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Auftakt war die Bürgerschaftswahl in Bremen. Über Nacht war „Die Linke“ drittgrößte politische Kraft geworden. Nie zuvor hatte das aus PDS und WASG bestehende Wahlbündnis Gregor Gysis und Oskar Lafontaines bei einer westdeutschen Landtagswahl ein solches Ergebnis erzielt. Der Beweis war erbracht: Der Erfolg dieses Bündnisses bei den letzten Bundestagswahlen, als Lafontaine erstmals gegen Schröders SPD angetreten war, war keine Eintagsfliege. Es ist möglich geworden, im „wiedervereinigten“ Deutschland längerfristig eine parlamentarische Partei links von der SPD zu etablieren.
Mit diesem Erfolg konnten die letzten Zweifler in den Reihen der westdeutschen WASG überzeugt werden. Im Juni 2007 war es dann vollbracht. Aus dem Wahlbündnis „Linkspartei“ wurde ganz offiziell eine ganz neue gesamtdeutsche Partei des „demokratischen Sozialismus“ aus der Taufe gehoben, genannt „Die Linke“. Zu deren ersten Vorsitzenden wurden Oskar Lafontaine und Lothar Bisky gewählt.
Der Kalte Krieg ist zu Ende
Das, was während der gesamten Geschichte der westdeutschen Bundesrepublik der Nachkriegsepoche nicht sein durfte, ist jetzt Wirklichkeit geworden: Eine Partei links von der SPD ist in die Familie der parlamentarischen Parteien des deutschen Kapitals mit allen Würden aufgenommen worden. Damals, in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, wurde die KPD nicht nur verboten. Deren Mitglieder wurden auch und gerade von den linken und liberalen Vertretern des westdeutschen Staates verfolgt oder abgekanzelt: von den DBG-Gewerkschaften etwa oder von den Kirchen. Heute hingegen wurde die neue Partei gerade von Kräften innerhalb der Gewerkschaften und den Kirchen willkommen geheißen. Das macht deutlich, was es auf der Ebene der politischen Parteien des Staates bedeutet, dass der Kalte Krieg vorbei ist. Denn die KPD wurde von der Bonner Republik vor allem deshalb verboten und die Mitglieder ihrer Nachfolgeorganisation DKP mit jahrelangen, brutalen Berufsverboten verfolgt, weil diese Partei die Interessen der DDR mit verfocht. Heute hat niemand im größer gewordenen Deutschland mehr Angst vor den Altstalinisten. Nicht, weil sie alt geworden sind, sondern weil es die DDR und die anderen imperialistischen Rivalen des damaligen Ostblocks in dieser Form nicht mehr gibt. Mehr noch: die gewendeten Stalinisten dienen heute neuen Herren. Sie haben sich entschlossen auf den Boden des gesamtdeutschen Staates gestellt und in den ostdeutschen Ländern und innerhalb der Gewerkschaften bereits ihre Loyalität gegenüber diesem neuen Brötchengeber bewiesen.
In der Tradition der SPD und der SED
Mit „Die Linke“ gibt es eine weitere Neuerung. Zum ersten Mal seit der Annahme des Godesberger Programms der SPD in den sechziger Jahre gibt es wieder eine parlamentarische Partei in Deutschland, die das Ziel des „demokratischen Sozialismus“ propagiert. In einer Polemik gegen den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle erklärte Lafontaine auf dem Gründungsparteitag, dass „Freiheit“ und „Sozialismus“ nicht nur keine Gegensätze seien, sondern dass die „Freiheit“ sich nur durch den „Sozialismus“ verwirklichen lasse. Außerdem werden mit der neuen Partei bisher ungewohnte historische Bezugspunkte im „politischen Diskurs“ der Bundesrepublik eingeführt. So bezog sich Lafontaine in seiner Parteitagsrede nicht nur auf Willy Brandt, sondern auch auf Revolutionäre der vergangenen Arbeiterbewegung wie August Bebel oder Rosa Luxemburg, um seine These zu untermauern, dass in Wahrheit „Die Linke“ und nicht mehr die SPD nach Schröder in der Nachfolge der traditionellen Politik der Sozialdemokratie stehe.
Als Bebel und Luxemburg noch lebten, klangen ihre bloßen Namen wie Anklagen gegen das kapitalistische System. Der Widerhall ihrer Namen auf dem Gründungsparteitag der „Linken“ hingegen hat keinerlei Unruhe in den Reihen der deutschen Bourgeoisie ausgelöst. Vielleicht finden die Anführer des deutschen Imperialismus es amüsant, dass der Name der großen Revolutionärin Rosa Luxemburgs, die 1919 im Auftrag der SPD ermordet wurde, um den ins Wanken geratenen Kapitalismus in Deutschland vor dem revolutionären Ansturm des Proletariats zu retten, heute verwendet wird, um eine Kontinuität mit der Politik der SPD abzuleiten.
