten Schock eine Antwort zu geben, der durch die katastro­phalen Auswirkungen der Bomben verur­sacht wurde, setzten Truman, der US-­Präsident, der diesen nuklearen Holocaust angeordnet hatte, und sein Busenfreund Churchill eine durch und durch zynische Lüge in die Welt: Der Einsatz der Atombom­ben hätte eine Million Menschenleben ge­rettet, die durch die Invasion der amerikani­schen Truppen gefordert worden wären. Trotz der grausamen Auswirkungen seien die Bomben, welche Hiroshima und Nagasa­ki zerstört hätten, Bomben für den Frieden gewesen! Diese besonders widerliche Be­hauptung wurde jedoch in zahllosen, von der Bourgeoisie selbst herausgegebenen Geschichtsstudien, widerlegt.

 

Wenn wir Japans militärische Situation zur Zeit der Kapitulation Deutschlands näher unter die Lupe nehmen, so sehen wir, dass dieses Land so gut wie reif war für eine Niederlage. Seine Luftwaffe, diese so wich­tige Waffe im Zweiten Weltkrieg, war geschrumpft auf eine Handvoll Kampfflug­zeuge; geflogen von jugendlichen Piloten, deren Unerfahrenheit durch Fanatismus er­setzt war. Ebenso war die Kriegs- und Handelsflotte praktisch ausgeschaltet. Die Flugzeugabwehr wies so viele Lücken auf, daß die amerikanischen B29-Bomber im Frühling 1945 Tausende von nahezu verlust­freien Angriffen starten konnten, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Chur­chill selber hielt dies in Band 12 seiner Kriegserinnerungen fest.

 

Eine 1989 in der "New York Times" veröffentlichte Studie, die vom US-Geheim­dienst 1945 gemacht worden war, zeigte, daß "der japanische Kaiser, einsehend, da,%3 sein Land in der Niederlage steckte, am 20. Juni 1945 entschied, alle Kampfhandlungen zu beenden und vom 11. Juli an Friedensver­handlungen in Gang zu setzen mit dem Ziel, die kriegerischen Auseinandersetzungen zu beenden " (Le Monde Diplomatique, August 1990).

 

Truman war über diese Situation bestens orientiert. Dennoch, benachrichtigt vom Er­folg des ersten Atombombentests in der Wüste von New Mexico im Juli 1945 ( 1 ), entschied er während der Potsdamer Konfe­renz, welche zwischen ihm, Churchill und Stalin stattfand, (2) die Atombombe gegen japanische Städte einzusetzen. Dieser Ent­scheid hatte nichts zu tun mit dem Wunsch, den Krieg mit Japan zu beenden, wie in einem Gespräch zwischen Leo Szilard, einem der Väter der Bombe, und J. Byrnes, dem US-Staatssekretär für Kriegswesen, zugegeben wurde. Als Szilard Bedenken äußerte bezüglich den Gefahren, die der Atombombeneinsatz mit sich bringe, ant­wortete Byrnes, daß "Truman nicht verlang­te, die Bombe einzusetzen, um den Krieg zu gewinnen, sondern seine Idee war, durch ihren Besitz und Einsatz RuJ3land kontrol­lierbar zu machen ". (Le Monde Diplomatique, August 1990).

 

Noch weitere Argumente gefällig? Lassen wir einen der wichtigsten amerikanischen Militärführer für sich selbst sprechen. Für den Generalstabschef Admiral Leahy waren die Japaner "so gut wie geschlagen und zur Kapitulation bereit. Der Einsatz einer solch barbarischen Waffe leistet keinen Beitrag zum Sieg in unserem Krieg gegen Japan. " (Le Monde Diplomatique, August 1990). Derselben Meinung war auch Eisenhower. Die Behauptung, der Einsatz der Atombom­be hätte Japan in die Knie gezwungen und dem Abschlachten ein Ende gesetzt, hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Diese Lüge wurde verbreitet, um den Bedürfnissen der bürgerlichen Kriegspropaganda gerecht zu werden; eine der Leistungen der riesigen Gehirnwaschkampagne, welche nötig war, um das größte Massaker der Menschheitsgeschichte, den von 1939 bis 1945 dauernden Weltkrieg, zu rechtfertigen, sowie den Kalten Krieg ideologisch vorzu­bereiten.

 

Was auch immer die Zögerungen einzelner Mitglieder der herrschenden Klasse ange­sichts dieser Massenvernichtungswaffe zu bedeuten hatten, betonen wir, dass Trumans Entscheid alles andere war als der eines wahnsinnigen oder isolierten Individuums. Im Gegenteil, er' ist Ausdruck einer unerbitt­lichen Logik; der Logik des Imperialismus. Tod und Zerstörung der Menschheit ist die einzige Überlebensmöglichkeit der Bour­geoisie und ihres Ausbeutungssystems, wel­ches unumkehrbar dekadent ist.

 

Das wirkliche Ziel der Bomben von Hiroshima und Nagasaki

Im Gegensatz zu all den Lügen, welche seit 1945 über den angeblichen Sieg der Demo­kratie und des Friedens in die Welt gesetzt wurden, war der Zweite Weltkrieg dann zu Ende, als die imperialistische Neuaufteilung der Welt erfolgt war. Enthielt der Vertrag von Versailles den Keim eines neuen Krie­ges in sich, so enthielt auch Jalta den Gegensatz zwischen den zwei Hauptsiegern des Zweiten Weltkrieges, den USA und seinem russischen Gegner Durch den Zwei­ten Weltkrieg von einer ökonomisch schwa­chen Macht zu einer Weltmacht aufgestie­gen, musste die Sowjetunion Amerika nun im weltweiten imperialistischen Konkur­renzkampf herausfordern. Im Frühling 1945 benötigte die UdSSR ihre ganze militärische Kraft, um einen Block in Osteuropa auf die Beine zu stellen. Jalta diente nur dazu, das existierende Kräfteverhältnis zwischen den mächtigsten imperialistischen Haien, wel­che aus der grössten Schlächterei der Geschichte hervorgingen, zu sanktionieren. Die Situation, welche durch ein Kräftegleichgewicht geschaffen worden war, wurde nun durch ein anderes wieder über den Haufen geworfen. Im Sommer 1945 war das wahre Problem, vor dem die USA stand, nicht, wie es uns in den Schulbüchern eingetrichtert wird, Japan sobald als möglich zur Kapitula­tion zu zwingen, sondern, wie man dem imperialistischen Feldzug des "grossen rus­sischen Verbündeten" begegnen konnte.

 

Winston Churchill, der große wirkliche Führer der Allüerten im Zweiten Weltkrieg, hatte schnell begriffen, daß eine neue Front am Entstehen war, warnte die Amerikaner davor und forderte sie auf, dagegen anzutre­ten. Er schrieb in seinen Erinnerungen: "Je näher das Ende des von einer Koalition geführten Krieges, desto vorrangiger wer­den die politischen Aspekte. Vor allem sollten sie in Washington weiter sehen (... ) Die Vernichtung der deutschen Militär macht hat eine radikale Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen Rußland und den westlichen Demokratien mit sich ge­bracht. Sie haben vergessen, daß der ge­meinsame Feind Deutschland das einzige war, was sie einte. " Er schloß daraus, daß "Sowjetrußland eine tödliche Gefahr für die freie Welt geworden war und es nötig war, ohne zu zögern eine neue Front zu bilden, um seinen Vormarsch zu stoppen, und daß diese Front so weit wie möglich im Fernen Osten gebildet werden musste" (Erinnerun­gen, Bd. 12, Mai 1945). Es könnte nicht klarer sein. Churchill analysierte sehr klar, daß ein neuer Krieg im Anzug war, noch bevor der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Im Frühling 1945 tat Churchill alles, um dem Vormarsch der russischen Armeen nach Europa (Polen, Tschechoslowakei, Jugosla­wien) zu begegnen. Verbissen versuchte er Truman von seiner neuen Einschätzung zu überzeugen. Letzterer übernahm nach eini­gem Zögern (3) Churchills These, daß "die sowjetische Bedrohung den Feind Nazi­deutschland ersetzt hat" (Erinnerungen, Bd. 12, Mai 1945). Die vollständige und ein­stimmige Unterstützung, die die Regierung Churchill Trumans Entscheid, japanische Städte mit Atombomben zu vernichten, gab, ist somit ohne weiteres zu verstehen. Am 22. Juli 1945 schrieb Churchill: "Mit der Bombe haben wir einen guten Trumpf in der Hand um das Gleichgewicht mit den Russen wiederherzustellen. Der Besitz dieser Bombe und die Möglichkeit ihres Einsatzes wird das diplomatische Gleichgewicht, das seit der Niederlage Deutschlands aus den Fugen geraten ist, völlig ändern. "