So ist es auch. Die neue Partei steht in der Kontinuität mit der SPD, die das kapitalistische Vaterland im Ersten Weltkrieg unterstützte und ins Lager des Imperialismus wechselte. Sie steht in Kontinuität mit der SPD, die am Ende des Weltkriegs die sozialistische Revolution niederschlug, dabei die Freikorps aufstellte und somit dem Nationalsozialismus den Weg bahnte. Sie steht in Kontinuität mit der SPD, die im Kalten Krieg die arbeitende Bevölkerung hinter die Vorbereitungen eines dritten Weltkriegs zu mobilisieren trachtete und die ab den 1970er Jahren die Auswirkungen der kapitalistischen Wirtschaftskrise auf die Schultern der Arbeiterklasse abwälzte. Aber sie steht auch in der Nachfolge des Stalinismus, der ab den 1930er Jahren alle wirklichen, also internationalistischen Marxisten verfolgte und zu ermorden trachtete; der im Gulag und in der „sowjetischen“ Atombombe die Verwirklichung des Sozialismus erblickte; der die Proletarier der DDR 1953 in Blut ertränkte und ab 1961 hinter Stacheldraht einsperrte; der 1980 unablässig die Niederschlagung des polnischen Massenstreiks verlangte. Damals, in Januar 1981, saßen die Staatschefs der BRD und der DDR, Helmut Schmidt und Erich Honecker, die zugleich Parteiführer der Sozialdemokratie im Westen und der Stalinisten im Osten waren, einträchtig beisammen, als die polnischen Sicherheitskräfte zur massiven Repression gegen die polnischen Arbeiterinnen und Arbeiter übergingen. Heute haben ihre würdigen Nachfolger sich die Hand gereicht und eine neue Partei gegründet. Oskar Lafontaine, einstiger Parteichef und Kanzlerkandidat der SPD, und Gregor Gysi, der zu retten wusste, was aus den Trümmern des Stalinismus zu retten war, als 1989 die DDR und ihre Regierungspartei pleite gingen - sie haben etwas erschaffen, was der deutschen Bourgeoisie heute hoch willkommen ist. Es ist nichts Geringeres als die Bewahrung und Zusammenballung der gesammelten Erfahrungen der Sozialdemokratie und des Stalinismus im Westen wie im Osten im Kampf gegen die Arbeiterklasse.
Die Lücke links der SPD schließen
Nur ein Teil des traditionellen Machtapparates des deutschen Staates zeigte sich beunruhigt über das Aufkommen der neuen Partei: die SPD. Der Grund liegt auf der Hand. Der Aufstieg der „Linken“ droht auf Kosten der Sozialdemokratie zu gehen.
Die Antwort der SPD ließ nicht lange auf sich warten. Wenige Tage nach der Parteigründung in Berlin unterschrieb die SPD ein „Kompromisspapier“ mit der mitregierenden Koalitionspartei CDU/CSU im Sachen Mindestlohn, um es einige Stunden später selbst in Grund und Boden zu verdammen. Daraufhin erklärte der Vizekanzler und die gute Seele der SPD, Müntefering, dem Wahlvolk: Mehr sei mit dem „ungeliebten“ Koalitionspartner nicht zu holen! Wenn ihr echte Mindestlöhne und Sozialstandards haben wollt, müsst ihr es uns ermöglichen, nach der nächsten Bundestagswahl ohne die Union zu regieren! Jede Stimme für die Linke sei aber indirekt eine Stimme für die Union und somit gegen Mindestlöhne. So gedenkt die aufgescheuchte Sozialdemokratie in die nächsten Wahlkämpfen zu ziehen.