 

Daß dies Tote und ein unsägliches Leid über Hunderttausende von Menschen bringen würde, ließ diesen "Verteidiger der freien Welt" und "Retter der Demokratie" völlig kalt. Als Churchill die Nachricht von der Bombardierung Hiroshimas erfuhr, jauchzte er vor Freude, und Lord Allenbrooke, einer von seinen Beratern, schrieb: "Churchill war von Enthusiasmus erfüllt und sah sich so gut wie fähig, alle Industrie- und Bevölkerungs­zentren Rußlands auszulöschen."("Le Mon­de Diplomatique", Aug. 1990). Soviel zähl­ten bei diesem Verteidiger der Zivilisation und der Menschenrechte Menschenleben, und dies nach fünf Jahren Schlächterei, die 50 Millionen Tote gekostet hatte!

 

Der über Japan hereingebrochene atomare Holocaust im August 1945, dieser furchtba­re Ausdruck der absoluten Barbarei des Krieges im dekadenten Kapitalismus, war von den "reinen" amerikanischen Demokra­ten nicht bestimmt, um das Leiden zu begrenzen, das durch eine Weiterführung des Krieges mit Japan verursacht worden wäre. Es war eine Botschaft des Terrors an die UdSSR, um diese zu veranlassen, auf ihre imperialistischen Ambitionen zu ver­zichten und die Bedingungen der "Pax americana" hinzunehmen. Konkret um die UdSSR, welche nach Yalta, gemäss den Abmachnungen, Japan sofort den Krieg erklärt hatte, zu warnen und zu zeigen, dass es ausser Frage stand, sich, wie im Falle Deutschlands, an der Besetzung Japans zu beteiligen. Um ihrer Botschaft Nachdruck zu verleihen, warf die USA eine zweite Bombe über Nagasaki ab. Nagasaki war eine Stadt von geringer militärischer Bedeu­tung, dafür aber das wichtigste Arbeiter zentrum Japans. Dies war mit ein Grund, weshalb Truman den Vorschlag einiger seiner Berater zurückwies, die Bombe über

 

einem dünn besiedelten Gebiet abzuwerfen, was Japan genauso zur Kapitulation zwingen würde. Nein, in der mörderischen Logik des Imperialismus bedurfte es der Zerstörung zweier Städte, um Stalin einzuschütern und die vormals verbündete Sowjetunion zu zwingen, ihre imperialistischen Appetite zu zügeln.

 

Die Lehren dieser grauenhaften Ereignisse

Welche Lehren kann die Arbeiterklasse aus dieser Tragödie und deren Ausschlachtung durch die Bourgeoisie ziehen?

 

Zuallererst sind solche Massaker der entfesselten kapitalistischen Barbarei nicht unvermeidbar für die Menschheit. Die wissenschaftliche Vorbereitung solcher Blutbäder war nur möglich, weil das Proletariat weltweit niedergeschlagen war durch die schrecklichste Konterrevolution seiner gan­zen Geschichte. Gebrochen durch den stali­nistischen und faschistischen Terror sowie vollständig verwirrt durch die monströse Lüge, daß Stalinismus und Kommunismus dasselbe seien, vermochte die Arbeiterklas­se ihrer, von den Stalinisten aktiv und unersetzbar unterstützten Mobilisierung für die tödliche Falle der Verteidigung der Demokratie keinen Widerstand entgegenzu­setzen. Sie konnte keine andere Rolle spielen als die des Kanonenfutters, das der Bourgeoisie wehrlos, auf Gedeih und Ver­derb, ausgesetzt war. Heute, was auch immer die Schwierigkeiten des Proletariats, sein Bewußtsein zu vertiefen, zu bedeuten haben, ist die Situation grundsätzlich an­ders. In den großen Arbeiterzentren herrscht keine Einigkeit mit den Ausbeutern, son­dern entwickelt sich eher das Klima des Kampfes gegen sie. Im Gegensatz zu der von der Bourgeoisie endlos wiederholten Lüge, daß der zweite imperialistische Weltkrieg ein Krieg zwischen zwei verschiedenen "Systemen", dem faschistischen und demo­kratischen, gewesen sei, waren seine 50 Millionen Tote Opfer des kapitalistischen Systems als Ganzes. Barbarei und Verbre­chen gegen die Menschheit praktizierte nicht nur der Faschismus. Unsere wunderbaren "Alliierten", die sich als "Verteidiger der Zivilisation" priesen, plünderten und mas­sakrierten unter der Fahne der "Demokra­tie", und an ihren Händen klebt genauso viel Blut wie an denen der Achsenmächte. Der entfesselte nukleare Holocaust war beson­ders abscheulich, aber nur eines der vielen Verbrechen, die unsere "reinen Ritter der Demokratie" während des ganzen Krieges begingen.(4)

 

Der Schrecken Hiroshimas eröffnete auch eine neue Periode des verstärkten Abstiegs des Kapitalismus in seiner Dekadenz. Der permanente Krieg wurde zum Alltagsleben des Kapitalismus. Der Versailler Vertrag hatte den nächsten Weltkrieg angekündigt, und die auf Hiroshima und Nagasaki abge­worfenen Atombomben kennzeichneten nun den Beginn des "Kalten Krieges" zwischen den USA und der UdSSR, welcher für mehr als vierzig Jahre das Blutbad in alle Ecken der Welt ausdehnte. Dies deshalb, weil es, im Gegensatz zu 1918 und den Jahren danach, 1945 keine Entwaffnung gab, son­dern im Gegenteil ein riesiges Wettrüsten unter allen Siegern des Zweiten Weltkrieges begann (die UdSSR trieb sich 1949 auch Atombomben auf). Unter diesen Bedingun­gen war die ganze Wirtschaft unter dem Diktat des Staatskapitalismus in seinen verschiedenen Formen dem Krieg unterge­ordnet. Im Gegensatz zur Periode nach dem Ersten Weltkrieg war der Staatskapitalis­mus in alle Poren der Gesellschaft einge­drungen und hatte seine totalitäre Herr­schaft auf alles ausgedehnt. Nur der Staat kann die, besonders für den Ausbau des nuklearen Waffenarsenals notwendigen, gi­gantischen Ressourcen mobilisieren. Das Manhattan-Projekt war nur der Anfang einer langen und grausigen Serie, welche zum größten und wahnwitzigsten Aufrüsten der Geschichte führte.