Aber abgesehen von diesen leicht verständlichen Rivalitäten gibt es tiefere Beweggründe, die das Aufkommen der „Linken“ mit dem Schicksal der SPD verbindet. Nicht zuletzt auf Grund des „Sonderfalls deutsche Wiedervereinigung“ geriet die Bundesrepublik im Verlauf der 1990er Jahren im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf ins Hintertreffen gegenüber ihren Hauptkonkurrenten. Solange Helmut Kohl Kanzler blieb, wurde die Arbeiterklasse im ehemaligen Westdeutschland im internationalen Vergleich aus Sicht des Kapitals nicht hart genug angegriffen. Erst die SPD unter Schröder bewies den „Mut“ zur konsequenten Demolierung von Sozialleistungen und -regelungen, wodurch das jährliche Haushaltsdefizit verkleinert und der Standort Deutschland für internationale Investoren wieder attraktiv gemacht werden konnte. Was die SPD bewies, war nicht so sehr „Mut“, sondern Können. Die klassische Partei der sozialen Kontrolle über die Arbeiterklasse traute sich die Aufgabe zu, die Arbeiterklasse frontal anzugreifen, ohne eine allgemeine Widerstandswelle loszutreten. Und sie war erfolgreich. Aber diese Erfolge sowie die gnadenlose Verschärfung der Lage der Arbeiterklasse – allen „Reformen“ zum Trotz - haben Folgen längerfristiger Art, die nicht so leicht zu kontrollieren sind. Wachsende Teile der Arbeiterklasse scheinen sich von der Illusion zu lösen, dass ihre Interessen wirksam durch eine politische Partei im Parlament vertreten werden. Die Folge daraus wird sein, dass die Lohnabhängigen mehr und mehr ihre Interessen in die eigene Hand nehmen werden. Jedenfalls ist es unbestreitbar, dass immer mehr Teile der Arbeiterklasse in Deutschland ihre Kampferfahrungen machen, während gleichzeitig eine Desillusionierung gegenüber den etablierten Parteien und gegenüber dem Parlamentarismus als angebliche Interessensvertretung der Arbeiter sich breit macht. Zugleich beginnt eine neue Generation sich zu politisieren, die immer weniger an die Möglichkeit von Reformen innerhalb dieses Systems glaubt. Die ersten Gehversuche dieser neuen Generation hat man im Frühjahr 2006 bei den Massenkämpfen der Studenten und Schüler in Frankreich erleben können. Aber auch bei den G8-Protesten in Rostock und Heiligendamm in diesem Sommer konnte man beobachten, wie die überwiegend sehr jungen Aktivisten auf Distanz zu den etablierten linken Strukturen gehen und eine eigene Perspektive suchen.
Die Linke: Schützenhilfe für die SPD
Die SPD ist die erfahrenste Partei der deutschen Bourgeoisie mit der ausgeprägtest staatsmännischen Haltung. Die Unruhe in ihren Reihen sowie in den Reihen der Gewerkschaften hat mit mehr zu tun als mit der Angst vor einem lästigen Konkurrenten. Im übrigen ist es gar nicht ausgemacht, dass die Entwicklung der neuen Partei unbedingt zu Lasten der SPD gehen muss. Die SPD/PDS-Regierungen in Mecklenburg-Vorpommern, noch mehr aber in Berlin gelten in Deutschland als Vorreiter der erfolgreichen Angriffe gegen die Arbeiterklasse auf Länderebene. Sie zeigen zugleich, wie die PDS dazu dienen kann, die Sozialdemokratie an die Regierung zu bringen bzw. sie dort zu halten. Denselben Kunstgriff werden sie auf Bundesebene vollbringen können, wenn erforderlich. Wenn es soweit ist, wird „Die Linke“ auch die „Erfordernisse“ einer weltweit operierenden Bundeswehr einsehen, so wie vor ihnen die Grünen.
Nein, die Unruhe innerhalb von SPD und DGB gilt zuallererst den wachsenden Problemen bei der politischen Kontrolle der sozialen Lage. Und da liefert die neue Partei, wenngleich Rivale um Posten und Privilegien, vor allem Rückendeckung an der sozialen Front. Sie liefert Schützenhilfe, um die Leute vom Kampf abzuhalten und an die Illusionen des Parlamentarismus zu binden. Sie dient dazu, möglichst zu verhindern, dass die zwei wichtigsten Elemente der jetzigen Lage – die wachsenden Kämpfe der Lohnabhängigen und die wachsende Politisierung und Radikalisierung der neuen Generation - zusammenkommen und dadurch eine revolutionäre Perspektive aufkommen lassen.
Die Wurzeln der neuen Partei sind, für sich betrachtet, an Schäbigkeit kaum zu überbieten. Im Osten die PDS, als Vertreter der untergegangenen Staatsbourgeoisie der DDR, die nichts anderes im Sinn hatte, als etwas von ihren alten Privilegien hinüberzuretten. Im Westen Lafontaine, der machthungrige Klein-Napoleon von der Saar, der von Schröder entmachtete Parteichef, der seitdem unablässig auf Rache gegenüber seinen ehemaligen Parteigenossen aus ist. Was aus diesen und anderen schmutzigen Beweggründen der bürgerlichen Politik etwas Staatstragendes machte, war nicht Gysi und nicht Lafontaine, sondern der Gang der Geschichte selbst. Es war die Notwendigkeit für das Kapital, Lücken in den Verteidigungslinien des Ausbeutersystems gegenüber der Arbeiterklasse zu schließen.
In diesem – und nur in diesem – Sinne haben die ehemaligen SPDler und die ehemaligen SEDler gemeinsam etwas Großes geschaffen: ein großes Hindernis, das die lohnabhängige Bevölkerung im Verlauf des Klassenkampfes beiseitefegen muss.
20.07.07