 

 

Weit davon entfernt, eine Zeit des Friedens anzukündigen, eröffnete das Jahr 1945 eine neue Periode der Barbarei, noch verschlim­mert durch die beständige Gefahr der atomaren Vernichtung des gesamten Plane­ten. Wenn Hiroshima und Nagasaki immer noch nicht aus dem Gedächtnis der Mensch­heit ausgelöscht sind, dann nur deshalb, weil dies der direkteste und augenfälligste Ausdruck davon ist, wie der dekadente Kapitalismus das Überleben der Mensch­heit in Frage stellt.

 

Dieses schreckliche Damoklesschwert, wel­ches da über der Menschheit hängt, über­trägt eine enorme Verantwortung an das Proletariat, die einzige Kraft, die fähig ist, der militärischen Barbarei des Kapitals einen Riegel zu schieben. Obwohl die Bedrohung durch die Atombombe mit dem Zusammenbruch des amerikanischen und russischen Blocks vorübergehend ge­schwunden ist, ist diese Verantwortung nur noch gewachsen, und das Proletariat darf in seiner Wachsamkeit keinen Augenblick nachlassen. In der Tat war der Krieg noch nie so allgegenwärtig wie heute, von Afrika über die Gebiete der Ex-Sowjetunion bis zum Blutbad in Ex-Jugoslawien, welches den Krieg zum erstenmal seit 1945 nach Europa brachte.(5)

 

Und wir brauchen nur auf den Entschluß der Bourgeoisie, die Bomben vom August 1945 zu rechtfertigen, zu schauen, um die Erklä­rung Clintons zu verstehen: "Wenn es nötig wäre, die Atombombe einzusetzen, wir wür­den es wieder tun " ("Liberation", 11. April 1995).

 

Damit drückt er nur die Meinung seiner ganzen Klasse aus. Hinter den scheinheili­gen Worten über die Gefahren atomaren Wettrüstens tut in Wirklichkeit jeder Staat alles, um sich entweder ein Atomwaffen­arsenal zu ergeiern oder das schon bestehen­de auszubauen. Mehr noch: Die Forschung hat sich das Ziel gesetzt, nukleare Waffen zu verkleinern, dadurch ihren Einsatz zu er­leichtern und zu vervielfachen. Oder, wie "Libération" schreibt: "Die Studien westli­cher Generalstäbe beruhen auf der Antwort `des Vernünftigen an den Wahnsinnigen' und lassen die Idee eines taktischen, begrenzten Einsatzes von Atomwaffen wieder aufleben. Nach Hiroshima wurde ihr Einsatz tabu. Aber nach dem Kalten Krieg begann dieses Tabu seine Gültigkeit zu verlieren" ("Libération": 5. August 1995).

 

Der Horror der nuklearen Kriegsführung ist nicht etwas, das der Vergangenheit ange­hört. Im Gegenteil: Es ist, jedoch nur wenn das Prolatariat es zulässt, die Zukunft, wel­che der zerfallende Kapitalismus für die Menschheit bereithält. Zerfall bedeutet nicht Eindämmung der Allgegenwärtigkeit des Krieges. Das Chaos und das Gesetz des "Jeder gegen Jeden" machen diese Gefahr im Gegenteil nur noch unkontrollierbarer. Die imperialistischen Großmächte heizen das Chaos nur noch an, um ihre schmutzigen Interessen zu verteidigen. Wir können sicher sein, daß, wenn die Arbeiterklasse es nicht schafft, dieser verbrecherischen Tätigkeit Einhalt zu gebieten, die Herrschenden nicht zögern werden, all ihre ihnen zur Verfügung stehenden Waffen einzusetzen, von gewöhn­lichen, konventionellen Bomben, wie sie im Golfkrieg flächenmäßig eingesetzt wurden, bis zu chemischen und nuklearen Waffen. Der kapitalistische Zerfall hat nur eine Perspektive anzubieten: Die stückweise Zerstörung dieses Planeten und seiner Be­wohner. Das Proletariat darf keinen Fuß­breit nachgeben, weder dem Sirenengesang des Pazifismus noch der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie, in deren Namen Hiroshima und Nagasaki ausgelöscht wur­den. Im Gegenteil: Es muß auf seinem eigenen Klassenterrain bleiben; auf dem Terrain des Kampfes gegen dieses System des Todes und der Zerstörung, des Kapita­lismus. Aus den Horrorspektakeln, aus den vergangenen und gegenwärtigen Greueln, welche die Medien heute bis ins Detail ausschlachten und mit Bildern von Kriegen schmücken, darf die Arbeiterklasse kein Gefühl der Machtlosigkeit schöpfen. Denn genau dies will die Bourgeoisie mit solchem Kriegsrummel in den Medien: Das Proletari­at terrorisieren, ihm die Idee vermitteln, es sei dagegen machtlos; als könne nur der kapitalistische Staat mit seinen enormen Zerstörungsmitteln und seiner Mächtigkeit den Frieden herbeiführen, mit denselben Mitteln, wie auch Kriege ausgelöst werden! Die Arbeiterklasse muss diese durch den Kapitalismus ausgelöste Barbarei zum Anstoss nehmen, um in seinen Klassenkämp­fen das Bewusstsein zu entwickeln und seinen Willen zur Überwindung des Kapita­lismus zu stärken.

 

Julien, 24.8.95

 

( 1 ) Um die Atombombe zu entwickeln, mobilisierte der amerikanische Staat sämtliche seiner wissen­schaftlichen Ressourcen und stellte diese dem Militär zur Verfügung. Zwei Milliarden Dollar wurden ins Manhattan-Projekt gesteckt, bewilligt durch den gro­ßen "Menschenfreund" Roosevelt. Alle Universitäten leisteten ihre Beiträge dazu. Direkt oder indirekt waren alle Physiker in dieses Geschäft verwickelt, von Einstein bis Oppenheimer, einschließlich sechs Nobelpreisträger. Die gigantische Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Ressourcen für den Krieg war ein Ausdruck der kapitalistischen Dekadenz. Der Staats­kapitalismus, entweder unverhüllt oder unter einer demokratischen Maske, unterwirft und militarisiert die ganze Wissenschaft. Unter der Herrschaft des Kapitals lebt und entwickelt sich die Wissenschaft nur durch und für den Krieg. Diese Entwicklung hörte seit 1945 nicht auf, sich zu verschärfen, im Gegenteil.

 

(2) Das Hauptziel dieses Treffens, das Churchill initiierte, war, Stalins UdSSR klarzumachen, daß sie ihre imperialistischen Appetite zu zügeln habe und daß es Grenzen gäbe, die sie nicht überschreiten dürfe.

 

(3) Den ganzen Frühling 1945 hindurch regte sich Churchill auf, daß die Amerikaner sich angesichts der

 

Einnahme Osteuropas durch die russische Ar<nee so "gutmütig" zeigten. Dieses Zögern von seiten der US-­Regierung, sich auf eine Konfrontation mit den imperialistischen Ambitionen der Sowjetunion einzu­lassen, hat ihre Gründe in der damals noch verhältnis­mäßigen Unerfahrenheit als Weltsupermacht, deren Rolle die US-Bourgeoisie jetzt spielen konnte - eine Erfahrung, die die englische Bourgeoisie bereits hatte. Aber es war auch der Ausdruck der nicht besonders freundlichen Gefühle seitens ihres amerikanischen Verbündeten. Die Tatsache, daß England geschwächt aus dem Krieg hervorging und daß seine Machtstellung in Europa durch den russischen Bären bedroht wurde, konnte die britische Bourgeoisie Onkel Sams Diktat gegenüber gefügiger machen, der sich seinem "engsten Freund" ohne zu zögern aufzwang. Dies ist ein weiteres Beispiel der "einigen und harmonischen" Beziehungen der imperialistischen Hyänen untereinander.

 

Internationale Revue Nr.17